Julia Collection Band 201

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Thronfolger gesucht! Die männlichen Mitglieder der Herrscherfamilie von Sherdana ringen darum, ihr Land zu modernisieren. Doch nach einem alten Gesetz kann nur der Prinz zum König werden, der einen legitimen Erben vorweisen kann …

Miniserie von Cat Schield

WENN DU MICH SO SINNLICH KÜSST

Um die Zukunft seines Fürstentums zu sichern, soll Prinz Gabriel Alessandro die kühle Lady Olivia heiraten. Als ein dunkles Geheimnis aus seiner Vergangenheit ans Licht kommt, fürchtet er einen Skandal, doch zu Gabriels Überraschung hält Olivia zu ihm. Noch weiß er nicht, dass auch sie etwas zu verbergen hat …

SO HEISS BRENNT UNSER BEGEHREN

Normalerweise läuft Brooke keinem Mann hinterher. Und jetzt muss sie Nicolas Alessandro um die halbe Welt folgen, um ihm zu gestehen, dass sie schwanger ist! Aber auch er hat eine Überraschung für sie: Nic ist ein Prinz, und eine Bürgerliche wie Brooke ist natürlich nicht standesgemäß. Hat ihre Beziehung also keine Zukunft?

FÜR EINEN PRINZEN VIEL ZU SEXY

Die Pflicht ruft: Playboy-Prinz Christian Alessandro muss heiraten. Und ein Kind zeugen. Da erfährt er zufällig, dass er bereits Vater ist. Perfekt! Wenn er seine Ex Noelle Dubone heiratet, wird ihr gemeinsamer Sohn Thronfolger von Sherdana! Und was der Prinz will, das bekommt er auch. Meistens …


  • Erscheinungstag 17.08.2024
  • Bandnummer 201
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525954
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cat Schield

JULIA COLLECTION BAND 201

1. KAPITEL

„Sie ist die Richtige für dich“, sagte Christian Alessandro zu seinem Bruder Gabriel.

Die beiden Prinzen standen am Rande der Tanzfläche und beobachteten ihren Vater. Der Fürst von Sherdana wirbelte Gabriels Verlobte im Takt eines Walzers herum, während die Fürstin sich bemühte, ihre zierlichen Füße vor den großen des Premierministers in Sicherheit zu bringen.

„Natürlich ist sie das“, entgegnete Gabriel.

Lord Darcy, der Vater der Braut, hatte zugesagt, in Sherdana eine moderne Fabrikanlage zu bauen, was der Wirtschaft des kleinen Fürstentums den nötigen Aufschwung verleihen würde. Und seine Tochter, Lady Olivia Darcy, entsprach genau den Anforderungen an eine zukünftige Fürstin: Sie war von altem englischen Adel, schön, gebildet und bekannt für ihr soziales Engagement. In der Öffentlichkeit strahlte sie Würde und Wärme aus. Im Privatleben jedoch schien sie ständig auf der Hut zu sein und sich nie wirklich zu entspannen.

Zu Beginn ihrer Verlobungszeit hatte das Gabriel nicht gestört. Er wusste ja, dass er als Kronprinz nicht seinem Herzen folgen durfte, sondern das Wohl des Landes an die erste Stelle setzen musste. Im Übrigen hatte er die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass leidenschaftliche Liebe keineswegs unbedingt glücklich machte.

„Warum siehst du dann so grimmig aus, Gabriel?“, meinte sein Bruder.

Ja, warum? fragte sich Gabriel. Er mochte Olivia. Andererseits bedauerte er, dass es in seinem Privatleben zukünftig keine großen Gefühle mehr geben würde.

Die Hochzeitsvorbereitungen waren inzwischen ins entscheidende Stadium eingetreten, ohne dass Olivia auch nur eine theatralische Szene gemacht oder unrealistische Forderungen gestellt hatte. Dadurch unterschied sie sich grundlegend von Marissa, mit der Gabriel vor ein paar Jahren eine stürmische Affäre gehabt hatte.

Als Kronprinz war er ein begehrter Junggeselle. Im Laufe der Jahre hatten ihn viele schöne, interessante Frauen umschwärmt. Marissa war die hinreißendste von ihnen gewesen. Die Gesetze seines Landes schrieben ihm allerdings vor, eine Braut zu wählen, die entweder in Sherdana geboren oder von Adel war. Marissa hatte keine dieser Bedingungen erfüllt.

Ohne seine Verbitterung zu verbergen, meinte Gabriel zu seinem Bruder: „Würde es dir etwa gefallen, eine Frau zu heiraten, die du kaum kennst?“

Christian lachte. „Es hat Vorteile, der jüngste Sohn zu sein. Von mir erwartet niemand, dass ich eine Familie gründe.“

Gabriel wusste natürlich, dass keiner seiner Brüder ihn beneidete. Das war insofern gut, als dass er nicht befürchten musste, in einen Streit über die Erbfolge verwickelt zu werden. Christian betätigte sich auf dem Gebiet der internationalen Wirtschaft und interessierte sich nicht besonders für Politik. Nic lebte in den Vereinigten Staaten, wo er sich an der Entwicklung von Raketen beteiligte, mit denen irgendwann reiche Privatleute ins All fliegen würden.

„… heiß.“

„Heiß?“ Gabriel hatte nicht richtig zugehört. „Was ist heiß?“

„Nicht was, sondern wer.“ Christian betrachtete ihn stirnrunzelnd. „Deine Braut. Ich finde, du solltest dich ein bisschen mehr um sie bemühen. Es könnte spannend sein, sie besser kennenzulernen.“

Lady Olivia Darcy war sicher eine interessante Frau. Aber heiß? Gabriel hätte sie als gebildet, ernsthaft, elegant und hübsch beschrieben. Sie wirkte sehr feminin. Schlank, mit langen Beinen, hellem Teint und blauen Augen. Obwohl sich bekannte Modedesigner darum rissen, sie einzukleiden, war sie keineswegs ein Society-Püppchen, das die Tage mit Shoppen und die Nächte mit Feiern verbrachte. Stattdessen war sie im Vorstand verschiedener Wohltätigkeitsorganisationen aktiv. Ihre wichtigste Aufgabe sah sie darin, das Los benachteiligter Kinder zu verbessern. Sie würde gut ins Fürstenhaus von Sherdana passen.

„Du hast die zukünftige Fürstin gerade als heiß bezeichnet, Christian. Glaubst du, das würde Mutter gefallen?“

„Aber sicher! Ich bin ihr Nesthäkchen. Ihr gefällt alles, was ich tue.“

Gabriel, Nic und Christian waren Drillinge, und Letzterem war es bisher noch immer gelungen, Vorteile aus seiner Rolle als jüngster Sohn zu ziehen.

„Unsinn! Deine Dummheiten gefallen ihr durchaus nicht. Sie hat dir gegenüber lediglich ein schlechtes Gewissen, weil sie dich dem Kindermädchen überlassen musste, wenn sie sich um Nic und mich kümmerte.“

Ohne darauf einzugehen, nickte Christian in Richtung der Fürstin. „Mutter ist selbst heiß. Wie sonst hätte sie sich Vaters Aufmerksamkeit all die Jahre lang bewahren können?“

Da er nicht daran interessiert war, das Liebesleben seiner Eltern zu diskutieren, fragte Gabriel nur: „Suchst du Streit?“

„Nein. Es ist nur, dass sich Mutter auf Nic und mich stürzen wird, wenn du erst einmal unter der Haube bist.“

„Nic interessiert sich mehr für Raketentreibstoff als für Frauen. Und du hast ihr und der ganzen Welt unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass du noch lange Junggeselle bleiben willst.“

Seit dem Autounfall vor fünf Jahren hatte Christian sich verändert. Aus dem Partylöwen war ein zurückhaltender und manchmal zynischer Mann geworden. Das Hemd mit dem hohen Kragen verbarg die Brandnarben auf Arm, Schulter und Brust. Doch Gabriel wusste, dass die schlimmsten Narben unsichtbar waren. Christians Seele hatte Verletzungen davongetragen. Aber das zeigte sich nur, wenn er sich unbeobachtet glaubte oder wenn er – was selten vorkam – zu viel trank.

„Ich bin sicher“, fuhr Gabriel fort, „dass unsere Eltern die Hoffnung aufgegeben haben, einer von euch würde bald heiraten.“

„Mutter ist romantisch“, widersprach Christian.

„Aber auch realistisch.“

„Das wäre schön. Denn dann bliebe es dir überlassen, alle zukünftigen Prinzen von Sherdana zu zeugen. Und Nic und ich hätten unsere Ruhe.“

Gabriel verspürte einen Knoten im Magen, als er an die Zukunft dachte. Einen Moment lang beobachtete er seine Braut, die jetzt mit dem Premierminister tanzte. Obwohl sie den Mann anlächelte, wirkte sie unnahbar. Ganz anders als Marissa, die temperamentvoll, sinnlich und besitzergreifend gewesen war. Wehmütig dachte er an ihre gemeinsame Zeit in Paris zurück. Frühmorgens hatten sie sich oft wild und leidenschaftlich geliebt und dann vom Fenster aus zugeschaut, wie die Sonne aufging. Sie hatten Croissants geknabbert, starken Kaffee getrunken und …

„Durchlaucht?“

Überrascht stellte Gabriel fest, dass sein Privatsekretär neben ihm aufgetaucht war. Wie schaffte der Mann es nur immer, sich so unbemerkt zu nähern? Und warum standen Schweißperlen auf seiner Stirn? Im Allgemeinen war Stewart Barnes die Ruhe selbst.

Gabriel erschrak. „Probleme?“

Auch Christian sah alarmiert drein. „Ich kümmere mich darum“, bot er seinem Bruder an und wandte sich zur Tür.

„Nein danke, Prinz.“ Stewart trat Christian in den Weg und suchte dann Gabriels Blick, um ihm zu signalisieren, wie ernst die Angelegenheit war. „Durchlaucht, ein Anwalt mit einer äußerst dringenden Botschaft erwartet Sie. Ich weiß, der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig, aber …“

„Ein Anwalt?“

„Wie ist er in den Palast gekommen?“

Christian und Gabriel hatten gleichzeitig zu sprechen begonnen.

„Was könnte so wichtig sein?“

„Hat das nicht Zeit bis nach dem Ball?“

Stewart Barnes schaute von einem zum anderen, um sich dann noch einmal an den Kronprinzen zu wenden. „Er wollte mir nicht sagen, worum es geht. Aber der Name seiner Auftraggeberin hat mich veranlasst, Sie zu benachrichtigen.“

„Seine Auftraggeberin?“

„Marissa Somme.“

Der Name seiner ehemaligen Geliebten weckte heftige Emotionen in Gabriel. Im Grunde war er erstaunt, dass Marissa so lange gewartet hatte, ehe sie ihn kontaktierte. Vor fünf Monaten, als er sich offiziell verlobt hatte und die Medien voll von Berichten über dieses Ereignis gewesen waren, hatte er sich für eine Auseinandersetzung mit Marissa gewappnet. Sie neigte zu dramatischen Ausbrüchen und liebte es, große Szenen zu machen.

„Was will sie?“, murmelte Gabriel, während Christian leise fluchte. „Die Hochzeit darf auf keinen Fall gefährdet werden“, fuhr Gabriel fort. Die Zukunft seines Landes hing von der Übereinkunft ab, die er mit Lord Darcy getroffen hatte. Olivias Vater würde die Fabrik nur dann bauen lassen, wenn seine Tochter Prinzessin von Sherdana wurde. Marissa durfte die Hochzeit auf keinen Fall verhindern.

Gabriel schaute sich um. Hatte jemand beobachtet, wie er und Christian sich mit Stewart unterhielten? Oh nein, ausgerechnet Olivia schaute zu ihm her! Sie sah bezaubernd aus. Aber er hatte sie nicht ihrer Schönheit wegen ausgewählt, sondern weil er wusste, dass sein Volk sie lieben würde. Außerdem war sie klug, einfallsreich und hoffentlich in der Lage, Probleme zu erkennen und zu lösen. Eigenschaften, die die zukünftige Fürstin brauchen würde.

Sie stand jetzt am Rande der Tanzfläche und unterhielt sich mit dem Fürsten, seinem Vater, der lachte und dadurch jünger aussah als vor drei, vier Jahren. Damals hatten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Landes ihn so sehr niedergedrückt, dass er schließlich sogar krank geworden war. Deshalb hatte Gabriel im Laufe der letzten Jahre immer mehr Regierungsaufgaben übernommen.

Olivia lächelte, aber Gabriel spürte, dass Stewarts Auftauchen im Ballsaal sie beunruhigte. Und plötzlich fühlte er sich ihr sehr nahe. Das war seltsam, denn bisher waren sie einander stets freundlich, aber mit kühler Zurückhaltung begegnet. Unerwartet regte sich eine Hoffnung in ihm: Vielleicht würden sie doch mehr miteinander teilen als ihre Pflichten.

„Durchlaucht?“

Gabriel nickte Stewart Barnes zu und wandte sich dann an Christian: „Kümmerst du dich um Olivia, solange ich beschäftigt bin?“

„Du möchtest, dass ich sie ablenke?“

„Bitte entschuldige zumindest meine Abwesenheit. Ich komme so bald wie möglich zurück.“ Damit verließ er den Ballsaal, in dem festlich gekleidete Gäste aus dem In- und Ausland sich versammelt hatten, um Sherdanas Unabhängigkeit von Frankreich zu feiern.

Seit jenem Tag im Jahr 1664 hatte sich für das Fürstentum vieles geändert, doch nach wie vor war es ein Staat, dessen Wirtschaft von der Landwirtschaft abhängig war. Zwischen Frankreich und Italien gelegen, herrschte in Sherdana ein mediterranes Klima. Die Felder waren fruchtbar und die Weinberge von der Sonne verwöhnt. Doch im einundzwanzigsten Jahrhundert brauchte jeder Staat – und sei er noch so klein – auch eine technologische Kultur. Deshalb war es so wichtig, dass Lord Darcy die versprochene Fabrik wirklich baute. Eine moderne Wirtschaft war dringend notwendig, um den Menschen auch in Zukunft ein Leben ohne finanzielle Not zu ermöglichen. Das wusste Gabriel genau.

In Gedanken bei seinem Land und bei Marissa betrat er mit Stewart Barnes an seiner Seite den Grünen Salon, wo ihn ein blasser Mann mit Halbglatze erwartete.

„Guten Abend, Durchlaucht.“ Der Fremde verbeugte sich. „Bitte verzeihen Sie die Störung. Es handelt sich um eine wirklich dringende Angelegenheit.“

„Marissa Somme will mir Ärger machen, nicht wahr?“

Schockiert schüttelte der Anwalt den Kopf.

„Worum geht es dann? Sie hat eine Botschaft für mich?“

„Nun, ein bisschen komplizierter ist es schon …“

„Sie strapazieren meine Geduld.“

„Durchlaucht.“ Der Mann räusperte sich. „Marissa Somme ist tot.“

Im ersten Moment begriff Gabriel die Worte gar nicht. Dann wurde ihm kalt. Die lebenshungrige, wunderschöne, temperamentvolle Marissa war tot? „Was …“, stammelte er. „Wie …“

„Sie hatte Krebs.“

Obwohl er Marissa lange nicht gesehen hatte, war Gabriel zutiefst erschüttert. Sie war die erste Frau, die er je wirklich geliebt hatte. Die einzige Frau. Ihre Trennung vor mehr als vier Jahren war die schrecklichste, schmerzvollste Erfahrung seines Lebens gewesen. Nun brachen die alten Wunden wieder auf. Er würde Marissa nie wieder sehen, würde nie wieder ihr Lachen hören.

Warum hatte sie sich nicht bei ihm gemeldet? Er hätte alles in seiner Macht Stehende getan, um ihr zu helfen.

„Sie sind hier, um mich über ihren Tod zu informieren?“ Hatte sie ihn womöglich doch noch geliebt? Nein, das war unvorstellbar. Dann hätte sie doch früher versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen.

„Ich soll Ihnen etwas von ihr bringen.“

Gabriel runzelte die Stirn. Hatte Marissa den Anwalt beauftragt, irgendwelche Geschenke zurückzugeben, die er ihr gemacht hatte?

Ich bin damals so romantisch gewesen. So unerfahren. So töricht.

„Ich bringe Ihnen Ihre Töchter.“

„Meine Töchter?“, echote er. „Marissa und ich haben keine Kinder.“

„Ich fürchte, Sie täuschen sich, Durchlaucht. Es sind Zwillinge.“ Der Anwalt reichte ihm zwei Geburtsurkunden.

Gabriel bedeutete Stewart, dass er die Dokumente nehmen und prüfen solle.

Der Sekretär studierte die Papiere aufmerksam. „Die Mädchen tragen den Namen ihrer Mutter. Aber Miss Somme hat Sie als Vater angegeben, Durchlaucht.“

„Unmöglich. Wir waren immer vorsichtig.“ Vielleicht nicht vorsichtig genug? „Wie alt sind die beiden?“

„Zwei Jahre und elf Monate.“

Die Rechnung war einfach. Die Kinder mussten entstanden sein, als Marissa ihn einige Zeit nach ihrer Trennung in Venedig aufgesucht hatte, um ein letztes Mal zu versuchen, ihn zurückzuerobern. Er war zu schwach gewesen, um sie abzuweisen. Eine ganze Nacht lang hatten sie sich wie im Fieber geküsst, umarmt, geliebt. Erst im Morgengrauen hatte er sich an seine Pflicht gegenüber Sherdana erinnert. Er hatte Marissa erklärt, dass es endgültig aus sei zwischen ihnen.

Seitdem quälte ihn die Erinnerung an Marissas Verzweiflung. Sie hatte nie verstanden, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte und er in erster Linie seinem Land verpflichtet war.

Jetzt fragte er sich, wie er reagiert hätte, wenn er von der Schwangerschaft erfahren hätte. Hätte er ihr eine Villa in der Nähe des Palasts gekauft, um sie und die Kinder regelmäßig besuchen zu können? Nein, undenkbar. Nie hätte sie sich mit einem solchen Arrangement einverstanden erklärt.

„Es könnte ein Betrug sein“, stellte Stewart fest.

„Marissa neigte zu theatralischen Gesten. Aber sie hätte mich nie auf diese Art hintergangen.“

„Wir lassen einen DNA-Test machen“, bestimmte der Sekretär.

„Was soll bis dahin mit den Mädchen geschehen?“, meldete sich der Anwalt zu Wort.

„Wo sind sie?“ Gabriel brannte darauf, die Kinder zu sehen.

„Mit ihrem Kindermädchen in meinem Hotel.“

„Bringen Sie sie sofort her!“

„Denken Sie an die bevorstehende Hochzeit, Durchlaucht“, warnte Stewart. „Schon jetzt wimmelt es überall von Journalisten. Es ist gefährlich, die Kinder holen zu lassen.“

Ungeduldig musterte Gabriel seinen Sekretär. „Sie können zwei kleine Kinder nicht in den Palast holen, ohne dass die Presse davon erfährt?“

Stewart straffte die Schultern, genau, wie Gabriel erwartet hatte. „Durchlaucht!“ Dann wandte er sich dem Anwalt zu. „Gehen wir.“

Ich werde wohl zu meinen Gästen zurückkehren müssen, überlegte Gabriel unwillig. Viel lieber hätte er den Anwalt begleitet, um die Kinder so bald wie möglich zu sehen. Aber das war unmöglich. Man würde ihn auf dem Ball vermissen. Vermutlich tat man das bereits. Dennoch brauchte er ein paar Minuten, um sich zu fassen, also ging er in die Bibliothek, wo er seine Gedanken ordnen und seine Gefühle unter Kontrolle bringen konnte.

Wenig später kehrte er, entschlossen, sich von seiner charmantesten Seite zu zeigen, in den Ballsaal und zu seiner Verlobten zurück.

Olivia wunderte sich, als ihr Verlobter den Ball so eilig verließ. Irgendetwas musste geschehen sein. Etwas Unangenehmes, vermutlich. Würde Gabriel mit ihr darüber reden?

Es beunruhigte sie, dass sie den Prinzen, den sie doch in vier Wochen heiraten würde, so wenig kannte. Sicher, sie schlossen keine Liebesehe wie Prinz William und Kate. Trotzdem sah Olivia sich in gewisser Weise am Ziel ihrer Träume. Als kleines Kind hatte sie von einem Leben als Prinzessin geträumt. Als Teenager hatte sie beschlossen, realistisch zu sein. Als Studentin hatte sie begonnen, sich für benachteiligte Kinder einzusetzen.

Durch die Ehe mit Prinz Gabriel würde sie nun doch eine Prinzessin werden. Sie würde ihre Wohltätigkeitsarbeit fortsetzen können, aber auch eigene Kinder haben. Eine wunderbare Vorstellung! Wenn sie sich nur ihrem Bräutigam etwas näher gefühlt hätte …

„Bitte entschuldigen Sie mich, Durchlaucht“, wandte sie sich an den Fürsten. Und als er lächelnd nickte, wollte sie eilig den Ballsaal verlassen, um sich auf die Suche nach ihrem Verlobten zu machen.

Stattdessen stieß sie auf Prinz Christian. „Gefällt dir der Ball?“, fragte er freundlich.

„Sehr.“ Sie unterdrückte ein Seufzen. Offenbar war er entschlossen, sie aufzuhalten. Vermutlich hatte sein Bruder ihn darum gebeten.

Christian und Olivia kannten sich aus ihrer Studentenzeit in London. Obwohl er öfter auf Partys als an der Universität gesehen worden war, hatte Olivia doch bemerkt, wie intelligent er war.

„Ich habe gesehen, dass Barnes den Kronprinzen vom Ball weggeholt hat. Es ist hoffentlich nichts Schlimmes passiert?“

Christians Miene war undurchdringlich. „Gabriel musste sich um eine Angelegenheit kümmern, aber er wird bald zurück sein.“

„Ich fand, dass er ziemlich … ziemlich erschüttert wirkte.“ Ja, erschüttert war das richtige Wort. Und wenn er erschüttert war, bedeutete das, dass er etwas Wichtiges vor ihr verbarg. Anscheinend war sie nicht die Einzige mit Geheimnissen.

Obwohl Gabriel schon vor Monaten begonnen hatte, mit ihrem Vater wegen der Heirat zu verhandeln, hatte Olivia kaum Gelegenheit gehabt, ihren zukünftigen Ehemann besser kennenzulernen. Selbst in den letzten Tagen, die sie im fürstlichen Palast von Sherdana verbracht hatte, war sie Gabriel praktisch nur bei offiziellen Anlässen begegnet. Einmal hatte er mit ihr einen kurzen Spaziergang im Palastgarten gemacht. Leider waren sie schon nach ein paar Minuten auf den sehr schmutzigen Ungarischen Jagdhund der Fürstin gestoßen, der Gabriel so mit Schlamm bespritzt hatte, dass sie zum Umkleiden in den Palast zurückgekehrt waren.

Auf dem Rückweg hatte Gabriel ihr ein Kompliment zu ihrem Geschick im Umgang mit Hunden gemacht. Ein anderes Mal hatte er sich lobend über ihr hübsches Kleid geäußert. Und während des Balls hatte er gesagt, sie sei eine großartige Tänzerin. Immer hatte er sich so verhalten, wie man es von einem Prinzen erwartete. Höflich, galant, weltgewandt. Und sie hatte sich benommen wie die Tochter eines Earls, die sich der Ehre bewusst war, bald in den Stand einer Prinzessin erhoben zu werden.

Aber sie war auch eine ganz normale Frau, die sich danach sehnte, einen ganz normalen Mann zu heiraten! Warum war Gabriel so distanziert? Was erwartete er von ihr? Würde sie seine Partnerin im Politischen wie im Privaten sein? Oder suchte er nur nach einer Gattin, die repräsentative Aufgaben übernehmen konnte und deren Mitgift sein Land wirtschaftlich stärkte?

Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er seine Rolle als zukünftiger Fürst von Sherdana sehr ernst nahm. Die Treue zu seinem Land und die zu seinem Volk standen für ihn an erster Stelle.

Sein Bruder Christian war ganz anders. Er gab sich gerade große Mühe, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Doch als Gabriel den Ballsaal betrat, spürte Olivia es sofort. Sie wandte sich um, entdeckte ihn und betrachtete ihn fasziniert. Athletisch gebaut, mit dunklem Haar und einem markanten männlichen Gesicht, fiel er überall auf. In seiner festlichen Kleidung sah er umwerfend aus. Orden schmückten seine Brust, und die blaue Schärpe ließ ihn geradezu majestätisch wirken.

„Bitte verzeih mir, dass ich dich vernachlässigt habe“, sagte er, als er zu ihr trat, nach ihrer Hand griff und sie an die Lippen zog. „Ich hoffe, Christian hat dich gut unterhalten.“

„Er hat mir ein paar interessante Informationen über eure Gäste gegeben.“

Offenbar beunruhigt wandte sich Gabriel an seinen Bruder. „Was hast du ihr erzählt?“

„Dinge, die sie als Prinzessin von Sherdana wissen sollte, die ihr aber bestimmt niemand außer mir verraten hätte.“

„Um dem Land und mir zur Seite zu stehen, braucht sie deine Klatschgeschichten nicht.“

Olivia sank das Herz. Was Gabriel zum Ausdruck bringen wollte, war eindeutig: Er beabsichtigte nicht, politische Probleme mit ihr zu erörtern.

„Sie ist viel klüger, als du denkst“, stellte Christian fest. „Sie könnte dir eine gute Beraterin sein.“

„Danke für den Hinweis.“ Gabriels Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass das Thema für ihn beendet war. Dann sagte er in einem ganz anderen Ton zu Olivia: „Ich weiß, dass du gern mehr von Sherdana sehen würdest. Vielleicht können wir nächste Wochen einmal einen Ausflug machen.“

„Das wäre wundervoll. Ich würde so gern die Weinberge besuchen.“

„Wir sind stolz auf unseren Wein.“

„Zu Recht!“ Sie lächelte. „Ich bin froh, dass diese Angelegenheit dich nicht zu lange aufgehalten hat.“

Verständnislos schaute er sie an.

„Ich habe beobachtet, wie dein Sekretär mit dir sprach“, erklärte sie. „Und Christian meinte, du müsstest dich um etwas kümmern.“

„Ein Missverständnis.“ Gabriel war sichtlich geübt darin, seine wahren Gefühle zu verbergen. „Wollen wir tanzen?“

Sie war müde, ihre Füße schmerzten, aber sie antwortete, wie es sich gehörte. „Gern.“

Das Orchester spielte schon wieder einen Walzer.

Als sie zu tanzen begannen, spürte Olivia deutlich die Wärme, die von Gabriels Hand ausging. Es war, als würden seine Finger auf ihrer Haut ein Feuer entzünden, das sich nach und nach in ihrem gesamten Körper ausbreitete.

„Heiratest du mich eigentlich nur, weil dein Vater dich dazu drängt?“, fragte er plötzlich.

Die Vorstellung war so absurd, dass Olivia beinahe gelacht hätte. Dann sagte sie: „Welches Mädchen würde nicht davon träumen, einen gut aussehenden Prinzen zu heiraten?“

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

Sie legte den Kopf in den Nacken, damit sie Gabriel in die Augen schauen konnte. „Niemand zwingt mich, deine Frau zu werden. Befürchtest du, ich könnte meine Entscheidung bereuen? Oder suchst du nach einem Grund, unsere Verlobung zu lösen?“

„Nichts davon“, versicherte er ihr. „Ich habe nur überlegt, ob du vielleicht ein anderes Leben vorziehen würdest.“

„Manchmal wünscht man sich, man hätte sich an einem bestimmten Punkt anders entschieden, nicht wahr? Aber wir alle müssen uns mit den Gegebenheiten arrangieren. Die einen kämpfen gegen die Armut. Andere verzichten auf ihre berufliche Karriere, um ganz für die Familie da zu sein. Und du …“ Sie gab ihrer Stimme einen mitfühlenden Ton. „Du tust, was nötig ist, damit die Menschen von Sherdana in Wohlstand leben können. Ich wiederum darf zuerst in die Rolle einer Prinzessin und dann in die der Fürstin schlüpfen.“

„Aber willst du das wirklich?“

Sie machte kein Hehl aus ihrer Überraschung. „Natürlich!“

Er wirkte nicht überzeugt. „Wir kennen uns so wenig. Es wäre schön, wenn wir das in den nächsten Tagen ändern könnten.“

„Warum fangen wir nicht sofort damit an? Was möchtest du über mich wissen?“

Er hob die Brauen. „Also gut. Beginnen wir mit einer einfachen Frage: Wie kommt es, dass du so gut Französisch und Italienisch sprichst?“

„Ich habe schon sehr früh Unterricht bekommen. Und man sagt, ich hätte eine Begabung für Sprachen.“

„Wie viele beherrscht du denn?“

„Sechs spreche ich einigermaßen fließend. Drei weitere verstehe ich zumindest ein bisschen.“

„Oh! Das wird ein echter Vorteil sein, wenn wir ausländische Würdenträger empfangen.“

Olivia wurde bewusst, dass sie nicht mehr oft in ihre Heimat zurückkehren würde. Zu ihren Freundinnen in London würde sie nur schriftlich oder telefonisch Kontakt halten können. Als Prinzessin von Sherdana war ihr Platz in Sherdana. Nur gut, dass ihr Vater sich oft hier aufhalten würde, weil er sich um die Fabrik kümmern musste.

„Du lächelst nicht viel, Olivia.“

„Ich lächele beinahe ständig.“

Gabriel musterte sie ganz genau. „Ja, dieses höfliche Lächeln. Ich dachte eher an ein glückliches.“

„Aber ich bin glücklich.“

„Hör bitte auf, immer das zu sagen, was ich deiner Meinung nach hören möchte. Das ist nicht das richtige Benehmen für eine Prinzessin und auch nicht das, was ich mir von meiner Frau wünsche.“

Sein Ausbruch überraschte sie. „Du gestattest mir, mit dir zu streiten, Prinz Gabriel?“

Er verzog das Gesicht. „Nur Gabriel!“

„Gabriel“, wiederholte sie.

„Olivia.“ Diesmal sprach er ihren Namen aus wie eine Liebkosung. „Ich wäre sehr glücklich, wenn du in mir nicht mehr den Prinzen, sondern den Mann sehen würdest.“

„Gern. Wenn du in mir nicht länger die Garantin wirtschaftlicher Vorteile, sondern die Frau siehst.“

Erstaunt musterte er ihr Gesicht. Hatte er gerade zum ersten Mal bemerkt, wer sich hinter der Maske der wohlerzogenen, gebildeten, adligen Engländerin verbarg? Er lächelte. „Mir scheint fast, ich habe dich unterschätzt.“

Sein Blick ließ ihr Herz schneller schlagen. Vielleicht würde ihre Ehe doch mehr als ein angenehmes und vernunftbetontes Zusammenleben werden. Ich habe nicht damit gerechnet, meinen Gatten aufregend zu finden. An Begierde, Lust und leidenschaftliche Stunden hatte sie tatsächlich nie gedacht. Zumal sie – da sie sehr behütet aufgewachsen war – bisher nichts davon kennengelernt hatte. Sie hatte sogar bezweifelt, dass sie dergleichen überhaupt empfinden könnte.

Aber da war sie: die Sehnsucht nach körperlicher Nähe, nach wilden Küssen und mehr. Vor Erleichterung und Freude wurde Olivia ganz schwindelig. Auf einmal sah sie die Zukunft in einem viel freundlicheren Licht.

2. KAPITEL

Olivia hatte sich mit einer Wärmflasche auf dem Sofa ausgestreckt. Während sie versuchte, die krampfartigen Schmerzen im Unterleib zu ignorieren, betrachtete sie die wunderschönen Stuckarbeiten an der Decke. Ihr Blick wanderte zum Fenster. Der cremefarbene Seidenvorhang blähte sich im nächtlichen Wind. Zu hören war nichts. Der Ball war vorbei, und es war sehr still im Palast.

Die ersten Schmerzen hatte Olivia kurz vor dem Ende des Fests verspürt. Bald darauf hatte sie sich zurückgezogen. Wie gut, dass sie nicht mehr so leiden musste wie noch vor einem Jahr! Damals hätte sie ein starkes Schmerzmittel nehmen müssen, um die Qualen ertragen zu können. Diese Zeiten waren dank einer Operation vorbei. Eine Prinzessin konnte es sich nicht leisten, öffentliche Auftritte abzusagen, weil sie unpässlich war.

Als wollte sich ihr Körper über ihren Optimismus lustig machen, meldete sich ein neuer Krampf. Sie kannte diese Schmerzen während der Regelblutung, seit sie fünfzehn Jahre alt war. Irgendwann hatte sie einen Arzt aufgesucht. Endometriose lautete die Diagnose. Yoga, Massagen, Akkupunktur und verschiedene Medikamente, darunter die Pille, sollten helfen und hatten zunächst tatsächlich zu einer Besserung geführt. Doch als Olivia Anfang zwanzig war, wurden die Schmerzen ebenso wie die Blutungen wieder heftiger. Um das Problem zu beseitigen, sagte man ihr, sei eine Operation nötig.

Olivia hatte lange gezögert, diesen Schritt zu tun. Mit ihrer Mutter konnte sie sich nicht beraten, denn die war bei ihrer Geburt gestorben. Es gab auch keine andere Frau, der sie genug Vertrauen entgegenbrachte. Bis sie Libby Marshall als Privatsekretärin einstellte. Vor ihr konnte Olivia ihre gesundheitlichen Probleme nicht geheim halten. Libby hatte sich Entschuldigungen einfallen lassen, wenn Olivia zu krank war, um Termine wahrzunehmen. Und auch bei Arztbesuchen hatte sie Olivia begleitet.

Vor etwa einem Jahr – Prinz Gabriel hatte gerade erste Verhandlungen mit ihrem Vater aufgenommen – hatte Olivia von dem Zusammenhang zwischen Endometriose und Unfruchtbarkeit erfahren. Ihr war sofort klar gewesen, dass ein zukünftiger Fürst niemals auf einen Erben verzichten würde. Wenn sie Gabriel heiraten wollte, musste sie sich also der Operation unterziehen, die der Arzt ihr schon vor Monaten vorgeschlagen hatte. Seit dem Eingriff hatte sie beinahe schmerzfrei gelebt.

Bis jetzt …

Entschlossen legte sie die Wärmflasche beiseite und erhob sich. Schluss mit dem Gegrübel! Sie brauchte frische Luft und Bewegung.

Das Ballkleid hatte sie längst abgelegt, aber unter dem eleganten Morgenmantel trug sie noch ihre Unterwäsche. Rasch schlüpfte sie in ein einfach geschnittenes Kleid und ein Paar bequeme Ballerinas. Dann trat sie hinaus auf den Flur.

Man hatte sie und ihren Vater in einem Flügel des Palasts untergebracht, der weit von den Gemächern der Fürstenfamilie entfernt lag. Sie schlich sich am Zimmer ihres Vaters vorbei, um die Treppe zu erreichen, die nach unten zum sogenannten Rosa Salon führte. Wie sie wusste, gab es dort einen Zugang zum Garten.

Als sie das schwach beleuchtete Treppenhaus vor sich sah, hörte sie zu ihrem Erstaunen eine Kinderstimme. Olivia blieb stehen, um zu lauschen. Ja, irgendwo im dritten Stockwerk des Palasts jammerte ein Kind. Oder waren es sogar zwei?

Ohne zu zögern, wandte Olivia sich nach oben statt nach unten. Das Jammern wurde immer lauter. Und dann ertönte eine Frauenstimme, die ärgerlich verlangte, das Geschrei müsse aufhören.

Olivia stieg die letzten Stufen hinauf und entdeckte zwei schattenhafte kleine Gestalten, die durch einen dunklen Flur auf sie zurannten. Besorgt und neugierig zugleich ging sie ihnen ein paar Schritte entgegen.

„Karina! Bethany! Kommt sofort zurück!“

Der Befehl bewirkte nur, dass die Kinder noch schneller liefen.

Womöglich würden sie die Treppe nicht rechtzeitig sehen und hinunterstürzen! Olivia kniete sich auf den Boden und breitete die Arme aus. Als die Kinder erkannten, dass ihr Fluchtweg blockiert war, blieben sie abrupt stehen. Plötzlich war es ganz still. Die beiden Mädchen fassten sich bei den Händen und starrten Olivia aus großen Augen an.

„Hallo!“ Sie schenkte ihnen ihr sanftestes Lächeln. „Wohin wollt ihr zwei denn mitten in der Nacht?“

„Ihr Mädchen macht nichts als Ärger!“ Die unablässig schimpfende Frau hatte Olivia offenbar noch nicht bemerkt. Sonst hätte sie sich wohl bemüht, etwas freundlicher zu sein.

Die Kinder warfen einen Blick hinter sich. Sie schienen sich vor der Frau zu fürchten und machten zögernd ein paar Schritte auf die Treppe zu. Nun waren sie Olivia so nah, dass sie sie trotz der Dunkelheit einigermaßen deutlich erkennen konnte. Im ersten Moment glaubte sie, doppelt zu sehen.

Die beiden kleinen Mädchen – sehr verängstigte kleine Mädchen – ähnelten einander wie ein Ei dem anderen. Sie trugen die gleiche Kleidung, hatten langes braunes Haar und dunkle Augen. Tränen rannen ihnen über die blassen Wangen.

Zwillinge, dachte Olivia. Am liebsten hätte sie die beiden in die Arme geschlossen, aber das hätte sie womöglich erschreckt. Olivia wusste viel über Kinder und besaß einen starken mütterlichen Instinkt, obwohl sie selbst ohne Mutter aufgewachsen war.

„Wenn ihr nicht lernt, euch zu benehmen, wird man euch hinauswerfen. Und dann habt ihr gar kein Zuhause mehr“, drohte die boshafte Frau, die den Kindern gefolgt war.

Die Mädchen suchten Schutz hinter Olivia und klammerten sich an ihren Rock.

Olivia funkelte die Fremde zornig an. „Das genügt“, befahl sie mit fester Stimme. „Mit solchen Drohungen darf man niemandem Angst einjagen, erst recht nicht kleinen Kindern.“

Ein hämisches Lachen war die Antwort. „Sie haben ja keine Ahnung, wie schrecklich die beiden sind.“

Die Frau konnte unmöglich die Mutter der Zwillinge sein. „Für wen arbeiten Sie?“, fragte Olivia streng.

„Ich passe auf die Mädchen auf“, war die ausweichende Antwort.

„Gut machen Sie das nicht“, meinte Olivia vorwurfsvoll und legte jedem der Kinder beruhigend eine Hand auf den Kopf. „Ich möchte wissen, wie die Eltern der Mädchen heißen.“

„Die Mutter ist tot.“ Nicht das geringste Mitgefühl sprach aus den Worten.

„Wie traurig …“, murmelte Olivia.

Ihr Gegenüber zuckte nur unbeeindruckt die Schultern.

„Mama ist im Himmel“, erklärte eines der Kinder.

Olivia hatte inzwischen eine heftige Abneigung gegen die fremde Frau entwickelt, die kein Herz zu haben schien. Ob der Vater der Zwillinge wusste, wie schlecht seine Töchter behandelt wurden? „Ich möchte mit dem Vater sprechen“, verkündete sie. „Wie heißt er, und wo finde ich ihn?“

Feindselig starrte die Frau Olivia an. „Keine Ahnung. Ein Anwalt hat mich vor einer Woche eingestellt, damit ich mich um die Kinder kümmere.“

„Sie sind gänzlich ungeeignet für diese Aufgabe.“

„Unsinn! Die beiden sind fürchterlich verwöhnt und schwierig. Um diese Zeit sollten sie längst schlafen.“ Sie streckte die Hände nach den Kindern aus. „Kommt endlich. Ab ins Bett!“

Die Mädchen klammerten sich noch fester an Olivias Rock, und eines sagte: „Geh weg! Ich mag dich nicht.“

Olivia war beim Tod ihrer Mutter zu jung gewesen, um den Verlust zu begreifen. Doch sie erinnerte sich deutlich an ihre einsame Kindheit. Das Herz tat ihr weh, wenn sie daran dachte, welch traurige Zeiten den Zwillingen bevorstanden. Sie wollte die Kinder in die Arme schließen und ihnen zur Seite stehen. Aber sie wusste zu wenig über die beiden, um sich einzumischen. Am besten würde es sein, dafür zu sorgen, dass eine im Palast beschäftigte mütterliche Frau sich vorübergehend um die Kleinen kümmerte. Die Mädchen brauchten Zuwendung und Schlaf.

Morgen, beschloss Olivia, werde ich versuchen herauszufinden, wer ihr Vater ist, und ihn darüber informieren, wie unfähig und boshaft sich das Kindermädchen verhält. „Ihr seid müde. Soll ich euch in euer Zimmer zurückbringen?“, schlug sie vor. „Ich sorge auch dafür, dass euch diese böse Frau nicht länger ängstigt.“

„Nein“, sagte die Kleine, die auch bisher geredet hatte. Die andere schüttelte nur den Kopf. „Ich will nicht zurück. Ich will bei dir bleiben.“

Da hat mich meine Hilfsbereitschaft ja in echte Schwierigkeiten gebracht. Aber wahrscheinlich schadet es niemandem, wenn die beiden eine Nacht bei mir verbringen. Mein Bett ist groß genug. Und morgen werde ich sie ihrem Vater übergeben.

„Ihr möchtet also, dass ich euch mitnehme zu mir?“

Zwei dunkelhaarige Köpfchen nickten.

„Das dürfen Sie nicht“, protestierte das Kindermädchen.

„Oh doch. Ich empfehle Ihnen, Ihre Sachen zu packen. Ich werde nachher jemanden zu Ihnen schicken, der Sie aus dem Plast begleitet.“ Olivia reichte jedem der Kinder eine Hand und wandte sich zur Treppe. Sobald sie mit den beiden wieder in ihrem Zimmer war, würde sie Libby bitten, sich um alles andere zu kümmern.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihr Ziel erreichten. Dort fanden sie zu Olivias Überraschung eine ihr vollkommen unbekannte Bedienstete vor, die damit beschäftigt schien, die Dinge auf dem Frisiertisch zu ordnen.

„Lady Darcy, ich habe nur ein bisschen aufgeräumt“, stieß das Hausmädchen hervor.

„Mitten in der Nacht?“

„Es brannte noch Licht. Ich dachte, Sie würden vielleicht etwas brauchen.“

Da sie vor den Zwillingen keine Szene machen wollte, musterte Olivia nur eingehend das Gesicht der Frau. Sie wollte sicher sein, sie wiederzuerkennen, falls sie später feststellen sollte, dass etwas nicht stimmte.

„Können Sie uns bitte aus der Küche zwei Becher mit warmer Milch holen?“

„Keine Milch“, befahl die redselige Kleine. „Eiscreme.“

Olivia fiel ein, dass das Kindermädchen die beiden als verwöhnt und schwierig bezeichnet hatte. Eiscreme mitten in der Nacht? Nun, es ist nicht meine Aufgabe, die Mädchen zu erziehen. Und zudem ist dies eine außergewöhnliche Situation. „Eiscreme, also“, sagte sie. „Mit Schokoladensoße?“

„Au ja!“

Olivia nickte der Bediensteten zu. „Zwei Mal Vanille-Eiscreme mit Schokoladensoße.“

„Sofort, Lady Darcy.“ Die Frau eilte aus dem Zimmer.

Olivia ließ sich aufs Sofa sinken und winkte die Kinder zu sich. „Ich heiße Olivia“, sagte sie freundlich lächelnd. „Und ihr?“

Die kleinen Mädchen hielten sich fest an den Händen und blieben unschlüssig mitten im Raum stehen. Ihre Augen wirkten riesengroß. Hier, wo das Licht besser war, fiel Olivia die unübersehbare Familienähnlichkeit der beiden zu den Alessandros auf. Kürzlich hatte sie Kinderfotos von Gabriel und seinen Geschwistern angeschaut. Die Zwillinge erinnerten sie an Gabriels Schwester Ariana.

Seltsam, Gabriel hatte nie erwähnt, dass er Verwandte mit Kindern im Alter der Mädchen hatte.

„Ich bin erst seit ein paar Tagen in Sherdana“, sagte sie zu ihren Schützlingen. „Und der Palast ist so groß, dass ich mich ein paar Mal verlaufen habe. Das hat mir ein bisschen Angst gemacht. Aber ich habe auch wundervolle Dinge entdeckt. Es gibt zum Beispiel eine Bibliothek, in der man Bücher mit schönen Geschichten findet. Mögt ihr Geschichten?“

Die beiden nickten.

„Als ich noch klein war, wollte ich immer Geschichten von Prinzessinnen hören. Soll ich euch eine erzählen?“

Auf zwei kleinen Gesichtern zeigte sich ein zaghaftes Lächeln.

„Es waren einmal zwei Prinzessinnen“, begann Olivia. „Sie hießen Karina und Bethany.“

„Das sind wir!“ Die Augen der Kinder leuchteten.

Gabriel ging ungeduldig in seinem Büro auf und ab. In der Hand hielt er das einzige Foto von Marissa, das er behalten hatte. Er brannte darauf, mehr über die Kinder zu hören. Wo blieb Stewart Barnes nur?

Zuvor hatte Gabriel sich mit Christian darüber beraten, was mit den Zwillingen passieren sollte. Sie waren zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen. Und schließlich war Christian nach Hause gegangen. Zwar besaß er eigene Räume im Palast, aber er zog es vor, in einer Wohnung in der Stadt zu leben.

Gabriel hatte den Verdacht, dass seine beiden Brüder lieber ihre Titel aufgeben würden, als die Pflichten zu erfüllen, die ihnen als Mitglieder der Fürstenfamilie zufielen. Die beiden kamen allerhöchstens zu kurzen Besuchen nach Hause. Nic hatte sich schon während seines Studiums entschlossen, in den USA zu bleiben. Und Christian war seiner Geschäfte wegen beinahe das ganze Jahr lang unterwegs.

Als Kinder hatten die Drillinge sich sehr nahe gestanden. Jetzt allerdings fühlte sich Gabriel oft sehr allein. Er hatte natürlich immer gewusst, dass er als Ältester eines Tages die Nachfolge seines Vaters antreten würde. Aber er hatte lange geglaubt, seine Brüder würden ihm dann zur Seite stehen.

Stewart kam zurück, als Gabriel das Foto gerade in den Umschlag zurücksteckte, in dem er es aufbewahrte. Es war drei Uhr nachts.

„Nun?“

„Sie sind vor mehreren Stunden in den Palast gebracht und im Kinderzimmer im Nordflügel untergebracht worden.“

Eine kluge Entscheidung, denn das Kinderzimmer lag weit entfernt von den Räumen, die die fürstliche Familie bewohnte.

„Haben Sie die Mädchen gesehen?“ Gabriel wollte wissen, ob die Zwillinge ihm ähnelten, fand es aber peinlich, danach zu fragen. Christian hatte ihn davor gewarnt, sich gefühlsmäßig an die Kinder zu binden, ehe nicht ein DNA-Test durchgeführt worden war. Gabriel allerdings war sich sicher, dass Marissa nicht gelogen hatte.

Stewart schüttelte den Kopf.

„Und warum nicht?“

Der Sekretär wirkte beunruhigt. „Anscheinend sind sie aus dem Nordflügel verschwunden.“

„Was soll das heißen? Der Anwalt hat doch eine Kinderfrau eingestellt. Sie sollte wissen, wo die Mädchen sind.“

„Sie ist ebenfalls verschwunden. Vor etwa einer Stunde hat einer der Wachposten sie aus dem Palast hinausbegleitet.“

„Hinausbegleitet? Wer hat das angeordnet?“

„Lady Darcys Privatsekretärin.“

Verwirrt fuhr sich Gabriel mit der Hand durchs Haar. Wie, um Himmels willen, war Miss Marshall in diese Geschichte hineingeraten? „Sie haben mit ihr gesprochen, nehme ich an?“

„Durchlaucht, es ist drei Uhr nachts.“

„Und zwei kleine Mädchen werden vermisst! Die Angelegenheit kann unmöglich bis morgen warten. Ich will sofort mit Lady Darcys Sekretärin sprechen.“

„Ich kümmere mich darum.“

Kaum fünf Minuten später war Stewart zurück. „Sie ist bei Lady Darcy. Mit den Zwillingen.“

Gabriel war schon an der Tür. Dass Olivia die Kinder seiner ehemaligen Geliebten noch vor ihm selbst kennenlernen würde, hatte er nicht erwartet. Zweifellos würde Olivia eine Menge unbequeme Fragen stellen. Das war unangenehm. Und auch irgendwie rätselhaft. War es denkbar, dass sie die Kinder aus einem bestimmten Grund zu sich hatte bringen lassen?

Als er an Olivias Tür klopfte, wurde sie beinahe sofort von einer elegant gekleideten Frau geöffnet, die erstaunt die Augen aufriss, als sie ihn erkannte.

„Ich suche nach zwei kleinen Mädchen, die eigentlich in ihren Betten im Kinderzimmer liegen sollten.“ Gabriel hätte sich am liebsten an Libby Marshall vorbeigedrängt. Doch er zwang sich zur Ruhe. „Ich habe gehört, dass die Kinder hier sind. Darf ich eintreten?“

„Selbstverständlich, Durchlaucht.“ Die Sekretärin wandte sich um. „Lady Darcy, Prinz Gabriel möchte Sie sprechen.“

„Allein“, fügte er hinzu, woraufhin Libby sich zurückzog.

Olivia saß auf dem Sofa und machte einen entspannten Eindruck. Sie trug ein schlichtes, knielanges Kleid, ihr Haar allerdings war so kunstvoll frisiert wie auf dem Ball. Das bedeutete wohl, dass sie noch nicht geschlafen hatte.

Unwillkürlich wanderte Gabriels Blick zu dem großen Bett hin. Zwei kleine Gestalten zeichneten sich unter der Decke ab.

„Verzeih, dass ich dich so spät noch störe. Wir vermissen zwei Kinder.“

„Bethany und Karina.“

Sie kannte also die Namen der beiden. Was sonst hatte sie herausgefunden?

„Was tun sie hier?“ Sein Ton war schärfer als beabsichtigt.

„Sie schlafen, nachdem sie eine Portion Eis gegessen haben.“ Olivias Lächeln wirkte sanft, aber entschlossen. „Die schreckliche Frau, die sich um sie kümmern sollte, hat ihnen Angst gemacht, und sie wollten nicht ins Kinderzimmer zurück. Also habe ich sie mit zu mir genommen.“

„Du hast sie mit Eiscreme bestochen?“

„Ihre Mutter ist vor ein paar Tagen gestorben. Fremde haben sie aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen und sie an einen Ort gebracht, der ihnen Furcht einflößend erscheinen muss. Ich finde, sie haben jeden Trost verdient, den man ihnen geben kann.“

„Das Kinderzimmer ist keineswegs Furcht einflößend.“

„Diese boshafte Frau hat es zu einem Ort des Schreckens gemacht.“

„Hast du sie deshalb aus dem Palast werfen lassen?“

Olivias Augen blitzten auf. „Du wirst nun wahrscheinlich sagen, dass ich kein Recht hatte, sie zu feuern. Aber sie erinnerte mich eher an eine böse Hexe als an ein verantwortungsbewusstes Kindermädchen.“

Sie sieht hinreißend aus, wenn sie wütend ist, dachte Gabriel, der spürte, wie sein eigener Zorn sich verflüchtigte. „Wie kommt es, dass du ihnen überhaupt begegnet bist?“, fragte er.

„Ich konnte nicht schlafen und wollte einen kleinen Spaziergang im Garten machen. Im Treppenhaus hörte ich, wie die Frau mit den Kindern schimpfte. Die beiden wollten vor ihr davonlaufen und … Also, ich würde wirklich gern mit dem Vater der Mädchen reden! Was hat er sich dabei gedacht, eine so ungeeignete Frau zu ihrer Beaufsichtigung einzustellen?“

„Die Situation ist etwas kompliziert.“

„Dann erklär sie mir!“

Den ganzen Abend über hatte Gabriel versucht, eine Strategie zu entwickeln. Er musste seinen Eltern, aber auch seiner Verlobten erläutern, was es mit den Zwillingen auf sich hatte. Aber er hatte gehofft, sich damit Zeit lassen zu können, bis das Ergebnis des DNA-Tests vorlag.

„Ein paar Dinge müssen noch geklärt werden“, sagte er.

Olivia musterte aufmerksam sein Gesicht. „Nämlich?“

Da sie sich um die Kinder gekümmert hatte, konnte er ihr unmöglich sagen, die Angelegenheit ginge sie nichts an.

„Sprichst du etwa von einem DNA-Test?“ Als sie seine Überraschung bemerkte, lachte sie. „Die beiden sehen genauso aus wie deine Schwester als kleines Mädchen.“

„Wirklich?“

„Das muss dir doch aufgefallen sein!“

„Ich habe sie noch nie gesehen.“ Sein Herz raste plötzlich, als er zum Bett hinüberging. Er brannte darauf, die Mädchen eingehend zu betrachten. Dennoch fiel ihm jeder Schritt schwer. Zwischen Angst und Hoffnung hin- und hergerissen, schaute er auf die friedlichen, unschuldigen Gesichter der schlafenden Kinder.

Marissa hat nicht gelogen!

Obwohl er sich dessen sicher gewesen war, verspürte er Erleichterung, als er erkannte, dass die Kinder wirklich Ebenbilder seiner Schwester waren. Sanft strich er den beiden mit den Fingerspitzen über die Wangen.

„Deine Töchter“, stellte Olivia fest. Ihre Stimme zitterte, doch ihre Miene verriet kein Gefühl. „Ich hatte gehofft, Christian wäre der Vater.“

„Ich wusste bis vor ein paar Stunden nichts von ihrer Existenz.“

„Ihre Mutter hat dich nie darüber informiert?“

„Wir sind im Streit auseinandergegangen. Und nun ist sie tot …“

„Du hast sie geliebt.“ Olivia, mit der er nie über Liebe geredet hatte, sagte es ganz ruhig.

„Wir waren eine Zeit lang zusammen. Aber das ist lange her.“

„Karina und Bethany sind nicht einmal drei Jahre alt. So lange kann eure Trennung also nicht zurückliegen.“

Er wusste, dass es schwer für sie sein musste, sich mit der Situation abzufinden. Die Medien würden sich auf die Geschichte stürzen. Und das so kurz vor der Hochzeit! Keiner Braut würde das gefallen!

„Am besten halten wir das alles geheim.“

„Unmöglich“, widersprach Olivia. „Du hast die Kinder in den Palast bringen lassen. Und nun wissen zu viele Menschen von ihnen.“

„Zumindest können wir die Veröffentlichung der Geschichte etwas hinauszögern.“

„Bis nach der Hochzeit, meinst du? Hast du Angst, mein Vater könnte seine Zusage zurückziehen? Das wird er nicht tun.“

„Und du?“

„Ich mag die beiden. Es sind zwei bezaubernde kleine Mädchen, auf die du stolz sein solltest.“

Ihre Augen verrieten ihm, dass sie jedes Wort ernst meinte. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Dennoch verstand er ihre Reaktion nicht. „Hast du … Wirst du …“, stammelte er.

„Prinz?“

„Gabriel“, korrigierte er sie amüsiert. „Es fehlt noch, dass du mich mit meinem Titel anredest, wenn wir zusammen im Bett sind.“

„Gabriel“, wiederholte sie leise. „Ich verspreche dir, dich niemals mit Prinz oder Durchlaucht anzusprechen, wenn wir … Liebe machen.“

Zum ersten Mal sah er die humorvolle Frau hinter der Fassade der kultivierten englischen Aristokratin. Warum hatte er nicht eher bemerkt, wie klug, charmant und schlagfertig sie war? Er musste wirklich mehr Zeit mit ihr verbringen!

„Mir ist gerade klar geworden, dass ich dich noch nicht geküsst habe“, sagte er, hob ihre Hand an die Lippen und küsste jede einzelne Fingerspitze.

„Du hast mich geküsst, als du mich gebeten hast, dich zu heiraten.“

„Hm, in Anwesenheit deines Vaters und aller möglichen anderen Leute. Deshalb war es nur ein Küsschen. Eigentlich hätte ich mir etwas anderes gewünscht.“

„Tatsächlich?“

Nie zuvor hatte sie mit ihm geflirtet. Dass sie es nun tat, gefiel ihm überraschend gut. Sanft legte er ihr die Finger unters Kinn und beugte sich zu ihr hinab.

Ihr stockte der Atem, als seine Lippen die ihren berührten – und das erregte ihn unglaublich. Unwillkürlich zog er sie fester an sich. Tief atmete er den süßen Duft ihres Haars ein. Dann wurde ihm klar, dass er sein Verlangen zügeln musste, wenn er nicht riskieren wollte, die Kontrolle zu verlieren.

Keine Frau außer Marissa hatte er je so heftig begehrt! Irgendetwas war mit ihm geschehen. Schon als er mit Olivia tanzte, hatte er gespürt, dass die Chemie zwischen ihnen sich veränderte. Aber nie hätte er erwartet, dass sie ihn so unwiderstehlich anziehen würde. Überhaupt hatte er nicht damit gerechnet, dass es in ihrer Ehe Leidenschaft geben würde. Olivia war ihm bisher immer so kühl und zurückhaltend erschienen. Wie hatte er sich so irren können?

„Wir sind nicht allein“, murmelte er und löste sich von ihr, obwohl es ihm unsagbar schwerfiel.

Sie warf einen kurzen Blick in Richtung der schlafenden Kinder. Und nickte.

Noch immer verwirrt über die Stärke seiner Gefühle, betrachtete Gabriel seine Braut. Er hatte nach einer Frau Ausschau gehalten, die das Fürstenhaus von Sherdana an seiner Seite repräsentieren und nachts sein Bett wärmen würde. Wärmen, nicht in Brand setzen!

„Ich möchte, dass die Mädchen hier schlafen“, sagte Olivia leise. „Morgen früh können sie ins Kinderzimmer umziehen. Es ist wichtig für sie, beim Aufwachen ein vertrautes Gesicht zu sehen.“

Ihr entschiedener Tonfall irritierte Gabriel ein wenig. „Dein vertrautes Gesicht?“

„Ich habe ihnen eine Gutenachtgeschichte erzählt und sie ins Bett gebracht. Sie kennen mich und werden sich freuen, mein freundliches Gesicht zu sehen.“

Da lächelte er. „Ein freundliches Gesicht hast du wirklich. Und ein schönes dazu.“

3. KAPITEL

Olivia verbrachte eine unruhige Nacht auf dem Sofa. Aber auch allein im Bett wäre es ihr wohl nicht besser ergangen.

So viel beschäftigte sie: die Zwillinge, die, wie sich herausgestellt hatte, Gabriels Töchter waren. Gabriels Kuss …

Hatte sie sich getäuscht, als sie glaubte, in seinen Augen Verlangen zu erkennen? Sie besaß wenig Erfahrung mit Männern. Oberflächliche Affären hatten sie nie interessiert. Und wenn da nicht dieses verwirrende Erlebnis in London gewesen wäre, hätte sie womöglich angenommen, sie sei unfähig, Leidenschaft zu empfinden.

Es war in ihrem ersten Jahr an der Universität gewesen. Sie hatte sich von einer Freundin überreden lassen, an einem Maskenball teilzunehmen. Dort ging es wild zu. Von Alkohol und Drogen enthemmt, hatten die Gäste getanzt, geflirtet und geknutscht. Als Olivia einen Moment lang nicht aufpasste, hatte ein maskierter junger Mann sie in eine Ecke gedrängt.

Sie wehrte sich, aber vergeblich. Es gelang ihm, ihr eine Hand unter den Rock zu schieben und seine ekelhaft feuchten Lippen auf ihren Mund zu pressen. Doch dann war sie plötzlich frei. Der aufdringliche Kerl lag mit blutiger Nase auf dem Boden, und vor ihr stand ein athletisch gebauter, maskierter Mann. Mit bebender Stimme dankte Olivia ihm.

„Sie gehören nicht hierher“, antwortete er mit einem leichten Akzent, der Olivia verriet, dass ihr Retter nicht in England aufgewachsen war. „Eine junge Dame wie Sie ist hier nicht sicher.“

Er hatte natürlich recht. Vor Scham errötete Olivia. „Eine Frau ist nirgends sicher“, erklärte sie, „wenn ein Mann ihr Nein nicht akzeptiert. Beim nächsten Mal sollte ich eine Pistole einstecken statt meines Lippenstifts.“ Während sie sprach, hielt sie nach ihrer Freundin Ausschau. Sie wollte nach Hause.

Der geheimnisvolle Unbekannte lächelte. „Es wäre besser, wenn es kein nächstes Mal gäbe.“

„Das stimmt“, seufzte sie. „Ich gehöre wirklich nicht hierher.“ Zum Glück hatte sie dann ihre Freundin entdeckt. Zeit, sich von ihrem Retter zu verabschieden. „Nochmals vielen Dank. Es war nett, Sie kennenzulernen. Schade, dass wir uns nicht unter anderen Umständen begegnet sind.“ Einem Impuls folgend, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte: „Mein Held.“

Plötzlich spürte sie seinen Mund auf ihrem. Ein Ruck wie ein elektrischer Schlag durchfuhr ihren Körper. Ihre Knie wurden weich. Sie musste sich an den Schultern des Fremden festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Er zog sie an sich und fuhr fort, sie zu küssen.

Es war ein wundervoller Kuss. Sanft und aufwühlend zugleich. Unvergesslich. Magisch.

Als sie jetzt daran zurückdachte, bereute sie wie jedes Mal, dass sie nie herausgefunden hatte, wer ihr Retter gewesen war.

Sie krauste die Stirn. Vermutlich war ihr Held ein ebenso wilder Draufgänger gewesen wie die anderen Gäste. Jemand, der nur kurzfristig sein Gewissen entdeckt hatte. Dennoch konnte sie ihn nicht vergessen. Selbst jetzt nicht, da sie im Begriff war, Gabriel zu heiraten.

Ich muss mich auf die Gegenwart konzentrieren, ermahnte sie sich.

Draußen wurde es langsam hell. Es war sinnlos, noch schlafen zu wollen. Also holte Olivia ihren Laptop, um noch einmal die Informationen aufzurufen, die sie im Netz über Sherdana und die fürstliche Familie gefunden hatte. Sie hatte natürlich Nachforschungen angestellt, als Gabriel in ihrem Leben aufgetaucht war. Bei ihrer Recherche hatte sie auch ein paar Zeitungsartikel über ihn und seine Freundin gefunden. Doch da das alles eine Weile zurücklag, hatte sie diesen Berichten keine besondere Bedeutung zugemessen.

Jetzt allerdings suchte sie gezielt nach allem, was mit seinem Liebesleben zu tun hatte. Offenbar war er ein paar Jahre lang mit dem Model Marissa Somme zusammen gewesen. Es gab einige Fotos von dem offensichtlich sehr verliebten Paar.

Wieso hatte sie dieser Affäre bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt? Man sah doch ganz deutlich, dass Gabriel verrückt war nach Marissa. Offenbar hatte man damals darüber spekuliert, ob der verliebte Prinz zugunsten eines seiner Brüder auf den Thron verzichten würde, um seinem Herzen folgen zu können.

Stattdessen hatte Gabriel sich von seiner Geliebten getrennt. Er hatte sich für Sherdana entschieden, und Marissa Somme war aus seinem Leben – und aus den Medien – verschwunden.

Olivia schloss ihren Laptop, als sie vom Bett her Geflüster hörte. Die Zwillinge waren erwacht. Lächelnd wandte sich Olivia zu den Kindern um, von denen allerdings nichts zu sehen war. Sie hatten sich unter die Decke verkrochen.

Einen Moment lang empfand Olivia Neid. Als Einzelkind hatte sie sich immer nach einer Schwester gesehnt, mit der sie ihre kleinen Geheimnisse hätte teilen können. Wenn ihre Mutter nicht gestorben wäre, hätte sie vielleicht Geschwister bekommen und wäre nicht so isoliert aufgewachsen. Nie hatte sie eine beste Freundin gehabt, denn sie war zu Hause erzogen worden, umgeben von Kindermädchen, Privatlehrerinnen und Dienstboten.

Auch deshalb hatte sie immer davon geträumt, selbst einmal eine große Familie zu haben. Ihrer Meinung nach brauchten Kinder Geschwister und gleichaltrige Spielgefährten. Sie alle würden durch den Palast toben und jeden Winkel mit ihrem Lachen erfüllen. Eine wunderschöne Vorstellung!

Olivia trat ans Bett und hob ganz langsam die Decke an. Die Kinder saßen sich im Schneidersitz gegenüber. Erschrocken darüber, dass jemand plötzlich die Decke fortzog, hielten sie sich an den Händen. Das Kichern war verstummt, die kleinen Gesichter waren ganz ernst. Dann erkannten die beiden sie, und ihre Augen leuchteten auf.

„Wer hat in meinem Bettchen geschlafen?“, neckte Olivia sie und brummte wie ein Bär. „Es sind zwei kleine Mädchen. Zwei leckere kleine Mädchen.“ Ein noch lauteres Brummen, und dann begann Olivia, die Kinder zu kitzeln.

Die quiekten und lachten. Nichts erinnerte mehr an ihr ängstliches Benehmen von der vergangenen Nacht.

Schließlich setzte sich Olivia auf die Bettkante. Bald würde Gabriel auftauchen, und die Mädchen mussten auf sein Erscheinen vorbereitet werden. Vermutlich würde er sie auch seinen Eltern vorstellen wollen.

„Heute werdet ihr eine Menge neuer Leute kennenlernen“, sagte sie.

„Gehen wir zu einer Party?“

Wenn diese Vorstellung beruhigend für die Kinder war, dann würde Olivia sie nicht zerstören. „Ja“, erklärte sie. „Eine Party mit vielen netten Menschen.“

„Eine Geburtstagsparty?“

„Nein.“

„Mami hat gesagt …“

Die Erwähnung ihrer Mutter rief den Zwillingen in Erinnerung, dass ihre Mami gestorben war. Karinas Unterlippe zitterte plötzlich.

„Ihr möchtet eine Geburtstagsparty feiern?“, fragte Olivia, um sie abzulenken. „Habt ihr bald Geburtstag? Wie alt seid ihr denn?“

Bethany hielt zwei Finger hoch.

„Ihr seid zu groß und zu klug, um erst zwei Jahre alt zu sein.“

„Ich bekomme ein Pony“, stellte Bethany fest.

„Ein Pony?“ Zweifelnd hob Olivia die Brauen.

„Ein Hündchen.“ Es war das erste Mal, dass Karina sich zu Wort meldete. Ihr Wunsch war sicherlich realistischer. Doch Bethany beharrte darauf, dass ihre Mami ihr ein Pony versprochen habe.

„Vielleicht gibt es hier im Stall ein Pony“, überlegte Olivia laut. Dabei kam sie sich ziemlich albern vor, weil es eigentlich nicht ihre Art war, auf jede noch so verrückte Idee eines Kindes einzugehen.

Bethany nickte zufrieden. „Ich will es anschauen. Gehen wir!“

„Ein Hündchen“, wiederholte Karina.

„Es ist zu früh, um zum Stall zu gehen“, erklärte Olivia. „Zuerst einmal müsst ihr euch waschen, die Zähne putzen, euch anziehen und frühstücken. Und irgendwann wollt ihr doch auch wieder in euer eigenes Zimmer.“

Karinas große grüne Augen füllten sich mit Tränen. Heftig schüttelte sie den Kopf.

„Die böse Frau ist fort“, beruhigte Olivia die Mädchen. „Von nun an werden sich sehr liebe Leute um euch kümmern.“

„Wir wollen hier bleiben“, verkündete Bethany in einem Ton, als sei sie nicht ein kleines Mädchen, sondern die Fürstin selbst.

„Ihr könnt nicht hier bleiben.“

„Warum nicht?“

„Weil dies mein Bett ist und ich selbst darin schlafen möchte.“

„Du kannst zusammen mit uns schlafen – so wie Mami.“

Da waren sie also wieder beim Thema Marissa angelangt. Besorgt beobachtete Olivia die Kinder. Würden sie zu weinen beginnen? Nein, denn zum Glück hatte Bethany gerade entdeckt, wie gut man auf der weichen Matratze hüpfen konnte. Übermütig begann sie zu hopsen. Und sofort tat Karina es ihr nach.

Im ersten Moment wollte Olivia schimpfen. Ein Bett war kein Trampolin. Doch stattdessen beobachtete sie amüsiert, wie schnell die Kinder sich an ihre neue Umgebung gewöhnten.

Würde sie selbst die anstehenden Herausforderungen ebenso gut bewältigen? Sie hatte sich entschieden, ihr Single-Dasein aufzugeben, um einen Prinzen zu heiraten. Sie war bereit, die Aufgaben einer Ehefrau und die einer Prinzessin zu erfüllen. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, so schnell auch Mutterpflichten übernehmen zu müssen. Nun, sie liebte Herausforderungen, und sie würde auch diese meistern. Verunsichert war sie nur, weil sie befürchtete, ihr Bräutigam könnte noch immer seiner früheren Geliebten nachtrauern.

Jemand klopfte.

„Ja, bitte?“

Es war Gabriel. „Guten Morgen! Schön, dass ihr schon wach seid.“

Hinter ihm tauchten mehrere Bedienstete auf, die Schüsseln und Platten trugen, von denen herrliche Düfte aufstiegen. Das Frühstück!

Die Zwillinge waren still geworden und starrten die fremden Menschen an.

Gabriel wiederum betrachtete nachdenklich seine Töchter.

Er denkt an Marissa, fuhr es Olivia durch den Kopf. Das Herz tat ihr weh. Entschlossen wandte sie sich an die Kinder. „Kommt her und begrüßt …“

„… euren Vater“, vollendete er den Satz.

„Das ist Bethany“, stellte Olivia ihm die Mädchen vor. „Und das ist Karina.“

Gabriel runzelte die Stirn. „Wie kannst du sie unterscheiden?“

„Bethany redet mehr.“

Im Moment allerdings schwiegen beide. Erst als Gabriel vor ihnen in die Hocke ging und sagte, er freue sich sehr, sie kennenzulernen, verloren die beiden ihre Scheu.

„Ich hab Hunger“, verkündete Bethany.

„Es gibt Pfannkuchen, Toast, Eier und …“, begann Gabriel aufzuzählen.

„Eiscreme“, verlangte Bethany.

„Nicht zum Frühstück.“

Olivias Augen blitzten amüsiert auf. Die Verwandlung war erstaunlich, stellte Gabriel fasziniert fest. Aus der kühlen Schönheit wurde eine hinreißende, lebendige, schelmisch dreinschauende Frau.

„Eis mit Schokoladensoße.“

Bethanys Forderung zwang Gabriel, den Blick von Olivia abzuwenden. „Vielleicht heute Mittag als Nachtisch“, sagte er zu seiner Tochter.

„Ich will Eiscreme!“

„Was haltet ihr von süßen Pfannkuchen?“, fragte er geduldig.

Beide Mädchen schüttelten den Kopf.

Autor

Cat Schield
<p>Cat Schield lebt gemeinsam mit ihrer Tochter, zwei Birma-Katzen und einem Dobermann in Minnesota, USA und ist die Gewinnerin des Romance Writers of America 2010 Golden Heart® für romantische Serienromane. Wenn sie nicht gerade neue romantisch-heiße Geschichten schreibt, trifft sie sie sich mit ihren Freunden um auf dem St. Croix...
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