Julia Collection Band 170

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wie Brüder sind die Wüstensöhne Zoltan, Bahir, Kadar und Rashid. Die vier Junggesellen sind frei und ungebunden … doch schon bald kündet der Wüstenwind von Liebe und Verführung …

Miniserie von Trish Morey

WIE ZÄHMT MAN EINEN SCHEICH?
„Rennen Sie um Ihr Leben, Prinzessin!“ Und Aisha gehorcht. Zusammen mit dem Fremden, der sie aus den Fängen ihrer Entführer befreit hat, läuft sie in die Wüstennacht hinaus. Zu spät erkennt sie, wer ihr feuriger Retter ist …

DAS SINNLICHE SPIEL DES SCHEICHS
Ausgerechnet seine Exgeliebte! Scheich Bahir muss Prinzessin Marina in seinem Privatjet in Sicherheit bringen, dabei wollte er sie nie wiedersehen. Diese sündhaft sinnliche Frau, die gefährlicher ist als jedes Glücksspiel – und die er trotzdem mehr begehrt als je zuvor …

RENDEZVOUS IM MONDPALAST
Auf den Spuren eines Familiengeheimnisses fliegt Amber nach Istanbul. In einem Tagebuch hat sie Hinweise auf eine alte Liebe gefunden – und die Aufforderung: Folge deinem Herzen! Doch erst, als sie mit dem feurigen Kadar eine Nacht im Mondpalast verbringt, versteht sie, was das bedeutet ...


  • Erscheinungstag 01.04.2022
  • Bandnummer 170
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511803
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trish Morey

JULIA COLLECTION BAND 170

1. KAPITEL

Sie kamen in der Nacht, während alle im Lager schliefen. Nur das Rascheln der Palmen im kühlen Wüstenwind und das Schnauben der Kamele, die von einstigen Karawanen träumten, waren zu hören.

Sie verspürte keine Angst, als sie das leise Ritzen des Messers in der Zeltwand vernahm, auch nicht, als der Mann, ganz in Schwarz gekleidet und mit einem Tuch vor dem Gesicht, das die Augen durch schmale Stoffschlitze blitzen ließ, sich in das Zelt stahl. Selbst wenn seine große Gestalt und die Breite seiner Schultern ihr den Atem raubte und ihren Puls ins Stocken brachte.

Nein, es war Erleichterung, die sie durchflutete und ihr die Tränen in die Augen trieb. Erleichterung, dass die Rettung, um die sie so verzweifelt gefleht hatte, endlich hier war.

„Ich wusste, man würde mich finden“, flüsterte sie und glitt aus dem Bett, um ihrem Retter entgegenzueilen. Sie war komplett angezogen, und in ihrer Eile, von hier wegzukommen, wäre sie mit ihren feinen Pantoffeln fast gestolpert. Sie unterdrückte das Schluchzen, wusste sie doch, dass sie endlich fliehen konnte. Endlich war sie in Sicherheit. Es gab keinen Grund mehr für Angst.

Doch als sich eine Hand über ihren Mund legte, um sie zum Schweigen zu bringen, und sie sich mit dem Rücken gegen einen harten, muskulösen Körper gezogen fühlte, zuckte dennoch Angst durch sie hindurch.

„Kein Wort, Prinzessin“, zischte der Mann an ihrem Ohr. „Oder es könnte Ihr letztes sein.“

Sie versteifte sich. Ihre Erziehung erlaubte es ihr nicht, sich von Fremden anfassen zu lassen. Nur hatte sie keine andere Wahl, als die Unwürdigkeit der Berührung zu ertragen. Sein Arm lag wie ein eiserner Ring um ihre Taille, seine rechte Hand auf ihrem Leib, die andere noch immer über ihren Lippen. Fast konnte sie den Geschmack seiner warmen Haut schmecken.

Unnötig nah. Unnötig besitzergreifend.

Jeder Atemzug, den sie nahm, war angereichert mit seinem Duft, eine Mischung aus Pferdeschweiß und Leder und Wüstenluft, vermengt mit einem männlich herben Aroma, das ihr in der Nase brannte. Die Stellen, wo er sie berührte, flammten heiß auf, bis „unnötig besitzergreifend“ zu „unnötig intim“ wurde und ein ursprünglicher Instinkt sie warnte, dass sie vielleicht doch nicht so sicher war, wie sie zuerst angenommen hatte.

Etwas in ihr rebellierte. Törichter Mann! Er mochte gekommen sein, um sie zu retten, aber war sie nicht längst vorbereitet gewesen? Glaubte er wirklich, dass sie gebetet und gefleht hatte und jetzt hysterisch losschreien und alles verderben würde?

Sie war es leid, wie ein Ding behandelt zu werden, erst von Mustafas Schergen und jetzt von den Männern ihres Vaters. Sie war schließlich die Prinzessin von Jemeya. Wie konnte dieser Mann es wagen, sie wie einen Sack Mehl auf dem Basar herumzuschubsen?

Sie versuchte sich loszumachen, doch sein Griff wurde nur fester, auch wenn er plötzlich reglos verharrte und lauschte. So fest, dass es ihr die Luft aus den Lungen presste. Unwillkürlich rang sie um Atem, ihre Lippen teilten sich, und sie fühlte seinen Finger in ihren Mund dringen.

Schock wandelte sich in Panik, als sie seine Haut schmeckte. Die Intimität der Geste ließ sie sich fühlen, als würde man ihr Gewalt antun. So machte sie das Einzige, was ihr übrig blieb.

Sie biss zu.

Fest.

Er zuckte zusammen und stieß einen unterdrückten Fluch aus, zog den Finger zurück, ließ sie jedoch nicht los, sondern zog sie noch enger an sich. „Halten Sie still!“

Sie war überzeugt, dass er aus Stein gemacht sein musste, so hart, wie seine Brust war. Ein warmer Fels, in dessen Zentrum der Herzschlag rhythmisch wie eine Trommel schlug. Dieser Mann war nicht nur einfach ein namenloser Krieger, geschickt von ihrem Vater, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut. Ein Mann, der seine Hände an Stellen auf ihrem Körper legte, wo niemandes Hand das Recht hatte zu liegen. Eine Hand, die eine seltsame Hitze in ihrem Leib zusammenfließen ließ …

Sie war froh, dass sie ihn gebissen hatte. Hoffentlich tat es weh. Das würde sie ihm auch sagen, wenn er nur endlich seine Hand von ihrem Mund nehmen würde.

Dann hörte sie es – ein dumpfes Grunzen draußen vor dem Zelt. Sie zuckte zusammen, als ein Körper durch den Vorhang zu Boden sackte. Ahmed. Die Wache. Ahmed, der sie mit lüsternen Blicken taxiert hatte, jedes Mal, wenn er ihr Essen brachte. Ahmed, der nur gelacht hatte, wenn sie gebieterisch forderte, zu ihrem Vater zurückgebracht zu werden, und ihr genüsslich beschrieb, was Mustafa mit seiner Braut machen würde, sobald sie verheiratet wären.

Ein zweiter Mann in Schwarz tauchte hinter der bewusstlosen Wache auf und nickte dem ersten Krieger zu. „Die Luft ist rein. Aber geht schnell, da sind mehr.“

„Und Kadar?“

„Bereitet seine Überraschung vor.“

Sie fühlte, wie sie hochgehoben wurde, ihre Füße berührten den Teppich nicht mehr. Ihr Krieger zögerte den Bruchteil einer Sekunde, dann setzte er sie wieder ab und gab sie frei.

„Können Sie so gut rennen, wie Sie beißen?“, fragte er.

Das amüsierte Funkeln in seinen Augen machte sie nur wütender. Jetzt lachte er auch noch über sie? Ihr hochmütiger Blick war dazu gedacht, ihm den Humor vergehen lassen! „Ich beiße besser.“

„Hoffen wir, dass Sie sich irren“, murmelte er düster, packte ihre Hand und rannte mit ihr auf die Dünen hinter dem Zelt zu.

Laute Rufe erschollen hinter ihnen, das Lager war alarmiert. Adrenalin pumpte durch ihren Körper, feuerte sie an, so wie sie sich an dem Gedanken festhielt, dass sie dem Mann ihres Vaters Manieren gegenüber einer Prinzessin beibringen würde, sobald sie in Sicherheit waren.

Eine Gewehrkugel flog zischend über ihre Köpfe hinweg, und sie vergaß, wütend auf ihren Retter zu sein. Erschießen würde man sie sicher nicht, die Banditen konnten keinen politischen Eklat riskieren. Doch es war dunkel, und unter ihren Entführern herrschte Hektik … Sie hatte nicht vor, es auf einen Beweis für ihre Theorie ankommen zu lassen.

So wie sie nicht gedachte, den lauten „Halt!“-Rufen Folge zu leisten. Sie würde sich nicht mehr einfangen lassen, nicht, wenn Mustafas Drohung ihr noch immer in den Ohren hallte und sie mit Abscheu erfüllte. Einen Wurm wie Mustafa heiraten? Niemals! Das hier war das einundzwanzigste Jahrhundert. Niemand würde sie zwingen, irgendjemanden zu heiraten!

Also klammerte sie sich fester an die Hand ihres Retters und zwang sich, durch den Sand zu laufen, so schnell sie konnte. Ihre Lungen brannten, ihre Muskeln schmerzten, ihr Mund war staubtrocken. Lange würde sie nicht mehr durchhalten …

Sie hatten den Grat der Düne erreicht und stolperten auf der anderen Seite den Hang hinunter. Über ihrem rasselnden Atem hörte sie plötzlich ein schrilles Pfeifen hinter sich, und dann färbte sich der Nachthimmel orangerot, als nacheinander eine Reihe von Explosionen hochgingen. Die gellenden Rufe und Schreie wurden hektischer, schriller, der beißende Geruch von Schwarzpulver hing in der Luft.

„Was haben Sie gemacht?“, wollte sie wissen. Von hier oben sah man das Flackern der Flammen von den brennenden Zelten. Flucht war eine Sache, aber dabei eine Spur von Verletzten, vielleicht sogar Toten zu hinterlassen, eine ganz andere.

Er zuckte mit den Schultern, als wäre es völlig unwichtig. „Wollen Sie nicht gerettet werden, Prinzessin?“ Er reckte den Kopf höher, sah sich suchend um und erblickte die Schemen in der Dunkelheit. Pferde schnaubten leise. Ein Mann wartete mit vier Tieren, eines für jeden von ihnen.

Für einen Moment bereute sie, dass sie beim Laufen durch den Sand ihre Pantoffeln verloren hatte, bis ihr klar wurde, dass es ein geringer Preis für das war, was sie gewinnen würde. „Sicher mussten Sie nicht zu weit reiten, oder?“, fragte sie, während sie auf die Tiere zueilten.

„Halten Sie sich der Mühe nicht für wert?“

Wieder gewann sie den Eindruck, dass er sich über sie amüsierte. Frustriert wandte sie das Gesicht ab, konzentrierte sich auf das Positive. Ihr Vater hatte einen Rettungstrupp geschickt. Bald wäre sie wieder zu Hause, wo man sie ernst nahm und Männer sie weder mit funkelnden Augen noch mit kaum verhohlenem Grinsen ansahen – und sie erst recht nicht anfassten und ihr Stromstöße über die Haut jagten.

Sie konnte es kaum noch abwarten. Sie wollte nach den Zügeln eines Pferdes greifen, doch er hielt ihr Handgelenk fest.

„Nein, Prinzessin. Sie reiten mit mir.“

„Wieso? Es sind doch vier Tiere.“

„Und wir sind zu fünft.“

„Aber …“ Dann sah sie die beiden Männer die Düne hinunterlaufen. Sie hatte nur mit einem Mann gerechnet.

„Kadar.“ Ihr Retter schlug einem der Männer auf die Schulter, und sie fragte sich, wie er überhaupt wissen konnte, wer wer war. Sie hätte die Männer niemals auseinanderhalten können. „Dein Feuerwerk hat die Prinzessin nicht beeindruckt.“

Feuerwerk? dachte sie fassungslos, während der Mann, der Kadar hieß, sich gespielt enttäuscht gab. Das war nur ein Feuerwerk gewesen?

„Dann muss ich mich entschuldigen, Prinzessin. Beim nächsten Mal werde ich mir mehr Mühe geben.“

„Den Zweck hat es auf jeden Fall erfüllt, Kadar. Jetzt lasst uns losreiten, sonst erinnern sie sich noch, was sie getan haben, bevor der Himmel explodierte.“

Sie sah sehnsüchtig zu dem Pferd hin, das sie für sich hatte wählen wollen, doch der Mann, der mit den Tieren hinter der Düne gewartet hatte, saß bereits im Sattel.

Sie alle waren Krieger, groß und breitschultrig gebaut. Söldner, angeheuert von ihrem Vater, um sie zu retten. Nun, vielleicht hatte ihr Vater sein Geld weise ausgegeben, vermutlich waren diese Männer gut in dem, was sie taten. Dennoch konnte sie es kaum erwarten, ihnen den Rücken zu kehren. Vor allem dem, der sich unerhörte Freiheiten mit seinen Händen erlaubte und eine zügellose Zunge besaß.

„Sind Sie so weit, Prinzessin?“

Bevor sie überhaupt die Chance zu einer Antwort hatte, fühlte sie sich auf das Pferd gehoben, und schon schwang sich ihr unmöglicher Retter hinter sie, zog sie an sich und ergriff die Zügel. Er breitete seinen Umhang um sie beide, so dass sie wie in einen Kokon eingewickelt war.

„Ich darf doch wohl bitten …!“ Sie drehte und wand sich, wollte Abstand schaffen.

Er zog den Umhang fester und stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken. „Wir haben einen langen Weg vor uns. Wenn Sie sich entspannen, wird es einfacher.“

Niemals! „Das hätten Sie mir auch sagen können.“ Sie hielt sich steif wie ein Brett und stellte sich vor, eine tiefe Kluft läge zwischen ihnen und nicht nur wenige dünne Schichten Stoff. Und sie versuchte, den Arm zu ignorieren, der um ihre Hüfte lag, ebenso wie sie sich weigerte, die Flammen wahrzunehmen, die überall dort an ihrer Haut leckten, wo ihre Körper sich im Rhythmus des Galopps aneinanderrieben.

„Was?“

„Dass es nur ein Feuerwerk war.“

„Hätten Sie mir geglaubt?“

„Sie haben mich denken lassen, es sei etwas viel Schlimmeres.“

„Sie denken zu viel.“

„Sie wissen doch gar nichts von mir.“

„Ich weiß, dass Sie zu viel reden.“ Er presste sie enger an sich. „Entspannen Sie sich.“

Sie gähnte. „Sie sind anmaßend und despotisch.“

„Machen Sie die Augen zu und versuchen Sie zu schlafen.“

Sie wollte nicht schlafen. Wenn sie einschlief, dann würde sie gegen ihn sacken, an seine harte Brust, näher heran an das schlagende Herz. Prinzessinnen schliefen grundsätzlich nicht zusammengesackt an der Brust eines Fremden, vor allem nicht bei Fremden wie diesem: arrogant, selbstherrlich, autokratisch.

Sie war schon die ganze letzte Nacht wach geblieben, da würden ihr ein paar Stunden mehr nicht schaden. Sie wandte sich zu ihm um, während sie dahinritten, sah die markante Linie seines Kinns, den entschlossenen Ausdruck in seinen Augen. Als sie merkte, dass sie starrte, richtete sie den Blick gen Himmel und suchte nach dem hellsten Stern am samtschwarzen Wüstenhimmel.

„Wie weit ist es nach Jemeya?“

„Zu weit, um heute Nacht noch weiterzureisen.“

„Weiß mein Vater, dass ich in Sicherheit bin?“

„Er wird es erfahren.“

„Gut.“ Sie gähnte erneut, als die Müdigkeit sie plötzlich einholte. Um dem kalten Wind an ihren Wangen auszuweichen, barg sie das Gesicht tiefer in dem Umhang und stellte sich vor, sie läge in ihrem eigenen Bett in ihren Gemächern im Palast.

Das Pferd galoppierte weiter und weiter, wiegte sie rhythmisch mit jedem kraftvollen Schritt. Furcht, dass sie herunterfallen könnte, hatte sie nicht, dafür hielt der Mann sie zu fest. Sie atmete tief die warme Luft unter dem Umhang ein. Der Duft des Mannes war so anders als der vertraute Geruch ihres Vaters nach Pfeifentabak und Aftershave, aber nicht unangenehm. Der Mann strahlte die Essenzen der Wüste aus, eine Mischung aus Sonnenschein und Sand, Leder und Pferd und noch eine ganz eigene herbe Note.

Sie holte tief Luft, verstaute das Aroma in ihrer Erinnerung. Schon bald würde sie wieder in ihrem Bett liegen, umgeben von vertrauten Gerüchen und Geräuschen, warum also sollte sie diese neue Erfahrung nicht auskosten? Sie könnte sich auch entspannen, für eine kleine Weile nur …

Sie schloss die schweren Lider und lehnte sich an den warmen Oberkörper ihres Retters zurück. So schlimm war es gar nicht. Ein kurzes Schläfchen würde ihre Energie auffüllen, niemand brauchte zu wissen, dass sie in den Armen eines Fremden eingeschlafen war.

Und niemand würde erfahren, wie sehr sie es genossen hatte.

Zoltan Al Farouk bin Shamal konnte genau den Moment nennen, in dem die Prinzessin einschlief. Sie hatte sich tapfer gegen den Schlaf gewehrt, hatte steif wie Brett vor ihm gesessen.

Steif wie ein Brett. Bei dem Gedanken hätte er fast aufgelacht. Nein, ein Brett war sie wahrhaftig nicht, das hatte er sofort gemerkt, als er seine Hand auf ihren Körper gelegt und sie an sich gezogen hatte. Ein Manöver, das keineswegs geplant gewesen war. Er hatte sie nur zum Schweigen bringen wollen, bevor sie unabsichtlich Alarm auslöste. Auf diese Art hatte er jedoch feststellen können, dass die Prinzessin ihre Reize besaß. Es war ihm nicht schwergefallen, sie an sich zu pressen und ihr Zittern zu spüren, auch wenn sie sich alle Mühe gegeben hatte, unbeeindruckt zu wirken.

Zumindest bis sie ihren Instinkten nachgegeben und ihn gebissen hatte.

Jetzt erlaubte er sich doch ein leises Lachen. Es stieg rollend aus seiner Kehle und wurde von der Luft davongetragen. Nein, an der Prinzessin war nichts Hölzernes.

Vor allem im Moment nicht. Das rhythmische Galoppieren hatte sie eingelullt, er hatte spüren können, wie der Widerstand langsam aus ihr herausgeflossen war und sie sich mehr und mehr entspannt hatte, bis sie sich schließlich an ihn schmiegte.

Es fühlte sich überraschend gut an, wie sie da an seiner Brust lag, weich und nachgiebig. Jede einzelne ihrer femininen Kurven war eine Einladung zur Sünde.

Genau wie ihre berüchtigte Schwester. Ging sie ebenso frei mit ihren Liebesbeweisen um? Überraschen würde es ihn nicht, sie hatte das exotische Aussehen der königlichen Frauen von Jemeya. Allein die Augen reichten, um die Fantasie eines Mannes anzuregen, und die vollen Lippen versprachen unbeschreibliche Freuden. In ihrem Alter musste sie Liebhaber gehabt haben. Aber zumindest bewies sie mehr Verstand als ihre Schwester und hatte keine Kinder.

Es würde keine Bürde sein, mit dieser Frau zu schlafen. Bei der Aussicht meldete sich ein Ziehen in seinen Lenden. In weniger als achtundvierzig Stunden würde sie die Seine sein. So lange konnte er warten. Vielleicht ergaben sich aus dieser ungewollten Heirat ja doch noch unerwartete Vorzüge.

Vielleicht.

Er sah auf das Bündel in seinem Arm hinunter. Eines war sicher – verwöhnte Prinzessin oder nicht, für Mustafa und seinesgleichen war sie viel zu gut.

In unmittelbarer Nähe ritten seine Freunde mit ihm, die Hufe ihrer Pferde wirbelten Sand auf. Sie waren mehr als nur gute Freunde, sie waren die Brüder, die er nie gehabt hatte. Sie würden für die Hochzeit und die Krönung bleiben, danach würden sie wieder ihrer eigenen Wege ziehen – Kadar nach Istanbul, Bahir zurück an die Roulettetische in Monte Carlo und Rashid dorthin, wo immer sich das meiste Geld in der kürzesten Zeit verdienen ließ.

Er würde sie vermissen. Vor allem, da er ab jetzt nicht mehr frei sein würde, um zu ihnen zu stoßen, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Denn er war nicht länger der Kopf einer internationalen privaten Fluggesellschaft, der sich freinehmen konnte, wann immer er wollte. Vielleicht war all das, was er sich aufgebaut hatte, umsonst gewesen, denn ab jetzt saß er in Al-Jirad fest, um seine Pflicht zu erfüllen.

Die Frau in seinem Arm rührte sich und seufzte leise. Sie schmiegte sich noch enger an ihn, ihre Hand rutschte über seine Brust, an seinem Bauch hinunter und kam gefährlich nahe an seinen Schritt.

Er stöhnte auf, als sein Körper prompt unmissverständlich reagierte. Wenn sie das mit ihm anstellen konnte, wenn sie schlief, wie würde es dann erst sein, wenn sie hellwach war?

Schon jetzt freute er sich darauf, es herauszufinden.

2. KAPITEL

Aisha setzte sich im Bett auf, noch schlaftrunken und in Träume von geheimnisvollen Wüstenmännern mit breiten Schultern und starken Armen, die sie umschlungen hielten, verstrickt.

Nein, nicht Männer. Nur ein Mann hatte ihre Träume beherrscht, so als hätte er ein von Gott gegebenes Recht dazu.

Lächerlich. Gott sei Dank würde sie ihn nie wiedersehen müssen. Trotzdem bedauerte sie, dass sie nicht die Möglichkeit gehabt hatte, sich bei ihm zu bedanken.

Wie seltsam. Dieser unmöglich arrogante Mann hatte sich bei jeder Gelegenheit über sie lustig gemacht, zudem würde ihr Vater ihn mehr als großzügig für ihre Rettung entlohnen – und ihr tat es leid, dass sie sich nicht bei ihm bedankt hatte?

Sie war in Sicherheit, allein das zählte. Man hatte sie aus den Klauen ihrer Entführer befreit, die drohende Hochzeit mit diesem Widerling Mustafa war abgewendet worden. Mit einem Seufzer ließ sie sich in die seidigen Kissen zurückfallen.

Sie war frei.

Nur … wo war sie? Sie sah sich in dem dämmrigen Raum um. Von der Größe zu schließen, musste es sich um ein Luxushotel oder einen Palast handeln, und auch das Bett stand in Bequemlichkeit ihrem eigenen nicht nach. Oh, wie sehr freute sie sich schon darauf, in ihrem eigenen Bett zu liegen!

Als Aisha die Decke zurückschlug, stellte sie fest, dass sie vollständig angezogen war. Wer immer sie hergebracht hatte, hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu entkleiden. Etwa der Mann, der hinter ihr auf dem Pferd gesessen und sie festgehalten hatte?

Auf dem Weg zum Fenster drehte sie sich um und schaute zu dem luxuriösen Bett zurück. Hatte er sie dort abgelegt und die Decke über sie gezogen, behutsam und vorsichtig, damit sie nicht aufwachte?

Sie erschauerte leicht, als sie sich daran erinnerte, wie bei dem Ritt sein warmer Atem über ihre Wange gestrichen war, wie sie den Herzschlag in seiner Brust gefühlt hatte.

Dann allerdings erinnerte sie sich wieder daran, dass er sich über sie lustig gemacht hatte, und sie fragte sich, warum sie so viel Zeit mit Gedanken an ihn verschwendete, wenn es doch viel wichtigere Dinge gab, mit denen sie sich beschäftigen sollte.

Zum Beispiel, wie sie nach Hause kam.

Sie tappte zum Fenster, neugierig darauf, ob sie etwas erkennen könnte, das ihr sagte, wo sie war. Vielleicht war ja sogar ihr Vater hier und wartete darauf, dass sie endlich aufwachte, damit er sie begrüßen konnte.

Ihre Zehen krallten sich in den feinen Seidenteppich, als sie den schweren Brokatvorhang beiseiteschob. Helles Sonnenlicht ließ sie blinzeln. So hoch, wie die Sonne stand, war es längst nach Mittag. Wie lange mochte sie geschlafen haben?

Ihre Augen gewöhnten sich an die Helligkeit. Unter dem Fenster lag ein Innenhof, ein wunderschöner Garten mit blühenden Orangenbäumen und prächtigen Stauden. In der Mitte sprudelte munter Wasser in einen Springbrunnen, die Tropfen glitzerten wie Diamanten im Sonnenlicht. Jenseits des Innenhofs war ein großer Palast mit schlanken Türmen und goldenen Kuppeln zu sehen, zu dem ein überdachter Weg führte. Es war ein wunderschönes Bild.

Bis auf die schwarzen Flaggen, die an jedem Fahnenmast wehten. Ein ungutes Gefühl überlief Aisha und ließ sie trotz des warmen Tages erschauern.

Wieso hatte man schwarze Fahnen gehisst? Was war hier passiert?

Ein leises Klopfen ertönte an der Tür. Sie drehte sich zu dem jungen Mädchen um, das mit einem Tablett in Händen eintrat.

„Oh, Sie sind wach, Prinzessin.“ Die Dienerin stellte das Tablett ab und verbeugte sich, goss dann einen aromatisch duftenden Tee ein. „Sie haben fast den ganzen Tag geschlafen. Ich habe Ihnen Tee, Joghurt und Obst gebracht, falls Sie hungrig sind.“

„Wo bin ich hier? Und warum sind überall schwarze Fahnen gehisst?“

Das Mädchen wirkte verlegen, als wüsste es nicht, was es antworten sollte. Es reichte Aisha die Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit. Der Duft von Honig, Gewürzen und Zimt stieg in die Luft. „Ich werde Bescheid geben, dass Sie wach sind.“

„Bescheid geben? Wem? Ist mein Vater hier?“

Das Mädchen sah zu einer Tür. „Sie haben lange geschlafen. Ihre Kleider finden Sie dort im Ankleidezimmer. Möchten Sie, dass ich Ihnen etwas heraussuche, während Sie baden?“

Mit einem Kopfschütteln stellte Aisha die Tasse ab. „Nein. Ich möchte, dass Sie meine Fragen beantworten.“

Das Mädchen blinzelte. „Sie sind in Al-Jirad, Prinzessin.“

Al-Jirad? Also nicht mehr weit von Jemeya entfernt, nur eine halbe Stunde Flug mit dem Hubschrauber von der Küste bis zur Insel. „Ist mein Vater hier, oder wartet er zu Hause auf mich?“

„Gleich wird jemand zu Ihnen kommen.“ Das Mädchen fühlte sich offensichtlich unwohl, mit einer tiefen Verbeugung wollte es sich zurückziehen.

„Warte!“

Unsicher blickte das junge Ding über die Schulter zurück. „Ja?“

„Ich weiß nicht einmal, wie du heißt.“

Das Mädchen legte die Hände vor sich zusammen und neigte den Kopf. „Rani, Prinzessin.“

Aisha lächelte, sie wollte das Mädchen beruhigen. Außerdem hatte sie so viele Fragen, die die Dienerin ihr sicher beantworten konnte. „Danke für den Tee, Rani. Ich möchte dich etwas fragen …“

„Ja?“

„Der Mann … ich meine, die Männer, die mich hergebracht haben … sind sie noch hier im Palast?“

Das Mädchen blickte sehnsüchtig zur Tür.

„Ich möchte ihnen danken, dass sie mich gerettet haben.“

Jetzt wrang die junge Dienerin nervös die Hände. „Jemand wird gleich zu Ihnen kommen, Prinzessin. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“ Noch eine Verbeugung, dann floh sie praktisch aus dem Zimmer. Die Tür fiel leise klickend hinter ihr ins Schloss.

Frustriert seufzend nippte Aisha an ihrem Tee. Immerhin wusste sie jetzt, wo sie war, dennoch wunderte sie sich noch immer über die schwarzen Flaggen. Vielleicht war die Mutter des Königs der Krankheit erlegen, unter der sie seit Jahren litt. Sie hatte gehört, dass die alte Königin nicht mehr auf die Behandlung ansprach. Die ganze Nation würde trauern, das wusste sie. Königin Petra wurde von allen geliebt und bewundert.

Auf jeden Fall war sie froh, dass sie in Al-Jirad war. Die guten, engen Beziehungen zwischen Al-Jirad und Jemeya – das eine Königreich wenig mehr ein Wüstenstaat am Ende einer Halbinsel, das andere ein Punkt auf einer Insel vor der Küste – bestanden seit Jahrhunderten. Die geografisch günstige Lage direkt an der Schifffahrtsroute hatte ein festes Band zwischen beiden Nationen geknüpft, sie waren sozusagen die Wächter für den Weg ins Inland.

Und König Hamra von Al-Jirad war einer der engsten Freunde ihres Vaters. Das hier musste eine der Palastanlagen sein, die er im Land hatte erbauen lassen.

Aisha beeilte sich mit Duschen, sie brannte darauf, mehr herauszufinden. Dabei überlegte sie, warum sie das Mädchen überhaupt nach ihrem Retter gefragt hatte. Wollte sie den Mann wirklich wiedersehen, wenn sie doch wusste, welche Wirkung er auf sie gehabt hatte? Wie konnte sie ihm gegenübertreten und nicht daran denken, wie fest er sie gehalten hatte? Wie sollte sie das Erröten verhindern, wenn sie sich daran erinnerte, wie gut es sich angefühlt hatte?

Nein, es war wohl angebrachter, wenn sie Fremde blieben. Nur gut, dass er das Tuch nicht vom Gesicht genommen hatte. Sie wollte gar nicht wissen, wer er war.

Vor dem Tablett blieb sie stehen und nahm sich eine frische Dattel, schenkte sich Tee nach. Nach der Dusche fühlte sie sich erheblich besser und war zuversichtlich, dass sie schon bald wieder zu Hause sein würde. Dann sah sie in dem Ankleidezimmer nach, um etwas zum Anziehen für sich zu finden.

Die Zuversicht schwand, als sie die Tür aufzog. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Merkwürdig, sie hatte erwartet, ein oder zwei Teile vorzufinden, stattdessen hingen die Stangen voll.

Mit ihrer eigenen Garderobe.

Gewänder, Kleider, Schuhe, Pantoffeln, Handtaschen. Alles war da. Sie besah sich die Regale. Ihre Schmuckschatulle stand auch hier. Sogar Honey, der kleine Teddybär mit den abgewetzten Ohren aus ihrer Kindheit, saß auf einer Kommode und blickte ihr mit dem einen Auge, das ihm noch verblieben war, entgegen. Sie hob das geliebte Spielzeug auf, drückte es an die Brust und ließ sich auf das zierliche Sofa sinken. Sie wünschte, der Teddy könnte ihr den gleichen Trost spenden wie damals, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.

„Was bedeutet das alles, Honey?“, flüsterte sie dem Bären zu, genau wie damals, als sie die Welt der Erwachsenen nicht verstanden hatte. Genau wie damals, als ihr Vater ihr sagte, dass ihre Mutter nicht mehr aus dem Krankenhaus zurückkommen würde, in das sie gegangen war, um das neue Baby zu bekommen.

Ein Teil von ihr wollte wegrennen wie damals das Kind. Sie wollte die junge Dienerin finden, die Rani hieß, und von ihr eine Erklärung verlangen. Doch sie war erwachsen, und sie war eine Prinzessin. Und sie konnte kaum in einem Morgenmantel durch den Palast rennen.

So etwas würde sie niemals tun, ganz gleich, wie verwirrt sie war, wie drückend die Fragen auf sie einstürzten und wie dringend sie Antworten brauchte. Es musste eine logische Erklärung geben, warum sich all ihre Habseligkeiten in einem Palast in Al-Jirad befanden.

Nein, sie würde also keinen Wirbel machen. Sie würde etwas von ihren eigenen Sachen anziehen, und erst wenn sie wie eine Prinzessin aussah, würde sie sich auf die Suche nach Antworten machen.

Sie war fest entschlossen, sie zu finden!

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis ein Mann zu ihr kam, der sich als Hamzah vorstellte. Der Wesir des Scheichs, wie er sie mit einer tiefen Verbeugung wissen ließ. Alle Fragen würde der Scheich ihr beantworten, versprach er. Also folgte sie wortlos dem drahtigen alten Mann über den Weg durch die prächtige Gartenanlage, die sie von ihrem Fenster aus gesehen hatte, auch wenn ihre Ungeduld von Minute zu Minute wuchs.

Die Sonne stand bereits tief am Himmel, überzog den Sandstein des Palasts mit leuchtendem Rot, aber eigentlich war es noch viel zu heiß für den weißen Leinenanzug, den sie aus ihrer Garderobe gewählt hatte.

Es störte sie nicht, im Gegenteil. Sie hatte sich aus einem ganz bestimmten Grund nicht für eine der kühleren Seiden-Abayas entschieden – es sollte von vornherein klar sein, dass sie sich bei der ersten Gelegenheit auf den Weg nach Jemeya machen wollte, am besten heute noch. Ihre Sachen konnte man ihr nachschicken.

Ein leichter Windhauch, gekühlt vom Wassernebel der vielen Springbrunnen, strich über ihren Nacken. Nur gut, dass sie ihr Haar aufgesteckt hatte. Sie hatte darauf geachtet, mit ihrem Erscheinungsbild den Eindruck von gelassenem Ernst und Selbstbewusstsein zu bieten. Beides brauchte sie, und von beidem besaß sie genug. Dennoch war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihre gesamten Sachen sich hier befanden. Es ergab einfach keinen Sinn.

Die Erleichterung, Mustafas Wüstenlager entkommen zu sein, wich schnell einem neuen Argwohn. Etwas stimmte hier nicht.

Der Wesir führte sie in den Hauptteil des Palastes und durch einen Irrgarten von Gängen. Wunderschöne Mosaike aus Kristallen und Halbedelsteinen schmückten die Wände, Wandbehänge und Brokatteppiche stellten farbenfrohe Szenen von Tieren an ihren Tränken dar. Und überall das ewige Thema Wasser – in Tierszenen, Mosaiken und in den Nischen, in denen kleine Springbrunnen plätscherten.

Es war wunderschön und zweifelsohne dazu gedacht, Ruhe zu spenden … würde nicht die Ungeduld das Geräusch eines jeden fallenden Tropfens, eines jeden leise zischenden Sprühens, eines jeden Murmelns in das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schultafel verwandeln.

Bis sie bei den geschnitzten Flügeltüren ankamen, die sich imposant und geheimnisvoll vor ihnen erhoben, lagen Aishas Nerven so blank, dass sie gut und gern die eigenen Fingernägel über etwas hätte ziehen können.

Dabei war sie normalerweise weder angriffslustig noch gewalttätig.

Können Sie so gut rennen, wie Sie beißen?

Noch immer hörte sie das Lachen in seiner Stimme. Hätte sie doch nur härter zugebissen! Doch da bedeutete Hamzah ihr, ihm zu folgen, und sie verdrängte den Gedanken an den fremden Mann. Wahrscheinlich war er längst auf und davon und verprasste seine Belohnung im nächstgelegenen Kasino oder in irgendeiner berüchtigten Kontaktbörse. Sie nahm an, dass Söldner so etwas taten. Es ging ihnen um das schnelle Geld und den Kick der Jagd.

Sie betraten eine Bibliothek, die Regale an den hohen Wänden bis zur Decke vollgestellt mit Büchern und alten Manuskripten. Viel Marmor machte den großen Raum angenehm kühl, ein Stuhl hier oder ein Sessel dort mit einem Seitentischchen mit Intarsienarbeiten luden zum Sitzen ein. In der äußersten Ecke des Raumes saß ein Mann an einem Schreibtisch hinter einem Computer, sein Haar schimmerte blauschwarz im Licht des Bildschirms.

Er hob den Kopf und sah den Ankömmlingen entgegen. Ein Sekretär, dachte Aisha. Ihre Laune sank. Wie viele Ränge der Bürokratie würde sie noch durchlaufen müssen, bevor sie endlich von dem mysteriösen Scheich Antworten auf ihre Fragen bekam?

„Prinzessin Aisha.“

Ihre Geduld war am Ende. „Können Sie meine Fragen beantworten? Oder können Sie mich wenigstens an jemanden verweisen, der es kann? Sosehr ich Ihre Gastfreundschaft zu schätzen weiß, ich will wissen, wieso ich nicht längst auf dem Weg nach Jemeya bin. Stattdessen finde ich meine gesamte Garderobe hier in einem Ankleidezimmer.“

Der ältere Mann schreckte zusammen. „Sie müssen entschuldigen, Hoheit.“

Ruckartig drehte sie den Kopf zum Wesir. Hoheit?

„Danke, Hamzah. Von hier an übernehme ich.“

Ihr Blick glitt zu dem Mann, der jetzt hinter seinem Schreibtisch aufstand. Er war groß und hatte breite Schultern. Und etwas an seiner Stimme …

Ihre Kehle wurde trocken. Das konnte doch unmöglich er sein! Verlor sie den Verstand? Ihr Vater hatte Söldner zu ihrer Rettung geschickt, dieser Mann jedoch gehörte … zum Adel?

Der Wesir hatte sich ehrerbietig zurückgezogen. Aisha nutzte die erste Chance. „Wieso hat er Sie mit ‚Hoheit‘ angesprochen? Dieser Titel ist doch sicherlich für König Hamra reserviert?“

Sie schluckte unmerklich, als er um den Schreibtisch herumkam und sich lässig an die Kante lehnte. Mit verschränkten Armen musterte er sie kühl, der Ausdruck in seinen Augen war nicht zu deuten. Sein Gesicht mit den markanten Zügen wirkte zu harsch, um als attraktiv zu gelten, und mit dem schwarzen Bartschatten sah er regelrecht … gefährlich aus.

„Also, wer sind Sie?“ Sie hob ihr Kinn an, unterdrückte rigoros das Beben in ihrer Stimme. „Warum scheint es unmöglich, Antworten auf meine Fragen zu erhalten?“

„Sie sind ungeduldig, Prinzessin. Vor dieser Charaktereigenschaft hat man mich nicht gewarnt. Andererseits … Sie haben einiges durchgemacht, insofern denke ich, dass man Ihnen den Mangel an Geduld dieses eine Mal verzeihen kann. Haben Sie gut geschlafen?“

Aha. Dieses eine Mal konnte man ihr also ihre Ungeduld verzeihen? Für wen hielt er sich? „Antworten Sie immer mit einer Gegenfrage?“

Er lächelte, für einen Moment sah er fast freundlich aus. Aber nur für einen Moment. Dann verdüsterte sich seine Miene. „Touché.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Ich bin Scheich Zoltan Al Farouk bin Shamal, aber natürlich können Sie mich mit Zoltan anreden.“

„Und ich bin Prinzessin Aisha aus dem königlichen Hause der Peshwah-Familie von Jemeya, und Sie können mich mit Prinzessin Aisha anreden.“

Er lachte auf, ein sonorer, tiefer Laut, viel zu attraktiv für jemanden, an dem sie alles unsympathisch finden wollte. „Wo ist mein Vater?“, verlangte sie zu wissen. „Warum ist er nicht hier, um mich in Empfang zu nehmen? Man hat mir versichert, dass er erfährt, wenn ich mich in Sicherheit befinde. Doch noch immer bin ich hier in Al-Jirad anstatt auf dem Heimweg nach Jemeya.“

Zoltan breitete die Arme aus. „Sagt Ihnen Ihre Unterbringung nicht zu? Fehlt etwas?“

„Man versprach mir, dass mein Vater verständigt wird.“

„Das wurde er, Prinzessin. Sobald Sie letzte Nacht das Wüstenlager verlassen hatten. Ich habe noch einmal mit ihm gesprochen, nachdem wir den Palast erreichten. Er ist über die Maßen erfreut. Er bat mich, Ihnen das auszurichten.“

Ihr war nicht einmal klar gewesen, dass sie den Atem angehalten hatte, bis sie die Luft aus den Lungen entweichen ließ. Endlich ergab etwas Sinn – das waren genau die Worte, die ihr Vater benutzen würde. „Also wartet er in Jemeya auf meine Rückkehr.“ Was allerdings nicht erklärte, wieso er ihre gesamte Garderobe hergeschickt hatte. Ihre Ankleidedame hätte einige Garnituren auswählen können. Aber vielleicht hatte er in der Panik nicht überlegt.

„Nein, Ihr Vater ist hier, im Blauen Palast, und erledigt Geschäftliches. Er wird Sie morgen besuchen.“

Sie blinzelte. Der Blaue Palast war der repräsentative Hauptsitz der königlichen Familie. Ihr Vater hatte wohl etwas mit dem König zu besprechen. Dann fielen ihr die schwarzen Flaggen wieder ein. Natürlich würde ihr Vater in Al-Jirad sein, wenn etwas vorgefallen war. „Ist etwas mit Königin Petra passiert? Ich habe die gehissten schwarzen Flaggen gesehen.“

Er runzelte die Stirn und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. „Um genau zu sein, ja.“

„Oh, das tut mir so leid. Also werde ich vorerst wohl nicht abreisen.“

Er lächelte wieder. „Nein, Prinzessin.“

„Dann warte ich solange hier.“

Er kreuzte die Beine an den Knöcheln. „Ich habe den Eindruck, dass Warten Ihnen nicht gefällt, Prinzessin.“

Ihr wurde bewusst, dass sie auf seine langen, muskulösen Beine starrte. Abrupt riss sie den Blick los und hob die Augen zu seinem Gesicht, nur um das amüsierte Zucken um seine Lippen zu erhaschen. Ein unterdrücktes Lachen … und noch etwas anderes, etwas Bedrohliches … wie ein Katze, die mit der Maus spielte, sie freigab, nur um erneut zum Sprung ansetzen zu können.

Nun, weder war sie eine Maus, noch würde sie rennen. Scheich oder nicht, sein Ton gefiel ihr nicht. Noch etwas auf ihrer Liste von Minuspunkten. Sie reckte die Schultern. „Vermutlich liegt es daran, dass ich in letzter Zeit nicht viel Gelegenheit hatte, etwas anderes zu tun als warten. Endlose Stunden habe ich in der Wüste auf eine Fluchtmöglichkeit gehofft, da werde ich eine weitere Nacht auch noch durchhalten.“

Er nickte, sein Lächeln wurde breiter. „Gut. Ich bin sicher, Sie werden Ihre Zeit hier als sehr unterhaltsam empfinden.“

Sie spürte, dass sie damit entlassen war. Scheinbar war sie diejenige, die für die Unterhaltung sorgte, denn er schien sich bestens zu amüsieren. Doch ganz gleich, wie sehr dieser Mann sie ärgerte, sie konnte nicht gehen, ohne ihm nicht für den sicheren Hafen zu danken. „Ich möchte mich für Ihre Gastfreundschaft bedanken, Scheich Zoltan, und mich für meine Ungeduld entschuldigen. Sie werden meine Frustration sicher verstehen, nachdem niemand meine Fragen beantworten wollte.“

„Natürlich habe ich vollstes Verständnis dafür, Prinzessin.“

Sie nickte mit einem höflichen Lächeln, erleichtert, dass sie mit ihrem Verhalten keine diplomatische Krise zwischen den beiden Ländern heraufbeschworen hatte. Der Nachbarstaat hatte ihr Zuflucht geboten, eine solche Geste würde sie niemals herabwürdigen. „Dann möchte ich Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen, Scheich Zoltan. Ich werde in meiner Suite auf die Ankunft meines Vaters warten.“

Er nahm die Hand, die sie ihm reichte, und sie fühlte ein Prickeln des Erkennens, so als hätte sie diese Hand schon einmal gehalten. Die Hand eines Mannes, der mit langen, kräftigen Schritten rannte …

Unmöglich!

„Sagen Sie mir nur noch eines.“ Im letzten Moment erinnerte sie sich an die drängende Frage, die noch immer nicht beantwortet war. „Wieso hat mein Vater meine Garderobe nach Al-Jirad schicken lassen, wenn ich doch bald wieder zu Hause bin? Eine kleine Auswahl von Kleidern hätte völlig gereicht.“

Er zuckte mit den Schultern, ohne ihre Hand loszulassen. „Vielleicht dachte er, dass Sie die Sachen hinterher brauchen.“

„Hinterher?“

„Ja, nach unserer Hochzeit.“

3. KAPITEL

Abrupt zog Aisha ihre Hand zurück. „Sie haben den Verstand verloren!“ Die ganze Welt schien schlagartig verrückt geworden zu sein. Erst Mustafa und jetzt dieser Mann! „Ich heirate niemanden.“ Ein hysterisches Lachen arbeitete sich in ihrer Kehle empor. Sollte sie es herauslassen, würde man sie für verrückt halten. „Weder Mustafa noch Sie!“

„Ich bedaure, dass Sie es auf diese Art erfahren, Prinzessin. Ich wollte Sie zum Dinner einladen und Sie bei dem besten Essen, dem besten Wein und der besten Unterhaltung, die Al-Jirad zu bieten haben, von den Vorteilen dieses Arrangements überzeugen.“

„Es ist völlig gleich, wie Sie die Botschaft überbringen wollten. Die Antwort bleibt dieselbe. Ich heirate Sie nicht! Und jetzt werde ich in meine Suite gehen und dort warten, bis mein Vater ankommt. Es tut mir leid, dass sich jemand umsonst die Mühe gemacht hat, meine Sachen auszupacken, denn sie werden für meine morgige Abreise wieder eingepackt werden müssen. Gute Nacht.“

Sie schwang herum. Die Tür schien ihr plötzlich meilenweit entfernt, doch da wurde ihr Handgelenk mit eisernem Griff gepackt.

„Nicht so schnell, Prinzessin.“

Erst sah sie auf seine Finger, die um ihr schmales Gelenk lagen, dann hob sie den Blick zu seinen dunklen Augen. „Niemand fasst eine Prinzessin von Jemeya ohne deren Erlaubnis an.“

„Nun, der Verlobte …“

Sie riss sich los. „Es gibt keinen Verlobten!“

„Ihr Vater sieht das anders.“

„Sie haben wirklich den Verstand verloren. Mein Vater würde niemals seine Einwilligung zu einer Heirat geben, die ich nicht wünsche.“

„Vielleicht bleibt Ihrem Vater keine Wahl.“

„Und vielleicht träumen Sie nur. Er hat seine Männer nicht zu meiner Rettung geschickt, nur um mich dem nächsten verrückten Despoten zu übergeben.“

„Sind Sie sicher, dass es die Männer Ihres Vaters waren?“

Seine knappe Frage ließ sie stutzen. Natürlich hatte ihr Vater die Retter geschickt, er würde alles in seiner Macht Stehende für sie tun. Sie hasste diesen Mann dafür, dass er tatsächlich Zweifel in ihr säte. „Sobald ich in den Händen der Entführer war, wusste ich, dass mein Vater Leute aussenden würde, um mich zu suchen und zurückzuholen, und ich hatte recht. Die Männer sagten mir, mein Vater würde es sofort erfahren, wenn ich in Sicherheit bin. Wer sonst sollte sie geschickt haben?“

„Und wenn ich Ihnen sagte, dass es meine Männer waren, die Sie Mustafas Klauen und dem Schicksal, seine Söhne zu gebären, entrissen haben?“

Aufgebracht stemmte Aisha die Hände in die Hüften. „Ich habe genug gehört. Auf Wiedersehen.“ Sie drehte sich um und steuerte den Ausgang an. Sie würde durch diese Tür gehen, und dann würde sie alles vergessen, was sie über das Benehmen einer Prinzessin gelernt hatte und losrennen, so schnell sie konnte. Zurück in ihre Suite und sich einschließen. Sie würde erst wieder hervorkommen, wenn ihr Vater hier war und alles für die sichere Rückreise nach Jemeya arrangiert war. Dieses Mal hielten keine Fesseln sie zurück, dieses Mal gab es keine Wachen.

Für einen Moment war sie fest davon überzeugt, dass sie es schaffen würde, bis sie die schicksalhaften Worte hinter sich hörte.

„Und wenn ich Ihnen außerdem sagte, dass ich mit dem Segen Ihres Vaters zu Ihnen kam?“

Wie erstarrt blieb sie stehen. Panik erfasste sie, sie konnte sich nicht mehr rühren. Sie hörte nur noch das brausende Rauschen des eigenen Blutes in ihren Ohren.

Zu Ihnen kam? Hieß das, er war gestern Nacht in dem Lager gewesen? Er war einer der Männer der Rettungstruppe? Oder sollte er gar derjenige sein, der die Zeltwand aufgeschlitzt hatte? Der sie an seinen Körper gepresst und den dumpfen Puls in ihrem Leib in Gang gesetzt hatte? Der, in dessen Armen sie auf dem Pferderücken geschlafen hatte?

Der Fremde war auch groß und breit gebaut gewesen, offensichtlich durchtrainiert und genauso unerträglich arrogant. Allerdings war er ganz in Schwarz gekleidet gewesen, sein Gesicht hinter einer Maske verborgen, so dass sie von seinem Gesicht nur die blitzenden dunklen Augen hatte sehen können.

Nein, das konnte nicht sein. Sie weigerte sich, diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen!

Die Starre löste sich, sie schwang herum. „Sie bluffen! Sie haben zugegeben, heute mit meinem Vater gesprochen zu haben. Da hat er Ihnen alles über meine Rettung berichtet, und jetzt nutzen Sie das aus. Ich soll mich Ihnen verpflichtet fühlen, damit ich auf …“ Sie suchte nach einem Wort, das ihm den Irrsinn klarmachen würde. „… auf diese Verrücktheit eingehe.“ Und das stand völlig außer Frage! „Fantasieren Sie ruhig weiter. Mein Vater wird morgen sicherlich höchst amüsiert sein.“

Er stieß sich vom Schreibtisch ab und überbrückte den Abstand zwischen ihnen mit langen Schritten. Blieb groß, ja fast bedrohlich vor ihr stehen, schaute kalt auf sie herunter. „Da wir gerade von Fantasien reden, Prinzessin, möchte ich diese eine mit Ihnen teilen: Ich bin gespannt darauf, was Ihr Mund alles vollbringen kann, wenn Leidenschaft und nicht Angst Sie im Griff hält.“

Der Schock jagte einen Blitz über ihren Rücken, fuhr durch ihren ganzen Körper, ließ sie die Hände zu Fäusten ballen, damit sie ihn nicht ohrfeigte. „Wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen?“

Er streckte die Hand aus, fuhr mit dem Daumen über ihre Unterlippe. „Sie sind es, die mir die Idee in den Kopf gesetzt hat, Prinzessin. Sie mit Ihren kleinen scharfen Zähnen.“

Sie schnappte nach Luft und wich zurück. „Sie!“

Lächelnd verschränkte er die Arme vor der Brust, und jetzt sah sie es: den roten Abdruck, den ihr Biss auf seinem rechten Zeigefinger hinterlassen hatte.

Er konnte mitverfolgen, wie sie die Augen aufriss, als sie begriff. Und er konnte ihre Angst förmlich wahrnehmen.

Es war ein seltsam gutes Gefühl.

„Genau, Prinzessin, ich. Sie haben mir Ihr Zeichen aufgedrückt. Ist das eine Tradition in Jemeya? Dass man den Versprochenen kennzeichnet?“

Sie hielt seinem Blick trotzig stand. „Es ist gleich, wer Sie sind und ob Sie gestern Nacht dort in dem Lager waren. Ich schulde Ihnen nichts außer meinem Dank, und ich kann Ihnen versichern, den haben Sie. Trotzdem werde ich Sie nicht heiraten.“

„Sie können sich sträuben, so viel Sie wollen, Prinzessin. Es gibt keine andere Lösung.“

„Und wenn ich mich weiterhin weigere?“

Er lächelte nur. „Vielleicht gäbe es doch eine Möglichkeit, wenn Sie tatsächlich so absolut dagegen sind.“

„Nämlich?“

„Ich bringe Sie zurück zu Mustafas Wüstenlager. Dann kann er nach Belieben mit Ihnen verfahren. Die Wahl liegt bei Ihnen, Prinzessin.“

Sie sah aus, als könnte sie jeden Moment explodieren. Ihr Gesicht war hochrot, die Hände hatte sie an den Seiten zu Fäusten geballt, ihre Augen schleuderten Dolche. „Wenn mein Vater seine Gespräche mit dem König abgeschlossen hat und morgen kommt, wird er Ihnen dasselbe sagen – es wird keine Heirat geben.“

Plötzlich war er das Spiel leid, auch wenn sie das einzig Amüsante in einer Welt war, die von jetzt auf gleich auf den Kopf gestellt worden war. Ihre Rettung hatte ihn seit Langem wieder mit seinen drei Freunden zusammengebracht. Sie seinem verhassten Halbbruder unter der Nase wegzuschnappen, war eine so unglaublich befriedigende Erfahrung gewesen, dass er das Gefühl noch jahrelang genießen würde.

Allerdings sah er sich jetzt mit einer verwöhnten Prinzessin konfrontiert, die sich tatsächlich einbildete, sie hätte ein Mitspracherecht. Warum hatte er ihr überhaupt den Eindruck vermittelt? Warum hatte er ihre Forderungen toleriert und ihre Fragen nicht unmissverständlich beantwortet?

Er wusste, warum. Weil er selbst in dieser unerquicklichen Situation gefangen war. Weil er nicht einsah, dass er als Einziger frustriert sein sollte. Weshalb also sollte er nicht wenigstens die Befriedigung empfinden, sie aus ihrer komfortablen Prinzessinnenrolle zu reißen?

Und welches Recht hatte sie überhaupt, wütend zu sein, wenn die Heirat das Einzige war, was von ihr verlangt wurde? Er dagegen hatte eine ganze Liste von Notwendigkeiten vom Wesir vorgelegt bekommen, die er alle erfüllen musste, bevor er den Thron von Al-Jirad besteigen konnte. Wer hatte überhaupt so viel Zeit? Er sollte fließend Jiradi und Arabisch sprechen können, das Heilige Buch auswendig lernen, um in der Lage zu sein, jederzeit daraus zu zitieren. Und um die Allianz zwischen den beiden Nationen weiter zu festigen, wurde ihm die zweifelhafte Ehre zuteil, eine Prinzessin aus dem königlichen Hause des Nachbarstaats zu heiraten.

Plötzlich wurde ihm alles zu viel. Er seufzte schwer, als er die offene Feindseligkeit in ihrem Blick las. Ihm reichte es schon jetzt, obwohl es noch gar nicht angefangen hatte.

„König Hamra ist tot.“

Sie blinzelte. Blinzelte noch einmal. Dann schien sich ihr Gesicht in ein einziges Fragezeichen zu verwandeln, mit offenem Mund und aufgerissenen Augen. „Nein!“ Schockiert schlug sie die Hand vor dem Mund. „Aber Sie sagten doch, Königin Petra … Nein!“

Er hob den Blick zu ihren Augen. Sie hatten sich mit Tränen gefüllt, die überzulaufen drohten. Es überraschte ihn, dass sie offenbar die Macht besaß, ihn vom Wesentlichen abzulenken, und fluchte in Gedanken. Das, was er bisher unerwähnt gelassen hatte, war noch schlimmer.

„Aber wie?“, rief sie aus. „Wann?“

„Am Morgen Ihrer Entführung. König Hamra und die Königin waren unterwegs zu einem Urlaub in Ägypten. Seine Berater saßen mit ihnen in einem Helikopter, seine Mutter mit den anderen Söhnen und deren Familien in einem zweiten. Aus bisher ungeklärtem Grund sind die Rotoren während des Fluges aneinandergeschlagen. Beide Hubschrauber stürzten ab.“ Er machte eine Pause, ließ ihr Zeit, die Neuigkeit zu verarbeiten. „Es gab keine Überlebenden“, fügte er dann leise hinzu.

Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, ihre Augen kontrastierten scharf mit der bleichen Haut und wirkten wie dunkle Höhlen. Sie sah aus, als könnte sie jederzeit zusammenbrechen, und er packte sie bei den Schultern und drückte sie auf den nächsten Stuhl.

„Keine Überlebenden? Aber doch nicht Akram und Renata? Und Kaleem und Akra? Nein, bitte nicht auch die Kinder. Sie waren noch so jung, noch Babys …“

Er hatte ihr nichts anzubieten, also schwieg er, nickte nur unmerklich.

„Man hat mir nichts davon gesagt. Keiner in dem Lager hat etwas davon gesagt. Sie haben nur gelacht und anzügliche Bemerkungen darüber gemacht, was Mustafa mir antun wird. Niemand hat mir gesagt, dass der König und seine Familie tot sind. Niemand hat etwas gesagt …“

Mit großen Augen starrte sie ihn an, der Schock, die Verzweiflung, die Trauer deutlich darin zu lesen. Fast hatte er Mitleid mit ihr, was diese ganze scheußliche Angelegenheit für sie bedeuten würde. Aber warum sollte er Mitleid mit ihr haben, wenn es auf sein Leben ebenso weitreichende Auswirkungen hatte? Seine Zukunft wurde von Regeln bestimmt, die vor Jahrhunderten aufgestellt worden waren. Sie beide waren hilflos der Situation ausgeliefert.

„Ist das der Grund, weshalb dies alles passiert? Wegen der schrecklichen Tragödie?“

Warum musste sie so verdammt verletzlich aussehen? Er wollte wütend auf die verwöhnte Prinzessin sein, die jetzt ihre Pflicht gegenüber ihrem Volk erfüllen musste, statt dem eigenen Vergnügen nachzugehen. Mitleid und Verständnis für sie waren das Letzte, was er fühlen wollte. Vor allem, weil er sich denselben Zwängen zu beugen hatte. „Al-Jirad braucht einen König.“

Tränen hingen an ihren langen Wimpern, als sie ihn ansah. „Dieser Mann, der Wesir … er hat Sie mit Hoheit angesprochen. Heißt das, Sie werden der neue König?“

„König Hamra war mein Onkel. Mein Vater hatte zwei Söhne mit zwei Frauen – Mustafa und mich.“ Er hielt inne. „Der Pakt entscheidet, wer von uns König wird.“

Sie nickte, als sie begriff. Die Trauer stand noch immer auf ihrer Miene, aber jetzt mischte sich Wut hinzu. „Darum geht es also. Das ist der Grund für die Jagd nach der Prinzessin. Wer immer die Prinzessin heiratet, erhält auch die Krone von Al-Jirad.“

„So besagt es der Pakt. Da die Krone Al-Jirads in Gefahr ist, muss die Allianz durch eine Heirat innerhalb der königlichen Familien unserer beiden Länder neu geschmiedet werden. Aufgrund der Bewandtnis mit Ihrer älteren Schwester …“

„Sie meinen, weil sie zwei uneheliche Kinder von zwei verschiedenen Männern hat, kommt sie für die Position der Königin nicht infrage? Dabei hat sie die besseren Voraussetzungen. Marina hat bereits bewiesen, dass sie für Erben sorgen kann. Ich dagegen kann keinen solchen Beweis liefern.“

„Ihre Schwester ist … nun, sozusagen überqualifiziert. Die Tatsache, dass Sie noch nicht entbunden haben, gereicht Ihnen zum Vorteil.“

Noch nicht entbunden. Es juckte ihr in den Fingern, mit der Faust auf irgendetwas zu schlagen. Vielleicht auf ihn. Nur gaben Prinzessinnen solch niederen Instinkten nicht nach. „Wie kann es ein Vorteil sein, wenn es mich in diese Zwangslage bringt?“

„Die Pflicht verlangt es, Prinzessin. Es ist nichts Persönliches.“

Nichts Persönliches? Vielleicht war die Vorstellung ihr genau deshalb so zuwider. Sie stand weit unten auf der Liste der Thronfolger, sie hatte sich immer darauf verlassen, dass sie niemals in die Herrscherpflicht genommen werden würde, schon gar nicht als Frau. Sie hatte ihre Brüder mit deren Tutoren gesehen, hatte miterlebt, wie kurz die Leine gehalten wurde. Und ihre Schwester, deren Leine viel zu locker saß, weil alle Aufmerksamkeit allein auf den männlichen Nachkommen lag. Naiverweise hatte sie wirklich darauf gehofft, dass sie diesem Wahnsinn entkommen und ein normales Leben führen könnte. Sie war sogar dumm genug gewesen zu glauben, sie würde eines Tages aus Liebe heiraten …

Zoltan musterte sie, wie sie da saß, stumm und zusammengesunken, und versuchte, das ganze Ausmaß der Situation zu verarbeiten. Nun, es war auf jeden Fall nicht das Ende der Welt, auch wenn sie es so darstellte. Er würde als Herrscher auf dem Thron sitzen, eine Position, für die er nie vorbereitet worden war, während sie von Prinzessin zu Königin aufsteigen würde. Ihr ganzes Leben war sie für diese Rolle erzogen worden. Was also sollte so schwierig daran sein? Die Ehe zwischen ihnen könnte sogar funktionieren, wenn sie beide es wollten. Die Prinzessin war schön, hatte eine tolle Figur. Es würde ihm nicht schwerfallen, sie in sein Bett zu holen und die Thronerben zu produzieren, die Al-Jirad brauchte. Außerdem schwelte unter ihrer kühlen Fassade ein Feuer, das ihn neugierig machte. Er würde dieses Feuer gern ein wenig mehr anfachen.

Warum also sollte es nicht funktionieren? Zumindest im Schlafzimmer. Ein Erstgeborener und noch ein potenzieller Nachfolger, und sie hatten ihre Pflicht erfüllt und konnten sich nach anderen Optionen umsehen. Eine Heirat war schließlich kein Todesurteil.

Jetzt schüttelte sie den Kopf, stand auf und strich sich die Hose glatt. Er hatte den Eindruck, dass sie am liebsten ebenso ungerührt die Verpflichtungen wegwischen würde, die ihr der jahrhundertealte Pakt auferlegte.

„Es ist also mein Schicksal, Sie zu heiraten, weil ein vergilbtes Stück Papier es so will?“

„Der Pakt wurde für Situationen wie diese geschlossen.“

„Und natürlich müssen wir uns unbedingt daran halten.“

„Er ist das Fundament für die Verfassungen unserer Länder, das wissen Sie. Glauben Sie, es wäre zu viel von der Prinzessin eines dieser Länder verlangt, ihre Pflicht zu erfüllen?“

„Ja! Weil diese Pflicht mich dazu zwingt, entweder Sie oder Mustafa zu heiraten!“

„Dann ist es vielleicht gut, dass Sie gar keine andere Wahl haben.“

„Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Was, wenn ich keinen von Ihnen beiden heiraten will? Was, wenn ich andere Pläne für mein Leben habe, in denen eine Heirat mit einem Despoten, der glaubt, eine Frau beanspruchen zu können, nur weil sie zufällig in eine bestimmte Familie hineingeboren wurde, nicht vorkommt?“

„Mit diesem Zufall, wie Sie es nennen, sind Reichtum und enorme Privilegien verbunden – aber auch Verantwortung. Ihre Schwester hat es vorgezogen, alles aufzugeben und hinter sich zu lassen. Ihnen als das einzige andere infrage kommende Mitglied der Königsfamilie von Jemeya steht diese Option nicht offen.“

„Trotzdem kann ich immer noch Nein sagen. Und das tue ich hiermit.“

„Ich wiederhole, dass Sie diese Option nicht haben.“

Sie seufzte frustriert auf und ballte die Fäuste an den Seiten. Er gähnte nur und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. Vermutlich würde sie jetzt auch noch mit dem Fuß aufstampfen, wie ein verzogenes Kind. Nützen würde es ihr nichts.

„Hören Sie“, hob sie an, und das Blitzen in ihren Augen zeigte deutlich, dass ihr ein neuer Ansatz für die nächste Attacke eingefallen war. Sie lächelte sogar, wenn man das leichte Verziehen der Lippen ein Lächeln nennen konnte. „Das alles ist nicht wirklich nötig. Der Pakt ist Jahrhunderte alt. Wir alle haben uns weiterentwickelt. Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln.“

„Glauben Sie?“

„Ich bin fest davon überzeugt.“ Sie hielt die Hände vor sich, als würde sie predigen. Vermutlich hatte sie das auch vor, denn eine ungeheure Energie ging plötzlich von ihr aus, alles an ihr schien unglaublich lebendig. Erneut dachte er, wie schön sie war, wie fein ihre Züge, wie voll ihr Mund. Nein, es würde wirklich keine Qual sein, mit ihr zu schlafen.

„Mein Vater liebt mich. Um nichts auf der Welt würde er mich zwingen, einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe.“

„Um nichts auf der Welt?“ Er hob eine Augenbraue. „Auch nicht, damit die Allianz zwischen unseren Ländern bestehen bleibt?“

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ein neuer Vertrag aufgesetzt wird.“ Sie hatte sich in Fahrt geredet. „Die Zeiten haben sich geändert … die ganze Welt hat sich geändert! Wir können unsere Länder in die Zukunft führen, mit einer neuen, einer besseren Allianz. Einer Allianz, die in die heutigen Zeiten passt, anstatt eine, die aus einer längst vergangenen Ära stammt.“

Er verschränkte die Arme, verkniff sich das Grinsen und tat, als würde er ernsthaft darüber nachdenken. „Ein neuer Vertrag? Interessante Idee.“

„Schließlich ist da auch meine Arbeit in Jemeya. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater mich so einfach von meinen Pflichten entbindet.“

„Ah ja, Ihre Arbeit. Jemand wie Sie würde es natürlich als Arbeit ansehen, Waisenkindern Märchen vorzulesen. Zweifelsohne wichtige Arbeit. Vor allem gibt das ganz großartige Publicity-Fotos.“

Ihr Lächeln erstarb. „Ich lehre die Kinder unsere Sprache! Ich bringe ihnen Lesen und Schreiben bei.“

„Und sicher kann das niemand sonst in ganz Jemeya, richtig?“ Er stieß sich von der Säule ab, an die er gelehnt stand. „Akzeptieren Sie es, Prinzessin. Für Jemeya sind Sie so unnötig wie ein Kropf.“

„Wie können Sie es wagen?“

„Ich wage es, weil es Zeit wird, dass Ihnen jemand die Augen öffnet. Sie haben zwei ältere Brüder, von denen der Erstgeborene den Thron übernehmen wird. Sollte er das aus irgendeinem Grund nicht können, gibt es den jüngeren Bruder als Alternative. Also, welchen Zweck haben Sie für Jemeya? Sie sind die überflüssige Prinzessin, der Überschuss, der nicht gebraucht wird. Wenn Sie Ihrem Land in irgendeiner Hinsicht nützlich sein wollen, heiraten Sie mich.“

Eiskalter Hass glitzerte in ihren Augen. „Ich sagte es bereits mehrmals – ich werde Sie nicht heiraten, und mein Vater wird mich nicht zwingen. Welche vernünftige Frau würde schon jemanden wie Sie heiraten wollen? Sie haben mich tatsächlich glauben lassen, Sie hätten mich vor einem Irren gerettet, dabei sind Sie genauso verrückt. Vielleicht sollten Sie etwas akzeptieren – Sie sind ein arroganter Rüpel, der vor nichts haltmacht, um sich den Thron von Al-Jirad zu sichern! Ich werde Sie nicht heiraten, und wären Sie der letzte Mann auf Erden!“

Blut pochte dröhnend hinter seinen Schläfen. Wie musste er in einem früheren Leben gesündigt haben, dass er sich eine egoistische Prinzessin wie diese hier als Ehefrau aufbürden sollte? Welche Götter hatte er so maßlos beleidigt, dass sie ihm einen derart zänkischen Drachen schickten?

Hätte er eine Wahl, würde sonst Mustafa nicht die Krone an sich reißen … er würde sie zurück in das Wüstenlager bringen und nichts mehr mit ihr zu tun haben.

„Sie glauben, ich wäre darauf aus, König zu werden? Glauben Sie wirklich, ich wollte ein egoistisches Weibsbild zur Ehefrau, wenn sie eindeutig den besseren Teil des Deals abbekommt?“

„Widerlicher Barbar!“

Er hörte den schallenden Knall, spürte gleichzeitig das Brennen auf seiner Wange, und sein Blut kochte über. Er packte ihr Handgelenk und zog sie mit einem Ruck an sich. „Das werden Sie bereuen!“

Vergeblich versuchte sie sich loszureißen, sie wand sich und trommelte mit der einen Faust auf seine Schulter. „Lassen Sie mich los!“

Von wegen! Er griff auch noch ihr anderes Handgelenk, und sie schrie auf und ruckte und zerrte, bis ihr Haar sich löste und ihr über den Rücken fiel. „Warum?“, knurrte er. „Damit Sie mich noch einmal ohrfeigen können?“

Genau in dem Moment gelang es ihr tatsächlich, den Arm aus seinem Griff zu drehen, und sie holte aus. Er fing ihre Hand gerade noch rechtzeitig ab, bevor sie auf seiner Wange landen konnte, drehte ihr den Arm hinter den Rücken und drückte sie an sich, so dass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. Stoßweise holte sie Luft, als hätte sie einen Spurt hinter sich, ihre Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug, ihre Augen sprühten wütende Funken.

Er sah auf ihre geöffneten Lippen und fragte sich, wie sie schmecken mochte – wahrscheinlich süß wie Honig mit einem Hauch von Chili. Er sah ihre weißen Zähne aufblitzen und überlegte, ob es das Risiko wert war. Dann wanderte sein Blick zu ihren Augen, und er stellte fest, dass sie ihn ebenso genau musterte wie er sie.

„Ich hasse Sie!“, spie sie aus und wand sich. Mit dem Resultat, dass ihr Körper sich an seinem rieb und Hitze erzeugte, die prompt in Verlangen umschlug.

In drängendes Verlangen.

„Ich weiß, ich hasse Sie auch“, sagte er noch, bevor er seinen Mund auf ihre Lippen presste.

Er spürte, wie sie sich abrupt versteifte, und gleichzeitig fühlte er Wärme unter dem Kuss aufblühen, schmeckte den Honig, den Chili und die Frau, die sich hinter der Prinzessin verbarg.

Und er wollte mehr.

4. KAPITEL

Der Schock raubte ihr den Atem, sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Aber fühlen konnte sie. Und wie!

Er schien überall zu sein. Seine harte Brust presste sich an ihre. Seine Arme hielten sie wie Stahlbänder. Seine Bartstoppeln kratzten über ihre Wange. Seine weichen Lippen übten sanften Druck auf ihren Mund aus. Ihrer beider Atem vermischte sich, und sie schmeckte ihn.

Für einen Moment überwältigte sie dieses Bewusstsein. Sie erkannte seinen Duft, erkannte, wie er sich anfühlte, und sie wusste, es war wirklich er, der Mann, der sie in seinem Arm gehalten hatte, während das Pferd sie von dem Wüstencamp wegtrug, weg von Mustafa, der sie mit Gewalt hatte nehmen wollen …

Ekel und Abscheu stiegen in ihr auf, schickten Kraft in ihre erstarrten Muskeln und füllten ihren Kopf mit einem einzigen Gedanken: Dieser unnachgiebige Kuss musste sofort beendet werden!

Sie riss ihren Kopf zurück. „Nein“, stieß sie aus. „Nein!“

Doch Zoltan hörte nicht auf, er gewährte ihr keine Gnade. Stattdessen fühlte Aisha sich hochgehoben und mit dem Rücken an die Säule gedrückt. Sein suchender Mund fand erneut ihren, und sie war wieder erfüllt von ihm und seinem Geschmack. Verlockend, fordernd, verführerisch.

So verführerisch …

Sie seufzte lustvoll auf, und sie hasste sich dafür, noch während sie den Kopf leicht zur Seite legte, um seiner heißen Zunge besseren Zugang zu verschaffen.

Doch dann strich er über ihren Arm, berührte dabei die aufgerichtete Brustwarze, und plötzlich waren es Mustafas Finger, die sie hinter ihren geschlossenen Lidern vor sich sah. Es waren Mustafas fleischige Lippen, die sich auf ihren Mund pressten …

Das Bild gab ihr die Kraft, die sie brauchte. „Nein!“ Sie schaffte es, ihre Hände zu befreien, ihre Fingernägel fanden Fleisch und gruben sich tief ein.

Sie hörte ihn fluchen, dann wurde sie zurückgestoßen. Sie strauchelte, versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Er stand dort wie ein Rachegott, düster, grimmig und bedrohlich, und befühlte seine zerkratzte Wange. Mit angehaltenem Atem wartete sie ab, schockiert über sich, dass sie als Mitglied der königlichen Familie von Jemeya auf solch niedere Instinkte reduziert war. Es tat ihr nicht leid, was sie getan hatte, kein bisschen.

Aber sie hatte Angst.

Sie war allein hier im Palast, ohne Freunde oder Verbündete, niemand, der sie beschützen würde. Und Zoltan war groß und stark, und er war wütend. Und sie hatte ihn geschlagen und ihm eine blutende Wunde zugefügt. Er würde ihr das nicht ungestraft durchgehen lassen.

Doch er überraschte sie damit, dass er die Lippen zu einem Lächeln verzog – zu einem Krokodilslächeln. „Welch seltsame Gebräuche ihr in Jemeya doch habt. Ich frage mich, wofür dieses zweite Mal steht. Als Symbol für ewige Liebe und Treue? Oder ist es ein Versprechen auf leidenschaftliche Nächte?“

„Sie wissen genau, weshalb ich Sie geohrfeigt habe. Wie sonst hätte ich Sie davon abhalten sollen, sich wie ein Barbar aufzuführen?“

„Möglicherweise war nicht eindeutig, dass Sie aufhören wollten.“ Ihre fassungslose Miene ließ ihn hinzufügen: „Ihr Körper übermittelte zumindest eine andere Botschaft.“

„Dann haben Sie nicht richtig zugehört!“

Er drehte den Kopf, zeigte ihr die drei roten Striemen auf seiner Wange. „Das wird Ihnen noch leidtun.“

Fast hätte sie aufgelacht. Seine Drohung schreckte sie nicht. „Das glaube ich eher nicht. Mir tut allerdings leid, dass ich wirklich glaubte, gestern Nacht gerettet worden zu sein. Dabei bin ich nur in den nächsten Albtraum entführt worden. Mir tut es leid, dass ich tatsächlich Zeit darauf verschwendet und mir Ihr irrwitziges Konstrukt angehört habe. Und Sie tun mir zutiefst leid, weil Ihnen überhaupt nicht klar ist, wie gestört Sie sind. Aber dass ich Sie geohrfeigt habe, tut mir nicht leid. Das hatten Sie verdient.“

Zoltan verzog abschätzig den Mund. „Ich sollte Sie zu Mustafas Lager zurückbringen. Mein Halbbruder hat eine Frau wie Sie verdient, eine Frau, die ihm das Leben zur Hölle macht.“

Nicht nur perlte seine Beleidigung an ihr ab, sie fachte Aishas Wut weiter an. Von jemandem wie ihm würde sie sich nicht einschüchtern lassen. „Sie irren, wenn Sie sich einbilden, Sie wären anders als er.“

Sein Gesicht lief dunkelrot an, die Sehnen an seinem Hals traten hervor. „Er und ich haben nichts gemein.“

„Sie beide sind verachtenswert! Beide unfähig, über eine Dynastie zu herrschen, geschweige denn über ein ganzes Königreich.“

„Und wer soll König von Al-Jirad werden?“

„Das sollen andere regeln. Ich sage es noch einmal, und mein Vater wird es Ihnen bestätigen: Ich heirate keinen von Ihnen beiden!“

„Tun Sie das, Prinzessin, reden Sie mit Ihrem Vater. Und reden Sie sich ein, was Sie wollen. Sie vergeuden nur Energie und Zeit. In weniger als vierundzwanzig Stunden sind wir verheiratet, ob es Ihnen passt oder nicht.“

„Nur über meine Leiche!“

„Wenn das nötig ist …“ Ein gefährliches Glitzern trat in seine Augen, die Striemen auf seiner Wange leuchteten tiefrot.

Hätte der Wesir nicht ausgerechnet diesen Moment gewählt, um einzutreten, hätte Aisha zu einer zweiten Ohrfeige ausgeholt.

Natürlich hatte man ihr eingehämmert, dass Prinzessinnen nicht handgreiflich wurden, aber sie war mit Brüdern aufgewachsen. Ihre Brüder mochten junge Prinzen gewesen sein, aber sie hatten die Schwestern ganz bestimmt nicht wie Prinzessinnen behandelt. Oh ja, sie wusste genau, wie man mit Rüpeln umging.

„Was gibt es, Hamzah?“, fragte Zoltan.

Der Wesir starrte auf die roten Striemen auf Zoltans Wange, sah dann fassungslos zu Aisha, blinzelte und wandte sich wieder an den Scheich.

„König Ashar ist am Telefon. Er möchte mit der Prinzessin sprechen.“

Endlich! Aisha lächelte erleichtert. Endlich konnte sie mit ihrem Vater reden. Er würde diesen verrückten Heiratsplänen ein Ende setzen. Er würde ihr zuhören, und sie brauchte nicht länger gegen eine undurchdringliche Wand anlaufen. „Wo kann ich den Anruf annehmen?“

Als der Wesir mit einer Verbeugung zu dem Telefon auf dem Schreibtisch zeigte, musste Aisha sich zurückhalten, um nicht loszuspurten. Sie musste ihren Vater wissen lassen, was passiert war. Er mochte denken, sie sei in Sicherheit, dabei war sie nur von einem Despoten in die Hände des nächsten gereicht worden. Ihr Vater war getäuscht worden, man hatte ihm absichtlich Dinge verschwiegen. Er konnte nicht wissen, was dieser Mann hier vorhatte …

„Wir werden Sie jetzt allein lassen, Prinzessin, damit Sie mit Ihrem Vater sprechen können …“, erklärte Zoltan und wandte sich zusammen mit Hamzah zum Gehen.

„Bleiben Sie ruhig. Es wird Sie sicher interessieren, was mein Vater zu sagen hat.“ Sie wollte, dass er mithörte, es sollte keine Missverständnisse geben. Endlich konnte sie mit einem vernünftigen Menschen reden, mit jemandem, dem an ihr lag, der in ihr nicht nur ein bewegliches Gut in einem Businessdeal sah. Und dann würde sie den Hörer an Zoltan weiterreichen, damit er sich selbst überzeugen konnte, denn aus ihrem Mund glaubte er es ja nicht.

„Papà, es tut so gut, deine Stimme zu hören.“

Sie lachte und hörte ihrem Vater zu, der seine Freude über ihre Rettung ausdrückte und sich entschuldigte, dass er bei ihrer Ankunft nicht hatte anwesend sein können, und sie versicherte ihm, dass sie unverletzt sei und es nicht erwarten könne, endlich nach Hause zu kommen.

Noch immer ein Lächeln auf den Lippen, warf sie Zoltan einen Blick zu. Sicherlich biss er jetzt die Zähne zusammen. Gewiss war der Anruf ihres Vaters das Letzte, was er gewollt hatte, denn ihr Vater würde ihr in diesem ganzen lachhaften Szenario die Unterstützung geben, die sie brauchte.

Bis vom anderen Ende nur noch ein Schweigen kam, das sich nicht länger ignorieren ließ. „Papà?“

Die nächsten Worte, die durch die Leitung drangen, erfüllten sie mit ungläubigem Schock und ließen sie schwindeln.

„Aisha, du kehrst nicht nach Hause zurück. Hat es dir denn niemand gesagt? Du heiratest Zoltan.“

Sie beging den Fehler und blickte zu Zoltan – und sah den triumphierenden Ausdruck auf seiner Miene, so als hätte er die Kehrtwende in der Konversation erkannt. Kein Wunder, er hatte ihr Gesicht genau beobachtet und gesehen, wie ihre Züge sich verändert hatten. Abrupt drehte sie sich um und verfluchte sich dafür, dass sie dem Impuls nachgegeben hatte, ihn im Raum bleiben zu lassen. Sie hasste die gelangweilte Aura, die von ihm ausstrahlte, hasste das süffisante Lächeln, das um seine Lippen zuckte.

Sie hasste alles an ihm.

Doch sie war noch nicht fertig. „Aber Papà, ich will ihn nicht heiraten!“

Fast hätte Zoltan aufgelacht. Glaubte sie wirklich, er wollte sie heiraten? Absurd! Eigentlich war es nur traurig, die eine Hälfte dieses Gespräch mit anhören zu müssen, wenn keine Hoffnung bestand.

Es folgten noch unzählige „Aber Papàs“, gespickt mit ebenso vielen „Aber warums?“, und immer wieder sagte sie gar nichts, hörte nur den Erklärungen ihres Vaters zu. Das, was ihm nahezu zusetzte, war ihr „Bitte, Papà, bitte!“. In dieser Kleinmädchenstimme. Die leidende Prinzessin. Doch, das war rührend, wirklich. Wenn es einen interessierte.

Selbst wenn … was ließe sich schon tun? Hatte er selbst nicht auch nach anderen Möglichkeiten gesucht? Jede Option in Betracht gezogen?

Dann der letzte Paukenschlag – das „Ja, Papà“. Wie ein Kind, das gescholten worden war und nun versprach, brav zu sein. Damit legte sie den Hörer auf und blieb mit dem Rücken zum Raum stehen.

Es war bizarr, die Niederlage und Erniedrigung eines anderen mitzuerleben, vor allem, wenn der andere von seinem Triumph so völlig überzeugt gewesen war.

Bizarr und gleichzeitig befriedigend.

Sie sah ihn nicht an, als sie sich umdrehte, doch auch so konnte er erkennen, dass sie geweint hatte. Ihre Augen glänzten feucht, ihre Wimpern staken dunkel und zusammengeklebt hervor. Er fragte sich, warum sie es sich so schwer machte.

Früh hatte er gelernt, dass es sich für manche Dinge zu kämpfen lohnte, bei anderen dagegen bestand vom ersten Augenblick an keine Hoffnung auf Erfolg. „Wähle sorgfältig, für was du deine Energien einsetzt“, hatte sein Onkel, der König, ihn schon als Junge gelehrt. Wie oft war er nicht wütend gewesen, weil sein Vater bei einem Streit der Halbbrüder wieder einmal Partei für Mustafa ergriffen hatte. „Vergeude weder Zeit noch Energie auf Dinge, die du nicht ändern kannst. Wähle deine Schlachten und schlage sie nur dann, wenn sie es wert sind.“

Damals hatte Zoltan die Worte nicht wirklich verstanden, doch nach und nach hatte das Leben ihn die gleiche Lektion gelehrt. Er hatte gelernt zu akzeptieren, was er nicht ändern konnte. Jemand hätte dieser Frau das auch beibringen sollen.

Sah sie denn nicht ein, dass es nicht zu ändern war? Sie war in einer jahrhundertealten Zeitschleife gefangen. Genau wie er.

„Sie haben also alles besprochen?“, fragte er, als sie sich nicht rührte.

Aisha stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus, dann streckte sie den Rücken durch. „Mein Vater wird morgen hier sein.“ Ihre Stimme klang flach und tonlos, alles Leben schien aus ihr gewichen.

Er wartete weiter. Er konnte sich vorstellen, was es sie an Kraft kosten musste, die Niederlage einzugestehen, und fast fühlte er so etwas wie Bewunderung für sie. Vielleicht war sie ja doch nicht so schwach, wie er angenommen hatte, sonst würde sie wahrscheinlich noch am Telefon mit ihrem Vater wüten und toben und hysterische Anfälle bekommen. Sich ihm zu stellen, nachdem er Zeuge der Blamage geworden war, konnte nicht leicht sein. Für niemanden, schon gar nicht für eine verwöhnte Prinzessin.

Sie blinzelte noch einmal, bevor sie ihn ansah. „Mein Vater – Scheich Ashar – hat mir erklärt, dass ich keine Wahl habe. Offensichtlich haben wir beide keine Wahl. Es scheint um sehr viel mehr als eine bloße Allianz zu gehen. Er sagt, dass, sollte diese Hochzeit nicht stattfinden, unsere beiden Familien das Recht auf den Thron verlieren. Somit würde dann nicht nur Al-Jirad ohne König dastehen.“

Ihm war das bereits klar gewesen, doch sie hätte es ihm nicht geglaubt, wenn er es ihr mitgeteilt hätte. Besser, dass ihr Vater das übernommen hatte. „Dann wäre das also geklärt. Keiner von uns kann der Hochzeit entkommen.“

Die Augen, mit denen sie ihn anblickte, waren ebenso leer wie die Stimme, mit der sie sprach. „Nicht, wenn mein Vater den Thron und meine Brüder nicht ihr Geburtsrecht verlieren sollen.“ Sie holte tief Luft, schien sich mit dem Atemzug aufzurichten und größer zu werden. Sie hob das Kinn, auch wenn noch immer ein feuchter Schimmer in ihren Augen lag. „Das werde ich meiner Familie natürlich nicht antun.“

„Natürlich nicht.“

„Es sieht aus, als gäbe es keinen Ausweg.“

Er sah ihr nach, wie sie den Raum verließ – mit geradem Rücken, den Kopf stolz erhoben, würdevoll und beherrscht, und er musste zugeben, dass Hochmut ihr stand. Sie war wieder ganz die dünkelhafte Prinzessin, sah man von der ungezähmten Haarpracht ab, die ihr frei und wild über den Rücken fiel. Haar, das sich wie Seide anfühlte. Er erinnerte sich, wie es auf seinem Arm gelegen hatte, spürte noch immer die süße Hitze ihrer Lippen, die weibliche Nachgiebigkeit ihres Körpers an seinem, und unwillkürlich entfuhr ihm ein knurrendes Stöhnen.

Trotz allen Protests und Widerstands … hinter der Fassade von Überheblichkeit und Selbstverliebtheit verbarg sich eine leidenschaftliche Frau. Es würde ihm großen Spaß bereiten, die Fassade einzureißen.

„Was ist denn mit dir passiert?“ Das Lachen in Rashids Frage war nicht zu überhören, als er mit den anderen beiden Freunden die Bibliothek betrat und die Striemen auf Zoltans Wange sah.

„Lass mich raten.“ Bahir grinste wissend. „Die Prinzessin.“

Kadar setzte sich auf die Schreibtischkante und studierte die Kratzer im Gesicht des Freundes genauer. „Kein Wunder, dass mein Feuerwerk sie nicht beeindruckt hat. Sie ist scheinbar selbst eines.“

Autor

Trish Morey
Im Alter von elf Jahren schrieb Trish ihre erste Story für einen Kinderbuch- Wettbewerb, in der sie die Geschichte eines Waisenmädchens erzählt, das auf einer Insel lebt. Dass ihr Roman nicht angenommen wurde, war ein schwerer Schlag für die junge Trish. Doch ihr Traum von einer Karriere als Schriftstellerin blieb....
Mehr erfahren