Julia Collection Band 82

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VERFÜHRT VOM PRINZEN DER WÜSTE von KENDRICK, SHARON
Er, der Thronfolger in einem Wüstenkönigreich? Der Milliardär Xavier de Maistre ist alles andere als begeistert von dieser Nachricht. Wohl aber von der Überbringerin, der hinreißenden Anwältin Laura Cottingham. Schon auf dem Flug in den Orient kann er sich kaum zurückhalten …

PRINZESSIN DER WÜSTE von KENDRICK, SHARON
Viele Jahre hat Alexa versucht, ihre große Liebe Giovanni zu vergessen - vergeblich. Jetzt reist ihr Noch-Ehemann ins Scheichtum Kharastan, um sein Erbe anzutreten. Und er verlangt von ihr, dass sie ihn begleitet - als seine Wüstenprinzessin!

SULTAN MEINES HERZENS von KENDRICK, SHARON
Schon lange ist Sonya rettungslos verliebt in den feurigen Scheich Malik. Aber wie könnte ein "einfaches Mädchen" wie sie bei ihm jemals eine Chance haben? Um sich abzulenken, reist sie nach England. Nie hätte sie damit gerechnet, dass er ihr nachfliegt


  • Erscheinungstag 26.06.2015
  • Bandnummer 82
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703387
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sharon Kendrick

JULIA COLLECTION BAND 82

Sonnenaufgang am Blauen Palast

MINISERIE VON SHARON KENDRICK

SHARON KENDRICK

Verführt vom Prinzen der Wüste

Der Auftrag kommt der jungen Anwältin Laura gerade recht: Einen echten Wüstenprinzen soll sie in sein Königreich geleiten. Das gestaltet sich allerdings schwieriger, als gedacht: Schon auf den ersten Blick ist sie geradezu überwältigt von Xaviers männlicher Ausstrahlung. Es kommt zu einem heißen Kuss – aber der Milliardär ist als Playboy bekannt …

Prinzessin der Wüste

Sinnliche Tage haben sie gemeinsam erlebt und leidenschaftliche Nächte – obwohl sie sich vor langer Zeit getrennt haben, hat Giovanni nie aufgehört, Alexa zu begehren. Im Blauen Palast seines Vaters will der stolze Prinz einen Neuanfang wagen und unter der glühenden Wüstensonne seine Frau zurückerobern. Doch da erfährt er, was sie ihm verschwiegen hat …

Sultan meines Herzens

Süß, unschuldig und immer für ihn da – so hat Scheich Malik seine junge Angestellte Sonya stets erlebt. In England lernt er andere Seiten von ihr kennen: wild, sexy, leidenschaftlich. Er ist schockiert über diese Änderung, und mehr noch über seine eigene Reaktion darauf: Rasende Eifersucht packt ihn bei dem Gedanken, dass ein anderer „seine“ Sonya berührt …

1. KAPITEL

Xavier ließ den zarten Spitzenslip herausfordernd am ausgestreckten Finger baumeln und sah die schmollende Blondine spöttisch an.

„Hast du nicht etwas vergessen, Chérie?“, meinte er. Es klang so sündhaft sexy, dass es nicht verwunderlich war, wie oft man ihn fragte, ob er seine aufregende Stimme etwa als Sprecher in Radio und Fernsehen auch beruflich verwerte. Die Antwort lautete natürlich Nein. Xavier de Maistre hatte es längst nicht mehr nötig, sein gewaltiges Einkommen auf diese Weise zu vermehren. Nur ein einziges Mal hatte er äußerliche Attribute, in dem Fall sein sinnlich schönes Gesicht und den durchtrainierten, athletischen Körper, in eine ergiebige Einnahmequelle umgemünzt. Damals war er als Teenager auf den Champs-Élysées von einem Talentsucher entdeckt worden. Man hatte ihm ein Vermögen für die Werbekampagne eines exklusiven Aftershaves bezahlt, aber danach hatte er trotz des weltweiten Erfolges zu aller Erstaunen sämtliche weitere lukrative Angebote ausgeschlagen. Stattdessen legte er mit dem Geld den Grundstein zu seinem Immobilienimperium, das inzwischen zu einem der größten der Welt zählte.

Die Blondine lächelte verführerisch. „Magst du dieses Spiel nicht mehr?“, hauchte sie.

Xavier hielt ihrem glühenden Blick unbewegt stand. Bildete sie sich wirklich ein, dass die Welt nach dem Ende ihrer Affäre vor einem Jahr stehen geblieben sei? Dass es ihn anmachen würde, wenn sie nach all der Zeit bei ihm auftauchte – angeblich, um bei einem Kaffee „alte Erinnerungen aufzuwärmen“ – und dieses aufreizende Wäschestück auf dem polierten Parkett seiner Pariser Wohnung verlor?

Exgeliebte können so langweilig sein, dachte er verächtlich. Gab es etwas Faderes als die Vorstellung, mit einer Frau zu schlafen, der man längst überdrüssig geworden war? Er wusste selbst nicht mehr, warum er tags zuvor auf ihren Anruf hin diesem Besuch zugestimmt hatte, denn von dem Moment ihres Auftauchens an war ihm sofort klar gewesen, worauf sie wirklich aus war.

„Ich denke, wir haben sämtliche Varianten dieses Spiels schon vor Langem erschöpft“, erwiderte er gelassen. „Netter Versuch, Chérie, aber vielleicht solltest du ihn bei einem Mann wiederholen, der dich so zu schätzen weiß, wie du es verdienst.“

„Xavier …“

Sein Kopfschütteln hieß sie schweigen. „Sagtest du nicht, dass du deinen Flug erreichen musst?“

Sie zögerte unschlüssig. Aber sie war nicht nur eine schöne, sondern auch eine intelligente Frau und begriff vermutlich, dass manche Dinge besser unausgesprochen blieben. Auf diese Weise wahrte sie die Möglichkeit, sich mit Würde zurückzuziehen.

Mit einem kleinen Schulterzucken nahm sie ihm den Slip ab und zog ihn unter ihrem Seidenrock anmutig wieder an. Das war der Moment, in dem Xavier fast schwach geworden wäre. Schließlich befand sich am Ende des Flurs ein Schlafzimmer mit einem großen Bett und einem malerischen Ausblick auf die Seine. Xavier gehörte das gesamte Gebäude, das den Hauptfirmensitz seines internationalen Unternehmens beherbergte, und das Luxuspenthouse hatte er sich für seine persönlichen Zwecke eingerichtet. Abgesehen davon, dass es praktisch war, wenn geschäftliche Verhandlungen sich bis in die Nacht hinzogen, galt es in Paris als offenes Geheimnis, dass er dort auch seine Frauenbekanntschaften empfing, was Xaviers Ruf als legendärer Liebhaber förderte. Er war dafür bekannt, die schönen Dinge des Lebens zu lieben und zu genießen – ein Status, der ihm nicht in den Schoß gefallen war.

Er blickte aus dem Fenster hinunter auf den träge dahingleitenden Fluss, der im Licht der Nachmittagssonne glitzerte. Die typischen Sightseeing-Boote zogen vorbei, voller Touristen, die ehrfürchtig die bekannten Sehenswürdigkeiten zu beiden Seiten des Ufers bestaunten. Paris hatte diese besondere, tief greifende Wirkung auf die Menschen, gegen die auch Xavier nicht immun war. Diese Stadt erfüllte ihn bis in die Seele und nahm ihn mehr gefangen, als es bislang je eine Frau geschafft hatte. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er sich nicht einmal erinnern konnte, wann er zuletzt mit einer Frau geschlafen hatte.

Warum also schlägst du diese günstige Gelegenheit aus? meldete sich eine spöttische Stimme in ihm. Vielleicht, weil es zu einfach war. Xavier hatte sich in seinem Leben alles, was ihm wirklich wichtig war, hart erarbeiten und erkämpfen müssen.

„Ich werde dich wohl nicht wiedersehen, oder, Xavier?“

Die Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Als er sich der Blondine wieder zuwandte, wurde ihm bewusst, dass sie jeglichen Reiz für ihn verloren hatte. Eine Erkenntnis, die ihn nicht überraschte, weil es immer darauf hinauslief. Egal, wie schön oder sexy die Frauen auch waren, er wurde ihrer rasch überdrüssig. Dann wartete die Herausforderung auf ihn, die Nächste zu erobern.

„Wer weiß, Chérie?“, meinte er nun unverbindlich. „Ich komme gelegentlich nach New York. Vielleicht können wir dann mal essen gehen?“

Sie sahen sich an und wussten beide, dass es ein Abschied für immer sein würde. Die Blondine presste die Lippen zusammen. Was hatte sie erwartet? „Natürlich“, antwortete sie betont kühl. „Du bist ein Schuft, Xavier, weißt du das?“

„Wirklich?“ Das Läuten des Telefons veranlasste ihn, sich abzuwenden und nach dem Hörer zu greifen. „Oui?“

Am anderen Ende meldete sich seine persönliche Assistentin. „Hier unten ist jemand, der Sie sprechen möchte, Xavier.“

Ohne Termin? Xavier mochte es nicht, überrascht zu werden. Und wofür bezahlte er seinen Sicherheitsdienst? „Doch nicht etwa wieder einer dieser verdammten Reporter?“, entgegnete er ungehalten, denn das Gebäude war von der Presse buchstäblich belagert worden, nachdem das große Wochenmagazin „Bonjour!“ viel beachtete Schnappschüsse von ihm veröffentlicht hatte, wie er verschlafen auf seinen Balkon herausgetreten war und sich dabei die verblichene Jeans zugeknöpft hatte. Die Frauen waren verrückt darauf, sich die Fotos von der entsprechenden Seite im Internet herunterzuladen, und Xavier hatte die Sache mit dem Verweis, seine Privatsphäre zu schützen, seinen Anwälten übergeben.

„Nein, nicht von der Presse“, versicherte seine Assistentin.

„Wer ist es dann, und was will er?“

„Nun, es ist eine Sie, und sie will es nicht sagen. Sie besteht darauf, mit Ihnen persönlich zu sprechen.“

„Was Sie nicht sagen …“ Xavier senkte seine Stimme. „Kenne ich sie?“

„Sie sagt Nein.“

„Ich verstehe.“ Allein die Tatsache, dass seine Assistentin die unerwartete Besucherin nicht vor die Tür gesetzt hatte, sprach Bände. Xavier stellte nur Leute ein, denen er vertraute, weshalb er auch stets bereit war, auf ihr Urteil zu hören. Unwillkürlich schweifte sein Blick zu der Blondine, die ihn immer noch schmollend ansah. Vielleicht war ja diese unbekannte Frau ein Geschenk des Himmels, weil sie ihm die perfekte Ausrede lieferte, sich dieser peinlichen Situation zu entziehen.

„Sie soll warten“, wies er seine Assistentin an. „Ich komme nach unten, sobald ich hier fertig bin.“ Er legte den Hörer auf.

Die Blondine nickte bedächtig. „Du hast eine andere. Natürlich. Wie dumm von mir.“ Sie lachte spöttisch. „Wie konnte ich mir nur einbilden, du wärst nach einem Jahr immer noch frei und würdest dich nach mir verzehren?“

„Ich habe dir nie irgendetwas versprochen, Nancy“, entgegnete er unbewegt. „Mir war nicht klar, dass du darin ein Problem siehst.“

„Das Problem ist, dass du so verdammt gut bist“, erklärte sie sanft. „Adieu, Xavier … und danke für die Erinnerungen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ sie mit hoch erhobenem Kopf den Raum.

Xavier lauschte nachdenklich auf das Surren des Aufzugs. Hatte er sich unehrenhaft verhalten? Nein, unehrenhaft wäre es gewesen, wenn er die Situation ausgenutzt und mit ihr geschlafen hätte, um dann doch nur endgültig mit ihr Schluss zu machen. Er spürte seine Frustration und wusste, dass viele Männer ihn für einen Narren gehalten hätten. Aber er war sehr vorsichtig in der Auswahl seiner Geliebten, die in jedem Fall zwei Kriterien erfüllen mussten: Sie mussten sehr schön und sich darüber im Klaren sein, dass eine emotionale Bindung nicht zur Debatte stand. Normalerweise ließ Xavier von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, dass er weder an Liebe noch an Heirat interessiert war … und wehe der Frau, die versuchte, ihn umzustimmen!

Seufzend fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar. Aus den Augen, aus dem Sinn. Gleich würde er sich anhören, was diese unbekannte Frau von ihm wollte. Dann würde er nach Hause fahren und ausgiebig duschen, bevor er zum Dinner ausging. Zufrieden lächelte er sich in dem großen Wandspiegel zu. War Freiheit nicht etwas Wunderbares?

Laura saß auf der Kante eines scharlachroten Sofas, dessen Farbe nicht gut mit dem Bordeauxrot ihres teuren Seidenkostüms harmonierte, und blickte sich aufmerksam um.

In den vergangenen Wochen hatte sie einen Intensivkurs in gehobenem Luxus-Lifestyle durchlaufen, der in einem Aufenthalt in einem altehrwürdigen Palast in einem überaus romantischen Land gipfelte. Wenn sie erwartet hatte, dass sich ein derartiger Prunk nicht mehr überbieten ließe, wurde sie von Xavier de Maistres Firmensitz eines Besseren belehrt.

Das riesige Foyer ähnelte eigentlich mehr einem luxuriösen Salon als dem Eingangsbereich zur Schaltzentrale eines immens erfolgreichen, internationalen Unternehmens. Cremefarbene Textiltapeten, eine luxuriöse Einrichtung, funkelnde Kristalllüster und überraschend konservativ anmutende Ölgemälde von Pferden und Flusslandschaften vermittelten einen sehr traditionellen und maskulinen Eindruck.

Nervös strich Laura über den Rock ihres Kostüms. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, derart teure Haute Couture zu tragen, aber die kostbare Seide fühlte sich zugegebenermaßen ungemein sinnlich auf der Haut an. Bei aller Nervosität wusste Laura, dass sie gut vorbereitet war. Vorbereitung war das A und O, wenn man ein guter Anwalt sein wollte … und Laura war eine gute Anwältin, auch wenn sie vielleicht in anderen Bereichen des Lebens versagt haben mochte.

Noch einmal rekapitulierte sie, was sie über Xavier de Maistre recherchiert hatte. Er war ein international erfolgreicher Geschäftsmann, bekannter Playboy und – gegen seinen Willen – Frankreichs männliches Sexsymbol. Ein einflussreicher Mann mit beeindruckendem Ruf, der sowohl in Paris wie in London und New York ein riesiges Immobilienportefeuille besaß und den jüngsten Spekulationen in der Presse zur Folge plante, in Kürze eine Billigfluggesellschaft mit Heimatflughafen Orly ins Leben zu rufen. Was natürlich alles zusammen bedeutete, dass ihn die Neuigkeiten, die sie ihm überbringen wollte, und die damit verbundene Aussicht auf zusätzliche Reichtümer möglicherweise nicht besonders beeindrucken würden. Nach Lauras Erfahrung war Geld nur wichtig, wenn man nicht sehr viel davon besaß.

Als die Lifttüren aufglitten, richtete sie sich erwartungsvoll auf, doch nicht Xavier de Maistre trat aus dem Aufzug, sondern eine schöne Blondine, die Laura einen halb mitfühlenden, halb neidvollen Blick zuwarf.

„Ein kleiner Rat, Schätzchen“, bemerkte sie herablassend. „Er ist ein toller Hengst … aber Männer wie de Maistre bringen nur Ärger!“

„Ich werde es mir merken“, antwortete Laura höflich, obwohl ihr das Herz im Hals klopfte.

Xaviers kühle Assistentin erhob sich, bereit zur Konfrontation, doch die Blondine hatte bereits die gläserne Drehtür erreicht und verließ das elegante Bürogebäude, ohne sich noch einmal umzublicken. Die Assistentin sah Laura mit einem kurzen Schulterzucken an und nahm wortlos wieder Platz.

Laura blinzelte überrascht. Normalerweise lebte sie nicht in einer Welt, in der attraktive Blondinen aus Luxusbüros stolzierten und sich ungebeten über die sexuelle Leistungsfähigkeit von deren Inhabern ausließen. „Komme ich vielleicht ungelegen?“, fragte sie vorsichtig.

„Aber es kümmert Sie doch gar nicht, ob Sie gelegen kommen oder nicht?“, antwortete hinter ihr eine warme, aufregende Männerstimme. „Denn schließlich sind Sie einfach hier hereingeplatzt und haben verlangt, mich zu sprechen, als stünde ich auf Kommando zu Ihrer Verfügung.“

Laura stand auf und drehte sich um, bereit, sich zu entschuldigen, wie sie es vorher einstudiert hatte. Aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Von einem legendären Playboy erwartete man natürlich, dass er gut aussah, und sein Ruf war ihm ja vorausgeeilt, dennoch raubte es Laura unvermittelt den Atem, als sie Xavier de Maistre nun zum ersten Mal leibhaftig vor sich sah. Sie schaute ihn in stummer Bewunderung an, wie eine Frau, die noch nie zuvor einen Mann erblickt hatte. Aber kam sie sich nicht auch genauso vor, weil sie noch nie einem Mann wie ihm begegnet war?

Die schlanken, starken Hände arrogant in die schmalen Hüften gestemmt, die kraftvollen Beine leicht gespreizt, schien er alles Selbstvertrauen der Welt in sich zu vereinen. Seine ganze Haltung strahlte männliche Erotik und Autorität aus.

Laura hatte einen Stapel schwarz-weißer Hochglanzfotos von Xavier de Maistre gesehen und leidenschaftslos die markanten Züge mit diesem ebenso sinnlichen wie energischen Mund zur Kenntnis genommen. Worauf sie die Fotos nicht vorbereitet hatten, war, dass seine physische Gegenwart so – ein heißer Schauer jagte ihr über den Rücken – überwältigend sein würde.

Sein dunkler Teint bildete einen attraktiven Kontrast zu dem hellen, maßgeschneiderten Anzug, zu dem er ein exquisites Seidenhemd und eine feine Seidenkrawatte gewählt hatte. Obwohl er dieses Outfit mit jener sinnlichen Extravaganz trug, die man automatisch von einem Franzosen erwartete, wirkte es fast zu luxuriös für die urwüchsige Kraft seines durchtrainierten Körpers. Laura verspürte den Wunsch, ihn in etwas Wilderem, Elementarerem zu sehen – oder … gänzlich nackt!

Du liebe Güte, was war nur in sie gefahren? Eigentlich war sie wirklich nicht der Typ Frau, den es plötzlich nach einem Mann gelüstete. Hatte man ihr das nicht gerade als ihre Stärke und Schwäche zugleich vorgeworfen? Aber sosehr sie die unerwartete Richtung ihrer Gedanken schockierte, sie konnte den Blick nicht von Xavier wenden. Mit seinem bezwingenden Charisma schien er den großen Raum ganz zu erfüllen, doch es waren vor allem seine Augen, die sie in Bann hielten … dunkle, unergründliche Augen, die sie unbewegt anblickten.

„Sie antworten nicht“, bemerkte er nun. „Dabei hätte ich gedacht, dass jemand, der die Stirn besitzt, einfach hier hereinzuschneien und zu erwarten, unangemeldet Xavier de Maistre sprechen zu können, ausreichend überzeugende Erklärungen parat hätte.“ Wobei ihm klar war, dass sie viel zu sehr damit beschäftigt war, ihn mit ihren Blicken zu verschlingen.

Mit Mühe gelang es Laura, sich wieder auf den Grund ihres Kommens zu konzentrieren. „Mir ist bewusst, dass mein Vorgehen etwas ungewöhnlich ist“, räumte sie ein.

Sie war also Engländerin. „Eine Untertreibung, wie sie für Ihr Land typisch ist“, erwiderte er. „Wollen Sie etwas verkaufen?“

„Nein“, wehrte sie fast schon entsetzt ab. Sah sie in diesem Outfit, das so viel gekostet hatte, wie sie normalerweise in einem Monat verdiente, etwa wie eine Vertreterin aus?

Xavier betrachtete sie forschend. War er ihr vielleicht irgendwo schon begegnet? Non. Daran hätte er sich bestimmt erinnert. Doch es fiel ihm schwer, sie einzuordnen, und er wusste nicht einmal, was sie so … anders machte. War es ihr Haar – dunkel und dicht mit roten Highlights –, das ihren makellosen Teint alabasterweiß schimmern ließ? Oder waren es die Augen … zweifellos die schönsten, die er je gesehen hatte? Groß, ausdrucksvoll und strahlend grün wie die kostbarsten Smaragde in dem Juweliergeschäft in der Avenue St. George V., nur ein Stück die Straße hinunter.

Ihre Figur war schlank, aber mit femininen Rundungen und einer zierlichen Taille, wie es eher unmodern war. Ganz offensichtlich hatte sie ihr Outfit bewusst so gewählt, diese weiblichen Reize zu betonen … ein maßgeschneidertes Kostüm aus bordeauxroter Seide und dazu sexy Pumps aus feinstem Veloursleder, deren hohe Absätze ihre zierlichen Fesseln betonten. Urplötzlich tauchte vor Xavier gänzlich ungebeten die unglaublich erotische Vorstellung auf, wie diese wohlgeformten Beine ihn umfingen … Er schluckte und verwünschte sich, weil er seine sexuellen Bedürfnisse nicht zuvor befriedigt hatte, als ihm die Chance dazu geboten worden war. Doch wie stets gelang es ihm auch jetzt, seine Gefühle seinem Willen unterzuordnen.

„Kennen Sie kein Telefon?“, fragte er sarkastisch. „Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, auf üblichem Weg einen Termin mit mir zu vereinbaren?“

Und eine Abfuhr zu riskieren, weil sie ihr Anliegen nur persönlich vortragen konnte? „Natürlich“, antwortete sie ruhig. „Aber ich hatte meine Gründe, diesen Weg zu wählen.“

„Tatsächlich? Höchst faszinierend.“ Irgendetwas an ihrem Verhalten ihm gegenüber war ungewohnt. Lag es daran, dass sie nicht so kokett war wie die Frauen gewöhnlich? Oder brachte sie ihm nicht das nötige Maß an Respekt entgegen? „Wer sind Sie?“, fragte er bedächtig.

Unter dem forschenden Blick seiner dunklen Augen war sich Laura plötzlich selbst nicht mehr sicher. Ihr sonst so geschulter, wohlgeordneter Verstand hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie gebannt blickte sie in Xaviers Augen, spürte die erotische Anziehung seines kraftvollen Körpers und wollte nur noch … verzweifeln. Denn dies war eine rein geschäftliche Angelegenheit.

Oder etwa nicht? Denn wenn sie den rein professionellen Aspekt einmal außer Acht ließ, war ihr durchaus bewusst, welche persönlichen Auswirkungen ihr Handeln haben würde. Lag es nicht im Bereich des Möglichen, dass die Informationen, die sie für Xavier de Maistre hatte, sein Leben grundlegend verändern würden … oder zumindest seine Einstellung dazu? Laura wusste, dass sie äußerst vorsichtig vorgehen musste, denn sie war im Besitz einer emotionalen Bombe, deren Wirkung nicht abzusehen war.

Also bemühte sie sich um ihr professionellstes Lächeln und streckte Xavier die Rechte entgegen. „Mein Name ist Laura Cottingham.“

„Laura.“ Die Art, wie er ihn aussprach, klang ihr Name atemberaubend sexy. Xavier nahm ihre Hand, wobei er den Daumen sacht über ihr zierliches Handgelenk gleiten ließ und das rasche Pochen ihres Pulses spürte. „Sollte ich Sie kennen? Ich vergesse eigentlich nie ein schönes Gesicht.“

Schön … sie? Obwohl sie für diesen ungewöhnlichen Job von Experten wirklich perfekt gestylt worden war, hätte Laura sich nie als schön beschrieben. Wie auch, wo sie sich ihr ganzes Leben lang ein Bein ausgerissen hatte, etwas aus sich zu machen … nur um sich geradewegs in eine törichte Beziehung mit jemandem zu stürzen, der ihr das Gefühl gegeben hatte, in jeder Hinsicht hässlich zu sein?

Die zarte, warme Berührung durch Xaviers Fingerspitzen kribbelte auf ihrer Haut. Befangen zog sie die Hand zurück. „Nein, wir sind uns nie begegnet.“

„Warum also sind Sie hier?“ Er sah sie durchdringend an. „Warum zögern Sie immer noch, mir Ihr Anliegen zu erklären, wo die meisten nichts Eiligeres zu tun gehabt hätten, damit ich sie nicht auf den Boulevard hinausbefördere?“, fragte er sanft. „Ich muss gestehen, ich bin fasziniert, Mademoiselle Cottingham, und das ist für einen Mann wie mich ein verführerisch seltenes Gefühl.“

Einen Mann wie mich. Er war die Arroganz in Person, besaß jedoch das Aussehen und das Charisma, es sich leisten zu können. Wie viel verzieh man ihm aufgrund seiner umwerfenden Wirkung?

Lauras Blick schweifte zu seiner Assistentin, die das Wortgefecht bislang stumm verfolgt hatte. Konzentrier dich auf deinen Job, ermahnte sie sich energisch und sagte laut: „Ich würde es vorziehen, Sie unter vier Augen zu sprechen.“

Xavier betrachtete sie aufhorchend. Bildete sie sich etwa ein, dass ihre Schönheit sie ermächtigte, Bedingungen zu stellen? Plötzlich kam ihm ein Gedanke. „Handelt es sich vielleicht um eine Vaterschaftsklage?“ Das wäre nicht der erste einer ganzen Reihe bislang erfolgloser Versuche. „Sind Sie im Interesse einer Freundin hier?“

„Aber nein, nichts dergleichen“, wehrte Laura erschrocken ab, wobei ihr bewusst wurde, dass Xavier de Maistre unwissentlich den Kern der Sache erkannt hatte. Nur nicht in dem Sinn, wie er dachte. „Ich halte es nur einfach für besser, wenn wir dieses Gespräch privat fortsetzen.“

Er sah sie so lange und prüfend an, als wollte er ihre Gedanken ergründen. Laura hatte das Gefühl, er würde ihr bis tief in die Seele blicken. „Eh bien“, willigte er schließlich ein. „Gehen wir in mein Büro, Chérie. Doch ich hoffe für Sie, dass es die Sache wert ist, denn ich mag es gar nicht, wenn man meine Zeit vergeudet.“

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging voraus. Mit Herzklopfen nahm Laura ihre Aktentasche und folgte ihm in sein Allerheiligstes.

„Schließen Sie die Tür“, sagte Xavier und beobachtete jede ihrer anmutigen Bewegungen, als sie sein Büro betrat. Hatte sie diesen engen Rock und die hochhackigen Schuhe gewählt, weil sie wusste, dass ihr sinnlicher Hüftschwung für jeden normalen Mann unwiderstehlich sein würde?

Laura machte die Tür hinter sich zu. Nun, da sie tatsächlich mit ihm allein war, wollte sie der Mut verlassen. Xavier hatte sie nicht gebeten, Platz zu nehmen, weshalb sie mitten in dem großen Raum stehen blieb, die Aktenmappe in der Hand – wie eine Reisende, die gerade ihren Zug verpasst hatte.

„Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich so prompt zu empfangen, Monsieur de Maistre“, erklärte sie höflich.

„Ich kann Ihnen versichern, dass nicht Freundlichkeit mein Beweggrund war, sondern Zweckmäßigkeit. Sie haben mir sozusagen einen Gefallen getan, Mademoiselle Cottingham, indem Sie mir einen bequemen Ausweg aus einer Situation lieferten, die mir ein wenig … lästig geworden war.“ Er zog herausfordernd die dunklen Brauen hoch, weil er ganz offenbar erwartete, dass sie neugierig nachfragen würde, wie es für Frauen typisch war – vor allem, wenn sie sich gegenseitig ausstechen konnten. Zu seiner Überraschung überging sie seine Bemerkung jedoch mit einem kühlen, fast frostigen Lächeln. Eine Reaktion, die er von einer Frau überhaupt nicht gewohnt war.

Laura wiederum wusste, dass es ihr nicht anstand, seine Arroganz zu kommentieren … oder gar, ihn zurechtzuweisen, weil er die Blondine so eiskalt abserviert hatte. Doch sie spürte plötzlich Mitgefühl mit der Frau. Es war sicher leicht, sein Herz an Xavier de Maistre zu verlieren … und schwer, es zu akzeptieren, wenn er einen zurückwies.

„Ich hätte selbstverständlich einen anderen Termin mit Ihnen vereinbart, wenn es Ihnen heute gar nicht gepasst hätte“, fuhr sie ruhig fort, wobei sie ihren Aktenkoffer aufklappte. „Aber mein Mandat lautet, sicherzugehen, dass ich von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen spreche.“

Irgendetwas in ihrem Ton und ihren Worten weckte Xaviers Misstrauen. Die Leute kamen normalerweise zu ihm, weil sie etwas von ihm wollten. Laura Cottinghams höfliches, aber dennoch kurz angebundenes, sachliches Gebaren legte dagegen eher nahe, dass sie etwas zu geben und nicht zu nehmen hatte. „Ihr Mandat?“, wiederholte er interessiert. „Sind Sie Anwältin?“

„Ja.“

Er schwieg einen Moment bezeichnend. „Ich traue Anwälten nicht, es sei denn, sie arbeiten für mich“, meinte er dann.

„Das ist vermutlich eine sehr gesunde Einstellung.“

Wahrscheinlich erwartete sie, dass er diese schlagfertige Bemerkung mit einem Lachen quittierte. Doch er lachte nur selten, weil Lachen verletzlich machte. „Warum haben Sie sich nicht an meine Anwälte gewandt, wenn es sich um eine juristische Angelegenheit handelt?“, erkundigte er sich ungerührt.

„Weil …“, Laura zögerte, „… weil es sich um eine sehr delikate Sache handelt, die ausschließlich für Ihre Ohren bestimmt ist.“

„Faszinierend.“ Offensichtlich spannte sie ihn absichtlich auf die Folter. „Verraten Sie mir doch, spielen Sie gern solche Spielchen? Auch im Bett vielleicht? Oder hören Sie jetzt endlich auf, um den heißen Brei herumzureden und sagen mir, worum es geht?“

Laura errötete bei der sexuellen Anspielung, hielt es jedoch für das Klügste, sie einfach zu übergehen. „Natürlich, Monsieur de Maistre“, erwiderte sie betont sachlich. „Genau genommen bin ich hier im Auftrag einer anderen Person. Als Repräsentantin des Scheichs Zahir von Kharastan.“

Xavier erstarrte. Diese Frau hatte es tatsächlich geschafft, ihn zu überraschen. Aus unerfindlichen Gründen setzte sein Herz für einen Schlag aus. Ein Scheich? Ihn verbanden überhaupt keine geschäftlichen Interessen mit jenem Teil der Welt. „Ich verstehe nicht“, sagte er vorsichtig.

„Das erwarte ich auch nicht. Aber ich werde versuchen, es Ihnen zu erklären.“ Laura atmete tief ein. Sie hatte sich ihr Vorgehen sorgfältig zurechtgelegt. „Sie haben vielleicht schon von Kharastan gehört?“

„Wie von vielen anderen Ländern auch.“

„Ihnen ist bekannt, dass es sich um einen überaus reichen Bergstaat handelt, der an das alte Land Maraban grenzt?“

„Ich brauche keine Geografiestunde von Ihnen“, bemerkte Xavier hörbar ungehalten. „Und ich kann auch auf Ihre Versuche verzichten, die Wirkung dessen, was Sie mir eigentlich mitteilen wollen, abzumildern. Meine Zeit ist kostbar. Also erzählen Sie mir entweder, warum Sie hier sind, oder verschwinden Sie!“

Es war ihre Absicht gewesen, behutsam auf die Sache hinzuführen, doch Xaviers Ungeduld und Gereiztheit ließen es ihr angeraten erscheinen, auf alle Umwege zu verzichten. „Ich bin hier, um mit Ihnen über Ihren Vater zu sprechen“, erklärte sie deshalb ruhig.

Xavier stand wie vom Donner gerührt da – Laura hatte gänzlich verbotenes Terrain betreten. Langsam machte er einen Schritt auf sie zu und fragte mit bedrohlichem Unterton: „Wie können Sie etwas derart Persönliches ansprechen? Sie sind eine Fremde. Wie können Sie es wagen?“

Sie hielt seinem anklagenden Blick entschlossen stand, während sie sich klarmachte, dass Xavier alles Recht der Welt hatte, so wütend zu sein. „Ich führe nur meinen Auftrag aus“, antwortete sie fest und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass ihr die entscheidenden, wichtigen Worte ohne Stocken über die Lippen kommen würden. Sie war sich der Verantwortung bewusst, die so schwer auf ihren Schultern lastete, und begriff plötzlich, dass ihr Boss nicht ganz die Wahrheit gesprochen hatte. Es gab kein „leicht verdientes Geld“.

Xavier war noch näher an sie herangetreten. „Wessen Auftrag? Dites-moi“, befahl er schroff. „Sagen Sie es mir!“

Laura nahm all ihren Mut zusammen. Im Grunde gab es sowieso keine Möglichkeit, ihn behutsam und schonend darauf vorzubereiten, was sie ihm zu sagen hatte. Er musste schlicht und einfach über alle Fakten informiert werden. „Mein Auftrag lautet, Sie darüber aufzuklären, wer Sie sind … oder, wer wir glauben, dass Sie sind. Wenn Sie verstehen – es besteht Grund zu der Annahme, dass Sie der Sohn des Scheichs von Kharastan sind“, sagte sie schlicht.

2. KAPITEL

Xavier hatte das seltsame Gefühl, im falschen Film gelandet zu sein. Lauras Stimme drang wie durch Watte in sein Bewusstsein vor, und er hatte Mühe zu begreifen, was da vor ihm ablief.

Sein ganzes Leben lang hatte er seine Emotionen unnachgiebig unterdrückt. Hatte er nicht gelernt, nur so überleben zu können? Nun aber wurde er von übermächtigen Gefühlen bestürmt, die sein seelisches Gleichgewicht ernsthaft bedrohten. Gnadenlos hallten Lauras Worte in seinen Ohren wider. „Es besteht Grund zu der Annahme, dass Sie der Sohn des Scheichs von Kharastan sind …“

Fassungslos blickte er in ihr blasses, angespanntes Gesicht.

„Sie lügen!“, flüsterte er.

„Nein. Warum sollte ich in einer solchen Sache lügen?“

Sein Verstand legte ihm nahe, dass es sich bei Lauras Behauptung um ein Fantasiegespinst handelte. Doch tief in seinem Herzen nagten Zweifel, die sich nicht zum Schweigen bringen ließen.

Hatte er nicht immer gespürt, dass er anders war?

Er war in ärmlichen Verhältnissen im Marais aufgewachsen, lange, bevor die Gegend zu einem der vornehmsten Stadtteile von Paris geworden war. In Xaviers Kindheit und Jugend war es einfach eine Ansammlung von schmuddeligen, alten Häusern gewesen, in denen vor allem Handwerker lebten und arbeiteten, umgeben von kleinen Restaurants, engen Gassen und wenigen Läden. Er und seine Mutter wohnten in einer winzigen Mansarde, die ursprünglich für Dienstboten gedacht gewesen war. Doch seine Mutter schuftete unermüdlich, um inmitten dieser ärmlichen Verhältnisse für ihren einzigen Sohn ein gutes Zuhause zu schaffen. Mochte das Haus auch von außen heruntergekommen und trostlos wirken, so war die kleine Wohnung eine Zuflucht. Die Wände sauber und hell gestrichen, die Gardinen immer weiß und makellos. Stets standen eine warme Mahlzeit auf dem Herd und eine Vase mit frischen Blumen auf dem Tisch.

Sicher, seine Mutter war verbittert gewesen, aber der gelegentlich gespannten Atmosphäre zu Hause konnte Xavier sich leicht entziehen. Nur ein oder zwei Blocks entfernt erreichte er schon Île de la Cité, auf der sich die gewaltige Kathedrale Notre-Dame und La Sainte-Chapelle mit ihren unvergleichlich prachtvollen Buntglasfenstern erhoben. Hier zog es Xavier oftmals nach der Schule hin, und er schwor sich dann, dass er sich eines Tages aus der Armut befreien und ein Leben in Schönheit und Überfluss führen würde.

Die Mutter trieb den klugen Sohn zum Lernen an, denn „eine gute Bildung ist der einzige Ausweg aus der Armut“, lautete ihr Motto. Außerdem wollte sie ihn so daran hindern, sich mit den anderen Jugendlichen auf der Straße herumzutreiben. Aber Xavier interessierte sich sowieso nur wenig für die Gesellschaft seiner Altersgenossen, die ihn wiederum misstrauisch mieden, weil er sich durch seine Ernsthaftigkeit und Strebsamkeit, ebenso wie durch sein pechschwarzes Haar, den dunklen Teint und die tiefbraunen Augen von ihnen abhob.

Qui est ton père?“, verspotteten sie ihn gelegentlich, worauf er nur schwieg, weil er nicht wusste, wer sein Vater war. Nie vergessen würde er den angstvollen Ausdruck in den Augen seiner Mutter, wann immer er es wagte, sie nach seinem Vater zu fragen.

„Er ist ein mächtiger und gefährlicher Mann, der versuchen wird, dich mir wegzunehmen“, antwortete sie dann widerstrebend. „Vergiss ihn, Xavier!“

Und obwohl Xavier sich vor nichts und niemandem fürchtete, was blieb ihm anderes übrig, als sich den Wünschen seiner Mutter zu fügen, die für ihn alles aufgegeben hatte? Insgeheim hatte er vielleicht gehofft, sie würde mit zunehmendem Alter in diesem Punkt zugänglicher werden, aber vor fünf Jahren war sie dann allzu früh gestorben und hinterließ ihm nichts als einen goldenen Rubinring. Zu Ehren ihres Andenkens hielt Xavier es für angemessen, ihre Geheimnisse mit ihr sterben zu lassen.

In der Folgezeit hatte er sich eingeredet, dass man manche Dinge besser ruhen ließ und es sogar eine Entlastung für ihn sei, gar nicht erst zu wissen, wer sein Vater war. Und nun tauchte diese Engländerin auf und behauptete, dessen Identität zu kennen!

Von plötzlichem Zorn übermannt, packte er sie bei den Armen und zog sie zu sich heran – so dicht, dass er den Veilchenduft ihres teuren Parfüms riechen und das Pochen ihres Herzens spüren konnte.

„Wie kann mein Vater ein Scheich sein, wo ich mit Leib und Seele Franzose bin?“, fragte er heftig. „Was sind das für Märchen?“

Laura blickte erstarrt zu ihm auf. Seine dunklen Augen glühten, der Duft seines exklusiven Aftershaves stieg ihr in die Nase – benommen schüttelte sie den Kopf. „Es ist kein Märchen. Ich schwöre es!“

„Warum sollte ich Ihnen glauben?“ Er zog sie noch näher zu sich heran. „Wer hat Sie geschickt?“

Er war ihr jetzt so nahe, dass sie Mühe hatte, klar zu denken. „Ich handle auf Wunsch des Scheichs, obwohl er sich durch jemand anderen an mich gewandt hat.“

„Durch jemand anderen?“

Laura nickte. Wie sollte sie sich konzentrieren, wenn er sie mit seiner erotischen Ausstrahlung derart verwirrte? „Ja … der Scheich ist alt und gebrechlich, weshalb ich mit einem seiner persönlichen Berater verhandelt habe.“ Sie zögerte. „Die labile Gesundheit des Scheichs ist einer der Gründe, warum er Kontakt zu Ihnen aufnehmen möchte.“

Xavier schwieg nachdenklich. Der Gesundheitszustand dieses ihm fremden Mannes interessierte ihn nicht, aber dieses eine Wort hatte ihn mitten ins Herz getroffen und seine Perspektive unwiderruflich verändert. Vater. Er packte Laura fester. „Lügnerin! Dieser Mann ist nicht mein Vater! Wie sollte das möglich sein?“

Sein Griff schmerzte. „Es ist wahr! Ich werde Ihnen alles erzählen. Bitte, lassen Sie mich los.“

„Nicht so schnell.“ Aber wenigstens lockerte er den Griff. Unwillkürlich verweilte sein Blick auf ihren bebenden Lippen. Seine Gefühle waren derart aufgewühlt, dass er versucht war, in einem wilden, leidenschaftlichen Kuss Vergessen zu suchen. Und für den Bruchteil einer Sekunde überlegte er, wie lange er wohl brauchte, bis sie sich an ihn schmiegen und ihn bereitwillig in sich aufnehmen würde, sodass sich all diese schmerzlichen Fragen in hemmungslosem Sex verlieren würden.

Mit eisernem Willen unterdrückte er dieses elementare Verlangen. Fürs Erste jedenfalls. Denn Sex würde ihn schwach machen, er würde sich ihr zumindest vorübergehend ausliefern, was er nicht riskieren wollte, bevor er nicht alle Fakten kannte.

„Erzählen Sie mir, was Sie wissen“, befahl er schroff.

Laura war klar, dass sie erst ihre Autorität zurückgewinnen musste, bevor sie fortfahren konnte. Seine Nähe lenkte sie zu sehr ab, wobei sie mit einigem Entsetzen erkannte, dass die von ihr empfundene Bedrohung zu einem Teil eindeutig sexueller Natur war. Sie hatte sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, erotische Gefühle mit einem professionellen Auftrag zu vermengen – und dadurch alles zu gefährden, wofür sie gearbeitet hatte. Hör auf, Laura! ermahnte sie sich energisch.

Entschlossen schaute sie Xavier an. „Nur, wenn Sie mich loslassen.“

Er zögerte einen Moment, wobei er dem Blick ihrer funkelnden grünen Augen unbewegt standhielt. „Wie Sie wünschen“, meinte er dann und gab sie frei.

Ihr Herz pochte wie am Ende eines langen Rennens, aber sie wusste, dass das Rennen gerade erst begonnen hatte.

„Fangen Sie an!“, forderte Xavier sie ungeduldig auf. Besaß sie wirklich Antworten auf die Fragen, die ihn in seiner Kindheit und Jugend verfolgt hatten? Oder war es vielleicht doch besser, keine alten Wunden aufzureißen? Augenblicklich verlief sein Leben wohlgeordnet und ganz nach seinen Wünschen. Er gab die Richtung vor und hatte alles unter Kontrolle. Diese Engländerin könnte nun alles ins Wanken bringen. Wollte er die Wahrheit wirklich wissen?

„Ihr Vater ist …“

„Nein!“, fiel er ihr eisig ins Wort. „Sie werden niemanden meinen Vater nennen, wenn Sie mir Ihre Geschichte erzählen. Ich habe keinen Vater und hatte nie einen. Verstanden?“

Laura nickte, denn auf diese Reaktion war sie vorbereitet. Verleugnung. Wie oft zogen die Menschen es vor, etwas zu verdrängen, nur weil der Gedanke daran zu wehtat. Hatte sie es mit ihrem treulosen Exfreund nicht auch getan, obwohl es offensichtlich gewesen war, dass sein Interesse an ihr erloschen war? Dass sie überflüssig geworden war, nachdem er alles, was er wollte, von ihr bekommen hatte? Und hatte sie nicht, dumm, wie sie war, auch noch Entschuldigungen dafür gesucht, dass er sie zunehmend aus seinem Leben drängte, und sich damit zum Gespött aller gemacht? Oh ja, Laura wusste genau, was Verleugnung bedeutete.

„Gut“, meinte sie ruhig. „Wie soll ich die Geschichte denn Ihrer Vorstellung nach erzählen?“

Er betrachtete sie argwöhnisch. Machte sie sich über ihn lustig? Doch in den Tiefen ihrer grünen Augen entdeckte er allenfalls eine Spur von Mitgefühl, wogegen er unwillkürlich aufbegehrte. Xavier de Maistre war noch nie auf das Mitleid anderer Menschen angewiesen gewesen. „Fürs Erste werden Sie einfach meine Fragen beantworten.“ Er sah sie stolz an. „Für wen arbeiten Sie?“

Was hatte Malik zu ihr gesagt? „Bringen Sie den Franzosen nach Kharastan, koste es, was es wolle!“ Laura fasste sich ein Herz. „Ich arbeite für Scheich Zahir von Kharastan.“

Xavier presste die Lippen zusammen. Frust und Zorn mussten sich irgendwie Luft machen, und es schien das Einfachste, sie an dieser Engländerin auszulassen. „Wie kommen ausgerechnet Sie zu all diesen Informationen?“, fragte er grob. „Gehören Sie zu den Gefolgsleuten dieser Scheichfamilie? Oder sind Sie eine von den Frauen, die insgeheim davon träumen, dass ein starker, dunkler Wüstenprinz sie in seinen Palast entführt und vernascht? Macht Sie das scharf, Chérie?“

Seine Worte waren zweifellos beleidigend gemeint, und sie verfehlten ihre Wirkung nicht – nur leider regten sie tatsächlich auch Lauras erotische Fantasie an.

Hatte sie sich eingebildet, dieser Auftrag würde leicht werden?

Ja, das hatte sie. Sie war davon ausgegangen, dass Xavier de Maistre die Nachricht, er sei der Sohn eines unvorstellbar reichen Mannes, neben dem sich jeder Durchschnittsmilliardär wie ein Hungerleider ausnahm, auf der Stelle dazu veranlassen würde, die erste Maschine nach Kharastan zu nehmen, um sich auf sein voraussichtliches Erbe zu stürzen.

Sie hatte sich gründlich geirrt. Er war auf ihren Köder nicht angesprungen. Vielleicht ließ sich ein Mann, der so erfolgreich war wie Xavier, nicht kaufen oder durch ein mögliches Erbe verlocken.

Er quittierte ihr Schweigen mit einem spöttischen Blick. „Verraten Sie mir doch, welchen Platz Sie in dieser ungewöhnlichen Wüstenhierarchie einnehmen.“

„Keinen“, antwortete sie. „Ich arbeite für die königliche Familie von Kharastan, nicht mehr und nicht weniger. Ich bin sozusagen eine vorübergehende Angestellte, die keine eigenen Absichten verfolgt.“

„Ach nein?“ Sein Blick bohrte sich in ihren. „Jeder Mensch verfolgt irgendwelche Absichten, Chérie.“ Vor allem, wenn sein Gegenüber so reich und mächtig war wie Xavier. Er jedenfalls war noch niemandem begegnet, der nicht irgendetwas von ihm wollte. „Sagen Sie, hat man Sie wegen Ihrer juristischen Fähigkeiten eingestellt – oder weil Sie schöne Brüste und einen hinreißenden Schlafzimmerblick haben?“

Sie sah ihn empört an. Das klang, als wäre sie ein Flittchen! „Ich muss mich nicht derart beleidigen lassen“, erklärte sie abweisend.

„Finden Sie es beleidigend, wenn man Sie wegen Ihrer unübersehbaren Reize bewundert?“, entgegnete er. „Aber Sie haben natürlich recht. Sie müssen sich nichts aussetzen, was Sie nicht ertragen können.“ Seine dunklen Augen blitzten arrogant. „Es gefällt Ihnen nicht, was ich sage? Dann gehen Sie – und zwar auf der Stelle, denn ich werde Sie nicht daran hindern!“

Er stellte sie auf die Probe. Laura wusste es, aber sie wagte es nicht, tatsächlich zu gehen, denn sie würde vielleicht keine zweite Chance bekommen, ihren Fall vorzutragen. Im Grunde war es doch völlig gleichgültig, was Xavier de Maistre über sie dachte und sagte. Sie war einzig und allein hier, um einen Auftrag zu erledigen, rein geschäftlich und nicht persönlich.

Also halte dich ans Geschäftliche, ermahnte sie sich. Laura rang sich ein unverbindliches Lächeln ab. „Würden Sie gern ein Foto von Scheich Zahir sehen?“

Gern? Am liebsten wäre er vor dieser Situation davongelaufen, die so viel Dynamit in sich barg. Aber es war bereits zu spät. Er hatte schon zu viel gehört und konnte nicht mehr zurück. „Ich vermute, Sie werden jetzt eines aus Ihrer Tasche zaubern“, entgegnete er verächtlich.

Mit etwas zittrigen Fingern nahm sie den Umschlag mit dem Porträtfoto aus ihrem Aktenkoffer, zog es heraus und hielt es Xavier hin.

Wortlos griff er danach, atmete tief ein und warf einen Blick darauf. Es war ein professionelles Studiofoto, das einen Mann in seinen besten Jahren abbildete. Unter dem traditionellen weißen, arabischen Kopftuch, das von einer Goldkordel gehalten wurde, lugte dichtes Haar hervor, so tiefschwarz wie Xaviers, und auch die markante Nase und der sinnliche Mund erinnerten unverkennbar an ihn.

Xavier schluckte, denn die Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. „Also schön, er sieht mir etwas ähnlich“, räumte er widerwillig ein.

Etwas? Laura zog es vor, erst einmal zu schweigen.

„Wir haben beide dunkle Augen und schwarzes Haar“, fuhr er bewusst unbeeindruckt fort und blickte sie herausfordernd an. Als sie jedoch immer noch schwieg, warf er das Foto wütend auf seinen Schreibtisch und ging so angriffslustig auf sie zu, dass Laura all ihren Mut zusammennehmen musste, nicht zurückzuweichen. „Woher haben Sie das?“, fragte er scharf.

„Ich habe es Ihnen doch gesagt …“ Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen und sah im selben Moment ein begehrliches Aufleuchten in Xaviers dunklen Augen, das viel gefährlicher war als seine Wut. „Von dem Mann …“, sie zögerte, weil ihr gerade noch rechtzeitig Xaviers Zurechtweisung einfiel, „… dem Mann, der behauptet, Ihr Vater zu sein.“

Erneut machte er seinem Zorn Luft, indem er sie packte. Doch diesmal presste er sie fest an seinen muskulösen Körper, wobei er zufrieden das verräterische Aufleuchten in ihren schönen Augen registrierte und spürte, wie sich die harten Spitzen ihrer vollen Brüste durch die weiche Seide ihres Kostüms drückten.

„Was, zum Teufel, wollen Sie von mir?“, stieß er aus. Gleichzeitig umfasste er jedoch ihre Taille und begann, ihren Rücken zu streicheln.

Laura durchzuckte es heiß. Atemlos blickte sie ihn an, fühlte machtlos das erregende Kribbeln in ihrem Körper und konnte nicht glauben, was da mit ihr geschah. Das war doch wirklich unerhört! Und dennoch übte Xaviers Liebkosung eine geradezu hypnotische Wirkung auf sie aus, der sie sich nicht entziehen konnte. Von ungeahntem Verlangen überwältigt, räusperte sie sich verzweifelt, um ihre Sprache wiederzufinden. „Ich … kann nicht klar denken, wenn Sie …“

„… wenn ich Sie streichele?“, vervollständigte er, beugte sich herab und flüsterte ihr verführerisch ins Ohr: „Aber es gefällt Ihnen, wenn ich es tue. Ich glaube, es würde Ihnen gefallen, wenn ich Sie noch ganz anders streicheln würde …“ Wenn ich die Hand zwischen deine Schenkel gleiten ließe und dich dort liebkosen würde, wo du es am meisten ersehnst, bis du vor Verlangen erbebend meinen Namen stöhnst und ich dir die Lippen mit einem Kuss verschließe.

„Hören Sie auf!“, flehte sie atemlos, als hätte er diese Worte laut ausgesprochen, denn sie spürte, dass er sie begehrte, und hatte das Gefühl, von der Hitze seiner Leidenschaft verzehrt zu werden. „Hören Sie sofort auf!“

Er ließ unvermittelt von ihr ab, wie ein Mann, der seines Spieles überdrüssig geworden war, und beobachtete genüsslich, wie sie errötend um Atem rang. Er würde sie sich nehmen, natürlich … mais pas encore. Aber noch nicht.

„Sie haben mir immer noch nicht erklärt, was Sie wirklich von mir wollen“, bemerkte er ausdruckslos.

Laura nahm sich Zeit, sich wieder zu fassen. Es fiel ihr nicht leicht, die erotischen Bilder abzuschütteln, die immer wieder wie in Zeitlupe vor ihrem geistigen Auge abliefen, und sich von den gefährlichen Gefühlen zu befreien, die ungebeten in ihr aufwallten. „Ich habe den Befehl, Sie nach Kharastan zu bringen“, antwortete sie schließlich betont langsam und deutlich.

Xavier sah sie durchdringend an. „Den Befehl?“

„Verzeihen Sie, das war eine unangemessene Wortwahl“, versuchte sie zu beschwichtigen.

„Allerdings!“, stieß er aus. „Aber das Wort ist nicht annähernd so unangemessen wie die Einstellung dahinter.“ Seine dunklen Augen sprühten buchstäblich vor Zorn und Empörung. „Glauben Sie wirklich, dass Xavier de Maistre sich herbeizitieren lässt? Dass ich mich einfach in irgendein gottverlassenes Land bringen lasse, um einen Mann zu treffen, von dem ich nicht einmal glaube, dass er tatsächlich mein Vater ist?“

Da sie nicht mehr durch seine erregenden Liebkosungen abgelenkt war, setzte Lauras Verstand wieder ein. Es hatte keinen Sinn, sich auf eine Diskussion mit Xavier einzulassen. Sie musste die Ruhe bewahren und klug taktieren. Schließlich brauchte sie es nur zu schaffen, dass er dieses Flugzeug nahm, dann hatte sie sich ihre Prämie verdient und musste sich diesem Mann, der so sündhaft sexy war, nie mehr aussetzen.

Erneut kamen ihr Maliks Worte in den Sinn: „Bringen Sie den Franzosen nach Kharastan, koste es, was es wolle!“ Schön, was würde es wohl kosten? Laura blickte sich in dem luxuriösen Ambiente um. Ein Bestechungsgeld war jedenfalls nicht das Mittel der Wahl. Und genauso wenig irgendwelche vagen Versprechungen, die womöglich nie eingelöst werden würden.

Was würde einem reichen und mächtigen Mann wie Xavier de Maistre mehr wert sein als alles andere auf der Welt? Die Wahrheit vielleicht? Was sonst konnte sie ihm anbieten?

„Ich glaube, Sie werden es vielleicht bereuen, wenn Sie nicht einwilligen, mich zu begleiten“, erklärte sie mutig.

„Bereuen?“, wiederholte er ungläubig. „Ich kann Ihnen versichern, Chérie, dass ich nicht der Typ bin, der etwas bereut.“

Nein, natürlich nicht, dafür war er zu stolz und zu zielstrebig. „Dies könnte die Ausnahme sein, welche die Regel bestätigt“, wandte sie trotzdem ein und seufzte bekümmert. Denn wenn sie ehrlich war, ließ die Sache sie nicht unberührt und war längst nicht mehr nur irgendein gut bezahlter Job für sie. Zwar kannte sie Xavier kaum, und sein bisheriges Verhalten war ihr nicht besonders sympathisch. Aber wie auch immer, er war ein Mensch, der das Risiko einging, eine Chance zu vertun, die er vielleicht nie wieder erhalten würde. Deshalb folgte sie der Stimme ihres Herzens.

„Der Scheich ist alt und gebrechlich“, erklärte sie behutsam. „Vielleicht haben Sie recht, und die ganze Sache beruht auf Missverständnissen. Vielleicht sind Sie gar nicht sein Sohn. Aber das werden Sie nur erfahren, wenn Sie nach Kharastan fliegen. Sobald Sie die Wahrheit kennen, steht es Ihnen frei, sie anzunehmen oder zurückzuweisen. Wie aber würden Sie sich fühlen, wenn er Ihr Vater wäre und Sie hätten diese Gelegenheit verpasst? Wenn Sie sich eine Chance erhalten wollen, Ihren Vater doch noch kennenzulernen, dann rate ich Ihnen zu handeln, bevor es zu spät ist.“ Laura sah ihn herausfordernd an. „Denn so ein alter Mann kann jederzeit sterben, Monsieur de Maistre.“

3. KAPITEL

Die Erwähnung des Todes lud die Atmosphäre in dem luxuriösen Büro spürbar auf.

Ein wenig fassungslos blickte Xavier in das blasse, schöne Gesicht der Engländerin. Im nächsten Moment richtete er sich jedoch zu seiner vollen, imposanten Größe auf und meinte sarkastisch: „Möchten Sie mir nicht lieber noch etwas beichten, Chérie? Zum Beispiel, dass Sie für irgendeine Reality-Show im Privatfernsehen arbeiten und eine versteckte Kamera bei sich tragen, um mich heimlich in meinem Büro zu filmen?“

Völlig verblüfft, wollte Laura ihn schon fragen, warum er so unsäglich misstrauisch sei. Doch dann fielen ihr die unautorisierten Schnappschüsse im „Bonjour!“ ein, und sie begriff, warum Xavier sie so feindselig ansah.

„Verschwinden Sie jetzt“, sagte er ruhig.

So durfte dieses Treffen nicht enden! Laura schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber Sie wollen doch ganz gewiss nicht …“

„Erlauben Sie sich kein Urteil darüber, was ich will oder nicht will!“, fiel er ihr wütend ins Wort. „Gehen Sie einfach – und zwar jetzt sofort! Maintenant!

Laura sah ein, dass jedes weitere Wort reine Zeitverschwendung gewesen wäre. Also nickte sie wortlos, nahm eine ihrer Visitenkarten aus dem Aktenkoffer und legte sie auf den Schreibtisch. „Sie finden darauf meine Mobilfunknummer“, erklärte sie sachlich. „Ich habe ein Zimmer im ‚Paradis‘, falls Sie mich aufsuchen möchten.“ Automatisch griff sie nach dem Porträtfoto, zuckte jedoch zurück, als Xavier sie anwies: „Lassen Sie das hier. Wenn es, wie Sie behaupten, tatsächlich ein Foto meines Vaters ist, habe ich größeres Anrecht darauf.“

Laura hielt es für das Klügste, nicht zu widersprechen. Schweigend räumte sie das Feld und verließ das Büro von Xavier de Maistre mit hoch erhobenem Kopf, äußerlich ruhig und gefasst. Als sie jedoch auf den Bürgersteig im noblen achten Pariser Arrondissement hinaustrat, stellte sie fest, dass ihr die Knie zitterten. Ermattet winkte Laura sich ein Taxi heran, das sie im Kriechtempo durch den dichten Pariser Stadtverkehr zum „Paradis“ brachte.

War sie auf ihrer Mission womöglich schon an der ersten Hürde gescheitert? Diese Frage stellte sie sich, als der Hotellift sie in die Luxussuite hinauftrug, die der Berater des Scheichs für sie angemietet hatte. Er hatte auch darauf bestanden, eine Stylistin zu engagieren, die Laura gleich bei der Ankunft in Paris zu einer ausgiebigen Shopping-Tour begleitet hatte. Denn obwohl Laura den Verstand, die Diskretion und die nötige Qualifikation für diesen ungewöhnlichen Job zu besitzen schien, fehlte ihr offenbar die richtige Garderobe, um sich angemessen in den höchsten Gesellschaftskreisen bewegen zu können. Und auch wenn sie sich als Kleinstadtanwältin in ihrem marineblauen Business-Kostüm, kombiniert mit cremefarbenen Blusen, immer wohlgefühlt hatte, war sie heute bei ihrem Besuch bei Xavier de Maistre für ihr Haute-Couture-Outfit dankbar gewesen. Kleidung diente auch als Schutz, als glaubwürdige Fassade, hinter der man seine Unsicherheit verbergen konnte.

Sobald Laura die Tür der Suite hinter sich geschlossen hatte, streifte sie die Pumps ab und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Untätig abwarten, ob Xavier nachdenken und sie anrufen würde? Und wenn nicht? Dann hätte sie die einmalige Gelegenheit verpasst, Paris zu erkunden. Sie würde früh genug erfahren, ob sie ihre Mission, Xavier nach Kharastan zu bringen, doch noch erfüllen und damit ihre saftige Erfolgsprämie einstreichen konnte.

Behutsam zog sie das Seidenkostüm aus und hängte es in den Schrank, bevor sie aus ihrer exklusiven neuen Garderobe ein weich fließendes rotbraunes Kaschmirkleid auswählte, das sie mit einem goldfarbenen Kettengürtel und flachen, weichen Lederstiefeln kombinierte. Perfekt für eine Sightseeing-Tour durch diese wundervolle Stadt. Ja, es war wirklich nicht schwer, sich an Luxus zu gewöhnen!

An der Rezeption erkundigte sie sich, ob irgendwelche Nachrichten für sie eingegangen seien.

Non, Mademoiselle“, antwortete die elegante, junge Frau bedauernd.

Die Hauptsehenswürdigkeiten waren zu Fuß erreichbar. Wie alle anderen Touristen ging Laura staunend durch die Straßen, bewunderte den imposanten Eiffelturm, der sich wie ein stählerner Gigant über dem Place du Trocadero erhob, und ließ sich vom besonderen Flair der Stadt bezaubern.

Doch bei aller Begeisterung kehrte sie in Gedanken immer wieder zu ihrem Treffen mit Xavier de Maistre zurück. Hätte sie die Situation souveräner handhaben können? Es hatte alles so einfach ausgesehen, als ihr Chef sie in sein Büro gerufen und ihr vorgeschlagen hatte, eine kurze Auszeit zu nehmen und mit einem Spezialauftrag für die königliche Familie von Kharastan auf einen Schlag genug zu verdienen, um ihre Schulden fast gänzlich abtragen zu können.

Zu dem Zeitpunkt hatte Laura sich noch nicht von dem gewaltigen Loch erholt, das ihr Freund Josh durch seinen Weggang in ihren Finanzen – und wenngleich nicht ganz so dramatisch in ihrem Herzen – hinterlassen hatte. Deshalb konnte sie ihr Glück kaum fassen. „Für die königliche Familie? Sie meinen, ich müsste nach Kharastan fliegen?“, erkundigte sie sich ungläubig.

„Genau“, bekräftigte ihr Chef lächelnd. „Der Freund eines Freundes ist in einer delikaten Sache an mich herangetreten – so funktioniert das in diesen Kreisen. Man sucht einen Vermittler, der jung, begeisterungsfähig, diskret … und weiblich ist.“

„Warum unbedingt weiblich?“

Ihr Chef zuckte die Schultern. „Frauen haben ein besonderes Talent mit Angelegenheiten umzugehen, die emotionalen Zündstoff bergen. Was hier der Fall ist.“

„Und wie steht es mit meiner … Sicherheit?“, fragte sie zweifelnd.

Ihr Chef lachte herzhaft. „Sie befinden sich als alleinstehende Frau unter dem persönlichen Schutz des Scheichs in einem bekanntermaßen strengen, traditionell geprägten Land. Sicherer könnten Sie gar nicht sein.“

Es hatte so leicht geklungen. Zu leicht, wie sie jetzt erkannte. Denn es hatte sich wieder einmal gezeigt, dass Menschen nicht wirklich berechenbar waren.

Langsam und nachdenklich ging Laura zum „Paradis“ zurück. Sollte sie Scheich Zahir anrufen und ihm von Xaviers Reaktion berichten? Oder sollte sie dem Franzosen erst einmal etwas Zeit geben, die Sache zu überdenken?

Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie den Mann gar nicht bemerkte, der im Foyer saß und ihr Eintreten aufmerksam beobachtete. Er erhob sich und folgte ihr zu den Aufzügen, ohne den Blick von ihrem verführerischen Hüftschwung zu lassen. Sobald Laura im Aufzug verschwunden war, drückte er auf die Taste, um den benachbarten Lift zu rufen.

In dem Moment, als Laura ihre Suite betrat und die Tür schließen wollte, drang jemand von hinten dazwischen. Erschrocken drehte sie sich um, nicht unbedingt beruhigt, dass sie sich Xavier gegenübersah.

„Was, in aller Welt, machen Sie da?“, rief sie aus, als er die Tür seelenruhig hinter sich schloss.

„Wie sieht es denn aus? Sie wollten doch mit mir sprechen, oder nicht?“ Er breitete aufreizend die Arme aus. „Schön, ich gehöre ganz Ihnen, Chérie.“

Klang es absichtlich wie ein erotisches Versprechen? „Ich … hätte es zu schätzen gewusst, wenn Sie sich vorher angekündigt hätten“, erklärte sie nervös. „Es ist nicht sehr komisch, derart überrumpelt zu werden.“

„Ach nein?“, erwiderte er spöttisch. „Und ich dachte, Sie hätten ein Faible für das Überraschungsmoment.“ Genüsslich beobachtete er, wie sie errötete. „Haben Sie mich nicht genauso überfallen?“

Laura rang sich ein Lächeln ab, was ihr nicht leichtfiel, weil Xavier sie mit Blicken auszuziehen schien. Sah er alle Frauen so an? Und verfiel ihm jede dann auf die eine oder andere Weise? Setz dich durch! Bleib professionell. Tu einfach so, als hätte er gerade dein Büro betreten. „Möchten Sie nicht Platz nehmen?“

Xavier ließ den Blick durch den Raum schweifen und auf dem großen Himmelbett verweilen. „Und wo – vielleicht dort auf dem Bett? Würde uns das nicht zu sehr ablenken? Mir jedenfalls fiele es schwer, an irgendetwas anderes zu denken, wenn ich mich mit einer so schönen Frau wie Ihnen auf einem Bett befände.“

Ihr Herz pochte heftig. „Werden Sie nicht anzüglich!“

„Anzüglich? Ich sage doch nur die Wahrheit. Sind Sie immer so zugeknöpft, Chérie?“ Ihr sehnsüchtiger Ausdruck verriet sie, wie Xavier zufrieden bemerkte. Doch er schob diese Gedanken fürs Erste beiseite. Dafür würde noch Zeit genug bleiben. „Aber vergessen wir zunächst einmal das Bett und seine wundervollen Möglichkeiten.“ Er sah sie durchdringend an. „Ich will Antworten.“

Laura nickte erleichtert. „Deshalb bin ich ja hier. Fragen Sie.“

„Glauben Sie wirklich, ich könnte hier alles stehen und liegen lassen und mit Ihnen nach Kharastan fliegen – vorausgesetzt, ich würde es überhaupt wollen?“

„Ja, natürlich. Sie sind der Boss und haben alle Freiheiten.“

„Sie schmeicheln mir.“

„Das lag nicht in meiner Absicht.“

„Ach nein? Wissen Sie nicht, dass Männer es lieben, wenn man ihnen schmeichelt?“

„Ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet“, erwiderte sie pikiert, denn sein aufreizender Ton ließ sie schon wieder ihren Vorsatz vergessen, sachlich zu bleiben. „Und vielleicht wird manchen Männern auch mehr geschmeichelt, als ihnen guttut. Ich vermute fast, dass Sie in diese Kategorie gehören, Monsieur de Maistre.“

Xavier lächelte triumphierend. Mit ihrem Widerstand hatte die schöne Engländerin ihr Schicksal besiegelt. Denn keine Eroberung war so erregend wie die einer Frau, die sich alle Mühe gab, Desinteresse zu heucheln.

Warum hatte man sie für diesen Job ausgewählt? War sie der Köder, mit dem der Scheich ihn nach Kharastan locken wollte? Seit sie sein Büro verlassen hatte, waren seine Gefühle völlig in Aufruhr, ein Zustand, den er nicht gewohnt war und der ihm nicht gefiel. Sein Verstand sagte ihm, dass es für ihn ohne Bedeutung sei, jetzt noch, so spät in seinem Leben, einen Vater zu entdecken … selbst wenn die groteske Behauptung sich als wahr erweisen sollte, was er immer noch bezweifelte. Er brauchte keinen Vater mehr. Er hatte seine Erfolge ganz allein erreicht und hegte einfach nicht den Wunsch nach einer solchen Aussöhnung. Im Gegenteil, er sah unzählige Komplikationen auf sich zukommen, praktischer und emotionaler Art, sollte er sich auf dieses Vabanquespiel einlassen.

Dennoch hatte die verblüffende Nachricht seine Neugier geweckt. Xavier wusste, dass er es tatsächlich immer bereuen würde, wenn er sich entschied, die Angelegenheit nicht zu ergründen. Und wie er bereits gesagt hatte, dafür war er nicht der Typ.

Davon einmal abgesehen, war natürlich die Vorstellung, mit der hinreißenden Laura Cottingham zu schlafen, die sich so große Mühe gab, ihm die kalte Schulter zu zeigen, eine Verlockung ganz eigener Art, die allein es wert zu sein schien, den Ausflug zu wagen! Ein genüssliches Lächeln huschte über Xaviers Gesicht. „Sie haben recht – ich kann tun und lassen, was ich will, und ich muss zugeben, dass ich noch nie eine so interessante Einladung von einer so unwiderstehlich schönen Frau erhalten habe. Welcher Mann könnte da ablehnen? Entspannen Sie sich also, Chérie, denn ich werde Sie nach Kharastan begleiten.“

Im ersten Moment wollte Laura kaum glauben, was sie hörte. „Das … freut mich sehr“, antwortete sie spontan, bemühte sich dann jedoch, ihren Überschwang zu bremsen, weil sie sich bewusst war, dass dieser Mann ihr ernsthaft gefährlich werden könnte.

„Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte er betont kühl, denn es war ihm wichtig, in dieser ungewöhnlichen Situation die Kontrolle zu behalten. Wenn schon, dann gab er die Regeln vor, und die schöne Anwältin musste sich nach ihm richten. „Aber noch bin ich nicht in Kharastan, deshalb schlage ich vor, dass Sie sich Ihren Jubel bis dahin aufheben.“

Laura nickte eifrig. „Wenn es Ihnen recht ist, werden Sie morgen früh um halb zehn von einem Wagen abgeholt und zum Flughafen gebracht.“

„Es ist mir nicht recht.“ Xaviers hintergründiges Lächeln wäre für seine Konkurrenten auf dem glatten Parkett von La Bourse, der berühmten Pariser Börse, die Napoleon persönlich gegründet hatte, eine Warnung gewesen. „Non. So funktioniert das bei mir nicht, Chérie. Sie werden mir weder den Zeitpunkt noch den Ort noch die Reisemodalitäten diktieren, sondern sich nach mir richten.“

„Wie soll ich das verstehen …?“, fragte Laura unsicher.

„Ganz einfach. Ich sorge selbst für meinen Flug nach Kharastan.“

„Aber das ist doch verrückt! Der Scheich stellt einen privaten Luxusjet für Sie bereit, der jederzeit zu Ihrer Verfügung steht.“

Xavier winkte verächtlich ab. „Glauben Sie wirklich, ein Luxusjet könnte mich reizen? Ich will dem Scheich zu nichts verpflichtet sein. Entweder Sie akzeptieren meine Bedingungen, oder Sie kehren mit leeren Händen nach Kharastan zurück.“

Sein unnachgiebiger Blick verriet, dass er ihr keinen Verhandlungsspielraum gewährte. „Aber … es gibt keinen direkten Flug nach Kharastan“, wandte Laura halbherzig ein. „Es könnte sehr mühsam werden, Anschlussflüge zu bekommen.“

Er lächelte spöttisch. „Meinen Sie, ich bin auf Linienflüge angewiesen? Ich werde die Chartergesellschaft benutzen, mit der ich immer fliege. Da weiß ich mich wenigstens in sicheren Händen. Denn wenn ich wirklich der Sohn des Scheichs bin, wie Sie behaupten, könnte der eine oder andere aus der königlichen Familie mir ja auch Schaden wünschen.“

Laura schluckte, denn ihr wurde plötzlich überwältigend bewusst, dass sie bei Xavier, diesem aufregend sinnlichen Mann, auf dieser Reise keineswegs in sicheren Händen war. Allein seine Nähe raubte ihr den Atem.

Xavier betrachtete ihr zartes Gesicht. So blass. So schön. So … auf der Hut. Heißes Verlangen durchzuckte ihn. „Was ist, Chérie? Sie wirken so nervös.“

„Warum, in aller Welt, sollte ich nervös sein, Monsieur de Maistre?“

„Ich denke, die Antwort kennen wir beide genau.“ Seine dunklen Augen blitzten. „Und vielleicht sollten Sie mich von nun an Xavier nennen.“

Er bat sie nur, ihn beim Vornamen zu nennen, aber mit seinem aufregenden französischen Akzent klang es fast wie ein unanständiger Antrag. Laura blickte in diese spöttisch funkelnden, unergründlichen Augen und bekam es richtig mit der Angst.

4. KAPITEL

„Wir werden in einer knappen Stunde landen, Monsieur.“

Xavier blickte von seinen Unterlagen auf in die samtbraunen Rehaugen der hübschen Stewardess. „Merci bien.“ Er wandte sich Laura zu, die ihm, in ein Buch vertieft, in der luxuriös ausgestatteten Flugzeugkabine gegenübersaß.

Wenn er erwartet hatte, dass sie während des Flugs unaufhörlich plappern würde, wie das bei Frauen nicht selten der Fall war, so fühlte er sich angenehm überrascht. Laura hatte unmittelbar nach dem Start einen dicken Roman zur Hand genommen und seitdem ohne Unterbrechung darin gelesen.

Ironischerweise hätte er ausgerechnet jetzt etwas oberflächliche Unterhaltung als Ablenkung gebrauchen können. Vergangene Nacht war er, von seltsamen, unruhigen Träumen verfolgt, aus dem Schlaf geschreckt. Desorientiert hatte er in die Dunkelheit seiner Pariser Wohnung gestarrt und sich eingestanden, dass die schöne Engländerin ihn gezwungen hatte, sich mit einem Bereich seines Lebens auseinanderzusetzen, der stets ein undurchdringliches Geheimnis gewesen war. Selbst wenn ihre Behauptung zutraf, war er sich nicht sicher, ob er dieses Geheimnis überhaupt lüften wollte. Andererseits drängte ihn irgendetwas mit unwiderstehlicher Macht, diese Entdeckungsreise zu unternehmen.

Eine beunruhigende Erfahrung für einen Mann, der es gewohnt war, immer alles unter Kontrolle zu haben. Deshalb tat Xavier das, was er am besten konnte: Mit eisernem Willen blendete er all die irritierenden Gefühle und Unwägbarkeiten aus. Was hatte es für einen Sinn, sich auszumalen, was er in Kharastan möglicherweise vorfinden würde, wenn sie schon bald dort landen würden?

Also hatte er sich mit Geschäftsunterlagen eingedeckt, um sie während des Flugs gründlich durchzuarbeiten. Nachdem er damit aber nun fertig war, kehrten die ungebetenen Gedanken zurück. Und die rothaarige Schöne schenkte ihm nicht die Beachtung, die er normalerweise von Frauen gewöhnt war. Was sein Interesse an ihr natürlich nur noch steigerte. Mit leidenschaftlichem Verlangen wusste er jedoch umzugehen, es beunruhigte ihn wesentlich weniger als die Frage seiner wirklichen Identität. Denn leidenschaftliches Verlangen hatte einen Anfang und ein unweigerliches Ende … Sobald er Laura Cottingham in seinen Bann gezogen hatte, würde sie ihren Reiz für ihn verlieren.

„Möchten Sie noch etwas essen?“, erkundigte er sich. „Oder trinken?“

Laura blickte von ihrem Buch auf. Ob ihm aufgefallen war, welche Mühe sie hatte, sich in seiner Gegenwart zu konzentrieren? Sie las dieselben Sätze immer wieder, ohne den Sinn zu begreifen. „Nein, danke. Ich bin nicht hungrig.“

„Aber Sie haben Ihr Mittagessen kaum angerührt“, wandte er ein.

Was der Wahrheit entsprach. Obwohl köstlich, hatte sie das leichte Gericht aus gedünstetem Fisch und frischem Gemüse genauso wenig reizen können wie die normalerweise unwiderstehliche Verlockung einer Mousse au Chocolat zum Dessert. Und wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht den überaus ruhigen Flug dafür verantwortlich machen. Nein, ihr Mangel an Appetit hatte nur einen einzigen Grund – und der saß ihr gegenüber.

„Frauen essen eben nicht so viel wie Männer“, antwortete sie fest.

Autor

Sharon Kendrick
<p>Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
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