Julia Collection Band 160

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In der Welt der blaublütigen Herrscher Lorenzo, Ricardo und Enrico ist die Eheschließung eher eine Vernunftsache. Doch auch königliche Herzen sehnen sich nach der wahren Liebe. Wird es den drei Aristokraten gelingen, die Königin ihres Herzens zu finden?

DIE BRAUT VON MONTESAVRO von PENNY JORDAN
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  • Erscheinungstag 25.06.2021
  • Bandnummer 160
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502726
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Fiona Hood-Stewart, Julia James

JULIA COLLECTION BAND 160

1. KAPITEL

Sie würde sich nicht wie ein Schulmädchen benehmen und in Tränen ausbrechen, sagte sich Jodie und presste die Lippen aufeinander. Es fing schon an, dunkel zu werden. Sie fühlte sich krank, und ihr Magen verkrampfte sich, weil sie fürchtete, einen schweren Fehler begangen zu haben – in dem Dörfchen, durch das sie zuletzt gekommen war, hatte sie eine Abzweigung genommen, vielleicht die falsche.

Sie und John hätten jetzt gemeinsam die Nacht in der Hochzeitssuite eines romantischen Hotels verbringen können … ihre erste Nacht als Mann und Frau. Jodie würde nicht weinen. Nicht jetzt – und schon gar nicht wegen eines Mannes. Nie, nie wieder. Das Wort Liebe hatte sie aus ihrem Wortschatz gestrichen. Und aus ihrem Leben.

Sie stöhnte auf, als ihr kleiner Leihwagen in ein tiefes Schlagloch rumpelte – auf einer schmalen Landstraße, die tatsächlich immer höher in die Berge hinaufführte und nicht an die Küste.

Seit sie im Alter von neunzehn Jahren ihre Eltern bei einem Autounfall verloren hatte, waren ihr Cousin David und seine Frau Andrea Jodies einzige Verwandte. Sie hatten ihr davon abgeraten, allein nach Italien zu fahren.

„Aber die Reise ist bereits bezahlt. Und wenn John nicht mitkommt, werde ich sie eben ohne ihn machen“, hatte Jodie geantwortet.

Außerdem wollte sie auf keinen Fall in England sein, wenn John ihre Freundin Louise heiratete. Sie wollte ein paar Wochen irgendwo anders sein und nicht an ihren Exverlobten und Louise denken – Louise, die Jodies Platz in Johns Herzen eingenommen hatte, in seinem Leben und in seiner Zukunft.

Jodie hatte David und Andrea nicht erzählt, wie tief es sie wirklich traf, dass ihr Verlobter sie nur einen Monat vor der Hochzeit wegen einer anderen verlassen hatte. David und Andrea hatten sie zu überzeugen versucht, dass sie zu Hause bleiben sollte. Aber das Städtchen in den Cotswolds war so klein, dass dort jeder jeden kannte und alle wussten, was Jodie passiert war. Das Mitleid der Nachbarn hätte Jodie nicht ertragen. Mit der Reise nach Italien wollte sie allen Leuten, aber in erster Linie John und Louise, zeigen, wie wenig sein Verrat ihr bedeutete.

Am besten wäre es natürlich, wenn sie auf Johns und Louises Hochzeit in Begleitung eines besser aussehenden, reicheren und attraktiveren Mannes erscheinen würde … Träum weiter, schalt Jodie sich selbst. Denn es gab nicht die geringste Chance, dass so etwas tatsächlich eintreten würde.

„Jodie, du kannst doch nicht allein nach Italien fahren“, hatte David protestiert. Andrea und er hatten sich vielsagende Blicke zugeworfen.

„Wieso denn nicht?“, hatte Jodie erwidert. „An das Alleinreisen muss ich mich ja wohl gewöhnen. Warum nicht gleich damit beginnen?“

„Jodie, wir beide verstehen ja, dass du geschockt und verletzt bist“, hatte Andrea hinzugefügt. „Aber das ist doch auf Dauer keine Lösung.“

„Für mich schon“, hatte Jodie beharrt.

Es war Johns Idee gewesen, die Zeit nach der Hochzeit an der wunderschönen Küste von Amalfi in Italien zu verbringen.

Als Jodies Wagen erneut durch ein Schlagloch rollte und kräftig geschüttelt wurde, seufzte sie. Die Straße war in einem solch miserablen Zustand, dass Jodie das Fahren mehr Konzentration als gewöhnlich abforderte. Ihr Bein schmerzte, und sie bedauerte nun, dass sie ihre erste Nacht in Italien nicht in der Nähe von Neapel verbracht hatte. Wo um Himmels willen befand sie sich? Bestimmt nicht dort, wohin sie hatte fahren wollen. Die Wegweiser zu dem kleinen Dorf, das ihr erstes Ziel bildete, waren entweder gar nicht zu finden oder ungenau. Die Straße war auf der Landkarte nicht eingezeichnet. Mit John wäre Jodie das nicht passiert, aber John war nicht bei ihr … und würde es auch nie mehr sein.

Wenn sie daran dachte, dass praktisch jeder in ihrem Heimatstädtchen über John und Louise Bescheid gewusst hatte – alle außer ihr selbst –, wurde Jodie klar, wie naiv sie gewesen war. Von Freunden hatte sie erfahren, dass Louise, erst einige Monate zuvor mit ihren Eltern in die Cotswolds gezogen, von dem Moment an, da ihr John vorgestellt worden war, beschlossen hatte, ihn für sich zu erobern. Jodie fiel es wie Schuppen von den Augen: Deshalb hatte Louise sich so um ihre Freundschaft bemüht. Jodie hätte ahnen müssen, dass etwas nicht stimmte, als John ihr scheinheilig versichert hatte, „die Sache mit ihrem Bein“ würde ihm nichts ausmachen. Sie stöhnte, weil die Schmerzen in ihrem Bein jetzt stärker wurden.

Nie wieder würde ihr dieser Fehler unterlaufen. Nie wieder würde sie das Wort „Liebe“ für bare Münze nehmen – selbst wenn es bedeutete, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleiben würde.

Was John und Louise anging, so erschienen die beiden wie füreinander geschaffen. Beide hatten sie betrogen und belogen. Jodie beschloss, nicht eher wieder nach Hause zurückzukehren, bis die Hochzeit vorbei war. Auf das Getuschel und die mitleidigen Blicke konnte sie gern verzichten.

„Sieh die ganze Sache doch auch mal von einer positiven Seite“, hatte Andrea versucht, sie aufzumuntern. „Wer weiß … vielleicht triffst du ja in Italien den Mann deines Lebens. Italienische Männer sind bekanntlich besonders gut aussehend und leidenschaftlich.“

Italienische Männer können sein, wie sie wollen, dachte Jodie. Liebe, Ehe – davon wollte sie nichts mehr hören.

Jodie fuhr etwas schneller. Sie hatte keine Ahnung, wohin die gewundene, mit Schlaglöchern übersäte Straße sie führte. Aber sie wollte nicht umkehren. In ihrem Leben würde es keine Umkehr mehr geben, keinen Blick zurück, keine wehmütige Erinnerung an das, was hätte sein können. Sie musste nach vorn schauen – nur nach vorn.

David und Andrea hatten sich sehr liebevoll um sie gekümmert und sie bei sich aufgenommen. Denn ihr kleines Haus hatte Jodie verkauft, um mit dem Erlös ein größeres Haus für sich und John zu erstehen. Zum Glück hatte John sich wenigstens insoweit als ehrlich erwiesen, dass er ihr das Geld, das Jodie ihm bereits überwiesen hatte, sofort zurückgezahlt hatte. In den nächsten Monaten brauchte sie sich keine finanziellen Sorgen zu machen. Aber Jodie musste eine neue Arbeitsstelle finden. Vor dem Bruch mit John hatte sie in dem Familienunternehmen der Higgins’ gearbeitet, dessen Geschäftsführung John bald übernehmen sollte.

Also hatte sie kein Heim mehr, keinen Job, keine Zukunft …

Erschrocken schrie Jodie auf, als ein Vorderrad in ein tiefes Schlagloch krachte und sie mit Wucht nach vorn geschleudert wurde. Der Sicherheitsgurt drückte schmerzhaft an ihrem Oberkörper. Wie lange würde sie noch auf dieser schrecklichen Straße fahren müssen, bevor sie die nächste Siedlung erreichte? Im nächsten Dorf hatte sie ein Hotelzimmer reserviert und hätte nach den Angaben in ihrem Reiseführer längst dort sein müssen. Wo war sie nur gelandet? Die einsame Straße vor ihr wurde immer steiler …

„Du bist dafür verantwortlich, nehme ich an. Du hattest schon immer einen schlechten Charakter, Caterina.“ Lorenzo Niccolo d’Este, Herzog von Montesavro, funkelte die Witwe seines verstorbenen Cousins Gino wütend an.

„Wenn deine Großmutter meine Gefühle für dich bei der Abfassung ihres Testamentes berücksichtigt hat, dann, weil sie …“

„Deine Gefühle?“, unterbrach Lorenzo. „Und was genau sind das für Gefühle? Dieselben, mit denen du schon Gino in den Tod getrieben hast?“, fügte er bitter hinzu.

Trotz des makellosen Make-ups zeigten sich auf Caterinas Gesicht hässliche rote Flecken. „Ich habe Gino nicht in den Tod getrieben. Er starb an einem Herzanfall.“

„Ja, den du durch dein unmögliches Benehmen verursacht hast.“

„Mit solchen Anschuldigungen solltest du besser vorsichtig sein, Lorenzo, sonst …“

„Du wagst es, mir zu drohen? Du magst es geschafft haben, meine Großmutter zu täuschen, mich täuschst du nicht.“

Er drehte sich um und schritt, um Beherrschung ringend, über den Steinfußboden in die große Eingangshalle des Schlosses.

„Gib es doch zu“, rief er Caterina über die Schulter zu, „dass du nur hergekommen bist, um eine todkranke alte Frau in deinem Sinne zu beeinflussen.“

„Ich habe überhaupt keine Lust, mit dir zu streiten, Lorenzo. Alles, was ich will …“

„Ich weiß genau, was du willst“, erwiderte Lorenzo kalt. „Du willst das Ansehen, die gesellschaftliche Position und den Reichtum meiner Familie – deshalb willst du mich heiraten. Deshalb hast du die kranke alte Frau dazu gedrängt, ihren letzten Willen zu ändern. Wenn du nur ein kleines bisschen Anstand hättest …“, er drehte sich ihr mit einem verächtlichen Blick wieder zu, „aber das wäre wohl zu viel verlangt.“

Die wütende Attacke hatte das aufgesetzte Lächeln aus Caterinas Gesicht gewischt, ihre Haltung versteifte sich augenblicklich. Von einer Sekunde zur anderen ließ Caterina die Maske fallen. „Du kannst dir so viele Anschuldigungen ausdenken, wie du willst, Lorenzo. Du hast gegen mich keine Chance.“

Er sah den Triumph in ihren Augen.

„Gib es ruhig zu, Lorenzo. Ich habe dich überlistet. Wenn du das Schloss willst – und ich weiß, dass du es willst –, dann musst du mich heiraten. Du hast keine andere Wahl.“ Sie lachte auf und warf den Kopf in den Nacken. Lorenzo entdeckte eine Ader, die unter Caterinas gebräunter Haut hervortrat. Er verspürte den kaum bezähmbaren Wunsch, die Hände um ihren Hals zu legen und zuzudrücken.

Ja, er wollte das Schloss. Hier war er aufgewachsen, er liebte es. Und er würde es bekommen. Genauso sicher, wie er nicht in Caterinas Falle gehen und sie heiraten würde.

„Du hast meiner Großmutter vorgelogen, dass ich dich liebe und dich heiraten möchte. Du hast ihr erzählt, dass die Leute nicht nur die Stirn runzeln würden, wenn du, gerade verwitwet, den Cousin deines Mannes heiratest. Du hast ihr weisgemacht, dass ich meine Leidenschaft für dich nicht würde zügeln können und Schande über die Familie brächte.“ Lorenzo lachte bitter auf. „Du wusstest, wie altmodisch meine Großmutter in solchen Fragen war. Deshalb hast du ihr eingeflüstert, es gäbe nur eine Möglichkeit, mich vor der Schande zu bewahren: eine Änderung ihres Testaments. Wenn ich das Schloss nur unter der Bedingung erbte, binnen sechs Wochen nach ihrem Tod zu heiraten, würde der letzte Wille meiner Großmutter sozusagen die moralischen Bedenken der Gesellschaft außer Kraft setzen. Und du warst perfide genug, sie zu nötigen, dir das Schloss zu vermachen, wenn ich die Bedingung nicht erfülle. Bestimmt hast du ihr gesagt, so würde das Schloss auf jeden Fall in der Familie bleiben, nicht wahr?“

„Du kannst mir nicht das Geringste nachweisen.“ Caterina zuckte wegwerfend die Schultern.

Lorenzo wusste, dass sie damit recht hatte.

„Als Großmutter wegen der Änderungen mit ihrem Notar sprach, begriff er sofort, was vor sich ging“, meinte Lorenzo. „Er wollte mich noch benachrichtigen, aber es war schon zu spät.“

„Ja, zu spät für dich.“ Caterina grinste ihn frech an.

„Also gibst du es zu?“

„Nichts gebe ich zu. Und du kannst nichts beweisen.“

„Eins möchte ich jetzt und hier klarstellen – egal, wozu du meine Großmutter gebracht hast, ich werde dich niemals heiraten. Du wärst die letzte Frau, der ich meinen Namen geben würde.“

Boshaft lachte Caterina auf. „Als hättest du die Wahl.“

Lorenzo umgab der Ruf eines harten und rücksichtslosen Gegners. Er war ein Mann, der ebenso respektiert wie gefürchtet wurde. Von ihm träumten viele Frauen und wünschten sich, in seinen Armen zu liegen. Ohne Zweifel stand er auf der Liste der begehrtesten italienischen Junggesellen ganz oben und wurde beinah täglich in den Klatschspalten der Zeitungen genannt. Er sah gut aus und war sich seiner starken erotischen Ausstrahlung bewusst. Jedes Mal, wenn er irgendwo zusammen mit einer Frau fotografiert wurde, begannen die Spekulationen aufs Neue. Und es gab eine ganze Reihe von Kandidatinnen, die nicht nur gern die gesellschaftliche Stellung und den Reichtum mit ihm geteilt hätten, sondern auch seine männlichen Qualitäten schätzen würden. Aber Lorenzo hatte über dreißig Jahre glücklich gelebt, ohne sich endgültig für eine Frau zu entscheiden.

Nachdenklich schaute er Caterina an. Er verachtete sie und fand sie abstoßend. Nicht äußerlich, aber ihre Persönlichkeit. Über den Charakter von Frauen hatte er generell nicht die beste Meinung. Zu oft hatte Lorenzo die Erfahrung gemacht, dass Frauen oberflächlich von seiner Herkunft, seinem Reichtum und seinem Aussehen fasziniert schienen, sich aber für den Menschen dahinter nicht interessierten.

„Du hast gar keine andere Wahl, Lorenzo“, erklärte Caterina. „Wenn du das Schloss willst, musst du mich heiraten.“

Kühl lächelnd sah Lorenzo sie an. „In den nächsten sechs Wochen muss ich heiraten, das stimmt“, meinte er. „Aber in dem Testament steht nicht, dass ich dich heiraten muss. Vielleicht hast du es nicht aufmerksam genug gelesen.“

Plötzlich wurde Caterina sehr blass im Gesicht. In ihren Augen zeigte sich ein Ausdruck von Verwirrung und Ungläubigkeit. „Was soll das heißen? Natürlich habe ich es gelesen. Ich habe ihr schließlich diktiert, was sie schreiben sollte. Ich …“

„Ich erkläre es dir gern – du hast offenbar nicht gelesen, was genau sie geschrieben hat. Schau hin, da steht nur, dass ich in den sechs Wochen nach ihrem Tod heiraten muss, aber es steht nicht da, wer mir das Jawort geben soll.“

Caterina starrte ihn geschockt an. Ihr hübsches Gesicht, das sie vor Jahren zu einem begehrten Model hatte werden lassen, wirkte plötzlich alt und verzerrt.

„Das kann nicht sein! Das hast du geändert. Du und der verfluchte Notar. Das ist Betrug.“

Sie sprang auf und griff nach dem Testament, das Lorenzo auf den Tisch geworfen hatte. Das Gesicht nun rot vor Zorn, überflog Caterina den Text.

„Du hast das verändert. Ich weiß nicht, wie – sie wollte, dass du mich heiratest.“ Ihre Stimme wurde immer schriller.

Gelassen blickte Lorenzo sie an. „Großmutter war klug genug, mir zu zeigen, was sie für das Beste für mich hielt. An dich hat sie dabei offensichtlich nicht gedacht.“

Er stand unter einem alten Kronleuchter, der Lorenzos Schatten vielfältig an die Wände des großen Raumes warf. Das Schloss glich eher einem Fort als einem behaglichen Heim. Lange bevor es der damalige Duca di Montesavro in der Renaissance gekauft hatte, war es errichtet worden. Der Herzog und seine Nachfolger hatten viel Geld und Mühe darauf verwandt, das karge und düstere Gemäuer durch Wand- und Deckenmalereien sowie Ornamente der Epoche wohnlicher zu machen. Trotzdem besaß es immer noch eine Aura von Kargheit und Strenge.

Vielleicht liebte Lorenzo es gerade deswegen.

Von seinen Vorfahren hatte er die scharf geschnittenen, manchmal wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge geerbt. Die Lippen, eher schmal als voll, wirkten wahrscheinlich gerade wegen des entschlossenen Ausdrucks auf Frauen anziehend. Das perfekt frisierte Haar war dicht und schwarz, seine Anzüge maßgeschneidert und teuer. Dennoch verliehen Lorenzo die für einen Italiener ungewöhnlich hellen Augen seine besondere Attraktivität.

Um das Geld ging es ihm bei der Erbschaft nicht. Als erfolgreicher Geschäftsmann hatte er bereits ein Vermögen verdient. Immer wieder waren Gerüchte laut geworden, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könne, wenn ein junger Mann zu solchem Reichtum kam. Aber Lorenzo hatte sich nie um dieses Geschwätz gekümmert. Er hatte seine ganze Kraft, Zeit und Intelligenz eingesetzt, um mit klugen Investments das von seinen Eltern ererbte Geld beträchtlich zu vermehren.

Nein, es ging für ihn um das Schloss, die Heimat vieler Generationen der Montesavros.

Sein Cousin Gino war anders gewesen. Er hat seiner Frau erlaubt, ihn finanziell in den Ruin zu treiben, dachte Lorenzo zornig. Caterina hatte sich nie wie eine Ehefrau benommen, die ihrem Mann Liebe und Achtung entgegenbrachte. Und das tat sie natürlich auch als Witwe nicht.

Armer Gino, er hatte sie so sehr geliebt. Lorenzo hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trug er eine Mitschuld an Ginos Schicksal? Er war es schließlich gewesen, der ihn mit Caterina bekannt gemacht hatte.

Damals war Lorenzo achtzehn gewesen, Caterina zweiundzwanzig. Als junger Student hatte er sich von der attraktiven, etwas älteren Frau angezogen gefühlt. Doch bald waren ihm Caterinas Beweggründe klar geworden: Ihr Interesse hatte vor allem an immer teureren Geschenken bestanden. Lorenzo hatte die Beziehung schnell beendet.

Unglücklicherweise war Caterina kurz vor dem Ende der Affäre mit Gino zusammengetroffen. Und bereits eine Woche später sah Lorenzo, als er den beiden begegnete, den protzigen Verlobungsring an ihrem Finger und das bewundernde Lächeln auf dem Gesicht seines Cousins. Lorenzo versuchte noch, Gino zu warnen. Doch der hörte ihm nicht zu und beschuldigte ihn zudem, eifersüchtig zu sein. Zum ersten Mal stritten sich Lorenzo und Gino. Und Caterina war gerissen genug, Gino bis zur Hochzeit von Lorenzo fern zu halten.

Auch nach der Vermählung war es Lorenzo nicht möglich, ein offenes Wort mit seinem Cousin zu sprechen. Das Vertrauen und die blinde Zuneigung, die Gino Caterina entgegenbrachte, wurden von ihr schmählich missbraucht, nicht zuletzt mit einer Reihe von Liebhabern, mit denen sie ihren Mann betrog. Und dann war es zu spät gewesen.

„Wohin gehst du?“, rief Caterina jetzt mit schriller Stimme, als Lorenzo sich umdrehte und auf die Tür zuschritt.

Vom anderen Ende der Halle schaute Lorenzo noch einmal zurück.

„Ich gehe mir eine Frau suchen“, sagte er freundlich. „Du weißt doch, meine Großmutter hat in ihrem Testament gefordert, dass ich heirate. Aber du wirst garantiert nicht meine Braut.“

„Du kannst keine andere Frau heiraten. Nur mich. Dafür werde ich sorgen.“

„Das glaube ich kaum, Caterina.“

„So schnell findest du keine andere Frau. Du bist zu stolz, um irgendein Dorfmädchen auszuwählen. Und außerdem …“, sie sah ihn lauernd an, „wenn es notwendig sein sollte, werde ich öffentlich erzählen, dass ich ein Kind von Gino erwartete und du mich gezwungen hast, es abtreiben zu lassen.“

„Nicht von Gino, von irgendeinem deiner Liebhaber. Das hast du bereits zugegeben.“

„Ich werde behaupten, dass es dein Kind war. Viele Leute wissen, dass wir vor meiner Zeit mit Gino eine Affäre hatten. Auch er hat immer geglaubt, dass du mich noch liebst.“

Lorenzo hielt in der Bewegung inne, drehte sich um und machte ein paar rasche Schritte auf Caterina zu. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war so zornig, dass sie zum Ausgang lief, hinausschlüpfte und die Tür schnell hinter sich ins Schloss zog.

Leise fluchte Lorenzo. Er ging zum Tisch hinüber und nahm das Testament seiner Großmutter in die Hand.

Wütend und enttäuscht hatte er zugehört, als der Notar ihn endlich erreicht und ihm von der Testamentsänderung erzählt hatte. Doch eine andere Tatsache war ihm zugetragen worden: Der Anrufer hatte der alten Dame davon abgeraten, Caterina als gewünschte Ehefrau namentlich in das Testament aufzunehmen. Der ältere Herr, der die Familie seit Jahrzehnten betreute, war besorgt gewesen, ob er auch im Sinne von Lorenzo gehandelt hätte. Lorenzo konnte ihn beruhigen. Dank des Eingreifens des Notars musste er nur noch heiraten, um das Schloss zu erben – aber nicht zwingend Caterina.

Trotzdem musste er jetzt aus dem Haus, sich ablenken und beruhigen. Sonst würde er noch etwas tun, das er später bereuen würde. Er ging durch die Terrassentür hinaus in den Park und atmete die frische Abendluft in tiefen Zügen ein, froh, dem schweren süßen Duft von Caterinas Parfum entkommen zu sein.

2. KAPITEL

Jodie wusste einfach nicht mehr weiter. Blieb ihr nichts anderes übrig, als umzukehren? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befand. Das Mondlicht tauchte eine Landschaft, die Jodie feindlich, fast bedrohlich erschien, in ein unwirkliches Licht. Auf der einen Seite der unasphaltierten Straße fiel der Abhang steil in die Tiefe, auf der anderen ragten schroffe Felsen hoch hinauf.

Ein Stück weiter vorn schien sich die Straße zu verbreitern. Dort würde Jodie den Wagen wenden. Sie fuhr bis zu der Stelle und begann mit dem Wendemanöver, kurz bevor plötzlich ein lautes, hässliches Geräusch ertönte. Der Wagen neigte sich zur Seite. Erschrocken öffnete sie die Fahrertür und sprang hinaus. Jodie fühlte Panik in sich aufsteigen, als sie sah, dass eines der Hinterräder in einem tiefen Loch steckte. Außerdem schien der Reifen platt zu sein.

Was sollte sie jetzt machen? Weiterfahren konnte sie auf keinen Fall.

Sie ging um den Wagen herum und setzte sich bei offener Tür auf den Fahrersitz. Stöhnend massierte Jodie sich das schmerzende Bein. Sie war müde, hungrig und fühlte sich miserabel. Nachdem sie den Verschluss ihrer Handtasche aufgezogen hatte, nahm Jodie das Handy und die Unterlagen der Mietwagenfirma heraus.

Sie sah, dass das Mobiltelefon eingeschaltet war, bemerkte aber mit Entsetzen, dass das Display kein Netz anzeigte. Ein paar Sekunden später erlosch die Displaybeleuchtung. Jodie stöhnte auf. Sie hatte das Handy nicht ausgeschaltet – und ausgerechnet jetzt war der Akku leer. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sollte sie zu Fuß weiterlaufen? Bis zu dem letzten Dorf, durch das sie gekommen war, würde sie Stunden brauchen. Und die Schmerzen im Bein waren alles andere als aufmunternd.

Während der ganzen Fahrt war sie keinem anderen Wagen begegnet. Trotzdem musste die Straße befahren sein, denn Jodie konnte frische Reifenspuren sehen. Sie richtete den Blick auf den Weg, der vor ihr lag und höher in die Berge führte – und war unglaublich erleichtert, als sie in der Ferne die Scheinwerfer eines näher kommenden Wagens bemerkte.

Ihre Erleichterung war so groß, dass sie sich plötzlich ganz schwach fühlte.

Wütend trat Lorenzo auf das Gaspedal seines schwarzen Ferraris, während er die kurvige Straße, von der er jeden Meter genau kannte, hinunterraste.

Er dachte immer noch darüber nach, wie raffiniert Caterina seine Großmutter manipuliert hatte. Sie hatte leichtes Spiel gehabt. Denn er war zur Unterstützung einer internationalen Hilfsorganisation auf einer Auslandsreise gewesen, die ihn zum Schauplatz einer gewaltigen Katastrophe geführt hatte. Die ehrenamtliche Tätigkeit, die er im Auftrag der Regierung bei solchen Anlässen ausübte, nahm einen erheblichen Teil seiner Zeit in Anspruch.

Als er vom Tod seiner Großmutter erfahren hatte, befand Lorenzo sich auf einer Reise, die ihn halb um die Welt geführt hatte. Zur Beerdigung war er nicht mehr rechtzeitig erschienen, sondern erst zum anschließenden Trauergottesdienst.

Seine Großmutter, eine einfache, charakterstarke und verlässliche Frau, hatte ihm einmal gesagt, dass sie als junges Mädchen Nonne werden wollte. Sie war friedlich im Schlaf gestorben.

Das Schloss hatte sie von ihrem ersten Mann geerbt, der, wie üblich in Adelskreisen, der Cousin ihres späteren zweiten Mannes – und Bruder von Lorenzos Vater – gewesen war.

Lorenzo war immer ihr Liebling gewesen. Nach der Scheidung seiner Eltern hatte er die Ferien regelmäßig bei ihr auf dem Schloss verbracht. Und als seine Mutter einen Liebhaber heiraten wollte, einen Mann, den er verabscheute, entschloss Lorenzo sich, bei der Großmutter zu wohnen.

Er hat seiner Mutter diese Heirat nie vergeben können. Nicht einmal jetzt, da sie, wie auch der Vater, schon einige Jahre tot war. Ihr Verhalten hatte ihn Frauen gegenüber hellhörig und vorsichtig gemacht. Die meisten hielt Lorenzo für selbstsüchtig. Seine Mutter hatte immer wieder behauptet, sie habe sich von seinem Vater scheiden lassen, um ihrem Sohn ein unglückliches Familienleben zu ersparen. Aber das war natürlich eine Lüge gewesen. An ihn hatte sie mit Sicherheit keinen Gedanken verschwendet, wenn sie in den Armen ihres Liebhabers lag, dem sie letztendlich den Vorzug gegenüber Ehemann und Sohn gegeben hatte.

Der Ferrari wurde von der unebenen Straße mächtig durchgeschüttelt, aber Lorenzo ignorierte das Gerüttel. Er bog um eine scharfe Kurve und trat dann mit einem leisen Fluch auf den Lippen voller Kraft auf die Bremse, als er vor sich einen quer stehenden Wagen und daneben eine junge Frau sah.

Jodie sprang erschreckt zur Seite. Kurz vor ihr kam der Ferrari in einer Staubwolke zum Stehen.

Welcher Verrückte fuhr im Dunkeln auf dieser Straße mit so hoher Geschwindigkeit, fragte sie sich, als sie zusah, wie der Fahrer ausstieg und auf sie zukam.

„Disgraziata!“ Ein Strom von wütenden Worten auf Italienisch folgte diesem Ausruf. Doch Jodie hatte nicht die Absicht, sich einschüchtern zu lassen. Weder von ihm noch von sonst einem Mann.

„Sind Sie bald fertig?“, unterbrach sie den Wortschwall des Fremden scharf und mit genauso zorniger Stimmlage, wie er sie benutzte. „Erstens bin ich keine Italienerin. Ich bin Engländerin. Und ich …“

„Engländerin?“ Er sprach das Wort aus, als ob er es noch nie zuvor gehört hätte. „Was machen Sie hier am späten Abend? Das ist eine Privatstraße, sie führt hinauf zu dem Schloss.“

„Ich bin in dem Dorf dort unten wohl falsch abgebogen“, sagte Jodie. „Ich wollte gerade umkehren, aber das Auto ist in dem Loch da stecken geblieben. Und der Reifen ist auch platt.“

Sie war blass und dünn, die Augen wirkten in ihrem schmalen Gesicht riesengroß, die blonden Haare hatte sie achtlos nach hinten gekämmt. Wie sechzehn sieht sie aus, wie eine unterernährte Sechzehnjährige, dachte Lorenzo, der sie rasch und routiniert von Kopf bis Fuß musterte: Zarte Schultern, kleine, aber feste Brüste, ein flacher Bauch und schmale Hüften. Und ungewöhnlich lange Beine, die in ausgewaschenen, engen Jeans steckten. Trug sie hochhackige Schuhe – oder waren ihre Beine wirklich so lang, wie es schien?

„Wie alt sind Sie?“, fragte er zu Jodies Überraschung.

Wie alt sie war? Warum wollte er ausgerechnet das wissen?

„Ich bin sechsundzwanzig“, antwortete Jodie etwas widerwillig. Sie hob das Kinn, um zu zeigen, dass sie sich nicht vor dem fremden Mann fürchtete. Tatsächlich wäre sie am liebsten weggerannt, denn es war ihr nicht entgangen, dass er ungewöhnlich gut aussah. Instinktiv fasste sie nach ihrem schmerzenden Bein.

Sechsundzwanzig! Lorenzo schaute auf ihre Hände. Kein Ring. „Was um Himmels willen machen Sie hier draußen, allein?“

Diese Frage hätte er Jodie nicht stellen sollen. „Ich bin allein, weil ich allein sein will. Und außerdem geht Sie das gar nichts an.“

„Oh, im Gegenteil. Es geht mich eine ganze Menge an. Schließlich befinden Sie sich auf meinem Land.“

Sein Land? Wahrscheinlich – jedenfalls war es genauso harsch und abweisend wie er selbst.

„Und was heißt das, Sie wollen allein sein?“, fragte er. „Sie haben doch sicher einen Mann … oder einen Partner, einen Freund.“

Jodie seufzte leise und lachte dann bitter auf. Er konnte ja nicht ahnen, dass er eine Wunde aufriss, die noch nicht einmal angefangen hatte zu verheilen. „Ich dachte, ich hätte einen Mann … aber leider kam ihm vier Wochen vor unserer Hochzeit die Idee, eine andere Frau zu heiraten“, erklärte sie aufgebracht. „Das hier“, sie zeigte auf den Wagen und die Landschaft, „sollte unsere Hochzeitsreise werden. Aber die mache ich jetzt allein …“

Die Worte schmerzten sie. Zu ihrem Erstaunen erleichterte es sie gleichzeitig, dass sie in der Lage war, darüber zu reden.

„Und nun sind Sie auf der Suche nach einem neuen Mann?“ Lorenzo sah sie herausfordernd an. „An der Küste, an den Stränden liegen die idealen Jagdgründe – was tun Sie hier in den Bergen?“

Jodie atmete tief ein, um ihren Ärger zu zügeln. Trotzdem brachte sein provozierender Hinweis Jodie aus der Fassung. „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen? Ich bin in keiner Weise auf der Suche nach einem anderen Mann. Das ist das Letzte, was ich im Moment tun würde. Glauben Sie, ich lasse zu, dass mich ein Mann noch einmal so verletzt und beleidigt? Niemals.“

Lorenzo runzelte die Stirn. Ihr leidenschaftlicher Ausbruch imponierte ihm.

„So sehr wollen Sie ihn noch?“

„Nein!“ Jodie blitzte ihn wütend an. „Ich will gar nichts mehr von ihm.“

„Und warum sind Sie dann weggelaufen?“

„Ich bin nicht weggelaufen. Ich wollte nur nicht während seiner Hochzeit zu Hause sein. Ich wollte nicht mit ansehen müssen, dass seine neue Braut alles hat, was mir fehlt – Glamour, Sex und Charme.“ Jodie hob die Hand und wischte die Tränen aus dem Augenwinkel, die sie nicht hatte zurückhalten können. Sie wusste nicht, warum sie das alles einem Fremden erzählte, warum sie auf einmal Dinge aussprach, die sie vorher nicht einmal zu denken gewagt hatte.

„Letztlich liegt es an dem Mann, ob eine Frau sich sexy fühlen kann oder nicht“, erklärte Lorenzo geringschätzig. „Wenn ein Mann eine Frau liebt, kann er aus einem Mauerblümchen eine strahlende Rose machen.“

Ein unerwartet angenehmes Gefühl ließ Jodie erschauern, während sie die Bedeutung seiner arroganten Bemerkung aufnahm.

„Es gibt heutzutage nicht mehr viele zurückhaltende Frauen“, fügte Lorenzo sarkastisch hinzu. Er sah, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Aber er bemerkte auch die Müdigkeit, die das Gesicht der jungen Engländerin überschattete.

„Moderne Frauen entscheiden selbst über ihr Liebesleben“, sagte Jodie heftig. „Sie sind nicht mehr abhängig von den Männern …“

„Bitte entschuldigen Sie, aber es erscheint mir nicht so, dass Sie besonders erfolgreich waren bei der Entscheidung über Ihr Liebesleben“, meinte Lorenzo trocken. „Ich würde vermuten, dass Sie sehr wenig Erfahrung haben, sonst hätten Sie Ihren Mann nicht so rasch an eine andere verloren.“

Seine unglaubliche männliche Überheblichkeit nahm ihr fast den Atem. Leider konnte Jodie nicht leugnen, dass er recht hatte mit seiner Einschätzung. Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass er sie brutal mit der Wahrheit konfrontierte. Dabei konnte er nicht ahnen, wie unerfahren sie tatsächlich war. – Nicht ganz freiwillig allerdings, denn die vielen Monate, die sie in Kliniken hatte verbringen müssen, hatten Jodie eines wichtigen Abschnitts ihres Lebens beraubt. Während des Unfalls, bei dem ihre Eltern starben, war ihr das Bein schlimm zerschmettert worden. Das Leben hatten die Ärzte Jodie retten können.

„Verwechseln deshalb so viele moderne Frauen Sex mit Liebe, ein Wort, ein Gefühl, das Frauen einfordern und es damit reduzieren?“, fuhr Lorenzo fort.

„Sie scheinen ja auch nicht die besten Erfahrungen gemacht zu haben“, gab Jodie nun spitz zurück.

„Wollen Sie denn abstreiten, dass Frauen heute genauso berechnend sind, wie man Männern früher immer vorgeworfen hat? Dass Frauen heute zum Beispiel häufig aus egoistischen Motiven und nur zur Befriedigung ihrer eigenen Ansprüche heiraten? Dass ihnen dabei die Gefühle der Männer, und manchmal auch der Kinder, völlig egal sind?“

Die Bitterkeit in seinen Worten berührte Jodie tief. Trotzdem konnte sie die Vorwürfe an das weibliche Geschlecht nicht so einfach hinnehmen. „Wenn Sie immer die gleichen Erfahrungen mit Frauen gemacht haben – könnte es nicht sein, dass Sie selbst das Problem sind?“

„Verwechseln Sie da nicht etwas? Wenn eine Mutter ihr Kind verlässt, ist das dann der Fehler des Kindes? Was Sie sagen, unterstreicht doch nur, dass ich recht habe.“

„Nein, ich habe damit nicht gemeint …“, begann Jodie.

Aber er ließ sie nicht aussprechen. „Wie heißen Sie?“, fragte er plötzlich.

„Jodie, Jodie Oliver. Und Sie?“

Zum ersten Mal, seit er aus seinem Wagen gestiegen war, schien er einen Moment zu zögern. „Lorenzo“, sagte er dann kurz.

„Il Magnifico?“, fragte Jodie spöttisch und wurde rot, als sie seinem Blick begegnete.

Il Magnifico. Der Großartige. So hatte auch sein Cousin Gino ihn im Scherz immer bezeichnet. Damit hatte er wohl ausdrücken wollen, dass es kein Wunder sei, wenn Lorenzo so erfolgreich sei, da er den Namen des berühmten Medicifürsten aus dem Mittelalter trug.

„Sie kennen sich in der Geschichte der Medici anscheinend aus“, meinte Lorenzo.

„Ein bisschen“, sagte sie. Mit einem Mal verlor sie die Lust, das Gespräch mit dem Fremden weiter fortzusetzen. Jodie fühlte sich müde und erschöpft. „Hören Sie, ich muss Kontakt mit meiner Mietwagenfirma aufnehmen und ihnen mitteilen, was passiert ist. Leider funktioniert mein Handy nicht. Könnten Sie vielleicht …“ Wenn er sie in das nächste Dorf brachte, könnte sie dort bestimmt ein Hotelzimmer und ein Telefon finden.

„Könnte ich vielleicht was?“, fragte er. „Ihnen helfen? Aber selbstverständlich.“

Sie wollte erleichtert aufatmen, als er schon fortfuhr: „Vorausgesetzt, Sie helfen auch mir.“

Sofort schrillten die Alarmglocken in Jodies Kopf. „Ich Ihnen helfen?“, fragte sie misstrauisch.

„Ja. Ich suche eine Frau zum Heiraten.“

Er muss verrückt sein, total irre, sagte sich Jodie. Sie saß in der Dunkelheit auf einer einsamen Landstraße mit einem Wahnsinnigen fest!

„Ich … ich soll Ihnen helfen, eine Frau zu finden?“, fragte sie vorsichtig nach.

Lorenzo presste die Lippen aufeinander und sah Jodie durchdringend an. „Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie sollen keine Frau für mich finden – Sie selbst sollen mich heiraten.“

3. KAPITEL

Und ich soll mich nicht lächerlich machen? fragte sich Jodie.

„Sie sagten gerade allen Ernstes, Sie wollen mich heiraten?“, wiederholte Jodie langsam. „Tut mir leid, aber so etwas Verrücktes …“

„Ja, ja, ich weiß – Sie wollen nie mehr heiraten“, unterbrach Lorenzo. „Aber das, was ich Ihnen vorschlage, ist keine normale Heirat. Ich brauche eine Ehefrau, und zwar innerhalb der nächsten paar Wochen. Glauben Sie mir, ich verspüre so wenig den Wunsch nach einer Ehefrau wie Sie nach einem Ehemann – wenn auch aus völlig anderen Gründen. Aber gerade das scheint mir die Basis dafür zu sein, dass wir uns einigen könnten. Wenn Sie mich heiraten, werden wir vertraglich vereinbaren, dass wir uns nach zwölf Monaten wieder scheiden lassen. Außerdem erhalten Sie … sagen wir, eine Million Euro als Abfindung. Was halten Sie davon?“

Jodie blinzelte überrascht und schüttelte ungläubig den Kopf. Bestimmt hatte sie sich verhört. „Sie wollen, dass ich Sie sofort heirate und zwölf Monate bei Ihnen bleibe?“

„Für die Zeit würden Sie großzügig entlohnt – für mich ist nur wichtig, dass ich durch Sie formell zum Ehemann werde. Das ist alles, was ich will. Sex ist nicht Gegenstand der Vereinbarung. Machen Sie sich also keine Sorgen. Ich brauche Sie nicht in meinem Bett.“

„Sie sind verrückt“, sprach Jodie ihre Gedanken laut aus. „Ich weiß absolut nichts über Sie.“

„Sie wissen jedenfalls, dass ich bereit bin, Ihnen für dieses Arrangement eine Million zu bezahlen.“ Er zuckte arrogant die Schultern. „Wir werden noch Zeit genug haben, über alles zu reden, was Sie wissen müssen.“

Eigentlich müsste ich diesen irrsinnigen Vorschlag kategorisch zurückweisen, dachte Jodie. Aber trotz ihrer Vermutung, dass sie sich in Gesellschaft eines geistig Verwirrten befand, verspürte sie keine Angst, sondern war im Gegenteil eher belustigt. Jodie hatte den Eindruck, das Schicksal greife ein und liefere ihr genau die Gelegenheit, die sie sich in ihren Fantasien vorgestellt, ja, herbeigesehnt hatte.

War sie auch verrückt? Sie konnte doch nicht ernsthaft darüber nachdenken, seinen Vorschlag anzunehmen?

„Wenn Sie so dringend eine Frau suchen, dann muss es doch jemanden geben, der …“

„Die Auswahl wäre groß genug“, sagte Lorenzo sarkastisch. „Ich fürchte nur, sie würden alle etwas von mir wollen, was ich auf keinen Fall wünsche – diese unerträgliche Mischung aus Liebe, Sex, Geld und Prestige.“

„Sie wollen damit sagen, Sie möchten nicht Gefahr laufen, an eine Glücksritterin zu geraten, nicht wahr?“ Es war zu offensichtlich – sein teurer Wagen, der Maßanzug, die Manieren –, dass er ein Mitglied der Oberschicht war und jede Menge Geld besaß. „Wollen Sie mich heiraten, weil Sie sich mit einer Scheinehe diese Art Frauen vom Hals halten können?“

„Nicht ganz.“

„Warum dann?“

„Es ist eine testamentarische Verfügung meiner kürzlich verstorbenen Großmutter, dass ich entweder in wenigen Wochen heirate oder etwas verliere, das mir sehr viel bedeutet.“

Fragend runzelte Jodie die Stirn. „Warum hat sie denn so etwa gemacht? Ich meine, entweder sollten Sie ihr Erbe sein oder nicht.“

„Leider ist die Situation nicht so einfach. Da spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Lassen Sie mich nur sagen, dass meine Großmutter überzeugt war, etwas Gutes in meinem Sinne zu tun. – Leider wurde sie von einer Person manipuliert, die ganz andere Interessen vertritt.“

Jodie wartete darauf, dass er seine Worte weiter erklärte. Stattdessen streckte Lorenzo nur die Hand aus. „Geben Sie mir Ihren Wagenschlüssel.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“ Wenn ich mich nicht bereits entschieden hätte, dass Männer in meinem Leben keine Rolle mehr spielen, dieser Mann mit seiner unsäglichen Arroganz hätte mich garantiert zu diesem Entschluss gebracht, dachte Jodie ärgerlich.

Aber gleichzeitig begann eine ebenso verlockende wie verrückte Idee in ihrem Kopf Gestalt anzunehmen. Was wäre, wenn sie seinem Vorschlag zustimmte – unter der Bedingung, dass Lorenzo sie auf die Hochzeitsfeier von John und Louise begleitete? Die ganze Stadt war eingeladen, jeder könnte mit eigenen Augen sehen, wie wenig Johns Verrat Jodie getroffen hatte. Wenn sie mit diesem attraktiven Mann dort auftauchte, würden alle Gerüchte verstummen. Wie lautete noch das alte Sprichwort? Die schönste Rache ist, zu zeigen, dass es einem gut geht.

Lorenzos barsche Stimme schreckte Jodie aus ihren Fantasien. „Nein?“

Dass ihr so etwas Niederträchtiges und Arrogantes überhaupt in den Sinn gekommen war, konnte Jodie nicht begreifen. Doch ein paar Minuten mit einem Mann wie Lorenzo schienen bereits Wirkung zu zeigen. Aber nein – das durfte sie nicht zulassen. So sehr konnte sie ihren Stolz und ihre Selbstachtung nicht verleugnen, dass sie einem Wildfremden einfach so das Jawort gab.

„Selbst jemand, der so arrogant ist wie Sie und offensichtlich daran gewöhnt, immer alles zu bekommen, was er will, muss doch begreifen, dass ein solcher Vorschlag absolut indiskutabel ist.“

„Ist eine Million nicht genug? Wollten Sie das damit sagen?“

Ihr Gesicht brannte vor Zorn. „Das Geld interessiert mich überhaupt nicht.“ Das überhebliche Lächeln auf seinem Gesicht brachte Jodie in Rage. „Mich kann man nicht kaufen. John konnte es nicht, und Sie schon gar nicht.“

„John?“ Sein Blick erinnerte sie plötzlich an einen Kater, der ein Auge auf die Maus warf, die er verspeisen wollte.

Aber Jodie war keine Maus. Und nie wieder sollte ein Mann die Gelegenheit erhalten, ihr wehzutun und sie zu enttäuschen.

Sie hob den Kopf. „Mein Exverlobter“, sagte sie kalt. „Er bot mir ebenfalls Geld – nicht dafür, dass ich ihn heiraten sollte, sondern weil er mich kurz vor unserer Hochzeit hat sitzen lassen. Damit wollte er mich bestechen, von mir aus mit ihm Schluss zu machen. Damit er nicht als der Schuldige dasteht. John und Sie sind sich offensichtlich sehr ähnlich. Er glaubt genau wie Sie, dass man mit Geld alles kaufen kann.“ Jodie schluckte. „Letztendlich hat er mir wohl einen Gefallen getan. Er hat mir erspart, einen Mann zu heiraten, der einen so schlechten Charakter hat.“

„Aber Sie haben immer noch Gefühle für ihn, nicht wahr?“

Lorenzos Bemerkung ließ ihr Herz höher schlagen. „Nein“, sagte sie rasch, „ich habe keine Gefühle mehr für ihn.“

„Und warum sind Sie dann weggelaufen? Doch nur, weil Sie Angst hatten, Ihre Gefühle für ihn nicht in den Griff zu bekommen …“

„Ich bin nicht weggelaufen. Ich habe Urlaub. Und wenn ich wieder nach Hause komme …“ Bei dem Gedanken ließ sie unabsichtlich die Schultern fallen.

Wenn sie nach Hause kam – ja, was war dann? Was erwartete sie dort? Sie hatte keinen Job mehr. Und kein Heim. Überhaupt konnte sie sich kaum vorstellen, wieder in den Cotswolds zu leben, unter den mitleidigen Blicken der Leute und mit dem Getuschel hinter ihrem Rücken. Doch am Arm eines attraktiven Mannes, den sie als ihren Ehemann präsentieren konnte, würde Jodie hoch erhobenen Hauptes durch die Straßen gehen.

Und dann? Lorenzo hatte ja bereits klargestellt, dass die Ehe nicht länger als zwölf Monate dauern würde.

Nun – dann würde Jodie mit einem Schulterzucken ihren Bekannten sagen, dass es eben mit ihrem Mann nicht geklappt hätte. So was kam heute ja tausendfach vor. Das würde sie weit weniger treffen als der Ruf, ein verlassenes Mauerblümchen zu sein.

„In zwölf Monaten könnten Sie nach Hause zurückkehren, mit einer Million auf Ihrem Konto“, sagte Lorenzo, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte.

Jetzt einfach zuzustimmen war verführerisch. Aber gleichzeitig nahm Jodie es Lorenzo übel, dass er sie dermaßen in Versuchung brachte. Hatte sie nicht geschworen, sich nie wieder von einem Mann ausnutzen zu lassen?

„Wenn Sie unbedingt eine Frau finden wollen, warum probieren Sie es mit Geld? Warum versuchen Sie nicht, eine Frau zu finden, die Sie liebt und die Sie heiraten wollen, weil sie dieselben Gefühle teilen? Eine Frau, die Achtung vor Ihnen hat und Respekt.“ Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Sie und John sind sich wirklich sehr ähnlich. Für Sie beide sind Frauen nur Mittel zum Zweck. Aber ohne mich. Nein, ich werde Sie bestimmt nicht heiraten.“

Als sie sich umwandte, konnte Lorenzo fühlen, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte und er langsam zornig wurde. Sie schlug sein Angebot wirklich aus? Dieser … dieser dünne Niemand von Touristin, eine Frau, die sich öffentlich von ihrem Verlobten hatte demütigen lassen? Hatte sie nicht begriffen, dass er ihr ein Vermögen anbot? Die Heirat würde aus ihr eine Dame der besten Kreise machen, eine Frau, die von den Berühmten und Reichen hofiert würde. Wenn sie nur einen Funken Verstand besaß, musste sie begreifen, was für eine einmalige Chance er ihr bot.

Aber stattdessen glaubte sie, ihn zurechtweisen zu müssen. Nun gut, dann eben nicht. Sie hätte sowieso nicht länger als ein oder zwei Tage durchgehalten, wenn sie Caterina und deren Klauen begegnet wäre. Dass er seine Zeit mit dieser unsinnigen Diskussion auf der dunklen Landstraße verschwendete, verstand Lorenzo selbst nicht. Er würde zur Küste hinunterfahren und dort im Handumdrehen ein halbes Dutzend Frauen finden, die mit Freuden auf seinen Vorschlag eingehen würden.

„Als gut“, sagte er kurz, drehte sich um und ging zu seinem Ferrari zurück.

Wollte er sie jetzt etwa allein zurücklassen? Jodie geriet in Panik. Das konnte er doch nicht machen!

„Nein, warten Sie“, rief sie hinter ihm her und versuchte, Lorenzo zu folgen. Mit jedem Schritt verstärkten sich jedoch die Schmerzen in ihrem Bein. Sie atmete erleichtert auf, als er stehen blieb und sich umwandte. „Ich muss unbedingt mit der Autovermietung Kontakt aufnehmen und berichten, was hier passiert ist.“

„Die werden nicht erfreut sein darüber, was Sie mit dem Wagen angestellt haben. Das wird ein teurer Spaß, da können Sie sicher sein“, prophezeite Lorenzo lässig.

„Ich habe eine Versicherung abgeschlossen“, protestierte Jodie, aber sie hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl im Magen. David hatte sie vor den Problemen gewarnt, die ein Unfall in Italien mit sich bringen könnte.

„Das wird weder die Leihwagenfirma noch die Polizei beeindrucken, vor allem, wenn sie erfahren, dass Sie auf einer Privatstraße unterwegs waren – und mich gefährdet haben. Sie werden auf jeden Fall einen guten Anwalt brauchen, und der ist teuer.“

„Aber das stimmt doch gar nicht. Ich steckte doch schon fest, als Sie hier ankamen – übrigens sind Sie viel zu schnell gefahren.“

Ein Blick auf sein Gesicht ließ sie sekundenlang verstummen, bis sie die Sprache wiederfand. „Sie … Sie wollen mich einschüchtern und erpressen.“

Er zuckte die Schultern und ging weiter zu seinem Wagen. Hilflos und in ohnmächtigem Zorn, beobachtete Jodie, wie Lorenzo die Tür öffnete. Er war der schlimmste, verabscheuungswürdigste Mann, den sie je getroffen hatte – arrogant, egoistisch und kaltherzig.

Seelenruhig nahm er hinter dem Lenkrad Platz, startete den Motor und fuhr ein Stück rückwärts, um einen Bogen um ihren Wagen machen zu können. Trotz des schmerzenden Beines lief Jodie zu ihm hinüber und schlug mit der Faust an die Scheibe.

Mit ausdruckslosem Gesicht ließ Lorenzo die Scheibe hinunter.

„Also gut, ich nehme Ihr Angebot an“, sagte sie atemlos. „Ich heirate Sie.“

Einen Moment lang blickte er sie an, ohne eine Regung zu zeigen, sodass Jodie schon befürchtete, er hätte es sich anders überlegt.

„Sie sind also tatsächlich einverstanden, mich zu heiraten?“

Jodie nickte. Sie stieß erleichtert den Atem aus, als er die Beifahrertür öffnete und sie mit einer Bewegung zum Einsteigen einlud. „Geben Sie mir die Schlüssel Ihres Wagens. Ich hole Ihre Sachen.“

Es war eine warme, angenehme Nacht. Trotzdem erschauerte Jodie leicht, als sie den Schlüssel in seine ausgestreckte Hand legte und ihn dabei zum ersten Mal berührte. Ein unerwartetes Prickeln lief ihren Arm hinauf, und sie zuckte instinktiv zurück. Er hatte lange, schlanke Finger – ganz anders als John, dessen Hände eher plump waren. In Jodies Kopf formte sich eine Vorstellung davon, wie es sich anfühlen mochte, wenn diese gepflegten Hände über den Körper einer Frau strichen. Dieser Gedanke ließ ihren Puls noch schneller schlagen als die kurze Berührung.

Während Lorenzo zu ihrem Wagen hinüberschritt, den Kofferraum öffnete und das Gepäck herausnahm, überlegte er, dass Jodie offensichtlich zu den wenigen unerfahrenen Frauen gehörte. Lorenzo konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau getroffen zu haben, die auf eine ganz kurze Berührung der Hände so erkennbar reagiert hatte.

In der gehobenen Gesellschaft waren die Leute zumeist blasiert, egoistisch, intrigant und zynisch. Eine Frau wie Jodie Oliver würde in dieser Welt keinen Monat überleben.

Entschieden schob er diese Gedanken beiseite. Das waren nicht seine Sorgen. Er musste sich zunächst um das eigene Überleben kümmern, und sie würde ihm dabei helfen. Hatte er ihr tatsächlich nur deswegen vorgeschlagen, ihn zu heiraten? Überrascht von den eigenen Zweifeln, runzelte er die Stirn. Was für abwegige Gedanken kamen ihm da? Er hatte überhaupt nicht heiraten wollen – und ganz bestimmt keine dünne, blonde und blasse Ausländerin, deren Gesichtsausdruck deutlich warnte: „Achtung, gebrochenes Herz“.

Er schaute auf den kleinen Koffer, den er aus dem Wageninneren genommen hatte, und blickte sich suchend um.

„Wie lange wollten Sie eigentlich Urlaub machen?“, fragte er, als er mit ihrem wenigen Gepäck zu seinem Ferrari zurückkam.

Jodie wurde rot, als sie den Grund seiner Frage begriff. „Ich habe nur das Nötigste mitgenommen“, erklärte sie kurz angebunden. „Ich hatte vor, mir hier einiges zu kaufen – die italienische Mode ist ja weltberühmt.“ Dass sie nur einen kleinen Handkoffer mitgenommen hatte, weil sie all die hübschen Sachen, die für die Hochzeitsreise bestimmt waren, auf keinen Fall anziehen wollte, verschwieg Jodie.

So dicht neben Lorenzo in dem relativ engen Sportwagen zu sitzen empfand sie als verwirrend intim. Der Geruch des teuren Leders erinnerte sie daran, wie sie mit John, der einen neuen Wagen hatte kaufen wollen, von einem Ausstellungsraum zum nächsten gegangen war. Aber keines der Modelle, für das John sich interessierte, hatte auch nur im Entferntesten die Klasse des Luxusgefährts, in dem Jodie jetzt saß.

Aber nicht nur der Geruch des Leders stieg ihr in die Nase, plötzlich nahm sie auch den Duft seines Aftershaves deutlich wahr.

Während sie noch dabei war, die neuen Eindrücke, die auf sie einstürmten, zu sortieren und zu verarbeiten, hatte Lorenzo den Ferrari gewendet und zurückgesetzt.

„Wohin fahren wir?“, erkundigte sich Jodie unsicher.

„Zum Schloss.“

Zum Schloss. Das klang imposant. Aber als das Gebäude fünf Minuten später hinter den Bäumen sichtbar wurde, wirkte es auf sie weniger überwältigend als vielmehr düster und etwas barbarisch, wie ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit. Eine Zeit, in der Männer sich genommen hatten, was sie besitzen wollten, wenn nötig, mit Gewalt. Irgendwie passt es zu Lorenzo, dachte Jodie.

Durch einen niedrigen Torbogen fuhr er in den Innenhof des Schlosses. Die Atmosphäre war so mittelalterlich, dass Jodie jeden Augenblick Ritter in glänzenden Rüstungen zu entdecken erwartete.

Der leere Innenhof wurde von offen flackernden Flammen in großen metallenen Becken beleuchtet, die zuckende Schatten auf die kargen Mauern warfen. Das Gemäuer war unterbrochen von schießschartenartigen Fensteröffnungen.

„Wohnen Sie hier?“, fragte Jodie. „Ein ungewöhnlicher Ort.“

„Das Schloss ist ein Relikt aus alten Zeiten, in denen Männer Festungen zu bauen pflegten, keine gemütlichen Wohnhäuser. Ich warne Sie lieber gleich – es ist innen genau so karg und ungemütlich, wie es von außen aussieht.“

„Weshalb wohnen Sie dann hier?“

„Ich habe nicht hier gewohnt, sondern meine Großmutter.“

„Warum also …“ Jodie unterbrach sich, als sie sah, dass seine Lippen zu einer schmalen Linie wurden. Offensichtlich waren ihm ihre Fragen lästig. Er ging um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. Als Jodie den strengen Rauchgeruch wahrnahm, musste sie beinah husten.

„Das ist die Mischung aus Holz und Harz in den Schalen, die diesen stechenden Geruch erzeugt“, sagte Lorenzo. „Nach einer Weile gewöhnt man sich daran und bemerkt es kaum noch.“

Nach einer Weile? Soll das um Gottes willen heißen, dass ich auch hier wohnen muss, in diesem mittelalterlichen Gemäuer ohne Elektrizität?

Jodies Sorgen zerstreuten sich, als Lorenzo mit seinen Erläuterungen fortfuhr: „Meine Großmutter hatte ein Faible für einen altmodischen Lebensstil. Zum Glück habe ich sie überzeugen können, einen leistungsfähigen Generator anzuschaffen, der das Schloss mit Elektrizität versorgt.“

Ein italienisches Schloss hatte sich Jodie immer als etwas Märchenhaftes und Prunkvolles vorgestellt. Das Schloss hier, befand sie, ist das genaue Gegenteil: streng, schmucklos und bedrückend. Trotz der Wärme fröstelte Jodie.

In der Enge des Ferraris hatte Jodie das verletzte Bein nicht bewegen können, jetzt fühlte es sich taub an. Sie merkte, dass Lorenzo ungeduldig darauf wartete, dass sie ausstieg. Als sie auf den Füßen stand, zuckte ein stechender Schmerz durch ihr Bein. Um sich nichts anmerken zu lassen, presste sie die Lippen aufeinander. John hatte es gehasst, wenn sie ihre Behinderung offen zeigte, und darauf bestanden, dass Jodie immer Jeans oder lange Röcke trug.

„Dann kann nicht jeder sofort sehen, dass dein Bein nicht in Ordnung ist“, hatte John gesagt. Selbst als sie jetzt nur daran dachte, stiegen Jodie Tränen in die Augen. Hätte er nicht wenigstens einmal sagen können, dass er sie liebte, egal, was sie anhatte? „So sind Männer nun einmal“, hatte Louise ihr schonungslos zu verstehen gegeben, „sie wollen keine Frau mit einer Behinderung, sie wollen eine Frau, die sie überall stolz vorzeigen können.“

Nach dem Gespräch mit Louise hatte Jodie am ganzen Leib gezittert. Und am nächsten Tag war sie in das Modegeschäft gegangen und hatte den kürzesten Minirock gekauft, den sie finden konnte. Der Autounfall, bei dem ihre Eltern starben und ihr Bein so zerfetzt wurde, dass die Narben nie ganz verschwinden und das Bein immer dünner bleiben würde als das andere, sollte ihr Leben nicht länger überschatten. In diesem Augenblick hatte sie beschlossen, die Narben in Zukunft mit Stolz zu tragen. Kein Mann würde ihr je wieder sagen, sie solle ihr Bein verstecken.

Nur für diese Reise hatte sie Jeans angezogen. Der alte verblichene Stoff wirkte neben Lorenzos tadellosem Maßanzug ziemlich deplatziert, als sie über den Innenhof zur Eingangstür hinübergingen. Jodie spürte seine große warme Hand auf ihrem Rücken, mit der er sie sanft vorwärtsschob, als hätte er ihren Widerstand gegen das wenig einladende Gebäude gespürt.

4. KAPITEL

Die Eingangshalle, die sie betraten, war mit geschnitzten dunkelbraunen Möbeln eingerichtet. Über dem großen Kamin hing an der Wand eine beeindruckende Sammlung von alten martialischen Waffen. Alt und abgenutzt sah der Teppich auf dem Steinfußboden aus. Und über allem schien eine feine Staubschicht zu liegen.

Als auf der gegenüberliegenden Seite eine Tür aufgestoßen wurde, richtete Jodie die Aufmerksamkeit ganz auf die Frau, die plötzlich im Türrahmen stand. Groß, schlank, elegant und teuer gekleidet, entsprach sie exakt dem typischen Bild einer reichen Italienerin, die zur feinen Gesellschaft gehörte. Ihr dunkles Haar war zu einem lockeren Knoten geflochten und betonte den klassischen Schnitt ihres Gesichtes. Den Blick hielt sie mit einem hochmütigen und besitzergreifenden Ausdruck auf Lorenzo gerichtet – es entsprach fast der Art, wie Jodie sie an Louise gesehen hatte. Die gerade eingetretene Frau hatte Jodie, die im Schatten stand, noch gar nicht bemerkt. Wer war sie?

Mit einem Mal fühlte sich Jodie unbehaglich, als ob sie vor einem dunklen Wasser stünde, in dem gefährliche Strömungen sie mit sich reißen könnten. Instinktiv wusste Jodie, dass sie vorsichtig sein und sich vor dieser Frau hüten musste. Sie versuchte, ruhig zu bleiben.

Ein Blick zu Lorenzo zeigte ihr, dass er sich äußerlich ganz entspannt gab. Aber sie spürte, wie der Druck seiner Hand auf ihrem Rücken sich plötzlich verstärkte. Irgendetwas ging hier vor, das Jodie noch nicht begriff – aber was? Sie fürchtete, dass sie auf ihre Fragen keine Antworten erhalten würde. Die vollen, blutrot geschminkten Lippen verzogen sich spöttisch. Als die Frau die Hand hob, um das Haar im Nacken zurückzustreichen, sah Jodie einen großen Diamant aufblitzen. Das schwarze Kleid modellierte jede Kurve ihrer perfekten Figur, als sie die Hand über die Perlenkette in ihrem Ausschnitt hinuntergleiten ließ bis zu ihren vollen festen Brüsten.

Das eng anliegende, relativ kurze Kleid enthüllte ein Paar lange, exquisit geformte sowie gebräunte Beine und weiblich gerundete Hüften. An den Füßen mit den blutrot lackierten Zehennägeln trug die Italienerin Riemchensandalen mit den höchsten Stilettos, die Jodie je gesehen hatte. Sie wirkte ganz, als gehörte sie auf den Laufsteg einer großen Modenschau – und nicht in dieses mittelalterliche Schloss.

Während die Fremde auf Lorenzo zuging, sah sie ihn triumphierend an. Ihre dunklen Augen zeigen nicht den geringsten Anflug von Wärme, dachte Jodie. Und als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme barsch und dünn, statt voll und melodisch, wie Jodie erwartet hatte.

Lorenzo hob die Hand, als sie näher kam. „Sprich bitte Englisch, Caterina. Sonst kann meine zukünftige Frau dich nicht verstehen.“

Der Effekt seiner Worte war bemerkenswert. Caterina blieb mit einem Ruck stehen und sah zu Jodie hinüber, die Lorenzo mit einer bestimmenden Geste aus dem Schatten nach vorn geschoben hatte. Er umklammerte ihren Arm, als ob er sie daran hindern wollte, wegzulaufen.

Auf dem Gesicht der Frau spiegelten sich Wut und Hass, so intensiv und wild, dass Jodie zurückzuckte. Es folgte ein langer wütender Schwall von Beschimpfungen in italienischer Sprache.

Lorenzo ignorierte es. „Hier entlang, bitte“, sagte er nun zu Jodie.

„Nein!“, schrie Caterina, dieses Mal auf Englisch. „Das kannst du nicht machen. Wer ist sie?“

„Wie ich schon sagte – meine zukünftige Frau“, meinte Lorenzo ganz ruhig.

„Nein. Niemals.“ Sie schüttelte so wild den Kopf, dass Jodie fürchtete, sie könne sich dabei verletzen. „Ich lasse nicht zu, dass du ein solches Nichts zu deiner Herzogin machst, Lorenzo.“

Zu seiner Herzogin?

„Ich erlaube dir nicht, auf diese Weise mit der zukünftigen Herzogin von Montesavro zu sprechen“, wies Lorenzo Caterina scharf zurecht.

Um Himmels willen, auf was habe ich mich da eingelassen, dachte Jodie erschrocken.

„Aus welchem Loch hast du sie herausgeholt?“

Lorenzos Gesichtsausdruck wurde kalt und abweisend. Aber Caterina kümmerte sich nicht darum. Sie umklammerte seinen Arm und schüttelte ihn. „Antworte mir, Lorenzo, oder ich werde …“

„Oder du wirst was?“, fragte er und schob ihre Hand von seinem Arm. „Jodie und ich haben uns vor ein paar Monaten getroffen. Ich wollte sie auf das Schloss bringen, damit sie meine Großmutter kennen lernt. Leider ist Nonna vorher gestorben. Da ich weiß, dass es ihr sehnlichster Wunsch war, dass ich heirate, habe ich jetzt die Absicht, meinem eigenen und dem testamentarischen Wunsch meiner toten Großmutter zu folgen, indem ich Jodie so rasch wie möglich eheliche.“

Jodie blinzelte, als ob sie nicht glauben könnte, was sie hörte. Langsam begriff sie, warum Lorenzo ihr seinen Vorschlag unterbreitet hatte.

„Das ist eine Lüge. Das ist alles nicht wahr. Ich werde …“

„Gar nichts wirst du, Caterina“, unterbrach Lorenzo sie. „Und ich warne dich“, fügte er grimmig hinzu. „Wenn du irgendwelche Gerüchte oder Anschuldigungen verbreiten solltest, könnte es dich teuer zu stehen kommen.“

„Du kannst mir nicht drohen“, schrie Caterina. „Weiß diese Engländerin, was genau der letzte Wunsch deiner Großmutter war? Dass du mich heiratest? Weiß sie, dass du …“

„Silencio!“ Lorenzos Stimme war eiskalt und autoritär. In seinen Augen glitzerte es gefährlich.

„Nein, ich bin nicht still“, sagte Caterina mit fester Stimme. Sie wandte sich Jodie zu und sah sie hasserfüllt an. „Hat er Ihnen verraten, dass er Sie nur deshalb heiratet, weil er sonst dieses Schloss verliert? Wenn er nämlich in den nächsten paar Wochen keine Ehefrau hat, erbe ich den Besitz.“

Jodie gelang es, sich die Enttäuschung über Lorenzos Unaufrichtigkeit nicht anmerken zu lassen. War dieses unwirtliche Schloss tatsächlich der Grund, warum Lorenzo sie heiraten und ihr ein Vermögen zahlen wollte?

„Es ist doch völlig abwegig, dass er eine Frau wie Sie freiwillig heiraten würde“, sagte Caterina hochmütig. Louises Worte hatten ähnlich gelautet. Jodie merkte, wie Ärger in ihr aufstieg. Sie atmete tief ein, bevor sie sprach. „Aber er wird mich heiraten, ob es Ihnen passt oder nicht“, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen.

Als Caterina einen leisen Fluch ausstieß, schlug Jodie der Geruch von Alkohol entgegen. Sie standen sich nun direkt gegenüber. In dem Moment, in dem Caterina drohend den Arm hob, ließ Lorenzo Jodie los und schob Caterina zurück. „Basta! Schluss jetzt“, bestimmte er.

„Das kannst du mir nicht antun. Das lasse ich nicht zu.“ Caterina machte keinerlei Anstalten, den Raum zu verlassen.

Jodie versuchte, ihre Nerven unter Kontrolle zu bekommen. Nur um Haaresbreite war sie einer körperlichen Attacke von Caterina entgangen.

„Du packst deine Sachen und wirst das Schloss augenblicklich verlassen“, hörte sie Lorenzo sagen.

„Nein, ich werde nicht gehen. Ich habe das gleiche Recht wie du, hier zu sein. Denke daran: Solange du nicht verheiratet bist, gehört das Schloss mir ebenso wie dir. Erst nach deiner Hochzeit bist du der alleinige Besitzer. Aber das …“

„Basta!“ Lorenzos Stimme ließ überhaupt keinen Zweifel daran, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Heftig stieß er Caterina zurück.

Sie rieb sich die Arme. „Du hast mir wehgetan. Morgen werde ich blaue Flecken haben …“ Dann wechselte Caterina ins Italienische und lachte höhnisch.

Unschlüssig schaute Jodie von einem zum anderen. Caterina und Lorenzo schienen sich nicht immer so feindselig gegenübergestanden zu haben. Hatte die beiden eine intime Beziehung verbunden? Oder führten sie sie noch immer? Was Lorenzo betraf, so schien er nichts mehr für Caterina zu empfinden – das nahm Jodie jedenfalls an.

„Er nutzt Sie nur aus.“ Caterina sah Jodie wieder an. „Und das wissen Sie, nicht wahr? Und wenn er erst hat, was er will, schickt er Sie fort.“ Nach diesen Worten drehte sich Caterina abrupt um, ging hinaus und schlug die Tür schmetternd hinter sich zu.

Lorenzo ging mit keinem Wort auf die Szene ein. „Hier entlang, bitte. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.“

Jetzt, da der Auftritt von Caterina vorbei war, fühlte Jodie sich sehr unbehaglich. So hatte sie sich auch an dem Nachmittag nach der Aussprache mit Louise gefühlt. Inzwischen hatte Lorenzo die Tür erreicht, durch die Caterina verschwunden war, und Jodie beeilte sich, ihn einzuholen. Sie traten in eine zweite Halle, von der aus eine eindrucksvolle und elegante Marmortreppe in den ersten Stock hinaufführte.

„Dieser Teil des Schlosses wurde während der Renaissance neu gestaltet“, erklärte Lorenzo, als er Jodies überraschten Blick sah.

Im ersten Stock öffnete sich ein breiter Korridor nach beiden Seiten. Lorenzo ging nach rechts. Aus Wandschalenleuchten fiel gedämpftes Licht in den Gang. Vor einer geschnitzten, mit reichen Ornamenten geschmückten Doppeltür blieb Lorenzo stehen. „Meine Großmutter hat diesen Teil des Schlosses vor Jahren für mich herrichten lassen, nach der Scheidung meiner Eltern“, sagte Lorenzo, als er die Tür öffnete. „Sie wollte, dass ich ein Zuhause habe. Gino sagte immer …“

„Wer ist Gino?“, fragte Jodie.

„Mein Cousin – und Caterinas verstorbener Mann.“

„Sie ist also Witwe?“

„Ja, ist sie.“

„Und sie wohnt hier auf dem Schloss?“

„Normalerweise verbringt sie die meiste Zeit in ihrem Apartment in Mailand. Aber als Großmutter krank wurde, kam sie her.“ Ein bitteres Lächeln erschien auf Lorenzos Gesicht. „Sie fragen zu viel“, sagte er dann abrupt. „Es ist schon spät, und ich habe noch einiges zu tun. Ich werde Ihnen alles, was Sie noch wissen müssen, morgen erzählen. Bitte denken Sie daran, was Sie anderen gegenüber stets sagen: Wir kennen uns schon etwas länger, und die Heirat planen wir ebenfalls schon seit einiger Zeit.“

„Caterina hat vorhin gesagt, dass Sie sie nach dem Willen Ihrer Großmutter heiraten sollen.“

Jodie bedauerte die Frage, als sie den zornigen Ausdruck um seine Lippen bemerkte.

„Sie hat gelogen“, sagte er bitter. „Sie will mich unbedingt heiraten, nachdem sie Ginos Geld durchgebracht hat. Sie will den Titel, das Geld und das Schloss. Caterina ist eine Blutsaugerin und völlig gewissenlos.“

Jodie hätte gern mehr erfahren, aber seine Miene sagte ihr, dass heute dieses Thema für ihn erledigt war. Jodie betrat das Zimmer. Ihre Überraschung verdrängte sogar jeden Gedanken an Caterina. Der Raum war gediegen und doch modern eingerichtet, die Möbel schlicht, aber aus erlesenem Material und von höchster Designqualität. Statt Tapeten auszuwählen, hatten sich die Montesavros für einen hellen Ockerton entschieden, der die fein verputzten Wände zierte. Ein sehr großer naturfarbener Wollteppich bedeckte den Steinboden. Außerdem gab es zwei große braune Ledersofas, die sehr einladend aussahen.

„Als das Schloss während des Krieges von den Deutschen besetzt war, wurden die originalen Wandgemälde leider entfernt. Großvater kam damals ums Leben.“

„Wo hat Caterina denn ihr Zimmer?“, erkundigte sich Jodie unsicher.

„Sie hat sich das Schlafzimmer meiner Großmutter genommen.“ Lorenzo ging zur Tür, bevor Jodie weitere Fragen stellen konnte. „Ich werde meinem Rechtsanwalt Bescheid sagen, dass er morgen herkommt und einen Vertrag mit unserer Abmachung aufsetzt. Und ich werde die notwendigen Schritte für unsere Hochzeit einleiten.“

Jodie zögerte. „Ich habe nachgedacht …“

„Caterina hat Ihnen einen Schrecken eingejagt, nicht wahr? Sie brauchen keine Angst vor ihr zu haben.“

„Ich habe keine Angst vor ihr“, widersprach Jodie empört. „Aber wenn Sie das mit unserer Heirat ernst meinen, dann möchte ich …“

Lorenzo zog fragend eine Augenbraue hoch. „Ja, was möchten Sie?“ Trat jetzt ein, was er erwartet hatte? Erhöhte sie jetzt ihre Forderungen? „Wollen Sie mehr Geld? Zwei Millionen statt einer?“

Jodie wurde rot – vor Ärger, nicht vor Scham. „Nein, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass mir das Geld nicht wichtig ist.“

„Aber was wollen Sie dann?“

„Nun“, sagte sie und atmete tief durch. „Ich möchte, dass Sie mit mir zu Johns und Louises Hochzeit gehen.“

Gespannt sah sie ihn an und wartete darauf, dass er ablehnte. Wenn er Nein sagte, würde sie das Schloss sofort verlassen. Dann würde sie sich nicht noch tiefer in diese undurchsichtige Affäre hineinziehen lassen.

Aber Lorenzos Reaktion überraschte Jodie. „Also lieben Sie ihn doch noch“, sagte er sanft.

„Nein, ich will nur …“ Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Ich brauche Ihnen meine Gründe nicht zu erklären. Aber das ist meine Bedingung für unsere Heirat. Es ist an Ihnen, zuzustimmen oder abzulehnen.“

„Also gut, einverstanden. Wir werden zusammen auf die Hochzeit Ihres Exverlobten gehen, aber als Mann und Frau.“

Jodie atmete erleichtert auf. Erleichtert? Worüber? Dass sie ihr Schicksal in die Hand eines arroganten Mannes legte, den sie erst seit ein paar Stunden kannte?

„Kommen Sie bitte mit …“

Müde folgte Jodie ihm zu einer anderen Tür, die in ein sehr männlich eingerichtetes großes Zimmer führte, von dem wiederum zwei Türen abgingen.

„Das ist meine Wohnung“, erklärte Lorenzo. „Und die Türen dort führen zu den Gästezimmern.“

Ohne ein Wort zu sagen, ging Jodie auf eine der Türen zu und öffnete sie. Wie alle anderen Zimmer in diesem Teil des Schlosses war auch das Gästezimmer schlicht und modern, aber erstklassig möbliert. Jodie hatte nur Augen für das wundervolle breite Bett. Ihr Bein schmerzte, und sie verspürte den Wunsch, sich auszustrecken und die Augen zu schließen.

„Die beiden Türen dort führen in das Ankleidezimmer und das Badezimmer. Ich lasse Ihr Gepäck heraufschicken. Haben Sie Hunger?“

Jodie schüttelte den Kopf. Alles, was sie nach diesem Tag noch wollte, war, sich hinzulegen und zu fühlen, wie die Schmerzen im Bein nachließen. Sie wollte einen Schritt nach vorn tun, doch das verletzte Bein versagte ihr den Dienst. Jodie knickte ein und stolperte. In der Bewegung streckte sie Halt suchend die Hände aus. Mit einem schnellen Schritt war Lorenzo bei ihr und fing Jodie auf, bevor sie zu Boden stürzen konnte. Im letzten Moment riss er sie hoch, woraufhin ihr ein scharfer Schmerz durch das Bein jagte. Jodie schrie auf.

Al diavolo! Was ist mit Ihnen, sind Sie krank?“

„Nein, es ist nur mein Bein“, sagte Jodie, löste sich von ihm und versuchte, sich aufrecht hinzustellen. Fragend sah Lorenzo sie an.

„Ich habe ein Problem mit meinem Bein. Es wurde bei einem Autounfall schwer verletzt. Manchmal, wenn ich mich zu sehr anstrenge …“ Sie blickte zur Seite. „Wenn Sie mich nicht mehr heiraten wollen, weil ich behindert bin, würde ich das akzeptieren.“

„Hat das der andere Mann zu Ihnen gesagt? Der Mann, den Sie wollten?“ Lorenzo zog die Stirn in Falten. „Hat er deshalb die Hochzeit platzen lassen?“

Jodie brannte das Gesicht vor Scham. Instinktiv hatte Lorenzo die Wahrheit erkannt.

„Nein, das war nicht der Grund.“

„Aber Ihre Verletzung hat dabei eine Rolle gespielt, nicht wahr?“, beharrte Lorenzo.

„Er war nicht begeistert, dass ich nach dem Unfall … gehandicapt war.“ Sie machte den Versuch, gleichgültig mit den Schultern zu zucken, aber es gelang ihr nicht. „Aber das ist doch verständlich. Männer schätzen gut aussehende Frauen …“

„Die Bewunderung für Schönheit ist eines der Naturgesetze der Menschen“, Lorenzo sah sie ernst an. „Aber oft entwickelt sich wahre Schönheit erst aus Leid und Schmerz.“

Unsicher versuchte Jodie seinen Blick zu erwidern. Sie war zu müde und erschöpft, um über die überraschende Bemerkung nachzudenken. Sie sehnte sich nach dem breiten Bett, das zu ihrer Rechten stand. Aufmerksam nahm Lorenzo Jodies Kopfbewegung wahr und verstand.

„Ich lasse Sie jetzt allein. Sie finden im Badezimmer alles, was Sie brauchen. Aber wenn Sie noch etwas benötigen, fragen Sie Pietro, wenn er Ihr Gepäck bringt. Er sagt es dann Maria, die es Ihnen sofort besorgt.“

„Pietro und Maria“, wiederholte Jodie. „Die Diener, nehme ich an.“

„Sie kümmern sich um das Schloss. Vor Jahren hat meine Großmutter sie eingestellt. Eigentlich müssten beide schon längst in Rente sein, aber das Schloss ist praktisch ihr Zuhause, und ich wollte nicht so grausam sein und sie wegschicken.“

Er nickte ihr zu und ging zur Tür. „Wenn ich mit meinem Anwalt gesprochen und alle Formalitäten für unsere Hochzeit geregelt habe, werde ich veranlassen, dass diese Räume etwas freundlicher gestaltet werden.“

Hieß das, sie würde hier mit ihm leben? Es gab noch so viele Fragen, die Jodie gern gestellt hätte, aber die mussten warten. Jetzt folgte sie nur noch dem dringenden Wunsch, sich richtig auszuschlafen.

5. KAPITEL

Das Bad, das Maria Jodie eingelassen hatte, war heiß und duftete nach Kräutern. Die Handtücher fühlten sich weich und flauschig an. Maria war mit einem Wortschwall auf Italienisch ins Zimmer gekommen und hatte Jodie mit einem scharfen Blick gemustert, bevor sie beruhigend gelächelt hatte.

Wie in ihrem Schlafzimmer war auch die Einrichtung des Badezimmers schlicht, aber von hoher Qualität. Weißer Marmor zierte Fußboden und Wände.

Als Jodie aus der Wanne stieg, wickelte sie sich in den Bademantel und ging barfuß in den Wohnraum zurück. Sie öffnete ihren Koffer und suchte nach dem Nachthemd, das sie eingepackt hatte. Als sie das Kleidungsstück in Händen hielt, wunderte sie sich. Sie hatte tatsächlich nicht nur das Nachthemd eingepackt, sondern auch die etwas frivolen Dessous, die sie extra für die Hochzeitsreise angeschafft hatte. BHs und Seidenhöschen mit Blumenmustern, glitzernde Strümpfe mit Satinstrapsen, winzige Slips in verschiedenen Farben. Und als Krönung des Ganzen ein cremefarbenes Shorty mit brauner Spitze.

In der Hochzeitsnacht hatte Jodie John schenken wollen, was sie ihm bis zum Tag ihrer Trennung verwehrt hatte. Wie hätte Jodie damals ahnen können, dass John so großes Verständnis und Zurückhaltung zeigte, nicht weil er sie so sehr, sondern weil er sie so wenig geliebt hatte. Durch Louises brutale Worte hatte Jodie begriffen, dass sie eine Mitschuld am Scheitern ihrer Beziehung trug. Sie hatte selbst dazu beigetragen, dass John sich von ihr zurückzog.

Warum nur hatte sie dann die Dessous eingepackt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, bis sie einen Zettel entdeckte, der in den Falten des Nachthemdes steckte:

Es schien mir so schade, dass du diese hübschen Sachen zu Hause lassen wolltest. Man weiß ja nie … Vielleicht triffst du jemanden, der sie zu schätzen weiß – und dich ebenfalls.

Jodie lachte laut auf. Andrea! Sie versuchte immer, aus jeder noch so aussichtslosen Situation das Beste zu machen. Nun – bei Lorenzo jedenfalls würden die Sachen wahrscheinlich noch weniger Wirkung zeigen als bei John.

Über die Geste der Freundin lächelnd, zog Jodie das Nachthemd an und klappte den Koffer zu. Statt ihn wegzuräumen, ließ sie ihn auf dem Fußboden stehen und ging hinüber zum Bett. Sie kroch unter die weiche Bettdecke und löschte das Licht.

Eigentlich hätte sie über ihre ungewöhnliche Situation nachdenken und sich überlegen müssen, wie sie sich unter den Umständen am besten verhalten sollte. Aber dazu war Jodie jetzt viel zu müde.

Lorenzo schaltete seinen PC aus und stand hinter dem Schreibtisch auf, an dem er gearbeitet hatte. Verschiedenen Leuten hatte Lorenzo E-Mails geschickt und ihnen erklärt, was er plante – seinem Anwalt, einem hohen Diplomaten, der ihm noch einen Gefallen schuldig war und helfen sollte, die Formalitäten zur Eheschließung mit einer britischen Staatsbürgerin zu beschleunigen. Auch seinem Cousin zweiten Grades, der Kardinal war, hatte Lorenzo geschrieben. Jodies Pass hatte zwischen Reisedokumenten in der Mappe gelegen, die Lorenzo auf dem Beifahrersitz von Jodies Leihwagen gefunden hatte. Die Angaben aus dem Pass hatte er ebenfalls an die drei Adressaten gemailt. Sein Auftrag an den Anwalt lautete, so rasch wie möglich einen Ehevertrag aufzusetzen und gleichzeitig alle rechtlichen Schritte einzuleiten, die Lorenzo in Übereinstimmung mit dem Testament seiner Großmutter zum alleinigen Erben des Schlosses machten.

Der Schmerz in ihrem Bein war so stark, dass Jodie mit einem leisen Schrei aus dem Schlaf aufschreckte.

Lorenzo hörte sie, als er gerade aus seinem Bad kam. Besorgt runzelte er die Stirn, während er einen weiteren Aufschrei vernahm. Das Duschtuch um die Hüften geschlungen, ging Lorenzo zum Gästezimmer hinüber, öffnete die Tür und schaltete das Licht ein.

Jodie lag auf dem Bett und massierte sich hektisch das Bein, um den Krampf, der ihre Muskeln äußerst schmerzhaft zusammenzog, zu lockern.

Lorenzo erkannte sofort, was los war. Er ging zum Bett hinüber und fasste Jodie an den Schultern. „Was ist es? Ein Krampf?“

Jodie nickte. „Ja, in meiner Wade“, stöhnte sie.

Der heftige Schmerz hatte ihr Gesicht ganz blass werden lassen. Lorenzo sah kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn.

„Haben Sie das öfter?“

Warum fragte er sie das? Befürchtete er, sich an eine Frau zu binden, die eine Last für ihn sein würde?

„Nein – nur ganz selten, wenn ich das Bein zu sehr angestrengt habe. Oh …“ Jodie schrie auf, als seine starken Finger genau den Punkt der Muskelverkrampfung fanden.

„Liegen Sie ganz ruhig“, sagte Lorenzo. „Es wird gleich besser.“ Er bemerkte ihren unsicheren Blick. „Glauben Sie mir, ich weiß, was ich tue.“

Jodie hätte ihn zurückgewiesen, wenn sie nicht ein neuer Krampf wehrlos auf die Kissen zurückgeworfen hätte. Lorenzo fluchte leise, dann hob er Jodie hoch und legte sie, bevor sie protestieren konnte, mit dem Bauch auf das Bett.

Nun, da ihre Beine, die das kurze, T-Shirt-ähnliche Nachthemd nicht verdeckte, nackt vor ihm lagen, konnte Lorenzo sehen, dass er sich nicht geirrt hatte. Jodie musste wahrhaftig keine hochhackigen Schuhe tragen, um ihre Beine länger wirken zu lassen. Er sah auch, dass ein Bein etwas dünner war als das andere. In der Kniekehle zeigten sich feine silbrige Narben.

Als der Krampf sie erneut schüttelte, wurde sich Jodie gar nicht bewusst, dass sie mit der Hand Lorenzos Arm umklammerte, um nicht erneut aufzuschreien. Das war der schlimmste Krampf, den sie je erlebt hatte.

Autor

Fiona Hood Stewart
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