Julia Collection Band 152

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EIN FEST DER LIEBE FÜR UNS ZWEI von TRACY MADISON
Seit das Schicksal ihr und ihrem Ehemann Grady vor drei Jahren an Weihnachten den geliebten Sohn nahm, liegt ihre Ehe in Trümmern. Jetzt will Olivia endlich einen Schlussstrich ziehen. Doch Grady versucht alles, damit Weihnachten wieder zum Fest der Liebe für sie wird. Mit Erfolg?

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  • Erscheinungstag 13.11.2020
  • Bandnummer 152
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715427
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tracy Madison

JULIA COLLECTION BAND 152

1. KAPITEL

Sobald Olivia Markham-Foster das italienische Restaurant mit der romantischen Atmosphäre betrat, wusste sie, dass sie einen Riesenfehler machte.

Der Kellner führte sie zu einem Tisch in einer Ecke hinten im Raum, die den Gästen ungestörte Zweisamkeit garantierte. Die Abgeschiedenheit war ihr recht. Aber die kuschelige, romantische Komponente war einfach nicht angebracht.

Heute Abend ging es nicht um Romantik. Wenn Grady sie in diesem Restaurant, an diesem Tisch sitzen sah, dann würde er völlig falsche Schlüsse ziehen.

Ihr Ehemann hatte trotz seiner rauen Schale einen weichen Kern. Er glaubte an das berühmt-berüchtigte Happy End. Ihm würde nicht gefallen, was sie ihm zu sagen hatte.

Aber Olivia hatte eine Entscheidung getroffen. Und sie würde sich an ihren Plan halten. An der Wahl des Lokals war nur ihre Freundin Samantha schuld, und jetzt war es zu spät, um daran etwas zu ändern. Jetzt musste Olivia ihren Entschluss in die Tat umsetzen. Ihr Leben hing davon ab. Und Gradys auch. So weiterzumachen wie bisher, entzweit und festgefahren, das machte sie doch nur beide fertig.

Olivia seufzte und spielte mit ihrem Weinglas. Er würde das nicht so sehen. Stattdessen würde er die gleichen Argumente anbringen wie immer und sie daran erinnern, wie es früher zwischen ihnen war. Als ob sie das je vergessen könnte! So würde er versuchen, ihr den Kopf zu verdrehen, bis sie nachgab.

„Diesmal nicht“, flüsterte sie. Diesmal würde sie stark bleiben.

Ohne Vorwarnung überlief sie ein Schauer. Er war da. Sie musste nicht einmal aufschauen, um das zu wissen. Ihr Körper spürte Grady. Verdammt, sie konnte seine Anwesenheit fühlen. So war das schon immer gewesen. Trotzdem blickte sie auf.

Noch ein Fehler.

Sie versuchte wegzuschauen. Aber das war unmöglich. Grady Foster kam nicht einfach nur herein. Mit seinen langen Beinen bewegte er sich anmutig wie ein Tänzer. Gleichzeitig wirkte er gefährlich wie ein Panther, wild und ungezähmt. Seine markanten Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt. Sein kohlrabenschwarzes Haar war gerade lang genug, um seine kantigen Kiefer und hohen Wangenknochen zu betonen.

Er sah sie an. Nicht einmal die Entfernung konnte das Glitzern seiner Augen verbergen, als er sie erwartungsvoll musterte. Ihr Herz klopfte heftig.

Mit langen Schritten kam er auf sie zu. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Hastig nahm sie einen Schluck Wein, bevor sie tief Luft holte. Sie zwang sich, zu entspannen und das kühle Lächeln aufzusetzen, das sie in den vergangenen drei Jahren perfekt einstudiert hatte. Wenn sie es schaffte, ihre Gefühle zu verbergen und sich ungerührt und selbstsicher zu geben, würde sie diesen Abend überstehen.

Genau wie sie alles andere auch durchgestanden hatte.

Er ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen und nickte ihr zu. Dann zog er an seiner Krawatte, um sie ein wenig zu lockern. Grady hasste Anzüge. Schade eigentlich. Wenige Männer sahen im Anzug so heiß aus wie ihr Ehemann.

„Danke, dass du einem Treffen zugestimmt hast“, sagte sie mit leiser, klarer Stimme. Sie hoffte, das Gespräch in geordnete Bahnen zu lenken, bevor sie sich wieder in den Schatten der Vergangenheit verloren. Außerdem wollte sie sich nicht anmerken lassen, wie sehr seine Gegenwart sie verunsicherte. „Ich war mir nicht sicher, ob du dich darauf einlassen würdest.“

Ungläubig runzelte er die Stirn. „Du bist meine Frau, Olly. Warum glaubst du, dass ich dich nicht sehen will? Auf dieses Treffen … darauf habe ich schon lange gewartet.“

„Aber …“ Sie räusperte sich. Er hatte ja recht. Ganz egal, wie oft sie seine Versöhnungsversuche abgelehnt hatte, sie hatte gewusst, dass er kommen würde. Denn er hatte die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie schon. Also musste eine Notlüge herhalten. „Ich war mir eben nicht sicher“, wiederholte sie.

„Dann hast du nicht aufgepasst.“ Seine zimtbraun gefleckten Augen verdunkelten sich. „Ich bin für dich da. Egal wann du mich brauchst. Das habe ich dir doch ganz deutlich gesagt, oder?“

„D-das hast du, aber … Also …“ Erleichtert brach sie ab, als der Kellner auf ihren Tisch zusteuerte. So hatte sie ein paar Minuten, um sich wieder zu beruhigen.

Der Ober legte ihnen die Speisekarten vor und erläuterte kurz die Empfehlungen des Tages. Nachdem Grady sich etwas zu trinken bestellt hatte, ließ der Kellner sie wieder allein.

Grady sah sie an. „Ich bin so froh, dass du angerufen hast, Olivia. Ich freue mich so, dass wir zusammen hier sind. In so einem Lokal sind wir nicht mehr gewesen, seit …“ Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn und runzelte die Stirn. „… sind wir schon seit Jahren nicht mehr gewesen.“

Es war so unglaublich schwierig, nicht auf das zu reagieren, was er beinahe gesagt hatte. Das vertraute Gefühl der Trauer überkam sie und überwältigte sie beinahe. Wenn sie das zuließ, würde sie zusammenbrechen. Also verhielt sie sich wie immer – und unterdrückte jegliche Gefühlsregung so unerbittlich und so schnell sie konnte. „Ja. Das ist Jahre her. Und das Restaurant ist wirklich nett. Aber, Grady …“ Olivia holte hastig Luft und nahm all ihren Mut zusammen. „Ich weiß, du denkst wahrscheinlich, dass ich dich hergebeten habe, um … um …“

Er seufzte genervt. „Okay, Olivia. Was soll das? Ich denke, du hast mich hergebeten, um was zu tun? Ein gutes Essen zu genießen?“ Obwohl er sich um einen scherzhaften Tonfall bemühte, vertieften sich die Furchen seiner gerunzelten Stirn. „Na los, sag mir schon, was ich denke. Bitte.“

Oh Gott, warum hatte sie nur auf Samantha gehört? Sich hier zu treffen war nur ihre Idee. Olivia hätte es besser wissen müssen. „Du denkst, dass ich dich hergebeten habe, um eine Versöhnung zu besprechen.“

Er erstarrte.

Nicht zum ersten Mal wünschte sich Olivia, sie könnte das auch. Ihm nur durch starres Schweigen so zuzusetzen, bis er die Stille brach. Aber er war der Panther hier, nicht sie. „Ich … will nicht. Wieder mit dir zusammen sein, jedenfalls. Wir müssen reden. Jedoch nicht über eine Versöhnung.“

Seine Miene wirkte versteinert, als er sie ungläubig anstarrte. „Ich habe mich in einen Anzug gequält und bin quer durch die Stadt gefahren, nur damit du mir sagst, dass sich nichts geändert hat? Diese Unterhaltung hätten wir auch am Telefon führen können. Verdammt, Olly, was hast du dir nur dabei gedacht?“

„Ich habe nicht nachgedacht … ich wusste einfach nicht … Samantha hat mir das Restaurant empfohlen. So etwas sollte man nicht am Telefon besprechen. Und du wohnst jetzt schon seit Monaten nicht mehr zu Hause.“ Sie straffte die Schultern. „Ich habe gedacht, es wäre nur fair, sich an einem Ort zu treffen, der für uns beide neu ist“, sagte sie leise. „Oder so etwas in der Art.“

Er entspannte sich ein wenig. „Samantha hat gesagt, du sollst mich hierher bitten?“

„Ja. Ich hatte ja keine Ahnung …“ Samantha Hagen war ihre beste Freundin. Aber Samantha hatte Grady auch sehr gern. Sie wünschte sich eine Versöhnung zwischen ihnen beinahe so sehr wie Grady.

„Sammy habe ich schon immer gemocht.“ Grady lächelte. „Ich habe jetzt seit Ewigkeiten nicht mehr mit ihr gesprochen. Wie geht es ihr?“

„Gut“, fuhr Olivia ihn an. „Man könnte sagen, ihr Geschäft blüht.“ Samantha war Scheidungsanwältin. „Sie hat mehr zu tun als je zuvor.“

Sein Lächeln verschwand. „Das freut mich für sie, aber …“

„… du glaubst nicht an Scheidung“, beendete sie den Satz für ihn.

„Das stimmt nicht ganz. Ich denke nicht, dass man aufgeben sollte, ohne wirklich alles versucht zu haben.“ Er warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Früher hast du das auch geglaubt.“

Ein Schauder lief ihr den Rücken hinunter, aber sie erwiderte mit fester Stimme: „Früher habe ich eine ganze Menge geglaubt. Die Dinge ändern sich.“

Bevor sie auch nur blinzeln konnte, hatte er ihre Hand genommen. Diese schlichte Berührung entfachte ein Gefühl des Verlangens tief in ihrem Körper. Himmel, wie sehr sie es vermisst hatte, ihn zu spüren. Olivia zog die Hand weg und ballte sie zur Faust. „Die Dinge ändern sich“, wiederholte sie.

Das hat sich nicht geändert. Du begehrst mich immer noch. Und ich dich auch. Warum sträubst du dich so dagegen?“

„Weil körperliche Anziehung nicht reicht.“

„Das sagst du immer wieder, aber …“ Der Kellner tauchte wieder auf und brachte Grady sein Bier. Dann erkundigte er sich nach ihren Bestellungen.

Olivia hatte kaum einen Blick auf die Karte geworfen. Sie wollte schon sagen, dass sie noch ein paar Minuten brauchte, als Grady sich einmischte und für sie beide bestellte. Das hatte er früher oft getan, und sie hatte das immer irgendwie süß gefunden. Aber jetzt ärgerte sie sich darüber.

Als der Ober wieder weg war, bedachte sie ihren Ehemann mit einem finsteren Blick. „Vielleicht wollte ich lieber etwas anderes. Vielleicht habe ich Lust auf Linguine mit Jakobsmuscheln.“

Er zog die linke Augenbraue hoch. „Ehrlich? Aber du liebst Hühnchen in Marsala.“

„Darum geht es nicht.“

„Um was denn dann?“

Entnervt stieß sie den Atem aus. „Du hättest mich fragen sollen.“

„Warum denn?“

„Warum nicht?“

„Weil du früher immer Hühnchen in Marsala bestellt hast, wenn wir beim Italiener waren.“ Verwirrt schüttelte er den Kopf. „Warum sollte ich glauben, dass sich das geändert hat?“

„Und warum solltest du das nicht glauben? Ich bin nicht mehr die Frau, die du geheiratet hast. Vieles, vieles hat sich geändert. Warum kannst du das nicht akzeptieren?“

„Wenn du Linguine willst, ändere ich deine Bestellung eben.“ Er hob schon die Hand, um dem Kellner zu winken, da packte sie ihn am Arm und hielt ihn fest.

„Stopp! Bitte, Grady. Du kannst nicht alles wieder in Ordnung bringen! Du kannst nicht alles wiedergutmachen.“ Sie schnappte nach Luft. „Hör endlich auf damit.“

Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Es tut mir leid, dass ich einfach so für dich mitbestellt habe. Das ist eine alte Angewohnheit. Ich habe nicht nachgedacht. Ich wollte dich wirklich nicht aufregen.“

Tränen stiegen ihr in die Augen. Wenn sie noch einmal blinzelte, würde sie anfangen zu weinen. Aber sie konnte nicht – würde nicht – vor Grady weinen. Sonst würde er an ihrer Entscheidung zweifeln. Und wenn er sie zu sehr bedrängte, würde sie wahrscheinlich nachgeben. Dann würde sie das nächste Jahr und das übernächste und vielleicht sogar den Rest ihres Lebens in dieser schrecklichen Leere gefangen bleiben. So hatte sie schon viel zu lange gelebt.

Es war höchste Zeit. Sie musste sagen, warum sie hergekommen war, bevor ihre Gefühle die Oberhand gewannen. Bis nach dem Essen zu warten kam ihr jetzt absurd und sinnlos vor. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen Ton heraus.

Unausgesprochene Gefühle bildeten eine unsichtbare Wand zwischen ihnen. Grady starrte sie mit zusammengepressten Lippen und dunklen Augen an. Allmählich schien er zu begreifen. Mühsam atmete er aus. „Es geht gar nicht um das Hühnchen, oder?“

„Nein.“

„Worum dann, Olivia?“

Sie konnte es noch nicht herausbringen. Erinnerungen daran, wie glücklich sie früher waren, gingen ihr durch den Kopf.

„Also?“ Er klang resigniert. Als ob er wusste, was kommen würde, und es einfach nur hinter sich bringen wollte.

Sie hob das Kinn und sah ihm in die Augen. Das half ihr, sich wieder auf ihren Plan zu besinnen. Ganz egal, wie schön es früher war, Erinnerungen waren nicht genug. „Ich will die Scheidung“, sagte sie leise.

„Was hast du gesagt?“

„Ich habe gesagt, dass ich mich scheiden lassen will.“ Ihr Herz klopfte so heftig, dass es fast wehtat. „Es tut mir leid, Grady. Aber es ist Zeit. Das weißt du genau.“

„Davon weiß ich überhaupt nichts.“ Grady kniff die Augen zusammen. „An einer Scheidung bin ich nicht interessiert. Und wir haben noch einiges vor uns, bevor ich willens bin, darüber auch nur nachzudenken.“

„Wie lange denn noch? Wir sind jetzt schon zwei, beinahe drei Jahre nicht mehr wirklich zusammen.“

„Wir waren sieben Jahre lang glücklich miteinander.“

„Das war ein anderes Leben.“

„Das ist unser Leben, Olly. Dein Leben und mein Leben. Warum willst du uns keine Chance geben?“ Er klang frustriert. „Wovor hast du solche Angst?“

„Ich habe keine Angst. Aber du bist vor neun Monaten ausgezogen. Es gibt keinen Grund, sich weiter etwas vorzumachen, Grady.“ Erneut reckte sie das Kinn. „Unsere Ehe ist zu Ende.“

„Ich bin nur ausgezogen, weil du mich darum gebeten hast.“ Heftig fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar.

Sie atmete tief durch. Dann sagte sie: „Es ist vorbei. Das musst du doch wissen.“

Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Ich weiß, dass uns noch sehr viel verbindet. Sag mir, dass ich mich irre.“

Das tat so unglaublich weh. „Nein, da irrst du dich nicht“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. „Da sind schon noch Gefühle. Wahrscheinlich werden wir immer etwas füreinander empfinden. Aber wir können eben nicht …“

„Was?“, fragte er. „Was können wir nicht?“

„Zurück. Wieder so sein wie früher. Das Rad zurückdrehen.“ Gott, wie sehr sie sich das doch wünschte. Sie unterdrückte ein Schluchzen.

Da wurde seine Miene ganz weich. Er schloss die Augen und holte so tief Luft, dass er es noch in den Zehenspitzen spüren musste. Als er die Augen wieder aufmachte, sah sie keinen Frust mehr. Stattdessen erblickte sie Mitleid und den tiefen Schmerz, dem sie bei jedem Blick in den Spiegel ausgesetzt war. Nur das verband sie noch miteinander: Schmerz und Verlust. Wie sollte man auf so einer Grundlage etwas aufbauen?

„Du hast recht. Ich würde alles geben, um zu ändern, was geschehen ist. Aber das kann ich nicht, Süße. Und du auch nicht. Es wird nie wieder so sein wie früher. Aber wir können wieder glücklich sein. Daran glaube ich, Olly. Wenn du uns nur eine Chance geben würdest.“ Stur presste er die Lippen zusammen. „Es sei denn … Gibt es einen anderen?“

„Nein“, sagte sie sofort. „Aber das liegt vielleicht auch daran, dass wir auf dem Papier noch verheiratet sind.“

„Ich will keine andere Frau“, knurrte er.

„Schön! Aber vielleicht will ich einen anderen Mann! Vie…vielleicht bin ich soweit, wieder auszugehen.“ Diese Lüge sagte sich so leicht, auch wenn es in ihrem Herzen ganz anders aussah. „Vielleicht bin ich bereit, darüber hinwegzukommen.“

„Dann lass uns das gemeinsam tun. Geh mit mir aus.“

Bei ihm hörte sich das so einfach an. Als ob ein Ja genügen würde, um alles wieder ins Lot zu bringen. Und sie wollte so gerne Ja sagen. Aber in den letzten neun Monaten hatte sie mehr Seelenfrieden gefunden als vor seinem Auszug. Deswegen war ihre Antwort klar. „Das kann ich nicht. Das führt doch zu nichts. Es ist jetzt drei Jahre her, seit wir zusammen glücklich waren, Grady.“

„Jawohl“, stimmte er ihr überraschenderweise zu. „Aber haben wir in diesen drei Jahren eine Therapie versucht? Haben wir auch nur ein einziges Mal offen und ehrlich über das gesprochen, was passiert ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das haben wir nicht. Also haben wir noch längst nicht alles versucht.“

„Dann sag mir bitte, dass die letzten neun Monate keine Erleichterung für dich waren!“

„Für mich waren sie die Hölle“, erwiderte er leise.

„Für mich nicht.“ Das war allerdings nicht ganz richtig. Sie hatte ihren Mann vermisst. Manchmal hatte sie sich geradezu schmerzhaft nach ihm gesehnt. Danach, seine Stimme zu hören, nachts seine Arme um sich zu spüren. Aber vor allem hatte sie Erleichterung verspürt. „Ich … ich brauche deine Zustimmung nicht, um die Scheidung einzureichen.“

„Nein, die brauchst du nicht. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich kampflos aufgebe.“

„Es wäre einfacher, wenn du zustimmst. Ich will mich nicht mir dir streiten“, gab sie hastig zu. „Aber ich kann nicht länger warten. Bitte versteh das.“

„Was soll ich verstehen? Ich liebe dich, Olivia. Bedeutet dir das nichts mehr?“

Sie liebte ihn ja auch. Immer noch. Wahrscheinlich würde sie ihn immer lieben. Aber manchmal war Liebe eben nicht genug. „Nein, Grady. Tut es nicht.“ Innerlich ließ ihr Tonfall sie zusammenzucken. Noch eine Lüge. Aber es gab kein Zurück mehr. „Ich brauche die Scheidung. Irgendwie muss ich weiterleben. Und das kann ich erst, wenn unsere Ehe offiziell vorbei ist.“

Grady wirkte geschlagen. Doch dann verzerrte sich sein Gesicht, als heftige Gefühle in ihm aufwallten. „Was würde Cody dazu sagen? Hast du darüber schon mal nachgedacht?“

Seine Worte trafen sie bis ins Mark, erschütterten sie zutiefst. „Lass Cody aus dem Spiel.“

„Komm schon, Olivia. Lass uns ausnahmsweise mal ehrlich miteinander sein.“ Grady ballte die Hände zu Fäusten. „Hier geht es doch nur um Cody. Also frage ich dich noch mal: Was würde unser Sohn dazu sagen?“

Da verlor sie die Fassung, die sie bisher so mühsam bewahrt hatte. Sie musste hier weg – weg von ihm. Sie stand auf und warf ihrem Mann einen eisigen Blick zu. „Ich werde Samantha bitten, sich um die Formalitäten zu kümmern. Du solltest dir einen Anwalt nehmen.“

Mit diesen Worten verließ sie das Restaurant. Sie zitterte am ganzen Körper. Trauer, Schock und Wut durchfuhren sie. Wie konnte er es wagen? Ihren Sohn in diese Sache hineinzuziehen war falsch.

Sie erreichte ihren Wagen, ohne eine Träne zu vergießen. Wahrscheinlich würde Grady nach ihr suchen. Um sicher zu sein, dass es ihr gut ging. Und um sie zu trösten. Also fuhr sie erst mal ein Stück und hielt dann auf einem Parkplatz vor einem Supermarkt an.

Dann erst stützte sie sich mit überkreuzten Armen aufs Lenkrad und weinte sich aus. Lieber Gott, sie vermisste Grady so sehr. Aber ihr kleiner Junge fehlte ihr noch viel mehr. Und darum war es so schwierig, mit Grady zusammen zu sein. Denn Cody war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen. Jedes Mal, wenn Grady lächelte, sah sie Codys Lächeln vor sich. Wenn sie Grady in die Augen schaute, waren es die Augen ihres Sohnes. Sogar ihr Lachen war gleich. Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn erschütterte sie jedes Mal, wenn sie Grady ansah.

Sie liebte ihren Ehemann noch so sehr wie am Tag ihrer Hochzeit. Aber das spielte keine Rolle. Es war auch egal, dass ihr Leben sich ohne ihn ganz leer anfühlte. All das hatte keine Bedeutung gemessen am Verlust ihres Kindes.

Grady glaubte, dass sie ihm die Schuld am Tod ihres Sohnes gab. Doch das stimmte nicht. Im Gegenteil. Vor sich selbst konnte sie zugeben, wie viel einfacher alles wäre, wenn sie Grady dafür verantwortlich machen könnte. Ihm könnte sie verzeihen. Sich selbst zu vergeben erschien ihr dagegen unmöglich.

Denn es war ihre Schuld, dass ihr Mann und ihr Sohn zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Es war ihre Schuld, dass die beiden auf eisglatten Straßen im Auto unterwegs gewesen waren. Sie hatte Codys Besuch beim Weihnachtsmann wochenlang vor sich her geschoben. Und dann hatte sie Cody den Floh ins Ohr gesetzt, Daddy zum Weihnachtsmann mitzunehmen. Und als Grady ihr vorgeschlagen hatte, einen Familienausflug daraus zu machen, hatte sie sich für die Idee eines Abenteuers nur für Vater und Sohn stark gemacht. Bis Grady zugestimmt hatte.

Selbstsüchtig hatte sie ein paar Stunden nur für sich haben wollen, um sich vom Weihnachtsrummel zu erholen. Nur darum hatte sie alles verloren, was ihr je etwas bedeutet hatte.

Darum konnte sie nicht mehr mit Grady zusammen sein. Grady weckte zu viele Erinnerungen in ihr, zu viele Gefühle. Mit ihm würde sie nie wieder auch nur ansatzweise ihren Seelenfrieden finden.

Fünfundvierzig Minuten später durchquerte Grady den Friedhof und blieb erst stehen, als er das Grab seines Sohnes erreicht hatte. Inzwischen war es fast drei Jahre her, seit er das letzte Mal Codys Lachen gehört hatte. Drei Jahre, seit er sein Kind zum letzten Mal umarmt hatte. Wie war das nur möglich?

Normalerweise schaffte es Grady, die schmerzhafte Leere zu überwinden und weiterzumachen. Er bewältigte den Alltag und konnte so tun, als ob er ein ganz normaler Mann war. Nur hier musste er niemandem etwas vorgaukeln. Dafür gab es hier keinen Grund. Hier war er mit seinem Sohn allein.

Er zitterte. Wegen der Erinnerungen und wegen des Schnees, der inzwischen die ganze Stadt überhauchte. Die letzten Winter in Portland, Oregon, waren alle schneereicher gewesen, als man es hier gewohnt war. Aber Grady konnte sich nicht erinnern, dass es je so früh im Jahr geschneit hatte. Vielleicht war es albern und sentimental, aber es kam ihm fast so vor, als ob Cody ihm ein Zeichen geben wollte. Sein Sohn hatte den Winter geliebt.

Grady bückte sich und wischte die Schneeflocken von den Buchstaben, die den Namen seines Sohnes formten. Es war einfach nicht richtig, dass er Cody verloren hatte. Und es war auch nicht fair. Aber verdammt, wann war das Leben schon fair? So etwas passierte eben. Und bei manchen Tiefschlägen hatte man das Gefühl, man würde sich nie wieder erholen. Aber man musste weitermachen. Irgendwie musste man das durchstehen, an sich halten, überleben.

„Hey, Kleiner. Ich habe heute viel an dich gedacht. Eigentlich tue ich das immer.“ Bei diesen Worten schnürte es Grady die Kehle zu. Doch er sprach weiter. Egal wie hart die Besuche am Grab seines Sohnes für ihn waren, er wusste aus Erfahrung, dass er sich dadurch Cody näher fühlte. „Heute Abend habe ich deine Mom getroffen. Du hättest sie sehen sollen, mein Junge. Sie war so wunderschön.“

Olivia hatte ihr langes dunkelbraunes Haar offen getragen. Es hatte ihr Gesicht umrahmt und ihre bezaubernden blauen Augen betont. Bei ihrem Anblick hatte er sich sofort wieder aufs Neue in sie verliebt. Himmel, was war er doch für ein Narr. Als Olivia ihn zum Abendessen eingeladen hatte, da war er sicher gewesen, dass es endlich soweit war: Sie würden sich aussprechen und versöhnen.

„Ich will sie nicht aufgeben“, flüsterte Grady der kalten Nachtluft zu. „Ich verspreche dir, ich versuche es weiter, Cody. Aber ich muss ihr jetzt ein paar Tage Zeit geben, um sich zu beruhigen. Ich bin schuld, dass sie sich heute Abend so aufgeregt hat. Dabei wollte ich das überhaupt nicht.“

Als Olivia ihn im Restaurant zurückgelassen hatte, wäre er am liebsten aufgesprungen und hinter ihr hergelaufen. Aber er hatte sich gezwungen zu bleiben, wo er war. Dass er Cody erwähnt hatte, hatte sie hart getroffen. Wahrscheinlich hätte er das nicht tun sollen. Doch er sehnte sich danach, mit Olivia über Cody zu sprechen. Eines war allerdings jetzt klar: Sie war noch nicht bereit dazu. Nach dem heutigen Abend fragte er sich, ob sie es je sein würde.

Er hatte geglaubt, dass Olivia und er mit genügend Abstand wieder zusammenfinden würden. Also hatte er darauf gewartet, dass Olivia wieder auf ihn zugehen würde. Dass sie endlich all das aussprechen würde, was sie bisher nicht gesagt hatte. Dann könnten sie ihre Ehe hoffentlich retten. Doch jetzt hatte sie ihn um die Scheidung gebeten.

„Ich wünschte …“ Grady sprach nicht weiter. Genau wie Olivia wollte er das Rad zurückdrehen, zu dem stürmischen Wintertag vor fast drei Jahren. Zwei Tage vor Weihnachten wollte der fünfjährige Cody damals unbedingt noch den Weihnachtsmann besuchen. Ehrlich gesagt hatte Grady keine Lust dazu gehabt. Er hätte viel lieber mit seinem Sohn im Schnee gespielt, als sich durch Menschenmassen zu wühlen.

Aber Cody hatte ihn mit seinen großen braunen Augen angesehen und gebettelt, wie nur Fünfjährige es können. Also hatten sie sich auf den Weg gemacht. Grady würde nie vergessen, wie unsagbar glücklich Cody gestrahlt hatte, als er beim Weihnachtsmann auf dem Schoß gesessen war. Für dieses Lächeln hatte Grady die Tortur des überfüllten Einkaufszentrums mit den langen Warteschlangen gerne auf sich genommen.

Als sie wieder aufgebrochen waren, hatte es heftig geschneit. Eine Minute lang – eine ganze verdammte Minute lang – hatte Grady überlegt, ob sie warten sollten, bis der Schneesturm wieder abflaute. Doch er hatte sich Sorgen gemacht, dass es nur noch schlimmer werden würde. Also hatte er beschlossen, nach Hause zu fahren. Wo Olivia auf sie wartete.

Ja, er würde wirklich alles geben, um diesen Tag noch einmal zu durchleben und mit seinem Sohn Schneemänner zu bauen, statt ins Einkaufszentrum zu fahren. Oder um wenigstens eine Stunde früher wieder nach Hause zu fahren – oder später. Verdammt, eine Viertelstunde hin oder her, und alles wäre vielleicht ganz anders gelaufen. Dann wäre er nicht einem betrunkenen Autofahrer in die Quere gekommen.

Erneut streichelte er mit den Fingerspitzen über den Namen seines Sohnes.

„Deine Mom gibt mir die Schuld, Cody. Sie schwört zwar, dass sie das nicht tut, aber ich weiß es besser. Wenn sie mich nur anschreien würde! Wenn sie nicht versuchen würde, unsere Gefühle zu schonen, hätten wir vielleicht noch eine Chance.“

Grady konnte Olivia sogar verstehen. Wahrscheinlich ginge es ihm genauso, wenn Olivia an jenem Tag am Steuer gesessen hätte. Er konnte nachvollziehen, warum sie ihm Vorwürfe machte. Verdammt, er konnte ja nicht aufhören, das selbst zu tun.

Reglos stand Olivia da. Irgendwie wurde ihr ganz warm ums Herz, als sie Grady am Grab ihres Sohnes knien sah. Seit dem schrecklichen, zermürbenden Tag, an dem sie ihren Sohn begraben hatten, waren sie nicht mehr zusammen hier gewesen.

Sie schluckte schwer. So versuchte sie, das Engegefühl abzuschütteln, das ihr den Brustkorb zusammenschnürte. Ein ersticktes Schluchzen entschlüpfte ihr. Der Novemberwind wehte den Klang von Gradys Stimme zu ihr herüber. Merkwürdigerweise war das irgendwie tröstlich.

Wie seltsam, dass seine Nähe ihr so wehtat, wenn dieser Augenblick – einfach nur seine Stimme zu hören – die Panik und die Pein linderte. Vielleicht lag es an der sicheren Entfernung. Oder daran, dass er von ihrer Anwesenheit nichts ahnte. Vielleicht fühlte sie sich auch nur besser, weil sie endlich eine Entscheidung gefällt hatte, was ihre Ehe anging.

Doch in diesem Moment spielte das alles keine Rolle. Sie dachte nicht weiter nach. Sie ging einfach los, die Augen auf den einzigen Mann gerichtet, den sie je geliebt hatte. Ihre Schritte knirschten im Schnee. Aber Grady sah sich nicht um.

Ein paar Schritte von ihm entfernt blieb sie stehen. Jetzt war sie nahe genug, um zu hören, wie heiser und gequält sich die Stimme ihres Ehemanns anhörte.

„Es ist schon fast wieder Weihnachten, mein Junge. Bald stellen die Leute Weihnachtsbäume auf und schmücken ihre Häuser. Die Kinder werden den Weihnachtsmann besuchen gehen.“ Grady senkte die Stimme. „Ich werde versuchen, nicht neidisch zu sein. Ich werde versuchen, nicht daran zu denken, wie es wäre, wenn du noch bei uns wärst. Aber das wird mir echt schwerfallen.“

Oh Gott, nein. Das wollte sie nicht hören. Nein, nein, nein. Sie machte einen Schritt rückwärts. Dann noch einen. Aber Grady sprach einfach weiter. Und jede Silbe fühlte sich wie ein Messerstich an.

„Neulich habe ich eine Modelleisenbahn gesehen. Da musste ich sofort daran denken, wie sie dir gefallen würde. Ich habe die Schachtel vom Regal genommen, bevor ich mich daran erinnert habe … bevor mir …“

Olivia blinzelte. Erst fiel eine Träne, dann noch eine. Wie oft war ihr genau dasselbe schon passiert? Viel zu oft. „Hör auf“, flüsterte sie. „Bitte hör auf.“

Grady sprang auf. Er legte die Arme um sie. „Ich habe nicht gewusst, dass du hier bist. Es tut mir so leid, Olly. Es tut mir so leid, dass du das mit anhören musstest …“

Sie lehnte den Kopf gegen seinen Oberkörper. Dabei wusste sie genau, dass sie seine Arme abschütteln sollte. Doch dazu fehlte ihr die Kraft. Seine Umarmung fühlte sich so gut an. Sie schloss die Augen und sog seinen vertrauten Geruch ein. Ein paar Minuten lang erlaubte sie sich, seinen Trost anzunehmen.

Er zog sie enger an sich und küsste sie sanft aufs Haar. Ganz vorsichtig. Sie seufzte und schmiegte sich noch dichter an ihn. Sie wollte mehr, wollte alles, was sie verloren hatte. Wenn auch nur für eine Nacht, wollte sie sich wieder wie früher fühlen. Normal. Also klammerte sie sich an ihrem Mann fest.

Die Übelkeit, die sie vorher verspürt hatte, löste sich in Wärme auf. Hitze durchströmte ihren Körper. Grady hielt sie fest. Er tröstete sie. Die Umarmung erinnerte sie an alles, was sie einander früher bedeutet hatten. An die Leidenschaft, die sie geteilt hatten. An so vieles. Das war zu viel für sie. So viele Gefühle konnte sie nicht verkraften. Also zwang sie sich, die Arme sinken zu lassen und zurückzutreten.

„Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe“, murmelte sie. „Ich sollte gehen.“

„Nein, das solltest du nicht.“ Er streckte die Hand nach ihr aus. „Komm her, Olly. Lass mich dich festhalten.“

Ihr Verstand sagte ihr, dass sie schleunigst verschwinden sollte. Aber ihr Körper gehorchte ihr nicht. Olivia ging wieder auf Grady zu. Sie legte die Hand in seine, und er zog sie wieder an sich. Dann sah sie zu ihm auf, schaute ihm in die Augen. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, spürte sie seine Lippen auf ihrem Mund.

Und dann verschwand alles um sie herum.

2. KAPITEL

Olivia drehte sich um und räkelte sich. Dann streckte sie mit geschlossenen Augen die Hand nach Jasper aus. Aber statt des weichen Fells ihres Katers berührte sie nur ein leeres Kissen.

Wie merkwürdig. Sie konnte sich an keinen Morgen in den letzten Jahren erinnern, an dem …

Oh nein! Das konnte sie unmöglich getan haben. Ihr wurde ganz heiß, als sie sich an die vergangene Nacht erinnerte. Lieber Himmel, sie hatte es wirklich getan. Grady hatte sie geküsst. Sie hatte seinen Kuss erwidert. Daraufhin waren sie zu seinem Apartment gefahren. Dort folgten noch mehr Küsse. Sie berührte ihre Lippen mit den Fingern. Jede Menge Küsse. Und Zärtlichkeiten.

Oh verdammt. Jede Menge und mehr. Von allem.

Olivia setzte sich auf und stöhnte. Endlich hatte sie den Mut aufgebracht, um die Scheidung zu bitten. Und dann ging sie mit ihrem Ex ins Bett? Was für eine Frau tat so etwas – und hatte auch noch Spaß daran? Dabei war das noch eine Untertreibung. Sie hatte es mehr als nur genossen. Sie hatte sich ihrer Lust voll und ganz hingegeben. Erinnerungen überwältigten sie. Wie er sie berührt hatte, wie sie darauf eingegangen war. Glühend heiß überkam sie erneut das Verlangen. Grady traf keine Schuld wegen der vergangenen Nacht. Sie hatte ihn genauso begehrt wie er sie. Jedenfalls körperlich.

Panik stieg in ihr auf. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Was für eine dumme Frage. Sie hatte überhaupt nicht nachgedacht. Nein, sie hatte nur reagiert – auf Gradys Stimme, auf seine Berührungen … seine Küsse.

Einen Augenblick lang erlaubte sie sich, die Nacht noch einmal Revue passieren zu lassen. Wärme und Zärtlichkeit wallten in ihr auf. Himmel, wie sehr sie ihn doch vermisst hatte.

Sie stellte sich vor, wie sie in die Küche ging und ihrem Mann einen Kuss gab. Wie er die Arme um sie legte. Wie sie ihm sagte, dass sie neu anfangen wollte. Allmählich spürte sie so etwas wie Schmetterlinge im Bauch. Vielleicht war diese Nacht gar kein Fehler, sondern ein Wink des Schicksals? War das möglich?

Vielleicht. Sie öffnete die Augen, holte tief Luft und ließ den Gedanken einfach zu. Die Panik war immer noch da. Aber zum ersten Mal seit Jahren verspürte sie einen Anflug von Hoffnung. Warum? Was hatte sich geändert?

Da traf ihr Blick ein Foto von Cody, das Grady aufgestellt hatte. Das Gesicht ihres wundervollen Jungen ließ ihr Herz höher schlagen. Doch sein Lächeln und das Leuchten in seinen Augen trafen sie wie ein Messerstich direkt ins Herz. Cody war immer noch tot. Wie konnte sie ohne ihn auch nur eine Minute glücklich sein? Das konnte sie einfach nicht. Also, nein. Nichts hatte sich geändert.

Die vergangene Nacht war ein Fehler. Das musste sie Grady jetzt erklären.

Sie sprang aus dem Bett und schnappte sich ihre Sachen. BH … gefunden. Slip … vorhanden. Sie zog sich das Kleid über den Kopf. Mist! Wo waren ihre Schuhe? Sie musterte den Fußboden. Dann kniete sie sich hin und schaute unters Bett. Keine Schuhe.

Die Tür ging auf. Sie fuhr zusammen und stieß mit dem Kopf gegen das Bettgestell.

„Suchst du nach Monstern? Oder schaust du nur nach, was ich unter meinem Bett aufhebe?“

„Weder noch.“ Sie rieb sich den Kopf. „Ich äh … will nur meine Schuhe finden.“

„Die sind im Wohnzimmer.“ Er musterte sie. „Alles okay?“

Olivia nickte. Der Anblick ihres Ehemanns raubte ihr die Sprache. Er hatte nur eine dunkelblaue Schlafanzughose und ein enges, schwarzes T-Shirt an. Einen Moment lang war sie einfach nur dankbar, dass er wenigstens ein Oberteil anhatte. Aber das half nicht viel, um ihr Verlangen zu unterdrücken.

Er hielt ein Tablett in den Händen. Darauf befanden sich Teller mit Frühstücksspeck und Rührei, außerdem Kaffeetassen. „Du … hättest mir wirklich kein Frühstück machen müssen“, sagte sie schließlich.

„Ich wollte aber“, erwiderte er schlicht. „Ich habe gedacht, du hast bestimmt einen Bärenhunger, nach …“

„Ja. Also, äh … danke. Aber eigentlich bin ich nicht sehr hungrig.“ In diesem Augenblick knurrte ihr Magen und strafte ihre Worte Lügen. Warum kannte dieser Mistkerl sie nur so gut? „So hungrig auch wieder nicht“, korrigierte sie sich. „Und ich sollte besser nach Hause fahren. Wegen Jasper.“

„Jasper hält noch eine Weile aus.“ Grady deutete mit einem Kopfnicken auf das Tablett. „Ich hatte diese fantastische Idee, Frühstück im Bett zu genießen. Aber wo du schon auf bist, können wir auch in der Küche essen.“ Bevor er wieder hinausging, schenkte er ihr ein Lächeln, das geradezu unverschämt sexy war. „Komm schon. Sonst wird noch alles kalt.“

Sie starrte die Tür an und überlegte, was sie tun konnte. Sie stellte sich vor, wie sie aus dem Schlafzimmer kam, ihre Schuhe holte und dann zu Grady sagte: „Nein, danke.“ Während er vor dem Frühstück saß, das er für sie gekocht hatte.

Ein Seufzer entschlüpfte ihr. Das konnte sie nicht tun. Er hatte etwas Besseres verdient. Okay. Dann würden sie eben zusammen frühstücken. Aber bevor sie dieses Apartment verließ, musste sie ihm sagen, dass die vergangene Nacht nichts an ihrer Entscheidung geändert hatte.

Sie straffte die Schultern, rang sich ein Lächeln ab und ging hinaus. Als sie sich an den winzigen Küchentisch setzte, knurrte ihr wieder der Magen und erinnerte sie daran, dass Grady sie besser kannte als sie sich selbst. „Ich glaube, ich bin hungriger, als ich gedacht habe.“

„Dann hau rein.“ Er streckte die Hand aus und strich ihr zärtlich das Haar hinter das Ohr zurück. „Dann geht’s dir gleich besser.“

Sie nickte und versuchte, sich auf das Essen zu konzentrieren. Alles hatte er genauso zubereitet, wie sie es am liebsten mochte: Der Speck war knusprig, aber nicht bröselig, der Kaffee war stark und heiß, und auf den Rühreiern war gerade genug geschmolzener Cheddar. Trotzdem schmeckte Olivia nichts. Sie hätte genauso gut Pappe essen können.

Die nächsten paar Minuten aßen sie schweigend. Olivia schaffte ungefähr ein Drittel ihrer Portion. Dann gab sie auf. Mit einem Seufzer schob sie den Teller weg und griff nach der Kaffeetasse. „Noch mal vielen Dank. Das war wirklich gut.“

Er musterte sie zweifelnd. „Gern geschehen. Viel gegessen hast du ja nicht. Ich weiß, dass du dich wegen letzter Nacht unbehaglich fühlst. Aber es gibt keinen Grund, das überzubewerten.“ Er strich sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. „Über letzte Nacht müssen wir nicht reden, Olly. Ich bin nur froh, dass du hier bist.“

„Müssen wir nicht?“ Gott sei Dank. Vielleicht war letzte Nacht einfach nur ein Abschied gewesen. Damit konnte sie leben – oder etwa nicht? „Na schön. Ich … ich schätze, dann sollte ich mal nach Hause fahren.“

Schon schob sie den Stuhl vom Tisch zurück, obwohl sie wusste, dass sie noch etwas sagen sollte. Obwohl sie wusste, dass sie noch mal nachhaken sollte. Aber sie wusste einfach nicht, wie sie das ausdrücken sollte.

Da fügte Grady hinzu: „Geh nicht. Bitte. Ich möchte den Tag mit dir verbringen.“ Es tat so gut, seine raue Stimme zu hören. Himmel, sie liebte seine Stimme. „Ich habe gedacht, wir könnten vielleicht schon mal mit den Weihnachtseinkäufen anfangen. Vielleicht sogar …“

„Es ist noch nicht mal Thanksgiving. Ich habe noch keinen Gedanken an Weihnachten verschwendet.“ Und ein Einkaufsbummel mit Grady wäre ihr im Traum nicht eingefallen. Es war ewig her, seit sie zusammen Weihnachtsgeschenke gekauft hatten. „Ich weiß nicht.“

„Also“, sagte er zögernd, „ich … ich hätte da eine Idee. Ich würde dir gerne einen Vorschlag machen, aber ich bin mir nicht sicher, wie du darauf reagieren wirst.“

Bei diesen Worten klingelten bei ihr die Alarmglocken. „Worauf denn?“

„Ich habe gedacht, wir könnten etwas für Cody kaufen … Geschenke für einen achtjährigen Jungen. Wir könnten an ihn denken, wie er jetzt sein würde, was ihm Spaß machen würde. Und dann könnten wir die Geschenke in seinem Namen einer Wohltätigkeitsorganisation für Kinder spenden.“

Wortlos starrte sie ihn an. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Grady so grausam sein könnte. „W…was?“

„Bitte reg dich nicht auf. Hör mir einfach zu.“ Er umklammerte seine Kaffeetasse so fest, dass die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten. „Ich vermisse ihn so sehr. Wir …“ Die Stimme versagte ihm. Er räusperte sich. „Wir reden nie über ihn. Wir waren seine Eltern und wir reden nie über unseren Sohn. Das bringt mich um, Olivia.“

„Und du glaubst, es würde helfen, Weihnachtsgeschenke für ihn zu kaufen?“ Das Blut gefror ihr in den Adern. „Warum? Was soll das bringen?“

„Um unserem Sohn zu gedenken, Olivia. Um gemeinsam etwas in seinem Andenken zu tun. Um ihm gerade in der Weihnachtszeit nahe zu sein.“ Grady ließ die Kaffeetasse los und nahm ihre Hand. „Er hat Weihnachten geliebt. Weißt du noch?“

„Natürlich erinnere ich mich.“

„Ich möchte das so gerne mit dir teilen. Hast du genug Vertrauen zu mir, es wenigstens zu versuchen?“, bat Grady. „Nur eine Stunde. Wenn es dann zu viel für dich ist, hören wir auf.“

Ihre Gefühle schnürten ihr die Kehle zu. Blindlings schüttelte sie den Kopf. Vor Tränen konnte sie kaum noch etwas sehen. „Nein“, flüsterte sie. „Auf gar keinen Fall.“

„Hör mir doch bitte zu“, flehte er. „Ich habe das die letzten zwei Jahre schon getan. Ich werde dich nicht anlügen … es war unglaublich hart in dem Jahr, nachdem wir ihn verloren haben. Es wird sicher nicht leicht für dich. Aber das gibt mir so viel Freude. Hör zu, ich weiß, das ist viel verlangt, aber wenn du es wenigstens versuchst, wenn du dich darauf einlässt, vielleicht …“

„Vielleicht was? Vielleicht leide ich dann Höllenqualen? Ja! Vielleicht komme ich dann um vor Trauer? Sicher!“ Wieder überkam sie die Verzweiflung und bestätigte sie gleichzeitig in ihrer Überzeugung, dass sie nicht mehr mit Grady zusammenleben konnte. „Ich kann keine Geschenke für Cody aussuchen und dann weiterschenken! Ich kann nicht daran denken, wie er jetzt wäre oder was er sich zu Weihnachten wünschen würde … oder … oder …“

Sie biss sich auf die Lippe und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Grady hielt immer noch ihre Hand fest und sah sie unverwandt an. Eine herzzerreißende Ewigkeit verstrich, bevor er endlich sagte: „In Ordnung. Ich verstehe. Du bist noch nicht bereit dafür. Es tut mir leid, dass ich das zur Sprache gebracht habe.“ Mühsam zuckte er die Schultern. „Ich habe gedacht, es hilft vielleicht. Ich habe gehofft … ist ja auch egal. Wir können irgendwas anderes unternehmen.“

„Nein. Das können wir nicht. Ich muss nach Hause.“ Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen. „Lass mich los“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

„Bitte bleib doch“, wiederholte er. „Wir müssen nicht über Cody oder über letzte Nacht sprechen. Aber ich will nicht, dass du gehst, solange du so außer dir bist. Lass uns den Tag zusammen verbringen. Wir könnten ins Kino gehen oder meine Eltern besuchen. Sie fragen immer nach dir.“

Sie schüttelte den Kopf, weil sie ihrer Stimme nicht traute.

„Wenn du jetzt gehst, machen wir doch einen Schritt vorwärts und dann zwei Schritte zurück. Bitte nicht. Lass uns weiter nach vorne sehen.“ Jedes Wort drückte seine Liebe aus und seine Überzeugung, dass sie beide zusammengehörten.

Mit weit aufgerissenen Augen zwang sie sich dazu, nicht zu blinzeln. „Grady, ich … ich habe meine Meinung nicht geändert, was die Scheidung angeht. Es tut mir leid, wenn ich einen falschen Eindruck bei dir geweckt habe …“ Ihr blieb die Stimme weg. Ganz gegen ihren Willen schluchzte sie auf. „… Das hatte ich wirklich nicht vor … Aber ich will noch immer die Scheidung.“

Grady saß da wie erstarrt. Sie war sich nicht sicher, ob er überhaupt noch atmete. „Letzte Nacht hast du dich aber nicht so benommen.“ Die Enttäuschung ließ seine Stimme tiefer klingen. „Tu mir das nicht an.“

„Das muss ich aber.“ Erneut zog sie ihre Hand zurück, und diesmal ließ er sie los. „Ich bereue nicht, was letzte Nacht passiert ist, Grady. In … in vieler Hinsicht war es wunderschön. Mir tut nur leid, dass ich so für Verwirrung gesorgt habe … Es tut mir leid, dass du geglaubt hast, dass letzte Nacht …“

„Ich habe nicht gewusst, was letzte Nacht bedeutet! Aber ich hätte nie gedacht, dass sie dir nichts bedeutet.“

Sie hasste es, ihn zu verletzen. Aber sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. „Natürlich hat letzte Nacht mir etwas bedeutet. Auf jeden Fall! Nur nicht das, was du gerne hättest. Es tut mir wirklich leid. So leid.“

„Dann ist es wirklich aus, Olly? Ohne wenn und aber?“ Er saß steif und kerzengerade da, als ob er seine ganze Kraft brauchte, um sich für ihre Antwort zu wappnen. „Du willst die Scheidung?“

Olivia holte tief Luft und sah ihm in die Augen. „Ja, Grady. Das will ich.“

„Bist du sicher?“, fragte er. „Du musst dir absolut sicher sein, Olivia.“

Sie schluckte, obwohl sie einen Riesenkloß im Hals hatte. „Ich bin mir ganz sicher.“

Er ließ die Schultern sinken und schloss einen Sekundenbruchteil die Augen. Dann seufzte er tief und sagte niedergeschlagen: „Schön. Ich kann dir diesen Wunsch nicht länger abschlagen. Ich werde mir einen Anwalt nehmen.“

Seine Zustimmung löste bei Olivia eher Schock als Erleichterung aus. „Wirklich?“

„Ja.“ Er sah weg. Leise fügte er hinzu: „Es tut mir so leid.“

„Was denn?“

„Dass ich das Auto gefahren habe, in dem unser Sohn gestorben ist.“

„Das war nicht deine Schuld“, sagte sie mit belegter Stimme. Er antwortete nicht, sondern starrte nur die Tür an. Die Botschaft war klar. Sie sollte gehen. Wer konnte ihm da einen Vorwurf machen?

Sie suchte ihre Schuhe zusammen und stolperte beim Anziehen beinahe über die eigenen Füße. Beim Hinausgehen flüsterte sie: „Ich mache dir keine Vorwürfe deswegen, Grady. Ich bin schuld. Mir tut es leid.“

„Ich kann dich nicht verstehen, Olivia. Was hast du gesagt?“, fragte Grady.

„Ich … habe nur Auf Wiedersehen gesagt. Nur Auf Wiedersehen.“ Sie zwang sich, die Wohnung zu verlassen.

„Dann ist es also jetzt vorbei?“, fragte Jace, Gradys zwei Jahre jüngerer Bruder. Sie hatten sich zum Abendessen in einem Diner in der Nähe von Gradys Wohnung getroffen. „Was ist aus deinem Argument geworden, wirklich nichts unversucht zu lassen?“

„Das gilt immer noch. Aber ich kann Olivia zu nichts zwingen.“ Grady zuckte die Schultern. Sein Versuch, so zu tun, als ob ihm die letzten vierundzwanzig Stunden nichts angehabt hätten, scheiterte kläglich. „Also ist es jetzt aus und vorbei.“

Jace schob sich ein paar Pommes in den Mund. Dann nahm er einen Schluck Limo, bevor er antwortete: „So ein Mist. Aber ich muss sagen, überrascht bin ich nicht.“

Genervt starrte Grady seinen Bruder an. „Wahnsinn, wie viel Mitgefühl du zeigst.“

„Ich bin nur realistisch“, sagte Jace mit Nachdruck. „Es tut mir wirklich leid für dich. Aber dir muss doch klar sein, dass deine Ehe schon eine ganze Weile vorbei ist. Wenigstens weißt du jetzt, woran du bist. Ehrlich, so bist du besser dran.“

Grady warf seinem Bruder einen durchdringenden Blick zu. „Was soll das denn heißen?“

„Du bist unglücklich. Und was du so erzählst, geht es Olivia genauso. Sei mal ehrlich zu dir: Das geht schon seit Jahren so. Jetzt kann es nur besser werden. Du hast es verdient, wieder glücklich zu sein. Das ist alles, was ich meine.“

Jace hatte keinen blassen Schimmer von der Liebe und war so unsentimental wie ein Mann nur sein konnte. Außerdem nahm er nie ein Blatt vor den Mund. Deswegen hatte Grady ihn überhaupt angerufen. Heute Abend konnte er alles ertragen, nur keine Gefühlsduselei. „Da hast du durchaus recht“, gab er zu. „Ich will, dass Olivia wieder glücklich wird. Und ich kann ihr dabei offensichtlich nicht helfen.“

„Sie gibt sich auch keine Mühe.“ Jace schlang den Rest seines Burgers hinunter, bevor er Gradys Teller mit einem gierigen Blick bedachte. „Isst du das noch?“

Grady schob ihm den Teller hin. „Nein. Nimm nur.“

„Danke.“ Jace tauschte die Teller aus.

Abgesehen von den gedämpften Unterhaltungen der Gäste an den anderen Tischen herrschte die nächsten Minuten Schweigen. Der Schock, dass er tatsächlich seine Ehe aufgegeben hatte, saß Grady noch in allen Gliedern. Aber was sollte er denn noch tun? Er hatte doch wirklich alles versucht.

Es wäre allerdings auch gelogen, wenn er behaupten würde, dass er sich nicht wie ein Idiot vorkam. Er kannte seine Frau gut. Die letzte Nacht hatte ihr etwas bedeutet. Als er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte Olly sich an ihn geschmiegt. Das hatte sich so gut und richtig angefühlt. Natürlich nicht perfekt. Nichts würde je wieder perfekt sein … ohne Cody.

Scheidung. Bei diesem Wort zog sich ihm der Magen zusammen.

„Mach dich nicht so fertig. So wie ich das sehe, sind die meisten Frauen Nervensägen“, meinte Jace.

„Olivia ist anders. Der Unfall hat sie verändert … hat uns beide verändert. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie es kaum ertragen kann, mich auch nur anzusehen.“

Jace hielt mitten in der Handbewegung inne. „Hör auf damit. Du bist nicht schuld an dem Unfall. Wenn sie dir deswegen Vorwürfe macht …“

„Sie behauptet, dass sie das nicht tut“, sagte Grady. „Aber das meine ich überhaupt nicht. Ich erinnere sie einfach zu sehr an Cody. Jedes Mal wenn sie mich ansieht, sieht sie nur ihn.“

Jace lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Cody war auch dein Sohn. Mom und Dad haben ihren einzigen Enkel verloren. Und Seth und ich“, erklärte Jace und bezog so ihren jüngsten Bruder mit ein, der zurzeit als Soldat im Auslandseinsatz war, „haben unseren Neffen verloren. Aber anscheinend denkt Olivia nur an sich selbst und an ihren Verlust.“

Ganz egal, wie gut sein Bruder es meinte, das ärgerte Grady. „Du willst doch wohl nicht sagen, dass meine Frau egoistisch ist, oder? Ja, du und Seth und Mom und Dad, ihr habt Cody alle liebgehabt. Aber das ist nicht dasselbe.“

„Nicht egoistisch“, sagte Jace hastig. „Aber du musst zugeben, dass Olivia sich völlig zurückgezogen hat. Seit mehr als einem Jahr hat keiner von uns auch nur ein Wort mit ihr gesprochen.“ Er senkte die Stimme. „Hör mal, ich mag Olivia. Und es setzt mir echt zu, was ihr beide mitgemacht habt. Aber verdammt, Grady – was ist mit dir? Hat sie jemals versucht, dich zu trösten? Hat sie sich je so um dich bemüht, wie du dich um sie?“

Eine Sekunde lang schwieg Grady. Am Anfang, gleich nach dem Unfall, hatte sie das getan. Aber nach der Beerdigung hatte sie sich in sich selbst zurückgezogen, bis Grady sie nicht mehr erreichen konnte. „Ich glaube nicht, dass sie das kann.“

„Vielleicht. Aber deswegen ist es noch lange nicht richtig, dass sie es nicht mal versucht. Und sie macht es dir damit auch nicht leichter, oder?“

Da war etwas dran. Das musste Grady zugeben. Trotzdem, ein Leben ohne Olivia erschien ihm kaum lebenswert. „Es ist eben, wie es ist.“

„Es wird besser. Ich kann dir nicht sagen, wie oder wann. Aber irgendwann wird es besser“, versprach Jace. Jace hielt sein Glas schräg und fischte einen Eiswürfel heraus.

„Das ruiniert dir das Gebiss“, meinte Grady, als Jace das Eis in den Mund steckte und zerbiss. „Frauen finden dich lange nicht so attraktiv, wenn du lauter zerbrochene Zähne im Mund hast.“

„Das ist nicht gesagt, Hockeyspieler haben da anscheinend keine Probleme.“ Jace fing an, seine Serviette zusammenzufalten. „Außerdem habe ich momentan zu viel um die Ohren, um auszugehen.“

Grady hätte seinem Bruder auch dann nicht geglaubt, wenn der nicht weggeschaut hätte. Mit seinem jungenhaften Charme wirkte Jace wie ein Magnet auf Frauen. „Du hast zu viel zu tun für ein Date? Na klar. Und ich glaube noch an den Weihnachtsmann.“

„Das meine ich ernst.“ Ungeduldig klopfte Jace mit der Gabel auf den Tisch. „Und das ist keine große Sache. Also vergiss es einfach.“

Grady lachte, weil er glaubte, dass Jace nur einen Witz gemacht hatte. Als sein Bruder keine Miene verzog, blieb Grady fast der Mund offenstehen. Das war ernst gemeint? „Holla. Was ist los? So kenne ich dich gar nicht.“

Jace zuckte steif mit den Schultern.

Jetzt war Grady neugierig, warum sein Bruder sich so merkwürdig benahm. „Ist dir endlich mal eine Frau über den Weg gelaufen, die nicht das Mädchen der Woche für dich sein will?“, riet er.

„Sie will nicht mal mit mir ausgehen“, knurrte Jace und trommelte noch heftiger mit der Gabel auf der Tischplatte herum. „Jedes Mal, wenn ich sie frage, kassiere ich eine Abfuhr. Das nervt.“

„So, so, jetzt kriegst du schon Absagen? Ich hätte nie gedacht, dass es je dazu kommen würde. Wer ist sie?“

Jace lief rot an. „Nur eine Kollegin. Nichts Besonderes.“

„Also, da täuschst du dich.“ Grady nahm interessiert die gequälte Miene seines Bruders zur Kenntnis. „Eine Frau, die dich dazu bringt, das Speeddating aufzugeben, ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Warum will sie nichts von dir wissen?“

„Sie glaubt, ich bin ein Playboy.“ Das sagte Jace, als ob ihm das völlig egal wäre. Seine Körpersprache drückte aber etwas ganz anderes aus.

„Aber das bist du doch“, erklärte Grady. „Jeder weiß das. Also, was willst du dagegen tun?“

„Ich arbeite daran.“ Jace runzelte die Stirn. Einen Augenblick wirkte er nervös – oder peinlich berührt. „Vergiss es einfach, okay? Reden wir über was anderes.“

Grady wollte nachhaken. Doch dann ließ er das lieber sein. Manche Dinge musste man allein mit sich abmachen. „Klar. Wie geht es mit dem Haus voran?“

Jace hatte vor ein paar Jahren eine Bauruine gekauft und wollte sie wieder herrichten. „Hast du endlich angefangen zu renovieren?“

Jace lächelte ihn dankbar an. „Das habe ich. Vielleicht kannst du ja mal am Wochenende vorbeikommen und mir helfen?“

„Klar.“ Grady unterdrückte ein Lachen. „Und wenn du aus Versehen das ganze Haus abreißt und ein Dach über dem Kopf brauchst, hätte ich eine ziemlich bequeme Couch zu bieten.“

„Dazu kommt es nicht. Aber vielen Dank.“ Jace fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und seufzte. „Ich muss los. Kommst du klar?“

Grady nickte. „Nur noch einen kleinen Rat, dann sage ich kein Wort mehr zu deinen Frauengeschichten: Wenn du wirklich kein Casanova bist, beweise ihr das. Wenn du es ernst mit ihr meinst, dann zeige ihr das.“

„Ja, also … das versuche ich ja.“ Jace zog ein paar Scheine aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Tisch. „Das Essen geht auf mich, schließlich habe ich das meiste gegessen.“

Grady beobachtete, wie sein Bruder das Restaurant verließ. Weil er noch nicht nach Hause gehen wollte, winkte er der Bedienung mit seiner leeren Tasse. In mancher Hinsicht beneidete er Jace. Klar, vielleicht hatte diese Frau nur vorübergehend sein Interesse geweckt. Aber Jace hatte noch Chancen, die es für Grady nicht mehr gab.

Er wünschte sich das alles für sich selbst zurück. Also dachte er an die vergangene Nacht und an diesen Morgen … an alle Gefühle, die Olivia in ihm geweckt hatte. Wenn er nur irgendwie zu ihr durchdringen könnte.

Die Kellnerin schenkte ihm Kaffee nach. Er trank langsam und konzentrierte sich auf sein Problem, suchte nach einer Lösung. Nach zwei weiteren Tassen Kaffee hatte er eine Idee. Wenn sein Plan aufging, könnte er es endlich schaffen, Olivias Schutzpanzer zu durchbrechen.

Aber zunächst würde er eine Wahnsinnswut bei ihr auslösen. Mit Gefühlsaufwallungen wurde er fertig. Doch er würde ihr wehtun müssen. Und das wäre schrecklich. Konnte er das tun? Konnte er einen Plan verfolgen, der selbst im besten Fall die Frau verletzen würde, die er liebte?

Über dieses Dilemma grübelte er noch eine ganze Weile nach. Er ging alle Gründe durch, die dafür sprachen. Und alle guten Argumente dagegen. Aber obwohl er Olivia nie wehtun wollte, kehrte er immer wieder zu einer Frage zurück. Wenn der Schmerz der Preis dafür war, dass er ihr helfen konnte, war das die Sache wert?

Die Antwort war klar: Ja.

Merkwürdigerweise hatte das Ganze kaum etwas damit zu tun, ihre Ehe zu retten. Ja, natürlich wünschte er sich das. Aber noch viel mehr sehnte er sich danach, seine Frau wieder lächeln zu sehen. Er wünschte sich, dass sie genug Seelenfrieden finden würde, um das Leben wieder ein wenig zu genießen.

Nur das zählte.

Als er das Diner endlich verließ, hegte er wieder ein Fünkchen Hoffnung. Er hatte noch nie ein Risiko gescheut, aber diesmal war der Einsatz enorm und die Konsequenzen konnten fatal sein. Vielleicht, so gestand er sich ein, als er seinen Truck aufschloss, würde sie ihn am Ende sogar hassen.

3. KAPITEL

Olivia umklammerte das Telefon. „Was meinst du damit, du übernimmst meinen Fall nicht? Du bist die beste Scheidungsanwältin in Portland und meine beste Freundin. Es ist doch nur logisch, wenn du meine Scheidung machst.“

„Ganz ruhig, Olivia. Ich habe nur gesagt, dass ich ein paar Tage darüber nachdenken muss“, beruhigte Samantha sie. „Falls ich es nicht machen kann, gebe ich dir gerne ein paar Empfehlungen.“

„Aber ich will nur dich. Ich glaube nicht, dass ich das ohne dich durchstehe.“

„Dann bist du noch nicht bereit für eine Scheidung“, sagte Samantha. „Darüber solltest du mal gründlich nachdenken.“

„Das habe ich, Samantha. Ich habe immer angenommen, dass du meine Scheidung erledigen würdest.“ Olivia ging in der Küche auf und ab. „Worüber musst du denn nachdenken?“

„Grady ist auch mein Freund. Für mich besteht ein Interessenskonflikt. Bisher habe ich nur nichts gesagt, weil ich gehofft habe, dass ihr euch wieder zusammenrauft.“ Samantha seufzte.

Olivia ließ sich auf einen Stuhl fallen. Erst die Sache mit Grady und jetzt das. „Dabei wird jetzt, wo ich seine Zustimmung zur Scheidung habe, doch alles ganz einfach.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ihr müsst immer noch die Einzelheiten besprechen.“

„Er kann alles haben, was er will“, sagte Olivia. „Das wird die einfachste Scheidung, die du je gemacht hast. Das verspreche ich!“

„Das kannst du nicht. Was ist, wenn er das Haus will?“

Oh. Er würde ihr doch nicht das Haus wegnehmen, oder etwa doch? In diesem Haus war Cody zur Welt gekommen. Doch selbst wenn es ihr das Herz brach, auch nur an ihren Sohn zu denken, sie konnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben. „Äh …“

„Siehst du? Was ist, wenn er Jasper will?“

„Also, das ist doch albern. Warum sollte er die Katze wollen?“

„Haben Grady und Cody Jasper nicht zusammen ausgesucht?“, fragte Samantha. „War es nicht überhaupt erst Gradys Idee, eine Katze anzuschaffen? Gut möglich, dass er Jasper haben will.“

„Das wird nicht passieren.“

„Woher willst du das wissen?“, hakte Samantha nach. „Du hast mit dieser Situation keine Erfahrung, Süße. Ich bin hier die Expertin.“

„Ach, komm schon, Samantha! Dafür kennst du Grady zu gut. Das würde er mir nie antun.“

„Du hast ihm das Herz gebrochen, Olivia. Du kannst nicht wissen, wie er reagiert.“

Olivia biss sich auf die Lippe. Die Scheidung sollte ihr das Leben leichter machen. Dadurch sollte nicht alles noch schwieriger werden. „Meinst du wirklich, dass er mir das Haus und die Katze wegnehmen würde?“

„Das weiß ich nicht. Aber dir muss klar sein, dass der Grady, den du kennst, nicht derselbe sein wird, dem du vor Gericht gegenübertrittst.“ Samantha seufzte wieder. „Ich mag euch alle beide. Das ist wirklich schwierig für mich.“

„Das verstehe ich.“ Jetzt war Olivia an der Reihe zu seufzen. „Wie wäre es, wenn ich noch mal mit Grady spreche. Ich kann herausfinden, wie er darüber denkt. Und ob er tatsächlich vorhat, mich vor die Tür zu setzen und mir die Katze zu wegzunehmen.“ Das sollte sarkastisch klingen, als ob Olivia das Ganze für einen Witz hielt. Aber innerlich war sie weit davon entfernt zu lachen. Sie hatte Grady wirklich verletzt. Und Samantha war die Expertin auf diesem Gebiet. „W…wenn dann alles klar ist, übernimmst du meine Scheidung?“

„Ich will auf jeden Fall auch noch persönlich mit ihm sprechen. Aber dann kümmere ich mich natürlich um deine Scheidung, Süße.“

Erleichterung erfasste Olivia. „Danke.“

„Noch ein Rat. Bereite eine Liste von eurem gesamten gemeinsamen Eigentum vor. Dann arbeitet die Liste Punkt für Punkt ab. Denk bloß nicht, dass irgendetwas zu trivial ist, um es aufzulisten. Ich habe schon Nervenzusammenbrüche mitbekommen, wo es darum ging, wer eine billige Kaffeemaschine behalten darf.“

„Mache ich. Aber ich glaube nicht, dass das nötig ist“, sagte Olivia. „Schließlich hassen wir uns nicht.“

„Nein, Süße. Ihr liebt euch. Und das sind immer die schlimmsten Scheidungen.“

Nachdem sie sich noch ein paar Minuten über etwas Unverfänglicheres unterhalten hatten, legte Olivia auf.

Sie wollte die Formalitäten so schnell wie möglich in die Wege leiten. Das stellte sie sich wie den Trick mit dem Heftpflaster vor. Je schneller es vorbei war, umso weniger würde es wehtun. Jedenfalls hoffte sie das.

Kaum hatte sie sich mit einem Buch auf der Couch niedergelassen, ließ ein Motorengeräusch in der Einfahrt sie aufspringen. Beim Blick aus dem Fenster lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter, als sie sah, wie Grady aus seinem Truck stieg und den Weg zum Haus hinaufkam. Was wollte er? Sonst kam er nie ohne Vorwarnung vorbei.

Als er an der Tür klingelte, gingen Olivia Samanthas Bedenken durch den Kopf. Ach was, dachte sie. Vielleicht konnten sie ein paar Dinge gleich klären. Doch bevor sie die Haustür erreicht hatte, hörte sie, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte.

Was in aller Welt bildete er sich eigentlich ein?

Schon kam Grady herein. Als er sie sah, schenkte er ihr ein breites Lächeln. „Hi, Liebling“, sagte er. „Ich bin zu Hause.“

„W…was?“ Er wirkte überhaupt nicht wie ein Mann, dem man das Herz gebrochen hatte.

„Ich habe gesagt, dass ich zu Hause bin.“ Bei der Frage zog er die Augenbrauen hoch. „Warum hast du nicht aufgemacht?“

„Ich hatte zu tun.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und bemühte sich, die böse Vorahnung zu ignorieren, die sie allmählich beschlich. „Und warum kommst du einfach so herein? Du wohnst nicht mehr hier, Grady.“

„Oh doch. Denn bis das mit der Scheidung geregelt ist, ziehe ich wieder ein.“ Er beugte sich vor und zupfte sie an einer Haarsträhne. „Das wird bestimmt lustig.“

„W…wie bitte?“, stotterte sie. „Das soll ein Witz sein, oder? Das kannst du nicht tun!“

„Oh doch. Das habe ich anwaltlich überprüfen lassen.“ Jetzt stupste er ihr Kinn an, als ob sie ein kleines Kind wäre. „Das ist absolut legal.“

„Es ist Sonntag.“ Sie wich zurück und zwang sich, ruhig und sachlich zu bleiben. „Wie kommst du am Sonntag an einen Anwalt?“

„Sie … Also, er ist ein Freund von Jace. Netter Kerl. Wirklich clever. Hat mir ein paar gute Ratschläge gegeben.“ Grady zwinkerte ihr zu.

„Wenn er dir gesagt hat, dass du wieder in ein Haus ziehen kannst, in dem du seit fast einem Jahr nicht mehr wohnst, dann hat er dich aber schlecht beraten!“ Das war einfach unmöglich.

„Aber das kann ich. Hast du das schon vergessen, Olly? Dieses Haus gehört mir genauso wie dir. Wir sind immer noch verheiratet. Also, bis ein Richter anordnet, dass ich ausziehen muss, ziehe ich wieder ein.“ Er grinste. Am liebsten hätte sie ihm eine runtergehauen. „Ich habe schon ein paar Sachen im Truck mitgebracht. Den Rest hole ich im Laufe der Woche.“

„Nein. Das erlaube ich nicht“, flüsterte sie mit zitternder Stimme. Er konnte hier nicht mit ihr leben. Sie hatte doch kaum genug Kraft, so mit ihm fertigzuwerden. Wenn er dann auch noch jeden Tag hier wäre? Niemals. „Auf keinen Fall.“

„Hilfst du mir beim Hineintragen?“, fragte er, als ob er sie nicht gehört hätte.

„Nein, das tue ich nicht! Rühr dich nicht vom Fleck, Grady. Ich rufe Samantha an. Sie wird dir erklären, dass du das nicht tun kannst!“ Sie ließ ihm keine Zeit für eine Antwort, sondern rannte einfach in die Küche und griff nach dem Telefon. Als Sam sich meldete, seufzte Olivia vor Erleichterung. „Sam?“

„Hey. Was gibt’s?“

„Grady ist hier. Er behauptet, dass irgendein verrückter Anwalt ihm gesagt hat, dass er wieder hier einziehen kann.“ Die Haustür fiel ins Schloss. Olivia rannte ins Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster. „Sam! Er trägt sein Gepäck herein. Sag ihm, dass er das nicht tun kann.“

„Gehört das Haus noch euch beiden?“, fragte Sam mit merkwürdig ruhiger Stimme.

„Ja, aber …“

„Dann kann er das sehr wohl tun. Er ist dein Mann, und das Haus gehört ihm genauso wie dir, Süße. Anscheinend will er seinen Anspruch darauf geltend machen.“

„Was mache ich denn jetzt nur?“

„Im Augenblick? Nichts. Aber wenn du einen Anwalt hast, kannst du vor Gericht gehen, um Grady zu zwingen, wieder auszuziehen, solange die Scheidung läuft“, erklärte Samantha. „Dass er eine Weile nicht dort gewohnt hat, könnte dir helfen. Aber er hat sich das Apartment nur genommen, um dir Freiraum zu geben. Weil er gehofft hat, dass ihr so eure Ehe retten könnt. Kann gut sein, dass der Richter das nicht als Aufgabe des Besitzanspruchs werten wird.“

Olivia rannte in den Flur, als Grady wieder hereinkam. „Tu das nicht, Grady. Bitte.“

Er lächelte nur und stellte zwei große Koffer ab. „Hast du dir schon überlegt, was es zum Abendessen gibt? Ich habe gedacht, wir könnten Pizza bestellen“, sagte er, bevor er wieder zu seinem Truck ging.

„Du kannst hier nicht essen!“, rief Olivia ihm nach.

„Olivia? Was ist los?“, fragte Sam.

„Er will Pizza bestellen.“ Sie trat nach einem der Koffer. „Er kann hier nicht bleiben.“

„Das kann er, Olivia. Du kannst bis zum Prozess gerne bei mir wohnen. Aber dann könnte der Richter anordnen, dass du ausziehen musst. Willst du dieses Risiko eingehen?“

„Nein, natürlich nicht. Ich will mich mit Grady einigen. Und ich gehe hier nicht weg.“

„Dann bleibt dir nichts anderes übrig, als fürs Erste mit ihm zusammenzuleben.“

„Na toll. Einfach super.“ Olivia legte auf. Als Grady mit einer dritten und vierten Tasche auftauchte, zerrte sie die beiden ersten Koffer wieder nach draußen.

„Danke, Liebes. Aber das ist ein bisschen kontraproduktiv. Ich will einziehen, nicht ausziehen“, sagte Grady. „Bring die Sachen wieder rein, und ich packe erst mal aus. Dann können wir Pizza bestellen. Wie wäre es mit Peperoni und Salami?“

„Ich habe Nein gesagt. Hast du mich gehört, Grady Foster? Ich habe Nein gesagt!“

Er legte den Kopf schräg und musterte sie, als ob sie diejenige war, die den Verstand verloren hatte. „Erst das Hühnchen in Marsala. Jetzt die Pizza. Du hast dich wirklich verändert.“

„Ich rede doch nicht von der Pizza. Du. Kannst. Hier. Nicht. Bleiben.“

„Wenn du dich dabei unwohl fühlst, kannst du gerne bis zur Scheidung das Apartment haben.“ Grady kratzte sich gedankenverloren am Kinn. „Aber dann könnte der Richter denken, dass du kein Interesse am Haus hast. Ist das so, Olly? Willst du das Haus mir überlassen?“

Oh Gott. Samantha hatte recht. Grady war völlig durchgedreht. „Natürlich will ich das Haus!“

Ihr zukünftiger Exmann stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Dann sind wir wohl wieder am Anfang des Gesprächs angekommen. Also, wenn du keine Pizza mit Peperoni und Salami willst, was möchtest du dann?“

„Ich will, dass du verschwindest.“

Grady ging in die Küche, machte den Kühlschrank auf und nahm sich ein Bier, bevor er sich an den Küchentisch setzte. Jasper, der den Lärm gehört haben musste, kam nachsehen, was los war. Als er Grady erblickte, sprang der Kater auf seinen Schoß.

„Na dann, lass uns mal darüber reden.“ Grady kraulte den Kater zwischen den Ohren. Jasper schnurrte und schmiegte sich an Grady. Dieser Verräter. „Vielleicht findet sich ja eine Lösung.“

Sie kniff die Augen zusammen. Ihr Mann führte etwas im Schilde. Aber sie hatte keine blasse Ahnung, was es war. Also gab sie nach und setzte sich. „Was willst du? Geht es um Jasper? Willst du meine Katze, Grady?“

„Hmm. An Jasper hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber ja, vielleicht will ich ihn.“ Er schob ihr ein Bier hin. „Hier, trink was. Dann schauen wir mal, wie wir das einvernehmlich regeln können.“

Sie machte die Flasche auf, trank aber nicht. „Du willst doch irgendwas. Sag mir einfach, was es ist.“

„Ich denke, zuerst geht es um die Frage, was du willst. Also, was willst du im Augenblick am meisten?“

Cody. Immer nur Cody. Gefolgt von Grady … Normalerweise, jedenfalls. Mit diesem durchgeknallten Grady hier wollte sie nichts zu tun haben. „Du sollst aus meinem Haus verschwinden. Am liebsten auf der Stelle.“

„Siehst du? So kommen wir zu etwas. Das ist ein vernünftiger Wunsch und erfüllen kann ich ihn dir auch.“ Er nahm einen Schluck Bier. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Grund, warum ich das tun sollte. Also, Olly. Was bist du bereit zu tun, damit ich heute Abend wieder in mein Apartment zurückfahre?“

„Ich bin bereit, dich nicht zu ermorden. Wie klingt das?“

„Das klingt in meinen Ohren sehr nach einer Drohung. Ich frage mich, was ein Richter dazu sagen würde? Wollen wir Samantha noch mal anrufen und sie nach ihrer Meinung fragen?“

„Nein, das wollen wir nicht.“ Sie hielt die Hände hoch, um zu zeigen, dass sie aufgab. „Schön“, sagte sie. „Warum erklärst du mir nicht, was dich dazu bewegen würde, heute Abend wieder in dein Apartment zurückzukehren?“

„Ich bin nicht bereit für die Scheidung“, sagte er. „Aber …“

„Ich schon.“

„Wie wäre es mit einem Kompromiss?“ Grady schob seinen Stuhl zur Seite, damit er die Beine ausstrecken konnte. Anscheinend verärgerte er damit Jasper, denn der Kater sprang von seinem Schoß und stolzierte davon. „Ich gebe ein bisschen nach und du auch. Dann habe ich etwas davon, und für dich springt auch etwas dabei raus.“

„Okay.“ Sein Vorschlag würde ihr nicht gefallen. Aber wenn sie ihn so erst mal loswurde … „Rede weiter.“

„Ich habe jetzt die ganze Zeit genau das getan, was du wolltest. Wenn du mich gebeten hast, dich in Ruhe zu lassen, habe ich dich in Ruhe gelassen. Wenn du erklärt hast, dass du Abstand brauchst, habe ich dir genau das gegeben.“ Grady sah sie unverwandt an. „Jetzt bin ich mal an der Reihe.“

„Weiter“, wiederholte sie. „Sag schon, was du willst.“

„Erstens will ich, dass wir sechs Wochen lang nicht mehr von Scheidung sprechen.“

Ha. Darauf fiel sie nicht herein. „Nein. Du hast der Scheidung schon zugestimmt.“

„Dann werde ich jetzt mal auspacken, Süße. Warum bestellst du nicht schon mal die Pizza? Oh, und wir haben kein Bier mehr. Wie wäre es, wenn du noch mal zum Supermarkt fährst?“ Dieser Mistkerl und sein verdammter Anwalt!

„Schön! Sechs Wochen! Was noch?“ Sie nahm einen Schluck Bier.

Autor

Tracy Madison
<p>Die preisgekrönte Schriftstellerin Tracy Madison ist in Ohio zu Hause, und ihre Tage sind gut gefüllt mit Liebe, Lachen und zahlreichen Tassen Kaffee ... Die Nächte verbringt sie oft schreibend am Computer, um ihren Figuren Leben einzuhauchen und ihnen ihr wohlverdientes Happy End zu bescheren. Übrigens bekommt Tracy Madison sehr...
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