Julia Collection Band 141

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

IM STURM VERFÜHRT von MAYA BLAKE
Als eines seiner Schiffe sinkt, kämpft Sakis Pantelides gegen eine drohende Katastrophe an. Und gegen sein Verlangen. Denn Seite an Seite mit ihm kämpft Brianna, seine atemberaubende Assistentin. Er ahnt nicht, dass sie eine Gefahr ist. Für sein Unternehmen - und für sein Herz!

BIS ANS ENDE DER NACHT … von MAYA BLAKE
Für eine Nacht hat Arion Pantelides all seine Prinzipien über Bord geworfen - wegen einer faszinierenden Fremden. Doch als der Tycoon sie wiedersieht, weicht seine glühende Sehnsucht kaltem Zorn. Denn Perla ist die Witwe des Mannes, der ihn um ein Vermögen gebracht hat …

VERFÜHRT VON DEM ERZFEIND von MAYA BLAKE
Theo Pantelides hat nur das eine Ziel: Rache! Praktisch, dass ihm Inez da Costa, die Tochter seines Erzfeindes, in Rio direkt in die Arme läuft. Jetzt wird er seinen Triumph genießen - mit Inez in seinem Bett! Nur kostet ihn seine Eroberung mehr, als er je für möglich hielt …


  • Erscheinungstag 10.01.2020
  • Bandnummer 141
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715311
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maya Blake

JULIA COLLECTION BAND 141

1. KAPITEL

„Komm schon, Ari, gib mal ein bisschen Gas! Obwohl mich eigentlich nicht überrascht, dass du schlappmachst, während ich mich hier abrackere!“

Sakis Pantelides zog gleichmäßig die Ruder durch das aufgewühlte Wasser und genoss den Adrenalinrausch, der durch seinen Körper schoss. „Und hör auf, zu jammern, alter Mann! Ist doch nicht meine Schuld, wenn dir die Jahre allmählich zu schaffen machen.“ Er grinste, als er seinen Bruder genervt durch die Zähne zischen hörte.

In Wahrheit war Ari nur zweieinhalb Jahre älter, doch Sakis ließ keine Gelegenheit aus, ihn wegen des Altersunterschieds aufzuziehen. Und dieser sprang immer wieder darauf an.

„Keine Angst, Theo wird dir beim nächsten Ruderwettbewerb schon aus der Klemme helfen, damit du dich nicht so anstrengen musst“, setzte Sakis nach.

„Theo wird zu sehr damit beschäftigt sein, den anwesenden Ladys seine Muskeln zu zeigen“, spottete Ari. „Mir ist schleierhaft, wie er es bei dieser ganzen Angeberei jemals geschafft hat, fünf Weltmeistertitel zu holen.“

Zufrieden stellte Sakis fest, dass er seinen inneren Ruderrhythmus trotz der monatelangen Pause von seinem Lieblingssport nicht verloren hatte. Und das Gespräch über seinen jüngeren Bruder machte ihm richtig Spaß.

„Stimmt“, antwortete er Ari lachend. „Er hat sich immer mehr um sein Aussehen und die Damenwelt geschert als um irgendetwas anderes.“

Synchron mit seinem Bruder ruderte er weiter, und inzwischen brachten sie das Wasser dabei kaum noch in Aufruhr. Sie passierten die Markierung in der Mitte des Sees, den der exklusivste Ruderclub Londons für seine Zwecke nutzte, und Saki fühlte sich nach dem ersten Adrenalinschub von Frieden und Ruhe erfüllt.

Sein letzter Besuch im Club war lange her, obwohl sich der Sport als perfekte Gelegenheit herausgestellt hatte, die Brüder näher zusammenzubringen. Sozusagen gemeinsam in einem Boot zu sitzen. Die gnadenlosen Terminkalender ihrer drei Firmenbereiche von Pantelides Inc. erlaubten es ihnen kaum, privat noch Zeit miteinander zu verbringen. Immer seltener schafften sie es, sich überhaupt in derselben Zeitzone aufzuhalten. Auch dieses Mal hatte Theo kurzfristig abgesagt, weil er sich in Rio de Janeiro um eine Krise von globalem Ausmaß kümmern musste.

Möglicherweise hatte Theo auch gänzlich andere Gründe für seine Absage. Ihm – als erklärtem Playboy – wäre durchaus zuzutrauen, Tausende von Kilometern zu fliegen, nur um mit einer schönen Frau schick essen zu gehen.

„Wenn ich herausfinde, dass er uns versetzt hat, um irgendeinem Rock nachzujagen, werde ich seinen Jet für wenigstens einen Monat konfiszieren“, schwor Sakis.

Ari schüttelte den Kopf. „Kannst du ja gern versuchen, aber wahrscheinlich würde er dir den Kopf abreißen, wenn du dich zwischen ihn und eine seiner Angebeteten stellst. Wo wir gerade von Frauen sprechen, wie ich sehe, hat sich deine endlich mal von ihrem Computer losgeeist …“

Sakis durchfuhr ein heißer Blitz, trotzdem änderte er seinen Bewegungsrhythmus nicht. Doch als er über Aris Schulter hinweg zum Ufer blickte, hätte er um ein Haar seinen nächsten Ruderschlag verpasst. Nur seine antrainierte Disziplin verhinderte, dass er sich aus dem Konzept bringen ließ. Und diese eiserne Disziplin war auch verantwortlich dafür, dass er einen Weltmeisterschaftstitel mehr als seine beiden Brüder errungen hatte.

„Lass uns eines klarstellen!“, brummte er. „Sie ist nicht meine Frau!“

Seine persönliche Assistentin Brianna Moneypenny stand neben seinem Wagen. Das allein war überraschend, denn normalerweise zog sie es vor, sich im Inneren der Limousine aufzuhalten und stets einen Finger am Puls der Tagesgeschäfte zu haben.

Noch beunruhigender fand Sakis allerdings ihren angestrengten Gesichtsausdruck. Seit seine supereffiziente Assistentin vor achtzehn Monaten ihre Stelle angetreten hatte, war ihre Miene kein einziges Mal nicht von eiserner Professionalität gezeichnet gewesen.

Aber heute wirkte sie …

In Sakis’ Magengegend breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Einerseits genoss er es, in Briannas Nähe zu sein, andererseits war er strikt dagegen, Berufliches und Privates miteinander zu vermischen. Außerdem hatte ihn das Leben auf die harte Tour gelehrt, seine Emotionen grundsätzlich für sich zu behalten. Alles andere führte unweigerlich zu Verletzungen, die empfindliche Narben hinterließen. Auf dieses dünne Eis würde er sich nie wieder begeben.

„Ich mache mir bloß Sorgen, mein lieber Bruder“, bemerkte Ari. „Sie sieht aus, als würde sie jeden Moment ins Wasser springen und herschwimmen. Oder dir ins Gesicht springen. Du hast doch wohl nicht komplett den Verstand verloren und mit ihr geschlafen?“

Sakis kniff die Augen zusammen und versuchte, trotz der Entfernung zu erkennen, was seine Assistentin auf dem Herzen hatte. „Keine Ahnung, was mit ihr los ist. Allerdings frage ich mich ernsthaft, weshalb dich mein Sexleben so brennend interessiert?“

Für ihn kam es überhaupt nicht infrage, Moneypenny in irgendeiner Form näherzukommen. Seit achtzehn Monaten ignorierte er schon die unerwünschten Reaktionen seines Körpers, wann immer er Zeit mit seiner Assistentin verbrachte, und beschränkte sich strikt auf neutrale Zusammenarbeit. Er hatte in seinem Leben zu viel Zeit damit vergeudet, sich aus den Klauen liebeskranker Frauen zu befreien.

Seine Ruderzüge wurden kräftiger, und sein Blick war auf Moneypenny fixiert. Ihre steife Haltung ließ seine Alarmglocken in den höchsten Tönen schrillen.

„Dann läuft da gar nichts zwischen euch beiden?“, wollte Ari wissen.

Ihr Boot hatte inzwischen den Landesteg erreicht, und Sakis warf seine Ruder beiseite. „Falls du mit dem Gedanken spielst, dich an sie heranzumachen, vergiss es gleich wieder! Sie ist die beste Assistentin, die ich je hatte, und wer mir das kaputtmacht, verliert augenblicklich einen elementaren Körperteil! Familienmitglieder büßen zur Strafe gleich zwei ein!“

„Beruhige dich wieder, Bruder! In diese Richtung habe ich doch gar nicht gedacht. Außerdem höre und sehe ich dir an, dass es um dich selbst längst geschehen ist“, fügte Ari lachend hinzu.

Sakis wünschte sich, sein Bruder würde dieses heikle Thema endlich fallen lassen. „Bloß weil ich ein Talent erkenne, bin ich nicht gleich rettungslos verliebt! Kehr mal lieber vor deiner eigenen Tür!“

Ari zog beide Brauen hoch. „Mein Assistent ist keine Frau, das dürfte also schwierig werden.“

„Ich habe Brianna Moneypenny eingestellt, weil sie klüger ist als all ihre Vorgängerinnen zusammen. Obendrein verteidigt sie meine beruflichen Interessen wie ein Rottweiler, und das ist alles, was mich interessiert.“

„Bist du ganz sicher? Denn ich entnehme deinen großen Worten eine gewisse Ehrfurcht, die man auch als Anbetung missverstehen könnte.“

Als ihm klar wurde, dass sein Bruder ihn nur auf die Schippe nehmen wollte, schnitt Sakis eine Grimasse. „Mach nur so weiter! Ich schulde dir ohnehin noch eine Narbe für die, die ich deiner Unvorsichtigkeit zu verdanken habe.“ Mit den Fingerspitzen berührte er die pfeilförmige, alte Verletzung über seiner rechten Augenbraue, die ihm Ari als Teenager mit einem Ruder verpasst hatte.

„Irgendjemand musste dir den Zahn ziehen, dass du der attraktivste von uns dreien bist“, verteidigte Ari sich grinsend und sah für einen Moment aus wie der unbeschwerte Draufgänger, der er gewesen war, bevor das Schicksal ihm so übel mitgespielt hatte. „Dein Rottweiler wartet jedenfalls ungeduldig auf dich. Sie sieht fast aus, als wollte sie gleich die Zähne fletschen.“

Brianna war näher gekommen und stand nun mit verschränkten Armen auf dem Anleger. Ihr Blick war fest auf Sakis gerichtet, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht wirkte angsteinflößend.

Er machte sich auf das Schlimmste gefasst, als sie ein Handtuch für ihn in die Höhe hielt. Das bedeutete nämlich, er würde nicht einmal mehr die Zeit haben, im Clubhaus zu duschen.

„Geh nur.“ Ari winkte ab. „Ich kümmere mich hier um unsere Ausrüstung, und ich werde mir auch alle Drinks, die wir vorhin schon geordert haben, allein genehmigen.“

Sakis ignorierte seinen Bruder und lief auf seine Assistentin zu. „Was ist los?“, fragte er angespannt, doch sie zögerte. „Spucken Sie es aus, Moneypenny!“

Es war nur ein winziges Zucken um ihre Mundwinkel, doch Sakis wusste, dass irgendetwas sie vollkommen aus der Ruhe gebracht haben musste.

„Mr. Pantelides, wir haben ein Problem“, begann sie, während er sich abtrocknete.

„Was für ein Problem?“

„Eines Ihrer Tankschiffe, die Pantelides Six, ist vor Point-Noire havariert.“

Trotz der sommerlichen Temperaturen lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. „Wann ist das passiert?“

„Ein Crewmitglied hat mich vor fünf Minuten über das Hauptbüro angerufen.“ Sie brach ab und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.

„Da ist noch mehr, oder?“

„Ja, leider. Der Kapitän und zwei Besatzungsmitglieder werden vermisst. Und …“

„Und was?“

Ihr Gesichtsausdruck wurde noch ernster. „Der Tanker hat einen Felsen gerammt und Leck geschlagen. Im Augenblick fließen laut unserer Berechnungen circa sechzig Barrel Öl pro Minute in den Südatlantik.“

Brianna würde niemals vergessen, was nach ihrer Hiobsbotschaft geschehen war. Äußerlich blieb Sakis Pantelides zwar ruhig und kontrolliert – ganz der souveräne Ölmilliardär, den sie nun schon seit achtzehn Monaten als verantwortungsbewussten Vorgesetzten kannte. Zu ihren außerordentlichen Fähigkeiten gehörte es, in anderen Menschen wie in einem Buch zu lesen. Und sein verkrampfter Kiefer, die geballten Fäuste und der schneeweiße Ring um seine Nase verrieten ihr, wie sehr ihn diese Nachricht traf.

Über die Schulter ihres Chefs hinweg sah sie Arion Pantelides mit besorgter Miene auf sich zukommen. Er war eine genauso imposante Erscheinung wie sein Bruder, groß und gut aussehend. Aber im Gegensatz zu Sakis’ messerscharfem Verstand, der sich in seinem stechenden Blick spiegelte, wirkte Arion beinah introvertiert.

„Ist schon bekannt, wodurch der Unfall verursacht wurde?“, wollte Sakis wissen.

Sie wandte sich ihm zu und schüttelte den Kopf. „Der Kapitän geht nicht an sein Handy. Seit der ersten Meldung ist es uns nicht gelungen, Kontakt zur Mannschaft herzustellen. Die Küstenwache ist schon auf dem Weg. Ich habe darum gebeten, dass man sich bei uns meldet, sobald sie am Unglücksort eingetroffen sind.“

Mit zügigen Schritten näherte er sich der Limousine, und Brianna eilte neben ihm her. „Unser Notfallteam steht bereit“, erklärte sie. „Sie fliegen los, sobald sie von Ihnen das Okay bekommen.“

Arion Pantelides holte sie ein. „Was ist denn genau passiert?“, wollte er wissen und legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter.

Mit knappen Worten schilderte Sakis das Problem, und Arion starrte Brianna entsetzt an. „Haben wir die Namen der vermissten Crewmitglieder?“

„Ich habe die vollständige Besatzungsliste auf die Handys von Ihnen beiden und von Theo geschickt. Zusammen mit einer Liste der verantwortlichen Minister, die wir für die Entscheidungsprozesse ins Boot holen müssen, um niemandem auf die Füße zu treten. Außerdem habe ich Telefontermine mit allen organisiert und einen vorläufigen Stundenplan erstellt.“

Sakis zog beeindruckt die Augenbrauen hoch, und Arion lächelte zögernd.

„Geh nur“, sagte er zu seinem Bruder. „Ich werde von hier aus tun, was ich kann. Wir sprechen in etwa einer Stunde noch mal, ja?“ Ein letztes Mal klopfte er Sakis auf die Schulter, dann entfernte er sich.

„Ich muss mit dem Präsidenten reden“, murmelte Sakis.

Brianna nickte. „Ich habe seinen Privatsekretär schon in der Leitung. Er stellt Sie durch, sobald Sie bereit sind.“

Automatisch fiel ihr Blick auf seine breite, tief gebräunte Brust und den Ausschnitt seines schweißnassen Hemds. „Sie müssen sich umziehen. Ich hole ein paar frische Sachen.“

Bevor er sich vor ihr entkleiden konnte, wandte sie sich schnell ab und öffnete den Kofferraum des Wagens. Eigentlich keine ungewöhnliche Situation, denn ihr Job kannte praktisch keinen Feierabend und keine Freizeit. Aber obwohl sie derart eng zusammenarbeiteten, hatte sie ihn noch nie komplett nackt gesehen.

Zum Glück, denn Sakis Pantelides verfügte über einen enormen Sexappeal. Da war es sicherer, sich jeden Gedanken an Sex aus dem Kopf zu schlagen und sich stattdessen auf Effizienz und Professionalität zu konzentrieren.

Als Sakis sich vor einigen Monaten zum ersten Mal vor ihr umgezogen hatte, war sie nach dem ersten Schreck doch ziemlich gut mit diesem aufreizenden Anblick fertiggeworden. Schließlich hatte sie sich hart darauf trainiert, nichts und niemanden an sich heranzulassen. Gefühle, Vertrauen und tiefergehende Emotionen waren nur der Beginn einer ernsthaften persönlichen Katastrophe.

Sie hatte gelernt, hartherzig zu sein, um nicht an ihrem Kummer und Elend zu ersticken. Die Alternative wäre gewesen, in ihrer eigenen Verzweiflung zu versinken.

Geflissentlich richtete sie also ihren Blick auf den glitzernden See, während sie ihrem Boss einen makellosen grauen Anzug mit frisch gebügeltem Hemd und Krawatte reichte. Danach holte sie Socken und schwarze Lederschuhe aus einer Extratasche.

Ich will seinen durchtrainierten Oberkörper gar nicht sehen, sagte sie sich immer wieder. Die feinen Härchen auf seiner Brust, die in einer feinen Linie im Bund seiner Shorts verschwanden. Die kräftigen Schenkel, mit denen er eine Frau mühelos unter sich gefangen halten konnte … Außerdem konnten seine Shorts kaum verbergen, wie ansehnlich sein …

Ein lautes Piepen meldete einen Anruf über das Autotelefon. Hastig stieg Brianna auf den Rücksitz und nahm das Gespräch entgegen.

„Pantelides Shipping“, meldete sie sich und griff nach ihrem Tablet-PC. Schweigend hörte sie dem Anrufer zu und fügte gleichzeitig ein paar neue Punkte zur aktuellen To-do-Liste hinzu. Nachdem sich Sakis zu ihr gesellt hatte, schnallte sie sich an und tippte dann weiter auf ihrem Gerät herum.

„Die einzige Antwort, die ich Ihnen momentan geben kann, ist: kein Kommentar“, sagte sie mit fester Stimme. „Nein, absolut nicht. Keine Redaktion wird von uns ein Exklusivinterview bekommen. Pantelides Shipping wird in knapp einer Stunde eine Pressemitteilung herausgeben, die Sie auch auf unserer Website finden können. Das ist die offizielle Stellungnahme, und falls es darüber hinaus Fragen geben sollte, können Sie sich gern an unsere Pressestelle wenden.“

„Boulevardblatt oder Mainstream-Medien?“, erkundigte sich Sakis, nachdem sie aufgelegt hatte.

Fleet Street. Sie wollten die Gerüchte, die sie gehört haben, bestätigt wissen.“

Das Telefon klingelte wieder, und Brianna ignorierte es, nachdem sie die Nummer identifiziert hatte. Es gab momentan wichtigere Gespräche, die Sakis zu führen hatte. Sie reichte ihm das Headset und stellte den Anruf durch, der seit zehn Minuten in der Warteschleife hing.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, als er endgültig in die Rolle des Großunternehmers schlüpfte. Er ließ sich eine Übersicht über die bisherigen Ereignisse reichen, dabei streiften seine Fingerspitzen Briannas Hand.

Sie zuckte zusammen, verdrängte die übertriebene Reaktion aber sofort wieder. Am leichtesten fiel ihr das immer, wenn sie sich sofort mit Arbeit ablenkte. Also lauschte sie Sakis’ Ausführungen und war – wie so oft – beeindruckt von der souveränen Art, mit der er über seinen Bereich des gigantischen Firmenkonglomerats seiner Familie herrschte.

„Mr. President, bitte erlauben Sie mir, Ihnen gegenüber mein tiefes Bedauern über die entstandene Situation auszudrücken. Selbstverständlich wird mein Unternehmen die volle Verantwortung für den Vorfall übernehmen und keine Kosten und Mühen scheuen, um die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen für die Region so gering wie nur möglich zu halten. Ja, ich habe bereits ein fünfzig Mann starkes Expertenteam auf den Weg geschickt, um eine genaue Untersuchung durchzuführen und erste Maßnahmen zu ergreifen. Alles Notwendige wird dann umgehend veranlasst werden … Sicherlich, dem stimme ich voll und ganz zu. Ich werde innerhalb der nächsten zwölf Stunden auch persönlich vor Ort sein.“

Briannas Finger flogen buchstäblich über das Tablet, während sie parallel zum Gespräch den weiteren Tagesplan entwarf und Informationen sammelte. Als er auflegte, standen bereits der Privatjet und das dazugehörige Bordpersonal in den Startlöchern.

Das Telefon klingelte erneut.

„Soll ich rangehen?“, fragte Brianna, doch Sakis schüttelte den Kopf.

„Nein, als Chef der Firma sollte ich von hier an übernehmen.“ Sein Blick war sehr ernst. „Auf uns kommt einiges zu. Alles wird erst mal schlimmer werden, bevor es besser werden kann. Fühlen Sie sich dieser Aufgabe gewachsen, Miss Moneypenny?“

Sie zwang sich zu mehreren tiefen Atemzügen und dazu, an den verzweifelten Schwur zu denken, den sie vor zwei Jahren in einer dunklen und kalten Zelle abgelegt hatte. Ich weigere mich zu versinken!

Energisch drückte sie ihren Rücken durch und hob das Kinn. „Ja, ich bin zu allem bereit, Mr. Pantelides.“

Seine dunkelgrünen Augen ruhten einen Moment auf ihr, dann nickte er und griff nach dem Telefonhörer.

Während der Rückfahrt zum Büro in den Pantelides Towers tat Brianna das, was sie am besten konnte. Sie las ihrem Boss jeden Wunsch von den Augen ab und erledigte still und leise alles Notwendige, damit sie diese Krise bestmöglich in den Griff bekamen.

Für sie war dies die einzige Methode, mit der sie ihren Alltag erfolgreich bewältigen konnte. Vor ihnen lag eine schwere Zeit. Sie konnten leider nicht verhindern, dass permanent Öl in den Südatlantik lief – zumindest nicht, ehe das Notfallteam seine Arbeit aufnahm.

Sakis war deutlich anzusehen, wie sehr er es hasste, mit dem Unvorhergesehenen konfrontiert zu werden. Einmal abgesehen davon, dass es sich um eine echte Umweltkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes handeln könnte. Für gewöhnlich versuchte er, jeden einzelnen Schritt seiner Kontrahenten vorauszuahnen, um unerwünschten Überraschungen aus dem Weg zu gehen, doch das half ihm in diesem Fall nicht.

Gemessen an den wenigen Dingen, die Brianna über seine Vergangenheit wusste, wunderte sie sein Verhalten wenig. Dabei kannte sie nicht die ganze verstörende Familiengeschichte. Aber sie wusste, dass es Sakis missfiel, wenn seine Firma wieder einmal im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand. Vor allem nach dem Skandal, den sein Vater damals über die Familie gebracht hatte …

Sein Telefon klingelte wieder. „Mrs. Lowell? Nein, tut mir leid, keine Neuigkeiten.“ Sein Tonfall, mit dem er die Frau des vermissten Kapitäns zu beruhigen versuchte, klang gefasst und freundlich. „Ja, er gilt als vermisst. Sicher, ich werde Sie augenblicklich persönlich anrufen, sobald ich neue Informationen habe. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

Eine Ader an seiner Schläfe pochte. „Wann ist die Rettungsmannschaft vor Ort?“, fragte er Brianna, nachdem das Telefonat beendet war.

Sie sah auf die Uhr. „In ungefähr neunzig Minuten.“

„Heuern Sie eine weitere Crew an. Es ist besser, wenn drei Teams in achtstündigen Schichten arbeiten, als wenn sich zwei Teams in Halbtagsschichten abmühen. Ich möchte Fehler vermeiden, die durch Erschöpfung entstehen könnten. Wir werden rund um die Uhr schuften, bis die Vermissten gefunden sind und der Strandabschnitt bei Point-Noire gesäubert wurde. Sorgen Sie bitte dafür, Moneypenny!“

„Ja, natürlich.“

Sie hatten inzwischen den Lift, der sie aufs Dach zur Helikopter-Plattform brachte, erreicht, und ihr Gepäck war bereits durch das Personal verladen worden. Auf sie wartete ein Hubschrauber, der sie zum Firmenjet bringen sollte.

Während des Flugs telefonierte Sakis mit seinem Bruder Theo. Brianna konnte der Diskussion, die in hektischem Griechisch geführt wurde, nicht folgen. Aber sie war von der Sprache fasziniert … und von dem Mann, der sie beherrschte.

Er warf ihr einen verwunderten Blick zu, und sie merkte erst jetzt, wie schamlos sie ihn angestarrt hatte. Hastig wandte sie sich wieder ihrem Tablet zu.

Himmel, was dachte sie sich bloß dabei? Sakis Pantelides hatte sich ihr gegenüber immer vorbildlich verhalten. Ganz professionell. Er hatte sie niemals unschicklich berührt oder angesehen. Und das war ihr allemal lieber so!

In diesem Punkt hatte sie ihre Lektion nämlich gelernt – auf brutalste Art, um genau zu sein. Und alles nur, weil sie sich tiefe Gefühle gestattet hatte. Weil sie sich nach der Hölle, die sie mit ihrer Mutter durchleben musste, auf einen anderen Menschen einlassen wollte, um endlich geliebt zu werden.

Zum Glück würde sie diese Erfahrung niemals vergessen und daher ihren Fehler auch nie wiederholen. Falls sie doch Gefahr lief, das Erlebte zu verdrängen, erinnerte sie spätestens die Tätowierung auf ihrer Schulter an die unrühmliche Vergangenheit …

Seufzend beendete Sakis sein letztes Gespräch und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Neben ihm saß seine Assistentin und tippte auf ihrem Computer herum, und das schon, seit sie vor vier Stunden mit dem Privatjet gestartet waren. Unauffällig beobachtete er Brianna und bemerkte, wie sie von Zeit zu Zeit angestrengt die Stirn krauszog.

Ihr glattes blondes Haar hatte sie zu einem makellosen Knoten geschlungen, der seit heute Morgen um sechs Uhr nichts von seiner Perfektion eingebüßt hatte. Unbewusst ließ er seinen Blick an ihr heruntergleiten und verspürte wieder einmal diese innere Unruhe, die Brianna immer häufiger in ihm auslöste. Das schwarze Kostüm mit weißer Bluse wirkte zwar etwas streng, doch es schmeichelte ihrer schlanken Figur. Kleine, unauffällige Perlenohrringe vervollständigten das Outfit.

Sakis musterte sie wesentlich genauer, als er es sich sonst gestattete: die sanft geschwungenen Brüste, den flachen Bauch und die endlos langen Beine. Seine Unruhe verwandelte sich in Erregung, und er umklammerte die Armlehnen, um sich wieder zu fangen.

Seine attraktive Moneypenny machte einen ausgesprochen fitten Eindruck, auch wenn sie für seinen Geschmack etwas zu dünn war. In den vergangenen eineinhalb Jahren war sie kein einziges Mal zu spät zur Arbeit gekommen und hatte sich auch nie krankgemeldet. Außerdem wusste er, dass sie immer öfter Gebrauch von einem der Apartments in den Pantelides Towers machte, die der Geschäftsführung zur Verfügung standen, anstatt nach Hause zu fahren … wo immer das auch war.

Nicht zum ersten Mal dankte er dem Himmel dafür, dass er mit dieser fähigen Assistentin gesegnet war. Ihre kompetente Hilfe im Arbeitsalltag machte sie zu einer unbezahlbaren Mitarbeiterin. Ganz im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Giselle – der Unfähigkeit in Person! Schon als Sakis Briannas einwandfreien Lebenslauf in den Händen gehalten hatte, war es ihm vorgekommen, als wäre sie zu gut, um wahr zu sein.

Während der zahlreichen Vorstellungsgespräche mit Anwärterinnen, die kaum einen Hehl daraus machten, dass sie ihrem Chef auch nach Feierabend gern zu Diensten wären, hob Brianna sich mit vorbildlicher Distanz von ihren Konkurrentinnen ab. Er konnte keine Assistentin gebrauchen, die sich durch ihn von ihrer Arbeit ablenken ließ. Allerdings kam es ihm seltsam vor, dass Brianna mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht längst in einer anderen Festanstellung war.

Er hatte sie mal danach gefragt, und ihre Antwort war denkbar simpel gewesen: „Sie sind der Beste auf Ihrem Gebiet. Und ich möchte für den Besten arbeiten.“

Zuerst hatte ihn diese Aussage misstrauisch gemacht. Aber da war kein kokettes Lächeln gewesen, kein aufreizender Wimpernschlag oder zweideutiger Unterton in der Stimme. Im Gegenteil, sie hatte sogar relativ abweisend gewirkt und schien einzig und allein auf ihre Karriere konzentriert zu sein.

An genau diesem Punkt hatte er zum ersten Mal bemerkt, dass in ihrer Gegenwart all seine Sinne erwachten. Noch beängstigender wurde dieses Phänomen, wenn er ihr in die Augen blickte …

Natürlich bekämpfte er diese unerwünschten Gefühle, wann immer sie ihn überfielen. Derartige Schwächen hatten keinen Platz in seinem Berufs- oder Privatleben. Alles, was er wollte, war eine höchst effiziente Assistentin, die jede neue Herausforderung erfolgreich meisterte.

Und Moneypenny übertraf in dieser Hinsicht seine kühnsten Erwartungen. Regelmäßig gelang es ihr, ihn mit ihrem Talent und ihrer Kompetenz aufs Neue zu überraschen. Eine echte Seltenheit für einen Mann in seiner Position.

Er war mit seiner Musterung bei ihren Füßen angekommen und stellte erstaunt fest, dass sie auf der Innenseite ihres linken Knöchels ein winziges Tattoo trug. Es war ein blauschwarzer Stern, nicht größer als ein Daumennagel. Dieses kleine Detail passte kein bisschen zu Briannas nüchterner Erscheinung, und für einen Moment glaubte Sakis, er würde halluzinieren.

Aber nein, da war definitiv eine echte Tätowierung auf ihrer hellen, seidigen Haut!

Als hätte sie seinen Blick gespürt, ließ Brianna plötzlich ihre Hände ruhen und hob den Kopf.

Hastig sah Sakis auf seine Armbanduhr. „Wir werden in drei Stunden landen. Lassen Sie uns ruhig für eine halbe Stunde Pause machen, bevor wir die Krise weiter in Angriff nehmen!“ Wie erwartet, machte sie nicht den Eindruck, als wollte sie ihr Tablet aus der Hand legen. „In zehn Minuten wird ein warmes Essen serviert.“

Automatisch fiel sein Blick wieder auf ihren Knöchel, und Brianna kreuzte die Beine, sodass er die Tätowierung nicht mehr sehen konnte.

„Mr. Pantelides?“

„Ähm, ich gönne mir vorher noch eine schnelle Dusche“, brummte er und stand auf. An der Tür zu einer der hinteren Kabinen blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.

Brianna Moneypenny griff gerade zum Bordtelefon und klappte mit der anderen Hand ihren Laptop auf. Fleißig und beflissen wie immer! Seine Assistentin war wirklich höchst professionell und hatte bei ihrer selbstbewussten Bewerbung vor achtzehn Monaten nicht zu viel versprochen.

Allmählich reizte ihn die Vorstellung, doch noch herauszufinden, was sich hinter dieser perfekten Fassade verbarg.

2. KAPITEL

„Sobald wir gelandet sind, muss ich sofort zur Unglücksstelle“, erklärte Sakis zwischen zwei Bissen, während er sich seinen saftigen Burger einverleibte.

Voller Neid auf sein Festmahl schob sich Brianna eine Gabel ihres kalorienarmen Salats in den Mund und schüttelte den Kopf. „Der Umweltminister besteht zuerst auf einem Meeting. Ich habe versucht, den Termin nach hinten zu verschieben, aber er lässt sich nicht abwimmeln. Er wird seine eigenen Gründe dafür haben, schließlich ist Wahljahr, und er braucht die Publicity. Aber ich habe ihm schon mitgeteilt, dass es nur ein kurzes Briefing wird.“

Sakis starrte verärgert aus dem Fenster, was Brianna nicht weiter wunderte.

Sakis Pantelides hasste jede Form von Medieninteresse, seit sein Vater Alexandrou vor knapp zwanzig Jahren dafür gesorgt hatte, dass die ganze Familie öffentlich durch den Dreck gezogen wurde. Der Fall des großen Patriarchen hatte im grellsten Scheinwerferlicht stattgefunden und schaffte es auch bis heute immer mal wieder in die Schlagzeilen.

„Ich habe einen Helikopter organisiert, der Sie sofort nach dem Termin ausfliegt“, versicherte Brianna.

„Stellen Sie sicher, dass diese Leute meine zeitliche Vorstellung von Briefing kennen!“, knurrte er. „Was ist an Presse zu erwarten?“

„Alle großen globalen Sender sind bereits vor Ort, und zwei Schiffe der Umweltschutzbehörde kreuzen ebenfalls in dem betroffenen Gebiet.“

Er nickte. „Gegen die Überwachung durch die Regierung können wir nichts unternehmen, allerdings dürfen sie die Rettungs- und Säuberungsmaßnahmen nicht behindern. Auch den anderen Umweltschutzorganisationen muss deutlich gemacht werden, dass für uns an erster Stelle steht, die Verschmutzung auf ein Minimum zu reduzieren.“

„Ich weiß. Da ist mir folgende Idee gekommen.“

Ihr Vorschlag war riskant und könnte unter Umständen noch mehr öffentliches Interesse erregen, als ihnen in dieser Situation lieb war. Andererseits bestand die Möglichkeit, Sympathien für Pantelides Shipping zurückzugewinnen. Obendrein könnte Brianna vor Sakis ihre Position und Bedeutung festigen – vielleicht half das ja gegen die Panik, wenn sie nachts wieder einmal schweißgebadet in ihrem Bett aufwachte.

Mancher mochte das oberflächlich finden, aber Brianna stellte ihre berufliche Sicherheit allen anderen Bedürfnissen voran. Nach den schlimmen Erfahrungen, die sie als Kind gemacht hatte, bedeuteten ihr heute eine feste Arbeit und ihr kleines Apartment einfach alles. Früher hatte sie oft nicht gewusst, woher die nächste Mahlzeit oder Miete kommen sollte. Denn der einzige Mensch, auf den sie sich während ihrer Kindheit zwangsläufig verlassen hatte, war ständig nur hinter dem nächsten Schuss her gewesen.

Brianna hatte für ihr naives Vertrauen einen hohen Preis zahlen müssen. Seitdem hielt sie sich an ihren Schwur, niemals wieder hilflos und auf einen anderen Menschen angewiesen zu sein.

„Moneypenny, ich höre“, unterbrach Sakis ihre Gedanken. Offenbar wartete er auf eine Antwort von ihr.

Ach ja, der Vorschlag.

Eilig sortierte sie ihre Gedanken und holte tief Luft. „Ich dachte, wir könnten die Medien und auch die sozialen Netzwerke zu unseren Gunsten nutzen. Im Internet kursieren schon ein paar Blogs von Umweltaktivisten, die den jetzigen Vorfall mit dem Blowout vergleichen, der vor Jahren von der Konkurrenz verursacht wurde. Wir sollten den Faden aufnehmen, ehe uns die öffentliche Diskussion aus den Händen gleitet.“

Sakis runzelte die Stirn. „Typisch! Dabei hat das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun“, ärgerte er sich. „Der wichtigste Unterschied ist, bei uns handelt es sich um ein Leck an der Oberfläche und nicht um einen unkontrollierten Blowout unter Wasser.“

„Aber …“

„Außerdem will ich die Presse da weitestgehend raushalten, deshalb bin ich kein Freund von voreiligen Statements. Wenn wir uns zu Spekulationen im Netz äußern, wird uns viel zu schnell das Wort im Mund umgedreht.“

„Ich finde, es ist der ideale Zeitpunkt, um die öffentliche Meinung auf unsere Seite zu ziehen. Und ich kenne ein paar verlässliche Journalisten, die moralisch einwandfrei arbeiten. Mit ihnen zusammen könnten wir großartige PR-Ergebnisse erzielen. Wir übernehmen schließlich die Verantwortung für den Vorfall, also besteht sowieso kein Grund für Vertuschung. Aber nicht jeder hat genügend Zeit, sich über die weiteren Maßnahmen realistisch auf dem Laufenden zu halten, und öffentliche Mutmaßungen könnten uns immensen Schaden zufügen. Solange wir selbst die Kommunikation kontrollieren, beugen wir Missverständnissen und schlechter Publicity vor.“

„Wie sieht Ihr Plan genau aus?“ Sein Interesse war geweckt, und er schob seinen Teller beiseite.

Sofort hatte sie ihren Computer parat und zeigte Sakis die Website, die sie erstellt hatte. „Ich habe schon einen eigenen Blog kreiert, der mit den sozialen Netzwerken gekoppelt ist. Müsste nur noch freigeschaltet werden …“ Unbewusst hielt sie den Atem an, während er sich einen ersten Überblick verschaffte.

„Rettet Point-Noire?“

Sie nickte eifrig.

„Was ist der Sinn dahinter?“, wollte er wissen.

„Es ist sozusagen eine offene Einladung für freiwillige Helfer. Ganz egal, ob die Leute uns mit Muskelkraft, Zeit oder Expertise unterstützen wollen.“

Zögernd schüttelte er den Kopf. „Pantelides Shipping trägt die Verantwortung für diese Verschmutzung. Und was wir verursachen, schaffen wir auch allein wieder aus der Welt.“

„Sicher. Trotzdem könnte es sich äußerst negativ auswirken, wenn wir die Menschen nicht miteinbeziehen. Sehen Sie mal!“ Mit wenigen Klicks rief sie eine Statistik auf. „Noch liegen wir mit unserer Umweltpolitik im Trend, und die Leute wollen wirklich helfen.“

„Wird man es nicht als Versuch verteufeln, sich billige Arbeitskräfte zu rekrutieren?“

„Nicht wenn wir ihnen etwas zurückgeben.“

Er starrte sie an, intensiv und hoch konzentriert, und Brianna bekam ein Kribbeln im Bauch – das sie schnell wieder verdrängte.

„Was wäre das?“

Ihr wurde wieder ganz flau im Magen. „Ganz so weit habe ich den Plan noch nicht ausgearbeitet. Aber bis heute Abend kann ich Ihnen ein paar vernünftige Vorschläge machen.“

Nachdenklich hob er sein Wasserglas an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen. „Immer wenn ich denke, dass Ihnen die Tricks ausgehen, überraschen Sie mich aufs Neue, Moneypenny“, sagte er schließlich und zwinkerte ihr zu.

Brianna hielt seinem Blick stand, was ihr ziemlich schwer fiel, weil sich das anfängliche Interesse darin plötzlich in echte Neugier verwandelte. Durfte ein Chef seiner Assistentin unverhohlene Neugier entgegenbringen? Bezog sich das auf sie selbst oder nur auf ihre Arbeit?

Warum spekulierte sie überhaupt?

„Ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, wie Sie das meinen, Mr. Pantelides.“

Mit dem Zeigefinger wies er auf den Computerbildschirm. „Ihr Plan ist genial, Gratulation! Allerdings wird es eine Mammutaufgabe werden, alle notwendigen Informationen zeitnah einzupflegen. Wie soll das funktionieren?“

„Sobald Sie mir grünes Licht geben, kann ich ein kleines Team im Hauptbüro darauf ansetzen. Ich selbst würde dann die Schnittstelle zum eigentlichen Ort des Geschehens und zu allen beteiligten Gruppen darstellen.“

Als er den Kopf schüttelte, hätte Brianna beinahe frustriert die Fäuste geballt.

„Ich brauche Sie permanent an meiner Seite“, widersprach er. „Da können Sie nicht alle fünf Minuten Ihre E-Mails checken.“

„Ich könnte per Handy alle drei Stunden ein Update aufrufen.“ Weil er immer noch skeptisch wirkte, erklärte sie eilig weiter. „Sie halten das Ganze doch auch für eine gute Idee. Lassen Sie mich wenigstens versuchen, diese Website zu koordinieren. Den gebündelten Informationsfluss brauchen wir sowieso, und die Sympathien der Öffentlichkeit zu sichern kann auch nicht schaden. Was haben wir denn zu verlieren?“

Nach einer weiteren Minute des Bangens nickte er, und Brianna atmete auf.

„Vier-Stunden-Updates“, ordnete er an. „Und die Beseitigung des Lecks und die Säuberung des Wassers bleiben oberste Priorität für uns.“

„Selbstverständlich.“ Gerade wollte sie sich ihr Notebook wieder auf den Schoß ziehen, da nahm Sakis ihr den Computer aus den Händen und stellte es beiseite.

„Lassen wir das erst mal! Sie haben ja nicht einmal aufgegessen. Und für das, was vor uns liegt, brauchen Sie Ihre Kräfte. Also, guten Appetit.“

„Was ist mit Ihnen?“, fragte sie und zeigte auf seinen Teller.

„Meine Kondition ist mit Sicherheit stabiler als Ihre, nehmen Sie es mir nicht übel.“

„Keine Sorge, tu ich nicht“, antwortete sie steif.

Amüsiert zog er eine Augenbraue hoch. „Ihr Tonfall straft Ihre Worte Lügen, Miss Moneypenny. Wahrscheinlich würde mich eine richtige Emanze jetzt als Sexisten bezeichnen. Dabei meine ich es wirklich nur gut. Sie essen ohnehin viel zu wenig, wie es aussieht.“

Pikiert umklammerte sie ihre Gabel. „Ich wusste nicht, dass meine Ernährung beruflich relevant ist.“

„Na ja, man bekommt zumindest den Eindruck, als würden Sie sich absichtlich zurückhalten. Was natürlich absurd wäre“, fügte er schnell hinzu.

Ihr Puls ging schneller. „Vielleicht entspricht das sogar der Wahrheit.“

„Aus Eitelkeit auf Nahrung zu verzichten kann gefährlich werden“, gab er zu bedenken. „Sie riskieren Ihre Gesundheit und damit die ganze Mission. Wenn ich mich nicht hundertprozentig auf Ihren kraftvollen Einsatz verlassen kann, ist das natürlich ein wichtiger Aspekt für mich.“

„Wieso beschleicht mich das Gefühl, wir sprechen hier über mehr als nur einen verschmähten Salat?“

Darauf antwortete er nicht gleich. Brianna begriff sofort, dass er persönliche Gründe für seine Kritik hatte.

Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, und das Wasserglas in seinen Händen vibrierte leicht. „Jemandem dabei zuzusehen, wie er sich zugrunde richtet, obwohl er alles im Überfluss besitzt … eine solche Erfahrung vergisst man nie.“

Die Gabel rutschte ihr aus der Hand. „Es tut mir leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Wen haben Sie denn …?“

„Spielt keine Rolle, Moneypenny. Genießen Sie Ihr Essen!“

Ratlos starrte sie auf ihren Teller und dann auf den Mann ihr gegenüber, der normalerweise eine beeindruckende Stärke ausstrahlte. Jetzt allerdings zitterten seine Finger, weil er sich offenbar an Dinge erinnerte, die ihm unheimlich nahegingen. Sie hatte immer geahnt, dass Sakis Pantelides eine empfindsame Seite hatte.

Ihr fiel dieser eine Moment beim Vorstellungsgespräch ein, als er seine harten giftgrünen Augen plötzlich auf sie gerichtet hatte. „Wenn Sie in diesem Job überleben wollen, lassen Sie sich einen guten Rat von mir geben, Miss Moneypenny! Verlieben Sie sich nicht in mich!“

Ihre eigene schmerzvolle Vergangenheit hatte Briannas spontaner Antwort etwas zu viel Schärfe verliehen. „Bei allem Respekt, Mr. Pantelides, ich bin wegen der Aussicht auf gute Bezahlung und berufliche Erfahrungen hergekommen. Soweit ich informiert bin, hat bisher niemand seine Rechnungen mit Luft und Liebe bezahlen können.“

Fast hätte sie damals noch hinzugefügt, dass sie in diesem Punkt ihre Lektion gelernt hatte. Ihre Tattoos waren der untrügliche Beweis dafür.

Auch heute hätte sie ihm am liebsten gestanden, dass sie im Leben schon Schlimmeres als einen leeren Magen hatte erdulden müssen. Dass sie als Kind einer drogensüchtigen Mutter unter extremer Vernachlässigung gelitten hatte. Tagtäglich hatte sie sich durch den Großstadtdschungel gekämpft, umgeben von Zerfall und Gewalt.

Aber Brianna hielt den Mund, weil sie nicht zu viel von sich preisgeben wollte. Ihre eigene Neugier war zwar groß, aber sie verzichtete darauf, weiter in Sakis’ Privatsphäre einzudringen. Das würde nämlich bedeuten, dass sie über ihre eigene Vergangenheit sprechen musste, und die sollte fest unter Verschluss bleiben!

Schweigend aß sie ihren Salat und war erleichtert, als endlich ein Steward erschien und das Geschirr abräumte. Kurz darauf klingelte wieder das Telefon und gab Brianna die Gelegenheit, auf das sichere Terrain als professionelle Assistentin zurückzukehren.

„Der Kapitän der Küstenwache ist in der Leitung“, sagte sie zu Sakis, und er nahm ihr den Hörer ab.

Sie wich seinem Blick aus und widmete sich der Arbeit an ihrem Laptop.

Sakis wurde flau im Magen, als er den verunglückten Tanker zum ersten Mal erblickte. Er tippte dem Hubschrauberpiloten auf die Schulter und sprach ihn über den Bordfunk an.

„Können Sie den Kahn umkreisen? Ich möchte mir aus der Luft einen Eindruck vom Ausmaß der Katastrophe machen, bevor wir wieder landen.“

Der Pilot folgte den Anweisungen, und Sakis beobachtete entsetzt den Schaden am Tankschiff, das in den Firmenfarben der Pantelides gestrichen war: Schwarz und Gold.

Er gab das Zeichen zur Landung am Strand und verzog das Gesicht, als er die Reportermeute hinter der Absperrung entdeckte, die gierig auf die Ankunft des Firmenchefs wartete. Moneypennys Vorschlag, die Presse vor Ort zu akzeptieren, war nachvollziehbar, trotzdem verursachte Sakis diese enge Überwachung Bauchschmerzen.

Ohne die Journalisten zu beachten, sprang er aus dem Helikopter und ging auf seine Rettungsmannschaft zu, die – allesamt in gelbe Overalls gekleidet – Aufstellung genommen hatte.

„Wie ist der Stand der Dinge?“, erkundigte er sich.

Der Vorarbeiter seiner Leute, ein untersetzter Mann mit eisgrauen Haaren, ergriff das Wort. „Es ist uns gelungen, in den Tanker vorzudringen und den Schaden zu begutachten. Insgesamt wurden drei Abteile beschädigt. Die anderen sind bisher zwar unversehrt, aber je länger das Schiff in Schieflage bleibt, desto wahrscheinlich ist es, dass auch die angrenzenden Abteile beschädigt werden. Wir arbeiten nonstop mit mehreren Pumpen daran, die Wasseroberfläche abzuschöpfen.“

„Wie lange wird es dauern?“

„Zwischen sechsunddreißig und achtundvierzig Stunden, wenn das Leck bald versiegelt wird. Sobald die letzte Crew eingetroffen ist, beginnen feste Schichten rund um die Uhr.“

Sakis nickte und sah Brianna aus einem der großen Zelte kommen, die notbehelfsmäßig am Strand aufgestellt worden waren. Im ersten Augenblick hatte die Frau, die er sah, nichts mit der makellos gestylten Privatsekretärin gemeinsam, die er kannte. Ihr Haar saß zwar perfekt wie immer, aber anstelle eines Kostüms trug sie eine Cargohose und ein enges weißes T-Shirt. Der dunkle Gürtel betonte ihre schmale Taille, und die abgewetzten Lederstiefel wirkten an ihr sogar richtig sexy.

Die afrikanische Sonne schien ihr ins Gesicht, und zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte sich Sakis stark zu Brianna hingezogen. Selbstverständlich ignorierte er diese Empfindung sofort und wandte sich an den Mann neben ihm.

„In drei Stunden wird es dunkel. Wie viele Boote sind mittlerweile an der Suche beteiligt?“

„Insgesamt vier Stück, inklusive der beiden, die Sie gestellt haben. Ihr Heli ist ebenfalls für die Suche eingeplant.“ Der Vorarbeiter wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Was mir am meisten Sorgen macht, ist die Bedrohung durch Piraten.“

Sakis stutzte. „Meine Leute sind demnach vielleicht Opfer einer Entführung geworden?“

Der andere Mann nickte knapp. „Das können wir leider nicht ausschließen. Jedenfalls hat das der Kapitän der Küstenwache gesagt.“

Brianna hatte die Unterhaltung mitbekommen und zückte sofort ihr Tablet. Während sie darauf herumtippte, kaute sie nervös auf ihrer Unterlippe.

Sakis schoss bei diesem Anblick eine unerträgliche Hitze durch den Körper. Woher kam die auf einmal?

„Was ist denn, Moneypenny?“, fragte er barsch, nachdem sich die gesamte Rettungsmannschaft zurückgezogen hatte.

Sie zog die Stirn kraus, sah jedoch nicht zu ihm hoch. „Entschuldigen Sie, ich hätte die Möglichkeit einer Entführung längst in Erwägung ziehen müssen.“

Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, und sie hob endlich den Kopf. In ihren Augen erkannte er pure Verzweiflung.

„Dafür sind die Ermittler hier“, beruhigte er sie. „Außerdem haben Sie in den vergangenen Stunden mehr als genug zu organisieren gehabt. Was ich jetzt brauche, ist die Liste der Journalisten, die Sie als zuverlässig einordnen.“

Als hätte er sich an Briannas zarter Haut verbrannt, zog er abrupt seine Hand zurück und drehte sich zum Ozean um. Vom Helikopter aus hatte er gesehen, dass sich der Ölteppich etwa eine halbe Meile die Küste entlang erstreckte. Während Sakis das rege Treiben der Hilfskräfte beobachtete, regte sich sein schlechtes Gewissen.

Was immer diesen Unfall auch ausgelöst hatte … Er ganz allein war im Augenblick für das schwarze, verseuchte Wasser und für das Verschwinden seiner Crewmitglieder verantwortlich. Und was immer es kosten mochte, Sakis würde alle Hebel in Bewegung setzen, um die entstandene Krise wieder in den Griff zu bekommen.

Der Kapitän seiner Rettungscrew brachte ein kleines Boot dicht an den Strand, um Sakis abzuholen. Als Brianna sich näherte, schüttelte Sakis jedoch den Kopf.

„Bleiben Sie lieber hier“, riet er ihr. „Es könnte gefährlich werden.“

„Aber wenn Sie an Bord des Tankers gehen, brauchen Sie jemanden an Ihrer Seite, der protokolliert und Fotos von den Schäden macht.“

„Ich will mir das Leck mit eigenen Augen ansehen. Alles andere erledigt die Untersuchungsmannschaft. Und falls es wirklich notwendig sein sollte, kann ich bestimmt selbst ein paar Bilder aufnehmen. Aber ich weiß momentan noch nichts über den tatsächlichen Zustand des Schiffes, und ich lasse auf keinen Fall zu, dass Sie durch unglückliche Umstände verletzt werden.“

Sie atmete schwer, so als müsste sie sich zurückhalten, um keinen Streit vom Zaun zu brechen.

Fasziniert starrte Sakis auf ihre Brust, die sich hob und senkte, und er spürte ein Ziehen in seinen Lenden. Das durfte doch nicht sein!

„Wenn Sie meinen“, presste Brianna hervor.

„Ja, das meine ich.“

Stumm reichte sie ihm die Kamera, die sie um den Hals getragen hatte, und dabei berührten sich ihre Hände.

Erschrocken wich er zurück.

„Warten Sie!“

„Was gibt’s, Moneypenny?“ Seine Stimme klang etwas zu grob.

Sie hielt ihm einen gelben Overall hin. „Ohne den hier können Sie nicht an Bord gehen. Das ist Vorschrift!“

Beinahe hätte er über ihren strengen, frustrierten Gesichtsausdruck gelacht. „Tja, dann danke! Wenn es Vorschrift ist …“

Unter ihrem kritischen Blick schüttelte er den Schutzanzug aus und streifte ihn über. Als er den Reißverschluss zuzog, fiel ihm auf, dass Brianna wieder auf ihrer Unterlippe kaute. Es sah süß aus … zu süß!

Hastig steckte er die Digitalkamera ein und stapfte dann durch das ölverschmutzte Wasser zum Boot.

Die Worte seines Untersuchungsleiters, die er etwa eine Stunde später hörte, klangen verstörend.

„Bis vor zehn Jahren war ich selbst Kapitän auf Tankschiffen dieser Größe“, erklärte er. „Ihr Kahn hat wirklich das beste und zuverlässigste Navigationssystem, das ich je gesehen habe. Und es funktioniert einwandfrei, da kann der Fehler also nicht liegen. Trotzdem hat sich das Schiff hier viel zu weit ab vom Kurs in unsicheren Gewässern bewegt.“

Mit grimmiger Miene zückte Sakis sein Handy. „Moneypenny, holen Sie mir den Sicherheitschef ran! Ich will alles über Morgan Lowell wissen … Ja, genau, den verschollenen Kapitän. Und bereiten Sie eine Pressemitteilung vor! Unglücklicherweise sieht dies alles nach menschlichem Versagen aus.“

Zögernd näherte sich Brianna Sakis, der gerade in ein Gespräch mit dem Umweltminister vertieft war. Sakis hatte sich den gelben Schutzanzug bis zur Hüfte heruntergerollt, darunter trug er ein dunkelgrünes T-Shirt, das seinen kraftvollen Oberkörper gut zur Geltung brachte.

Ich hätte nie gedacht, dass ich den Anblick eines Mannes in Arbeitskleidung mal so sexy finden würde, dachte sie.

Als er sie ansah, hörte sie förmlich die Luft zwischen ihnen knistern. Eilig öffnete sie ihre Arbeitstasche.

„Fertig?“, fragte er.

Sie nickte und reichte ihm die Presseerklärung und die Liste von Reportern, nach der er verlangt hatte. „Ich sage den Journalisten Bescheid.“

Auf dem Weg zum entsprechenden Zelt praktizierte sie die beruhigenden Atemübungen, die sie sich antrainiert hatte, lange bevor sie von Sakis Pantelides eingestellt worden war.

Als Brianna vor die Reporter trat, hatte sich ihre Nervosität wieder gelegt. „Guten Abend, Ladies und Gentlemen. Ich werde Ihnen nun den Ablauf unterbreiten. Mr. Pantelides wird eine Stellungnahme abgeben. Anschließend kann jeder von Ihnen exakt eine Frage zum Thema stellen.“ Mit erhobener Hand schnitt sie die unmittelbaren Proteste ab. „Wie Sie sicherlich verstehen, würde es Stunden dauern, jede einzelne Ihrer Fragen zu beantworten. Dafür haben wir keine Zeit, da für uns die Rettungs- und Säuberungsaktion oberste Priorität hat. Wir werden zu diesem Zeitpunkt keine unnötigen Kapazitäten verschwenden, daher steht jedem von Ihnen nur eine Frage zu. Bitte haben Sie Verständnis.“

Mit eisigem Blick betrachtete sie die Gruppe vor sich und spürte, dass die Anwesenden nach erstem Widerwillen zur Kooperation bereit waren. Ja, das hier entsprach wieder ihrem gewohnten Terrain. Sich auf den Beruf konzentrieren, alles unter Kontrolle haben, Lösungen finden … Und nicht das flatternde Gefühl von Erregung und Unsicherheit, dem sie vorhin zum Opfer gefallen war, als Sakis ihr Knöcheltattoo betrachtet hatte. Noch schlimmer war es gewesen, als am Strand ihre Hände aneinandergestoßen waren …

Und er hatte sie beruhigt, obwohl sie übersehen hatte, dass sie sich in einem Piratengebiet befanden. Das war wirklich sehr umsichtig gewesen. Für einen Sekundenbruchteil hatte sie Wärme in seinen Augen gesehen, die ihr gleich unter die Haut gegangen war.

Seit eineinhalb Jahren bemühte sie sich, für ihren Boss praktisch unsichtbar zu bleiben. Doch jetzt schenkte er ihr plötzlich mehr Aufmerksamkeit als jemals zuvor, und das brachte ihre eiserne Kontrolle gefährlich ins Wanken. Sie musste sich wieder zusammenreißen – es stand zu viel auf dem Spiel.

Geduldig blieb sie neben dem Rednerpult stehen, während Sakis mit seiner Stellungnahme begann. Seine tiefe Stimme und seine selbstbewusste Ausstrahlung kamen überzeugend rüber, obwohl Brianna genau wusste, wie angespannt er war.

„Was geschieht mit dem restlichen Öl, das sich noch an Bord des Tankers befindet?“, wollte ein Reporter später wissen.

Sakis drehte sich zum Umweltminister um, der schräg hinter ihm stand. „Als Dank für die hilfreiche und großzügige Unterstützung dieses wunderbaren Landes werden wir es der Küstenwache und der Armee als Entschädigung zur Verfügung stellen. Der Herr Minister hat sich freundlicherweise dazu bereiterklärt, die Koordination der Verteilung zu übernehmen.“

„Dann werden Sie also Öl im Wert von mehreren Millionen Dollar einfach verschenken? Wollen Sie sich und Ihre Firma mit dieser Geste aus der Verantwortung freikaufen, Mr. Pantelides?“

Brianna schnappte nach Luft, doch Sakis blieb äußerlich erstaunlich ruhig. Er starrte den Mann, der diese dreiste Frage gestellt hatte, kalt an.

„Ganz im Gegenteil. Wie ich eingangs schon erwähnte, zeigt sich mein Unternehmen zu einhundert Prozent verantwortlich für diesen unglücklichen Vorfall – ohne Wenn und Aber. Wir verhandeln mit der Regierung über eine angemessene Entschädigung. Uns ist kein Preis zu hoch, um unseren Notfallplan schnellstmöglich umzusetzen und die Säuberung des Meeres voranzutreiben, damit möglichst wenig Schaden entsteht. Das bedeutet auch, wir müssen das verbleibende Rohöl zügig abpumpen und den Tanker bergen. Das Öl in ein anderes Schiff unserer Gesellschaft umzuleiten würde wesentlich mehr Zeit kosten. Daher habe ich beschlossen, es der Regierung zu spenden. Ich bin sicher, Sie sehen genau wie ich den Sinn und Nutzen dieser Entscheidung?“ Ohne zu blinzeln, wandte er sich an die restlichen Zuhörer. „Nächste Frage!“

„Können Sie uns schildern, wodurch der Unfall verursacht wurde? Laut Ihren Quellen handelt es sich um eines der neueren Tankschiffe, obendrein ist es mit modernster Navigationstechnik ausgestattet. Was ist also passiert?“

„Das ist ein Fall für unser Ermittlerteam. Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind, werden wir eine Erklärung rausgeben.“

„Und was sagt Ihr Bauchgefühl?“

„Ich halte mich lieber an unumstößliche Fakten, vor allem in einer heiklen Situation wie dieser“, antwortete Sakis steif.

„Sie haben keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Medien gemacht“, meldete sich ein anderer Reporter. „Werden Sie versuchen, die Berichterstattung zu blockieren, Mr. Pantelides?“

„Sie alle wären nicht hier, wenn ich das vorhätte.“ Er warf Brianna einen raschen Seitenblick zu, als würde er auf ihre Unterstützung setzen. „Um genau zu sein, habe ich sogar fünf Journalisten ausgewählt, die uneingeschränkten Zugang zu allen Informationen bezüglich unserer Fortschritte erhalten werden.“ Dann las er die Namen vor, und während sich die Betreffenden stolz zurücklehnten, wurden unter den übrigen Anwesenden Proteste laut.

Eine wütende Stimme übertönte alle anderen. „Wäre Ihr Vater noch am Leben, wie hätte er wohl auf diesen Vorfall reagiert? Hätte er sich aus der Verantwortung geschlichen, so wie er es immer getan hat?“

Der laute Seufzer war aus Briannas Kehle gedrungen, bevor sie ihn zurückhalten konnte. Auf die Frage folgte betretene Stille, und sie beobachtete, wie Sakis sich an den Rand seines Rednerpults klammerte.

Wie aus dem Nichts erwachte ihr Beschützerinstinkt, und mit ihm wurden Emotionen entfesselt, die Brianna für einen Moment alle Sinne raubten. Sie schwankte, und ihr war eine Sekunde schwarz vor Augen.

Sakis schien ihren Zustand ebenfalls bemerkt zu haben.

„Sie sollten dem Jenseits einen Besuch abstatten, wenn Sie Fragen an meinen Vater haben“, sagte er knapp. „Ich kann für keinen Toten sprechen.“ Dann verließ er das Podium und kam zu ihr. „Was ist mit Ihnen?“

„Nichts, alles gut … Alles verläuft nach Plan.“ Hilflos drückte sie ihr Notebook an sich und rang um Fassung.

Er nahm es ihr ab, ohne seinen Blick von ihrem Gesicht zu lösen. „Würde alles nach Plan verlaufen, würden sich diese Geier benehmen, anstatt uns von der Arbeit abzuhalten!“

Zuerst war ihm nicht anzumerken gewesen, ob ihn die letzte Frage der Journalisten getroffen hatte, doch jetzt erkannte sie den tiefen Schmerz in seinen Augen. Der Wunsch, ihn vor Angriffen von außen zu schützen, wurde größer.

„Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?“, hakte er nach. „Sie sind ja leichenblass. Ist es vielleicht die Hitze? Haben Sie überhaupt etwas gegessen, seit wir hier sind?“

„Alles in Ordnung, Mr. Pantelides. Mir fehlt nichts. Ich möchte nur auch den ganzen Medienrummel hinter mich bringen“, schloss sie mit möglichst fester Stimme und nahm ihm den Computer wieder ab.

Nein, nein, nein! dachte sie beim Weggehen. Ich darf auf keinen Fall ernste Gefühle für meinen Chef entwickeln!

Zum einen würde er sie sicherlich feuern, sollte sie ihm Avancen machen. Zum anderen wollte sie sich selbst nie wieder in eine solche Lage bringen, aus der sie nur mit gebrochenem Herzen herauskommen konnte …

Das kleine Tattoo an ihrem Knöchel schien sich in ihre Haut zu brennen, das größere auf ihrer Schulter fühlte sich sogar noch schlimmer an.

Zwei Jahre hatte sie hinter Gittern verbracht, weil ihr gesunder Menschenverstand einem fürchterlichen Irrtum erlegen war. In ihrem Bestreben, endlich geliebt zu werden, hatte sie auf den falschen Mann gesetzt.

Dieser Fehler durfte sich nicht wiederholen.

3. KAPITEL

Sakis blickte Brianna noch lange hinterher. Ihre Haltung war steif, und er fragte sich, was sie wohl beschäftigte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Dies war zwar die erste berufliche Krise, die sie gemeinsam meistern mussten, aber das allein erklärte ihr seltsames Verhalten nicht.

Sie hatte heftig auf die letzte Frage des Journalisten reagiert. Eine Frage, mit der er selbst auch nicht gerechnet hatte. Natürlich war ihm klar gewesen, dass man seinen Vater irgendwie in diese Sache hineinziehen würde. Tote ließ man eben nicht ruhen, sobald die allgemeine Sensationsgier erwachte.

Energisch schaltete Sakis das beklemmende Gefühl in seiner Brust ab, so wie er es immer tat, wenn er an seinen verstorbenen alten Herrn dachte. Er wollte sich nicht von der Vergangenheit einholen lassen. Nach dem, was sein Vater getan hatte – was er vor allem seiner Ehefrau angetan hatte –, verdiente der Alte es, vergessen zu werden.

Leider machte die Presse Sakis regelmäßig einen Strich durch die Rechnung und erhielt den alten Skandal damit am Leben. Und in der augenblicklichen Situation gab es erst recht kein Entrinnen.

Das laute Brummen der Industriesauger, die mit der Säuberung des ölverschmutzten Strands begonnen hatten, brachte ihn in die Gegenwart zurück. Er zog den Overall wieder hoch und sah zu den Einsatzschiffen rüber, die in der Nähe der Küste ökologisch verträgliche Bindechemikalien ins kontaminierte Wasser leiteten.

Das reichte alles nicht. Es würde niemals reichen, weil all dies gar nicht erst hätte passieren dürfen!

Sein Telefon klingelte, und er erkannte Theos Nummer auf dem Display.

„Wie sieht’s bei euch aus, Bruder? Erzähl!“

Kurz und präzise schilderte Sakis ihm die Lage und ließ dabei trotzdem kein Detail aus. Auch wenn er wusste, dass die Erwähnung der möglichen Entführung bei Theo grausame Erinnerungen weckte.

„Kann ich von hier aus irgendetwas tun?“, fragte dieser. Seine gepresste Stimme verriet, dass er an seine eigene Verschleppung im Alter von erst achtzehn Jahren dachte. „Ich könnte dich mit den richtigen Leuten in Verbindung bringen, wenn du möchtest. Wie du weißt, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, gewisse Kontakte zu sammeln, die in Situationen wie diesen äußerst hilfreich sein können.“

Das war typisch für ihn. Theo war ein Analytiker, dem nur Gewissenhaftigkeit und Rationalität dabei halfen, stets die Nerven zu behalten. Tauchte ein Problem auf, entwarf er sofort alle erdenklichen Szenarien, um sich anschließend für einen Lösungsweg zu entscheiden, den er dann mit tödlicher Entschlossenheit verfolgte. Deshalb hatten die Brüder ihn auch als eine Art Problemlöser in der Zentrale von Pantelides Inc. postiert.

„Wir haben alles so weit im Griff. Aber vielleicht könntest du als Ablenkungsmanöver einen handfesten Skandal vom Zaun brechen? Dann wären diese verdammten Paparazzi abgelenkt und würden die Rettungsaktionen hier nicht behindern.“

„Tja, eventuell ein splitternackter Fallschirmsprung von der Erlöserstatue Christo Redentor in Rio?“, bot Theo an.

Zum ersten Mal seit vielen Stunden verspürte Sakis den Drang zu lachen. „Du liebst diese Stadt zu sehr, um zu riskieren, dass man dich wegen Blasphemie auf ewig verbannt.“ Er sah zu Brianna rüber, die gerade den letzten Journalisten aus dem Zelt begleitet hatte und wieder an ihrem PC arbeitete.

Gut so! Was immer seine Assistentin vorübergehend aus dem Konzept gebracht hatte, sie war offensichtlich wieder ganz die Alte.

„Alles unter Kontrolle“, murmelte er in sein Handy. Diese Worte waren mehr an ihn selbst als an seinen Bruder gerichtet.

„Klingt beruhigend. Aber halte mich auf dem Laufenden, ja?“

Die nächsten drei Stunden arbeitete er zusammen mit seiner Mannschaft im Boot auf dem Wasser, wo sie die Absaugschläuche immer wieder neu ausrichteten, um das gebundene Öl schnellstmöglich in die dafür vorgesehenen Behälter zu befördern. Auf einem weiteren Boot befanden sich die wenigen privilegierten Reporter, die diese Maßnahmen abfilmen durften. Einige von ihnen machten sogar einen höchst engagierten Eindruck und stellten qualifizierte Fragen, die Sakis nicht sofort den Schweiß auf die Stirn trieben.

Bei Einbruch der Dunkelheit wurden zwei Schiffe mit Flutscheinwerfern losgeschickt, die den Ölteppich illuminierten und ihm einen unheimlichen Glanz verliehen. Erst gegen Mitternacht übergab Sakis seinen Platz an der Pumpe einem seiner Mitarbeiter und streckte stöhnend die schmerzenden Arme über dem Kopf aus.

Dann erstarrte er plötzlich.

Auf dem Boot gegenüber sah er Brianna an der Reling stehen. Mit beiden Händen hielt sie einen Apparat, der das absorbierende Bindemittel durch einen dicken Schlauch auf die schwarz glitzernde Wasseroberfläche schüttete, und schwenkte ihn langsam hin und her. Ihr Gesicht wirkte angestrengt.

Sofort ließ sich Sakis vom Motorboot der Ersatzmannschaft, die zum Schichtwechsel angerückt war, zum Chemieschiff bringen.

Als Brianna ihn bemerkte, setzte sie wieder eine professionelle Miene auf. „Mr. Pantelides, brauchen Sie etwas?“

Den Namen seines Vaters aus ihrem Mund zu hören störte ihn plötzlich gewaltig. „Legen Sie augenblicklich den Schlauch aus der Hand, und steigen Sie ein.“

Ihre Augen wurden größer. „Wie bitte?“ Auf der Wange prangte ein schwarzer Strich, und ihre Kleidung hatte auch einiges abbekommen. Seltsamerweise saß ihre Frisur trotzdem perfekt wie immer.

Ihre widersprüchliche Erscheinung faszinierte ihn. „Es ist fast Mitternacht. Sie hätten schon vor Stunden an Land gehen sollen.“

„Nun, ich bin zum Arbeiten hier, Mr. Pantelides. Weshalb hätte ich wegfahren sollen?“

„Weil Sie nicht zum Säuberungsteam gehören. Und selbst die halten sich an Sechs-Stunden-Schichten. Das hier gehört schlicht nicht zu Ihrem Aufgabenbereich.“

„Wenn wir schon auf diese Weise argumentieren wollen, gehört es auch nicht zu Ihrem Aufgabenbereich“, konterte sie.

Überrascht zog Sakis die Augenbrauen hoch. Während ihrer gesamten gemeinsamen Zeit hatte sie ihm noch nie widersprochen oder in irgendeiner Form die Nerven verloren. Doch heute zeigte sie sich zum ersten Mal von ihrer rebellischen Seite. Irgendwie gefiel es ihm, dass er die aalglatte Miss Moneypenny ein bisschen aufgemischt hatte!

„Ich bin Ihr Vorgesetzter und habe das Privileg, tun und lassen zu können, was ich will“, antwortete er ungerührt und wartete gespannt ihre Reaktion ab. Mit dem, was dann kam, hatte er allerdings nicht gerechnet.

Gehorsam ließ sie den Apparat los und zuckte die Schultern. „Selbstverständlich. Und falls Sie sich Sorgen wegen der Versicherung oder der Berufsgenossenschaft machen, ich habe eine Verzichtserklärung unterschrieben, ehe ich an Bord gegangen bin. Falls mir etwas passieren sollte, fällt das also nicht auf die Firma zurück.“

Die Unterhaltung lief in Sakis’ Augen nicht wie geplant. „Mich kümmern weder persönliche Haftung noch Unternehmensrisiken in Bezug auf personelle Verantwortung. Was mich interessiert, ist, dass Sie morgen früh funktionieren müssen. Deswegen brauchen Sie Ihren Schlaf, also steigen Sie jetzt endlich ein!“

„Schön, Sie haben gewonnen.“

Als er ihren verkniffenen Mund bemerkte, musste er sich ein Grinsen verkneifen. Offensichtlich fiel es seiner Assistentin zunehmend schwerer, ihre übliche Fassade aufrechtzuerhalten. Oder war er bloß übermüdet und bildete sich das alles ein? Seit wann machte er sich überhaupt ständig Gedanken um diese Frau?

Gehorsam kletterte sie zu ihm ins Boot und brachte es dabei kurz zum Schwanken. Da geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Sie krallte sich hilfesuchend an seine Schulter, und er schlang blitzschnell einen kräftigen Arm um ihre Taille.

Sofort schoss ihm ein heißes Brennen in die Lenden, und er fluchte.

„Ich … Entschuldigung“, stammelte Brianna und ließ ihn los.

„Nichts passiert“, brummte er und wünschte, es wäre die Wahrheit. In ihm drinnen war nämlich eine Menge passiert! Und er hatte alle Mühe, mit den plötzlich erwachten Gefühlen zurechtzukommen.

Sie hatte sich auf den hintersten Platz zurückgezogen und die Arme schützend vor dem Oberkörper gekreuzt, was ihre wunderbaren Brüste nur noch mehr zur Geltung brachte.

Vergeblich tat er so, als würde er es nicht bemerken, und steuerte das Boot auf die Küste zu. „Was soll das Ganze eigentlich? Was hatten Sie auf dem Bergungsschiff zu suchen? Und sagen Sie jetzt auf keinen Fall nichts, das würde meine Intelligenz beleidigen!“

Zuerst zögerte sie, dann schob sie etwas verlegen die Hände in ihre Hosentaschen. Von da an war es für Sakis erst recht unmöglich, ihr nicht auf die Brüste zu starren. Glücklicherweise blieb das unbemerkt, weil Brianna den Kopf abgewandt hatte.

„Ich habe vorhin mit einigen Einheimischen gesprochen“, erklärte sie. „Diese Bucht ist für die Anwohner ein ganz besonderer – ein heiliger – Ort. Darum habe ich ein fürchterlich schlechtes Gewissen bekommen wegen dem, was hier passiert ist.“

Augenblicklich trafen die Schuldgefühle auch ihn selbst. Und er war tief beeindruckt von der menschlichen Seite seiner hocheffizienten Miss Moneypenny. „Ich werde dafür sorgen, dass die Menschen ihre Bucht genauso rein und unversehrt zurückbekommen, wie sie vor dem Unfall war.“

Dankbar blickte sie ihn an. „Das klingt gut. Es ist furchtbar, wenn einem etwas so Existenzielles entrissen wird.“ Der tiefe Schmerz in ihrer Stimme verriet, dass sie nicht länger von diesem Strand sprach. „Egal, ich habe den Einwohnern jedenfalls in Ihrem Namen etwas Ähnliches versprochen.“

„Danke.“

Nachdem sie das Ufer erreicht hatten und das Boot vertäut war, gingen sie zusammen auf einen wartenden Jeep zu.

„Ich habe für Sie eine Suite im Noire reserviert“, sagte Brianna. „Ihr Koffer ist bereits dort, Ihr Laptop und die Telefone befinden sich im Wagen. Wir sehen uns dann morgen wieder, Mr. Pantelides.“

Sakis erstarrte. „Morgen? Kommen Sie denn nicht mit?“

„Nein.“

„Wieso nicht?“

„Weil ich nicht im Hotel wohne.“

„Und wo sind Sie dann untergekommen?“

Sie zeigte auf eine Gruppe kleiner Zelte, die etwas ab vom allgemeinen Tumult aufgeschlagen worden waren. „Ich habe mir eines von denen gesichert und meine Sachen schon darin verstaut.“

„Was ist denn schlimm daran, im Hotel einzuchecken?“

„Nichts. Nur dass dort alle Zimmer schon ausgebucht waren. Ihre Suite war der letzte verfügbare Raum. Und die anderen Hotels sind viel zu weit weg.“

Unwillig schüttelte er den Kopf. „Sie sind den ganzen Tag lang pausenlos auf den Beinen gewesen … Keine Widerrede, Moneypenny! Sie schlafen in keinem winzigen Zelt am Strand, während die lauten Maschinen die ganze Nacht hindurch weiter rumoren. Holen Sie Ihre Sachen!“

„Das ist schon in Ordnung …“

„Sie sagten doch, ich hätte eine Suite?“

„Genau.“

„Das bedeutet in der Regel: zwei Räume. Dann können wir sie auch teilen.“

„Mir wäre das nicht recht, Mr. Pantelides.“

Ihre Absage überraschte und enttäuschte ihn gleichermaßen. „Wo liegt das Problem, Moneypenny?“ Als sie zögerte, wurde er ungeduldig. „Also?“

Mit ihren großen blauen Augen sah sie ihn ernst an. Nein, sie waren eher aquamarin … mit langen, geschwungenen Wimpern …

„Es handelt sich um eine Einzelsuite mit Doppelbett. Nicht gerade der geeignete Ort für zwei, nun, Arbeitskollegen. Ich für meinen Teil lege Wert auf Privatsphäre.“

Er dachte an die unzähligen Frauen, die die Gelegenheit begeistert beim Schopfe gepackt hätten, mit ihm in einem Bett zu landen. Dann fiel ihm ein, weswegen sie beide eigentlich hier waren. Sein Öl verseuchte diesen wundervollen Strand, Mitglieder seiner Mannschaft galten als vermisst. Und die Presse lechzte danach, dass ihm ein Fehler unterlief, mit dem sie ihm das Genick brechen konnten. Man wollte öffentlich beweisen, dass der Apfel eben nicht weit vom Stamm fiel.

Ein Gefühl der Beklemmung drohte ihn zu ersticken, genau wie damals, als man Theo entführt hatte. Diese grenzenlose Hilflosigkeit, mit der er dabei hatte zusehen müssen, wie seine Mutter vor seinen Augen langsam in sich zerfiel und sich auflöste. Die Qual in ihren Augen nach all dem, was sein Vater und die Medien ihr angetan hatten.

„Was geht mich Ihre Privatsphäre an?“, polterte er los. „Ich bestehe darauf, dass Sie voll belastbar sind, darüber haben wir ja bereits gesprochen. Und Sie haben mir garantiert, dieser Mammutaufgabe gewachsen zu sein. Allerdings frage ich mich allmählich, ob ich mich wirklich darauf verlassen kann.“

„Das ist nicht fair, Sir. Ich habe alles getan, was von mir erwartet wurde.“

„Dann hören Sie endlich auf zu diskutieren, und steigen Sie mit mir in den Jeep!“

In ihren Augen loderte ein gefährliches Feuer, das Sakis heute schon mehr als einmal zu Gesicht bekommen hatte. Er fand es hinreißend!

„Ich hole meine Sachen“, verkündete sie tonlos und verschwand für ein paar Minuten.

Während der Fahrt ließ er sich von ihr in Sachen soziale Netzwerke auf den neuesten Stand bringen.

„Ich habe sechs Leute ausfindig gemacht, die uns von Nutzen sein können“, berichtete sie eifrig und schien wieder versöhnt zu sein. „Einer von ihnen ist Professor für Meeresbiologie und lebt in Guinea-Bissau. Zwei weitere, ein Ehepaar, haben sich auf die Rettung von Wildtieren spezialisiert. Die übrigen drei sind keine Spezialisten, aber sie haben eine riesige Internetgemeinde und sind bekannt dafür, sich häufiger freiwillig für humanitäre Missionen zu melden. Sie alle werden zur Stunde von unserem Sicherheitsteam überprüft. Sollten sie den Test bestehen, lasse ich sie gleich morgen einfliegen.“

„Ich bin immer noch nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, diesen Vorfall stärker in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken“, überlegte er laut und dachte dabei an seine Mutter. „Manchmal erkennt man den daraus entstandenen Schaden erst, wenn es zu spät ist.“

Damals hatte sich seine Mutter ständig in einem Zustand tiefer Trauer und Verzweiflung befunden. Irgendwann war sie dann dazu übergegangen, feste Nahrung gegen Alkohol einzutauschen, nachdem sie von der notorischen Untreue ihres Ehemanns hatte erfahren müssen.

Sakis’ fünfzehntes Lebensjahr war gleichzeitig das schwärzeste für ihn gewesen, weil ihm das passiert war, wovor jeder Junge Angst hatte: Er erfuhr, dass ihn sein Vater nicht liebte. Dass der Alte nichts und niemanden liebte – außer sich selbst. In jenem Jahr war auch Sakis’ Hass auf die Medien erwacht, die seine intimsten Gefühle und Schmerzen gnadenlos in die Welt hinausposaunten.

Ari hatte sich von dem ganzen Theater wie üblich äußerlich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Aber Sakis wusste genau, wie schwer sein Bruder das Ganze wirklich nahm. Und Theo, zu dem Zeitpunkt dreizehn Jahre alt, hatte mit Beginn der Pubertät völlig die Spur verloren. Unzählige Male war er von zu Hause weggelaufen und dann von Ari wieder aufgespürt und heimgebracht worden.

In diesem ganzen Chaos war Sakis’ Mutter vor den Augen ihrer Söhne regelrecht dahingesiecht und hatte sich am Ende für eine grauenhafte Lösung ihrer Probleme entschieden.

Schaudernd schob Sakis seine düsteren Erinnerungen beiseite und konzentrierte sich wieder auf die Frau neben ihm.

„Die ausgewählten Journalisten wissen genau, dass diese Exklusivberichte eine einmalige Karrierechance für sie darstellen, solange sie sich an die Spielregeln halten“, beruhigte Brianna ihn. „Ich werde sichergehen, dass sie offen und ehrlich schildern, wie viel Mühe wir uns geben, die Situation umgehend in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig werde ich sie dazu anhalten, mit Sorgfalt und ausgewählter Rhetorik den Ruf unseres Unternehmens zu schützen.“

„Sie hätten Diplomatin werden sollen, Moneypenny“, antwortete er mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Vielleicht. Es gibt viele Dinge, die ich mir im Leben gewünscht hätte.“

„Zum Beispiel?“

Erschrocken biss sie sich auf die Unterlippe und bereute, dass sie dieses Thema überhaupt angeschnitten hatte. Ihre nächsten Worte wählte sie vorsichtig. „Ich möchte die Gelegenheit bekommen, mich in einem anspruchsvollen Job zu beweisen, und die entsprechende Anerkennung dafür erhalten.“

„Das geschieht doch alles längst“, erwiderte er ungeduldig und hätte viel lieber etwas Persönliches von ihr gehört. Von seiner Assistentin, der er schon beim Einstellungsgespräch indirekt verboten hatte, ihm gegenüber jemals persönlich zu werden! Andererseits wusste sie schließlich auch über seine Liebschaften Bescheid. Sie bestellte die Tische in den Restaurants und besorgte auch die kleinen Abschiedsgeschenke, die unweigerlich wenige Tage oder Wochen später überreicht werden mussten.

Da war es nur gerecht, wenn er auch etwas über sie erfuhr. „Haben Sie eigentlich einen festen Freund?“, wollte er wissen.

„Wie bitte?“ Ihre linke Augenbraue berührte vor Überraschung beinahe den Haaransatz.

„Das ist eine ganz einfache Frage, Moneypenny. Ja oder nein?“

„Ich kann nicht sehen, was das mit unserem Arbeitsverhältnis zu tun hätte“, antwortete sie steif.

Jetzt war Einfallsreichtum gefragt. Sakis strengte sich an. „Es gehört zu unserer Personalpolitik, jährlich Einschätzungen über unsere Mitarbeiter anzufertigen“, begann er. „Sie arbeiten nun schon achtzehn Monate für uns und haben noch keine …“

„Meine Beurteilung hat vor sechs Monaten stattgefunden, und die Personalabteilung hat Ihnen bestimmt die Ergebnisse geschickt.“

Er stutzte. „Möglich. Aber ich habe sie mir noch nicht angesehen.“

„Und deshalb wollen Sie ausgerechnet heute höchstpersönlich ein paar Hintergrundinformationen sammeln?“

Schweigend zuckte er die Achseln und musste zugeben, dass er tatsächlich mehr über Brianna Moneypenny herausfinden wollte. Mehr, als gut für ihn war! Sie benahm sich nämlich nicht länger wie der Arbeitsroboter, als den er sie kennengelernt hatte. Nein, sie fühlte sich in seinen Armen plötzlich weich und warm an, das hatte er eben gerade beim Einsteigen ins Boot festgestellt. Und ihr Engagement für den Strand und die Anwohner zeigte deutlich, was für ein empfindsames Herz sie besaß.

Das erregende Pochen in seinem Körper wurde stärker, als er sie jetzt direkt ansah. „Nennen wir es eine Mini-Beurteilung. Ich wollte eigentlich bloß wissen, ob sich etwas an Ihrem Lebenslauf beziehungsweise Familienstand geändert hat, seit wir Sie eingestellt haben.“

„Demnach wollen Sie also nur aus rein beruflichen Gründen wissen, mit wem ich ins Bett gehe?“ Ihr Tonfall war zynisch genug, um Sakis die Schamesröte ins Gesicht zu treiben. „Müssen Sie auch noch wissen, welche Unterwäsche ich trage und was ich gern zum Frühstück esse?“

Ihm gefiel dieser kleine, prickelnde Schlagabtausch. „Ja zur ersten Frage, die beiden anderen sind optional.“

Brianne reckte ihr Kinn vor. „Wenn das so ist: Nein, ich habe keinen Freund. Meine Unterwäsche geht nur mich etwas an, und ich hege eine höchst ungesunde Vorliebe für Pfannkuchen.“

Die Erleichterung traf Sakis so heftig, dass ihm schwindelig wurde. Er betrachtete seine hübsche Assistentin im diffusen Licht der vorüberziehenden Straßenlaternen, und sein Herz begann schneller zu klopfen. Müde rieb er sich die Augen. Was war los mit ihm? Er konnte sich doch wohl kaum aus heiterem Himmel zu einer seiner Mitarbeiterinnen hingezogen fühlen!

Allmählich hatten sie das Zentrum von Point-Noire erreicht, wo die Straßen um diese Zeit menschenleer waren. Im Hotel wurden sie vom Manager freundlich empfangen.

„Herzlich Willkommen im Noire, Mr. Pantelides. Ihre Suite ist für Sie bereit, obwohl man mir mitgeteilt hat, Sie kämen allein?“

„Dann war das eine Fehlinformation.“

„Das tut mir natürlich sehr leid. Nur leider sind wir ausgebucht, seit … dieser unglückselige Vorfall stattgefunden hat. Ein anderes Zimmer kann ich Ihnen nicht zur Verfügung stellen“, flötete er, während er sie zum Fahrstuhl geleitete.

Im oberen Stockwerk angekommen, stellte Brianna fest, dass es sich bei der sogenannten Suite gerade mal um ein großzügig ausgestattetes Doppelzimmer handelte.

Sakis entließ den eifrigen Manager und den Pagen, der ihr übriges Gepäck getragen hatte, und wandte sich dann Brianna zu, die das große Bett finster anstarrte, als würde sie einem Erzfeind gegenüberstehen.

Kurz bevor die bleierne Stille im Raum unangenehm wurde, ergriff er das Wort. „Duschen Sie ruhig zuerst“, bot er an und verdrängte die erotischen Bilder, die ihm sofort in den Kopf kamen. „Sie haben da sogar etwas Öl im Gesicht.“ Er konnte nicht anders und streckte die Hand aus, um den kleinen Fleck mit dem Daumen wegzureiben.

Brianna wich zurück, aber er sah in ihren tiefblauen Augen so etwas wie Lust aufblitzen. Oder war es Angst?

Hastig kramte sie ein paar Dinge aus ihrer Reisetasche und ging zum Bad. „Ich werde mich beeilen.“

Ausgerechnet diesen Moment suchte sich seine Libido aus, um an seine Männlichkeit zu appellieren. Sakis hielt die Luft an, bis Brianna verschwunden war, und schenkte sich danach einen harten Drink ein. Seufzend atmete er durch und genoss das beruhigende Brennen in der Kehle.

Es durfte nichts zwischen ihnen passieren. Dafür musste er unbedingt sorgen!

Fassungslos lehnte sich Brianna von innen gegen die Badezimmertür. Ihre Sachen ließ sie achtlos zu Boden gleiten, die Augen hielt sie fest geschlossen. Nein, nein, nein! Sie konnte einfach nicht zulassen, dass ihr jetzt unberechenbare Gefühle in die Quere kamen.

Beim Ausziehen fiel ihr Blick auf das Schultertattoo, und sie zuckte zusammen. Ich weigere mich zu versinken. Dieses Mantra hatte ihr schon durch die schwärzesten Stunden geholfen. Es erinnerte sie stets daran, was sie als Kind und auch als Erwachsene schon alles durchgestanden hatte. Und es ermahnte sie immer wieder, sich auf niemanden einzulassen, der das eigene Wohlergehen bedrohen könnte!

Ich muss Oberwasser behalten, dachte sie. Ich darf nicht versinken!

Aber genau das tat sie gerade … in Sakis’ Augen, in seine warme, unfreiwillige Umarmung und in die elektrisierenden Gefühle, die er in ihr auslöste. Gedankenverloren streifte sie ihre Kleider ab und ließ eine Hand an sich heruntergleiten, über die Narbe an ihrer Hüfte … zwischen ihre Beine.

Der Drang, sich dort zu berühren, war übermenschlich. Noch größer war allerdings das Bedürfnis, von anderen, kräftigeren Händen dort berührt zu werden. Doch sie durfte keinem Mann mehr vertrauen, wenn sie überleben wollte. Und Sakis schien plötzlich ziemlich entschlossen zu sein, ihr näherzukommen. Was für ein Irrsinn!

Unter der Dusche legte sich endlich ein Teil ihrer Anspannung, und Brianna atmete auf. Und als sie wenige Minuten später mit geputzten Zähnen und in ihrem frischen Schlafshirt das Zimmer betrat, fühlte sie sich schon fast wieder wohl. Fast.

Sakis wartete mit einem Drink in der Hand draußen auf dem Balkon und starrte in die schwüle Nacht hinaus. Sein leerer Gesichtsausdruck ließ sie vermuten, dass er im Stillen den Tag Revue passieren ließ. Dachte er an die Bemerkung, die dieser dreiste Journalist über den verhassten Vater gemacht hatte?

Wieder überkam Brianna der Drang, ihren Vorgesetzten beschützen zu wollen. Denn er war inzwischen viel mehr als nur ihr Chef … Entgegen allen Erwartungen entwickelte sich gerade eine persönliche Beziehung zwischen ihnen, die von Stunde zu Stunde intensiver wurde.

Ihr wurde unerträglich heiß bei diesem Gedanken. „Ich bin fertig im Bad“, verkündete sie laut und warf ihre Wäsche auf das Sofa. Dann nahm sie ihr Tablet vom Tisch, weil sie sich mit ihrem Arbeitsgerät in der Hand grundsätzlich sicherer fühlte.

„Danke“, murmelte Sakis und durchquerte das Zimmer. „Und, Moneypenny?“

Sie drückte die Schultern durch. „Ja?“

„Es ist Feierabend. Legen Sie bitte den Computer weg, das ist ein Befehl!“

Gehorsam packte sie den Laptop ein und setzte sich dann auf die Couch.

Autor

Maya Blake
<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
Mehr erfahren