Julia Collection Band 12

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WER VERFÜHRT HIER WEN? von LINZ, CATHIE
Michael Janos braucht dringend einen Hausmeister. Ob die hübsche Brenda dafür die Richtige ist? Doch schnell bringt sie nicht nur sein Haus in Schuss, sondern weckt auch ganz seltsame Gefühle in ihm. Ist an dem alten Familienzauber doch etwas dran?

DARF ICH SIE VERFÜHREN? von LINZ, CATHIE
Der erste Mann, den Gaylynn nach dem Öffnen des Zauberkästchens sieht, ist … ein alter Mann. Zumindest glaubt sie das. Dabei hätte sie doch viel lieber einen Blick auf den faszinierenden Hunter Davis geworfen, um ihn mit Magie auf alle Zeiten an sich zu binden.

EINE SCHWÄCHE FÜR COWBOYS von LINZ, CATHIE
Abbie weiß, dass Männer wie Dylan Janos gefährlich für sie sind: der Cowboy ist viel zu gut aussehend und charmant! Sie schwört sich, ihm auf jeden Fall zu widerstehen - und ahnt nicht, dass er von seiner Schwester Gaylynn ein magisches Kästchen geschickt bekommen hat …


  • Erscheinungstag 18.08.2009
  • Bandnummer 12
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956548
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathie Linz

Die Magie der Liebe

CATHIE LINZ

Die Magie der Liebe

Wer verführt hier wen?

Eigentlich soll es nur ein Job als Hausmeisterin sein, den die hübsche Brenda bei Michael Janos annimmt. Aber schon bald merkt sie, dass sie sich der Anziehungskraft dieses Mannes kaum entziehen kann. Als sie dann auch noch gemeinsam auf der Schwelle des Hauses ein süßes Findelkind auflesen, ist das Band zwischen ihnen auf magische Weise unverbrüchlich …

Darf ich Sie verführen?

Bisher war Gaylynn Janos für Hunter nie mehr als die kleine Schwester seines besten Freundes. Als er sie jetzt jedoch ganz allein in einer einsamen Berghütte in North Carolina trifft, spürt er, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung ist. Woher kommt plötzlich dieses tiefe Gefühl, das ihn nur an eines denken lässt: sie für immer sicher in seinen Armen zu halten?

Eine Schwäche für Cowboys

Dylan denkt keine Sekunde nach: Die hübsche Frau dort, deren Pferd mit ihr durchgeht, ist in Gefahr. Also riskiert der Cowboy alles, um sie zu retten – und wird dafür mit einem Blick in unvergleichliche Augen belohnt. Die hübsche Abbie verzaubert ihn. Dabei soll doch angeblich er wegen eines kleinen Kästchens Zauberkräfte besitzen …

1. KAPITEL

Der Schrei weckte Michael Janos aus tiefem Schlaf. Obwohl er die Ausbildung auf der Polizeiakademie damals abgebrochen hatte und als selbstständiger Sicherheitsberater für große Firmen arbeitete, reagierte er doch manchmal instinktiv.

Er zog die Jeans an, die er am Tag zuvor getragen hatte, und raste trotz der niedrigen Temperaturen mit nackten Füßen nach oben zu der Wohnung über seiner. Als er sich an der obersten Treppenstufe den großen Zeh stieß, fluchte er auf Ungarisch. Dann klopfte er an die Tür. „Mr. Stephanopolis? Hier ist Michael Janos.“

Der ältere Mann öffnete langsam.

„Was ist passiert? Ich habe jemanden schreien hören.“

„Das war ich“, antwortete Mr. Stephanopolis ärgerlich. „Ich war unter der Dusche, und ganz plötzlich war das Wasser kalt. Ich hätte mir fast meine empfindlichsten Körperteile abgefroren! Sie müssen diesen Durchlauferhitzer reparieren lassen, bevor noch jemand verletzt wird.“

Michael war bereits verletzt. Sein großer Zeh tat höllisch weh. Als er sechs Jahre alt gewesen war, hatte er sich diesen Zeh einmal gebrochen, als er sich auf einer Treppe gestoßen hatte. Nun hoffte er, dass die Geschichte sich nicht wiederholte.

„Haben Sie gehört?“ Mr. Stephanopolis zog seinen Bademantel enger um sich.

„Ja.“ Michael war müde. Es war kaum sechs Uhr, und er war erst um zwei ins Bett gekommen. „Ich bin sicher, im ganzen Haus hat man Sie gehört.“

„Was werden Sie nun unternehmen?“

„Sie wissen doch, dass ich eine Anzeige aufgegeben habe, um einen Hausmeister zu finden, der die Reparaturen ausführt. In der Zwischenzeit werde ich einen Elektriker anrufen, aber dies ist das Thanksgiving-Wochenende.“

„Am letzten Wochenende war auch ein Handwerker hier.“

Und hatte Michael hohe Zuschläge berechnet. „Schauen Sie, heute kommen ein paar Leute, die sich um den Hausmeisterjob bewerben. Hoffentlich ist jemand Geeignetes dabei.“

Michaels Hoffnungen verringerten sich immer mehr, während die Bewerber kamen und gingen, denn sie waren alle unfähig. Michael testete sie, indem er sie bat, das Signallämpchen an seinem Küchenherd auszuwechseln. Der letzte hatte auf der Suche nach der richtigen Stelle, wo die verdammte Birne hingehörte, fast den ganzen Herd auseinandergenommen – was einen weiteren Auftrag für den Elektriker bedeutete.

Derjenige, der den Durchlauferhitzer reparieren sollte, hatte sich bisher nicht sehen lassen, obwohl Michael schon morgens um sechs angerufen hatte.

Mr. Stephanopolis zeigte seine Missbilligung, indem er in Armeestiefeln aus dem Zweiten Weltkrieg durch seine Wohnung stampfte. Seine Frau, die ziemlich dick war, hatte sich dem Protestmarsch angeschlossen. Da Michael unmittelbar unter ihnen wohnte, kam er nicht zur Ruhe.

Ein schüchternes Klopfen an der Tür versprach eine willkommene Abwechslung, doch dann sah er, wer draußen stand. Mrs. Wieskopf und Mrs. Martinez glaubten offenbar daran, dass sie zu zweit mehr erreichen konnten. Obwohl die beiden alten Damen, die sich das Apartment neben Michaels teilten, so schüchtern geklopft hatten, wirkten sie äußerst entschlossen.

„Mr. Janos, ist Ihnen klar, dass wir kein heißes Wasser haben?“, fragte Mrs. Wieskopf.

„Ich weiß. Ich habe schon einen Elektriker angerufen.“

„Wir erledigen samstags unsere Wäsche. Und die bekommt man nicht mit kaltem Wasser sauber.“ „Am letzten Wochenende haben Sie auch einen Handwerker bekommen“, fügte Mrs. Martinez hinzu. Es folgte eine fünfzehnminütige Predigt über die Pflichten eines Hausbesitzers. Schließlich gelang es Michael, auch mal etwas zu sagen. „Ladys, ich tue mein Bestes.“

Sie schnaubten missbilligend und zogen sich zurück.

Michael war so weit, dass er am liebsten Schluss gemacht hätte für diesen Tag, aber dann erinnerte er sich, dass noch ein Bewerber ausstand. Er kam zu spät. Kein guter Anfang!

Wie aufs Stichwort klingelte es vorn an der Haustür. Michael konnte sich nicht über die Sprechanlage erkundigen, wer da war, weil die ebenfalls kaputt war, also musste er die Zwischentür aufschließen und in das winzige Foyer treten.

„Ich habe ein Päckchen für Sie“, erklärte der Postbote ärgerlich. Offenbar schätzte er es gar nicht, dass Michael ihm die Arbeit schwerer machte, indem er Päckchen bekam. „Und die Briefkästen sitzen nicht mal fest in der Wand. Sie sollten das reparieren lassen.“

„Es ist ein altes Gebäude.“ „Es ist eine Bruchbude“, schnaubte der Postbote. „Es war klug von Axton, es abzustoßen.“

Das hatte der Mann wirklich getan, und Michael war gegen seinen Willen Hausbesitzer geworden. Er hatte für David Axton gearbeitet, war aber nicht bezahlt worden und schließlich vor Gericht gegangen. Dort war ihm das uralte Apartmenthaus zugesprochen worden, während Axton Konkurs angemeldet hatte und verschwunden war.

„Irgendwann wird es etwas wert sein“, hatte er noch behauptet, bevor er das Gerichtsgebäude verlassen hatte. „Es muss bloß ein bisschen renoviert werden. Diese Gegend von Chicago wird bald bei den Yuppies populär. Wenn Sie bis dahin durchhalten, verdienen Sie eine Menge Geld, Janos.“

Vermutlich hatte dieser Betrüger irgendwo auch noch ein paar nette Sumpfgrundstücke billig zu verkaufen. Michael wohnte erst ein paar Wochen in dem Hausund wusste bereits, dass ihm noch größere Schwierigkeiten bevorstanden.

Die Vordertür fiel zu. Der Postbote war fort, und Michael stand mit seinem geheimnisvollen Päckchen im Foyer. Er hoffte, dass es nicht noch mehr Sexspielzeug enthielt, das David Axton vor seinem Auszug bestellt hatte.

Nein, Michaels eigener Name stand darauf, tatsächlich sogar sein ursprünglicher Vorname Miklos.

Den Absender konnte er nicht entziffern, aber auf den Briefmarken stand „Magyar Posta“. Das Päckchen kam also aus Ungarn. Aber Michael kannte niemanden dort. Seine Eltern waren mit ihm Anfang der sechziger Jahre aus Ungarn in die Vereinigten Staaten gekommen, als er noch ein kleines Kind gewesen war.

Das Päckchen sah aus, als hätte es einen Umweg über China gemacht und wäre auf einem Kamel befördert worden. Irgendwie fand Michael, dass es zu dem höllischen Tag passte, den er gerade durchlebte.

Er hob es ans Ohr, schüttelte es und spürte einen heftigen Kopfschmerz, der ihn zusammenzucken ließ. Dadurch ließ er die Zwischentür los. Sie fiel zu, und er war aus seinem eigenen Haus ausgesperrt.

Zum zweiten Mal an diesem Tag fluchte er auf Ungarisch. Gleichzeitig drehte er am Türknauf, und plötzlich hielt er das Teil lose in der Hand.

Brenda Munro überprüfte die Adresse noch mal: 707 Love Street. Ja, das war das Haus. Eigentlich wirkte es eher wie ein Einfamilienhaus als wie ein Apartmentgebäude, aber sie wusste, dass diese Gegend früher einmal von reicheren Leuten bewohnt gewesen war. Jetzt war das Viertel Sanierungsgebiet.

Brenda kannte sich mit dem Kampf um das Lebensnotwendige aus. Und als sie die Außentür öffnete, sah sie einen großen, dunkelhaarigen Mann vor sich, der ebenfalls kämpfte. Er zerrte an dem Knauf der inneren Tür, und mit einem Mal hielt er ihn in der Hand. Der Mann hatte keinen Mantel an. Offenbar hatte er sich gerade ausgesperrt.

„Sie könnten irgendwo klingeln, damit Sie jemand reinlässt“, schlug sie vor.

Der Mann wirbelte zu ihr herum, und sie hielt den Atem an, weil er so attraktiv war. Allerdings war er das nicht nach klassischen Maßstäben. Dazu war sein Gesicht zu schmal, aber er hatte hohe Wangenknochen mit interessanten Schatten darunter.

Sie stand dicht genug bei ihm, um die Farbe seiner Augen erkennen zu können … ein helles Braun. Brenda blinzelte. Solche Augen hatte sie noch nie gesehen. Es war nicht nur die Farbe, durch die man den Eindruck bekam, auf den Grund seiner Seele blicken zu können, sondern auch der düstere Ausdruck. Brenda fühlte sich, als hätte ein Tornado sie erfasst.

„Wo kommen Sie denn her?“, fragte der Mann. „Von draußen. Wollen Sie, dass ich das für Sie in Ordnung bringe?“

Michael presste den Türknauf an seine Brust, was nicht ganz einfach war, da er auch noch ein Päckchen in der Hand hielt, und sah Brenda missmutig an. „Ich hatte heute schon genug Leute hier, die versucht haben, etwas in Ordnung zu bringen.“

„Es ist ein schönes altes Haus.“ Sie bewunderte die kunstvoll geätzten Scheiben der Innentür.

„Es ist ein Sicherheitsrisiko.“ Er folgte ihrem Blick. „Dieses Haus wird noch mal über uns zusammenstürzen.“

„Warum wohnen Sie dann hier?“

„Ich habe keine Wahl.“

Brenda sagte nichts dazu. Sie wusste, wie es war, sich mit Dingen abfinden zu müssen. Aber dieses Leben lag jetzt hinter ihr. „Was halten Sie denn von dem Besitzer des Hauses?“, fragte sie.

„Der Kerl war ein nichtsnutziger Betrüger.“ Michael wünschte sich, David Axton wäre da, damit er ihn zusammenschlagen konnte.

Seine leidenschaftliche Antwort überraschte Brenda. Sie riss die Augen weit auf. Ihre dunklen Wimpern bildeten einen starken Kontrast zu ihrer hellen Haut. „Werden Sie nun bei jemandem klingeln, damit man uns reinlässt?“, erkundigte sie sich.

„Der größte Teil der Sprechanlage funktioniert nicht. Die intakten Teile befinden sich in den Wohnungen von Leuten, die fast taub sind.“

„Dann gibt es nur eine Möglichkeit: den Türknauf wieder festzuschrauben.“ Als Brenda Michaels misstrauischen Blick sah, fügte sie hinzu: „Ich weiß, was ich tue. Tatsächlich bin ich hier, um mich für die Hausmeisterstelle zu bewerben. Es scheint, dass ich genau am richtigen Ort gelandet bin.“

Michaels Miene wurde noch düsterer. „Was soll das denn bedeuten?“

„Wie bitte?“

„Sie sind eine Frau.“

„Richtig. Und?“

„In der Anzeige stand, dass ich einen erfahrenen Handwerker suche. Einen Mann.“

„Sie? Aber Sie haben doch gesagt, der Besitzer wäre ein nichtsnutziger Betrüger.“

„Das ist der Kerl, der mir diese Bruchbude angedreht hat. Ich bin bloß der arme Idiot, der sie jetzt am Hals hat.“

Brendas Blick verriet ihm, dass sie ihn ebenfalls für einen Idioten hielt, weil er ihre Fähigkeiten infrage stellte. Sie war hübsch mit ihrem kurzen dunklen Haar und den blauen Augen. Die Sommersprossen auf ihrer Nase ließen ihn spontan vermuten, dass sie irischer Abstammung war. Sie wirkte natürlich und ungekünstelt. Michael dachte, dass sie seiner Mutter gefallen hätte. Aber er verabredete sich nie mit Frauen, die in diese Kategorie fielen …

Brenda trug einen Daunenmantel und eine Strickmütze. Um den Hals hatte sie einen bunten Schal geschlungen, der aussah, als hätten ihn farbenblinde Elfen gestrickt. Ihre langen Beine steckten in engen Jeans und ihre Füße in schweren Wanderstiefeln.

„Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns drinnen unterhalten würden“, meinte sie nun. „Hier im Foyer ist es nicht viel wärmer als draußen. Lassen Sie mich nun den Türknauf anschrauben oder nicht?“

„Nein.“

Sie seufzte. „Warum nicht?“

„Weil alles so schon schlimm genug ist.“

„Wie wäre es dann, wenn Sie ihn selber festschrauben würden?“ Sie schlug den geduldigen Ton an, in dem man mit einem Zweijährigen reden würde, der sich weigert, sein Gemüse zu essen. „Ich habe einen kleinen Schraubenzieher an meinem Schweizer Messer …“ Sie holte es aus ihrer Tasche.

„Ich mache das.“ Michael nahm ihr das Messer ab, weil er nicht sicher war, ob sie ihn nicht damit erstechen würde. Sie schien sich genügend über ihn zu ärgern, um das zu versuchen. „Was haben Sie gesagt, wie Sie heißen?“

„Ich habe gar nichts gesagt, aber ich heiße Brenda Munro.“

„Sie haben Ihre Bewerbung mit B. Munro unterschrieben“, warf Michael ihr vor, während er ihr das Päckchen zum Halten gab.

„Um zu vermeiden, dass mein Brief gleich im Papierkorb landet. Ich weiß aus Erfahrung, dass man bei der Bewerbung für so einen Job vorsichtig sein muss.“

Michael hörte ihr gar nicht mehr zu. Er war ziemlich stolz darauf, wie er den Türknauf wieder an die richtige Stelle gesetzt hatte. Jetzt musste er sich hinknien, um die Schrauben zu befestigen. Eigentlich war dieser Handwerkerkram gar nicht so schwierig, wenn man das richtige Werkzeug hatte …

„Sie müssen rechtsrum drehen, wenn Sie die Schrauben anziehen wollen“, erklärte Brenda ihm trocken. Daraufhin rutschte Michael mit dem Schraubenzieher ab und hätte fast das Holz zerkratzt.

Er fluchte leise, drehte die Schraube fest und ging zur nächsten über. Danach holte er eine Kreditkarte aus seiner Brieftasche und schob sie in den Türschlitz. Das machte er so geschickt, dass die Tür sofort aufging.

„Das ging ein bisschen zu leicht für meinen Geschmack“, meinte Brenda.

„Deshalb lasse ich auch das Schloss auswechseln. Leider hat der Schlosser eine lange Warteliste und kann erst in drei Wochen kommen.“

„Ich weiß, wie man ein Türschloss auswechselt.“

„Ja, aber können Sie auch einen Durchlauferhitzer reparieren?“, forderte Michael sie heraus. Er war sicher, dass sie nein sagen würde.

„Kommt drauf an, was daran kaputt ist“, antwortete sie stattdessen.

„Wenn ich das wüsste, würde ich es selbst in Ordnung bringen.“

Der ungläubige Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, gefiel ihm gar nicht.

„Hatten Sie denn schon jemals eine Hausmeisterstelle?“ Er reichte ihr das Taschenmesser und nahm dafür sein Päckchen wieder an sich. Dann steuerte er auf sein Apartment zu. Glücklicherweise war seine Wohnungstür nicht hinter ihm zugefallen.

„Nein.“ Brenda folgte ihm und sah sich interessiert um.

Michael misstraute Leuten, die das taten. Bei Frauen bedeutete es gewöhnlich, dass sie daran dachten, sich ein Nest zu bauen … sie stellten sich ihre eigene, mit Chintz bezogene Couch in seinem Wohnzimmer vor. Er hätte glauben können, dass er an Verfolgungswahn litt, aber tatsächlich hatte seine letzte Beziehung so angefangen und ein paar Monate später katastrophal geendet. Die Frau hatte ihm vorgeworfen, er wäre ein Einzelgänger. Und damit hatte sie recht.

„Warum sollte ich Sie einstellen, wenn Sie keine Erfahrung haben?“, fragte er Brenda.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich keine habe. Ich habe Architekturkurse genommen und weiß über grundlegende Konstruktionsmethoden Bescheid. Andere Mädchen haben mit Puppen gespielt. Ich hatte Werkzeug. Ich bin gut darin, Dinge zu reparieren.“

„Haben Sie schon mal einen Herd auseinandergenommen?“ Er deutete auf den Schlamassel in der Küche.

Sie nickte.

„Können Sie ihn wieder zusammensetzen?“, erkundigte er sich spöttisch.

Brenda ging in die Küche. „Haben Sie einen Werkzeugkasten? Ich habe nicht viel mitgebracht.“

Was sollte diese Frage? Jeder Mann, der etwas auf sich hielt, besaß einen Werkzeugkasten. Michael gab ihn ihr. Viel Schaden konnte sie an dem Gerät ohnehin nicht mehr anrichten.

Während sie arbeitete, öffnete er sein Päckchen. Das war schwerer als erwartet, da es ganz mit Klebestreifen umwickelt war. Er brauchte zehn Minuten, um das Papier zu entfernen. Als er das Päckchen einmal frustriert schüttelte, spürte er wieder diesen scharfen Kopfschmerz. Es war fast, als gäbe es da eine Verbindung. Endlich hatte er es geschafft und hielt einen Karton in der Hand, der einmal Waschpulver enthalten hatte. Darin befand sich eine Menge zerknülltes Zeitungspapier.

Schließlich stießen Michaels Finger auf etwas Festes. Wegen all des Zeitungspapiers bekam er es aber noch nicht richtig zu fassen, fand jedoch ein zusammengefaltetes Blatt Papier.

Ältester Sohn von Janos,
es ist Zeit, dass Du das Geheimnis unserer Familie und bahtali kennenlernst. Das ist ein guter Zauber, doch sehr mächtig. Ich schicke Dir diesen Kasten, habe aber nicht die Zeit und die Sprachkenntnisse, Dir die Legende zu erzählen. Du musst mit Deinen Eltern sprechen. Aber wisse, dass dieser Kasten einen mächtigen Roma-Zauber enthält, um Liebe zu finden, wo Du hinsiehst. Benutz ihn vorsichtig, und Du wirst großes Glück finden. Benutz ihn falsch, und Du bekommst Ärger.

Michael hatte Mühe, die Handschrift zu entziffern. Von der Unterschrift konnte er nur einen Teil lesen: „Magda.“ Er hatte eigentlich gedacht, er hätte in Ungarn keine Verwandten mehr, aber nun erinnerte er sich schwach, dass sein Vater mal eine Großtante namens Magda erwähnt hatte.

Er las den seltsamen Brief noch einmal. „Roma-Zauber“ … das bedeutete Zigeunerzauber, so viel wusste Michael. Sein Vater hatte Roma-Blut, aber Michael war nichts von Familiengeheimnissen bekannt. Es war Pech, dass seine Eltern ausgerechnet jetzt eine Pazifik-Kreuzfahrt machten. Deshalb konnte er sie nicht fragen, was es mit diesem Zauber auf sich hatte.

Nachdem er das restliche Zeitungspapier entfernt hatte, sah er in dem Karton etwas … ein Kästchen? Er hob es hoch und bemerkte, dass es ein kunstvoll verziertes Metallkästchen war. Alle möglichen Zeichen befanden sich darauf, unter anderem Halbmonde und Sterne.

Er öffnete den Deckel, um zu sehen, ob etwas drin war …

2. KAPITEL

„Fertig!“, rief Brenda.

Michael blickte von dem Kasten auf und sah zu ihr hinüber. „Was?“

„Ich sagte, ich habe den Herd fertig repariert. Er ist so gut wie neu. Da ich schon mal dabei war, habe ich die neue Glühbirne auch gleich eingesetzt. Hey, geht es Ihnen gut?“

Michael blinzelte. In seinem Kopf drehte sich alles. Er fühlte sich sehr seltsam. Vielleicht bekam er eine Grippe. Das hätte erklärt, warum ihm mit einem Mal so heiß war. Sicher war es nur Einbildung, wenn er auf den Gedanken kam, dass es etwas mit dem Kästchen zu tun hatte. Nein, es musste die Grippe sein. Das hatte ihm gerade noch gefehlt!

Er blinzelte wieder und stellte erleichtert fest, dass er Brenda Munro jetzt klar erkennen konnte. Sie hatte ihren Mantel ausgezogen, und der Pullover, der ihre Kurven umschmiegte, war vom selben Blauton wie ihre Augen. Das Licht aus der Küche fiel von hinten auf sie und verlieh ihr eine Art Heiligenschein. Michael hielt unwillkürlich den Atem an. Brenda tat es ebenfalls. In diesem Augenblick erschien sie Michael sehr schön.

Sie starrte ihn an, fasziniert von seinem Blick. Solche zauberhaften Momente hatte sie in Filmen erlebt, aber nie in Wirklichkeit. Etwas ging hier vor, das dramatische Konsequenzen haben konnte, das spürte sie. Ihr Herz schlug heftig, und sie konnte kaum noch atmen.

Dann bewegte sich der geheimnisvolle Kasten in Michaels Händen, und der Deckel fiel zu. Es war ein lautes Geräusch in der Stille, fast so wie beim Platzen eines Luftballons.

Brenda sah, dass Michael schwankte, lief zu ihm und schob sich mit der Schulter unter seinen Arm, um ihn zu stützen. Unwillkürlich erschauerte sie.

„Lassen Sie mich das nehmen, bevor es Ihnen runterfällt.“ Sie nahm ihm das Kästchen weg und stellte es oben auf die Stereoanlage. „Sie haben ja nicht viele Möbel hier drin“, meinte sie, während sie Michael zu dem einzigen Stück führte … einem Sessel, der schon bessere Tage gesehen hatte.

„Keine Couch mit Chintzbezug“, murmelte er, schloss die Augen und lehnte sich zurück.

Chintz? Brenda dachte, dass er Fieber haben musste. Außerdem war er ganz blass – und ungeheuer sexy. Sie legte eine Hand auf seine Stirn. „Haben Sie heute schon was gegessen?“

„Sie klingen wie meine Mutter.“

Das überraschte Brenda nicht. Männer sahen in ihr immer entweder einen Kumpel oder den mütterlichen Typ. Sie hatte schon genügend Männer unter ihre Fittiche genommen, um ein Baseballteam zu gründen. Tatsächlich war sie Ehrenmanagerin eines Teams namens „Vito’s Market Super-Sluggers“. Aber zur Ehefrau taugte sie nicht. „Beantworten Sie einfach meine Frage. Was haben Sie heute gegessen?“

„Ich hatte genügend Ärger, um Verdauungsstörungen zu kriegen.“

„Aber hatten Sie dazu auch irgendeine Mahlzeit?“, erkundigte sich Brenda trocken.

„Nein, ich habe den Ärger pur zu mir genommen.“

Sie unterdrückte ein Lächeln. Der Mann hatte also Sinn für Humor. „Sie werden sich wahrscheinlich besser fühlen, wenn Sie was im Magen haben.“

„Das sagt meine Mutter mir auch immer.“

„Was werde ich finden, wenn ich Ihren Kühlschrank öffne?“

„Da könnte ich nur raten.“

Brenda entschied sich stattdessen für den Schrank und entdeckte ein paar Dosensuppen. „Möchten Sie lieber Champignoncreme oder herzhafte Gemüsesuppe?“, rief sie.

„Mir wäre es lieber, wenn ich erst mal wieder heißes Wasser bekäme.“ Er blickte zur Decke hinauf. Mr. und Mrs. Stephanopolis setzten gerade nach einer Pause ihren Protestmarsch fort.

Brenda bemerkte, dass die Lampe wackelte. „Es klingt, als wäre jemand da oben unglücklich.“

„Da sind die beiden nicht die Einzigen“, murmelte Michael.

„Ihr Essen ist in einer Minute so weit. Ich habe Champignoncreme ausgewählt. Und ich mache Ihnen Toast dazu.“

Ein paar Minuten später hatte sie die Suppe warm gemacht. „Vorsicht, die Suppe ist heiß“, warnte sie.

„Danke.“

Sie lächelte, als wüsste sie, wie schwer es ihm fiel, das Wort auszusprechen.

„Falls Sie den Durchlauferhitzer genauso schnell hinkriegen wie die Suppe, sind Sie eingestellt“, hörte er sich selbst sagen.

Sie griff nach dem Werkzeugkasten. „Ich sehe mal nach. Ist er im Keller?“

Michael nickte nur, da er Suppe im Mund hatte.

„Keine Sorge. Ich finde ihn schon.“ Sie grinste selbstbewusst.

Keine Sorge? Michael machte sich eine Menge Sorgen. Wie war er nur darauf gekommen, ihr den Job zu versprechen, falls ihr die Reparatur gelang? Offenbar hatte die Verzweiflung ihn übermannt. Zusammen mit Hunger und Mangel an Schlaf.

Er stellte seinen leeren Teller und die Suppenschüssel auf den Boden neben dem Sessel. Es war ihm nicht bewusst, dass er die Augen geschlossen hatte, aber als er sie wieder aufmachte, stand Brenda vor ihm. Sie lächelte triumphierend. „Es ist mir gelungen! Ihr Durchlauferhitzer funktioniert jetzt bestens.“

Aus irgendeinem Grund fühlte Michael sich ausgesprochen niedergeschlagen, so wie damals, als seine Mannschaft beim entscheidenden Qualifikationsspiel versagt hatte. Unwillkürlich fragte er sich, was es ihn wohl kosten würde, wenn er Brenda Munro engagierte … und dabei dachte er nicht mal an ihr Gehalt. In der Anzeige hatte er die Summe genannt, die er bereit war zu zahlen, und das war nicht viel, aber zusätzlich gab es noch ein mietfreies Apartment.

„Sie werden es nicht bereuen, dass Sie mir den Job geben.“ Brenda ignorierte die Tatsache, dass er noch gar nicht wirklich gesagt hatte, dass der Job ihr gehörte. Sie war nicht bereit, ihm noch einen Rückzieher zu erlauben.

„Was war los mit dem Durchlauferhitzer?“ Michael stand auf und hob beschwörend die Hände. „Nein, sagen Sie’s mir lieber nicht. So genau will ich es gar nicht wissen.“ Er ging in die Küche und drehte den Hahn auf. Es kam warmes Wasser heraus.

Aus der Wohnung über seiner ertönten Jubelrufe. Michael stellte fest, dass er einen Hausmeister hatte … nur dass es sich dabei um eine Frau handelte, die zudem noch eine höchst seltsame Wirkung auf ihn ausübte.

Michael Janos stand immer zu seinem Wort. Er hatte Brenda den Job versprochen, und daran hielt er sich nun. Allerdings bezweifelte er, dass sie ihn lange behalten würde. Sobald sie sah, was in diesem Haus alles kaputt war, würde sie kündigen. Jeder vernünftige Mensch würde das tun.

„Das Apartment ist nicht sehr groß“, warnte Michael Brenda, während er die Tür zur Souterrainwohnung aufschloss.

„Das ist okay. Ich habe nicht viele Sachen.“

„Es ist auch einige Arbeit nötig“, fügte er hinzu.

„Ich kann gut mit Pinsel und Farbe umgehen.“

Er fragte sich, was eigentlich nötig war, um diese Frau zu entmutigen. Dann wurde er abgelenkt durch den Sonnenstrahl, der durch ein winziges Fenster auf Brendas Haar fiel. Das erinnerte ihn an den Moment, als sie in seiner Küchentür gestanden hatte. Der Anblick hatte ihn völlig erschüttert.

Sie war nicht der Typ, der normalerweise seine Aufmerksamkeit erregte. Zwar war er schon mit allen möglichen Frauen verabredet gewesen, aber noch nie mit einer, die ihr Leben mit solch einer Leidenschaft lebte, wie Brenda es zu tun schien. Sie war ständig in Bewegung, schien dauernd irgendetwas zu machen, selbst wenn sie eigentlich still stand. Jetzt konnte er geradezu sehen, wie sie in Gedanken den Raum einrichtete.

„Das ist großartig!“, rief sie. „Die Fenster gehen nach Süden. Dadurch kommt viel Licht rein, obwohl sie so hoch oben sind.“

„Sie sind klein“, sagte Michael.

„So was ist immer Ansichtssache.“ Brenda drückte ihren Daunenmantel an die Brust.

„Ja, nun …“ Michael musste einen Moment überlegen, was er überhaupt sagen wollte. Was hatte diese Frau an sich, das eine derartige Wirkung auf ihn ausübte? Ihre Brüste waren nicht besonders groß, obwohl der Pullover ihre Kurven auf sehr hübsche Weise umschmiegte. Sie hatte ein nettes Gesicht, große Augen, schöne Lippen … voll und sinnlich. Jetzt nagte sie an ihrer Unterlippe, während sie sich die Küchengeräte ansah.

„Sie funktionieren alle“, erklärte Michael, als sie in den Kühlschrank blickte. „Sie sind so ziemlich die einzigen in diesem Haus, die das tun“, fügte er hinzu. „Man hat mir gesagt, diese schreckliche grüne Farbe sei mal sehr populär gewesen.“

„Avocado.“

„Die esse ich nie.“

„Ich meine die Farbe. Sie war bei Kücheneinrichtungen in den sechziger Jahren sehr beliebt.“

„Dann ist dieser Kühlschrank wahrscheinlich fast so alt wie ich.“

Brenda drehte sich zu ihm um und musterte ihn genauso nachdenklich wie vorhin die Geräte. Die Feindseligkeit, die sie oben im Foyer kurze Zeit empfunden hatte, war völlig verschwunden. Jetzt war sie fasziniert von ihm. Allerdings war das nicht unbedingt etwas Gutes. Immerhin war er ihr Boss.

Nicht, dass sie sich von ihm eingeschüchtert gefühlt hätte. Sie wusste, dass sie hier gute Arbeit leisten würde. Dieses Gebäude hatte liebevolle Fürsorge nötig, und das war Brendas Spezialität. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt damit, sich um alles Mögliche zu kümmern … Küchenherde, Durchlauferhitzer, Männer, die Verständnis brauchten, streunende Tiere. Sie sorgte für alle, bis sie allein zurechtkamen.

Michael Janos sah allerdings nicht nach einem Mann aus, um den sich jemand kümmern musste. Er war der typische einsame Wolf. Aber sogar Wölfe gingen Bindungen fürs Leben ein. Die einsamen waren die, die ihre Partner verloren hatten. War Michael das passiert?

Sie legte den Kopf schief und sah ihm in die Augen. Statt Antworten fand sie eine Neugier, die ihrer eigenen ähnelte. Er hatte ungewöhnliche Augen, deren Blick sie anzog wie ein Magnet. Tatsächlich hatte sie den Eindruck, dass sie schon ein ganzes Leben damit verbracht hatte, ihm in die Augen zu blicken … was lächerlich war, da sie Michael vor dem heutigen Tag nie begegnet war. Dieses Gesicht hätte sie bestimmt nicht vergessen. Seine markanten Züge faszinierten sie, denn sie wirkten gleichzeitig rau und edel. Nein, dies war kein Durchschnittsgesicht!

Doch nun riss sie sich von seinem Anblick los, so schwer ihr das fiel, und konzentrierte sich auf andere Dinge. Zum Beispiel, wo sie ihre wenigen Möbel hinstellen würde. Das Apartment mit dem engen Zimmer, dem winzigen Küchenbereich und dem genauso kleinen Bad wäre der Albtraum eines jeden Innenarchitekten gewesen, aber Brenda betrachtete es bereits als ihr Zuhause.

Michael erkannte diesen Gesichtsausdruck … das war der Instinkt, ein Nest zu bauen. Wann immer er diesen Blick bei einer Frau sah, wurde er nervös.

„Sie sollten die Mieter kennenlernen“, erklärte er abrupt. Okay, die Souterrainwohnung hatte Brenda nicht davon abgehalten, den Job anzunehmen. Aber sicher würde sie es sich noch mal überlegen, wenn sie die seltsamen Leute sah, die in diesem Haus wohnten, und er ihr die lange Liste der anstehenden Reparaturen präsentierte.

Als Michael Brenda zu dem Apartment neben seinem führte, hatte er das Gefühl, ein Lamm zur Schlachtbank zu schicken. Die beiden alten Damen waren knallhart.

Er klopfte laut an die Tür. Etwas anderes hätten sie nicht gehört.

Mrs. Weiskopf erschien. „Sind Sie hier, um meinen tropfenden Wasserhahn in Ordnung zu bringen?“, fragte sie Michael.

„Nein, aber sie wird das tun“, antwortete er.

Mrs. Weiskopf sah zu Brenda hinüber. „Wo ist Ihr Werkzeug?“, erkundigte sie sich misstrauisch. „Soll das ein Witz sein?“

„Nein. Mrs. Weiskopf, dies ist Brenda Munro, unsere neue Hausmeisterin.“

„Wird auch Zeit, dass Sie eine Frau diese Männerarbeit machen lassen.“

„Wer ist an der Tür?“, rief Mrs. Martinez. „Du lässt ja die ganze Wärme raus.“

„Das Essen, das du kochst, ist scharf genug, um das gesamte Haus damit zu heizen“, erwiderte Mrs. Weiskopf.

„Ist das Ihre Freundin?“, fragte Mrs. Martinez Michael. Sie war die geborene Kupplerin.

„Nein, sie ist die neue Hausmeisterin. Ich habe sie gerade eingestellt.“

„Ach ja?“ Mrs. Martinez hob die Augenbrauen. Sie war ein ganzes Stück größer als Mrs. Weiskopf und zwanzig Pfund schwerer. Brenda konnte nicht feststellen, welche der beiden älter war, aber sie merkte, welche sie mit Michael zusammenbringen wollte. Die andere, Mrs. Weiskopf, wollte nur ihren Wasserhahn repariert haben. Und das war etwas, das Brenda konnte.

„Wenn ich mir den Hahn ansehen darf, weiß ich, welches Werkzeug ich nachher mitbringen muss.“

„Warum nachher?“, wiederholten Mrs. Weiskopf und Michael gleichzeitig.

„Möchten Sie nicht, dass ich so schnell wie möglich anfange?“, erkundigte Brenda sich bei Michael.

„Doch, sicher …“

„Heute Nachmittag passt es gut“, meinte Mrs. Weiskopf. „Kommen Sie hier entlang. Die Toilettenspülung funktioniert übrigens auch nicht richtig. Es läuft immer Wasser, auch wenn niemand sie benutzt.“

Zwanzig Minuten später verließ Brenda die Wohnung der älteren Damen mit klingenden Ohren wegen all der Lobsprüche und mit Kostproben ihrer Kochkunst – selbst gemachtes Sauerkraut und frische Salsa.

Michael konnte kaum glauben, wie freundlich die beiden Frauen waren. Ihn behandelten sie immer, als wäre er an allem schuld, was in ihrem langen, ereignisreichen Leben schiefgegangen war. Doch Brenda konnte in ihren Augen anscheinend gar nichts falsch machen, bloß weil sie an irgendwas im Spülkasten geschüttelt und versprochen hatte, das kaputte Teil beim Wasserhahn auszuwechseln.

„Wer ist als Nächstes dran?“, fragte Brenda nun.

Er führte sie in den ersten Stock zu Mr. und Mrs. Stephanopolis. Dabei dachte er, dass im Gegensatz zu diesem Ehepaar die beiden alten Damen im Erdgeschoss harmlos waren.

Doch noch bevor er überhaupt klopfen konnte, hatte Mr. Stephanopolis schon die Tür aufgerissen, küsste Brenda auf beide Wangen und rief etwas auf Griechisch.

Da Michael wusste, wie eifersüchtig Mrs. Stephanopolis war, hielt er es für besser, Brenda aus der Umarmung des überschwänglichen Griechen zu befreien.

„Mrs. Martinez hat eben angerufen und uns von diesem Engel erzählt, der gekommen ist, um uns zu retten“, erklärte Mr. Stephanopolis, als Michael Brenda wegzog, wobei sie stattdessen in seinen Armen landete.

Brenda wurde fast schwindlig vor Freude, und sie fühlte sich wie verzaubert. Michaels Brust schmiegte sich warm an ihren Rücken, und er hatte die Hände an ihren Ellbogen. An ihrem Nacken spürte sie seinen Atem, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. So etwas hatte sie noch nie empfunden … Aufregung und Begierde zugleich, und das nur wegen einer zufälligen Umarmung.

„Hast du nicht gesagt, das Mädchen sei nicht Michaels Freundin?“ Mrs. Stephanopolis erschien nun neben ihrem Mann.

„Bin ich auch nicht.“ Brenda trat hastig von ihm fort. „Ich bin die neue Hausmeisterin.“

„Zu meiner Zeit hat ein Mädchen keine solche Arbeit gemacht“, erwiderte Mrs. Stephanopolis missbilligend.

„Ich bin bloß froh, dass wir wieder heißes Wasser haben“, meinte Mr. Stephanopolis. „Ich hätte mir fast meine empfindlichsten Körperteile abgefroren heute früh.“

„Das Mädchen will nichts hören von deinen Körperteilen“, wies seine Frau ihn frostig zurecht.

Daraufhin stritten die beiden sich auf Griechisch. Michael und Brenda sahen sich an, und Michael war bestürzt über die Reaktion, die das in ihm auslöste. Brendas Anblick erhöhte seinen Blutdruck, und das war nicht das Einzige.

Nun überraschte sie ihn ein weiteres Mal, indem sie selbst anfing, griechisch zu sprechen.

Mrs. Stephanopolis vergaß sofort ihre Missbilligung, legte einen Arm um Brenda und führte sie in die Wohnung. Michael blieb auf der Türschwelle stehen wie ein unerwünschter Schwiegersohn.

Eine halbe Stunde später, als er und Brenda das Apartment verließen, war noch eine Flasche Ouzo zu Brendas Sammlung dazugekommen.

„Sie haben Glück, solche Mieter zu haben“, meinte sie.

„Was Sie nicht sagen.“

„Wen soll ich als Nächstes besuchen?“

„Es ist nur noch ein Apartment übrig. Da wohnen die Lincolns. Da Sie so gut mit allen auskommen, lasse ich Sie allein. Offensichtlich brauchen Sie mich nicht zum Händchenhalten.“

Die Vorstellung, dass er ihre Hand halten könnte, gefiel ihr, aber Angst vor dem Alleinsein hatte sie bestimmt nicht. „Okay. Und wenn ich die Lincolns kennengelernt habe, hole ich meine Sachen. Dann kann ich gleich den Wasserhahn reparieren, wie ich es Frieda und Consuela versprochen habe.“

„Wem?“

„Frieda Weiskopf und Consuela Martinez.“

„Oh.“ Irgendwie war Michael nie bewusst geworden, dass die beiden überhaupt Vornamen hatten. Für ihn waren sie immer nur die Drachenladys von nebenan gewesen.

„Dann sehe ich Sie später. Danke, dass Sie so nett waren und mich den Mietern vorgestellt haben.“

„Ich bin immer nett“, spottete er.

Und sexy, dachte Brenda. Als sie ihm nun nachsah, merkte sie, dass er es offenbar eilig hatte wegzukommen. Außerdem stellte sie auch fest, dass seine Jeans hauteng waren. „Hübscher Po“, murmelte sie.

Am liebsten wäre sie im Boden versunken, als Michael sich auf dem Treppenabsatz noch einmal umdrehte. Er war doch wohl schon zu weit weg, um ihre leisen Worte gehört zu haben. Hoffentlich!

Hastig wandte sie sich ab und klopfte an die Tür der Lincolns.

Eine Sekunde später riss eine junge Schwarze mit langem welligem Haar die Tür auf und zog Brenda herein. „Ich brauche Hilfe!“, rief sie. „Ich kriege den Wasserhahn über der Badewanne nicht wieder zu. Gleich gibt es eine Überschwemmung.“

Brenda stellte rasch ihre Geschenke ab und folgte der Frau ins Bad.

„Mein Mann kann mit dem verdammten Ding umgehen, aber er macht heute eine zweite Schicht im Krankenhaus … er ist Krankenpfleger … aber da es endlich wieder heißes Wasser gibt, wollte ich nicht mit meinem Bad warten, bis er nach Hause kommt.“

Nachdem Brenda es geschafft hatte, den störrischen Hahn zuzudrehen, seufzte die Frau erleichtert auf. „Sie haben mich gerettet. Danke. Wer sind Sie eigentlich?“

„Ich bin Brenda. Die neue Hausmeisterin. Ich bin gerade eingestellt worden, um hier Dinge zu reparieren wie diesen Wasserhahn. Nächstes Mal, wenn er klemmt, ziehen Sie einfach den Stöpsel raus, damit das Wasser ablaufen kann.“

„Daran habe ich nicht gedacht. Ich bin Keisha Lincoln, und obwohl Sie nicht aussehen wie Denzel Washington, sind Sie doch die Antwort auf meine Gebete. Ich habe dem neuen Besitzer schon die ganze Zeit gesagt, dass hier eine Menge getan werden muss.“

„Tut mir leid, dass ich nicht aussehe wie Denzel.“

„Das ist okay. Tyrone, mein Mann, wird sich auch besser fühlen, wenn Denzel in Hollywood bleibt. Lieber Himmel, ich könnte etwas Koffein gebrauchen nach diesem Stress. Was ist mit Ihnen? Möchten Sie einen Café au lait? Ich habe eine Tante in New Orleans, die mir die richtige Sorte schickt. Ah, wie ich sehe, haben Sie sich schon mit den Nachbarn angefreundet.“

Keisha betrachtete die Behälter mit dem Sauerkraut und der Salsa und die Flasche Ouzo.

„Alle waren so nett“, sagte Brenda.

„Uns haben sie nicht gerade willkommen geheißen, aber Tyrone und ich sind auch erst anderthalb Jahre hier. Die anderen wohnen seit Jahrzehnten in diesem Haus. Außer dem neuen Besitzer. Er ist erst vor ein paar Wochen eingezogen, und nun sitzt er fest in dieser alten Bruchbude.“

„Ich finde das Haus wunderschön.“

„Das liegt daran, dass Sie nicht hier wohnen.“

„Das tue ich jetzt. Ich werde heute Nachmittag in die Souterrainwohnung ziehen.“

„Schnelle Arbeit.“ Keisha nickte anerkennend. „Ich habe auch rasch gehandelt, als ich meinen Tyrone kennengelernt habe. Und ich weiß, wie es ist, wenn man als Frau Männerarbeit tut. Ich gehöre zur Wachmannschaft der Hauptstelle der städtischen Bücherhalle von Chicago.“

„Oh.“

„Jedenfalls wird es schön sein, noch jemanden in meinem Alter im Haus zu haben. Wie ist es nun mit dem Kaffee?“

„Ich trinke gern einen. Aber Sie haben sich doch Wasser für ein Bad eingelassen.“

„Das ist so heiß, dass ich bestimmt erst in zehn Minuten reinsteigen kann. Sagen Sie mir, was Sie von Ihrem neuen Boss halten? Ist er nicht attraktiv?“

Das Telefon klingelte gerade, als Michael in sein Apartment zurückkam. „Hallo?“ Als Erstes hörte er nur lautes Knistern. „Hallo?“, wiederholte er lauter.

„Hier … ist … dein …Vater.“

„Wo bist du? Geht es euch gut?“

„Uns geht es wunderbar. Ich stehe hier an einem Münztelefon. Die sind nicht besonders gut in Bali.“ Es knisterte wieder. „Deine Mutter wollte, dass ich anrufe. Ist alles in Ordnung bei euch?“

„Bestens. Ich habe gestern mit Gaylynn gesprochen.“ Michaels jüngere Schwester war Lehrerin in Chicago.

„Gut, gut.“

Michael spürte, dass sein Vater sich gleich verabschieden wollte. „Warte, Dad, ich muss dich was fragen. Was hat es auf sich mit dem Familienfluch?“

3. KAPITEL

Zuerst war wieder nur Knistern zu hören. „Was?“, fragte Michaels Vater dann.

„Weißt du etwas über einen Familienfluch?“

„Ein Buch?“ Sein Vater konnte ihn offenbar kaum verstehen.

„Was für ein Buch?“

„Nicht Buch“, brüllte Michael. „Fluch! Ich habe heute ein Kästchen aus Ungarn bekommen.“

„Du hast Hunger? Dann solltest du etwas essen. Du weißt, dass deine Mutter sich Sorgen um dich macht.“

„Kasten!“, schrie Michael. „Ich habe ein Kästchen bekommen!“

Aber sein Vater hörte ihm schon nicht mehr zu. „Ich muss Schluss machen. Deine Mutter sieht sich gerade eine Statue an, die so groß ist wie der Sears Tower. Ich habe ihr gesagt, dass wir schon zu viele Souvenirs haben. In ein paar Tagen rufe ich dich wieder an.“

Michael legte frustriert auf und fluchte leise vor sich hin. Unwillkürlich fiel sein Blick auf das geheimnisvolle Kästchen, das noch auf der Stereoanlage stand, wo Brenda es abgestellt hatte. Michael fühlte sich zwar stärker mit den Roma verbunden als seine jüngeren Geschwister, aber trotzdem hielt er nichts von Aberglauben.

Es war bloß ein Kästchen, nichts weiter. Er hob es hoch und musterte die Zeichen auf dem Deckel. In der linken Ecke befanden sich vier Mondsicheln und darunter Palmen und ein Segelschiff. Rechts stand eine Sonne über einer Bergkette. Das Zentrum der Sonne schmückte ein roter Stein.

Michael hielt das Kästchen ans Licht, um mehr erkennen zu können. In die Seiten war auch etwas eingraviert. War das ein Zauberer? Fasziniert öffnete er noch einmal den Deckel. Diesmal hatte er kein so seltsames Gefühl dabei wie vorhin, als Brenda da gewesen war. Das bestätigte ihm, dass seine Reaktion wohl doch bloß am Hunger und Schlafmangel gelegen hatte, nicht an einem alten Familienfluch.

Der Kasten war nicht leer, wie er angenommen hatte. Ein silberner Schlüssel lag darin, der sehr alt zu sein schien. Michael nahm ihn in die Hand und fühlte sich auf seltsame Weise mit diesem mysteriösen Gegenstand verbunden.

Er hatte Geheimnisse immer geliebt. Es gefiel ihm, logische Erklärungen für vertrackte Probleme zu finden. Dass das Kästchen ihn faszinierte, war kein Wunder. Dass Brenda ihn faszinierte, war viel weniger leicht zu verstehen.

Das nächste Mal sah Michael Brenda am späten Nachmittag. Sie kämpfte offenbar gerade mit einigen Straßenkids um eine riesige Matratze.

„Ich habe gesagt, ihr sollt sie mir geben“, befahl sie in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Michael kam ihr sofort zu Hilfe. „Haut ab!“, fuhr er die Teenager an, die für seinen Geschmack alle viel zu weite Hosen zu ihren Winterjacken trugen.

„Es ist schon okay, Michael“, sagte Brenda.

„Nein, das ist es nicht. Habt ihr nicht gehört?“, wandte er sich an den Jungen, der am dichtesten bei ihm stand.

„Das sind meine Freunde“, erklärte Brenda. „Sie helfen mir beim Umzug. Ich will nur, dass sie mir die Matratze überlassen, weil sie zu schwer für sie ist.“

„Wer ist der Kerl?“, erkundigte sich einer der Jungen kampflustig.

„Er ist mein neuer Boss“, antwortete Brenda.

„Hey, Mann, Sie sollten sie besser gut behandeln.“ Der Junge hatte einen so stahlharten Blick wie ein professioneller Verbrecher.

„Juan, du weißt, dass ich auf mich selbst aufpassen kann. Zwei von euch tragen diese Matratze zusammen. Ich möchte nicht, dass sich einer von euch verhebt.“

„Wo haben Sie denn diese Typen gefunden?“, fragte Michael, als die Teenager gegangen waren.

„Sie kommen nicht gut mit Kindern zurecht, was?“

„Ich habe eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder“, verteidigte Michael sich. „Mit denen bin ich gut ausgekommen.“

„Ich meinte jetzt, als Erwachsener.“

Michael konnte wirklich nicht mit Kindern umgehen. In ihrer Gegenwart fühlte er sich immer unbeholfen. Aber es gefiel ihm gar nicht, dass Brenda ihn nun daran erinnerte. Das hatte er da

von, dass er ihr hatte helfen wollen!

„Schließen Sie die Vordertür, wenn Sie fertig sind“, knurrte er.

„Nicht nötig. Wir haben die Hintertür benutzt, weil ich die übrigen Mieter nicht stören wollte“, erklärte Brenda.

„Woher wussten Sie es? Ich habe Ihnen die Tür nicht gezeigt, weil sie sich verzogen hat und nicht aufgeht.“

„Sie musste bloß geölt werden.“

„Na toll.“

Brenda überlegte, warum Michael die Neuigkeit nicht freute. Erwartete er etwa, dass sie jedes Mal um Erlaubnis bat, bevor sie etwas reparierte? Das konnte sie unmöglich tun bei all den vielen Dingen, die in diesem schönen alten Gebäude nötig waren. Da diesmal keine Ausgaben damit verbunden gewesen waren, hatte sie nicht gedacht, dass sie Michael vorher fragen musste. „Ich soll doch wohl nicht immer erst zu Ihnen kommen, bevor ich irgendwas tue?“

Er schüttelte den Kopf, da ihm klar war, dass sie sonst alle fünf Minuten erscheinen würde. „Ich will aber schon Bescheid wissen“, fügte er hinzu. „Wenn etwas mehr als dreißig Dollar kostet, muss ich mein Okay dazu geben. Ich habe kein unbegrenztes Budget. Mein Plan sieht so aus, dass ich das Haus instand setze und dann verkaufe.“

„Sie wollen es verkaufen? Warum?“

„Um Geld dafür zu bekommen“, erwiderte er trocken.

„Wie können Sie auch nur daran denken!“, rief Brenda.

„Wieso regen Sie sich so auf? Wenn es Ihnen um Ihren Job geht, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wahrscheinlich wird es fast ein Jahr dauern, bevor das Haus so weit ist, dass ich es verkaufen kann.“

„Wissen die Mieter, was Sie vorhaben?“

„Wieso sollten die sich dafür interessieren?“

„Weil einige von ihnen schon sehr lange hier leben.“

„Schauen Sie, ich besitze das Haus erst seit Kurzem, und ich kann es mir nicht leisten, wer weiß was für Summen reinzustecken. Außerdem spreche ich nicht viel mit den Mietern. Es ist nicht gerade so, dass sie mich mögen. Tatsächlich habe ich manchmal den Eindruck, sie würden mich am liebsten lynchen.“

„Wenn ich das Geld hätte, würde ich Ihnen das Haus auf der Stelle abkaufen“, erklärte Brenda.

„Sie haben es heute zum ersten Mal gesehen.“

„Ich weiß, was mir gefällt.“

Er merkte, dass ihre Wangen gerötet waren, vor Aufregung ebenso wie durch die kalte Luft. Obwohl nachmittags die Sonne herausgekommen war, war der Winter noch lange nicht zu Ende.

Und Brenda hatte offenbar die Absicht hierzubleiben. Viel besaß sie nicht. Auf der Ladefläche des Lieferwagens standen ein alter Schaukelstuhl, ein Tisch, ein paar Gartenmöbel und einige Kartons.

„Wie kommt es, dass Sie so schnell einziehen können?“, fragte Michael. „Mussten Sie Ihre bisherige Wohnung nicht erst kündigen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe zuletzt bei Freunden gewohnt und hatte meine Sachen eingelagert.“

Ihm wurde klar, dass er zwar ihre Sozialversicherungsnummer hatte, aber keinerlei Referenzen. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Womöglich war sie vorbestraft. Zugegeben, er konnte Leute ziemlich gut einschätzen, aber Brenda hatte ihn ganz schön durcheinandergebracht. Sobald er wieder in seiner Wohnung war, wollte er mit seinem Laptop mal ein paar einfache Erkundigungen über Brenda einziehen. Allerdings rechnete er nicht damit, dass irgendwas bei dieser Frau je einfach sein würde.

Er folgte ihr nun zur Rückseite des Hauses. Diese Teenager verehrten sie offenbar. Sie hatte Limonade und Hamburger für alle, und Mrs. Martinez’ Salsa erwies sich als Hit.

„Sie sind keine Verbrecher“, sagte sie plötzlich leise. Michael hatte gar nicht gemerkt, dass sie näher gekommen war, und nun verspürte er plötzlich den starken Drang, sie an sich zu ziehen und zu küssen. Und warum kämpfte er eigentlich dagegen an?

Was war schon dabei, dass Brenda sich von all den Frauen unterschied, zu denen er sich früher hingezogen gefühlt hatte? Daran war doch nichts verkehrt. Sie war eine sexy Frau und hatte gerade die richtige Größe für ihn. Das hatte er festgestellt, als sie die Schulter unter seinen Arm geschoben hatte. Und als er sie dann etwas später kurz in den Armen gehalten hatte, war es ihm erschienen, als wäre sie wie für ihn geschaffen.

Womöglich war diese Sache mit der Hausmeisterstelle geradezu ein Segen für ihn.

„Warum sehen Sie mich so an?“, fragte Brenda misstrauisch.

„Wie denn?“

„Auf die alte ‚Ich bin ein Mann, du bist eine Frau‘-Art.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ist es denn so seltsam, wenn ich Sie als Frau sehe?“

„Darauf können Sie wetten. Ich bin nicht dieser Typ.“

„Was meinen Sie damit?“

„Der Typ, bei dem Männer Stielaugen bekommen.“

Das ärgerte ihn, und sein Blick verfinsterte sich.

„Aha“, sagte Brenda. „Das ist schon eher der Ausdruck, den ich bei Ihnen gewohnt bin.“

„Sie wissen gar nichts von mir. Wir haben uns ja erst heute Nachmittag kennengelernt.“

„Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern.“ Ihr war immer noch nicht klar, was vor ein paar Stunden geschehen war, als sie aus seiner Küche gekommen war, um ihm zu melden, dass sein Herd repariert war. Sie hatte sich so seltsam gefühlt … als wäre sie durch unsichtbare Ketten an Michael gefesselt. Es war ihr vorgekommen, als würde sein Blick bis in ihre Seele vordringen, und sie war noch immer damit beschäftigt, das zu verarbeiten. Weil Männer sie normalerweise nicht so ansahen. Außer sie wollten etwas … gewöhnlich wollten sie Geld borgen. Ansonsten war sie bloß ein Kumpel. Das war sie immer gewesen. Mit einer Ausnahme …

Entschieden schob sie den alten Schmerz beiseite und konzentrierte sich darauf, den Rest ihrer Sachen in ihre neue Wohnung zu befördern. Dabei spürte sie die ganze Zeit Michaels intensiven Blick auf sich. Und er wirkte wie ein Außenseiter, so wie er da stand, alles beobachtete, sich aber nicht einmischte.

„Würden Sie gern reinkommen und einen Kaffee oder sonst etwas trinken?“ Sie konnte ihn einfach nicht da stehen lassen. „Wir haben eine Menge zu essen.“

Michael wollte eigentlich nein sagen. Mit einem Haufen Teenager zusammenzusein war nicht gerade sein Fall, aber aus irgendeinem Grund mochte er nicht ablehnen. Er war heute wirklich nicht er selbst.

„Es ist keine so schwierige Frage“, meinte Brenda, als er nicht antwortete. „Schauen Sie, ich will nicht, dass Sie das falsch verstehen, aber es würde den Leuten leichter fallen, Sie kennenzulernen, wenn Sie …“

„Wenn ich was?“, erkundigte er sich irritiert. „Sprechen Sie weiter.“

„Wenn Sie ein bisschen lockerer werden würden.“

Sein hitziger Blick hätte einen schwächeren Menschen total eingeschüchtert, aber nicht Brenda.

„Ja, nun, wir können nicht alle Susi Sonnenschein sein“, erwiderte er.

Sie wurde rot. Sah er sie so? Ihr war klar, dass er damit nicht allein dastand. Wenn sie nur alle gewusst hätten, wie weit das von der Wahrheit entfernt war. Da war eine kalte Dunkelheit in ihrer Seele, die von Fröhlichkeit unberührt blieb.

Aber sie war noch nie fähig gewesen, nein zu sagen, wenn jemand etwas brauchte, weil sie wusste, wie es war, etwas nötig zu haben und es nicht bekommen zu können … niemals.

„Das war eine dumme Bemerkung.“ Michael berührte ihre Wange. „Es tut mir leid.“

Ihr Herz schien für einen Moment auszusetzen. Seine Berührung war so sanft.

„He, Brenda, wo soll dieser Karton hin?“, fragte der dreizehnjährige Juan.

Brenda trat von Michael weg und stellte dabei fest, dass ihr das von Mal zu Mal schwerer fiel. Michael ging in die Wohnung und goss sich Kaffee aus einer Kanne ein, die aussah, als stammte sie aus dem Zweiten Weltkrieg. Während er trank, beobachtete er, wie misstrauisch die Jugendlichen ihn musterten. Jeder Blick enthielt eine Warnung. Es war eindrucksvoll, wie diese Kids Brenda beschützten.

Während sie draußen war, nutzte er die Gelegenheit, ein paar Informationen über seine neue Angestellte zu bekommen. „Du heißt Juan?“, fragte er den Jungen mit der Baseballmütze.

„Richtig. Wollen Sie was von mir?“

„Wieso glaubt ihr, dass Brenda beschützt werden muss?“

„Weil sie der Mutter-Teresa-Typ ist“, antwortete Juan nach kurzem Zögern. „Sie ist einfach zu gutmütig. Sie ist schon mal verletzt worden.“

„Von wem?“, wollte Michael wissen.

Juan zuckte mit den Schultern. „Das sagt sie nicht, und ich frage auch nicht. Ich weiß nur, dass alles anders ist, seit sie als freiwillige Helferin im Zentrum arbeitet. Sie versteht uns.“

„Was für ein Zentrum?“

„Das St.-Geralds-Jugendzentrum. Zwei Blocks von hier entfernt. Das bedeutet, dass wir nahe genug sind, um Sie im Auge zu behalten.“

„Sehe ich aus, als wäre ich beeindruckt?“, konterte Michael.

„Sie sehen gemein aus, aber Brenda hat uns erklärt, dass Sie das nicht wirklich sind.“

„Was hat sie denn gesagt, was ich bin?“

„Einsam.“

Michael stellte seine Kaffeetasse weg, warf Juan einen grimmigen Blick zu und ging. Das ging wirklich zu weit. Er war gern allein. Und ganz bestimmt hatte er es nicht nötig, dass so eine Rotznase ihm sagte, was mit seinem Leben nicht stimmte.

Sobald Michael wieder in seinem Apartment war, schaltete er seinen Computer ein und überprüfte Brenda. Er erfuhr, dass sie dreißig Jahre alt war und keinen zweiten Vornamen hatte. Vorbestraft war sie nicht. Der Lieferwagen draußen gehörte ihr. Sie hatte nur eine Kreditkarte und zahlte immer noch eine hohe Krankenhausrechnung ab. Offenbar war sie vor zwei Jahren operiert worden.

Sie hatte eine Menge verschiedene Jobs gehabt, hatte Hamburger gebraten, in einer Kneipe gekellnert und in einem Heimwerkerladen gearbeitet. In ihrem Psychologiestudium war sie schon weit fortgeschritten, aber da sie immer nur einzelne Kurse belegte, war sie länger als Studentin an der Universität, als manche Leute Präsident waren. Zurzeit studierte sie gerade nicht, doch sie war für das nächste Semester eingeschrieben, das Mitte Januar begann.

Es gab keine Hinweise auf lebende Verwandte, und sie war nie verheiratet gewesen. Michael überlegte, warum das so sein mochte. Sie war so liebevoll, dass sie eine wundervolle Ehefrau abgeben würde. Mit Kindern konnte sie auch großartig umgehen. Und sie war klug. Sie ließ sich nicht so leicht reinlegen. Noch dazu hatte sie die größten blauen Augen, die er je gesehen hatte.

Ja, es war richtig gewesen, sie einzustellen. Es war eine weise und logische Entscheidung gewesen.

„Sind Sie verrückt?“, brüllte Michael Brenda eine knappe Woche später an.

„Ich wollte nur …“

„Ich sehe, was Sie tun. Sie versuchen sich den Hals zu brechen. Das Ding ist viel zu schwer für Sie.“

„Ich trage es ja nicht. Ich habe die Hebelwirkung genutzt …“

„Tun Sie das nie wieder.“ Er schob den riesigen Blumentopf für sie in den Flur. „Warum müssen Sie den überhaupt wegrücken?“

„Um an den Heizkörper dahinter zu kommen. Die Mieter haben sich alle darüber beschwert, dass die Heizung so laute Geräusche von sich gibt. Das liegt daran, dass das gesamte System entlüftet werden musste. Dieser Heizkörper ist der letzte. Ich muss …“

Michael bemerkte, wie ihre Augen leuchteten. Hatte er je eine Frau mit einem so ausdrucksvollen Gesicht gekannt? Er konnte sich nicht erinnern. Und dabei ging es im Moment bei ihrer Begeisterung nur um die Heizung.

Heute trug sie ein weites Sweatshirt. Die Farbe passte zu ihren blauen Augen. Schwarze Leggings umhüllten ihre Beine und betonten jede Kurve.

„Haben Sie sich gut eingelebt?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte. Die Mieter schwärmten alle von ihr. Niemand hatte mehr einen Protestmarsch veranstaltet, und es hatte auch keine weiteren wütenden Anrufe mitten in der Nacht gegeben. So hätte Michael sich auf seine Arbeit konzentrieren können, wie er das die ganzen letzten fünf Jahre getan hatte, aber stattdessen erwischte er sich ständig dabei, wie er von Brenda träumte. Von ihrem Lächeln, davon, wie das Sonnenlicht auf ihr kurzes dunkles Haar schien, vom Klang ihres Lachens und wie sie einen Raum durch ihre bloße Gegenwart erhellte.

„Wunderbar.“

„Was?“, fragte er abwesend, weil er gerade ein Grübchen neben ihrem Mund bemerkt hatte.

„Ich sagte, ich habe mich wunderbar eingelebt.“ Brenda hoffte, dass sie nicht so atemlos klang, wie sie sich fühlte. Michael starrte sie wieder so eigenartig an. Seine haselnussbraunen Augen waren sowieso schon faszinierend genug, auch ohne den verführerischen Blick. Unwillkürlich berührte sie ihren Mund. „Habe ich Schmutz im Gesicht?“

„Nein.“

„Sie haben mich so intensiv angesehen …“ Er hatte direkt auf ihren Mundwinkel gestarrt. Sie beugte sich vor, um ihr Spiegelbild in dem Glas neben der Tür zu betrachten.

„Sie sehen gut aus“, versicherte er ihr heiser. „Besser als gut sogar.“

„Na klar“, spottete sie. Der Mann bemühte sich entweder, freundlich zu sein, oder er war blind. Sie wusste, wie alt ihr Sweatshirt war. Außerdem hatte sie sich heute Morgen das Haar nicht gebürstet, und den Lippenstift hatte sie ebenfalls vergessen. Schon seit Mittwoch hatte sie keinen mehr benutzt, und heute war Freitag. Nein, sie machte Cindy Crawford bestimmt keine Konkurrenz.

„Versuchen Sie nie wieder, so etwas Schweres zu heben.“ Er strich die Ponyfransen beiseite, die ihr über die Augen hingen. „Nächstes Mal bitten Sie um Hilfe, ja?“

Sie nickte benommen. Schon bei der geringsten Berührung von ihm wurden ihre Knie weich, und ihr Herz schlug heftig. Noch lange nachdem Michael gegangen war, stand sie da und stellte sich vor, wie er sie in seine Arme nahm und mit ihr ins Bett ging.

„Mädchen, du siehst aus, als wärst du vom Blitz getroffen worden“, stellte Keisha fest, die gerade hereinkam.

„Ja.“ Brenda lächelte verträumt. „So fühle ich mich auch.“

„Oh, oh.“

„Was meinst du damit?“

„Ich habe bemerkt, wie du Michael angesehen hast. Er besitzt dieses Haus zwar noch nicht lange, aber da wir in derselben Branche arbeiten, weiß ich Bescheid über ihn. Er ist ein Einzelgänger und löst seine Fälle immer. Nichts entgeht ihm.“

„Das ist doch gut, oder?“

Keisha zuckte mit den Schultern. „Er lässt nicht zu, dass jemand seine Freiheit einschränkt. Frauen zum Beispiel. Er wechselt seine Freundinnen oft und bevorzugt die überwältigenden Typen.“

„Na, dann bin ich wohl aus dem Rennen“, meinte Brenda wehmütig.

„Werte dich nicht selbst ab. Für dich spricht eine Menge. Ich habe noch nie eine Frau erlebt, die so gut mit Werkzeug umgehen kann wie du.“

„Aber sonst habe ich nicht viel zu bieten.“ Brenda deutete auf ihre kleinen Brüste.

„Hast du noch nie von Push-up-BHs gehört? Meine Schwester arbeitet in einem Reizwäscheladen.“ Keisha grinste. „Da werden schwere Geschütze aufgefahren. Wir gehen hin, wenn ich das nächste Mal frei habe.“

„Ich weiß nicht …“

„Ich muss sowieso hin, um mein Weihnachtsgeschenk von Tyrone auszusuchen“, erklärte Keisha.

„Du suchst dir dein eigenes Geschenk aus?“

„Erst seit er mir letztes Jahr ein Dampfbügeleisen geschenkt hat.“

Oje, dachte Brenda.

„Also treffe ich diesmal meine eigene Wahl. Das ist sicherer. Wie steht es mit dir? Hast du deine Einkäufe schon erledigt? Es sind nur noch drei Wochen bis Weihnachten.“

„Ich weiß. Ich bin auch mehr oder weniger fertig.“ Obwohl Brenda keine Familie hatte, gab es viele Leute, denen sie etwas schenkte. Da sie kaum Geld hatte, musste sie sich immer etwas ausdenken, das weniger als fünf Dollar kostete, aber das gelang ihr. Sie hatte viel Übung darin, mit wenig Geld auszukommen.

„Und was wünschst du dir?“, erkundigte Keisha sich.

Unwillkürlich stellte Brenda sich Michael mit einer Schleife um den Hals vor. Darauf folgte ein Bild von ihren gemeinsamen Kindern, die um einen Weihnachtsbaum versammelt waren. „Leider kann ich nicht das bekommen, was ich gern hätte“, sagte sie leise. „Erzähl mir mehr von dem Wäscheladen, in dem deine Schwester arbeitet …“

Während Brenda sich mit Keisha unterhielt, telefonierte Michael mit seinem Vater. Oder zumindest versuchte er es.

„Auf den Fidschi-Inseln gibt es bessere Telefone“, sagte sein Vater. „Jetzt kann ich dich hören.“

„Was weißt du über den Familienfluch?“

„Fluch? Hast du wieder auf Pferde gewettet?“, fragte sein Vater.

„Nein. Das habe ich nur ein einziges Mal getan, Dad. Davon rede ich nicht. Ich habe ein Päckchen aus Ungarn bekommen. Von einer angeblichen Verwandten.“

„Das muss deine Großtante Magda sein. Was hat sie dir geschickt?“

„Ein Metallkästchen mit einem silbernen Schlüssel darin. Es war auch ein Brief dabei.“ Michael las ihn seinem Vater vor. „Weißt du, worum es da geht?“

„Es gibt wirklich einen Zauber.“ Plötzlich knisterte es wieder in der Leitung.

„Warte, ich konnte dich nicht verstehen“, rief Michael. „Die Leitung bricht zusammen. Hast du gesagt, es gibt tatsächlich einen Fluch?“

„Keinen Fluch. Einen Zauber.“

„Ich verstehe nicht. Bist du noch da?“

Aber es knisterte nur.

„Kannst du mich hören?“, brüllte Michael.

„Im ganzen Haus kann man Sie hören“, stellte Brenda trocken fest. Sie stand plötzlich in der Tür. „Wie sind Sie reingekommen? Egal. Ich telefoniere gerade. Ein Ferngespräch.“ „Ich versuche dich anzurufen, wenn wir auf Hawaii sind“, sagte sein Vater. Für kurze Zeit war er wieder gut zu verstehen.

„Dad, warte! Was ist mit dem Zauber?“

Aber die Verbindung war abgebrochen. Michael fluchte und legte auf.

„Tut mir leid, dass ich Sie gestört habe“, sagte Brenda zerknirscht. „Aber die Tür war nur angelehnt. Sie haben gesagt, ich muss Sie bei allen Reparaturen über dreißig Dollar vorher fragen, und ich habe vorhin vergessen, Ihnen zu erzählen, dass in Keishas Apartment sämtliche Wasserhähne ausgetauscht werden müssen.“

„Was wissen Sie über Schlüssel?“, erkundigte sich Michael.

Brenda blinzelte. „Wie bitte?“

„Schlüssel. Was wissen Sie darüber?“

„Man schließt damit etwas auf. Wieso? Hat jemand Probleme mit seinem Türschloss?“ „Was ist hiermit?“ Michael öffnete das Kästchen und hielt Brenda den silbernen Schlüssel hin.

Sie fühlte sich plötzlich, als säße sie auf einem Karussell, das sich mit Höchstgeschwindigkeit drehte. Ihr wurde schwindlig, und sie konnte nicht mehr gerade stehen. Deshalb streckte sie die Hand aus, um sich irgendwo festzuhalten, fand aber nichts … bis Michael sie in die Arme nahm.

Es war überwältigend. Die Welt schien zu versinken, als sie sich in die Augen sahen. Michael wirkte genauso benommen, wie Brenda es war. Doch die Überraschung verschwand, und leidenschaftliche Begierde trat an ihre Stelle. Sekunden später neigte Michael den Kopf und küsste Brenda.

Es begann sanft, verwandelte sich aber schnell in etwas Wildes, das sie beide mitriss. Michael verzauberte Brenda, drängte sie, den Mund zu öffnen, und als er mit der Zunge hineinglitt, wurden ihre Knie weich.

Sie spürte seinen Herzschlag unter ihrer Hand, die auf seiner Brust lag. Während er wunderbare, angenehme Dinge mit ihr tat, hielt sie sich an seinem Hemd fest. Das war mehr als ein einfacher Kuss – es war pure Verführung.

Plötzlich schreckte ein Geräusch sie auf, das so klang, als stünden sie in einem Glockenturm, während die Glocken geläutet wurden. Brenda löste sich verblüfft von Michael. „Was war das?“

„Ich habe keine Ahnung.“ Seine Stimme klang heiser.

Sie hatte den Eindruck, dass er das meinte, was gerade zwischen ihnen geschehen war. Es mochte ja sein, dass er wirklich keine Ahnung hatte, aber bei ihr war das anders. Brenda befürchtete, dass sie dabei war, sich in Michael zu verlieben. Kein Wunder, dass Keisha „Oh, oh“, gesagt hatte. Es war doch völlig klar, dass eine Frau wie sie keine Chance hatte bei einem Mann wie ihm. Der Kuss hatte nichts zu bedeuten, denn sie hatte sich ihm praktisch an den Hals geworfen.

Sie stand wie erstarrt da, während er den silbernen Schlüssel aufhob, der auf den Boden gefallen war. Dann fing er an, über den Schlüssel zu reden, so als hätte der überwältigende Kuss gar nicht stattgefunden.

Brenda biss sich auf die Unterlippe und versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren und dabei genauso unbekümmert zu erscheinen wie er.

„Der Schlüssel ist in dem Kästchen gewesen, das ich am selben Tag bekommen habe, als du dich bei mir vorgestellt hast.“

Na toll, dachte sie. Das hörte sich ja an, als würde er sie mit dem Päckchen gleichsetzen.

„Er stammt von einer entfernten Verwandten in Ungarn. Von der Seite der Roma, genau gesagt.“

„Roma?“

„Zigeuner. Meine Eltern sind beide aus Ungarn, aber mein Vater hat Roma-Blut in den Adern, während meine Mom gaje ist, das heißt, keine Zigeunerin. Jedenfalls sind meine Eltern in den frühen sechziger Jahren vor dem kommunistischen Regime geflohen, als ich erst ein oder zwei Jahre alt war. Mein Bruder und meine Schwester wurden erst geboren, als wir schon hier waren.“

Ein Roma, dachte Brenda. Das erklärte Michaels magischen Blick. Ihre eigene Reaktion darauf erklärte es allerdings nicht.

„Jedenfalls war der Schlüssel in dem Kästchen“, fuhr Michael fort. „Und da du dich doch mit Schlössern und so was auskennst, dachte ich, du könntest eine Idee haben, was es damit auf sich hat.“

Ideen hatte sie viele. Stürmische, verbotene Fantasien über einen Mann, der bei Frauen den rassigen, heißblütigen Typ bevorzugte und so erregend küsste, dass einem fast die Sinne schwanden. „Nein, ich habe keine Ahnung. Tut mir leid. Jetzt sollte ich besser zu der Heizung zurückgehen und danach die Wasserhähne besorgen. Wenn ich mich beeile, kann ich heute noch einen davon installieren.“ Während sie sprach, wich sie immer weiter zurück. „Bis bald.“ Sie winkte lässig, und dann war sie weg.

Erst als sie wieder in ihrem eigenen Apartment war, entspannte sie sich. Es war ihr peinlich, wie sie sich benommen hatte. Sie war dreißig Jahre alt, kein Teenager, der für einen Jungen schwärmte. Jetzt gab es nur eins, das sie tun konnte.

Sie ging in die Küche und holte sich ein Glas Milch und eine Tüte Käsekräcker. Das war ihr persönliches Rezept gegen Stress. Nachdem sie die Tüte halb leer gegessen hatte, sah sie wieder klar. „Okay, so lautet der Plan.“ Sie sprach die Worte laut aus, um sie besonders zu betonen. „Wenn Michael so tun kann, als hätte der Kuss nie stattgefunden, dann kann ich das auch. Und ich halte mich von ihm fern.“

Michael bemerkte in den nächsten Tagen, dass er Brenda kaum zu sehen bekam, doch er schob es auf ihre viele Arbeit am Haus. Den Kuss hatte er nicht vergessen. Er war ihm fest ins Gedächtnis eingebrannt. Aber Brenda hatte hinterher so ausgesehen, als wäre sie völlig in Panik, und da hatte er sie nicht noch weiter erschrecken wollen. Außerdem war er ihr Boss und wollte nicht, dass sie dachte, ihr Job würde davon abhängen, dass sie ihn küsste.

Ständig dachte er an sie oder träumte von ihr. Heute Nacht war der Traum besonders heiß und intim, doch plötzlich weckte ihn ein lautes Geräusch. Dabei war es gerade so schön gewesen! Er brauchte einen Moment, um zu erkennen, was ihn da gestört hatte. Es hörte sich an, als würde ein Baby schreien.

Unmöglich. In diesem Haus gab es keine Babys. Offenbar bildete er sich etwas ein. Aber er konnte nicht wieder einschlafen, weil der Lärm nicht aufhörte. Also zog er sich fluchend eine Jogginghose und ein T-Shirt an und machte sich auf die Suche.

Es dauerte nicht lange, bis er wusste, dass der Krach aus Brendas Wohnung kam. Sah sie sich einen Film an? Dann musste sie den Ton leiser stellen.

Er klopfte an die Tür, und sie machte auf. Da sah er, dass der Lärm nicht aus dem Fernseher kam, sondern von dem schreienden Baby in Brendas Armen.

4. KAPITEL

„Was tust du mit einem Baby? Bist du Babysitter? Ist das Kind krank? Kannst du nicht dafür sorgen, dass es aufhört zu schreien?“, fragte Michael verzweifelt.

„Ich tue mein Bestes.“ Brenda wirkte ziemlich mitgenommen.

„Offenbar genügt das nicht.“

„Wenn du meinst, dass du es besser kannst, versuch es.“ Sie reichte ihm das Baby.

Sofort begann er zu protestieren. „Ich kann nicht mit Ki…“ Aber bevor er noch ausreden konnte, hatte das Baby aufgehört zu weinen und strahlte ihn an. Dabei hielt er es so vorsichtig, als wäre es eine Bombe, die jeden Moment explodieren konnte.

„Was wolltest du sagen?“, erkundigte sich Brenda trocken.

„Na so was, es weint nicht mehr.“ Michael schien völlig verblüfft. „Wem gehört es?“, fragte er dann.

„Ich weiß nicht.“

„Du hütest ein Kind und kennst die Eltern nicht? Wie lange bleibt es bei dir?“

„Ich bin nicht sicher.“

Michael schob das Baby behutsam in seine Armbeuge. Es griff nach seinem T-Shirt und steckte sich einen Zipfel davon in den Mund. „Was geht hier vor?“, wollte er wissen.

„Ich habe sie gefunden“, gab Brenda widerstrebend zu. „Heute früh im Foyer, als ich die Briefkästen befestigt habe. Ich war nur kurz zwischendurch weg, um ein Werkzeug zu holen, und als ich zurückkam, lag die Kleine da in ihrem Kindersitz und schlief.“

„Vielleicht hat sie jemand aus Versehen da gelassen.“

„Wer vergisst denn ein Baby? Das ist doch nicht, als würde man eine Flasche Milch im Einkaufswagen stehen lassen. Außerdem hatte niemand im Haus einen Besucher mit einem Kind. Danach habe ich mich erkundigt. Und an der Decke war ein Zettel angeheftet, auf dem stand: ‚Bitte kümmern Sie sich um mein Baby.‘“

„Jemand hat es ausgesetzt? Dann müssen wir die Polizei verständigen.“

„Nein!“

„Warum nicht? Hast du es schon getan?“

„Nein“, sagte sie noch mal, diesmal ruhiger. Dann zog sie sanft den T-Shirt-Zipfel aus dem Mund des Babys. „Schau, ich weiß, was die Behörden mit ihr tun würden. Ich habe es selbst erlebt. Sie würde zu Pflegeeltern kommen und zu einem Teil der Statistik werden. Sie ist doch noch ein Baby!“

„Eine Menge Leute wünschen sich eins.“

Ich auch!, hätte Brenda am liebsten gerufen.

Michael bemerkte ihren sehnsuchtsvollen Blick. „Aha. Deine biologische Uhr tickt, was?“ Daraufhin nahm ihr Gesicht so einen gequälten Ausdruck an, dass er sofort wusste, dass er etwas Falsches gesagt hatte. Dabei war Brenda eigentlich gar nicht der empfindliche Typ. Hier war offenbar etwas ganz und gar nicht in Ordnung. „Was ist los? Komm, sprich mit mir.“

Brenda hielt dem Baby einen Finger hin. „Ich habe keine biologische Uhr“, antwortete sie so leise, dass Michael sich vorbeugen musste, um sie verstehen zu können. „Vor ein paar Jahren hatte ich eine Notoperation. Ich kann keine Kinder mehr bekommen.“

„Das wusste ich nicht. Es tut mir leid.“

„Ja, mir auch. Zu der Zeit war ich verlobt. Bill hat sich wunderbar verhalten, hat mich im Krankenhaus besucht, und ich konnte mich sogar danach in seiner Wohnung erholen. Aber ich merkte, dass die Dinge sich geändert hatten. Er wünschte sich Kinder. Deshalb wollte er heiraten. Jeder Mann will deshalb heiraten. Um Kinder zu kriegen.“ Sogar nach zwei Jahren hörte Brenda noch Bills Worte: „Ich kann dich nicht heiraten, Brenda. Ich brauche eine Frau, die eine richtige Ehefrau sein kann. Du weißt, was das heißt. Ich will Kinder. Jeder Mann wünscht sich welche.“

Sie hatte Michael oft genug auf Ungarisch fluchen gehört, dass sie nun verstand, was er meinte. „So ein Blödsinn“, sagte er zum Schluss noch auf Englisch.

„Pass auf, wie du vor dem Kind sprichst.“ Sie nahm ihm das Baby ab, musste es aber Sekunden später zurückgeben, weil es protestierte. Brenda verstand das. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie unglaublich schön es war, in Michaels Armen zu liegen, und wie schwer es war, sich von ihm zu lösen.

„Das ist wirklich seltsam“, meinte er. „Ich konnte noch nie mit Kindern umgehen. Wann immer ich in die Nähe eines Babys komme, brüllt es. Nicht, dass das oft passiert. Ich habe keine Neffen oder Nichten. Meine Geschwister sind noch nicht mal verheiratet. Aber lass uns noch mal auf diesen Bastard kommen, der dich verlassen hat.“

„Er war kein schlechter Mensch. Nach der Operation hat er sich gut um mich gekümmert.“

„Und danach hat er dich fallenlassen und dir das Herz gebrochen.“

„Jetzt überdramatisierst du aber.“

„Das ist mein Roma-Blut.“

Sie lächelte.

„So ist es besser. Nun sag mir, was wir mit diesem Baby tun sollen.“

„Wenn du dich mit ihr auf die Couch setzt, schläft sie vielleicht ein“, schlug Brenda vor.

„Klingt gut. Hast du denn eine Couch? Ich habe keine gesehen, als du eingezogen bist.“

„Tatsächlich ist es eine Schlafcouch.“ Sie deutete auf eine Liege mit blauen Kissen darauf. Auf dem Weg dorthin bemerkte Michael die Babysachen auf dem zerkratzten Tisch.

„Was du da in Erwägung ziehst, ist verrückt, weißt du das?“

„Was ziehe ich denn in Erwägung?“

„Das Baby zu behalten.“

„Die Mutter hat mich gebeten, mich um das Kind zu kümmern.“

„Für wie lange? Und was ist, wenn sie zurückkommt?“

„Dann gebe ich ihr natürlich das Baby zurück. Vorausgesetzt, sie kann anständig für ihre Tochter sorgen.“

„Was für eine Art von Mutter lässt denn ihr Kind im Stich?“

„Eine, die weiß, dass sie sich nicht darum kümmern kann.“

„Warum hat sie es dann nicht zu einer Adoptionsagentur oder in ein Waisenhaus gebracht?“

„Weil das vielleicht zu hart gewesen wäre. Vermutlich musste sie auch schnell handeln.“

„Und weshalb hat sie dieses Haus ausgesucht?“

„Darüber habe ich auch schon nachgedacht.“

„Und was ist dir eingefallen?“

„Dass sie mich womöglich kennt. Ich arbeite im Jugendzentrum mit vielen Teenagern. Sie wissen, dass ich ein Pflegekind war und dass sie sich auf mich verlassen können, wenn sie in Schwierigkeiten sind.“

„Du meinst, eine dieser Jugendlichen hat dir ihr Kind hingelegt? Aber die sind doch selbst fast noch Kinder.“

„Sie sind alt genug, um schwanger zu werden. Eins der Mädchen, die mir beim Umzug geholfen haben, hat letztes Jahr ein Baby gekriegt.“

„Und du bist sicher, dass das hier auch ein Mädchen ist.“

„Absolut. Ich musste schon ein paarmal die Windeln wechseln und lerne es allmählich. Die letzte ist tatsächlich draufgeblieben.“

„Da wir schon von Windeln sprechen, ich glaube, die nächste ist fällig.“

„Oh, oh.“

„Hier.“ Michael wollte Brenda das Baby geben, aber es hatte andere Vorstellungen. Es hielt sich an Michaels T-Shirt fest und weinte.

„Du wirst mir wohl helfen müssen“, stellte Brenda fest. „Sie lässt dich nicht weg.“

„Gewöhnlich habe ich nur auf etwas ältere weibliche Wesen diese Wirkung“, erklärte Michael. „Und selbst bei denen war es noch nie so.“

„Leg sie auf den Tisch … Gut. Jetzt beschäftige sie, während ich die Windel wechsle.“

„Stand auf dem Zettel, wie sie heißt?“

„Nein.“

„Du kannst sie nicht einfach nur ‚Baby‘ nennen.“

„Ich dachte an den Namen Hope.“

Das kleine Mädchen gab einen gurgelnden Laut von sich. „Klingt, als würde es ihr gefallen“, sagte Michael. „Richtig, Hope?“ Er nahm einen alten Teddybären, der auf Brendas Tisch saß, und gestikulierte damit herum. Das Baby griff begeistert danach. „Sieh mal, sie lächelt mich an. Ist sie denn alt genug dazu?“

„Offenbar ist sie das.“

„Was meinst du, wie alt sie ist? Stand das auf dem Zettel?“

„Nein, da war nur der eine Satz, den ich dir zitiert habe. Was Hopes Alter angeht, bin ich keine Expertin, aber ich habe ein Buch gekauft, als ich vorhin unterwegs war. Nach ihrem Gewicht würde ich sie auf ungefähr sechs Monate schätzen.“

„Hast du gesehen, wie blau ihre Augen sind?“

„Sie ist wunderschön, nicht? Allerdings hast du im Moment die bessere Aussicht.“ Brenda entfernte die nasse Windel.

„Das stimmt.“ Michael grinste.

Ihre Blicke trafen sich. Brenda spürte etwas wie einen elektrischen Schlag. So etwas hatte sie zum ersten Mal als Zehnjährige erlebt, als sie versucht hatte, einen kaputten Lichtschalter zu reparieren, ohne zuerst die Sicherung herauszudrehen. Am ersten Tag mit Michael war es ihr wieder passiert, und nun geschah es jedes Mal, wenn sie zusammen waren. Irgendwann sahen sie sich an, und da war eine wilde Vorfreude.

Diesmal unterbrach das Baby sie. Hope rutschte zur Seite, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Brenda war rot geworden. „Ich … äh … ich dachte nicht, dass es so schwer sein könnte, ein Baby zu wickeln. Einmal hätte sie mich fast ins Auge getreten, als ich mich bemüht habe herauszufinden, wie das mit den Klebestreifen an den Seiten gedacht ist.“

Autor

Cathie Linz
Cathie Linz ist die ungekrönte Königin der schnellen romantischen Komödien, die einen im Herzen berühren und immer wieder zum Lachen bringen. Nachdem die USA-Today-Bestsellerautorin ihre Karriere in einer Universitätsbibliothek zugunsten des Schreibens aufgegeben hat, wurden weltweit über vierzig ihrer Romane veröffentlicht und in über zwanzig Sprachen übersetzt. Die Chicago Sun-Times...
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