Julia Collection Band 168

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Drei Brüder und drei Babys! Für Ethan, Aiden und Devon Tarlington beginnt das Abenteuer Vaterschaft unter ungewöhnlichen Umständen. Nun fehlen ihnen nur noch drei Traumfrauen, die das Familienglück perfekt machen!

MINISERIE VON VICTORIA PADE

ZUM ERSTEN MAL IM LEBEN
Monate voller Sehnsucht sind seit jener wundervollen Nacht vergangen, in der Paris von Ethan Tarlington die Liebe lernte. Aber weil die junge Malerin an der Aufrichtigkeit des Unternehmers zweifelte, verließ sie ihn. Nun steht Ethan plötzlich wieder vor ihr. Aber was will er? Wirklich sie – oder etwa nur ihr Baby?

EINE SCHICKSALHAFTE BEGEGNUNG
In der rauen Wildnis von Alaska tauchen selten so umwerfende Frauen wie Emmy Harris auf. Dabei hat der gutaussehende Arzt Aiden Tarlington bei ihrer Stiftung doch nur Fördergelder für sein Projekt beantragt. Aber nun ist sie da – und muss sogar bei ihm übernachten …

GLAUB DOCH EINFACH AN DIE LIEBE
Seit Keely den Fotografen Devon Tarlington kennt, schwebt sie wie auf rosa Wolken. Zusammen mit ihm und seinem Sohn Harley erlebt sie zauberhafte Stunden. Trotzdem wächst die Angst in ihr: Will Devon sie vielleicht nur als Ersatzmutter für Harley? Das könnte sie nicht aushalten …


  • Erscheinungstag 04.02.2022
  • Bandnummer 168
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511780
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Victoria Pade

JULIA COLLECTION BAND 168

1. KAPITEL

Paris Hanley erkannte die Stimme sofort. Sie war tief und melodisch und kam aus dem Wohnzimmer des Hauses, das Paris mit ihrer Mutter und ihrer Tochter Hannah teilte.

Schlagartig vergaß sie die Schuhe, die sie von den schmerzenden Füßen hatte streifen wollen, und eilte hinüber.

„Da ist sie!“, rief ihre Mutter. „Sieh mal, wer da ist“, sagte sie dann zu Paris gewandt.

Paris hatte sich nicht getäuscht. Es war tatsächlich Ethan Tarlington. Sie freute sich über seine Anwesenheit jedoch nicht so sehr, wie ihre Mutter es zu tun schien.

„Hi“, begrüßte er sie.

„Hallo“, erwiderte Paris kühl.

Die Kühle war allerdings unangebracht. Er hatte nichts falsch gemacht. Im Gegenteil, er hatte alles so richtig wie überhaupt möglich gemacht. Sie war einfach nur nicht stolz auf das, was sie damals, bei ihrer ersten und bislang einzigen Begegnung, hatte geschehen lassen. Und die Tatsache, dass es ihr genützt hatte, komplizierte alles nur noch mehr.

Also gab sie ihrer Stimme einen erstaunten Klang, während sie sich zwischen Ethan Tarlington und das Laufgitter stellte, in dem ihre fünf Monate alte Tochter friedlich schlief.

„Was für eine Überraschung“, sagte sie.

„Ja, nicht wahr?“, meinte ihre Mutter begeistert. „Der Mann von deinem Schnappschuss taucht plötzlich vor unserer Haustür auf. Ich hätte ihn nicht hereingelassen, wenn ihn nicht erkannt hätte. Du freust dich bestimmt, ihn wiederzusehen.“

Der Schnappschuss.

Eigentlich hatte sie die gedeckten Tische für den Partyservice fotografieren sollen, aber irgendwie war Ethan Tarlington vor die Linse geraten.

Es war eine Sofortbildkamera gewesen. Paris hatte das Foto eingesteckt und seitdem in der Schublade mit ihren Pullovern aufbewahrt. Dort hatte ihre Mutter es gefunden und die falschen Schlüsse daraus gezogen.

„Nun ja, ich habe zu tun. Ihr beide habt euch sicher viel zu erzählen“, vermutete Janine Hanley und stand auf.

Paris hätte ihre Mutter gern gebeten, Hannah mitzunehmen, aber sie wollte Ethans Aufmerksamkeit nicht auf das Baby lenken. Also setzte sie sich in den Korbsessel, den Janine gerade frei gemacht hatte.

„Igitt, du riechst vielleicht nach Wurst“, sagte ihre Mutter lachend.

„Die habe ich den ganzen Tag angepriesen.“

„Im Supermarkt“, fügte Ethan Tarlington hinzu. „Deine Mutter hat mir erzählt, dass du noch immer Gelegenheitsjobs annimmst, um malen zu können.“

Janine ging hinaus, und zum ersten Mal erlaubte Paris sich, Ethan genauer zu betrachten.

Entweder sah er jetzt noch besser aus als damals, oder der Schnappschuss war ihm nicht gerecht geworden. Er war wirklich unglaublich attraktiv.

Sein Haar hatte die Farbe von Espresso, und er trug es so lang, dass er es mit den Fingern kämmen konnte. Die Augen waren blau, sein Blick durchdringend. Die markante Nase verlieh dem Gesicht Ausdruck und Charakter, genau wie die hohen Wangenknochen und das energische Kinn. Die Lippen waren schmal und sinnlich zugleich, die Schultern breit und die Beine so lang, dass der athletische Körper eine Größe von ungefähr ein Meter fünfundachtzig hatte.

Ein perfektes Exemplar von Mann.

Aber das war das Letzte, woran sie jetzt denken sollte.

„Dies ist wirklich eine Überraschung“, wiederholte sie.

„Offenbar eine, über die du dich nicht gerade freust“, antwortete er mit nach oben gezogenen Augenbrauen.

Nein, das tat sie wirklich nicht. Doch das konnte sie ihm nicht sagen, also schwieg sie.

„Aschenputtel sollte begeistert sein, den Prinzen wieder zu sehen“, fuhr er fort. „Oder passe ich nicht in das Bild?“

Doch, das tat er. Jedenfalls täte er es, wenn die Umstände anders wären.

„Ich bezweifle, dass ich ein Aschenputtel bin.“

„Wir sind uns auf einem Ball begegnet, haben den Abend zusammen verbracht, und dann hast du dich in Luft aufgelöst. Genau wie Aschenputtel.“

Der Ball war ein Wohltätigkeitsdiner zu seinen Ehren gewesen, und sie war nicht als Gast dort gewesen, sondern als Cocktailkellnerin.

Und sie war auch nicht pünktlich um Mitternacht verschwunden …

„Ich habe dich gesucht“, sagte Ethan Tarlington. „Die ganze Woche danach. Aber du stehst nicht im Telefonbuch und hast mir nicht mal eine E-Mail-Adresse hinterlassen. Der Partyservice wollte mir keine Auskunft geben. Und du hast mir nur erzählt, dass du Kunstmalerin bist. Ich rief mehrere Galerien an, bis ich jemanden fand, der dich kannte. Aber die Frau wollte mir deine Anschrift nicht geben, weil sie auf eine Provision hoffte, falls ich an einem deiner Bilder interessiert wäre. Dann ging mir die Zeit aus und …“

„Und du hast das Land verlassen. Du erzähltest mir, dass du das vorhattest. Und dass du nicht wusstest, wann du wiederkommst. Deshalb habe ich mir keine Hoffnung auf ein zweites … Date gemacht“, gab sie zu.

„Aber unser erstes war doch ein Erfolg.“

„Es war ein ganz netter Abend“, meinte Paris ausweichend. „Wie hast du mich denn jetzt gefunden?“

„Schicksal. Auf dem Heimflug in der letzten Woche las ich in einer Zeitschrift über aufstrebende Künstler in und um Denver. Eins der Fotos zeigte dich. Ich dachte mir, warum nicht noch ein Versuch? Ich rief in der Redaktion an, sprach mit dem Verfasser des Artikels, und hier bin ich.“

„Aha.“

Vielleicht rächt sich das Schicksal an mir, schoss es ihr durch den Kopf.

„Von welchem Schnappschuss hat deine Mutter eigentlich gesprochen?“, fragte er.

„Einer von mehreren, die ich an dem Abend für den Partyservice gemacht habe. Mit einer Sofortbildkamera. Auf einem davon warst du zu sehen, und da der gedeckte Tisch unscharf war, habe ich das Foto eingesteckt und versehentlich mit nach Hause genommen.“

Nun, das war nur die halbe Wahrheit. Natürlich hätte sie mühelos vermeiden können, dass er ins Bild geriet, aber sie wusste selbst nicht, warum sie ihn fotografiert hatte.

„Ist in Übersee alles nach Plan verlaufen?“, wechselte sie hastig das Thema.

„Es hat länger gedauert, als ich dachte, aber Tarlington Software hat jetzt Filialen in London, Paris, Amsterdam, Genf, Hongkong und Brisbane.“

„Glückwunsch.“

„Danke“, sagte er, und er schien es ehrlich zu meinen. Das war etwas, was sie an ihm gemocht hatte – trotz seines Reichtums und des Rufs als einer der Stars der Software-Branche war er bescheiden und natürlich geblieben.

Dieses Mal war er es, der ein neues Thema anschlug. „Sieht aus, als wärest du auch nicht gerade untätig gewesen.“ Er nickte zum Laufgitter hinüber. „Ein Baby aus einer künstlichen Befruchtung, wie deine Mutter mir erzählt hat.“

Fast hätte Paris das Gesicht verzogen.

„Sie hat gesagt, dass du ein paar gynäkologische Probleme hast und nicht auf den richtigen Mann warten konntest“, fuhr er fort.

„Meine Mutter redet zu viel.“

„Hannah ist ein wunderhübsches Baby.“

„Du hast sie gesehen? War sie wach, als du kamst?“

„Ja. Und sie hat mich angestrahlt wie ein kleiner Engel.“

Das war keine gute Nachricht. Aber was geschehen war, ließ sich nicht rückgängig machen, also versuchte Paris es zumindest mit ein wenig Schadensbegrenzung.

„Der kleine Engel hat einen Arzttermin“, log sie. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber …“

„Ist sie krank?“

„Nein, nur eine Routineuntersuchung.“

„Ich verstehe.“

Aber er stand nicht auf, um zu gehen. Stattdessen schaute er zum Laufgitter hinüber und wandte sich erst nach einem Moment wieder Paris zu. „Deine Mutter ist eine nette Frau. Sehr gesprächig.“

„Ja, das ist sie wohl.“ Paris fragte sich, warum er blieb.

„Sie hat mir einiges darüber erzählt, wie es dir jetzt geht.“

Panik stieg in ihr auf. Doch dann fiel ihr ein, dass ihre Mutter nichts verraten konnte, was sie gar nicht wusste. Trotzdem war sie neugierig. „Und was genau hat meine gesprächige Mutter über mich erzählt?“

„Dass du jetzt, da du das Baby hast, noch schwerer zurechtkommst, dass du dringend Geld für ein neues Auto brauchst und deshalb im Supermarkt Kostproben an Kunden verteilst.“

„Vermutlich hat sie mich wie eine Märtyrerin aussehen lassen, was?“ Paris rang sich ein Lachen ab. „Sie hatte wenig Verständnis dafür, dass ihre Tochter eine allein erziehende Mutter werden wollte.“

„Das mag sein. Aber sie ist stolz auf dich. Und verrückt nach Hannah. Sie hat mich auf eine Idee gebracht. Es gibt einen Job, den du für mich erledigen könntest.“

„So?“

„Ja. Jedes Jahr gebe ich eine Dinnerparty in der Stadt, in der meine Brüder und ich aufgewachsen sind. Dunbar, draußen im Osten, kurz vor Limon. Jedenfalls, es erfordert eine Menge Vorbereitung und Organisation, und da ich mich lieber entspannen und mit alten Freunden reden möchte, brauche ich jemanden, der alles beaufsichtigt. Die Party findet morgen in einer Woche statt. Wie wäre es? Möchtest du mich nach Dunbar begleiten? Es gibt dort kein Hotel, aber du kannst in meinem Haus wohnen. Für eine Woche Arbeit zahle ich dir genug, um dir einen neuen Wagen zu kaufen.“

„Du machst Witze.“

„Absolut nicht. Es ist zwar nicht der Grund, warum ich dich gesucht habe, aber da wir beide ein Problem haben, könnten wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“

Ihr Problem war größer als seins. Sie saß nämlich in der Zwickmühle.

Und ihre Mutter hatte recht. Seit sie Hannah bekommen hatte, war es immer schwerer geworden, ein Bild zu verkaufen oder einen Gelegenheitsjob zu finden. Zudem hatte ihre alte Klapperkiste von Auto in letzter Zeit drei Pannen hintereinander gehabt. Erst vor zwei Wochen hatten sie an einem kalten, verregneten Abend am Straßenrand gestanden. Paris traute sich kaum noch, mit Hannah irgendwohin zu fahren.

Der Mechaniker hatte ihr geraten, sich einen neuen Wagen zu kaufen, aber ohne feste Arbeit bekam sie weder einen Kredit noch einen Leasingvertrag. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte.

Doch jetzt zeichnete sich eine Lösung ab.

Leider in Gestalt von Ethan Tarlington. Der Mann, von dem sie sicher gewesen war, dass sie ihn nie wieder sehen würde.

„Ich habe niemanden, bei dem ich Hannah lassen könnte“, gab sie zu bedenken. „Meine Mutter fliegt morgen nach Florida, um ihre Schwester zu besuchen.“

„Ich weiß. Sie hat es mir gesagt.“

Was hatte ihre Mutter ihm eigentlich nicht erzählt?

„Aber das ist kein Problem“, versicherte Ethan. „Das Haus in Dunbar ist groß genug. Außerdem kannst du Hannah meistens mitnehmen, während du den Job machst. Und wenn nicht, wird jemand bei ihr sein, weil noch drei Dienstboten im Haus wohnen. Plus meine beiden Brüder.“

Er beugte sich vor und senkte die Stimme. „Du musst also nicht mit mir allein sein, falls dich das beruhigt.“

Das tat es nicht, aber dennoch ertappte sie sich dabei, dass sie über sein Angebot nachdachte.

Eine Woche. Eine einzige Woche, in der sie genug verdienen würde, um sich einen neuen Wagen zu kaufen.

Wie viel Zeit würde Ethan denn überhaupt mit ihr verbringen? Schließlich wollte er sie engagieren, damit er genug Zeit für seine Freunde hatte. Sie würde zum Personal gehören, und er würde sie kaum beachten.

Und danach würde sie sich ein neues, sicheres Auto zulegen …

„Wenn ich zusage, muss klar sein, dass das, was zwischen uns passiert ist, sich nicht wiederholen wird. Ich arbeite für dich, mehr nicht. Eine rein geschäftliche Beziehung.“

„Rein geschäftlich“, bestätigte er.

Dass er diese Abmachung ohne Zögern einging, traf Paris irgendwie. Sie verstand nicht, warum sie so reagierte, und noch während sie überlegte, erhob er sich.

Anstatt jedoch zur Haustür zu gehen, schlenderte er zum Laufgitter.

Paris sprang auf und folgte ihm.

„Sie schläft noch“, sagte er leise.

„Vermutlich wacht sie erst auf, wenn wir beim Kinderarzt sind“, erinnerte sie ihn an den angeblichen Termin.

„Dann werde ich mich wohl leider nicht von ihr verabschieden können.“

„Nein, wohl nicht.“

Noch immer wandte er sich nicht zum Gehen, sondern betrachtete das schlummernde Baby. Paris kamen Zweifel, ob es richtig war, sein Angebot anzunehmen.

Aber ich tue es für Hannah, dachte sie. Mit dem neuen Wagen würde sie ihre Tochter nicht mehr in Gefahr bringen.

Endlich wandte Ethan Tarlington den Blick von dem schlafenden Baby und verließ das Wohnzimmer.

„Also nimmst du den Job in Dunbar an?“, fragte er auf dem Weg zur Tür.

„Ja.“

„Rein geschäftlich“, wiederholte er, als wüsste er, dass sie es hören wollte.

„Rein geschäftlich.“

„Okay, dann hole ich dich am Montagmorgen um neun ab.“

„Vielleicht wäre es besser, wenn Hannah und ich allein hinfahren. Gibt es einen Bus oder eine Bahnverbindung?“

„Es gibt einen Bus, aber ich weiß nicht, wann er fährt. Und wenn du mich begleitest, bist du rechtzeitig dort und kannst dich gleich an die Arbeit machen.“

Er war der Chef. Was sollte sie darauf erwidern?

„Also neun Uhr am Montag.“ Paris öffnete ihm die Haustür.

Er ging jedoch nicht hinaus, sondern ließ den Blick an ihr hinabgleiten, vom kurzen rotbraunen Haar bis zu den noch immer schmerzenden Füßen.

„Du siehst nicht aus wie eine Frau, die vor fünf Monaten noch schwanger war. Du siehst großartig aus. Sogar noch besser, als ich dich in Erinnerung hatte.“

Paris gefiel es absolut nicht, wie sehr sie sich über sein Kompliment freute. „Ich habe aufgepasst und viel Obst und Gemüse gegessen, um nicht zu viel zuzunehmen.“

Warum erzählte sie ihm das? Das war kein Thema, über das eine Angestellte sich mit ihrem Arbeitgeber unterhalten sollte.

„Werde ich eine Art Uniform tragen müssen?“, fragte sie.

„Nein. Du kannst deine Privatkleidung tragen. Sie steht dir übrigens ausgezeichnet“, erwiderte er mit einem Lächeln, das sie daran denken ließ, wie er sie bei ihrer ersten Begegnung aus der Fassung gebracht hatte.

Aber jetzt stand zu viel auf dem Spiel, und sie war eisern entschlossen, es nicht zu vergessen. Also hob sie das Kinn. „Rein geschäftlich.“

„Rein geschäftlich“, versprach er erneut und genauso schnell wie beim ersten Mal.

Und wie beim ersten Mal tat es ihr weh.

„Danke“, sagte sie, bevor sie die Haustür hinter ihm schloss und sich kraftlos dagegen lehnte.

Und plötzlich wurde ihr klar, warum Ethan Tarlington so sehr an einer rein geschäftsmäßigen Beziehung interessiert war.

Wegen Hannah!

Hatte er nicht an jenem ersten Abend gesagt, dass er noch nicht bereit für eine Ehe und Kinder sei? Ja, das hatte er. Und sie hatte keine Sekunde daran gezweifelt, dass er es ernst meinte.

Außerdem hatte er sie gesucht, weil er fand, dass ihr erstes Date „ein Erfolg“ gewesen war, und weil er sie wiedersehen wollte. Doch irgendwann war aus dem Wunsch nach einem zweiten Date der nach einem „rein geschäftlichen“ Verhältnis geworden.

Hannah. Es musste an ihrer Tochter liegen.

Aber das war okay. Es war besser als okay, es war das Beste so.

Denn wenn Ethan Tarlington kein Date mit einer Frau wollte, die ein Kind hatte, würde er auf Distanz zu ihr bleiben und in ihr nur die Angestellte sehen.

Und das war gut. Es war genau das, was sie wollte.

Warum tat es dann aber weh, dass er nicht mehr von ihr wollte?

Es fiel Paris schwer, sich das einzugestehen, aber sie war enttäuscht darüber, dass er sie offenbar nicht mehr begehrte.

Sie sollte jedoch froh darüber sein. Heilfroh. Denn solange sie für ihn nur eine Mitarbeiterin war und solange er sich von ihr und ihrer Tochter fern hielt, würde er nicht erfahren, dass Hannah seine Tochter war.

Und ginge es nach Paris, würde er es niemals erfahren.

2. KAPITEL

Noch nie war für Ethan ein Wochenende langsamer vergangen. Er hatte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren können. Er hatte Einschlafprobleme gehabt. Und nichts, was er gegessen hatte, hatte ihm geschmeckt.

Der Grund dafür war nicht schwer zu erahnen. Seit er am Freitag Paris Hanleys Haus verlassen hatte, war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Es begann immer gleich. Auch jetzt, als er am Montagmorgen seinen Kaffee trank. Es begann mit dem Anfang. Mit dem Abend, an dem er Paris kennen gelernt hatte.

Er hatte sie fast auf Anhieb gemocht. Dass sie eine Kellnerin in einem Raum voller Anwälte, Manager, Finanzexperten und Computerspezialisten war, hatte keine Rolle gespielt. Wichtig war nur gewesen, dass sie nicht versucht hatte, mit ihm zu flirten, ihm zu imponieren oder ihn gar zu verführen. Sie hatte sich nicht verstellt.

Und dann ihr Aussehen.

Sie war klein, etwa ein Meter sechzig, mit knackigem Po und flachem Bauch, langen Beinen und Brüsten, die gerade groß genug waren, um einen Mann zwei Mal hinschauen zu lassen.

Ihm gefiel der lässige, fast wilde Sitz ihres kastanienbraunen Haars. Es umrahmte ein hinreißendes Gesicht. Die Haut schimmerte, der Mund war sinnlich, mit vollen Lippen, die man früher „küssenswert“ genannt hätte. Die Nase war ein Kunstwerk. Und die Augen! Augen mit langen, dichten Wimpern.

Ihre Farbe war ein blasses Silber. Nicht blau oder grau, sondern eine Mischung aus beidem, die ihn schon beim ersten Blick hinein fasziniert hatte.

Verzaubert!

Er konnte es kaum glauben.

Noch nie hatte jemand eine solche Wirkung auf ihn gehabt. An jenem Abend war es ihm plötzlich vollkommen egal gewesen, dass er ausgezeichnet und gefeiert wurde. Die wichtigen Leute um ihn herum hatten ihn nicht mehr interessiert. Alles, was er gewollt hatte, war, mit dieser Frau allein zu sein.

Doch das war nicht einfach gewesen.

Privatgespräche mit den Gästen seien verboten, hatte sie gesagt. Und sie schien fest entschlossen gewesen zu sein, sich an diese Regel zu halten.

Doch er hatte nicht aufgegeben.

Er brauchte den ganzen Abend, und erst nachdem die meisten Gästen längst gegangen waren, konnte er sie endlich dazu überreden, mit ihm essen zu gehen.

In einem schicken Bistro, das nur für sie beide offen geblieben war. Danach ein Spaziergang durch den Park, der sein Haus umgab. Ein Drink im Wohnzimmer, damit sie seinen echten Matisse bewundern konnte. Und dann, als eins zum anderen führte …

Wahnsinn!

Selbst jetzt, an einem Montagmorgen an seinem Küchentisch, schlug sein Herz schneller, wenn er nur daran dachte.

Nun ja, er wusste kaum etwas über sie. Das hatte ihn damals nicht gestört. Er hatte sich vorgenommen, sie nach seiner Rückkehr aus Übersee besser kennen zu lernen, als es in einer leidenschaftlichen Nacht möglich gewesen war.

Doch dann war sie verschwunden.

Als er am Morgen danach erwachte, war sie fort. Ohne Abschied. Ohne Nachricht. Nicht mal eine mit Lippenstift an den Badezimmerspiegel gekritzelte Telefonnummer. Sie war einfach weg. Wie Aschenputtel. Nur, dass sie keinen gläsernen Schuh verloren hatte, und er war kein Prinz, der nur ein kleines Königreich nach ihr abzusuchen brauchte.

Und dann hatte er verreisen müssen, bevor er sie finden konnte.

Über die Monate hatte er versucht, ihre Begegnung als One-Night-Stand abzuhaken und sie zu vergessen.

Doch das war einfacher gesagt als getan.

Aus den sechs geplanten Monaten im Ausland waren acht geworden. Dann zehn. Dann ein ganzes Jahr. Dann noch zwei weitere Monate. Irgendwann hatte er sich damit abgefunden, dass er Paris Hanley nie wiedersehen würde.

Aber dann hatte er im Flugzeug in einer Zeitschrift geblättert und den Artikel entdeckt. Komplett mit einem Foto, das ihn daran erinnerte, wie schön sie war. Ein Foto, das sein Verlangen wieder weckte. Das ihn veranlasste, die Suche nach ihr fortzusetzen.

Schicksal.

Janine Hanley hatte das Baby auf dem Arm gehabt, als sie ihm am Freitagnachmittag öffnete. Sie erkannte ihn von irgendeinem Foto wieder, bat ihn ins Haus und stellte ihm Hannah vor.

Paris’ Tochter war fünf Monate alt.

„Ich wusste nicht, dass Paris in einer Beziehung lebt“, sagte er zu Janine.

Sie erzählte ihm, dass Paris sich wegen gynäkologischen Komplikationen in einer Jetzt-oder-nie-Situation befunden hatte.

„Und da es in ihrem Leben keinen Mann gibt, hat sie sich zu einer künstlichen Befruchtung entschlossen“, berichtete ihre Mutter.

Künstliche Befruchtung.

Ethan war sicher, dass Janine das glaubte.

Er selbst war keineswegs davon überzeugt.

Zufällig war Hannah fast genau neun Monate nach der Nacht geboren worden, die Paris und er miteinander verbracht hatten.

Janine Hanley schien von dieser Nacht nichts zu wissen, und während sie weitersprach, sah er sich das Baby an.

Hannah hatte nicht die Augen ihrer Mutter. Sie waren ganz anders. Ein strahlendes Blau.

Wie die seiner eigenen Mutter.

Ethan starrte auf den gefliesten Boden. War es möglich, dass Hannah sein Kind war?

Aber wenn ja, warum hatte Paris es ihm nicht erzählt?

Über seine Firma hätte sie ihn selbst in Übersee erreichen können. Oder sie hätte es ihm an Freitag sagen können.

Sie hatte es ihm jedoch nicht nur verschwiegen, er hatte auch gespürt, dass sie ihn nicht in Hannahs Nähe lassen wollte.

Doch wenn Hannah wirklich sein Kind war, warum wollte Paris nicht, dass er es wusste? Das war die Frage, die ihn daran zweifeln ließ, dass er tatsächlich der Vater war.

Zu viele andere Frauen, die er kannte, hätten ihn längst auf Unterhalt verklagt. Und Paris brauchte das Geld nötiger als alle.

Also war Hannah vielleicht doch künstlich gezeugt worden, und die Ähnlichkeit zwischen ihren blauen Augen und denen seiner Mutter war nur ein Zufall.

Oder einer seiner Brüder war Samenspender, ohne dass er davon wusste.

„Nicht sehr wahrscheinlich“, murmelte Ethan, während er seine leere Kaffeetasse wegstellte.

Aber bei dem Angebot, das er Paris gemacht hatte, spielten auch seine Brüder eine Rolle. Er wollte, dass sie Hannah zu Gesicht bekamen. Er wollte wissen, ob sie das sahen, was er gesehen hatte.

Ob Hannah nun von ihm war oder nicht, er würde dieser Sache auf den Grund gehen.

Paris hoffte, dass keiner ihrer Nachbarn sah, wie die Limousine pünktlich um neun am Montagmorgen vor ihrem Haus hielt. Als ledige Mutter, deren Kind noch dazu künstlich gezeugt worden war, hatte sie ihnen schon genug Gesprächsstoff geboten.

Zum Glück hatte sie alles gepackt und war reisefertig. Genau wie Hannah, die in ihrer tragbaren Babyschale fest schlief, darüber eine Decke, um die Augustsonne sowie Ethan Tarlingtons neugierige Blicke fern zu halten.

Er sah wunderbar aus, als er ausstieg und durch den Vorgarten ging – lässig und bequem gekleidet in einer khakifarbenen Hose und einem granatfarbenen Polohemd, das seine breiten Schultern zur Geltung brachte.

Nicht, dass es ihr wichtig war, wie er aussah. Sie selbst hatte einen marineblaue Leinenhose und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt gewählt und war zumindest froh, nicht underdressed zu sein.

Der Chauffeur folgte ihm zur Haustür, während Paris die beiden Koffer auf die Veranda schob.

„Guten Morgen“, begrüßte sie Ethan.

„Hallo“, erwiderte er.

„Wir können sofort aufbrechen“, fügte sie hinzu und verschwand im Haus, um Hannah zu holen.

Als sie wieder herauskam, nahm Ethan ihr den Kindersitz ab. „Den nehme ich.“

Während der Fahrer die Koffer zum Wagen trug, warf Ethan einen Blick unter die Decke. „Schläft sie?“

„Morgennickerchen“, bestätigte Paris und zupfte die Decke wieder zurecht, bevor sie die Haustür abschloss und mit Ethan zu der Limousine ging, in deren Fond es zwei gegenüberliegende Sitzreihen gab. Er stellte die Wippe auf einen nach hinten gerichteten Platz.

„Gib es einen besonderen Trick?“, fragte er.

„Das muss ich selbst machen“, sagte Paris.

Zu ihrer Erleichterung ließ er sie einsteigen. Sie stellte ihre Tasche und den großen Beutel mit den Windeln auf den Boden und schnallte die Babyschale fest. In der geräumigen Limousine war alles viel einfacher als in ihrem engen Zweitürer.

Zugleich war ihr jedoch klar, dass sie beim Vornüberbeugen Ethan ihren Po entgegenstreckte. Das gefiel ihr nicht, war jedoch nicht zu ändern, also beeilte sie sich und nahm neben Hannah Platz.

„Alles klar?“, fragte er von draußen.

„Alles klar.“

Er stieg ein, setzte sich ihr gegenüber hin und schloss die Tür. Dann drückte er auf einen Knopf, und zum Vorschein kam eine komplett ausgestattete Bar. „Möchtest du etwas trinken? Kaffee? Tee? Mineralwasser?“

„Nichts, danke.“

Die Bar verschwand wieder, während der Chauffeur anfuhr. Die Limousine glitt leise dahin. Paris war froh darüber, denn es bedeutete, dass Hannah vermutlich durchschlafen würde.

„Wie weit ist es bis nach Dunbar?“, fragte sie.

„Etwa hundertfünfzig Meilen. Es wird eine Weile dauern.“

Zu lange, dachte sie. Sie spürte Ethan Tarlingtons Nähe und den forschenden Blick aus seinen strahlend blauen Augen.

Sie überlegte gerade, worüber sie mit ihm reden sollte, um ihn von Hannah abzulenken, da brach er das Schweigen als Erster. „Die Fahrt wird uns Gelegenheit geben, ein wenig über den anderen zu erfahren.“

„Wie bei einem Bewerbungsgespräch?“

„Das haben wir längst hinter uns, meinst du nicht auch?“

Paris war klar, dass er damit auf die Nacht vor vierzehn Monaten anspielte, ließ es sich jedoch nicht anmerken.

„Deine gesundheitlichen Probleme müssen ziemlich ernst sein, wenn du ihretwegen eine künstliche Befruchtung hast vornehmen lassen“, begann er sofort.

Das war das Letzte, worüber sie mit ihm sprechen wollte. Aber wenn sie ihn davon überzeugen wollte, dass Hannah nicht von ihm war, musste sie es wohl oder übel tun.

„Es war die beste Lösung. Ich hatte hartnäckige Zysten an den Eierstöcken und eine Entzündung der Gebärmutterschleimhaut. Der erste Arzt, der mich untersuchte, wollte mir die Gebärmutter entfernen“, sagte sie.

„Der erste Arzt?“

„Ich wollte Kinder, keine Gebärmutterentfernung mit achtundzwanzig. Also habe ich natürlich eine zweite Meinung eingeholt.“

„Und wie lautete die?“

„So ähnlich wie die erste. Der zweite Arzt verstand jedoch, dass ich versuchen wollte, ein Baby zu bekommen, bevor ich mich operieren ließ.“

Sie hatte sich immer Kinder gewünscht und war schluchzend im Sprechzimmer zusammengebrochen.

„Er meinte, dann müsste ich mich beeilen, falls es nicht schon zu spät wäre. Und da ich gerade eine Beziehung hinter mir hatte und es keinen neuen Kandidaten gab, habe ich mich über künstliche Befruchtung informiert.“

Das stimmte. Sie hatte sich tatsächlich informiert und erfahren, wie teuer diese Methode war. So teuer, dass die Chance, schwanger zu werden, vermutlich vorbei gewesen wäre, wenn sie das Geld zusammengespart hätte.

Genau zu dem Zeitpunkt war sie Ethan Tarlington begegnet.

Sie erinnerte sich an jede Einzelheit jenes Abends.

Natürlich war ihr der attraktive Ehrengast sofort aufgefallen, aber der Gedanke, dass er der Vaters ihres Babys werden könnte, wäre ihr nicht mal im Traum gekommen. Sie hatte ihre Arbeit gut machen und den Verdienst für die künstliche Befruchtung sparen wollen.

Dann fing er an, mit ihr zu flirten. Er war so charmant und geistreich, und irgendwann hatte sie nachgegeben und sich bereit erklärt, nach dem Empfang mit ihm essen zu gehen. Nur essen zu gehen.

Sie dachte nicht daran, ein Kind von ihm zu bekommen. Vor Ethan Tarlington hatte sie nur mit einem Mann geschlafen, und das gewiss nicht beim ersten Date. Selbst einen Kuss gab es bei ihren ersten Dates nur äußerst selten.

Aber der Abend mit Ethan war wie keiner, den sie bis dahin erlebt hatte. Nicht mal mit Jason.

Die Stunden verflogen wie Augenblicke. Ethan brachte sie zum Lachen und erwies sich als Kunstkenner. Er hörte ihr aufmerksam zu und gab ihr das Gefühl, die einzige Frau auf Erden zu sein. Und er war ein perfekter Gentleman.

Er ließ sich viel Zeit, bis er sie das erste Mal küsste, und sie konnte es kaum erwarten.

Dazu trug natürlich auch bei, dass sie bereits eine Flasche Champagner geleert hatten.

Oh, konnte der Mann küssen! Und er hielt sie so, wie noch kein anderer sie gehalten hatte. Es war, als könnte sie dabei die Kraft spüren, die sich mit der Zärtlichkeit zu einer erregenden Mischung verband.

So erregend, dass sie nicht gewollt hatte, dass der Kuss endete.

Aber mehr als alles hatte sie seine Hände an ihrem Körper fühlen wollen …

„Ich wusste nicht, dass du an jenem Abend gesundheitliche Probleme hattest“, sagte er.

„Die hatte ich nicht“, erwiderte sie. „Ich meine, ich hatte schon welche, aber es ging mir gut.“ Und nun kam der Moment, wo sie mit dem Lügen anfangen musste. „Der Termin bei dem ersten Arzt war am Montag nach unserer Begegnung. Am Donnerstag suchte ich den zweiten Arzt auf, und danach ging alles ganz schnell.“

Sie hasste es zu lügen. Wem gegenüber auch immer. Aber sie musste alles tun, um ihm die Wahrheit vorzuenthalten.

„Du musst dich ja sofort einer künstliche Befruchtung unterzogen haben.“

„Keine zwei Wochen nach jenem Abend mit uns“, sagte sie. „Und Hannah ist zu früh zur Welt gekommen.“ Es waren nur vier Tage, doch das verschwieg sie ihm.

„Also war unser Abend …“

„Nur eine Episode, bevor ich die schlimmste Nachricht meines Lebens erhielt und damit fertig werden musste.“

Eine Episode, in deren Verlauf der Wunsch, mit ihm zu schlafen, so stark geworden war, dass sie ihn nicht mehr hatte unterdrücken können.

Sie hatte es so sehr gewollt, als wären sie seit Monaten zusammen gewesen. Als wäre das Verlangen in ihr immer mehr angewachsen, bis die Erfüllung sich nicht mehr hinauszögern ließ.

Erst dann – keine Sekunde früher – war ihr die Idee gekommen, von Ethan Tarlington schwanger zu werden.

Nicht als Hauptbeweggrund, nicht als kühle Berechnung, sondern als ein Wispern im Hinterkopf, welches ihr sagte, dass der Zeitpunkt ideal sei. Dass dieser attraktive, erfolgreiche, intelligente, kreative und freundliche Mann besser geeignet war als jeder andere, den sie im Katalog einer Samenbank finden würde.

Also hatte sie getan, was sie noch nie zuvor getan hatte. Sie hatte jede Vorsicht in den Wind geschlagen und den Rest der Nacht in Ethan Tarlingtons Bett verbracht.

„Es war eine schöne Episode, nicht wahr?“, sagte er leise.

Ja, dachte sie, eine wunderschöne. Es war nicht nur der leidenschaftlichste, erregendste Sex gewesen, den sie je erlebt hatte. Sie war in jener Nacht auch noch schwanger geworden.

„Kam dir eine künstliche Befruchtung nicht … unpersönlich vor? Klinisch?“, fragte er.

„Natürlich. Aber sie hat auch Vorteile.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass das Baby allein der Mutter gehört. Sie kann es so aufziehen, wie sie es für richtig hält. Niemand kann sich einmischen.“ Und niemand konnte das Sorgerecht einklagen und ihr das Kind wegnehmen.

„Es ist für dich kein Problem, dass Hannah keinen Vater hat?“

„Viele Kinder wachsen mit nur einem Elternteil auf. Ich bin es auch. Und ich bin entschlossen, die beste Mutter zu sein, die ich sein kann. Sie wird von mir so viel Liebe bekommen, wie ein Elternpaar ihr geben könnte.“

Ethan nickte. „Du hast keine Ahnung, wer der Vater ist?“

„Bei einer künstlichen Befruchtung gilt absolute Anonymität. Die Frau bekommt eine äußerliche Beschreibung des Spenders, aber kein Foto. Sie kennt seinen Beruf, seinen bildungsmäßigen Hintergrund, seinen gesundheitlichen Zustand und den seiner Familie. Mehr nicht. Der Mann selbst ist nur eine Nummer.“

„Und im Grunde überflüssig.“

„Ich glaube nicht, dass Männer jemals überflüssig sein werden“, entgegnete sie. „Ich bin dem Mann, der mir Hannah geschenkt hat, sogar dankbar. Ich habe das Gefühl, dass er für mich etwas Wunderbares und äußerst Großzügiges getan hat, als ich es am meisten brauchte.“

„Was wirst du ihr sagen, wenn sie nach ihrem Vater fragt?“, wollte Ethan wissen.

„Darauf habe ich bisher noch keine richtige Antwort“, gestand Paris ihm.

„Das kann ich mir vorstellen. Die Antwort wird nicht einfach sein“, meinte er verständnisvoll. „Wie geht es dir jetzt? Musstest du dich nach Hannahs Geburt operieren lassen?“

„Durch die Schwangerschaft hat sich mein Zustand verbessert. Der Arzt sagt, dass es nur ein Aufschub ist und man mir irgendwann die Gebärmutter entfernen muss. Aber vorläufig lassen sich die Beschwerden mit Medikamenten behandeln. Deshalb kann ich Hannah auch nicht stillen, sondern muss ihr die Flasche geben. Trotzdem bin ich froh, dass es mir besser geht.“

Ein leises Läuten ließ sie zusammenzucken – ein Beweis dafür, wie nervös dieses Gespräch sie machte.

„Entschuldigung“, sagte Ethan, während er ein winziges Handy aus der Tasche holte. „In Hongkong gibt es ein Problem“, entschuldigte er sich. Dann meldete er sich mit einem knappen „Tarlington“.

Paris hob die Decke vom Babysitz, um nach Hannah zu schauen.

Ihre Tochter schlief noch immer fest, die runden Wangen wie zwei rote Rosenknospen, eine kleine Faust an die Nase gepresst, der zarte Flaum hellbraun wie Milchschokolade.

Paris musste lächeln.

Aber zugleich ließ der Anblick Angst in ihr aufsteigen. Hatte sie Ethan davon überzeugen können, dass er nicht der Vater war?

Es sah so aus.

Doch allein seine Fragen ließen sie zweifeln, ob es richtig gewesen war, diesen Job anzunehmen.

Sie würde aufpassen müssen.

Aber es war ja nur für kurze Zeit, und danach würde sie genug Geld für einen neuen Wagen haben.

Egal, wie attraktiv Ethan Tarlington war, egal, was er in ihr auslösen konnte, egal, wie oft sie in den letzten vierzehn Monaten an ihn hatte denken müssen, sie würde ihn nicht an sich heranlassen. Und erst recht nicht an Hannah.

Er war reich und mächtig, und während er mit Hongkong telefonierte, hörte sie ihm an, dass er gewohnt war zu bekommen, was er wollte.

Männer wie er waren Eroberer. Wenn sie sich ein Ziel gesetzt hatten, ließen sie sich von nichts und niemandem abhalten, es zu erreichen.

Auch und gerade, wenn es um Kinder ging.

Das wusste Paris aus eigener Erfahrung. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Und sie würde nicht zulassen, dass es ihr oder ihrem Baby widerfuhr.

Unter keinen Umständen.

Kein Mann würde ihnen das antun.

Nicht mal einer, der aussah wie Ethan Tarlington und alle ihre weiblichen Saiten zum Klingen brachte.

3. KAPITEL

Ethans Haus befand sich am westlichen Rand von Dunbar, daher brauchten sie nicht durch die Kleinstadt zu fahren, um es zu erreichen.

Kein Schild, nicht mal ein Briefkasten verriet, wem das Anwesen gehörte. Die Limousine bog von der Hauptstraße in die Zufahrt ein. Der Weg war lang und von Roteichen gesäumt, deren Äste einen Schatten spendenden Baldachin bildeten.

Paris war nicht sicher, wie weit es von der Einfahrt bis zum Haus war, aber erst nach mindestens einer Meile kam es schließlich in Sicht.

Je näher sie kamen, desto weniger traute sie ihren Augen.

Sie hatte Ethans Haus in Denver für eindrucksvoll gehalten. Drei Geschosse, im Tudor-Stil errichtet, sechsundzwanzig Zimmer und dahinter ein englischer Landschaftsgarten.

Aber das Anwesen in Dunbar war geradezu unglaublich.

Sicher, es war nur zweistöckig und aus Baumstämmen gebaut, doch irgendwie wirkte es romantisch und edel zugleich. U-förmig erstreckte es sich um einen großen Springbrunnen aus Natursteinen, der wie eine natürliche Felsformation aussah und in einen Wasserfall mündete.

„Die Software war sehr gut zu dir“, bemerkte sie staunend, als der Wagen vor dem Aufgang hielt, der zu der breiten, mit Schnitzereien verzierten Flügeltür führte.

„Ich kann mich nicht beklagen“, erwiderte Ethan ohne jede Spur von Arroganz.

Er öffnete ihr die Beifahrertür und richtete sich wieder auf. „Geh doch schon hinein, und mach es dir bequem. Ich komme mit Hannah nach.“

„Danke, aber das schaffe ich schon“, lehnte sie hastig ab.

Davon wollte er jedoch nichts hören. „Ich verspreche, ich werde ganz vorsichtig sein und sie nicht wecken.“

Es gab nichts mehr, was sie hätte sagen können, ohne unhöflich zu klingen oder ihn misstrauisch zu machen. Also gab sie nach.

„Okay. Danke“, sagte sie und stieg aus.

Nach der langen Fahrt tat es gut, die Beine auszustrecken. Und die frische, saubere Landluft einzuatmen, die nach den rund um den Brunnen blühenden Wildblumen roch. Obwohl die Klimaanlage in der Limousine für eine angenehme Temperatur gesorgt hatte, war es herrlich, die Kühle im Schatten der Eichen an der Haut zu fühlen.

„Auf geht’s“, hörte sie Ethan im Wageninneren sagen und drehte sich nach ihm um.

Er stieg gerade mit der Babyschale aus.

„Oh, ich glaube, ich höre etwas“, sagte er, als sie ihm Hannah abnehmen wollte, und stellte den Sitz einfach aufs Wagendach.

Bei seiner Größe war Ethan natürlich im Vorteil. Bevor sie ihn daran hindern konnte, schlug er die Decke zurück. Paris sah, dass die großen blauen Augen ihrer Tochter geöffnet waren, doch er versperrte ihr den Weg zu Hannah.

„Ja. Hellwach. Kriege ich jetzt Ärger?“, fragte er.

„Nein. Sie wäre sowieso bald aufgewacht“, beruhigte sie ihn. Allerdings hatte sie gehofft, sich mit Hannah zurückziehen zu können, solange ihr Baby noch schlief.

„Kann ich sie aus diesem Ding nehmen?“, kam seine nächste Frage.

„Oh, ich weiß nicht. Du bist ein Fremder, und …“

„Ich glaube, das stört sie nicht. Sie lächelt mich an“, informierte er Paris. „Hallo, kleine Hannah“, fuhr er mit leiser, sanfter Stimme fort. „Hast du gut geschlafen?“

Paris griff zum letzten Mittel. „Sie ist vermutlich nass.“

„Das macht mir nichts aus.“

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern machte Hannah los und streckte ihr seine großen Hände entgegen.

Und was tat ihre sonst immer scheue und misstrauische Tochter?

Hannah setzte ihr strahlendstes Lächeln auf – das, bei dem sich rechts neben dem Mund ein süßes Grübchen bildete – und streckte beide Arme aus.

„Siehst du, sie will, dass ich sie halte“, sagte er stolz und hob das Baby aus dem Sitz.

Er tat es verblüffend geschickt und behutsam. Und wie ein erfahrener Vater setzte er sie sich dann auf die Hüfte.

„Kann sie den Kopf schon allein halten?“, fragte er, stützte ihn jedoch vorsichtshalber.

„Ja, das kann sie“, versicherte Paris.

Es juckte ihr in den Fingern, ihm Hannah buchstäblich zu entreißen. Aber zugleich fand sie es rührend, wie ein so großer, kräftiger Mann ein winziges Baby so zärtlich in den Händen halten konnte.

„Hallo, Hannah“, säuselte er. „Erinnerst du dich an mich?“

Hannah krähte, wedelte mit den Armen und packte seine Nase.

Ethan lachte. „Ich glaube, sie mag mich.“

Was Paris äußerst beunruhigend fand.

„Ich kann sie jetzt nehmen.“ Sie griff nach dem Baby.

„Das musst du nicht. Lass sie mich noch eine Weile halten.“

Seine Weigerung, ihr Hannah zu geben, ließ in Paris sämtliche Alarmglocken losgehen. Es kam ihr vor, als würde er Anspruch auf ihr Kind erheben.

„Wirklich“, beharrte sie energischer. „Sie hat sehr empfindliche Haut und darf eine nasse Windel nicht zu lange tragen.“

Dieses Mal nahm sie ihm Hannah einfach ab.

Während der Chauffeur das Gepäck auslud, hängte sie sich ihre Tasche um. „Sag mir einfach, wo unser Zimmer ist, dann bringe ich sie hinein. Gibt es einen Personalflügel oder so etwas?“

„Ja, aber du und Hannah, ihr werdet gleich gegenüber von mir wohnen. Die Haushälterin hat alles besorgt, was ein Baby so braucht. Ein Kinderbett, zum Beispiel. Da ich telefonieren muss, wird dich jemand hinführen. Wir werden zusammen zu Abend essen, und danach zeige ich dir das Haus, okay?“

„Augenblick mal“, erwiderte sie. „Wir essen zusammen, du hast Möbel für Hannah gekauft und bringst uns in deiner Nähe unter? Davon war nie die Rede. Ich bin nur eine Mitarbeiterin und habe im Gästezimmer nichts zu suchen.“

„Eine Mitarbeiterin bist du nur technisch gesehen. Ich betrachte dich und Hannah als meine Gäste.“

„Ich halte das für keine gute Idee.“

„Doch, das ist es. Ich freue mich auf deine Gesellschaft.“

„Ich habe mich auf das hier nur eingelassen, weil wir uns einig waren, dass unsere Beziehung rein geschäftlich ist.“

„Richtig“, bestätigte er. „Also sehen wir es doch mal so. Angenommen, du wärest eine Unternehmensberaterin, die nach Dunbar gekommen ist, um mir zu helfen. Wo würdest du wohnen? Es gibt hier kein Hotel, also würdest du hier bleiben. Damit wärest du sowohl mein Gast als auch eine Geschäftspartnerin. Und als mein Gast, wo würdest du essen? In der Küche? Nein. Du würdest mit mir essen. Und was würdest du abends oder an einem freien Nachmittag tun? Däumchen drehen? Nein, du würdest deine Freizeit mit mir verbringen. Aber wäre das etwas Persönliches? Natürlich nicht. Einfach nur Höflichkeit und ein Privileg des Managements. Keine große Sache.“

Es war durchaus eine große Sache. Eine viel größere, als Paris erwartet hatte. Sie hätte genauer nachfragen sollen, wie er sich alles vorstellte.

„Vielleicht war das hier doch keine so gute Idee. Vielleicht sollten Hannah und ich den nächsten Bus nach Denver nehmen.“

„Warum das denn?“, fragte Ethan spöttisch.

„Weil das, was zwischen uns geschehen ist, sich nicht wiederholen wird. Ich bin hier, um einen Job zu machen. Nicht, um mit dir eine Woche in deinem Landhaus zu verbringen.“

„Wäre das so schlimm?“

Vermutlich wäre es zu schön.

„Komm schon“, drängte er mit sanfter Stimme. „Schließen wir einen Kompromiss, ja? Verbinden wir Arbeit mit Vergnügen, solange es uns beiden einfach nur Spaß macht. Einfach nur angenehmen Spaß, so wie es mit jedem Geschäftspartner wäre, den ich hierher einlade.“

Nach kurzem Zögern willigte sie ein. „Okay. Angenehmer Spaß, aber sonst nichts.“

„Sonst nichts“, wiederholte er mit einem schiefen Lächeln.

Paris fragte sich, ob sie ihm vertrauen durfte. Sie war sich da nicht so sicher.

Trotzdem war die Versuchung, hier zu bleiben, so groß, dass sie sich nicht zwingen konnte, den Bus nach Denver zu nehmen.

Schließlich trug Hannah nicht den Namen Tarlington auf der Stirn. Und sie selbst würde kein zweites Mal seinem Charme erliegen. Sie konnte sich beherrschen. Das Hauspersonal und seine Brüder würden ihr dabei helfen.

So schnell wollte sie jedoch nicht klein beigeben. „Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass ich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hergelockt wurde?“

Ethan schien zu merken, dass er gewonnen hatte, denn er lächelte zufrieden. „Keine Ahnung.“

Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Das Blau seiner Augen war warm und löste tief in ihrem Bauch ein beunruhigendes Gefühl aus.

Doch Paris kam nicht dazu, darüber nachzudenken, denn plötzlich erschien eine kleine, rundliche Frau mit kurzem grauen Haar, roten Wangen und einer Knollennase. Ethan wirbelte zu ihr herum und umarmte sie so herzlich, als wäre sie seine Mutter oder seine Lieblingstante.

„Lolly, Lolly, du siehst von Tag zu Tag jünger und hübscher aus“, rief er.

„Ich hoffe, das ist dein Ernst“, entgegnete sie.

Sie lachten beide, während Ethan sich wieder Paris zuwandte.

„Paris, das ist Lolly McGinty. Sie führt den Laden hier. Lolly, das sind Paris Hanley und Hannah.“

Paris streckte die Hand aus. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen.“

„Geht mir genauso.“

„Paris gehört heute Nachmittag ganz dir, Lolly“, sagte Ethan, bevor er Paris wieder ansah. „Lolly wird sich um dich kümmern und dir erklären, was für die Party noch alles organisiert werden muss. Ich werde vermutlich stundenlang mit Hongkong telefonieren müssen. Wir sehen uns dann beim Abendessen.“

Mit anderen Worten, Paris war vorläufig entlassen. Wie eine ganz gewöhnliche Mitarbeiterin.

Und aus irgendeinem Grund kränkte sie das.

Sie wehrte sich gegen das Gefühl und konzentrierte sich auf die Haushälterin.

„Gehen Sie vor“, bat sie und kehrte Ethan wortlos den Rücken zu.

Sie spürte seinen Blick, als sie Lolly ins Haus folgte.

Paris wusste, dass sie sich auf sehr dünnes Eis begeben hatte.

Und auf dünnem Eis musste man extrem vorsichtig auftreten, wenn man nicht einbrechen wollte.

„Sag mal, Aiden, bin ich der Einzige, oder hast du auch das Gefühl, dass Ethan uns auf einen Drink eingeladen hat, weil er etwas verkünden will?“

„Könnte sein, Dev. Wie ich höre, hat er in diesem Jahr eine Frau mitgebracht. Gut möglich, dass es etwas mit ihr zu tun hat.“

Ethan ließ seinen Brüdern ihren Spaß, während er zwanzig Jahre alten Scotch in drei Gläser goss.

Dann trug er sie zu den Ledersesseln, in denen sie saßen. „Eure Nummer ist nicht gerade bühnenreif. Kommt bloß nicht auf die Idee, damit Geld verdienen zu wollen.“

Seine Brüder lächelten nur.

„Was ist denn so dringend, dass du mit uns darüber reden willst, noch bevor wir unsere Koffer ausgepackt haben?“, fragte Aiden, bevor er an seinem Drink nippte.

„Ich möchte eure Meinung hören.“

„Also, schieß los“, verlangte Devon und nahm ebenfalls einen Schluck.

„Eine Woche, bevor ich im letzten Jahr ins Ausland gereist bin, habe ich eine Frau kennen gelernt“, begann Ethan.

„Die Frau, die du mitgebracht hast?“

„Richtig. Paris Hanley. Jedenfalls, wir haben die Nacht zusammen verbracht …“

„Und das erzählst du uns, damit wir wissen, dass du nicht nur arbeitest, sondern dich hin und wieder auch amüsierst?“, scherzte Aiden.

„Hört auf. Das hier ist ernst.“

Ethan erklärte ihnen, wie er erfahren hatte, dass Paris ein Baby hatte.

„Und du glaubst, es ist von dir?“, sagte Devon.

„Das ist genau der Punkt, ich weiß es nicht. Paris behauptet, dass es eine künstliche Befruchtung war, gleich nach unserer gemeinsamen Nacht, und dass Hannah zu früh geboren wurde. Aber das könnte auch gelogen sein.“

„Oh, das bezweifle ich“, antwortete Aiden.

„Ihr könnt nicht sagen, dass Hannah nicht von mir ist, bevor ihr sie nicht mit eigenen Augen gesehen habt“, beharrte Ethan. Bisher hatte er seinen Brüder nichts von der Ähnlichkeit erzählt, die er bei Hannah zu erkennen glaubte.

„Hör zu, Ethan“, blieb Aiden bei seiner Haltung. „Du hast viel Geld. Wenn diese Frau – oder jede andere Frau – von dir ein Kind hätte, würde sie dich auf Unterhalt verklagen. Sie müsste verrückt sein, um darauf zu verzichten.“

„Das macht die ganze Sache ja so verdammt seltsam. Aber ich sage euch, ich bin überzeugt, dass Hannah von mir ist.“

„Aber du hast Paris nicht gefragt“, entgegnete Devon.

„Nein. Das habe ich nicht, und ich will es auch nicht. Erst muss ich sicher sein, dass ich mir das, was ich bei Hannah sehe, nicht nur einbilde. Und selbst wenn ihr seht, was ich sehe, will ich erst wissen, warum Paris mir die Wahrheit verschweigt.“

„Es wäre nicht sehr ehrenhaft, aber ich könnte einen DNA-Vergleich zwischen dir und dem Baby vornehmen“, bot Aiden an. „Damit ließe sich eine Vaterschaft ausschließen.“

Ethan schüttelte den Kopf. „Nein, das wäre hinterhältig.“

„Und wenn das Baby von dir ist und die Mutter es verheimlicht, wie nennst du das?“, fragte Devon.

„Hinterhältig.“

„Aha“, murmelte Aiden und stellte sein halb geleertes Glas ab. „Also geht es hier auch darum, die Mutter zu testen. Um festzustellen, ob sie so wie Bettina ist.“

„Du scheinst Paris zu mögen – eine Nebensächlichkeit, die du bisher nicht erwähnt hast“, stellte Devon trocken fest.

„Ich will nur die Wahrheit wissen“, erwiderte Ethan. „Und warum sie mir verheimlicht, dass ich Hannahs Vater bin. Falls ich es bin.“

„Willst du, dass das Baby von dir ist?“, fragte Aiden leise.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Ethan ehrlich. „Ich möchte nur, dass ihr beide euch Hannah genauer anseht und mir sagt, was ihr denkt.“

„Und wenn wir denken, dass sie von dir ist?“, erwiderte Devon.

Ethan leerte sein Glas und starrte hinein. „Keine Ahnung“, gab er zu.

Er wünschte nur, er hätte nicht bemerkt, dass Paris’ Lachen dem Klang eines Windspiels glich, dass ihre Augen wie Sterne funkelten und die Farbe ihrer Lippen jede Rosenblüte in den Schatten stellte …

Paris verbrachte den Nachmittag mit Lolly. Die Haushälterin erzählte ihr alles, was sie über den Stand der Partyvorbereitung wissen musste, und sorgte dafür, dass sie und Hannah sich in ihren Zimmern wohl fühlten. Danach war es Zeit, Hannah zu füttern, und als Paris damit fertig war und ihre Tochter zu Bett gebracht hatte, klebte an ihr fast so viel Birnenmus, wie im Magen des Babys gelandet war. Sie musste sich zum Abendessen umziehen.

Ihre Sachen hingen in einem geräumigen, begehbaren Schrank, der eher einem Ankleidezimmer glich. Sie betrat ihn und versuchte, nicht an Ethan zu denken, während sie etwas aussuchte.

Warum sollte sie sich den Kopf darüber zerbrechen, in welchem Kleidungsstück ihre Taille schmaler, ihr Po anmutiger oder ihre Brüste ein wenig größer wirkten.

Sie sollte es nicht tun.

Doch als sie den Blick über die kleine Kollektion wandern ließ, die sie aus Denver mitgebracht hatte, bedauerte sie, dass ihr begrenztes Einkommen nur für eine eher praktisch ausgerichtete Garderobe reichte. Und da sie hergekommen war, um einen Job zu erledigen, nicht um sich amüsieren, hatte sie die praktischsten Stücke mitgenommen.

Außerdem war sie fest entschlossen gewesen, für Ethan Tarlington auf keinen Fall mehr als eine Mitarbeiterin zu sein. Daher hatte sie sich kaum Gedanken über ihr Aussehen gemacht.

Jetzt, da sie mit ihm und seinen Brüdern zu Abend essen würde, war es ihr nicht mehr egal, wie sie auf ihn wirken würde.

Zum Glück hatte Lolly ihr erzählt, dass die Tarlingtons keinen Wert auf elegante, formelle Kleidung legten, wenn sie zu Hause aßen. Paris hatte zwar nichts dabei, womit sie Eindruck machen konnte, aber sie würde zumindest nicht underdressed sein.

Jeans wären vermutlich ein wenig zu lässig, also entschied sie sich für graue Hosen und eine weiße Bluse. Der Schrank war so groß, dass sie sich dort umziehen konnte, bevor sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, um ihr Make-up aufzufrischen und sich mit einem Kamm durchs Haar zu fahren.

Und während sie das tat, staunte sie erneut über das Gästezimmer mit angeschlossenem Bad, in dem sie untergebracht worden war.

Das Bad war luxuriös. Der Fußboden, die Flächen, die Duschkabine und die Kacheln an den Wänden waren aus marineblauem Marmor. Außerdem gab es eine abgesenkte Wanne mit zuschaltbarem Whirlpool vor einem achteckigen Fenster aus buntem Glas.

Im Schlafzimmer stand ein breites Messingbett mit vier Pfosten, die einen Himmel mit Fransenrand trugen. Auf der von Hand gearbeiteten Tagesdecke lag ein halbes Dutzend flauschiger Kissen, deren Muster zu denen der Decke passten.

Von den beiden Kommoden war eine schmal und hoch und nur für Kleidung und Bettwäsche gedacht, die andere breit und flach. Letztere enthielt eine komplett ausgestattete Bar sowie ein zusätzliches Kühlfach. Drückte man auf einen Knopf an der Vorderseite, klappte ein Deckel auf, und zum Vorschein kam eine ultramoderne Heimkino-Anlage.

Außerdem gab es einen Schminktisch, an dem Paris gerade saß, eine Couch und zwei Sessel, die um einen Kamin mit aufwendig gestaltetem Sims gruppiert waren. Trotzdem war in dem Raum noch Platz für Aerobic oder für einen Walzer.

Und dies war nur ein Gästezimmer. Wie mochte das Schlafzimmer des Hausherren wohl aussehen?

Das war jedoch eine Frage, über die sie lieber nicht nachdenken sollte. Ethans Schlafzimmer war so tabu, dass sie nicht mal flüchtig daran denken durfte.

Trotzdem malte sie es sich jetzt aus. Und schlimmer noch, mit Ethan darin. Der sich vielleicht nur ein Handtuch um die schmalen Hüften geschlungen hatte. Brust und Schultern waren nackt und muskulös, der Bauch flach und fest, und das Haar, das sich vom Nabel an abwärts zog …

„Oh, hör auf“, befahl sie sich, „das ist nicht gut.“ Sie schloss die Augen, als könne sie damit verhindern, dass das Bild in ihr aufstieg.

Dann öffnete sie die Augen wieder, um dafür zu sorgen, dass sie wenigstens präsentabel war.

Präsentabel. So, als wäre Ethan Kaviar und sie selbst nur Kartoffelpüree. Genau so war es, und sie durfte das nicht vergessen. Auch wenn sie insgeheim wünschte, sie wäre so schön, dass es ihm den Atem verschlagen würde.

Auch daran durfte sie nicht denken.

„Rein geschäftlich“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.

Dann stand sie auf und ging leise über den Teppichboden, der so dick und weich war, dass er sich unter ihren Füßen wie eine Wolke anfühlte.

Sie ging durch die Verbindungstür zum Kinderzimmer, um nach Hannah zu schauen.

Das Zimmer ihrer Tochter war ebenso weitläufig wie ihr eigenes. Die normale Einrichtung war ausgeräumt und durch teure Kindermöbel ersetzt worden – Kinderbett, Kommode, Wickeltisch, Laufgitter und ein dazu passender Schaukelstuhl, der nicht nur hübscher, sondern auch bequemer als der war, den sie zu Hause stehen hatte.

Es war alles so neu und ungewohnt, vor allem für jemanden, der aus Prospekten und Zeitungen Coupons ausschnitt, um nicht nur im Supermarkt, sondern auch beim Friseur ein wenig Geld zu sparen.

Hannah schlief fest, und da die Klimaanlage für eine angenehme Kühle sorgte, deckte Paris sie zu und erlaubte sich, den Anblick ihres friedlich schlummernden Babys in Ruhe zu genießen.

Noch nie hatte es in ihrem Leben jemanden gegeben, den sie so sehr geliebt hatte wie Hannah.

Sie betrachtete ihr Kind inmitten der luxuriösen Einrichtung, und es bestärkte sie in dem Entschluss, ihr und Hannahs Geheimnis zu wahren.

Denn sie hatte erlebt, was der Reichtum und der Einfluss eines prominenten Arztes einer Frau hatten antun können, die nicht genug Mittel oder Beziehungen hatte, um sich zur Wehr zu setzen. Sie hatte gesehen, wie rücksichtslos Macht und Geld einen Menschen machen konnten. Und Jason hatte davon nicht annähernd so viel wie Ethan.

Nein, Ethan durfte nicht erfahren, dass Hannah seine Tochter war. Paris beugte sich über das Baby und küsste es zärtlich auf den Kopf.

Dann nahm sie den Empfänger des modernen Babyfons aus Hannahs Kommode, befestigte ihn an ihrem Gürtel und verließ leise das Kinderzimmer.

Paris kannte sich im Haus noch nicht aus, aber Lolly hatte ihr genau beschrieben, wo sie Ethan und seine Brüder finden würde. Als sie das Foyer erreichte, blieb sie stehen und hielt das Babyfon ans Ohr. Lächelnd lauschte sie den Lauten, die Hannah im Schlaf von sich gab. Dann machte sie das Gerät wieder am Gürtel fest und hob die Hand, um an die Tür des Wohnzimmers zu klopfen.

Bevor sie es tun konnte, wurde sie von innen geöffnet.

„Da bist du ja“, begrüßte Ethan sie. „Ich habe schon befürchtet, du hättest dich verlaufen.“

„Ich musste Hannah noch füttern und zu Bett bringen. Du hättest nicht auf mich zu warten brauchen.“

Er lächelte. „Das habe ich gern getan.“ Sein Blick wurde bewundernd. „Und es hat sich gelohnt.“

Das Kompliment und der leicht verführerische Klang seiner Stimme erfreuten Paris mehr, als sie sich eingestehen wollte. Sie wollte auch nicht daran denken, wie erregend sie den holzigen Duft seines Rasierwassers fand und wie gut es tat, ihn wiederzusehen.

„Komm herein, dann lernst du meine Brüder kennen.“

Zwei Männer erhoben sich aus ihren Ledersesseln, als sie eintrat. Beide waren so groß, athletisch und attraktiv wie Ethan.

„Hallo“, sagte sie.

Seine Brüder erwiderten den Gruß, während Ethan neben Paris trat.

„Das ist Aiden. Er ist Arzt in Alaska. Und das ist Devon, unser Naturfotograf. Er reist andauernd durch die Welt, aber in Denver hat er seinen Hauptwohnsitz.“

Die drei sahen einander so ähnlich, dass niemand je daran zweifeln würde, dass sie Brüder waren.

„Und dies ist Paris“, schloss Ethan. „Die vermutlich genauso hungrig ist wie wir. Sollen wir essen?“

Alle nickten, und die Männer führten Paris durch das Foyer und in einen Raum, den Ethan als kleines Esszimmer bezeichnete.

Er war größer als Paris’ Küche, Ess- und Wohnzimmer zusammen, wirkte jedoch nicht einschüchternd, sondern einladend. Ethan zog ihr den Stuhl an der Stirnseite des Tischs heraus, als wäre sie der Ehrengast des Abends. Erst als sie saß, nahmen auch er und seine Brüder Platz.

„Paris, die Partyplanerin, was?“, vermutete Devon, während der erste Gang, ein Hummerparfait, serviert wurde.

„Normalerweise nicht“, erwiderte Paris. „Seit ich die Kunsthochschule abgeschlossen habe, lebe ich von Gelegenheitsjobs, um mich aufs Malen konzentrieren zu können.“

Das schien Devons Neugier zu wecken. „Hatten Sie schon eine Ausstellung?“

„Ein paar.“

„Erfolgreich?“

„Nun ja, meine Bilder kommen gut an. Aber noch verdiene ich damit nicht genug, um vom Malen leben zu können. Also nehme ich die verschiedensten Jobs an.“

Das führte zu weiteren Fragen und einer angeregten Unterhaltung, bei der Paris schnell feststellte, dass Ethans Brüder ebenso intelligent, lustig und charmant waren wie er.

Im Laufe des Abends jedoch wurde der Wunsch, mit ihm allein zu sein, in ihr immer stärker. Ihr war klar, dass das ein Fehler wäre, und sie versuchte sich dagegen zu wehren.

Als könne er ihre Gedanken lesen, wandte Ethan sich ihr zu. „Wie wäre es jetzt mit der Tour durchs Haus? Ich bin sicher, die Jungs hier werden es überleben, wenn wir uns verabschieden.“

Seine Brüder gaben ihm recht, und Paris’ Entschlossenheit, nicht mit Ethan allein zu sein, schmolz dahin wie Butter in der Sonne.

Das Haus hatte über zwanzig Räume, und während Ethan ihr den Grundriss beschrieb, begann sie sich auf eine lange Besichtigung zu freuen.

Im Erdgeschoss gab es außer den Wohnräumen und einer Küche im Restaurant-Format ein Kino, eine Bowlingbahn und ein Basketballfeld. Oben befanden sich acht Schlafzimmer, jedes mit eigenem Bad, zwei weitere Wohnzimmer sowie ein schalldichter Raum, in dem Ethan und seine Brüder ihre Musik aufdrehen und Gitarre spielen konnten, ohne jemanden zu stören.

„Und das war’s“, sagte er, als sie eine Stunde später vor Paris’ Gästezimmer standen.

Nun ja, alles war das nicht gewesen wie Paris im Stillen feststellte, denn bei der Besichtigungstour hatte er seine Privaträume auf der anderen Seite des Flurs ausgelassen. Sie war jedoch vernünftig genug, ihn nicht darauf hinzuweisen.

„Meinst du, du wirst dich zurechtfinden?“, fragte er.

„Bestimmt.“

„Alle Räume sind durch eine Sprechanlage verbunden, du kannst also jederzeit um Hilfe rufen.“

„Das wird sicher nicht nötig sein.“

Paris wartete darauf, dass er ihr eine gute Nacht wünschte.

Doch das tat er nicht. Stattdessen lehnte er sich mit der Schulter gegen die Wand. „Und wie war dein Nachmittag? Hat Lolly dir alles erzählt, was du wissen musst?“

„Genug, um mir klarzumachen, dass es für mich nicht sehr viel zu tun gibt. Ein paar Anrufe bei Lieferanten, mehr nicht. Ansonsten ist alles unter Kontrolle.“

„Das habe ich dir doch gesagt. Aber ich bin froh, dass du mir die Anrufe abnimmst. Wie wäre es, wenn ich dir morgen Dunbar zeige?“, schlug er vor. „Ich könnte dich mit den Leuten bekannt machen, die du kennen musst. Wir nehmen uns den ganzen Tag Zeit.“

Zusammen. Genau das, was sie vermeiden sollte.

„Meinst du, Lolly kann auf Hannah aufpassen?“, fragte sie nach einem Moment.

„Bestimmt. Aber wir können sie auch mitnehmen, wenn du möchtest.“

„Das ist keine gute Idee. Sie braucht ihre Nickerchen und muss regelmäßig gefüttert werden. Außerdem möchte ich sie nicht zu lange der Sonne aussetzen.“

„Okay. Lolly spielt Babysitter.“

Wieder wartete Paris darauf, dass er sich verabschiedete, aber er tat es noch immer nicht. An die Wand gelehnt betrachtete er sie. „Ich bin wirklich froh, dass du hier bist“, sagte er, als würde er ein Geständnis ablegen. „Seit dem Abend, an dem wir uns begegnet sind, habe ich oft an dich gedacht.“

Sie wollte nicht über jenen Abend sprechen. Oder darüber, wie oft auch sie an ihn gedacht hatte.

„Ich sollte jetzt hineingehen und nach Hannah sehen“, wich sie aus.

Ethan ignorierte jedoch den Wink und schaute ihr noch tiefer in die Augen. „Es ist fast, als hätte ich seitdem ein Stück von dir mit mir herumgetragen.“

Sie wollte nicht spüren, was seine Worte in ihr auslösten. „Jetzt liegen die Dinge anders“, erinnerte sie ihn. „Ich arbeite für dich.“

Sein Lächeln war schief und verführerisch. „Stimmt, du arbeitest für mich.“

„Tu mir das nicht an, okay?“, bat sie ihn leise.

„Was? Ich stehe doch nur hier und genieße den Anblick.“

„Hör auf, mir Komplimente zu machen, mit mir zu flirten und …“

Musste er so unglaublich blaue Augen haben, die es ihr schwer machten, einen klaren Gedanken zu fassen? Musste er so lächeln, als hätte er kein einziges Detail ihrer gemeinsamen Nacht vergessen?

„Was soll ich denn tun? Dich beleidigen?“, fragte er unbekümmert.

Das würde ihr diese Woche sehr erleichtern. „Ich will eine Geschäftsbeziehung, mehr nicht.“

„Bist du dir sicher, dass das alles ist?“ Seine Stimme war plötzlich heiser.

Und dann beugte er sich vor, nur ein wenig.

Wollte er sie auf die Probe stellen?

Oder wollte er sie gar küssen?

„Ja, ich bin mir sicher“, beteuerte sie. Aber Paris flüsterte die Worte nur, denn sie passten nicht zu dem, was ihr Körper tat. Wie von selbst hob sich ihr Kinn, und ihr Blick fiel auf seine Lippen. Auf die sinnlichen Lippen, die sie damals überall gefühlt hatte. Lippen, nach deren Berührung sie sich so sehr sehnte …

Doch gerade als sie damit rechnete, dass er sie küssen würde, wich er zurück.

„Vielleicht hast du recht“, sagte er.

Nein, das habe ich keineswegs, dachte sie verzweifelt, sprach es jedoch nicht aus. Stattdessen straffte sie ihre Schultern und gab sich stärker, als sie sich fühlte. „Wir sehen uns morgen.“

„Schlaf gut“, antwortete er.

Hastig verschwand sie in ihrem Zimmer.

Es dauerte einige Minuten, bis sie hörte, wie Ethan sich von der Wand neben ihrer Tür abstieß und zu seiner eigenen ging. Sie fragte sich, ob es möglich war, dass sie ihn jetzt sogar noch attraktiver fand als vor vierzehn Monaten.

Es schien fast so.

Lag es nur daran, dass er so sexy war wie kein anderer Mann, dem sie in ihrem Leben begegnet war? Oder gab es noch etwas anderes, das sie wie magisch anzog?

Nicht, dass es eine Rolle spielte. Denn sie würde der Versuchung nicht nachgeben. Nein.

Aber es würde eine lange Woche werden.

Eine sehr lange Woche.

Eine sehr lange und anstrengende Woche, wenn es ihr nicht gelang, das Verlangen im Keim zu ersticken.

Sie schwor sich, es zu schaffen.

Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.

Sie wusste jedoch auch, warum es kein Wunder war, dass sie sich ihm in jener Nacht vor vierzehn Monaten hingeben hatte.

Und das Bedürfnis, es wieder zu tun, war heute so stark wie damals.

4. KAPITEL

Obwohl Ethan so viel Zeit wie möglich in Dunbar verbrachte, war die Woche vor der alljährlichen Party die einzige Woche des Jahres, in der er es schaffte, sich vollkommen zu entspannen und so etwas wie Urlaub zu machen. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass er morgens lange schlief. Also war er auch ohne Wecker früh genug wach, um die Sonne aufgehen zu sehen.

Als er das heute tat, dachte er jedoch nicht wie sonst an die Schönheit der Natur, sondern daran, woran er seit Freitag immerzu dachte. Eigentlich sogar schon seit er Paris kennen gelernt hatte. Aber verstärkt seit Freitag.

Er wusste, dass er ihr böse sein sollte. Dass er ihr misstrauen sollte. Vor allem sollte er wütend darüber sein, dass sie ihm vielleicht etwas Monumentales verschwiegen hatte: die Tatsache, dass Hannah sein Kind war.

Doch er war weder böse noch misstrauisch oder wütend. Selbst wenn er sich Mühe gab, schaffte er es nicht.

Und er versuchte es. Immer wieder sagte er sich, dass Paris ihn möglicherweise anlog. Und es wäre eine Lüge, die weitaus schlimmer war als alles, was Bettina ihm aufgetischt hatte.

Aber es funktionierte nicht.

Sicher, mit dem Verstand wusste er, dass das, was Paris vielleicht tat, einfach nicht zu tolerieren war.

Aber mit dem Gefühl?

Das war eine ganz andere Geschichte.

Irgendetwas an ihr schien ihn nachsichtiger und geduldiger zu machen.

Etwas, was mehr als nur ein hinreißender Körper war. Mehr als seidiges Haar und makellos schimmernde Haut. Sogar mehr als die sexuelle Anziehung, die ihn davon träumen ließ, ihren Körper an seinem zu fühlen, die Arme um sie zu schlingen, sie zu küssen, sie zu berühren und mehr zu tun, als sie nur zu küssen und zu berühren.

Sie hatte etwas, was ihm nicht nur unter die Haut, sondern auch ans Herz ging. Etwas, was alles andere verblassen und in den Hintergrund treten ließ, wenn sie durch die Tür kam.

Paris Hanley faszinierte ihn, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Sie faszinierte ihn so sehr wie an jedem Abend, an dem er ihr zum ersten Mal begegnet war. Vielleicht sogar noch mehr als damals.

Es konnte durchaus sein, dass die Sache mit dem Baby ihre Wirkung auf ihn noch steigerte. Weil er absolut keine Ahnung hatte, warum sie ihm verschweigen sollte, dass er Hannahs Vater war – wenn er es denn war. Und dieses Rätsel war an sich schon faszinierend genug.

Er konnte es einfach nicht lösen, und das brachte ihn langsam, aber sicher um den Verstand.

Es sei denn, und diese Antwort war die wahrscheinlichste, dass Hannah wirklich nicht von ihm war. Daran hatte er nicht halb so viel gedacht wie an die Möglichkeit, dass er doch der Vater war.

Aber jetzt zog er das ernsthafter in Betracht.

Was, wenn er sich nur einbildete, was er in Hannah sah? Wenn es reines Wunschdenken war und seine Fantasie ihm etwas vorspiegelte? Wenn es nur ein Zufall war?

War das möglich?

Alles war möglich.

Was, wenn Hannah wirklich nicht von ihm war? Wenn Paris sich tatsächlich einer künstlichen Befruchtung unterzogen hatte und ihm gar nichts verheimlichte?

Es wäre ein Freifahrschein.

Das war das Erste, was ihm in den Sinn kam. Ein Freifahrschein bei Paris, denn es würde bedeuten, dass sie nicht so wie Bettina war. Dass Paris ehrlich war.

Vielleicht war das die einzig richtige Erklärung, und deshalb konnte er ihr nicht böse sein oder misstrauen, sosehr er es auch versuchte.

Das klang irgendwie logisch, fand er.

Jedenfalls logischer als die Version, dass Hannah von ihm war und Paris es vor ihm verheimlichte, anstatt ihn um die Hilfe zu bitten, die sie offensichtlich bitter benötigte.

Sehr viel logischer. Und es war eine Erklärung, die ihm gefiel, also arbeitete er daran, sie für ihn plausibel zu machen.

Denn wenn Paris ihm gegenüber ehrlich war, hing über dieser Woche keine dunkle Wolke. Und er konnte sich endlich entspannen und sie genießen. Paris genießen.

Oh, ja, die Vorstellung gefiel ihm sehr.

Warum nicht? Warum sollte er im Zweifelsfall nicht zu ihren Gunsten entscheiden? Sie war nicht Bettina, und soweit er wusste, hatte sie ihm noch keinen Grund gegeben, ihr zu misstrauen.

Also denk zur Abwechslung einfach mal, dass du dich irrst und Paris dir nichts verschweigt, befahl Ethan sich. Versuch es wenigstens, okay?

Das konnte er doch, oder?

Er glaubte, dass er es konnte. Er wusste, dass er es wollte.

Also stieß Ethan sich mit frischem Schwung von der Glastür ab, durch die er die aufgehende Sonne betrachtet hatte, und beschloss, dass er einen Kaffee brauchte, bevor er sich dem neuen Tag stellte. Einem Tag, den er mit Paris verbringen würde.

Er nahm den Bademantel vom Fuß des Bettes und zog ihn an, bevor er sein Zimmer verließ. Schon nach wenigen Schritten auf dem Flur hörte er etwas, was ihm verriet, dass er nicht der einzige Frühaufsteher war.

Ethan hörte einen hohen, melodischen und sehr süßen Laut.

Er kam aus Hannahs Zimmer.

Ethan ging zur Tür und hätte fast sein Ohr dagegen gepresst.

Ein Gurren. Das Baby gurrte.

Es brachte ihm zum Lächeln. Und es verleitete ihn dazu, sie sehen zu wollen.

Also klopfte er leise an.

Keine Antwort. Nur das Gurren verstärkte sich.

Vielleicht schlief Paris noch, und nur Hannah war wach.

Er klopfte ein zweites Mal, und als wieder keine Antwort kam, öffnete er leise die Tür und streckte den Kopf durch den Spalt.

Paris war nirgends zu sehen. Er ging hinein.

Der Schein der Morgensonne tauchte das Kinderzimmer in rosiges Licht, als er sich Hannah näherte.

Sie war hellwach, lag auf dem Rücken und hatte mit jeder Hand einen Fuß gepackt.

Als er das Kinderbett erreichte, drehte sie sich zu ihm und strahlte ihn an.

„Guten Morgen, junge Dame“, flüsterte er.

Sie gurgelte, als wollte sie ihm antworten, und er lachte leise.

„Was hast du denn da?“, fragte er und rieb mit dem Zeigefinger über ihre Zehen.

Hannah ließ ihre Füße los und griff nach seinem Finger.

Er wackelte mit dem Finger, und sie krähte so begeistert, dass er fast mit eingestimmt hätte.

Und urplötzlich sah er in Hannah wieder das, was er am Freitag gesehen hatte.

Er sah seine Mutter.

Er sah es in Hannahs blauen Augen. Und er bemerkte noch etwas. Etwas, was ihm bisher nicht aufgefallen war: ein Grübchen, das sich oberhalb eines Mundwinkels bildete, wenn sie lächelte. Das gleiche Grübchen, das auch seine Mutter gehabt hatte.

Und er wusste, dass er es sich nicht nur einbildete – weder das, was er sah, noch das, was er fühlte. Er spürte Hannahs winzige Hand an seinem Finger, und tief in ihm stieg die Gewissheit auf, dass sie seine Tochter war.

Natürlich war das alles kein Beweis. Nicht die Augen, nicht das Grübchen und auch nicht seine Überzeugung. Trotzdem war er sicher, dass Hannah von ihm war.

Und das brachte ihn zurück zur alles entscheidenden Frage: Wenn sie von ihm war, warum gab Paris es nicht zu?

Vielleicht sollte er Paris einfach zur Rede stellen. Verlangen, dass sie ihm die Wahrheit sagte, auf einem DNA-Vergleich bestehen.

Doch schon den Bruchteil einer Sekunde später wusste er, dass er das nicht tun würde. Es war das allerletzte Mittel, und dazu war er nicht bereit. Jedenfalls noch nicht.

Sicher, der Gedanke, dass Paris ihn anlog, war unerträglich.

Aber noch unerträglicher war die Vorstellung, mit ihr um Hannah zu kämpfen.

Er wollte annehmen, dass Paris einen guten Grund hatte, ihm seine Vaterschaft zu verschweigen. Wenn er ihr Zeit ließ und ihr zeigte, dass sie ihm vertrauen konnte, würde er vielleicht irgendwann erfahren, was in ihrem hübschen Kopf vorging.

Denn jetzt, da er es endlich geschafft hatte, sie in sein Haus zu holen und sie eine ganze Woche bei sich zu haben, wollte er nicht darauf verzichten.

Das Baby ließ seinen Finger los und gab ein Geräusch von sich, das einem Kichern glich, während es die Beine in die Luft streckte und erneut seine eigenen Zehen packte.

Ja, dachte Ethan, auch das sprach dagegen, Paris zur Rede zu stellen. Er wollte ein wenig Zeit mit Hannah verbringen, damit er sich über seine Gefühle klar werden konnte.

In diesem Moment ging die Tür auf, und Paris kam herein.

Ethan erhaschte einen Blick auf ihr überraschtes Gesicht, bevor sie zurücksprang, damit er das große T-Shirt nicht sah, in dem sie offenbar geschlafen hatte.

„Ich wollte gerade in die Küche gehen, um Kaffee zu trinken, als ich Hannah hörte“, erklärte er rasch. „Ich dachte mir, ich sehe mal nach ihr.“

„Jetzt kann ich mich um sie kümmern“, rief Paris, noch immer außer Sicht.

Er strich mit zwei Fingern über Hannahs Kopf. „Sie ist wirklich unglaublich süß.“

„Ich sollte ihre Windel wechseln und sie füttern, sonst wird sie das nicht lange bleiben.“

Ethan verstand den Wink. „Okay, ich verschwinde ja schon.“ Aber er ging nicht sofort hinaus, sondern gestattete sich noch einen Blick auf Hannah, auf die Ähnlichkeit mit seiner Mutter.

„Die Luft ist rein. Du kannst herauskommen“, sagte er, als er die Tür dann öffnete. „Bis später.“

Auf dem Korridor malte er sich aus, wie Paris mit zerzaustem Haar und in ihrem schlabberigen T-Shirt barfuß durchs Zimmer ging und ihre Tochter auf den Arm nahm. Und in diesem Moment wusste er, dass er ihr die Chance geben würde, ihm gegenüber offen und ehrlich zu sein.

Erst wenn sie ihm am Ende der Woche nicht von selbst die Wahrheit erzählt hatte, würde er es von ihr verlangen müssen.

Und er hoffte inständig, dass es nicht dazu kommen würde.

Obwohl Ethan vorgehabt hatte, Paris Dunbar zu zeigen, bekam sie ihn nach seinem Überraschungsbesuch bei Hannah nicht mehr zu Gesicht.

Von der Haushälterin erfuhr sie, dass seine Brüder ihn zu einem gemeinsamen Ausritt überredet hatten und dass er erst am Nachmittag zurückkehren würde.

„Das ist okay“, sagte sie zu Lolly. „Ich wollte mich sowieso zuerst um die säumigen Lieferanten kümmern.“

Es tat gut, sich an die Arbeit zu machen und sich das maßlos überhöhte Honorar zu verdienen, das Ethan ihr zahlte. Und gegen einen ruhigen Tag mit Hannah war auch nichts einzuwenden, zumal sie beide sich erst an die fremde Umgebung gewöhnen mussten. Und es war gut, dass sie nicht in Ethans Nähe sein musste.

Aber fühlte es sich auch gut an?

Nein, das tat es nicht.

Im Gegenteil, es verdarb ihr die Stimmung. Obwohl sie alles unternahm, um nicht darüber nachzudenken, wusste sie genau, woran das lag. Sie war ganz einfach enttäuscht.

Auch wenn sie es sich nicht hatte eingestehen wollen, sie hatte sich auf den Tag mit Ethan gefreut.

Das ist ein Warnsignal, dachte sie.

Ein Warnsignal, das sie beachten sollte.

Also verbrachte sie den Tag damit, sich um ihre Arbeit und Hannah zu kümmern und jeden Gedanken an ihren Gastgeber zu unterdrücken.

Aber dann, gegen drei Uhr, kam Lolly zu ihr und berichtete, dass Ethan zurück sei und mit ihr nach Dunbar fahren wolle, sobald sie bereit wäre.

Und plötzlich schien die Sonne ein wenig heller zu scheinen.

Sei vorsichtig, befahl sie sich.

Trotzdem zog sie sich um und wählte eine hautenge schwarze Caprihose sowie ein körperbetontes, ärmelloses Oberteil – beides Welten entfernt von dem nicht gerade erotischen T-Shirt, in dem er sie am frühen Morgen gesehen hatte.

Dennoch schwor sie sich, dass sie ihrer Schwäche für Ethan Tarlington nicht nachgeben würde.

Autor

Victoria Pade
Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...
Mehr erfahren