Julia Collection Band 69

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ÜBER NACHT IM PARADIES von PARV, VALERIE
Voller Freude nimmt der smarte Baron Joaquin de Marigny die bildschöne Sarah in Empfang. Schließlich ist sie die rechtmäßige Thronfolgerin! Doch die bezaubernde Engländerin scheint von ihrem Glück gar nichts zu ahnen. Und ist zudem für Joaquin die reinste Versuchung …

EINE LIEBE FÜR EIN GANZES LEBEN von PARV, VALERIE
Carramer - das Paradies auf Erden! Doch Jacinta ist nicht zum Vergnügen auf der verträumten Südseeinsel, sondern wegen eines gefährlichen Jobs: Sie ist Mathiaz de Marignys Bodyguard. Er gehört zur Fürstenfamilie des Inselstaates - und ist der Mann, den sie heimlich liebt …

EIN FÜRSTLICHES ANGEBOT von PARV, VALERIE
Begeistert nimmt Carissa das Jobangebot von Eduard de Marigny an. Ihr großer Jugendschwarm ist jetzt der Regent des Fürstentums Carramer - und der einzige Mann, den sie wirklich liebt. Es gibt nur ein Problem: Carissa erwartet das Kind eines anderen …


  • Erscheinungstag 20.06.2014
  • Bandnummer 69
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703264
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Valerie Parv

JULIA COLLECTION BAND 69

Das Erbe der Carramer

MINISERIE VON VALERIE PARV

Über Nacht im Paradies

Ihre Reise ins Fürstentum Carramer war Sarahs Hauptgewinn in einem Radioquiz – und entpuppt sich bald als Falle! Angeblich ist sie die rechtmäßige Prinzessin, die nur den arroganten Herrscher heiraten muss, um auf den Thron zu kommen. Dabei hat sie ihr Herz doch an den Überbringer der Botschaft verloren – den umwerfenden Adligen Josquin de Marigny …

Eine Liebe für ein ganzes Leben

Bleibt das Verlagen zwischen Baron Mathiaz de Marigny und der schönen Jacinta auf der Insel Carramer wirklich unerfüllt? Nie weicht die hübsche Frau von der Seite des Barons, nie lässt sie ihn aus den Augen. Aber was stimmt mit ihr nicht? Die Leidenschaft des Barons wird durch Jacintas Geheimnis auf eine harte Probe gestellt …

Ein fürstliches Angebot

Diese Chance darf sich Eduard de Marigny einfach nicht entgehen lassen. Ohne ihre Schuld ist die junge Hotelmanagerin Carissa in Not geraten, und er kann der atemberaubenden Frau mit einem angemessenen Job helfen. So wäre sie immer in seiner Nähe! Allerdings scheint die Wunderbare etwas Wichtiges vor ihm zu verheimlichen …

PROLOG

Prinz Josquin de Marigny war sehr bemüht, seine innere Unruhe zu verbergen. Aber sein enger Freund Peter Dassel, der Vorsitzende des Carramer Business Konsortiums, flüsterte ihm ins Ohr: „Nachdem du die Preisverleihung hinter dir hast, überlegst du wohl, wie du dich rasch unauffällig aus dem Staub machen kannst?“

Der Empfang für herausragende Geschäftsleute hatte bereits die im Terminplan des Prinzen vorgesehene Zeitdauer überschritten, da die Preisträger zu ausführlichen Danksagungen neigten. Jetzt liefen sie im wunderschönen östlichen Salon des Chateau de Valmont herum und erfreuten sich an Kaffee, köstlichem Gebäck und der Gelegenheit, Kontakte zu ­knüpfen.

Josquin unterdrückte ein Seufzen: „Ich hatte gehofft, dass man mir das nicht anmerkt.“

Peter schüttelte den Kopf. „Außer mir hat das auch niemand bemerkt, Josh. Ich kenne dich eben schon sehr lange.“

Seit wir zusammen die Schulbank gedrückt haben, dachte Josquin. Als Sohn des australischen Botschafters im Fürstentum Carramer hatte Peter sich nicht von Josquins Titel einschüchtern lassen. Nachdem er den Prinzen zu einem Wettlauf herausgefordert hatte, waren die beiden die besten Freunde geworden. Josquin war hocherfreut, als Peter die Staatsbürgerschaft von Carramer angenommen hatte, und ihre Freundschaft hatte sich im Lauf der Jahre noch vertieft.

Peter grinste jetzt verständnisvoll und meinte mit leiser Stimme: „Ich hoffe, sie ist schön.“

„Wer?“

„Na, die Frau, wegen der du es so eilig hast, hier wegzukommen.“

„Woher weißt du denn, dass es um eine Frau geht?“

„Ich weiß es nicht, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Mensch Josh, du wirst nächsten Monat dreißig. Wird es da nicht langsam Zeit, eine Familie zu gründen?“

„Vielleicht gefällt es mir ja, mich nicht festzulegen.“

„Oder vielleicht bist du auch anspruchsvoller, als es dir gut tut!“

„Es ist dir doch hoffentlich klar, dass es an Hochverrat grenzt, so mit einem Mitglied der Fürstenfamilie zu sprechen.“

Peters Versuch, Erschrecken vorzutäuschen, war nicht sehr überzeugend. „Irgendjemand muss aber so mit dir sprechen. Dein Streben danach, das Land und das Vermögen deiner Familie zurückzugewinnen, ist ja sehr löblich, aber wenn das in diesem Tempo weitergeht, dann bist du vierzig, bevor du eine Frau an dich heranlässt.“

Josquin nickte einem der Preisträger freundlich zu, dachte dabei jedoch an den Zeitplan, den er für sich selbst aufgestellt hatte. Erst wenn er einer Frau mehr zu bieten hatte, wollte er sich auf eine Liebesbeziehung einlassen. „Heutzutage ist vierzig nicht zu alt, um zu heiraten.“

„Kommt ganz darauf an, ob du das Durchhaltevermögen haben möchtest, mit den zukünftigen kleinen Prinzen und Prinzessinnen mithalten zu können. Mir persönlich gefällt es besser, Kinder zu haben, solange ich noch jung genug bin, mit ihnen Spaß zu haben.“

Als Patenonkel von Peters dreijährigem Sohn und seiner einjährigen Tochter konnte Josquin ihm nur beipflichten. „Wir können eben nicht alle so viel Glück haben wie du.“

Peter lachte: „Spaß beiseite, Josh, ich hoffe wirklich, dass dir dein Stolz nicht im Wege steht, wenn du eines Tages die Richtige triffst.“

Peter wandte sich einem anderen Gast zu, der ihn angesprochen hatte. Josquin fühlte sich ganz bedrückt von seinen Worten. Für Peter war es leicht, so zu reden. Seine Eltern hatten nicht ihr gesamtes Vermögen verschleudert. Josquins Mutter Fleur, eine ehemalige Hofdame am Hof von Prinz Henry, dem Regenten der Provinz Valmont, hatte sich äußerst schnell an ihre Rolle als Prinzessin gewöhnt. Sein Vater Leon, der ihr nichts hatte abschlagen können, hatte sie gewähren lassen, und so hatte Fleur überall immense Rechnungen auflaufen lassen, als ob die fürstlichen Schatztruhen unerschöpflich wären. Schließlich hatte Leon sich gezwungen gesehen, den größten Teil seiner Ländereien zu verkaufen, um die Rechnungen zu begleichen.

Ohne die Unterstützung von Prinz Henry, der ihn wie einen Sohn behandelt hatte, hätte Josquin es schwer gehabt, seine Ausbildung abzuschließen. Dafür war Josquin ihm sehr dankbar. Prinz Henry hatte nicht die geringste Verpflichtung, Josquin zu fördern, denn sie waren keine Blutsverwandten. Aber Henrys eigener Sohn war mit Ende zwanzig gestorben, und Josquin hatte ein wenig dazu beigetragen, diese schmerzliche Lücke im Leben des Herrschers zu füllen.

Das volle Ausmaß des Leichtsinns seiner Eltern war Josquin erst mit dreiundzwanzig bewusst geworden, als sein Vater einem Herzanfall erlag und – abgesehen vom Familiensitz am Stadtrand der Hauptstadt Solano – fast nichts hinterlassen hatte. Schnell wurde Josquin klar, dass seine Mutter nicht alleine zurechtkam und von ihm erwartete, dass er alles für sie regelte.

Jahre harter Arbeit und sorgfältiger Planung waren nötig gewesen, bis Josquin ihre Finanzlage wieder einigermaßen in den Griff bekommen hatte. Sogar jetzt konnte man den Lebensstil seiner Mutter nicht gerade als sparsam bezeichnen, auch wenn sie sich bei ihm über ihre, wie sie es nannte, eingeschränkten Lebensumstände beklagte. Sie hatte keine Vorstellung davon, was es Josquin kostete, ihre Kleidung zu bezahlen, geschweige denn, ihren Haushalt in Solano aufrechtzuerhalten. Seine Mutter war kaum eine Werbung für die Ehe.

Seine Gedanken wandten sich wieder der Frau zu, die er – wie Peter richtig erraten hatte – nach diesem Termin treffen wollte. Er kannte sie gut genug, um sie in einer Menschenmenge sofort zu bemerken, kannte ihre Lebensgeschichte, ihre Gewohnheiten, ihren Lebensstil und ihren Geschmack bezüglich Kleidung und Essen. Erstaunlich, wenn man bedachte, dass er sie heute zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht treffen würde.

Sarah McInnes lautete der Name, unter dem sie in Amerika bekannt war. Josquin sah die Trägerin dieses Namens in Gedanken vor sich: eine bildschöne Frau von Mitte zwanzig, mit graugrünen Augen und langem haselnussbraunen Haar, das ihr in sanften Wellen auf die Schultern fiel. Josquin hatte inzwischen ausreichend viele Fotos von ihr gesehen, um zu vermuten, dass sie ihm bis ans Kinn reichen würde. Die Berichte besagten, dass sie nach dem College eine Tätigkeit als stellvertretende Geschäftsführerin in einer Galerie begonnen hatte.

Vor zwei Jahren hatte sie das Haus ihrer Eltern verlassen und lebte seitdem allein. Nicht ganz allein allerdings. Josquin runzelte sorgenvoll die Stirn, als er an das Baby dachte, das Sarah vor knapp einem Jahr zur Welt gebracht hatte. Es gab keinen Hinweis auf den Vater des Kindes, und Josquins Ermittler hatten ihn nicht ermitteln können.

Josquin fragte sich, was wohl den Bruch mit ihrer Familie verursacht hatte. Sarah war erst nach ihrem Auszug schwanger geworden, sodass das Baby nicht der Grund sein konnte.

Seit die Ermittler sie vor einigen Monaten ausfindig gemacht hatten, hatte Josquin Sarahs Entwicklung mit lebhaftem Interesse verfolgt. Sie faszinierte ihn immer mehr, und jeder neue Bericht machte ihn neugieriger darauf, sie endlich persönlich kennenzulernen.

Er sah auf seine Rolex. Wo blieb sein Diener, der den Auftrag hatte, ihn zu holen, wenn die Veranstaltung zu lange dauerte. Wie auf ein Stichwort erschien Gerard, näherte sich dem Prinzen und verkündete mit ehrerbietiger Verbeugung: „Eure Hoheit, Ihr nächster Besucher wartet.“

Nicht eine Sekunde zu früh, dachte Josquin. Zu Peter sagte er: „Entschuldige mich bitte, die Pflicht ruft.“

Peter senkte respektvoll den Kopf, aber Josquin hatte ein Funkeln in seinen Augen wahrgenommen. „Danke, dass Sie unsere Arbeit unterstützen, Eure Hoheit. Wir wissen das zu schätzen.“

Der Diener bahnte Josquin einen Weg durch die Menge. Als die Tür sich endlich hinter ihm geschlossen hatte, seufzte er erleichtert. Solche Veranstaltungen waren gut und wichtig für die Wirtschaft der Provinz, und Josquin als Prinz Henrys oberster Wirtschaftsberater unterstützte sie bereitwillig. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, die damit einhergehenden gesellschaftlichen Verpflichtungen todlangweilig zu finden.

Ganz im Gegensatz zu dem Treffen, das jetzt bevorstand.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er daran dachte, dass er Sarah jetzt endlich kennenlernen würde. Josquin wusste, wie schön sie war und wie sie lebte, aber er wollte wissen, wie sie wirklich war.

Doch der Gedanke an das, was danach kam, ernüchterte ihn schnell wieder. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, dass Prinz Henry nicht darauf bestanden hätte, dass er Sarah finden und nach Carramer bringen sollte. Nach allem, was der Prinz für ihn getan hatte, konnte Josquin sich nicht weigern. Doch wohl fühlte er sich bei diesem Auftrag nicht. Wie würde Sarah reagieren, wenn sie erfuhr, was Henry von ihr erwartete?

1. KAPITEL

Sarah McInnes ließ das missmutige Baby auf ihrer Hüfte sitzen. „Nicht mehr lange, mein Kleiner.“ Mit dem Fuß schob sie ihren Koffer vorwärts und warf einen gereizten Blick auf die sich langsam voranbewegende Schlange. Christophe war müde nach dem langen Flug, und sie konnte sehen, dass er kurz davor war, sich die Lunge aus dem Leib zu schreien.

Sie war undankbar, das war ihr klar. Schließlich würde sie einen der schönsten Inselstaaten dieser Welt zu Gesicht bekommen. Das verdankte sie dem Zufallsgenerator eines Radiosenders, der bei einem Gewinnspiel ihre Telefonnummer gewählt hatte. Wie konnte sie sich über irgendetwas ärgern angesichts des unglaublichen Glücks, einen solchen Preis gewonnen zu haben? Sie schob ihre Übellaunigkeit darauf, dass sie erschöpft war. Obwohl die Stewardessen sich rührend um Christophe gekümmert hatten, war er den ganzen Flug über sehr unruhig gewesen, sodass Sarah kaum zum Schlafen gekommen war.

Plötzlich bemerkte sie eine aufgeregte Aktivität am Abfertigungsschalter. Ein gut aussehender Mann sprach leise mit den Angestellten. Sarah fragte sich, wer dieser Mann wohl war, denn alle verhielten sich unverkennbar respektvoll.

Sie hatte ja den Männern abgeschworen, sogar solchen mit pechschwarzen Haaren und athletischem Körperbau. Sein Designeranzug war garantiert nicht von der Stange, nicht mit so breiten Schultern und der schmalen Taille. Für jemanden, der kein Interesse an Männern hatte, außer an dem reizenden Einjährigen auf ihrem Arm, schenkte sie den Vorgängen rund um diesen Mann erstaunlich viel Beachtung.

Da sie ohnehin warten musste, unterhielt Sarah sich damit, ihn weiter verstohlen zu beobachten. Sie schätzte ihn auf etwa dreißig. Als er schließlich wieder ging, fühlte sie sich irgendwie enttäuscht.

Sie erschrak, als sich ihr ein uniformierter Mann näherte und ihr die Hand auf die Schulter legte. „Kommen Sie bitte mit, Madame.“

In den Worten schwang ein Befehlston mit, und ihr Magen zog sich zusammen. Hatte sie beim Ausfüllen der Einreiseformulare einen Fehler gemacht?

Sie beschloss, ihren Platz in der Schlange nicht kampflos aufzugeben. „Ich bin sicher, dass Sie helfen wollen, aber ich bin schon fast am Schalter angelangt und möchte meinen Platz nicht verlassen, denn mein Baby ist schon jetzt übermüdet und quengelig.“

Wie um ihre Behauptung zu bestätigen, begann Christophe mit stetig zunehmender Lautstärke zu schreien. Der Soldat zuckte zusammen und sagte voller Mitgefühl: „Das Kind ist der Grund, warum wir Ihre Einreiseformalitäten beschleunigen möchten. Bitte kommen Sie mit mir.“

Da sie die Einzige in der Schlange mit einem Säugling war, hatte man wohl Mitleid mit ihr gehabt. Dagegen hatte sie nichts einzuwenden. Unter den neugierigen Blicken der anderen Reisenden erlaubte sie dem Soldaten, ihren Koffer zu nehmen, und folgte ihm zu einer Schwingtür, die er für sie aufhielt.

Sie stellte erleichtert fest, dass die Aktivität Christophe abgelenkt hatte. Die Tränen waren versiegt, und er sah sich neugierig um.

Bevor die Tür sich hinter ihnen schloss, sah sie, dass der Soldat draußen Stellung bezog – wollte er sie nicht hinaus- oder andere nicht hineinlassen? Dann fiel die Tür zu, und die Geräusche aus der Empfangshalle waren nicht mehr zu hören.

„Bitte kommen Sie herein, und nehmen Sie Platz.“

Der faszinierende Mann aus der Empfangshalle saß hinter einem massiven antiken Schreibtisch. Ein in Leder gebundener Ordner lag geöffnet vor ihm, und mit Schrecken stellte sie fest, dass ein Foto von ihr oben auf dem dicken Stapel Papiere lag. Nicht ihr Passfoto. Dieses hier zeigte sie mit Christophe im Park gegenüber ihrer Wohnung. Was hatte es hier zu suchen, und wie war dieser faszinierende Fremde in seinen Besitz gekommen?

Sie setzte sich auf den Rand des Ledersofas, das vor dem Schreibtisch stand, und hielt Christophe auf den Knien. „Würden Sie die Güte haben, mir zu erklären, was das alles be­deutet?“

„Zuerst muss ich einige Details überprüfen. Kann ich bitte Ihre Pässe sehen?“

Sie überreichte sie ihm. „Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Alles ist in Ordnung, seien Sie unbesorgt. Das hier dauert nur einen Moment.“

Trotz seiner beruhigenden Worte wuchsen ihre Befürchtungen, während er die Papiere durchsah. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Er war doch sehr freundlich. Das Bewusstsein, dass er aus der Nähe noch erheblich besser aussah als von Weitem, steigerte ihre Unruhe. Seine Augen waren blau mit goldenen Tupfen, wie ein stürmisches Meer, seine Haut war leicht gebräunt.

Da sie ihn so gründlich musterte, konnte sie sich wohl kaum darüber beklagen, dass auch er sie einer genauen Betrachtung unterzog. Wenn sie von der Sonderbehandlung nicht so verunsichert gewesen wäre, hätte sie sich geschmeichelt gefühlt.

„Ihr voller Name lautet Sarah Maureen McInnes und der ihres Sohnes Christophe Charles … McInnes?“

Sarah reagierte leicht gereizt auf den fragenden Ton in seiner Stimme. „Ich bin alleinerziehende Mutter, falls Sie das meinen“, antwortete sie.

„Ich überprüfe nur die Fakten. Eine Bewertung war keinesfalls beabsichtigt.“

Sofort bedauerte sie ihre übertriebene Rechtfertigung. „Ich bin müde, Christophe ist müde, wir haben einen langen Flug hinter uns“, erwiderte sie zu ihrer Verteidigung. „Ich würde gern wissen, was eigentlich los ist, Mr –“, sie sah auf das Namensschild auf dem Tisch: „Mr Sancerre.“

„Entschuldigen Sie, dass ich mich Ihnen nicht sofort vorgestellt habe. Mein Name ist Josquin de Marigny. Leon Sancerre, der Flughafendirektor, hat mir freundlicherweise gestattet, sein Büro zu benutzen.“

Etwas, das sie in der Touristenbroschüre gelesen hatte, fiel ihr ein. „De Marigny? Ist das nicht …?“

„Der Name des Fürstenhauses von Carramer“, ergänzte er.

Sarah war froh, dass sie schon saß. Kein Wunder, dass ihm gegenüber alle so respektvoll gewesen waren. Was zum Teufel bedeutete das? „Sind Sie der Fürst?“, fragte sie mit erstickter Stimme.

Er schüttelte den Kopf. „Der gegenwärtige Herrscher des Fürstentums Carramer ist Prinz Lorne de Marigny, mein Cousin. Ich selbst bin als Berater von Prinz Henry de Valmont tätig, dem Regenten der Provinz Valmont. Diesen Reisedokumenten zufolge ist Valmont ihr Zielort.“

Sie war so damit beschäftigt, ihrer Verwirrung Herr zu werden, dass sie die Einzelheiten gar nicht aufnehmen konnte. „Hören Sie, Mr …, das heißt, Eure Majestät, ich habe diese Reise nach Valmont in einem Gewinnspiel gewonnen, hatte also keinen Einfluss auf mein Reiseziel. Aber ich wüsste trotzdem gerne, was Sie von mir wollen.“

„Ah ja, das Gewinnspiel. Haben Sie sich nicht darüber gewundert, dass Sie so viel Glück hatten?“

„Wenn Sie seit zwei Jahren keinen Urlaub mehr hatten, ein Radiosender Sie anruft und Ihnen mitteilt, dass Sie eine Reise in ein märchenhaftes Fürstentum im Südpazifik gewonnen haben und wenn die Tickets dann wie versprochen in Ihrem Briefkasten liegen, schauen Sie dem geschenkten Gaul bestimmt nicht ins Maul.“

Sarah fühlte ihren Mut sinken: „Wollen Sie andeuten, dass ich nicht gewonnen habe? War das Ganze ein Trick? Haben Sie mich deswegen aus der Warteschlange herausgeholt?“

Er schüttelte den Kopf: „Sie haben recht, es gab kein Gewinnspiel. Ich habe arrangiert, dass Sie angerufen wurden, um Sie nach Carramer zu bringen.“

Christophe fest an sich gedrückt, stand sie auf, so enttäuscht, dass sie nun doch keine Reise gewonnen hatte, dass es ihr gleichgültig war, wen sie beleidigte. Prinz oder nicht, er hatte kein Recht, mit ihrem Leben zu spielen. „Ich verstehe nicht, was hier vorgeht, aber ich rufe jetzt die Polizei. Ich bin sicher, dass das gegen ein Gesetz verstößt, sogar in Carramer.“

Mit der Anmut und Schnelligkeit eines Leoparden war der Prinz an ihre Seite gesprungen und drängte sie, sich wieder hinzusetzen. Dieses Mal setzte er sich neben Sarah und legte seine Hand auf ihren Arm. „Hören Sie mir bitte erst zu, bevor Sie etwas unternehmen. Obwohl Ihnen die amerikanische Polizei hier in Carramer nicht viel nützen wird.“

„Bin ich als Gefangene hier?“

„Im Gegenteil! Sie gehören genauso hierher wie ich.“

Sie hatte das Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen entglitt. Von diesem Augenblick hatte sie seit fast zwei Jahren geträumt, jetzt fürchtete sie sich davor: „Wissen Sie, wer ich bin?“

In der langen Pause, bevor er antwortete, fing ihr Herz heftig zu klopfen an. „Ich denke ja.“

Vor lauter Anspannung konnte Sarah kaum atmen. „Sagen Sie es mir“, flehte sie ihn mit heiserer Stimme an.

„Meine Nachforschungen haben ergeben, dass Sie eine Bürgerin von Carramer sind.“

„Heißt das, ich bin hier geboren?“

„Nein, geboren sind Sie in Amerika.“

„Und wie kann ich …“

„Einige Einzelheiten bedürfen noch der Bestätigung, aber ich bin jetzt schon sicher, dass ich die richtige Frau gefunden habe.“

„Die richtige Frau wofür?“ Sie war zwar nicht diejenige, als die sie aufgewachsen war, die Tochter von James McInnes, dem kalifornischen Immobilienmakler, und seiner Frau Rose, der Künstlerin, aber dass sie aus Carramer stammen sollte, glaubte sie auch nicht.

„Sie wissen, dass Sie kurz nach Ihrer Geburt adoptiert wurden?“, erkundigte sich der Prinz.

Mit erstickter Stimme flüsterte sie: „Bei einer Blutuntersuchung vor zwei Jahren habe ich es herausgefunden. Im Krankenhaus sagte man mir, dass ich unmöglich das Kind meines Vaters sein könne. Zuerst dachte ich, meine Mutter habe eine Affäre gehabt, bis ich entdeckte, dass ich auch nicht zu ihr gehöre.“

„Und niemand hat Sie über die genauen Umstände Ihrer Geburt aufgeklärt?“

Sarah schüttelte den Kopf. „Sie wollten nicht, dass ich etwas von der Adoption erfuhr. Als ich es herausfand und nach meinen leiblichen Eltern suchen wollte, weigerte James sich, mir zu helfen. Er meinte, ich solle die Vergangenheit ruhen lassen. Haben Sie eine Ahnung, was diese Vergangenheit sein könnte?“

Wieder nickte der Prinz. „Was ich Ihnen zu sagen habe, könnte etwas länger dauern, und ich würde eine passendere Umgebung vorziehen.“

„Warum können Sie es mir nicht jetzt sagen? Christophe muss gefüttert und gewickelt werden, und dann muss er schlafen.“ Ganz zu schweigen davon, dass sie selbst auch Ruhe brauchte. Die Aussicht, vielleicht etwas über ihre Herkunft zu erfahren, hatte kurzfristig ihre Müdigkeit vertrieben, aber die würde wiederkommen.

„Dann werde ich Sie zu Ihrer Unterkunft begleiten. Wir können unser Gespräch fortsetzen, nachdem Sie Ihren Sohn versorgt haben.“

Sarah dachte an den Unterschied zwischen seinem Leben als Prinz und ihrem als alleinerziehender Mutter. „Machen Sie sich auf einen Kulturschock gefasst!“

Amüsiert meinte er: „Prinz Lorne hat zwei kleine Kinder, genau wie sein Bruder Michel und seine Schwester, Prinzessin Adrienne. Ich habe also reichlich Erfahrung im Umgang mit Babys.“

Während Prinz Josquin telefonierte, um einen Wagen kommen zu lassen, beobachtete Sarah ihn fasziniert. Ganz offensichtlich war er an seine Machtposition gewöhnt. Das merkte man an der entspannten Art, wie er Anweisungen gab. Angesichts der Tatsache, dass sie sich ihrer Position im Leben überhaupt nicht mehr sicher war, nachdem sie erfahren hatte, dass sie ein Adoptivkind war, beneidete sie den Prinzen um seine Selbstsicherheit.

Sie bemerkte den Blick, mit dem er sie während seines Telefonats musterte. Faszination und etwas anderes, erheblich Beunruhigenderes steckte darin, ein Feuer, das sie das letzte Mal in den Augen eines Mannes in der Nacht gesehen hatte, in der Christophe gezeugt wurde. Sie fummelte an Christophes Kleidung herum, weil sie nicht wollte, dass Josquin bemerkte, wie sehr er sie mit diesem Blick durcheinandergebracht hatte.

Er kannte sie kaum. Doch da war dieser prall gefüllte Ordner – er musste viel mehr über sie wissen, als sie über ihn. Mehr als sie selbst über sich wusste.

Sie war siebenundzwanzig und Waage, ihr Geburtstag war der neunundzwanzigste September soweit ihr bekannt war. Konnte sie denn überhaupt noch irgendetwas als gesichert annehmen, von dem, was man ihr über sie selbst erzählt hatte?

Innerlich fühlte sie sich immer noch als dieselbe Person. Immer noch war sie stur und kämpferisch, eine Frau, die auf alle Fälle das hielt, was sie versprach.

Sarah zitterte. In diesem Moment fühlte sie sich noch verlorener als damals, als sie von ihrer Adoption erfahren hatte. Der Prinz hatte nicht das Recht, ihr diese für sie so wichtigen Informationen noch länger vorzuenthalten. Aber da sie das Gefühl hatte, dass er kein Mann war, der sich hetzen ließ, versuchte sie ihre Ungeduld zu beherrschen.

Josquin öffnete die Tür, um sie zum Wagen zu geleiten. Auf seine leichte Geste hin erschien sofort ein Gepäckträger, der ihren Koffer nahm und damit verschwand. Sarah sah ihm beklommen hinterher, denn ihr wurde klar, dass sie sich und ihr Kind jetzt völlig in die Hände des Prinzen begeben hatte.

Christophe war inzwischen eingeschlafen und wachte auch nicht auf, als sie das Flughafengebäude verließen. Er schlief mit dem Kopf auf ihrer Schulter, den Daumen im Mund, und sie hoffte, dass er nicht aufwachen würde, bevor sie ihre Unterkunft erreichten.

„Sie haben sehr viel Mühe aufgewandt, um mich hierher zu holen. Ich muss ja sehr wichtig sein“, versuchte sie leichthin zu sagen, was ihr aber nicht gelang. „Warum mussten Sie mich nach Carramer locken, um mit mir zu sprechen?“

„Weil wir nicht mehr viel Zeit haben.“

„Sie machen mich verrückt, ist Ihnen das klar?“

Er lächelte: „Ich kann nicht sagen, dass es mir missfällt, diese Wirkung auf eine so schöne Frau zu haben. Hier ist unser Wagen.“

Erstaunt stellte sie fest, dass ein Chauffeur die Tür zu einer schwarzen Stretch-Limousine für sie aufhielt. Auf der Haube flatterte die fürstliche Standarte. Das würde einiges Aufsehen erregen, wenn dieser Wagen vor ihrem Wohnblock in Nord-Hollywood vorfahren würde! Sie musste lächeln.

Der Prinz sah sie neugierig an: „Was amüsiert Sie so?“

„Ich habe mir gerade vorgestellt, wie die Reaktion zu Hause wäre, wenn ich darin angefahren käme. Für Sie ist das ganz normal, nehme ich an.“

Sein Blick verweilte auf ihrem Gesicht. „Nicht so normal, dass ich mich nicht durch Ihre Augen daran erfreuen kann.“

Sie machte es sich auf den Lederpolstern bequem. Ein Kindersitz war auch vorhanden, ein weiterer Beweis dafür, wie gründlich der Prinz auf ihre Ankunft vorbereitet war. Sie schaffte es, Christophe hineinzusetzen, ohne ihn aufzuwecken.

Im Innenraum gab es einen Fernseher und eine gut ausgestattete Bar. Als der Wagen das Flughafengelände verließ, öffnete der Prinz eine Flasche französischen Champagner und füllte zwei Sektkelche damit. Er reichte ihr ein Glas und sagte: „Auf Ihre sichere Ankunft!“

Sarah trank, um ihre Nerven zu beruhigen, denn sie fühlte sich alles andere als sicher. Es dämmerte ihr, dass sie sich dazu überreden lassen hatte, mit einem völlig Fremden in ein Auto einzusteigen – genau die Situation, vor der ihre Eltern sie immer gewarnt hatten.

Sie hatten immer gewollt, dass sie perfekt war. Perfektion war für James McInnes das Allerwichtigste, beruflich und auch privat. Sarah war sich sicher, dass er ihr nichts von ihrer Adoption erzählt hatte, weil er das als ein Manko ansah. Ihren Wunsch, ihre leiblichen Eltern zu suchen, hatte er vermutlich als Kritik an sich selbst als Vater betrachtet. Er weigerte sich anzuerkennen, dass es dabei nicht um ihn und Rose ging, sondern um Sarah und ihre Bedürfnisse.

Schwanger zu werden, hatte nicht in Sarahs Absicht gelegen. Sie hatte sich von ihren Adoptiveltern so im Stich gelassen gefühlt, dass sie bei ihrem Jugendfreund Jon Harrington Trost gesucht hatte. Keiner von beiden hatte erwartet, dass aus Mitgefühl Leidenschaft werden würde.

Was für eine Kombination. Sie hätte nicht sagen können, wer von ihnen unerfahrener war, sie selbst, die kleine Miss Perfekt, oder Jon, der zukünftige Priester. Die Unerfahrenheit hatte sie aber nicht davon abgehalten, ein Kind zu zeugen. Liebevoll betrachtete sie das schlafende Baby. Christophe war das Kostbarste in ihrem Leben, der einzige Mensch, zu dem sie wirklich gehörte.

Jon hatte nie erfahren, dass er Vater geworden war, und würde es auch nie erfahren. Wenn er es wüsste, hätte er darauf bestanden, die Verantwortung zu übernehmen, sie sogar zu heiraten, wenn sie es gewollt hätte. Aber er hatte von jeher davon geträumt, Priester zu werden, und sie war fest entschlossen, ihm diesen Traum nicht kaputtzumachen.

Bald nachdem sie entdeckt hatte, dass sie schwanger war, war Jon ins Priesterseminar eingetreten, und seitdem hatten ihre Kontakte sich auf Briefe beschränkt. In seinem letzten Brief hatte er ihr mitgeteilt, dass er zur Missionsstation seines Ordens in Südamerika versetzt wurde. Wenn Christophe alt genug war, würde sie ihm von seinem Vater erzählen und dafür sorgen, dass er verstand, was für ein besonderer Mann Jon war.

Sie hatte sich eine Wohnung gesucht und hatte während und nach der Schwangerschaft von dem Treuhandvermögen gelebt, dass ihr ihre Großmutter mütterlicherseits hinterlassen hatte. Sie und ihre Großmutter hatten sich sehr geliebt, und sie war froh, dass die Großmutter gestorben war, ohne zu erfahren, dass sie nicht blutsverwandt waren. Sarah hatte, seit sie ausgezogen war, keinen Kontakt mehr zu ihren Adoptiveltern gehabt, und fragte sich mit leichter Bitterkeit, ob es ihnen so wohl lieber war.

Sie nippte an ihrem Champagner und kam sich ziemlich albern dabei vor, sich darüber Sorgen zu machen, was James und Rose jetzt von ihr denken würden. Sie hatte sie doch nicht einmal über ihre Schwangerschaft informiert. Jedenfalls war der Mann neben ihr kein Wildfremder. Am Flughafen war er von den Angestellten mit „Eure Hoheit“ angesprochen worden, und diese Limousine stand mit Sicherheit nicht jedem zur Verfügung. „Mir fällt gerade ein, dass ich mir Ihren Ausweis hätte zeigen lassen sollen“, sagte sie.

„Tuts auch mein Führerschein?“, schmunzelte der Prinz.

„Ich wusste nicht, dass Prinzen auch Führerscheine be­sitzen.“

Seufzend – dieses Gespräch hatte er wohl schon öfter geführt – erwiderte er: „Wir ziehen unsere Hosen mit einem Bein nach dem anderen an, genau wie alle anderen auch.“

Denk nicht mal daran, ermahnte sie sich selbst, denn sofort hatte sie den Prinzen beim morgendlichen Ankleiden vor ihrem inneren Auge gesehen. Er war nur ein Mittel zum Zweck, er würde ihr helfen herauszufinden, wer sie war. Nachdem er ihr mitgeteilt hatte, was er über ihre Herkunft wusste, würden ihre Wege sich vielleicht nie wieder kreuzen.

Merkwürdig, wie dieser Gedanke sie enttäuschte, obwohl er durchaus realistisch war. Schließlich war er ein Mitglied der Fürstenfamilie von Carramer. Sobald er seine Pflicht ihr gegenüber erfüllt hatte, gab es keine Veranlassung mehr für ihn, sich weiter um sie zu kümmern. Sie konnte seine Enthüllungen kaum erwarten. Sie hatte eigentlich nie angenommen, dass ihre Wurzeln außerhalb Amerikas lagen.

„Warum sind Sie so interessiert an mir? Ich bin doch nicht etwa das Kind einer fürstlichen Affäre?“

„Sind Sie immer so hartnäckig?“, fragte er leicht gereizt.

Ihre Kehle wurde plötzlich ganz trocken. Eigentlich hatte sie nur nachgehakt, um ihn zu provozieren, nicht weil sie so etwas glaubte. Sie verlor wieder den Boden unter den Füßen. Was war so schrecklich an ihrer Herkunft, dass er ihren Fragen auswich?

Sie fixierte ihn mit ihrem herrischsten Blick. Er mochte ja zum Fürstenhaus gehören, aber sie war als Kind wohlhabender Eltern aufgewachsen und ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Es wurde Zeit, dass er das merkte. „Ich bestehe darauf, dass Sie mir jetzt endlich mitteilen, was Sie über meine Herkunft wissen.“

Ihr Zorn schien ihn kalt zu lassen: „Sie werden die Antwort auf Ihre Fragen sehr bald bekommen. Wir sind bei Ihrer Unterkunft angekommen.“

Der Wagen passierte ein Wachhäuschen, und die uniformierte Wache salutierte, als sie zwischen wappenverzierten schmiedeeisernen Toren hindurch auf eine von uralten Bäumen gesäumte Allee fuhren. Zwischen den Bäumen konnte Sarah hin und wieder einen Blick auf palastartige Gebäude erhaschen, es wirkte wie eine sehr exklusive Wohnanlage.

Bevor sie den Prinzen fragen konnte, hielt die Limousine schon unter einem säulengestützten Vordach. Das dazugehörige Gebäude war riesig, mit mindestens vier Stockwerken und links und rechts je einem lang gestreckten Flügel. Auf einem mit Zinnen versehenen Turm entdeckte sie eine Fahne in Blau und Jade. Ein Verdacht regte sich: „Das sieht nicht wie ein Hotel aus, eher wie …“

„Chateau de Valmont“, beendete der Prinz den Satz. „Willkommen zu Hause.“

Sie starrte ihn ungläubig an: „Zu Hause? Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“

„Sehe ich aus, als ob ich scherze?“

Er sah … er sah fantastisch aus, dachte sie, verwundert darüber, dass nicht einmal die überraschende Neuigkeit sie davon abhalten konnte, ihn in dieser Weise zu betrachten. Seine Hoheit brauchte sich vermutlich nicht groß anzustrengen, um sich in die Gedanken einer jeden Frau einzuschleichen.

Allerdings konnte sie nicht glauben, dass sie ein Recht darauf hatte, diesen Palast ihr Heim zu nennen. Wer auch immer ihre Eltern sein mochten, sie hätten doch, wenn sie hierher gehört hätten, ihr Kind nicht in Amerika zur Welt gebracht und zur Adoption freigegeben.

Bevor sie all die Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten, äußern konnte, wurde schon die Wagentür von einem livrierten Diener geöffnet, der sich vor ihr verbeugte. „Darf ich Ihnen mit dem Kind behilflich sein, Madame?“

Sarah hatte nicht die Absicht, ihren Sohn einem Fremden anzuvertrauen. „Danke, ich nehme ihn selbst.“

„Wie Sie wünschen, Madame. Ich schicke jemanden, der sich um Ihr Gepäck kümmert.“

Während die Diener geschäftig hin und her eilten, hob sie Christophe aus dem Kindersitz. Der wachte auf und lächelte selig. Sie drückte ihn an sich und küsste ihn. Solange sie sich gegenseitig hatten, würde schon alles in Ordnung gehen.

Sarah fühlte den Blick des Prinzen auf sich ruhen. Sie wandte sich ihm zu. „Christophe muss dringend gefüttert und gewickelt werden.“

„Es ist für alles gesorgt, was Sie und das Baby brauchen könnten“, versicherte er ihr.

„Von wem? Zu welchem Zweck?“ Sie stöhnte ungeduldig. „Ich weiß, ich weiß, Sie werden mir in Kürze alle Fragen beantworten. Das reicht mir jetzt. Wir gehen keinen Schritt weiter, bevor Sie mir nicht eine befriedigende Erklärung geben, warum wir das tun sollten.“

Der Ausdruck von Unmut auf seinem Gesicht zeigte, dass er nicht gewohnt war, ein „Nein“ zu hören. Nach kurzem Nachdenken erwiderte er: „Weil Ihr Sohn der Erbe von all dem ist, was Sie hier sehen.“

Sarah wurde bleich. „Er ist was?“

„Prinz Henrys einziger männlicher Erbe.“

„Wenn das stimmt, dann wäre mein Baby …“, sie brachte es nicht über sich, das Wort auszusprechen.

Josquin tat es für sie. „Er ist Prinz Christophe de Valmont.“ Er sah, wie ihre Knie nachgaben, und legte stützend den Arm um sie.

Sie schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. „Hier muss ein Missverständnis vorliegen. Wir sind amerikanische Staatsbürger. Wie kann mein Sohn ein Prinz von Carramer sein?“

„Ich kann verstehen, dass das schwer zu fassen ist. Deswegen hatte ich auch vor, es Ihnen behutsamer mitzuteilen.“

„Das hätte bei einer solchen Offenbarung auch nichts geändert. Sind Sie sicher?“

Josquin nickte bestätigend: „Ich habe meine Nachforschungen mit äußerster Sorgfalt durchgeführt. Schließlich steht viel auf dem Spiel.“

2. KAPITEL

Sarah war nicht wirklich davon überzeugt, dass ihr Sohn ein Geburtsrecht auf dieses Schloss hatte, aber um seinetwillen musste sie es herausfinden. „Dann kommen wir erst einmal mit hinein“, sagte sie. Sie hatte Mühe, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.

Der Prinz wirkte erleichtert. Er wies auf eine hübsche dunkelhaarige Frau in Sarahs Alter, die sich neben ihnen hingestellt hatte. „Das ist Marie. Sie ist Ihre persönliche Zofe, solange Sie hier sind.“

Was nicht sehr lange sein wird, wenn ich dabei ein Wörtchen mitzureden habe, dachte sie, als sie Marie begrüßte. Alles würde sich als Irrtum herausstellen, und sie und Christophe könnten wieder nach Hause fahren. Es würde keinen Urlaub geben.

„Was ist, wenn sich alles als Irrtum herausstellt?“, fragte sie.

„Dann hätte ich ihn begangen. Selbstverständlich könnten Sie als Gast der fürstlichen Familie so lange hier in Valmont bleiben, wie Sie möchten. Das ist das Mindeste, was ich Ihnen als Wiedergutmachung anbieten könnte, falls ein Fehler gemacht wurde.“ Aus seinem Tonfall wurde klar, dass er einen Fehler für ausgeschlossen hielt.

Sarah fiel ein Stein vom Herzen. Erst jetzt wurde ihr klar, wie nötig sie diesen Urlaub hatte. Auch wenn es einzig und allein ihre Entscheidung gewesen war, und sie um nichts in der Welt hätte tauschen mögen, so war es doch anstrengend, Christophe alleine aufzuziehen. Die Erbschaft ihrer Großmutter würde nicht mehr lange reichen, und bald würde sie wieder arbeiten müssen. Sie hatte vorgehabt, die Ferien zu nutzen, um ihre Zukunft zu überdenken.

„Wollen wir jetzt hineingehen?“, fragte Prinz Josquin.

Ein Diener hielt ihnen die Tür auf, und Sarah betrat eine riesige Eingangshalle mit italienischem Marmorboden und hoher Kassettendecke. Am anderen Ende befand sich eine breite, geschwungene Treppe. „Das ist fantastisch.“

„Dies ist eins der schönsten Gebäude in Carramer.“

„Wohnen Sie auch hier?“

„Wenn meine Arbeit es erfordert.“ Mit einer Handbewegung forderte er sie auf, ihm die Treppe hinauf zu folgen. Während sie die mit einem dicken Teppich bespannten Stufen hinaufstieg, dachte sie daran, dass sie nun bald erfahren würde, wer sie wirklich war, und wie es kam, dass ihr Baby ein Prinz von Carramer sein sollte.

Marie musste einen Dienstbotenaufgang benutzt haben, denn sie war schon mit dem Auspacken von Sarahs Koffer beschäftigt, als Josquin die Tür zu einer großzügigen Suite öffnete. „Ich hoffe, Sie werden sich hier wohlfühlen“, sagte er.

Etwas wie diese Suite hatte Sarah noch nie gesehen. Von einem kreisförmigen Wohnzimmer gingen zwei Schlafzimmer ab. Dahinter befand sich eine überdachte Terrasse mit Blick aufs Meer. Marie trug gerade einige von Sarahs Kleidungsstücken in einen begehbaren Schrank.

„Wohlfühlen? Vielleicht ziehen wir für immer hier ein.“

Josquins Mundwinkel zuckten. „Passen Sie auf, was Sie sich wünschen, Sarina.“

Sie sah ihn neugierig an. „Wie haben Sie mich gerade genannt?“

„Eine hiesige Variante Ihres Namens. Stört Sie das?“

„Nein, nein.“ Was sie störte, war, dass er diesen Namen offensichtlich nicht ganz zufällig verwendet hatte. Wenn er doch endlich mit den Informationen über ihre Herkunft herausrücken würde! Sie fragte die Zofe: „Marie, welches ist das Kinderzimmer?“

„Schon in Ordnung, Marie, ich übernehme das“, warf Josquin ein. Er öffnete die Tür zu einem geräumigen Schlafzimmer, das mit allem ausgestattet war, was ein Baby nur brauchen könnte. Sarah legte Christophe auf eine Wickelkommode, neben der eine wunderschöne antike Wiege stand. Darüber hing ein Mobile mit Pferdchen.

Josquin lehnte am Türrahmen und sah zu. Christophe griff nach dem Mobile und krähte: „Perd, Perd.“

„Richtig. Was für ein kluger Junge du bist“

„Er fängt schon an zu sprechen?“, fragte Josquin fasziniert.

Sie sah auf: „Einzelne Wörter mit einem Jahr, Sätze mit zwei.“

„Das sagen meine Cousins auch.“

„Sie selbst haben keine Kinder?“

„Ich bin nicht verheiratet.“

Aus irgendeinem Grund hob diese Antwort ihre Stimmung. „Müssen Sie sich als ein de Marigny nicht um die Fortführung der Erbfolge kümmern?“

„Prinz Lorne und Prinz Michael haben Söhne, für die Erbfolge ist also gesorgt.“

Sie zog die Augenbrauen hoch: „Keine Töchter?“

„Titel werden in Carramer üblicherweise in der männlichen Linie weitervererbt.“

„Wie können Sie sicher sein, dass Sie das richtige Kind haben?“, fragte sie mit einem Blick auf Christophe.

Die Frage schien Josquin unangenehm zu sein. „Sie haben doch einmal einen DNA-Test machen lassen.“

„Ja, dabei habe ich festgestellt, dass ich adoptiert wurde. Aber …“, jetzt wurde ihr erst bewusst, was er da gerade gesagt hatte, „… Sie haben sich Zugang zu meiner Krankenakte verschafft. Wie konnten Sie so etwas tun?“

„Es war notwendig.“

„Dazu hatten Sie kein Recht.“

„Ich hatte die Pflicht“, sagte der Prinz mit schneidender Stimme. „Ich brauchte schnelle Antworten, auch wenn ich die Methoden des Ermittlers nicht ganz billige.“

Sarah hob Christophe hoch und setzte sich mit ihm auf einen Schaukelstuhl, der neben der Wiege stand. Der Kleine patschte nach ihrer Brust, aber sie zögerte, ihm in Anwesenheit von Prinz Josquin die Brust zu geben.

Der löste das Problem, indem er zum Fenster ging und hinausschaute. Sie öffnete ihre Bluse, und Christophe begann eifrig zu trinken.

Mit leiser Stimme sagte Sarah: „Sie haben ein Zeitproblem erwähnt. Was meinten Sie damit?“

Der Prinz kehrte ihr weiterhin den Rücken zu. „Prinz Henry ist schwer herzkrank, und es ist ungewiss, wie lange er noch zu leben hat. Er wünscht sich, noch zu erleben, dass seine Nachfolge in Carramer sicher bestellt ist.“

„Es tut mir leid zu hören, dass Prinz Henry so krank ist. Aber was passiert, wenn ich beschließe, nicht hier zu bleiben?“

„Dann steht es Ihnen selbstverständlich frei zu gehen.“

Sie konnte die Anspannung in der Stimme des Prinzen hören und fragte sich, was er ihr noch verschwiegen hatte. „Sie haben mir immer noch nicht mitgeteilt, was Sie über meine Eltern wissen.“

Er drehte sich um und erstarrte, als er sah, wie sie Christophe stillte. Mit heiserer Stimme sagte er: „Ihr Vater war Henrys einziger Sohn, Philippe de Valmont.“

Nur ein Wort davon kam bei ihr an: „War?“

„Er kam kurz nach Ihrer Geburt bei einem Wasserskiunfall ums Leben. Er hat nie erfahren, dass er eine Tochter hatte.“

„Und meine Mutter?“

„Ihr Name ist Juliet Coghlan.“

Sarah atmete tief durch. „Die Sekretärin meines Vaters?“ Sie hatte diese Frau ihre ganze Kindheit hindurch gekannt. Plötzlich verstand sie, warum Juliet so liebevoll mit ihr umgegangen war – immer wieder hatte sie ihr kleine Geschenke gemacht und hatte immer Zeit für Sarah gefunden, egal, wie beschäftigt sie war.

Sie erinnerte sich, wie sie als Siebenjährige bei einem Besuch im Büro ihres Vaters Zeugin eines Streits zwischen ihm und Juliet geworden war. Juliet war tränenüberströmt aus dem Zimmer gestürmt und war am nächsten Tag verschwunden. Sie hatte sich nie wieder gemeldet.

„Prinz Philippe lernte Juliet kennen, als sie in Carramer Urlaub machte. Sie verliebten sich ineinander und erbaten Prinz Henrys Erlaubnis zu heiraten.“

Christophe war eingeschlafen, und Sarah knöpfte ihre Bluse wieder zu. „Ich vermute, dass Prinz Henry seinen Segen verweigerte.“

„Er wollte, dass sein Sohn eine für ihn ausgewählte Frau aus Carramer heiraten sollte.“

„Was passierte dann?“

„Philippe teilte seinem Vater mit, dass er beabsichtigte, auf seinen Titel zu verzichten und Juliet nach Amerika zu folgen. Die Liebesgeschichte ging weiter, bis sie erfuhr, was er vorhatte. Offenbar wollte sie nicht, dass er alles für sie aufgab, und spielte ihm deshalb vor, dass die Beziehung zu Ende sei. Sie nahm an, dass Philippe nach Carramer zurückkehren und seine fürstlichen Pflichten übernehmen würde.“

Das war ihr Vater, ihr richtiger Vater. Er hatte ihre Mutter so sehr geliebt, dass er willens gewesen war, alles für sie aufzugeben. „Kam er nach Carramer zurück?“

„Ja. Er und Henry sprachen so gut wie gar nicht miteinander, aber Philippe erfüllte seine Pflichten. Allerdings konnte jeder, der ihn etwas besser kannte, erkennen, dass er nicht mit dem Herzen bei der Sache war.“

„Und woher wissen Sie, dass er ein Kind gezeugt hat, wenn er selbst es nicht wusste?“

Der Prinz zog ein Foto aus seiner Brieftasche und reichte es ihr. „Hierdurch.“

„Das ist ein Foto von mir!“ Ein ähnliches Foto hatte auch bei ihren Adoptiveltern auf dem Klavier gestanden.

„Sehen Sie, was auf der Rückseite steht.“

Sarah drehte das Foto um. Dort stand in Juliets Handschrift:

„Mein Liebling, ich dachte, ich schaffe es allein, aber ich brauche dich. Unsere Tochter braucht dich. Sag mir, was ich tun soll. Jay.“

Sarah liefen Tränen die Wangen hinunter. Wie konnte ihr leiblicher Vater eine solche Bitte zurückweisen? „Haben Sie nicht gesagt, dass Philippe nichts von mir wusste?“

Josquin nahm das Foto und steckte es wieder ein. „Er wusste auch nichts von Ihnen. Ungefähr eine Stunde nachdem er zum Wasserski gegangen war, kam das Foto in seinem Büro an. Nach seiner Rückkehr aus den Staaten war er oft geistesabwesend, und auch an diesem Tag war er gedanklich nicht bei dem, was er gerade tat. Er wurde von einem anderen Boot angefahren und starb noch auf dem Weg ins Krankenhaus. Er hat dieses Foto nie gesehen.“

„Es hat doch bestimmt jemand Juliet benachrichtigt?“

„Philippes Mitarbeiterstab wusste nicht, wer Jay war, und Prinz Henry war viele Monate nach dem Unfall nicht ansprechbar. Ich denke, er gab sich die Schuld an Philippes Geisteszustand.“

„Er hatte ja auch Schuld“, erwiderte sie erbost. „Wenn er nicht gegen diese Liebe gewesen wäre, hätten die beiden geheiratet und glücklich miteinander gelebt.“ Mit mir, dachte sie. Henry hatte nicht nur ein Leben zerstört, sondern drei.

„Versuchen Sie, nicht so hart über Ihren Großvater zu urteilen“, drängte Josquin. „Er ist noch von der alten Schule und glaubte wirklich, dass er das Beste für die Provinz täte.“

„Nennen Sie diesen schrecklichen Mann nicht meinen Großvater. So wie es sich anhört, wäre es für Christophe und mich besser, nichts mit ihm zu tun zu haben.“

Josquin lächelte. „Nach allem, was ich über ihn gehört habe, scheinen Sie Philippe sehr ähnlich zu sein.“

„Das soll wohl ein Kompliment sein.“

Sarah stand auf und lehnte Christophe gegen ihre Schulter. Er gab ein äußerst unfürstliches Bäuerchen von sich, dann schlief er weiter. Sie legte ihn in die Wiege und deckte ihn zu.

„Sie haben mir immer noch nicht erklärt, wieso ich adoptiert worden bin“, wandte sie sich wieder an Josquin.

„Soweit wir wissen, wurde das privat arrangiert.“

Sarah konnte die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht unterdrücken. „Illegal meinen Sie?“

„Wahrscheinlich. Die Adoption wurde nirgends schriftlich festgehalten. Wir vermuten, dass Juliet annahm, dass Philippe das Kind nicht anerkennen wollte. Da Juliet eine kranke Mutter hatte, die auf ihre Pflege angewiesen war, fühlte sie sich von der Situation überfordert. Ihre Adoptiveltern hatten sich schon lange ein Baby gewünscht, konnten aber keine eigenen Kinder bekommen. Als James McInnes herausfand, wie Juliet zu kämpfen hatte, überzeugte er sie davon, dass es besser für das Kind wäre, wenn er es adoptieren würde. Als seine Angestellte würde es ihr trotzdem möglich sein, ihr Kind häufig zu sehen.“

„Alles wäre gut gelaufen, wenn meine Mutter nicht darauf bestanden hätte, dass man mir sagte, wer ich bin. Sie und mein Adoptivvater hatten einen heftigen Streit. Ich könnte mir vorstellen, dass das der Anlass war. Bald danach verschwand sie, und niemand konnte mir sagen, wo sie war.“

„Wir konnten ihren Aufenthaltsort leider auch nicht feststellen.“

Sarah wurde von einem Gefühl der Trostlosigkeit ergriffen, als sie sich klar machte, dass ihre Mutter möglicherweise gestorben war. Nun würde sie nie erfahren, dass Philippe sie nicht im Stich gelassen hatte.

„Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Nicht nur Ihr Sohn ist von fürstlicher Abstammung, Sie selbst sind Ihre Hoheit Prinzessin Sarina de Valmont.“

Ihre Knie wurden weich. „Jedes adoptierte Mädchen fragt sich, ob sie nicht in Wirklichkeit eine Prinzessin ist. Sind Sie dann mein Cousin?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich entstamme dem Marigny-Zweig der Familie.“

„Wie kommt es, dass Prinz Henry Ihr Onkel ist?“

„Das ist nur ein Höflichkeitstitel. Er übernahm meine Erziehung, als ich fünfzehn war und meine Eltern kein Talent dafür bewiesen. Sind Sie enttäuscht darüber, dass wir nicht verwandt sind?“

Sie wäre eher enttäuscht gewesen, wenn sie miteinander verwandt wären, obwohl sie nicht sagen konnte, warum. Schließlich hatte sie kein romantisches Interesse an ihm. Eigentlich sollte sie ihn sogar hassen wegen seiner Loyalität zu Prinz Henry, dem Mann, der ihre wirkliche Familie zerstört hatte. „Warum sollte ich? Es ist mir egal“, erwiderte sie vorsichtig.

Ein Schatten verdunkelte Josquins attraktive Züge. „Als wir uns getroffen haben, habe ich eine Verbindung zwischen uns gespürt.“

Sie würde nicht zugeben, dass sie genauso empfunden hatte. „Sie haben doch gerade gesagt, dass wir nicht blutsverwandt sind.“

„Es gibt noch andere Verbindungen zwischen einem Mann und einer Frau.“

„Ich bin nicht auf der Suche nach einer Verbindung, wie Sie es nennen. Ich möchte mein Kind nehmen und nach Hause fahren.“

„Sie wollen Ihrem Sohn sein Geburtsrecht verweigern, weil es Ihnen selbst verweigert wurde?“

„Ich tue nichts dergleichen. Dies alles hier“, sie zeigte auf die luxuriös ausgestattete Suite, „hat absolut nichts mit uns zu tun. Ich bin zur Hälfte Amerikanerin, wie Sie wissen. Wenn das, was Sie mir berichtet haben, stimmt, dann hat Christophe weniger Carramer-Blut in seinen Adern als ich.“

„Laufen Sie vor seinem Erbe davon oder vor mir?“

„Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.“

Mit seinen dunklen Augen hielt er ihren Blick fest. „Wirklich nicht? Sie streiten ab, irgendeine Verbindung zwischen uns zu spüren, aber sie existiert. Ich glaube, Sie befürchten, genauso den Kopf zu verlieren wie Ihre Mutter, wenn Sie sich das eingestehen.“

Sarah konnte kaum atmen, so sehr wirbelten die widersprüchlichsten Gefühle durch ihren Kopf. „Für meine Mutter ist es ja nicht sonderlich gut gelaufen.“

Er hob die Hand und berührte sanft ihre Wange. „Dann sehen Sie es doch als Ihre Chance an, die Geschichte neu zu schreiben.“

Sie kämpfte gegen den starken Wunsch an, ihr Gesicht in seine Hand zu legen. „Sie gehen davon aus, dass ich das will.“

„Oh ja, das wollen Sie.“

Woher wusste er das, wenn sie sich ihre Gefühle doch selbst kaum erklären konnte? Brachte seine fürstliche Abstammung diese arrogante Selbstsicherheit mit sich? Wenn das so war, warum war sie sich ihrer selbst dann nicht so sicher? „Sind Sie sicher, dass ich eine Prinzessin bin?“, fragte sie ihn.

Er sah sie verwundert an: „Ich verbürge mich dafür.“

„Dann erlasse ich hiermit mein erstes Dekret. Nehmen Sie Ihre fürstliche Hand von mir. Jetzt.“

Josquin zog seine Hand langsam zurück. „Sie sind müde, Sie sollten sich ausruhen.“

„Durch Ausruhen ändert sich nichts.“ Besonders nicht die Verwirrung, die sie in seiner Gegenwart spürte. „Ich will nach Hause.“

„Sie sind zu Hause, obwohl ich nachvollziehen kann, dass Sie das noch nicht verinnerlicht haben. Wenn Sie sich nicht ausruhen wollen, dann machen Sie einen Spaziergang mit mir. Ich mache einen Rundgang über das Schlossgelände mit Ihnen.“

Der lange Flug und der Schock über die Entdeckung ihrer Herkunft machten sich bemerkbar. Sie würde ewig nicht einschlafen können. Ein Spaziergang könnte ihr vielleicht wieder zu einem klaren Kopf verhelfen. „Ich kann Christophe nicht allein lassen.“

„Marie bleibt bei ihm. Morgen werde ich Ihnen noch weiteres Personal zuteilen, das für sein und Ihr Wohl sorgen werden.“

Sie reckte ihr Kinn. „Ich will nicht, dass sich Dienstboten um meinen Sohn kümmern. Selbst wenn er ein Prinz ist, ziehe ich es vor, selbst für ihn zu sorgen.“

„Sie werden merken, dass man nicht so einfach alles selbst erledigen kann, wenn man zum fürstlichen Haushalt gehört.“

„Auch wenn ich mich momentan hier aufhalte, heißt das nicht, dass ich beabsichtige …“

Er unterbrach sie mit einer Handbewegung: „Morgen können Sie Ihre Zukunft planen, jetzt lassen Sie uns erst einmal gehen.“

„Sobald ich gesagt habe, was ich sagen muss.“

Sarah wechselte ein paar Worte mit Marie, dann folgte sie Josquin nach draußen. „Was hätten Sie getan, wenn ich nicht freiwillig nach Carramer gekommen wäre?“, fragte sie ihn.

„Da Prinz Henrys derzeitiger Gesundheitszustand so besorgniserregend ist, hätte ich einen anderen Weg gefunden, Sie hierher zu bringen.“

Sie brauste auf: „Wollten Sie uns vielleicht entführen? Nur über meine Leiche! Ich mag ja eine Prinzessin von Geburt sein, bin aber nicht dazu erzogen worden, nachgiebig zu sein.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Sie haben mehr mit Ihren Vorfahren gemein, als Sie glauben. Die Mitglieder der Fürstenfamilie sind nicht für Nachgiebigkeit bekannt.“

Unwillkürlich freute sie sich darüber, dass sie typische Familieneigenschaften mit ihnen teilte. „Wenn Sie für Ihre Familie typisch sind, so entspricht das kaum meiner Vorstellung von Mitgliedern eines Fürstenhauses.“

„Was haben Sie erwartet?“, fragte er sanft.

„Ein eher reserviertes, steiferes Verhalten. Viel Pomp und Förmlichkeit.“

„Das können wir auch bieten, wenn es erforderlich ist. Im Übrigen ist Prinz Henry viel altmodischer als ich.“

„Wann werde ich ihn kennenlernen?“ Sarahs Stimme verriet, dass sie sich nicht sicher war, ob sie das überhaupt wollte.

„Wenn sein Arzt es für richtig hält.“ Er blieb stehen und legte ihr seine Hände auf die Schultern. „Seien Sie unbesorgt, ich werde Sie zu dem Treffen begleiten.“

„Ich mache mir keine Sorgen deswegen. Henry hat keine Besitzansprüche auf mich oder Christophe.“ Was sie allerdings beunruhigte, war Josquins Berührung. Er stand viel dichter bei ihr als notwendig, aber diesmal hatte sie nicht das Bedürfnis, ihm zu befehlen, sie loszulassen.

Im Schlosspark war es so ruhig, dass Josquin hören konnte, wie schwer Sarah atmete. Er erwartete, dass sie ihn in seine Schranken weisen würde. Als sie das nicht tat, ließ er seine Hände wo sie waren und genoss den Anblick ihrer Schönheit. Seit er die ersten Fotos von ihr gesehen hatte, hatte er davon geträumt, ihr so nahe zu sein.

Sie war noch schöner als auf den Fotos. Sie hatte die typischen hohen Wangenknochen der Valmonts. Ihr schulterlanges haselnussbraunes Haar schimmerte wie Seide, und er war froh, dass es nicht in künstliche Wellen gelegt war. Alles an ihr wirkte wunderbar natürlich.

Josquin konnte der Versuchung nicht widerstehen, griff mit einer Hand in ihr Haar und ließ einige Strähnen durch seine Finger gleiten. Als er ihren Nacken berührte, hörte er sie wieder tief einatmen, aber es kam noch immer kein Einwand. Mit der Zungenspitze befeuchtete sie ihre vollen Lippen, und er musste an sich halten, um sie nicht auf der Stelle zu küssen.

Die Faszination, die er beim Anblick ihrer Fotos verspürt hatte, war nichts im Vergleich zu dem Begehren, das jetzt in ihm aufflammte. Er brauchte seine gesamte Selbstbeherrschung, um von ihr wegzutreten.

Trotz seiner Behauptung einer Verbindung zwischen ihnen, war er sich eben doch nicht sicher, ob sie die gleiche Anziehungskraft spürte wie er. Wenn sie sich auch so von ihm angezogen fühlte, dann wagte er gar nicht darüber nachzudenken, wohin das führen könnte. Es durfte nirgendwohin führen.

„Warum haben Sie Christophes Vater nicht auf seiner Geburtsurkunde angegeben?“, fragte er, um sich ganz bewusst auf etwas anderes zu konzentrieren.

„Haben Ihre Spione Ihnen nicht alles erzählt?“ Der Gedanke, dass sie wahrscheinlich ihre Freunde, Ladenbesitzer in ihrer Umgebung, die Angestellten der Galerie und wer weiß, wen noch, befragt hatten, entsetzte sie. „Meine Nachbarn müssen ihnen gesagt haben, dass ich ein Flittchen mit einem Kind ohne einen Vater bin.“

Er bemühte sich, seine Stimme neutral klingen zu lassen. „Heutzutage ziehen viele Frauen es vor, ihre Kinder allein aufzuziehen, sogar in Carramer.“

Sarah erschauerte. „Danke.“

„Wofür?“

„Dafür, dass Sie mich nicht verurteilen. Christophes Vater … ich habe ihn mein Leben lang gekannt. Er wollte schon immer Priester werden. Wenn er wüsste, dass er ein Kind gezeugt hat, würde er seinen Traum für uns aufgeben. Ich wollte nicht, dass er alles opfert, nur weil wir einmal die Kontrolle verloren haben.“

„Also haben Sie es ihm nicht gesagt.“ Josquin war beeindruckt von ihrer Willensstärke.

Sarah sah, wie sein Kiefer sich anspannte. „Sie billigen meine Entscheidung nicht? Vielleicht hatte ich Angst davor, dass es später zwischen uns stehen würde, wenn ihm klar wurde, was er aufgegeben hatte. Ich will mehr für Christophe als Eltern, die nur seinetwegen zusammenbleiben.“

„Sprechen Sie von Ihren Adoptiveltern?“

Sarah nickte, gerührt von seinem Einfühlungsvermögen. „Ich glaube, Rose war nie damit einverstanden, dass ich illegal adoptiert wurde. Ich wusste zwar nicht, worum es ging, aber ich war mir immer der Spannungen zwischen ihnen bewusst und ahnte auch irgendwie, dass sie etwas mit mir zu tun hatten. Wenn die beiden nicht gestritten haben, dann ignorierten sie sich gegenseitig. Ich weiß nicht, was schlimmer war.“

„Sie hatten keinen Einfluss auf Ihr Schicksal.“

„Das weiß ich jetzt, aber als Kind hat mir das nichts genützt. Ich möchte nicht, dass mein Kind sich jemals so fühlt.“

„Ein Grund mehr, sein Erbe anzuerkennen. Dann weiß er, wer er ist und wo er hingehört.“

„Das werde ich, wenn Sie mir etwas Zeit geben. Zu erfahren, dass ich selbst eine Prinzessin bin und mein Sohn Thronerbe ist, muss ich erst einmal verarbeiten.“

Josquin stellte zufrieden fest, dass sie nicht mehr vom Abreisen sprach. Vielleicht würde sie später, wenn sie den Rest herausfand, einsehen, dass er in ihrem Interesse gehandelt hatte.

„Sie haben recht, dass ist alles nicht so leicht zu verkraften. Wir gehen jetzt am besten zum Schloss zurück und Sie ruhen sich etwas aus.“

„Wenn ich das kann“, meinte Sarah zweifelnd.

Ihre Nähe ließ ihn vor Begehren erschauern. Fast hätte er alle Vorsicht in den Wind geschlagen und sie in die Arme genommen. Er wusste, dass es eigentlich lächerlich war, so starke Gefühle für eine Frau zu hegen, die er bis jetzt nur von Fotos und Berichten kannte. Aber er hatte den Eindruck, dass er schon alles über sie wusste.

Sie war warmherzig, leidenschaftlich und stark genug, ihr Kind allein aufzuziehen, anstatt eine lieblose Ehe zu riskieren. Außerdem war sie das schönste Geschöpf, das er je gesehen hatte. Sie weckte in ihm den Wunsch, nicht der zu sein, der er war.

Er schüttelte leicht den Kopf, um die Sehnsucht abzuschütteln, die ihn erfasst hatte. Wenn sie erst die ganze Wahrheit wüsste, würde sie nichts von ihm wissen wollen, geschweige denn ihn lieben. Es wäre besser für ihn, wenn er diese Tatsache jetzt akzeptieren würde, bevor er sich zu sehr in sie verliebte.

Er konnte nur hoffen, dass es dazu nicht schon zu spät war.

3. KAPITEL

„Ich glaube, ich könnte mich an das fürstliche Leben gewöhnen“, meinte Sarah, als Marie das Frühstückstablett wegräumte. „Sie verwöhnen mich.“

„Das ist meine Aufgabe, Eure Hoheit.“

„Diese Eure-Hoheit-Angelegenheit hatten wir doch schon geklärt. Meine Freunde nennen mich Sarah, und ich bitte Sie, das auch zutun, solange wir allein sind.“

„Wie Sie wünschen, Eure Hoheit. Soll ich Ihnen jetzt den kleinen Prinzen bringen?“

Sarah nickte. Sie konnte kaum glauben, was ihr da passierte. Gestern war sie noch Sarah McInnes, arbeitslose Kuratorin und alleinerziehende Mutter. Heute war sie eine Prinzessin von Valmont. Erst seit Josquin ihr gestern Abend Fotos von ihrem Vater Philippe gezeigt hatte, war sie überzeugt. Auf Babyfotos sah er Christophe zum Verwechseln ähnlich. Und ihre eigene Ähnlichkeit mit ihrem Großvater war auch frappierend.

Ihr Vater, ihr Großvater. Sie ließ sich diese Worte auf der Zunge zergehen. Sie gaben ihr ein Gefühl der Zugehörigkeit. Wenn sie auch Josquins Taktik, sie nach Carramer zu holen, nicht billigen konnte, so war doch gegen den Ausgang nichts einzuwenden.

Als sie an ihn dachte, wurde ihr ganz warm ums Herz. Als Berater des Herrschers hatte Josquin garantiert zahllose Verpflichtungen, doch hatte er ihr gestern sehr viel Zeit gewidmet. Natürlich lag sein Hauptaugenmerk auf Christophe als künftigem Erben, aber ganz offensichtlich hatte er auch nichts dagegen gehabt, mit ihr viel Zeit zu verbringen.

Dieses Gefühl beruht viel zu sehr auf Gegenseitigkeit, dachte sie besorgt.

Wenn Josquin – wie gestern – sie weiterhin so ansah, als ob er sie küssen wollte, würde es ihr schwerfallen, ihren Schwur zu halten, sich nicht auf Beziehungen einzulassen.

Sie warf die Bettdecke zurück und zog einen Morgenmantel über. Jedenfalls schien Christophe sich in seiner neuen Umgebung sehr wohl zu fühlen. Sarah konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal hatte durchschlafen können.

Sie sah auf, als Marie mit Christophe auf dem Arm ins Zimmer trat. „Ich wollte gerade kommen und nach ihm sehen. So lange hat er seit Ewigkeiten nicht geschlafen.“

Marie lächelte. „Er ist früh aufgewacht, deshalb habe ich ihn gebadet und frisch gewindelt. Jetzt ist er hungrig und braucht seine Mama.“

Daran werde ich mich erst gewöhnen müssen, dachte Sarah mit einem leichten Schuldgefühl, als Marie ihr Christophe in die Arme legte. Sie kitzelte ihn am Kinn und sagte: „Wie geht es dir heute Morgen, Eure Hoheit? Weißt du, wie sehr ich dich liebe?“

Marie faltete die Hände vor der Brust und meinte: „Ich glaube, das weiß er.“

Sarah hatte schon erfahren, dass Marie selbst ein Baby hatte, was erklärte, weshalb sie so gut mit Christophe umgehen konnte. „Wie geht es Ihrem Kleinen?“, fragte sie.

Marie verzog das Gesicht. „Er zahnt und hat Schmerzen. Mein Mann und ich sind letzte Nacht immer abwechselnd aufgestanden, um ihm beizustehen.“

„Was tun Sie dann hier? Gehen Sie nach Hause zu Ihrem Baby.“

„Und wer kümmert sich um Sie und Prinz Christophe?“

„Wir kümmern uns selbst um uns, das haben wir schon sehr lange so gemacht. Also gehen Sie!“

„Ich schicke sicherheitshalber eine der anderen Hofdamen zu Ihnen“, versprach Marie.

„In Ordnung“, gab Sarah nach. „Aber ich will Sie frühestens morgen wieder hier sehen, verstanden?“

Es war ein gutes Gefühl, mit Christophe allein zu sein. ­Sarah ging mit ihm ins Wohnzimmer und setzte sich zurecht, um ihm die Brust zu geben. Den ganzen Tag Personal um sich zu haben, war ziemlich gewöhnungsbedürftig. Vielleicht würde sie mit Christophe hinausgehen und den Garten erkunden. Sie mochte nicht darüber nachdenken, dass ihre Aufregung zum Teil vielleicht daher rührte, dass die Möglichkeit bestand, Josquin über den Weg zu laufen.

In Gedanken versunken, hatte sie das Baby versehentlich abgesetzt. Als er unruhig wurde, legte sie ihn an die andere Brust. „Tut mir leid, ich war abgelenkt“, sagte sie entschuldigend. Josquin konnte jede Frau ablenken, und ihr war klar, dass die Anziehungskraft keineswegs einseitig war. Sie wünschte, sie würde den Verdacht los, dass er ihr noch nicht alles gesagt hatte, was er wusste.

„Guten Morgen.“

Sarah erschrak, als Josquin plötzlich höchstpersönlich in der Tür stand. „Da, wo ich herkomme, ist es üblich zu klopfen“, sagte sie, verärgert darüber, wie ihr Herzschlag sich bei seinem Anblick beschleunigte.

„Ich habe nach ihrer Kammerfrau geläutet, aber wie es scheint, haben Sie ihr heute freigegeben“, erwiderte er unbeeindruckt.

„Ich bin nicht daran gewöhnt, dass jemand ständig um mich herumwirbelt und mich bemuttert.“

Verwundert hob er eine Augenbraue: „Sie hatten doch auch Bedienstete in Amerika?“

Sie hatte vergessen, wie viel er über sie wusste. „Wir hatten eine Haushälterin, aber ich würde sie nicht als Bedienstete bezeichnen. Sie gehörte zur Familie.“

„So wie Marie und Ihre anderen Zofen zu Ihrer jetzigen Familie gehören.“

„Ach ja, diese Familie.“

„Sie klingen immer noch nicht überzeugt, obwohl doch die Familienähnlichkeit zwischen Ihnen selbst und Prinz Henry, und zwischen Christophe und Ihrem Vater unbestreitbar ist. Darf ich?“

Er trat näher und streckte ihr seine Arme entgegen. Mit einem Widerwillen, den sie sich selbst nicht erklären konnte, übergab sie ihm das Baby. Zu ihrer Überraschung schien Christophe sich sehr wohl bei Josquin zu fühlen, und begann, mit dessen Krawattennadel zu spielen. Der Prinz sah erfreut aus: „Ich glaube, er mag mich.“

„Christophe mag jeden. Er liebt Geselligkeit.“

Josquin warf ihr einen neugierigen Blick zu: „Kommt er da nach seiner Mutter?“

„Ich bin keine Einsiedlerin, falls Sie das meinen. Ich gehe mit Christophe zu seiner Spielgruppe, und manchmal treffen wir uns mit Freunden aus der Galerie, in der ich gearbeitet habe. Aber ein einjähriges Baby ist für gesellschaftliche Kontakte nicht gerade sehr förderlich.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Er hob das Kind hoch in die Luft und ließ ihn dann mit einem Flugzeuggeräusch wieder nach unten sausen. Christophe krähte vor Begeisterung.

Sarah beobachtete ungehalten das offensichtliche Vergnügen des Babys. Widerwillig gestand sie sich ein, dass das ein deutliches Eifersuchtssymptom war. „Für einen Junggesellen können Sie sehr gut mit Kindern umgehen.“

„Die Kinder meiner Cousins halten mich auf Trab. Sie werden begeistert sein, Christophe als Spielkameraden zu bekommen.“

Irgendein Teufel trieb sie dazu, zu sagen: „Wenn wir lange genug in Carramer bleiben, um sie kennenzulernen.“

Josquin hörte auf, Christophe durch die Luft zu schwingen: „Ich dachte, Sie haben eingesehen, dass dies hier Ihre Heimat ist.“

„Dass mein Vater aus Valmont stammt, macht es noch nicht zu unserem Zuhause. Sie sagten, dass wir jederzeit abreisen können, nicht wahr?“

Er nickte. „Da Sie nun Ihre Abstammung kennen, hoffe ich, dass Sie in Carramer bleiben wollen.“

„Ich brauche noch Zeit, um mir darüber klar zu werden.“

Josquin runzelte die Stirn. „Allzu viel Zeit haben Sie nicht. Prinz Henrys Arzt sagt, dass es ihm heute Morgen gut genug geht, um Sie zu empfangen.“

Sarahs Herz überschlug sich. Das Treffen mit dem alten Prinzen machte ihr irgendwie Angst. Sie stand auf, nahm Josquin das Baby wieder ab und drückte es schützend an ihre Brust. „Wann will Prinz Henry mich sehen?“

„Sobald Sie angezogen sind. Ich lasse jemanden kommen, der sich um Christophe kümmert, während Sie sich fertig machen.“

Autor

Valerie Parv
Mehr erfahren