Julia Collection Band 140

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BLEIB DOCH FÜR IMMER!
Becca soll endlich ihren Traummann finden! Das wünschen sich zumindest ihre Brüder und arrangieren pausenlos Dates mit Heiratskandidaten. Becca bleibt nur noch eine kleine Lüge als Ausweg: Sie mietet sich einen Ehemann. Und Gavin Callahan spielt diese Rolle so perfekt, dass Becca wünscht, es wäre echt …

EINE SÜSSE VERSUCHUNG FÜR MARCY
Auf ein leeres Haus aufpassen? Ein etwas unheimliches Jobangebot, doch Marcy nimmt es an. Der Besitzer, Eric Sheridan, soll ein ruhiger Mathematikprofessor sein. Marcy wähnt sich in Sicherheit, da steht er eines Nachts plötzlich vor ihr. Eric Sheridan: stark, groß und die Versuchung in Person …

EIN BOSS ZUM TRÄUMEN
Es ist Shanas kleines Weihnachtswunder: Kurz vor dem Fest stellt der attraktive Landon Kincaid sie als Haushälterin ein. Nun kann sie mit ihrer kleinen Tochter doch besinnlich feiern. Aber es dauert nicht lange, da beginnen die Gerüchte, sie hätte eine Affäre mit ihrem Boss …


  • Erscheinungstag 06.12.2019
  • Bandnummer 140
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713430
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Crosby

JULIA COLLECTION BAND 140

1. KAPITEL

„Habe ich’s doch gewusst!“ Gavin Callahan richtete die Gabel auf seine Schwester Shana. „Ich hätte mir denken können, dass du mich nicht ohne Hintergedanken zum Mittagessen eingela-den hast“

In dem kleinen Bistro im Zentrum von Sacramento herrschte Hochbetrieb. Lautes Stimmengewirr lag in der Luft. Gavin hatte seinen gemischten Salat mit Appetit verspeist – bis seine Schwester die Bombe platzen ließ.

„Hör mir doch erst mal zu, ehe du ablehnst.“ Shana schob sich eine goldblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Du brauchst doch nur so zu tun, als wärst du zwei Tage ihr Ehemann. Mehr nicht. Zwei kurze Tage in deinem Leben. Im Moment hast du doch ohnehin nichts zu tun. Du bist freigestellt von der Arbeit – und du bist ledig. Vielleicht macht es dir sogar Spaß.“

„Aber ich bin nicht interessiert. Auch wenn ich gerade nichts zu tun habe. Und was meine Freistellung angeht …“

„Bitte! Hast du damals nicht sogar einen Schauspielpreis in der Highschool gewonnen, weil du so überzeugend warst? Außerdem würdest du mir einen Riesengefallen tun. Denk nur mal an die Karrieremöglichkeiten, die ich deinetwegen in der Agentur bekommen könnte! Bitte, Gavin. Du wirst doch bestimmt einer alleinerziehenden Mutter eines Babys helfen wollen? Und deiner kleinen süßen Nichte …“

Shana klang so dramatisch, dass Gavin lachen musste. Zu Teenagerzeiten war ihr Verhältnis nie besonders gut gewesen. Erst vor Kurzem hatten sie sich nach mehr als zehn Jahren wiedergesehen. Inzwischen war sie neunundzwanzig und er fünf Jahre älter.

„Du weißt, was ich im vergangenen Jahr durchgemacht habe“, wiegelte er ab. „All diese Lügen, die man über mich erzählt hat … Und jetzt soll ich selbst welche erzählen? Außerdem habe ich Respekt vor der Ehe. Abgesehen davon: Wie stellst du dir das eigentlich vor, Ehemann zu spielen – selbst wenn es nur für zwei Tage ist?“

Shana griff nach seiner Hand. „Es hilft meiner Karriere wirklich auf die Sprünge“, wiederholte sie ernst. „Julia Swanson, meine Chefin, weiß sich keinen Rat mehr. Der Ruf ihrer Vermittlungsagentur steht auf dem Spiel.“ Das war zwar etwas übertrieben, aber der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel … „Und, wenn ich ihr jetzt einen Mann präsentieren kann, der den Job übernimmt, wird sie mich bei der nächsten Beförderung nicht übergehen. Gavin, ich brauche das Geld, um unabhängiger zu werden. Ich will auf eigenen Füßen stehen.“

„Und dafür lässt du dich jetzt schon auf emotionale Erpressung ein?“

„Hat es denn funktioniert?“, fragte sie erwartungsvoll. In ihren Augen lag ein spitzbübisches Funkeln.

Unwillkürlich musste er lachen. Um sie noch ein bisschen zappeln zu lassen, trank er einen Schluck Wasser. Schließlich antwortete er: „Na schön, ich werde mich also mit dieser Julia Swanson treffen und hören, was sie zu bieten hat.“

Shana sprang von ihrem Stuhl, rannte um den Tisch und umarmte ihren Bruder so heftig, dass ihm fast die Luft wegblieb.

„Ich habe noch nichts versprochen“, wehrte er ab.

„Julia kann jeden zu allem überreden.“ Zufrieden setzte sie sich wieder hin. „Um eins hast du einen Termin mit ihr. Iss schnell auf.“

„Du hast schon einen Termin vereinbart? Da warst du dir deiner Sache ja wohl ziemlich sicher.“ Er machte der Kellnerin ein Zeichen, dass er zahlen wollte.

„Optimismus ist mein zweiter Vorname“, witzelte sie. „Ihr Büro liegt im zweiten Stock in dem Gebäude auf der anderen Straßenseite. Ich komme mit dir.“

„Ist nicht nötig. Das schaffe ich schon allein.“

Sie zog die Nase kraus. „Ruf mich an, wenn du dich entschieden hast – egal wie, okay?“

„Du erfährst es als Erste.“ Gemeinsam verließen sie das Bistro. Shana zeigte auf das Bürohaus. „Mach dir nicht zu viel Hoffnung“, warnte er sie, während er sie zum Abschied umarmte.

Gavin schlenderte zum Büro der Vermittlungsagentur „Stets zu Diensten“, für die Shana seit einigen Monaten arbeitete. Sie hatte ihm erzählt, dass einige ihrer Kunden sie spöttisch „Frauen zur Miete“ nannten. In seinem Fall war es eher „Männer zur Miete“, überlegte er.

„Miss Swanson wird Sie gleich empfangen“, erklärte ihm die attraktive brünette Empfangsdame, nachdem er das geschmackvoll eingerichtete Büro betreten hatte. „Bitte nehmen Sie doch solange Platz.“

Gavin war zu nervös, um sich hinzusetzen. Stattdessen trat er ans Fenster und schaute hinunter auf die belebte Geschäftsstraße. Solche Situationen mochte er eigentlich überhaupt nicht. Er tat es nur Shana zu Gefallen. Wenn es ihrer Karriere half …

„Guten Tag, Gavin“, klang eine sanfte Stimme an sein Ohr. „Ich bin Julia Swanson. Kommen Sie doch bitte herein.“

Er hätte nicht sagen können, wie alt sie war. Mit ihrem leicht gewellten aschblonden Haar, dem graugrünen Kleid und den hohen Absätzen, dank derer sie fast so groß war wie er mit seinen ein Meter neunzig, wirkte sie sehr elegant. Er folgte ihr ins Büro. Auf der Wand hinter ihrem Mahagonischreibtisch hing das Firmenlogo mit dem in schlichten Goldbuchstaben geprägten Motto: Wenn Sie Wert auf persönliche Zuwendung legen … Alles in Julia Swansons Firma strahlte Noblesse und Diskretion aus – ganz wie ihre Besitzerin.

„Bitte nehmen Sie Platz“, forderte sie ihn auf, während sie sich an ihren Schreibtisch setzte.

„Danke.“ Sein Blick fiel auf das Panoramafenster. „Ich vergesse immer, dass auch Sacramento eine tolle Skyline hat. Wenn man in San Francisco lebt …“

„Ich liebe diese Stadt. Sie ist zwar groß, aber dennoch angenehm überschaubar.“ Julia öffnete eine Akte auf ihrem Schreibtisch. „Ihre Schwester hat nicht übertrieben.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich hören möchte, was Sie damit meinen. Schließlich kenne ich meine Schwester.“

Julia lächelte. „Sie hat Sie als groß, blond und gut aussehend beschrieben. Als ‚Surfertypen‘.“

„Surfertyp?“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wahrscheinlich wollte sie sich nur dafür rächen, dass ich sie als Kind immer Goldlöckchen genannt habe.“

„Mir ist klar, dass ein Mann in Ihrer Position normalerweise keinen temporären Job annimmt“, fuhr Julia fort. „Die Bezahlung ist zwar nicht schlecht, aber ich vermute, das spielt für Sie keine Rolle. Ich sage Ihnen ganz offen, dass Sie mir mit Ihrer Zusage einen großen Gefallen tun würden …“

„Den hätten Sie aber auch verdient“, unterbrach Gavin sie.

Erstaunt sah sie ihn an.

„Wissen Sie, Shana ist regelrecht aufgeblüht, seitdem sie für Sie arbeitet“, erklärte er. „Dixie, meine andere Schwester, findet das auch. Wir sind Ihnen beide sehr dankbar dafür. Und das ist der Grund, warum ich hier bin.“

„Vielen Dank. Ja, Shana ist sehr ambitioniert und sehr flexibel. Das ist bei unserer Arbeit manchmal sogar noch wichtiger. Wie würden Sie sich beschreiben, Gavin?“

„Man sagt, ich arbeite rund um die Uhr. Aber das stimmt nicht. Bestenfalls achtzehn Stunden pro Tag. Und Anpassungsfähigkeit ist in meinem Job gefragt. Bei meiner Arbeit muss ich sehr flexibel sein.“ Er zögerte kurz. „Sie wissen, dass ich nur hier bin, weil Shana mich darum gebeten hat? Die Aufgabe selbst interessiert mich nicht besonders – vor allem das Lügen widerstrebt mir. Ich bezweifle, dass ich gut darin bin.“

Julia änderte ihre Sitzposition und warf ihm ein Lächeln zu. Wieder fragte er sich, wie alt sie sein mochte. Dreißig? Vierzig? Es war unmöglich zu sagen.

„Nun ja, ich hatte auch gewisse Zweifel – obwohl Ihre Schwester Sie mir wärmstens empfohlen hat. Im Internet habe ich eine Menge über Sie herausgefunden.“

Er wartete darauf, dass sie weitersprach, doch sie ließ ihre Bemerkung eine Weile in der Luft hängen.

„Den Test habe ich wohl bestanden, nehme ich an. Sonst säße ich ja jetzt kaum vor Ihnen.“

„Der einzige dunkle Fleck in Ihrer Biografie war dieses juristische Problem, aber das ist ja inzwischen gelöst, wie ich gesehen habe. Ich brauche allerdings eine Erlaubnis, Ihre finanziellen Verhältnisse überprüfen zu lassen, bevor ich Sie meiner Klientin empfehle. Es gehört zum Charakterprofil, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Mein ‚juristisches Problem‘“, wiederholte er. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis der Gedanke daran ihm keinen Stich ins Herz mehr versetzte? „Gelöst ja, aber nicht vergessen. Haben Sie denn auch Ihre Klientin überprüft? Ich möchte sichergehen, dass sie nicht möglicherweise mein Entgegenkommen ausnutzt – wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Julia lächelte amüsiert. „Ja, wir haben sie auf Herz und Nieren geprüft. Sie hat den Test in jeder Hinsicht bestanden, bis auf …“

Er wartete, bis er ihr Schweigen nicht länger ertragen konnte. „Bis auf was?“

„Ich versuche gerade, die richtigen Worte zu finden. Sie befindet sich in einer etwas prekären Situation, doch das dürfte wohl nur vorübergehend sein. Ich schätze Sie als jemanden mit großer Menschenkenntnis ein. Warum treffen Sie sich nicht mit ihr und bilden sich selbst ein Urteil?“

Interessant, dass Julia die Situation ihrer Klientin als „prekär“ beschrieb. Was mochte das bedeuten? „Und wenn ich diesen … Auftrag nicht annehme?“

„Uns bleiben neun Tage. Dann werde ich weitersuchen müssen. Irgendjemand findet sich immer. Vielleicht nicht unbedingt ein Mann, der die Anforderungen so gut erfüllt wie Sie, aber das wäre ja dann nicht Ihr Problem, nicht wahr?“

Oh, sie war wirklich gut. Appellierte an sein Gewissen – ein äußerst geschickter Schachzug. Kein Wunder, dass sie so erfolgreich war.

„Gut, ich werde mich mit ihr unterhalten.“ Mehr würde er nicht versprechen.

Julia reichte ihm zwei Formulare. Das eine berechtigte sie zur Überprüfung seiner finanziellen Verhältnisse, auf dem anderen standen bereits ein Name – Rebecca Sheridan – und eine Adresse. „Ich rufe Sie auf dem Handy an, falls es Probleme beim Finanzcheck geben sollte. Ansonsten wird sie Sie um sechs Uhr bei sich zu Hause erwarten. Ich werde Ihren Besuch ankündigen. Es wäre nett, wenn Sie mich nach dem Gespräch anrufen könnten.“

„Selbstverständlich.“

Zum Abschied reichten sie sich die Hand. Beim Blick in ihre Augen fragte Gavin sich, wie wohl ihr Privatleben aussah. Sie trug keinen Ehering. Auf ihrem Schreibtisch standen keine Familienfotos, wie er es bei Frauen so oft gesehen hatte, die sich mit Bildern ihres Mannes und ihrer Kinder umgaben …

„Vielen Dank, Gavin. Shana hat einen Bonus verdient.“

„Ich habe noch nicht zugestimmt.“

Julia lächelte flüchtig. „Noch nicht.“

Gavin verließ das Büro. Er wartete nicht auf den Aufzug, sondern nahm die Treppe. Als er in den milden Aprilnachmittag hinaustrat, holte er tief Luft. Zum ersten Mal seit … seit einem Jahr, wenn er ehrlich sich selbst gegenüber war, hatte er das Gefühl, wieder frei atmen zu können. Seine Gedanken kreisten nicht ständig um dasselbe quälende Thema.

Eigentlich hatte er das seiner Schwester zu verdanken. Eines Tages, beschloss er, würde er es ihr sagen.

Becca Sheridan war wieder einmal spät dran. Wie alle ihre Kollegen kam sie selten vor sieben Uhr aus dem Büro. Heute hatte sie um sechs eine Verabredung. Bis zu ihrer Eigentumswohnung in der Innenstadt musste sie eine Viertelstunde laufen. Sie wollte noch etwas aufräumen, ehe der Kandidat eintraf. Wie hieß er noch gleich? Gavin. Gavin Callahan.

Ein hübscher Name. Klang irgendwie professionell.

Suki Takeda steckte den Kopf in ihr Büro. „Bist du aufgeregt?“

„Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich mich auf dieses Spiel eingelassen habe.“

„Denk an deinen Seelenfrieden. Wenn es klappt, lassen dich deine Brüder endlich in Ruhe.“

„Sofern ich sie davon überzeugen kann, dass es etwas Ernstes ist.“ Becca griff nach ihrer Handtasche. „Du kennst sie doch. Sie sind grundsätzlich misstrauisch.“

„Wenn du Eric erst einmal überzeugt hast, glauben dir auch die anderen drei.“ Sukis Pferdeschwanz hüpfte auf und ab, als sie sich rasch umsah, ehe sie in verschwörerischem Tonfall weitersprach. „Auf jeden Fall war es besser, sich an eine Vermittlungsagentur zu wenden, als einen der Jungs im Büro zu fragen.“

„Das wäre zu riskant gewesen. So ist es eine rein geschäftliche Angelegenheit ohne jegliche Verpflichtung. Und ohne Nebenwirkungen.“

„Ruf mich an, wenn er wieder weg ist.“ Suki zeigte mit dem Finger auf Becca. „Sonst stehe ich heute Abend vor deiner Tür. Ich finde ja, ihr hättet euch besser in einem Coffeeshop getroffen.“

„Ich weiß. Aber die Agentur prüft jeden auf Herz und Nieren. Wird schon schiefgehen.“ Im Hinausgehen umarmte sie ihre beste Freundin. „Drück mir die Daumen.“

„Viel Glück.“

Sukis fröhliche Stimme hallte ihr noch in den Ohren nach, als sie auf dem Weg nach draußen an den anderen Büros vorbeilief. Craig spielte mit einem Basketball – wie immer, wenn er nachdenken musste, wie er behauptete. Jacob und Morgan recherchierten online. Chip, der Geschäftsführer, spielte vermutlich eine Partie Tischtennis im Aufenthaltsraum.

Keiner fragte, warum sie so früh ging. Alle konnten sich ihre Dienstzeiten einteilen, wie es ihnen passte. Hauptsache, am Ende des Tages war die Arbeit erledigt. Hitzige Diskussionen gab es nur über berufliche Probleme und Herausforderungen, die zu bewältigen waren.

Zu dieser Stunde waren die Straßen noch sehr belebt. Becca konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal so früh nach Hause gegangen war. Sie hoffte, dass ihre Verabredung sich verspätete, damit sie sich noch ein bisschen erholen konnte …

Andererseits würde es nicht für ihn sprechen, wenn er sich gleich beim ersten Treffen verspätete.

In der Lobby des schicken Apartmenthauses entschied sie sich spontan, bis zum dritten Stock zu laufen, anstatt den Aufzug zu nehmen. Als sie in den Korridor einbog, der zu ihrer Wohnung führte, sah sie bereits den Mann neben ihrer Tür.

Ihr Herz machte einen Sprung. Den Satz hatte sie schon oft gelesen, aber noch nie am eigenen Leib erfahren. Jetzt wusste sie, wie sich so etwas anfühlte. Der Mann sah verdammt gut aus – war schlank, groß und hatte blondes Haar, das ihm lockig bis in den Nacken fiel. Die Hände hatte er lässig in die Taschen gesteckt.

Seine Augen waren grün. Sein Blick war offen und ehrlich. Außerdem hatte er strahlend weiße Zähne. Das alles bemerkte sie beim Näherkommen.

Sie hatte das große Los gezogen!

Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Gavin Callahan?“

„Richtig! Rebecca Sheridan?“ Sein Blick war so bewundernd, dass er ihr das Gefühl vermittelte, sie sei die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte.

„Alle nennen mich Becca. Entschuldigen Sie meine Verspätung.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. Als er sie ergriff, durchfuhr es sie wie ein Blitz.

Wenn das bloß keine Probleme gab!

„Ich bin ein bisschen früh dran“, entschuldigte er sich und ließ ihre Hand los. Das Prickeln auf ihrer Haut hielt an.

„Kommen Sie rein.“ Sie schloss die Tür auf und betrat die Wohnung. Leider war sie unordentlicher, als sie in Erinnerung hatte. „Entschuldigen Sie das Chaos. Ich bin erst gestern Nacht aus Chicago zurückgekommen. Ich war eine Woche unterwegs.“ Sein Blick fiel auf den Koffer, der mitten im Zimmer stand. Zum Chaos trugen auch Magazine und Zeitungen bei, die auf Stühlen und Tischen verstreut lagen, sowie die Umzugskisten, die sich an den Wänden und in den Ecken stapelten.

„Ich brauche unbedingt eine Putzfrau“, erklärte sie mit einem zerknirschten Lächeln. „Möchten Sie etwas trinken?“

„Ein Wasser, gern.“

Sie schaute in den Kühlschrank. „Es gibt auch Eistee.“ Bevor sie am Morgen zur Arbeit gegangen war, hatte sie eingekauft. „Außerdem Käse und Cracker. Möchten Sie etwas essen? Ich habe einen Mordshunger.“ Sie redete wie ein Wasserfall. Auf einmal war ihr die Situation ziemlich peinlich. Wie sollte sie ihm bloß erklären, was sie von ihm wollte?

„Hm … gern.“ Er trat an die Bar, die die Küche vom Wohn-Ess – Bereich trennte und ebenfalls voller Papiere und Zettel lag. „Sind Sie gerade eingezogen?“

„Vor fünf Monaten.“ Sie riss die Plastikfolie vom Käseteller. „Wissen Sie, ich habe kaum Freizeit. Ich lebe fast mehr im Büro als hier. Ein Arbeitstag von zwölf Stunden ist für mich fast normal.“

„Was machen Sie denn beruflich?“

„Ich bin Geschäftsführerin von Umbrella Masters GmbH. Wir entwickeln Cloud-Computing-Technologien.“

„Das sagt mir überhaupt nichts.“

Die Antwort hatte sie schon oft gehört. Deshalb hatte sie eine Erklärung parat, die selbst Laien verstanden. „Wir stellen Kunden, die keine ausreichenden Rechnerkapazitäten haben, eben diese Kapazitäten auf Mietbasis zur Verfügung“, erklärte sie, während sie Tee in zwei Gläser goss. „Mithilfe der Cloud, also der Wolke, wie das genannt wird, kann der Nutzer das Netzwerk eines dritten Anbieters je nach Bedarf mieten, ohne es selbst anschaffen zu müssen. So spart er Zeit, Geld und Speicherkapazitäten. Die Branche steckt noch in den Anfängen, aber die Resonanz wird immer größer.“

„Macht es Ihnen Spaß?“

„Sehr sogar.“ Ich bin nur jeden Abend schrecklich groggy. „Ich habe die Firma mitgegründet. Es ist toll, etwas zu erschaffen und zu erleben, wie es wächst und gedeiht.“

„Und was haben Sie in Chicago gemacht?“

Sie verteilte ein paar Käsechips auf einen Teller und stellte diesen auf die Küchentheke. „Mit einem neuen Anbieter einen Vertrag ausgehandelt.“

„Erfolgreich?“ Er nahm die beiden Teller, während sie mit den Gläsern vorausging, die sie auf den Couchtisch stellte, ehe sie sich aufs Sofa fallen ließ.

„Sehr sogar. Ach, ich habe die Weintrauben vergessen.“

„Bleiben Sie sitzen, ich hole sie schon. Wenn Sie nichts dagegen haben?“

„Ganz und gar nicht, danke. Sie müssen noch gewaschen werden.“

„Und wie feiern Sie einen solchen Erfolg?“, rief er aus der Küche. Über das Rauschen des Wassers klang seine Stimme ganz weit entfernt.

„Vielleicht mit einem Urlaub.“ Sie kuschelte sich in die Kissen und gähnte. Auf einmal war sie schrecklich müde. Könnte sie doch ihre Augen schließen … nur für eine Minute. „Wegen der Firma habe ich seit Jahren keine Ferien mehr gemacht. Hawaii wäre schön …“

Als Gavin mit den Weintrauben ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag ihr Kopf auf der Sofalehne.

Er stellte den Teller ab und trat näher, doch sie rührte sich nicht. Sie schlief tief und fest. Wie erschöpft musste sie sein, dass sie in Gegenwart eines Fremden einnickte? Aber er konnte es nachempfinden. Schließlich war er selbst oft so hundemüde, dass er fast im Stehen eingeschlafen wäre. Jetzt widerstand er der Versuchung, ihr die seidige braune Haarsträhne aus dem Gesicht zu schieben.

Und nun?

Er brachte die Teller zurück in die Küche und stellte sie auf die Theke, nachdem er zuvor einige der Papiere zur Seite geschoben hatte. Während er ein paar Bissen aß, kam er sich wie ein Eindringling vor. Schließlich stellte er die Teller in den Kühlschrank und überlegte, wie er die Zeit totschlagen sollte. Die Zeitschriften waren keine Lösung. Wirtschafts- und Computermagazine langweilten ihn zu Tode.

Er zog sein Handy hervor und spielte „Flight Control“, aber Beccas Gegenwart lenkte ihn zu sehr ab, als dass er sich auf das Spiel konzentrieren konnte. Die Arme hatte sie um ihren schlanken Körper gelegt, als sei ihr kalt. Vielleicht brauchte sie eine Decke.

Vorsichtig schlich er durch die Wohnung und zögerte, ehe er einen Blick durch die nächste offene Tür warf. Sie führte in ein Gästezimmer, das ebenfalls mit Umzugskartons vollgestopft war. Hinter der zweiten Tür lag das Schlafzimmer. Es war zwar nicht unordentlich, aber kaum möbliert. Auf dem Bett lag kein Bettzeug, nicht einmal eine Decke. Im Schrank und in der Kommode wollte er nicht nachschauen – das hätte ihr wohl kaum gefallen.

Einige gerahmte Fotografien auf der Kommode erregten seine Neugier. Die größte war schon etwas älter und zeigte ein Hochzeitspaar – ihre Eltern? Auf einem kleineren Schnappschuss war die etwa fünfjährige Becca mit der Frau von dem Hochzeitsfoto zu sehen. Auf einem jüngeren Foto saß Becca in einem roten Ferrari-Cabrio, die Arme ausgelassen nach oben gereckt. Ob das ihr Wagen war? Unwahrscheinlich – bei dem Preis. Er entdeckte noch weitere Fotos betrachtete sie aber nicht genauer, weil er nicht zu neugierig sein wollte.

Allem Anschein nach war sie eine erfolgreiche Frau, die ein komfortables Leben führte – und zudem noch eine fürsorgliche Familie hatte. Aber auch eine Frau, die offenbar von ihrer Arbeit aufgefressen wurde und nicht einmal Zeit fand, ihre Wohnung gemütlich einzurichten. Das Apartment war das reinste Chaos.

Eigentlich gar nicht sein Ding. Er bevorzugte Frauen, die ihr Leben im Griff hatten.

Und Frauen, die ehrlich waren.

Stattdessen hatte sie sich in irgendeinen Schlamassel hineinmanövriert, aus dem sie nur herauszukommen glaubte, indem sie anderen Menschen eine Komödie vorspielte. Und er sollte ihr dabei helfen.

Am liebsten wäre er sofort gegangen, aber er beschloss zu warten, bis sie wieder aufwachte. Seine Geduld wurde auf eine ziemlich harte Probe gestellt, denn sie schlief mehr als eine Stunde. Irgendwann tauchte ein farbenprächtiger Sonnenuntergang ihr Wohnzimmer mit den deckenhohen Fenstern in rosarotes Licht. Er wollte gerade auf den Balkon treten, um die überwältigende Aussicht zu genießen, als sie die Augen öffnete. Sie rappelte sich auf und sah ihn verwirrt an.

„Hungrig?“, fragte er. Die Situation war ihr sichtlich peinlich. „Ich habe schon etwas gegessen“, erklärte er, während er die Teller und einen Eistee vor sie auf den Couchtisch stellte.

Unentschlossen betrachtete sie das Essen. Die Röte wich allmählich aus ihrem Gesicht. Dann erzählte er ihr, zu welchem Entschluss er gekommen war, während sie geschlafen hatte.

„Tut mir leid, aber ich kann diesen Auftrag nicht übernehmen. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“

Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür.

2. KAPITEL

„Warten Sie! Bitte!“ Becca hatte das Gefühl, einen Hieb in den Magen bekommen zu haben. Sie sprang auf, um Gavin aufzuhalten. Er lehnte den Job ab, obwohl sie noch nicht einmal über die Einzelheiten gesprochen hatten? „Wir haben uns doch noch gar nicht unterhalten“, flehte sie.

„Ich weiß genug. Mir ist klar geworden, dass ich die Rolle eines liebenden Ehemanns nicht spielen kann. Tut mir leid. Außerdem …“, er blickte vielsagend durchs Zimmer, „… haben Sie offensichtlich ganz andere Probleme.“

Seine abrupte Entscheidung hatte sie aus dem Konzept gebracht. Ebenso sein entschiedener Tonfall. „Wenn Sie schon mal hier sind, können Sie mich doch wenigstens anhören.“

Nach kurzem Zögern erwiderte er: „Na gut. Sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben. Ich werde meine Meinung zwar nicht ändern, aber bitte – ich bin ganz Ohr.“

Er setzte sich ans Ende des Sofas und legte die Arme über die Rückenlehne. Wie er so dasaß, den Fuß lässig auf ein Knie gelegt, sah er aus, als sei er mit sich und der Welt vollkommen im Reinen. Beneidenswert!

Meine Güte – wie mochte sie wohl aussehen, nachdem sie auf der Couch eingeschlafen war? Ihre Haare, ihre Bluse … „Würde es Ihnen ausmachen, ein paar Minuten zu warten?“

Irritiert schaute er sie an. Schließlich nickte er ergeben.

Becca stürzte ins Schlafzimmer, schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Er würde den Job nicht annehmen. Dabei wäre er genau der Richtige dafür. Ob sie ihn nicht doch überreden konnte … nur für zwei Tage?

Sie beschloss, einen letzten Versuch zu starten. Immerhin war sie für ihre Hartnäckigkeit bekannt. Und normalerweise machte sie auch niemandem etwas vor. Mit dieser Kombination war sie bisher ganz gut durchs Leben gekommen. Was hatte sie schon zu verlieren?

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und verschwand im Bad. Ein paar Minuten später kam sie ins Wohnzimmer zurück. Sie hatte ihr Haar gekämmt und ein wenig Lippenstift aufgelegt. Jetzt sah sie wenigstens nicht mehr so erschöpft aus. Aufmunternd lächelte sie Gavin an, als sie sich neben ihn setzte. In der Hand hielt sie einen Fotorahmen.

„Das sind meine Brüder“, erklärte sie und zeigte ihm das Bild. „Eric, Sam, Trent und Jeff. Eric ist der Älteste. Er ist neununddreißig. Ich bin die Jüngste. Ich bin dreißig.“ Sie stellte die Fotografie auf den Couchtisch, sodass Gavin sie sehen konnte. „Sie kommen übernächsten Samstag nach Sacramento, um meine Hochzeit nachzufeiern.“

„Die gar nicht stattgefunden hat.“

„Stimmt. Aber sie sollen glauben, dass ich geheiratet habe.“

„Warum?“

„Weil Eric …“, sie zeigte mit dem Finger auf ihn, „… erst heiratet, wenn ich es getan habe. Ich glaube sogar, alle vier warten darauf, dass ich als Erste heirate.“

„Das ist doch lächerlich.“

„So sind sie nun mal. Ich weiß, dass es komisch klingt. Eric möchte auch heiraten und Kinder haben.“

„Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“

„Sehen Sie, er fühlt sich für mich verantwortlich – und zwar so lange, wie ich noch nicht unter der Haube bin.“

„Sie wissen doch wohl, wie hoffnungslos antiquiert das klingt?“

„Natürlich. Aber unsere Situation ist ziemlich ungewöhnlich. Meine Eltern starben, als ich dreizehn war. Meine Brüder haben mich großgezogen – sozusagen in Gruppenarbeit. Eric war der Patriarch, und er hatte stets das letzte Wort.“ Sie fuhr mit dem Finger über das Glas. „Sie lieben mich, das weiß ich mit Bestimmtheit.“

„Aber?“

„Aber sie haben mich auch mit dieser Liebe erstickt. Vor allem Eric. Er war überfürsorglich. Klar, es gibt schlimmere Dinge im Leben. In vieler Hinsicht war ich ein Glückskind.“

„Wohnen die vier in der Nähe?“

„Nein. Sie sind übers ganze Land verstreut, aber sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, wenn es um mich geht. Es passt ihnen überhaupt nicht, dass ich allein in der Großstadt wohne. Und seitdem ich dreißig bin, ist ihr Wunsch, mich zu verheiraten, noch stärker geworden. Sind Ihre Eltern auch so?“

„Ich glaube, ihnen ist das ziemlich egal. Obwohl mein Vater sich wohl wünscht, dass der Name Callahan erhalten bleibt.“

„Wie alt sind Sie denn?“, wollte sie wissen.

„Vierunddreißig. Aber an eine Ehe denke ich zurzeit überhaupt nicht. Warum drängt Eric Sie zu einer Heirat?“

„Darüber kann ich nur spekulieren. Vermutlich, weil er glaubt, erst dann seinen Erziehungsauftrag erledigt zu haben.“

„Sie fühlen sich also genötigt zu heiraten, damit er es auch tut?“

„Nicht nur er. Alle meine Brüder. Ich schulde ihnen eine Menge – aber Eric am meisten. Er war zweiundzwanzig, als unsere Eltern starben. Er hatte gerade das College beendet und wollte in die Welt hinaus. Stattdessen ist er geblieben, um sich um uns zu kümmern. Er hat dafür gesorgt, dass wir alle aufs College gehen konnten. Wir waren ziemlich erfolgreich.“

„Zumindest beruflich.“

„Was soll das heißen?“

„Nun, keiner von Ihnen hat geheiratet. Dabei sind Sie alle schon in den Dreißigern. Man sollte meinen, dass wenigstens eins von fünf Geschwistern den Sprung wagt.“

Sie richtete sich auf. „Jetzt verstehen Sie vielleicht mein Problem. Abgesehen davon ist das eine merkwürdige Aussage von jemandem, der selbst Mitte dreißig ist und nicht ans Heiraten denkt. Halten Sie sich denn für erfolgreich?“

„Ich bin nicht auf der Suche nach einer Schein-Ehefrau“, wich er aus.

Eins zu null für ihn. Sie legte ein Käsestück auf einen Cracker, um Zeit zu gewinnen. „Nun, für meine Brüder kann ich nicht sprechen. Aber erfolgreich, denke ich, bin ich sowohl beruflich als auch im Privatleben. Mein Leben gefällt mir. Jedenfalls meistens.“

Vielsagend blickte er sich in ihrer Wohnung um, als wollte er sie daran erinnern, wie unaufgeräumt ihr Leben derzeit war.

„Was erwarten Sie denn von einem Ehemann fürs Wochenende?“, erkundigte er sich.

„Aufmerksamkeit“, erwiderte sie hoffnungsvoll.

Er lachte.

„Im Ernst, ich habe einen Plan. Meine Brüder kommen am Samstagmorgen und fliegen am Sonntagnachmittag zurück. Ihre Aufgabe ist es, sie davon zu überzeugen, dass wir tatsächlich verheiratet und Sie der Mann meines Lebens sind. Jemand, der mich liebt. Ich brauche also einen überzeugenden Schauspieler, der glaubwürdig improvisieren kann.“

Nachdenklich schaute er sie an. „Warum haben Sie sich für diese Lösung entschieden?“

Becca schob die Füße unter ihren Po und sah ihm in die Augen. Sie musste aufrichtig sein, wenn ihr Plan aufgehen sollte. Er musste alles wissen – selbst auf die Gefahr hin, dass sie sich lächerlich machte. Sie konnte nur auf sein Verständnis hoffen.

„Meine Brüder haben die irritierende Angewohnheit, Blind Dates für mich zu arrangieren. Das ist in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden. Wie sie auf diese Männer kommen, vor allem bei der Entfernung, ist mir ein Rätsel. Aber einer von den vieren schafft es immer wieder – durchschnittlich alle paar Monate. Bisher waren das immer richtige Macher-Typen, ganz wie meine Brüder. Irgendwann habe ich einfach einen Freund erfunden. Einen Arzt.“

Etwas verlegen sah sie ihn an. „Mir war klar, dass er sehr erfolgreich sein musste, um vor ihnen bestehen zu können. Natürlich wollten sie mich so schnell wie möglich besuchen, um ihn kennenzulernen, aber ich habe ihnen erzählt, dass er für ‚Ärzte ohne Grenzen‘ arbeitet und derzeit nicht im Land ist.“

„Diese Komödie können Sie doch nicht lange durchhalten.“

„Ich weiß. Ich habe nicht bis zum Ende überlegt. Manchmal bin ich sehr … impulsiv. Eric hat es mir auch nicht abgekauft. Er war ein paarmal hier, in der Hoffnung, den Arzt zu treffen. Schließlich hat er mir vorgeworfen, ich hätte das alles nur erfunden.“

Sie trank einen Schluck von ihrem inzwischen ziemlich verwässerten Eistee. „Meine Freundin Suki und ich waren gerade beim Essen, als Eric mich auf dem Handy anrief und mich zu einem weiteren Blind Date überreden wollte. Ich habe ihm gesagt, dass ich bereits jemanden hätte. Und da hat Suki mir geraten, ich solle ihm erzählen, wir hätten heimlich geheiratet.“

Gavin sah immer noch belustigt aus, und allmählich entspannte sie sich. „Das hat Eric Ihnen natürlich auch nicht geglaubt“, mutmaßte Gavin. „Denn wenn Sie ein so enges Verhältnis haben, kann er davon ausgehen, dass Sie ihm von Ihren Heiratsplänen erzählt hätten.“

Sie nickte. Erics vorwurfvoller Ton klang ihr noch im Ohr. „Ich erzählte ihm, dass mein Mann in ein Krisengebiet geschickt worden sei und vorher unbedingt heiraten wollte. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich diese Lüge inzwischen bedaure. Zumindest habe ich damit erreicht, dass meine Brüder mir nicht mehr im Nacken sitzen, was meine Heirat angeht – über die möchte ich zur richtigen Zeit gern selbst bestimmen –, und dass sie sich keine Sorgen mehr um mich machen müssen und sich um ihre eigenen Dinge kümmern können.“

„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass die nur deshalb nicht geheiratet haben, weil Sie immer noch ledig sind.“

„Es klingt absurd, ich weiß, aber wahrscheinlich können Sie sich nicht vorstellen, wie es ist, beide Eltern gleichzeitig zu verlieren, vor allem, wenn man noch so jung ist. Das hat uns Geschwister sehr zusammengeschweißt.“

„Und dennoch können Sie ihnen gegenüber nicht ehrlich sein.“

„Vermutlich halten Sie mich für verrückt – oder noch schlimmer. Natürlich hätte ich die Sache wieder ins Lot rücken können – schnelle Trennung oder so etwas, aber dann würden meine Brüder wieder von vorn anfangen, anstatt sich um ihre eigene Zukunft zu kümmern – vor allem Eric.“

Gavin nahm ihr Glas und verschwand in der Küche. Was mochte er wohl von ihr denken? War sie zu offen gewesen? Hielt er sie für albern?

Nach einer Minute kehrte er mit einem neuen Glas zurück. Die Eiswürfel klimperten, als er es ihr reichte. Er schien gründlich über ihre Worte nachgedacht zu haben.

Das weckte neue Hoffnung in ihr. Er setzte sich allerdings nicht hin.

„Ich gebe zu, dass mir kein Urteil hinsichtlich der Verbindungen zwischen Ihnen und Ihren Brüdern zusteht“, begann er. „Ihr Familienleben ist ganz anders als meines, und auch dieser enge Zusammenhalt wäre nichts für mich. Abgesehen davon würde ich mich niemals zu einer solchen Lüge hinreißen lassen. Obwohl die Aufgabe nicht ganz reizlos wäre … Aber nein, Sie müssen sich jemand anderen suchen. Tut mir leid. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Becca. Leben Sie wohl.“

Er ließ sie allein zurück und zog die Wohnungstür hinter sich zu. Kaum war sie ins Schloss gefallen, fühlte Becca eine Welle der Enttäuschung über sich zusammenschwappen. Außerdem schämte sie sich ein bisschen. Nachdem sie ihm ihr Dilemma gebeichtet hatte, musste er sie ja für albern halten. Wahrscheinlich würde kein Außenstehender jemals verstehen können, wie sehr sie sich ihren Brüdern und vor allem Eric gegenüber verpflichtet fühlte.

Becca ließ die Luft aus ihren Lungen entweichen. Sie griff zu einem Käsecracker, doch ihr war der Appetit vergangen. Deshalb brachte sie die Teller in die Küche zurück und schleppte ihren Koffer ins Schlafzimmer, um ihn auszupacken. In ihren Augen brannte es verdächtig. Sie ließ sich auf die Bettkante fallen und versuchte, die Tränen zurückzuhalten.

In was für einen Schlamassel hatte sie sich da bloß hineinmanövriert!

Gavin nahm den Aufzug zur Garage und eilte zu den Besucherparkplätzen. Wie hatte er nur eine Sekunde lang überlegen können, diesen Auftrag anzunehmen! Selbst für Shana würde er das nicht tun. Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

Dennoch … die Sache hatte einen gewissen Reiz. Vielleicht, weil er die Frau schlafend gesehen hatte. Dabei hatte sie verletzlich wie ein Kind gewirkt. Sie hatte die Mutter verloren, die auf dem Foto zu sehen war. Sie war allein mit vier dominierenden Brüdern zurückgeblieben, die sie offenbar anbeteten, in ihr aber keine selbstständige und unabhängige Erwachsene sahen.

Aber war das Grund genug für eine Lüge? Warum fehlte ihr das Selbstbewusstsein, sich ihren Brüdern gegenüber zu behaupten?

Er stand neben seinem Auto, schloss es jedoch nicht auf. Sie hatte einen Arzt erfunden. Ausgerechnet! Unwillkürlich musste er lachen. Sein Lachen hallte von den Betonwänden der Garage wider. Er hatte ihr verschwiegen, dass er Arzt war – freigestellt auf unbestimmte Zeit. Im Moment war er sich nicht einmal sicher, ob er weiterhin praktizieren wollte – nach allem, was er durchgemacht hatte.

Wenn er den Job für sie übernehmen würde, müsste er seine Facebook-Seite löschen …

Verflucht, warum verschwendete er überhaupt noch einen Gedanken an die Angelegenheit?

Er kannte die Antwort. Wenn er ein paar Tage mit dieser Frau verbrachte, die ihr Leben ganz offensichtlich nicht im Griff hatte, würde er von seinen eigenen Problemen abgelenkt. Vielleicht half es ihm sogar dabei, einige Entscheidungen zu treffen.

Wenn es ihn nicht in den Wahnsinn trieb. Was wahrscheinlicher war …

Er stieg ein und steckte den Schlüssel ins Schloss. Warum sollte er so etwas tun?

Zum einen erkannte er einen Workaholic, wenn er einen sah. Er war es ja selbst gewesen – aus Gründen, über die er lieber nicht allzu intensiv nachdachte. Vielleicht lag es daran, dass er nach dem College, wie so viele Universitätsabsolventen, Hals über Kopf aus der Enge seiner Heimatstadt geflüchtet war.

Familienbande wie ihre waren ihm fremd, aber er konnte verstehen, warum sie Becca so wichtig waren.

Zum anderen mochte er sie. Mehr noch – er fand sie sogar attraktiv, was auf lange Sicht eher problematisch sein konnte.

Drittens führte er im Moment kein nennenswert ausgefülltes Leben, wie Shana ihm unmissverständlich klargemacht hatte – weder privat noch beruflich.

Viertens, und das war vielleicht am wichtigsten: Er brauchte das Gefühl, gebraucht zu werden.

Nachdem er noch eine Weile gegrübelt hatte, fasste er einen Entschluss. Alle Gründe, die er vorgebracht hatte, waren selbstsüchtig gewesen. Es ging immer um ihn, nicht um sie.

Dabei sollte sie die wichtigere Person sein.

Sein Abschied war ziemlich unhöflich gewesen, fast schon beleidigend. Das war sonst gar nicht seine Art. Er würde noch einmal zu ihr gehen und ihr erklären, warum er der Falsche für ihre Zwecke war. Und er wollte ihr raten, nach jemandem zu suchen, der seinen Part in dieser Komödie ganz uneigennützig spielte.

Diesen Rat war er ihr schuldig – und Shana und Julia auch. Seinetwegen sollte die Vermittlungsagentur nicht in einem schlechten Licht erscheinen.

Genau. Deshalb würde er jetzt noch einmal zu Becca Sheridan gehen.

Becca war so ratlos wie zuvor. Sie war keinen Schritt weitergekommen. Und all ihre Erklärungen hatten ziemlich … nun ja, erbärmlich geklungen.

Gavin war ein faszinierender Mann. Und ziemlich integer. Selbst die hohe Summe, die sie zu zahlen bereit war, hatte ihn nicht gereizt. Was eine Menge über ihn aussagte. Er würde den Job nicht nur des Geldes wegen machen.

Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als Eric reinen Wein einzuschenken. Heute Abend konnte sie ihn nicht mehr anrufen, dazu war es zu spät. Aber morgen früh würde sie als Erstes …

Es klingelte an der Tür.

Suki. Sie hatte ganz vergessen, sie anzurufen. Und jetzt würde sie Becca in einem erbarmungswürdigen Zustand antreffen. Selbst mit ihrer besten Freundin wollte sie unter diesen Umständen nicht reden. Aber wahrscheinlich würde Suki die Polizei verständigen, wenn Becca die Tür nicht öffnete, weil sie befürchtete, der „Kandidat“ habe ihr etwas angetan.

Also machte sie auf.

Vor ihr stand Gavin, Entschlossenheit im Blick. Als er Becca sah, runzelte er die Stirn. „Haben Sie geweint?“

Verunsichert sah sie ihn an. Sie fühlte sich miserabel. Bestimmt sah sie noch schrecklicher aus als vorhin. „Wollen Sie darauf wirklich eine Antwort?“

Nachdem er sie ein paar Sekunden lang schweigend angeschaut hatte, änderte sich sein Gesichtsausdruck. Auf einmal wirkte er … resigniert.

„Korrigieren Sie mich, falls ich mich irre“, begann er. „Sie haben um ihretwillen einen Freund erfunden – damit sie Sie in Ruhe lassen. Aber den Ehemann haben Sie wegen Ihrer Brüder erfunden – damit die sich wieder um ihr eigenes Leben kümmern können.“

Er fasste ihre Gründe viel besser zusammen, als sie es gekonnt hätte. „Ja, genau.“

„Okay. Wenn das so ist, dann mache ich es. Ich verstehe, dass Sie Ihre Brüder, vor allem Eric, glücklich sehen möchten. So, wie ich Sie verstanden habe, haben sie Ihretwegen auf eine Menge verzichtet. Allerdings stelle ich auch ein paar Bedingungen.“

Auf einmal fühlte sie sich unendlich glücklich und erleichtert. „Kommen Sie rein.“

Er folgte ihr, setzte sich aber nicht hin. „Ich kann natürlich nicht am Samstag einfach hier auftauchen und so tun, als wäre ich Ihr Mann. Das würden uns Ihre Brüder nicht abkaufen. Uns bleiben also neun Tage, um glaubwürdig zu werden. Und neun Tage, um das hier alles …“, er machte eine ausholende Handbewegung, „… in Ordnung zu bringen. Ich helfe Ihnen dabei, wenn Sie möchten. Wenn Ihre Brüder glauben sollen, dass Sie in guten Händen sind, muss die Wohnung das widerspiegeln – denn es wirft natürlich auch ein Licht auf mich.“

Einen Moment lang irritierte sie seine dominierende Art. Aber im Grunde wusste sie, dass er recht hatte.

„Ich sage Ihnen gleich, dass ich so etwas noch nie getan habe.“ Um sich von seinen eigenen Problemen abzulenken, kam ihm diese Herausforderung allerdings nicht ungelegen …

„Sie hätten also die ganze Woche Zeit, mir zu helfen? Ich halte Sie nicht von irgendeiner anderen Arbeit ab?“

„Im Moment stehe ich zwischen zwei Jobs.“

Das konnte alles Mögliche bedeuten. Entweder war er gerade gefeuert oder freigestellt worden, oder er hatte gekündigt. Oder er war bei einer Zeitarbeitsfirma unter Vertrag und hatte im Moment keine Aufträge. „In welcher Branche haben Sie denn gearbeitet?“

„Zuletzt im Krankenhaus.“

„Wirklich?“ Das war ja besser, als sie zu hoffen gewagt hatte. „Sie könnten also ein paar medizinische Fachbegriffe in die Unterhaltung werfen und so klingen, als wüssten Sie, wovon Sie reden? Man könnte Sie für einen Arzt halten?“

„Solange es nicht um Gehirnchirurgie geht.“

„Wann können Sie anfangen?“ Fast hätte sie vor Erleichterung gestrahlt.

„Wann gehen Sie morgens zur Arbeit?“

„Um halb acht.“

„Dann bin ich um sieben hier. Ich bringe Frühstück mit.“

„Ich esse morgens nichts …“

„Ich bringe Frühstück mit. Schließlich habe ich gesehen, was in Ihrem Kühlschrank los ist. Jedenfalls nicht sehr viel.“ Er machte Anstalten zu gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen. „Am Wochenende muss ich zu Hause sein. Morgen mache ich erst einmal eine Liste von den Dingen, die erledigt werden müssen. Am Montag komme ich wieder. Ich werde Julia anrufen und ihr Bescheid sagen.“

„Warten Sie.“

An der Tür blieb er stehen. „Wie kann ich Sie erreichen?“

„Ich gebe Ihnen morgen meine Handynummer. Schlafen Sie gut.“ Er legte die Hand auf ihre Schulter. „Es wird schon schiefgehen, Becca.“

Mit diesen tröstenden Worten ließ er sie allein.

Mit offenem Mund sah Becca ihm hinterher. Tränen traten ihr in die Augen, und sie spürte einen Kloß in der Kehle. Nach einer Weile schloss sie die Tür und kroch ins Bett. Eine Minute später war sie eingeschlafen.

Das Leben meinte es gut mit ihr.

„Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal Müsli gegessen habe.“ Becca kratzte ihre Schale leer. „Aber ich bin mir sicher, dass es nicht so gut geschmeckt hat.“

Gavin hatte überlegt, was sie gern zum Frühstück aß, und ein Müsli mit Rosinen, Walnüssen und braunem Zucker ausgewählt, das er aus dem Restaurant des Hotels besorgt hatte, in dem er die Nacht verbracht hatte.

Sie wirkte ausgeschlafen, und ihre Augen blitzten fröhlich. Vielleicht ein bisschen zu fröhlich. Dabei konnte sie kaum ruhig sitzen, redete wie ein Wasserfall und wippte beim Sprechen mit dem Fuß. Nichts von all dem hatte er am Abend zuvor bei ihr bemerkt. Jetzt war sie jedenfalls total aufgedreht.

„Geht es Ihnen gut?“ Er räumte ihre leere Schale zusammen mit seiner in den Spülstein.

Mit einem Satz sprang sie vom Küchenhocker. „Ausgezeichnet. Hoffnungsfroh.“

Hoffnungsfroh. Ein interessantes Wort. „Was haben Sie mit dem zweiten Zimmer vor? Soll es ein Büro oder ein Gästezimmer werden?“

„Sowohl als auch. Suki hat ein paarmal auf der Couch geschlafen, aber ein richtiges Gästezimmer wäre natürlich besser.“

„Wie oft arbeiten Sie zu Hause?“

Sie beugte sich über die Couch, um nach ihrer Aktentasche zu greifen, und prüfte den Inhalt. „Oft. Aber normalerweise sitze ich mit dem Laptop auf dem Sofa. Ich brauche nicht so viel Platz.“

Er ertappte sich dabei, wie er ihren knackigen Po betrachtete. Die Jeans passten ihr wie eine zweite Haut. Sie war schlank, aber durchtrainiert, und ihre Brüste waren klein und vermutlich fest. „Brauchen Sie all diese Wirtschaftsmagazine?“

„Wohl nicht.“ Sie richtete sich auf und drehte sich zu ihm um.

Er fühlte sich wie ein Teenager, der ertappt worden war, wie er Stielaugen machte. Es lag schon zu lange zurück, dass er mit einer Frau ausgegangen war. Während des Gerichtsverfahrens hatte ihm der Sinn nicht danach gestanden. Vermutlich konnte er es als emotionalen Fortschritt verbuchen, dass er wieder an Sex dachte. Aber in diesem Fall fand er es eher irritierend. Immerhin war diese Frau seine Auftraggeberin.

Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass sie in Sacramento lebte und er in San Francisco. Die Distanz war zu groß, um sich häufiger zu treffen. Trotzdem würden sie in einer Woche den Eindruck machen müssen, ein Ehepaar zu sein – mit der ganzen Intimität, die dieser Zustand mit sich brachte. Das ist wirklich eine Herausforderung, überlegte er.

„Meine Handynummer.“ Er reichte ihr einen Zettel.

„Und hier ist ein Schlüssel für Sie. Wir sehen uns also erst am Montag wieder?“

„Genau.“ Er hätte seine Pläne ändern können, hielt es aber für besser, nicht die ganze Zeit in ihrer Nähe zu sein. Zu viel Nähe war schädlich. Nur zu gut erinnerte er sich noch an seine letzte Beziehung. „Bei Ihrer Arbeit muss es ja ziemlich lässig zugehen“, meinte er. „Wenn Sie als stellvertretende Geschäftsführerin in Jeans erscheinen können …“

Amüsiert schaute sie ihn an. „Ehrlich gesagt habe ich mich sogar fein gemacht.“ Sie zog eine orangefarbene Strickjacke über ihre makellos weiße Bluse. „Wir haben nicht viel Kundenverkehr. Dafür immer mehr Videokonferenzen. Gut möglich, dass die Männer irgendwann doch mal Hemden statt T-Shirts tragen müssen.“

Gavin war fasziniert von ihrem Lächeln. Es brachte ihr ganzes Gesicht zum Strahlen. In ihren dunkelbraunen Augen blitzten kleine Funken. Es war ihm ein Rätsel, wie sie gleichzeitig so lässig und aufgedreht wirken konnte. Genauso ist sie wohl, vermutete er.

„Soll ich noch irgendetwas tun?“ Sie war bereits auf dem Weg zur Tür.

„Gehen Sie manchmal einkaufen?“

Sie runzelte die Stirn. „Wozu?“

Er lachte. „Sie gehen wohl häufig essen, was?“

„Ich habe keine Zeit zum Kochen. Es interessiert mich auch nicht.“

„Dann werde ich mich darum kümmern, bevor ich hier am Montag komme. Wenn Sie Ihre Brüder davon überzeugen wollen, dass Sie verheiratet sind, dann sollten Ihre Küchenvorräte etwas üppiger sein.“

„Sie wissen, dass ich nicht koche.“

„Schon, aber von Ehepaaren erwarten die meisten Leute etwas anderes. Keine Sorge, ich werde schon nicht übertreiben.“

Sie lächelte selig. „Das ist alles schon so … häuslich. Ich habe das Gefühl, ich müsste Sie küssen und ‚Darling‘ nennen.“

Nur zu! Er sprach die Worte nicht aus.

„Aber ich sage einfach nur danke. Sie können sich nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin.“

„Du.“

„Wie bitte?“

„Wir sollten uns allmählich duzen. Es wirkt irgendwie überzeugender, wenn man so tut, als sei man verheiratet.“

„Da haben Sie … hast du recht.“

„Also dann … einen schönen Tag noch, Darling.“

Sie lachte und winkte ihm zum Abschied zu.

Gavin nahm sich vor, in den nächsten Stunden die Umzugskartons zu durchforsten, Dinge zu sortieren und Listen aufzustellen. Er brannte darauf, ihr Chaos in Ordnung zu bringen. Die Arbeit war ihm ein willkommener Anlass zur Ablenkung.

So gut hatte er sich lange nicht gefühlt. Ganz leicht und frei. Zielstrebig.

Durch und durch positiv.

Hoffentlich war es die Lüge wert.

3. KAPITEL

Suki wartete bereits vor Beccas Büro. Viermal hatte sie ihre Freundin angesimst und gefragt, wie das Gespräch gelaufen war. Becca wollte es ihr persönlich erzählen, anstatt ihr das Ergebnis per SMS mitzuteilen. Kein Wunder, dass Suki vor Neugier fast umkam.

„Groß, blond und gut aussehend. Als käme er gerade mit einem Surfbrett unter dem Arm aus den Wellen“, begann Becca, sobald Suki die Tür geschlossen hatte. „Intelligent. Lässig. Gute Manieren. Er weiß mit Menschen umzugehen. Er ist wirklich ein Sechser im Lotto.“ Sie lachte wie ein Teenager, als sie das erzählte. Ihr war ganz leicht ums Herz.

„Wow.“ Suki lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Und so ein Typ macht Zeitarbeit? Da kann doch mit ihm etwas nicht stimmen!“

„Ich habe nach Fehlern gesucht – und keine gefunden.“

„Hat er sich für dich ausgezogen? Vielleicht sieht man den Fehler nicht auf den ersten Blick.“

Becca grinste. „Warum habe ich daran nicht gedacht? Immerhin hat er auf meiner Besetzungscouch gesessen. Aber auch so kann ich dir sagen, dass er ein Bild von einem Mann ist. Er hat versprochen, sich um alles zu kümmern.“

„Um alles?“ Vielsagend zog Suki die Augenbrauen hoch. „Wahrscheinlich will er nur den Preis in die Höhe treiben.“

Becca wurde ganz warm. An Sex hatte sie zwar noch keinen Gedanken verschwendet, aber ihr Unterbewusstsein beschäftigte sich längst damit. Sie fand Gavin sehr attraktiv. Wenn sie sich den Mann ihrer Träume basteln könnte, käme am Ende einer wie Gavin Callahan heraus.

„Ich will damit sagen, dass er den Job akzeptiert hat“, erklärte sie. „Und ich glaube, er wird eine oscarreife Leistung als Ehemann abliefern.“

„Überlässt du ihn mir, wenn du ihn nicht mehr brauchst?“

Becca fiel keine passende Antwort ein. Sie wusste nur, dass sie ihn nicht teilen wollte. Er gehört mir, hätte sie am liebsten geantwortet. Das Klingeln des Telefons rettete sie. Suki verließ ihr Büro, und der Arbeitstag begann.

Allerdings hatte der Anruf nichts mit Arbeit zu tun.

„Hallo, Bec.“ Es war ihr Bruder Eric. Seine Stimme klang fest und sonor.

Wenn sie mit ihrem Bruder sprach, fühlte Becca sich immer geborgen. Er war stets der Fels in der Brandung ihres Lebens gewesen – selbst dann noch, als sie schon nicht mehr zu Hause wohnte. „Wie ist das Leben in der großen, bösen Stadt?“

„Ein Kampf bis aufs Messer. Und wie geht’s dir?“

„Gut. Viel zu tun. Ich freue mich auf dich. Auf euch alle vier. Wisst ihr schon, wann ihr ankommt?“

„Unsere Flüge landen innerhalb von einer Stunde. Sam und ich treffen uns in Chicago und fliegen zusammen nach Sacramento. Trent und Jeff kommen von Dallas. Wir werden gegen Mittag da sein.“

„Dann kümmere ich mich ums Mittagessen.“ Oder ich lasse etwas bringen.

„Kochst du selbst? Bist du eine brave kleine Ehefrau geworden?“

Warum versetzte ihr seine Frage einen Stich ins Herz? „Alter Macho! Es gibt Sandwiches.“

„Klingt gut. Am Samstagabend werden wir das junge Glück zum Essen ausführen.“

„Prima. Ich werde Gavin bitten, einen Tisch zu reservieren.“

„Ah, jetzt hat er endlich einen Namen.“

Von ihrem geheimnisvollen Freund hatte sie immer nur als „Doc“ gesprochen. Es war zu einem „Running Gag“ geworden, obwohl ihre Brüder zunehmend irritierter reagierten, weil sie ihnen den Namen ihres vermeintlichen Mannes nicht verriet.

„Und der Nachname?“, wollte Eric wissen.

„Den verrate ich nicht. Nachher schnüffelst du noch bei Google oder Facebook rum. Wenn du ihn kennenlernst, kannst du dir selbst ein Bild machen.“

„Spielverderberin. Apropos Bild: Wir sind gespannt auf deine Hochzeitsfotos. Du hast uns nämlich keine geschickt oder gemailt.“

Becca erstarrte. „Klar“, stammelte sie.

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann fragte Eric: „Bist du glücklich, Bec?“

„Ja.“ Abgesehen von den Lügen und der Komödie und der Tatsache, dass sie einen Mann attraktiv fand, der für eine Beziehung nicht zur Verfügung stand. „Sei nicht zu streng mit Gavin, ja? Die heimliche Hochzeit war meine Idee.“

„Aber er hat mitgemacht.“

Der Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Er würde alles für mich tun, Eric. Ist es nicht das, was du immer gewollt hast?“

Er seufzte. „Na klar.“

„Dann freu dich für mich.“

Als sie den Hörer auflegte, fühlte sie sich ganz elend. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen?

Nachdem die Gewissensbisse etwas abgeklungen waren, richtete sie sich entschlossen in ihrem Stuhl auf. Irgendwie würde sie das Wochenende schon überstehen – und die Lüge auch. Schließlich hatte sie diese Entscheidung aus einem sehr guten Grund getroffen. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück.

Allerdings hatte sie es nun mit einer anderen verzwickten Situation zu tun. Nachdenklich trommelte sie auf die Schreibtischplatte. Schließlich rief sie Gavin auf dem Handy an. „Es gibt ein neues Problem“, verkündete sie.

„Wahrscheinlich das erste von vielen“, meint er trocken.

„Ich habe gerade mit Eric gesprochen. Er möchte Bilder von unserer Hochzeit sehen.“

Ein langes Schweigen entstand. „Na gut. Such dir ein passendes Kleid aus. Ich kümmere mich um den Rest. Sonntagmittag hole ich dich ab.“

Für eine Frau, die es gewohnt war, selbst zu entscheiden, gab sie überraschend schnell nach. „Danke, Gavin. Vielen Dank.“

„Das kann man von einem treu sorgenden Ehemann doch wohl erwarten.“

Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. „Was haben Sie denn … was hast du denn am Wochenende vor?“

„Einiges. Bis Sonntag dann.“

„Gavin“, sagte sie rasch, ehe er auflegen konnte.

„Was denn?“

„Falls du vorhaben solltest, dir die Haare schneiden zu lassen … tu’s bitte nicht.“ Vielleicht ergab sich die Gelegenheit für sie, mit den Fingern durch sein Haar zu fahren, solange sie „verheiratet“ waren.

Sie spürte sein Zögern.

„Für die Hochzeitsfotos sollte ich so gut wie möglich aussehen“, wandte er ein. „Die werden ein Leben lang existieren.“

„Ich denke, deine Frisur passt zu einem menschenfreundlichen, selbstlosen Doktor.“

Er lachte leise. Als sie es hörte, hatte sie das Gefühl, ihre Körper würden sich berühren. Sie mochte ihn viel zu sehr.

„Und ich denke, dieses Opfer kann ich für meine Frau bringen.“

„Danke“, wiederholte sie. Allmählich nutzte sich das Wort etwas ab. „Wenn dir irgendetwas einfällt, das ich tun kann, lass es mich bitte wissen, ja?“

„Sieh einfach wie eine Braut aus. Ich kümmere mich um den Rest. Und entspann dich, okay? Alles wird gut.“

„Es fällt mir nicht leicht, die Kontrolle abzugeben“, gestand sie.

„Lass einfach locker, Becca. Kontrolle ist ohnehin eine Illusion. Konzentrier dich lieber auf den Spaß.“

War das etwa seine Philosophie? War er deshalb mit Zeitarbeit zufrieden und strebte gar keine Karriere an? Warum konnte sie nicht auch so sein wie er? Nun ja, ein bisschen so wie er. Schließlich konnte sie ihren Beruf nicht so einfach an den Nagel hängen. Dafür hatte sie zu viel investiert.

„Du hast gewonnen“, gab sie zu. „Sieh zu, dass es nicht zu teuer wird.“

„Bis später.“ Er legte auf, ehe sie sich von ihm verabschieden konnte.

Sieh aus wie eine Braut, hatte er gesagt. Im Geiste ging sie ihren Kleiderschrank durch, fand aber nichts Passendes. Sie würde einkaufen gehen müssen. Normalerweise tat sie das immer mit Suki, aber sie wollte möglichst keine weiteren Menschen in ihre Pläne einbeziehen. Eric würde sich ohnehin wundern, warum Suki nicht bei der Hochzeit ihrer besten Freundin gewesen war.

Eine Hochzeit ohne Hochzeitsreise.

Irgendwie schien das nicht fair zu sein.

Sie lachte. Entspann dich, hatte Gavin ihr geraten. Leichter gesagt als getan. Dann riss sie sich zusammen und konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Irgendjemand musste ja schließlich das Geld in dieser Beziehung verdienen.

„Wie bist du denn auf diesen Ort gekommen?“, fragte Becca, als sie am Sonntagnachmittag nach einer zweistündigen Fahrt auf den Parkplatz am Lake Tahoe rollten.

„Durchs Internet“, antwortete Gavin. Glücklicherweise sah die Hochzeitskapelle genauso aus wie auf dem Bild. Sie war die neueste in der Gegend, und er hoffte, dass sie auch die schönste war – und dass die Betreiber Diskretion wahrten.

„Sie haben also nichts dagegen, dass wir hier nur Bilder machen?“, wunderte sie sich. „Wie hast du das denn geschafft?“

„Mit Geld ist alles möglich. Die Zeremonie kostet ein paar Hundert Dollar – ohne die Formalitäten. Ist gar nicht so teuer.“ Er stellte den Motor ab und schaute sie an. In ihrem eleganten weißen Seidenkleid mit dem Rock, der kurz oberhalb des Knies endete, und den hochhackigen Schuhen sah sie wundervoll aus – süß und sexy.

„Die Unkosten werde ich dir natürlich erstatten.“ Sie lehnte sich zu ihm und kämmte seine Haare mit den Fingern. Fast wäre er zurückgezuckt. „So.“ Sie nahm die Hand fort und betrachtete ihn prüfend. „In deinem dunklen Anzug und dem weißen Hemd siehst du sehr ehemännlich aus. Und sehr gut.“

Die Unterhaltung wurde zu ernsthaft – für seinen Geschmack. Deshalb beugte er sich nach hinten und nahm eine Schachtel vom Rücksitz. „Dein Strauß.“

„Für mich?“ Ihre Augen glänzten, und ihre Wangen röteten sich leicht.

Ich habe sie tatsächlich überrascht, stellte er erfreut fest.

„Das ist ja fantastisch.“ Sie vergrub die Nase in den Strauß mit weißen und rosafarbenen Rosen und sog den betörenden Duft ein. „Du hast wirklich an alles gedacht. Vielen Dank.“

Ihre Reaktion erfüllte ihn mit einem Glücksgefühl, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Er bat sie, ihm eine Rose ans Revers zu stecken, und während sie seine Bitte mit äußerster Konzentration erfüllte, hätte er sie am liebsten geküsst. Als sie mit ihrer Aufgabe fertig war, tätschelte sie seine Brust. Rasch zog sie die Hand zurück, als wäre sie einen Schritt zu weit gegangen.

„Wir müssen verheiratet aussehen“, erinnerte er sie. „Das heißt, wir müssen uns berühren.“

„Vor anderen Leuten vielleicht. Aber doch nicht, wenn wir allein sind.“

„Wir sollten uns daran gewöhnen, damit es ganz normal für uns ist.“ Natürlich war es nur eine Entschuldigung, um sie anzufassen, aber sein Vorschlag war durchaus vernünftig.

„Du bist sehr umsichtig, Gavin.“

Nein. Ich bin total scharf auf dich. Was hätte sie wohl darauf geantwortet? „Bereit?“, fragte er.

Sie warf einen Blick auf das Gebäude und holte tief Luft. „Bereit.“

Er hielt ihre Hand, als sie eintraten. Die Innenausstattung der Kapelle war in dunklen Tönen gehalten; die Bänke für die Hochzeitsgäste waren mit seidenen Kissen gepolstert. An der Stirnwand prangte ein deckenhohes Gemälde von Lake Tahoe und der Sierra Nevada – ein schönes Motiv für Fotografen, die während und nach der Zeremonie ihre Aufnahmen machen konnten.

„Mr. Callahan?“ Ein schlanker Mann mit weißem Haar näherte sich ihnen. „Ich bin Reverend Sorbo.“

„Danke, dass Sie uns noch in Ihrem Terminplan unterbringen konnten, Reverend. Das ist Miss Sheridan.“

Der Mann nickte. „Es ist alles vorbereitet. Folgen Sie mir bitte.“

Für die ersten Aufnahmen taten Gavin und Becca so, als sprächen sie den Treueeid, während der Reverend vor ihnen stand. Dann fragte er: „Und die Ringe?“

Becca warf Gavin einen Blick zu. „Oh, die haben wir …“

„Hier“, unterbrach er sie, griff in seine Tasche und holte zwei Ringe mit einem wellenförmigen Muster hervor. Einer war mit Diamantsplittern verziert.

Ihre Hand zitterte leicht, als er ihr den Ring über den Finger streifte. Der Fotograf kam näher, um den Moment festzuhalten. Auch Gavin war nervös – was wahrscheinlich nur daran lag, dass er die Lüge damit quasi untermauerte.

Bisher hatte er diesen Gedanken verdrängt, aber nun, da er Becca einen Ehering an den Finger steckte, wurde die Flunkerei sozusagen dokumentiert. Dabei war die Ehe nun wirklich keine Institution, mit der man seinen Spaß treiben sollte.

„Und jetzt kommt der Kuss“, sagte Reverend Sorbo.

Gavin ergriff ihre Hand. Ihre Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen. Er beugte sich zu ihr und berührte ihre Lippen. Sie zitterten leicht. Die Kamera klickte ein paarmal, dann löste er sich von ihr.

„Das können Sie aber bestimmt besser, junger Mann.“ Der Reverend lächelte. „Sie wissen doch – ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“

„Bist du bereit?“, flüsterte er Becca zu.

Sie nickte. Er kam näher, legte den Arm um sie und hielt diese Pose eine Weile für den Fotografen. Sie lachte überrascht und unsicher, und dann küsste er sie. Sie lächelte nicht mehr, sondern begann, seinen Kuss zu erwidern, und er genoss ihren Geschmack und das leise Seufzen …

Die Welt rings um Becca versank. Sie spürte nur noch seine weichen Lippen, seinen kräftigen Arm, mit dem er sie festhielt, den schwachen Duft seines Rasierwassers.

Der aufregendste Kuss meines Lebens. Der Gedanke nahm immer mehr Konturen an, während das Begehren, das er in ihr auslöste, wuchs. Ihr wurde ganz heiß, und sie befürchtete, ihre Knie könnten nachgeben. Aber er hielt sie so lange fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

„Das war schon viel besser“, lobte der Reverend.

Für das offizielle Hochzeitsfoto stellten Becca und Gavin sich vor das Gemälde. Am Ende überreichte man ihnen eine CD mit ihren Bildern, und sie waren entlassen.

Im Auto schwiegen sie erst einmal eine Weile.

„Ich kümmere mich um die Abzüge“, sagte Gavin schließlich.

„Gut.“ Becca fühlte sich verheiratet. Dabei war alles doch nur eine Komödie gewesen. Sie hatten nicht einmal eine Urkunde. Und es hatte auch keine Freundschaft, keinen Antrag, keine Verlobungszeit gegeben.

Trotzdem kam sie sich verheiratet vor.

Verstohlen betrachtete sie den Ring an ihrem Finger.

„Sie sind nur geliehen“, erklärte er, während er den Motor des Sportwagens startete. Dafür, dass der auch nur gemietet war, fühlte Gavin sich erstaunlicherweise sehr wohl darin.

„Die Ringe sind fantastisch.“ Da ihm ihr Blick nicht entgangen war, streckte sie die Hand aus, um ihn besser betrachten zu können. „Du hast wirklich an alles gedacht.“

„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“

„Oh ja, bitte.“

„Ich habe im Internet eine Hochzeitsseite entdeckt und einfach nur deren Checkliste abgearbeitet.“

Gott war er hinreißend! Am liebsten wäre sie mit der Hand durch sein Haar gefahren und hätte ihn geküsst. Stattdessen lächelte sie nur.

„Bist du hungrig?“, fragte er.

„Mein Appetit ist zurückgekommen.“ Wie aufs Stichwort begann sich ihr Magen zu melden. Lachend legte sie die Hand auf den Bauch.

„Für die Kasinos sind wir ein bisschen zu fein angezogen.“ Er rollte vom Parkplatz und fuhr Richtung Süden.

„Wen kümmert das schon? Mir würde es nichts ausmachen, so essen zu gehen und anschließend einen Spielautomaten zu füttern. Ich habe das Gefühl, heute ist mein Glückstag.“

Das Hochzeitsbouquet ließen sie im Wagen liegen. Dennoch wurden sie von der Kellnerin für Frischvermählte gehalten und an einen Tisch in einer ruhigen Ecke gesetzt. Sie nahm ihre Getränkebestellung entgegen und verschwand mit einem Augenzwinkern.

Becca überlegte, ob sie Gavin etwas Bargeld zuschieben sollte. Julia würde ihm die Höhe seines Honorars für das Wochenende genannt haben, aber er hatte ja auch Dinge bezahlt, die Becca benötigte. Sie wollte ihm die Kosten erstatten.

Das hier jedoch war etwas anderes. Keine diskrete Banküberweisung sondern Scheine, die von Hand zu Hand wanderten.

Die Kellnerin stellte zwei Eistees auf den Tisch und sie bestellten Minestrone und zwei mit Schinken, Salat und Tomaten belegte Sandwiches.

„Magst du Glücksspiele?“, wollte Becca von Gavin wissen, als sie wieder allein waren.

„Nicht besonders. Aber ich gucke dir gern beim Spielen zu. Es sei denn, du tust das lieber allein.“

„Das sähe aber merkwürdig aus, findest du nicht? Schließlich sind wir doch frisch vermählt.“ Sie trank einen Schluck von ihrem Tee. „Ich würde mir ein Limit von fünfzig Dollar setzen.“

„Verlierst du viel?“

„Ich habe erst ein paarmal gespielt – meistens auf Junggesellinnen-Abschiedspartys. Aber ich bin noch nie mit mehr nach Hause gegangen, als ich eingesetzt habe. Wie ist es mit dir?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich gewinne meistens. Aber ich spiele nicht am Automaten, sondern Blackjack.“

Becca wischte das Kondenswasser von ihrem Glas. Auf der Fahrt hatten sie über ihre Kindheit gesprochen, aber ihr war aufgefallen, dass sie mehr erzählt hatte als er. War das seine Absicht gewesen?

„Du hast deine Schwestern erwähnt, Gavin. Sind sie älter oder jünger?“

Er zog sein Handy hervor und zeigte ihr ein Foto mit zwei Frauen und einem Baby. „Dixie ist drei und Shana fünf Jahre jünger als ich. Dix hat vor Kurzem geheiratet. Sie und ihr Ehemann sind gerade auf Hochzeitsreise.“

„Und Shana?“

„Sie ist alleinerziehend. Das da ist ihre Tochter Emma. Sie ist jetzt neun Monate.“

„Habt ihr euch als Kinder gut verstanden?“

Er steckte das Handy in die Tasche zurück. „Dix und ich schon. Shana hat immer ihr eigenes Ding gemacht. Trotzdem fühlten wir uns ziemlich verbunden, weil unsere Eltern eigentlich nie richtige Eltern waren. Als Kinder haben wir gegenseitig auf uns aufgepasst. Ein so enges Verhältnis wie du und deine Brüder haben wir jedoch nicht.“

„Eure Eltern haben sich nicht um euch gekümmert?“ Das konnte sie sich gar nicht vorstellen. Ihre waren immer für sie da gewesen.

„Nicht wirklich. Einerseits waren sie sehr streng. Sie stellten die Regeln auf und erwarteten von uns, dass wir uns daran hielten. Aber ansonsten waren wir uns selbst überlassen. Wenn wir etwas Verbotenes getan haben, wurden wir ziemlich hart bestraft. Ich habe vor allem gelernt, mich nicht erwischen zu lassen.“

Das Essen wurde serviert. Es duftete köstlich.

„Ich bin immer erwischt worden“, seufzte sie. „Wenn nicht von meinen Eltern, dann von einem meiner Brüder. Dafür habe ich die Freiheit genossen, als ich auf dem College war. Ich bin dauernd auf Partys gewesen, habe kaum geschlafen und meine Seminararbeiten erst im letzten Moment abgegeben. Erst im zweiten Semester habe ich mich an die Kandare genommen.“ Sie grinste verschmitzt. Auf dem College hatte es ihr sehr gut gefallen. „Hast du auch studiert?“

„Ja. Aber ich war ein Arbeitstier. Außerdem habe ich immer nebenbei gejobbt. Am Ende des Studiums hatte ich keine Schulden.“

„Das ist eine tolle Leistung. Was hast du denn studiert?“

„Biologie – und im Nebenfach Biochemie.“

„Ziemlich schwere Brocken.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das Essen ist köstlich, findest du nicht?“

Becca merkte, dass er das Thema wechseln wollte. „Du hast gesagt, dass du zuvor in einem Krankenhaus gearbeitet hast. Was hast du denn da gemacht?“

Da er gerade den Mund voll hatte, konnte er nicht sofort antworten. „Was immer so anfiel. Ich war im Labor oder auf der Röntgenstation und sogar im OP.“

Eine ausweichende Antwort. „Bist du denn im Moment auf Arbeitssuche?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ich brauchte eine Pause.“

Kurze Antworten, bei denen er ihr nicht in die Augen schaute. Er wollte also nicht darüber reden. Eine Weile aßen sie schweigend. Dann hielt sie es nicht länger aus.

„Warum arbeitest du für die Vermittlungsagentur?“

„Wie ich schon gesagt habe – ich bin im Moment arbeitslos. Deshalb hat meine Schwester mich ja gefragt, als das Angebot von der Agentur kam. Sie glaubte, das könnte etwas für mich sein. Auf der Highschool war ich nämlich in der Theatergruppe“, fügte er grinsend hinzu.

„Wohnst du in Sacramento?“

„San Francisco.“ Er nahm die Rechnung, die die Kellnerin auf den Tisch gelegt hatte, ehe Becca danach greifen konnte.

„Pendelst du immer hin und her?“ Die Fahrt dauerte etwa eineinhalb Stunden – zu lange, um sie zweimal am Tag zu bewältigen.

Statt zu antworten, stand er auf. „Komm. Wir wollen sehen, wie viel Glück du heute hast.“

Er bestand darauf, das Essen zu bezahlen. Dann ergriff er ihre Hand und fuhr mit ihr im Aufzug ins Kasino. Über den Lärm der Spielautomaten hinweg fragte sie ihn: „Hast du vor, jeden Tag von San Francisco hierher zu fahren?“

„Nein.“ Amüsiert schaute er sie an.

„Wo wohnst du denn?“

„Ich habe eine Unterkunft.“ Er zog sie zu einer Reihe von Spielautomaten.

„Du kannst mir nichts vormachen, Gavin Callahan.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Was meinst du damit?“

„Du hast mir keine ehrliche Antwort gegeben. Oh ja, du hast von einer Unterkunft geredet, aber das kann natürlich alles Mögliche bedeuten. Ich nehme an, du hast ein Zimmer in einem Hotel gebucht. Aber das kann ich nicht zulassen.“ Vor allem nicht, wenn er ihr während der Woche helfen wollte. „Du bist raffiniert.“

Er lachte.

Sie liebte dieses Lachen. „Du kannst bei mir wohnen. Es wäre sowieso leichter. Als Erstes kaufst du morgen früh ein Bett für das Gästezimmer. Heute Abend schlafe ich auf der Couch.“

„Vielen Dank, aber das ist nicht nötig. Ich passe gerade auf das Haus von Freunden auf. Selbst wenn ich bei dir bleiben wollte, könnte ich es nicht.“

„Ach so. Na gut.“ Die Enttäuschung traf sie wie ein Hammerschlag. Die Vorstellung, ihn nachts in ihrer Nähe zu haben, war zu verführerisch gewesen.

„Komm schon. Versuch dein Glück.“ Noch ehe sie länger über seine Ablehnung nachdenken konnte, hatte er bereits eine Zwanzigdollarnote in den nächsten Automaten geschoben und klopfte auffordernd mit der Handfläche auf den Hocker.

Es passierte beim achten Zug – Dreier, Dreier, Dreier, Jackpot! Das Klimpern der Geldstücke im Münzschacht klang fast wie Musik. „Wie viel habe ich gewonnen?“, wollte sie wissen.

„Fünfzehnhundert Dollar.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass heute mein Glückstag ist!“, rief sie über den Lärm der Stimmen und Maschinen hinweg. Spontan umarmte sie ihn. Nach einer Weile erwiderte er die Umarmung und streichelte Becca über die untere Rückenpartie – eine Berührung, bei der ihr sofort ganz heiß wurde. Nur zögernd löste sie sich von ihm, als ein Kasinoangestellter auftauchte, um ihr den Gewinn auszuhändigen.

„Für deine Auslagen.“ Becca faltete die Scheine zusammen und wollte sie in die Innentasche seines Jacketts stecken, aber sie war zugenäht. Er grinste herausfordernd und schaute vielsagend zu seinen Hosentaschen hinunter.

Becca zögerte kurz. Doch der Blick in seinen Augen machte sie kühn. Sie lehnte sich an ihn, tastete nach einer Tasche und stopfte die Geldscheine tief hinein …

Gavin hielt den Atem an. Einerseits mochte er ihre Kühnheit, andererseits war er sich bewusst, dass sie mit dem Feuer spielten. Sie mussten zwar den Anschein erwecken, verheiratet zu sein, aber wenn sie in diesem Tempo weitermachten, würde wer weiß was noch passieren, bis ihre Brüder bei ihr auftauchten.

Entweder würden sie nicht mehr voneinander lassen können oder so frustriert sein, dass sie sich wegen jeder Kleinigkeit in die Haare gerieten.

Nur gut, dass er diese Nacht nicht bei ihr bleiben konnte. Andererseits gefiel ihm auch das Alleinsein nicht besonders.

„Die Hochzeitssuite ist frei“, raunte ihnen eine der Kellnerinnen vielsagend im Vorbeigehen zu.

Lächelnd trat Becca einen Schritt zurück. „Ich folge nur deinen Anordnungen. Du hast gesagt, ich soll mich wie eine Ehefrau benehmen.“

„Eine echte Ehefrau hätte die Scheine in ihre Handtasche gesteckt.“

Sie lachte. „Okay, ich bin hier fertig. Was ist mit dir?“

„Das ist alles? Willst du es nicht noch mal versuchen? Bei deiner Glückssträhne?“

„Ich weiß, wann ich aufhören muss.“

Er ergriff ihre Hand und führte sie zum Ausgang, der zum Parkdeck führte. „Ich habe dich für risikofreudiger gehalten.“

„Man hat mich zur Geschäftsführerin gemacht, weil ich mit Geld umgehen kann. Ich überschreite nie mein Budget – weder geschäftlich noch privat. Das ist das Geheimnis meines Erfolgs.“ Sie verstärkte ihren Händedruck. „Danke, dass du dich heute um alles gekümmert hast. Und dass du so ein feiner Kerl bist. Ich …“

„Becca?“ Zwei junge Männer stellten sich Gavin und Becca in den Weg. Ihre Haare waren zerzaust, und ihre verwaschenen T-Shirts, zerrissenen Jeans und ausgelatschten Turnschuhe schienen aus der Altkleidersammlung zu stammen. Gavin hatte den Eindruck, dass es sich um Penner handelte.

4. KAPITEL

Becca war so verblüfft, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Gavins Blick wanderte zwischen ihr und den beiden Männern hin und her, die sie neugierig musterten. Verlegen ließ sie Gavins Hand los.

Da Becca schwieg, stellte er sich selbst vor. „Hi, ich bin Gavin.“

„Jacob“, sagte der Lange.

„Morgan“, fügte der andere hinzu. „Wir sind Kollegen von Becca. Wir kennen uns seit der Schulzeit. Ich habe dich noch nie so schnieke gesehen, Bec.“

„Wir kommen gerade von einer Hochzeit“, erklärte sie. „Was macht ihr denn hier?“

„Wir haben an einem Vierundzwanzig-Stunden-Pokerturnier teilgenommen. Texas hold’ em“, antwortete Jacob.

„Und wie wart ihr?“, wollte sie wissen.

Beide grinsten. „Ganz okay“, antwortete Morgan. „Chip hat ganz groß abgeräumt.“

„Unser Chip?“ Sie wandte sich an Gavin. „Er ist unser Boss und Geschäftsführer.“

„Craig ist auch hier.“ Suchend sah Jacob sich um. „Und …“

„Becca!“, rief eine Frau mit schwarzem Pferdeschwanz. Sie stürzte sich auf Becca und umarmte sie. Interessiert schaute Gavin zu.

„Das ist Suki.“ Becca fühlte sich immer unbehaglicher. „Meine beste Freundin.“

Weitere Leute gruppierten sich um sie. Gavin schüttelte Hände und ließ die neugierigen Blicke über sich ergehen. Beccas Kollegen schienen alle gleichaltrig zu sein. Er erinnerte sich daran, was Becca ihm erzählt hatte. Sie hatten sich beim Studium der Betriebswirtschaft kennengelernt und nach dem Abschluss sofort ihre Firma gegründet. Und alle waren sie nach Sacramento gezogen.

Chip, der Boss, gesellte sich ebenfalls zu ihnen. Er sah nicht ganz so verwegen aus wie die anderen. Zwar trug auch er Jeans, aber dazu ein Jackett, und sein Haar war kurz geschnitten.

Gavin hatte Lake Tahoe statt Reno für die vorgetäuschte Hochzeit ausgewählt, weil Reno zu nahe an seiner Heimatstadt lag und die Gefahr dort größer gewesen wäre, Bekannten über den Weg zu laufen. Dabei hatte er nicht berücksichtigt, dass Becca in die gleiche Situation geraten könnte. Jetzt fühlte er sich verantwortlich für die Zwickmühle, in der er sie steckte.

Sie erzählte Chip die gleiche Geschichte wie den anderen – dass sie gerade von einer Hochzeitsgesellschaft gekommen waren.

„Warum waren wir nicht eingeladen?“, wollte Chip wissen.

Sie runzelte die Stirn. „Warum sollte ich …“

Sie verstummte, als Gavin ihre Hand fest umklammerte. Offenbar war ihr nicht aufgefallen, was er sofort bemerkt hatte – dass Chip ihren Ehering betrachtete. Die anderen hatten ihn noch nicht entdeckt.

„Es war eine spontane Entscheidung. Meine Schuld“, erklärte Gavin. Er verschränkte seine Finger mit ihren, sodass sie seinen Ring berührte. „Ich bin altmodisch. Eins nach dem anderen.“ Sollen sie doch denken, was sie wollen.

„Und offenbar auch ungeduldig“, meinte Chip, als die anderen verstummten – auch die Frau, die Suki hieß. Als Beccas beste Freundin hätte sie doch etwas sagen müssen. War das etwa ein verabredetes Treffen?

„Ich habe mich nicht sehr gewehrt.“ Becca warf ihm einen verliebten Blick zu. Es beunruhigte sie, dass sie sich gar nicht verstellen musste.

„Dann wollen wir euch zum Essen einladen“, schlug Chip vor. Die anderen stimmten begeistert zu.

„Wahrscheinlich wollen sie allein sein“, wandte Suki augenzwinkernd ein und schaute Becca mit einem Gesichtsausdruck an, den Gavin nicht entziffern konnte.

„Seid ihr in den Flitterwochen?“, wollte Morgan wissen.

„Noch nicht“, antwortete Becca. „Ich muss noch den Deal mit Keller-Magnuson unter Dach und Fach bringen. Gavin kriegt im Moment auch nicht frei.“

„Genau“, pflichtete Gavin ihr bei.

„Was machen Sie denn beruflich?“, fragte Chip.

„Ich bin Arzt. Gynäkologe und Geburtshelfer.“

Alle starrten Becca an, die knallrot wurde. Sie lächelte verlegen.

„Aber dann fahrt doch wenigstens morgen“, schlug Chip vor. „Das ist eine dienstliche Anweisung.“

„Ich kann nicht. Die Telefonkonferenz ist morgen ganz früh. Ihr wisst, dass sie andere Angebote haben. Es ist unsere einzige Chance.“

„Vielleicht könnten Sie ihr morgen früher freigeben.“ Gavin gab sich Mühe, wie ein frisch verliebter Ehemann auszusehen.

„Gleich nach der Telefonkonferenz werde ich sie hinauswerfen“, versprach Chip. Dann wandte er sich an seine Kollegen. „Und jetzt kommt. Ich gebe das Essen aus.“

Sie verabschiedeten sich. Ehe sie sich trennten, nahm Chip Gavin beiseite. „Vielleicht können Sie dafür sorgen, dass sie ein bisschen kürzertritt.“

Gavin zwinkerte ihm zu. „Dafür werde ich sorgen. Versprochen!“

Schweigend ging er mit Becca zum Parkplatz. Sie sprachen erst wieder, als sie im Wagen saßen.

„Wieso ausgerechnet Gynäkologe und Geburtshelfer?“

Er verkniff sich ein Grinsen. „Du wolltest doch einen Arzt haben.“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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