Julia Collection Band 9

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

BESCHÜTZER UND VERFÜHRER von KATHIE DENOSKY
Es sollte nur zur Tarnung sein! Auf der Flucht vor ihrem kriminellen Verlobten vertraut sich die süße Annie dem attraktiven Burt Wakefield an. Nur zu gern lässt er sich darauf ein, ihren Liebhaber zu spielen. Allerdings lösen sie damit ungeahnte Folgen aus...

SEHNSUCHT UND HEISSE KÜSSE von KATHIE DENOSKY
Die Liebesnacht mit Curtis wäre besser nie passiert, denn Kaylee wird schwanger und flieht Hals über Kopf. Jahre vergehen, ehe die Physiotherapeutin den attraktiven Rodeo-Reiter als Patienten wiedersieht. Bis die Gefühle zurückkehren, dauert es dann aber nur Sekunden...

EIN VERHEISSUNDGSVOLLER KUSS von KATHIE DENOSKY
Wie ein rettender Engel betritt Morgan Wakefield Samanthas abgelegene Hütte. Dort liegt sie in den Wehen und bringt nur mit seiner Hilfe den kleinen Timmy zur Welt. Zum Dank gibt Samantha dem stolzen Farmer einen Kuss - und entfesselt damit einen Sturm der Gefühle...


  • Erscheinungstag 26.05.2009
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956517
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kathie DeNosky

Ranch der einsamen Herzen

KATHIE DENOSKY

Ranch der einsamen Herzen

Beschützer und Verführer

Burt Wakefield traut seinen Augen nicht: Auf dem Fenstersims vor seinem Hotelzimmer balanciert eine junge Frau! Er rettet sie und erfährt, dass Annie auf der Flucht vor ihrem Verlobten ist. Burt bietet ihr auf seiner Ranch Unterschlupf und erlebt eine Woche der Versuchung. Doch er ist überzeugt, dass die Schönheit aus der Stadt nicht beim ihm bleiben wird …

Ein verheißungsvoller Kuss

Es ist nur ein kleiner Kuss, mit dem Samantha sich bei Morgan für alles bedankt, was er für sie getan hat. In einer abgelegenen Hütte hat er ihr geholfen, ihr Baby zur Welt zu bringen, und sie dann ganz selbstverständlich bei sich aufgenommen. Doch je länger sie zusammen leben, desto schwerer wird es, ihr gegenseitiges Verlangen zu bändigen …

Sehnsucht und heiße Küsse

Nach dem Verlust ihres geliebten Bruders zieht es Kaylee zu dessen bestem Freund, Curtis Wakefield – nicht ahnend, dass aus einer tröstlichen Umarmung eine leidenschaftliche Liebesnacht wird. Von deren Folgen wird Curtis nichts erfahren, bis sie einander nach Jahren wiedersehen. Kaylee erstarrt vor Schreck – und spürt doch gleich wieder die alte Leidenschaft …

1. KAPITEL

Ihre schwarzen Pumps mit einer Hand umklammernd, lehnte Anastasia Devereaux sich an die Ziegelwand, holte tief Luft und wartete darauf, dass ihre beschlagenen Brillengläser sich klärten.

„Sieh nicht nach unten“, flüsterte sie. „Du schaffst es schon, wenn du nur nicht nach unten siehst.“

Sie schloss die Augen, um ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen. Wie in aller Welt hatte sie – eine intelligente, nicht sonderlich abenteuerlustige Bibliothekarin – es fertiggebracht, im vierten Stock des „Regal Suites Hotels“ in der Innenstadt von Saint Louis auf dem Fenstersims zu landen? Und noch dazu um Mitternacht!

Sie blickte rasch nach links und schluckte nervös. Es gab kein Zurück mehr. Vorsichtig wandte sie den Kopf nach rechts. Ihre einzige Hoffnung war, bis zum nächsten Balkon zu gelangen.

Sie holte tief Luft und konzentrierte sich auf das gegenüberliegende Gebäude, um nicht nach unten zu sehen, und bewegte sich langsam Zentimeter für Zentimeter auf den sicheren Balkon zu ihrer Rechten zu. Die Wand hinter ihr schien an ihrem Haarknoten zu ziehen, denn einzelne Haare verfingen sich in der rauen Struktur. Auch ihre Seidenbluse blieb immer wieder hängen; ihre Seidenstrümpfe hatten längst Laufmaschen und Ziehfäden. Der kalte Februarwind pfiff um sie herum, und sie erschauerte. Hätte sie nur die Geistesgegenwart besessen, nach ihrem Mantel und ihrer Handtasche zu greifen, bevor sie aus Patricks Hotelzimmer geflohen war! Aber das hatte sie nun mal nicht, und es nützte nichts, jetzt ihre Unüberlegtheit zu beklagen.

Sie stieß mit der Hüfte an das Eisengeländer des nächsten Balkons und hielt sich aufatmend daran fest. Es fühlte sich wie eine Rettungsleine an, und Anastasia klammerte sich mit aller Kraft daran. Ihre Großmutter würde ihr nie verzeihen, wenn sie fallen und man ihren leblosen Körper auf der Straße finden würde. Es wäre so entsetzlich würdelos. Und eine Whittmeyer – selbst wenn ihr Nachname Devereaux war – wahrte unter allen Umständen ihre Würde.

„Verzeih mir, Großmutter, aber es geht leider nicht auf damenhafte Weise“, sagte Anastasia leise, warf ihre Schuhe auf den Balkon, schob ihren Rock hoch und schwang ein Bein über das schmiedeeiserne Geländer.

Sie kletterte über das Geländer und fiel auf den rauen Boden. Dabei schürfte sie sich Knie und Handflächen auf, aber sie achtete nicht auf den Schmerz. Im Hotelzimmer brannte ein Licht. Anastasia konnte nur hoffen, dass der Bewohner nicht eingeschlafen oder ausgegangen war und bloß vergessen hatte, das Licht zu löschen.

Sie sammelte ihre Schuhe ein, holte noch einmal tief Luft und klopfte zaghaft an die Schiebetür.

Stille.

Was nun? Patrick konnte jeden Augenblick entdecken, dass sie fort war, und wenn er auf seinen Balkon hinaustrat, würde er sie sofort sehen. Sie machte eine Faust und schlug so kräftig sie konnte gegen die Glastür. Ein unterdrückter Fluch und danach das Zuknallen einer Tür waren zu hören – dann herrschte wieder Stille.

„Bitte, lassen Sie mich hinein!“, rief sie und spürte, dass Panik sie allmählich erfasste.

„Wo zum Teufel sind Sie?“, rief eine männliche Stimme von innen. Ihr Ton war nicht sehr freundlich.

„Ich bin auf dem Balkon. Bitte, beeilen Sie sich“, fügte sie hinzu, den Blick ängstlich auf Patricks Balkon gerichtet.

Als die Vorhänge abrupt zurückgezogen wurden, blinzelte Anastasia unwillkürlich. Sie sah einen Mann vor sich, der die unglaublichsten blauen Augen besaß und außer einem Badetuch um die Hüften völlig nackt war. Glattes dunkles Haar fiel ihm in die Stirn und gab seinen außergewöhnlich gut aussehenden Zügen eine gewisse Schroffheit.

Er schloss auf und schob die Balkontür auf. „Was zum Teufel tun Sie da draußen?“, fuhr er sie an.

Anastasia ließ ihre Schuhe fallen und machte einen Schritt nach hinten. Aber sie trat auf einen der Pumps und verlor das Gleichgewicht. Der Mann sprang vor und zog sie in seine Arme, bevor sie über das Balkongeländer fallen konnte.

„He, he, Kleines.“ Seine Stimme war tief und wohlklingend, und Anastasia erschauerte vor Erregung. „Von hier fällt man ganz schön tief, und wenn Sie nicht zufällig ein Engel sind und Flügel haben, glaube ich nicht, dass ein Salto rückwärts den Balkon hinunter eine besonders gute Idee wäre.“

„Habe ich nicht.“ Anastasia schüttelte benommen den Kopf. „Flügel, meine ich.“ Sie schaute ängstlich über das Geländer und ihr schauderte bei dem Gedanken, wie kurz sie davor gewesen war, hinunterzufallen. „Und ich fürchte, meine Landung wäre nicht besonders anmutig gewesen.“

Der Mann hielt sie immer noch fest in den Armen, während er mit ihr ins Hotelzimmer ging und die Balkontür zuschob. „Jetzt sind Sie sicher“, sagte er, und seine Stimme klang plötzlich sehr viel sanfter als noch vor wenigen Momenten.

Anastasia zitterte, aber sie wusste nicht, ob das an seiner aufregenden Baritonstimme lag oder daran, dass ihr kalt war. Und die Tatsache, dass ihr seine beeindruckend muskulösen Arme aufgefallen waren, spielte vielleicht auch eine Rolle. Der Gedanke, dass er unter dem Badetuch wahrscheinlich keinen Faden am Leib trug, ließ sie wieder erschauern.

„Sie sind ja völlig durchgefroren, Kleine“, sagte er und drückte sie an sich.

Diesmal war Anastasia sicher, dass seine Nähe ihr Erschauern auslöste. Ihre Wange lag an seiner warmen, nackten Brust, und seine Hände massierten ihr langsam den Rücken. Welche Frau mit einem Funken Leben in sich würde nicht erzittern?

„Ich danke Ihnen, dass Sie mich hereingelassen haben.“

„Wie lange haben Sie da draußen gestanden?“, fragte er.

„Keine Ahnung.“ Wie lange war sie auf dem Sims gewesen? Es war ihr wie Stunden vorgekommen, aber es konnte nicht mehr als wenige Minuten gewesen sein. „Fünf Minuten, vielleicht zehn.“

Widerwillig befreite sie sich aus seiner Umarmung, aber als sie das Blut auf seiner glatten Brust sah, blickte sie entsetzt auf ihre Handflächen.

„Lassen Sie mich mal sehen“, sagte er und nahm ihre Hände in seine. Er führte sie zum Bett und hielt die Hand unter die Nachttischlampe. „Was ist geschehen?“

„Ich bin gefallen, als ich auf Ihren Balkon kletterte“, antwortete sie schwach. Ihre Knie drohten plötzlich nachzugeben.

„Wie sind Sie bloß da hingekommen?“

„Ich bin den Sims entlanggekrochen.“

Ob es der Gedanke war, wie leicht sie in ihren Tod hätte stürzen können, oder die Nähe dieses faszinierenden Mannes, wusste Anastasia nicht genau, aber wenn sie sich nicht setzte, und zwar sehr bald, würde sie ihm im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße fallen.

Sie ließ sich auf den Bettrand sinken und zog scharf den Atem ein, als ein heftiger Schmerz ihre Schienbeine durchfuhr. „Au!“

Ohne um Erlaubnis zu bitten, schob der Mann ihr den Rock bis über die Knie hoch. „Verdammt noch mal! Sie haben sich die Knie ganz schön aufgeschürft, Kleines.“ Er griff nach der großen rot-schwarzen Sporttasche, die auf dem Bett lag. „Ziehen Sie die Strumpfhose aus.“

Bevor sie ihm sagen konnte, dass sie so etwas ganz bestimmt nicht tun würde, klopfte jemand an die Eingangstür zur Suite. Anastasia zuckte zusammen. „Erwarten Sie jemanden?“, fragte sie.

Er blickte durch die offene Tür des Schlafzimmers in den Salon der Suite. „Nein.“ Dann sah er Anastasia mit einem Grinsen an. „Aber Sie hatte ich ja auch nicht erwartet.“

„Es ist bestimmt Patrick.“ Sie stand hastig auf und sah sich hilflos um. „Er darf mich nicht finden. Ich muss fort.“

Burt Wakefield betrachtete die Frau nachdenklich. Sie benahm sich genauso scheu wie ein junges Fohlen. Wenn er sie nicht beruhigte, würde sie womöglich noch auf den Sims zurückklettern.

„He, machen Sie sich keine Sorgen. Ich weiß zwar nicht, wer Patrick ist und warum Sie versuchen, vor ihm wegzulaufen, aber ich werde Sie nicht verraten.“ Er ging zur Tür. „Bleiben Sie hier. Ich werde den Mann wegschicken, und dann kümmern wir uns um Ihre Kratzer.“

Er zog die Schlafzimmertür fast ganz hinter sich zu und ging durch den Salon. Als er vor der Eingangstür zu seiner Suite ankam, klopfte es wieder, diesmal noch lauter. Burt kniff ein Auge zu und sah durchs Schlüsselloch. Ein Mann im Anzug stand mit geballter Faust vor der Tür.

Ach, zum Teufel, der Typ war ein „Nadelstreifen“. Wenn es etwas gab, das Burt verabscheute, dann waren das Männer in Nadelstreifenanzügen. Man konnte ihnen nicht trauen. Und Burt würde seinen letzten Cent darauf wetten, dass der aalglatte Nadelstreifen vor der Tür der Mann war, dem die Frau in seinem Schlafzimmer aus dem Weg zu gehen versuchte.

Burt taxierte seinen Gegenspieler kritisch. Er war mindestens zehn Zentimeter größer als der Kerl und wog gute fünfzehn Kilo mehr. Und wenn der Widerling nicht gerade den schwarzen Gürtel hatte, würde Burt es jederzeit mit ihm aufnehmen können.

Er setzte eine finstere Miene auf – Abschreckung konnte nicht schaden – und riss die Tür weit auf. „Was zum Teufel wollen Sie?“, verlangte er zu wissen.

Der Nadelstreifen wich verblüfft einen Schritt zurück. „Ich … entschuldigen Sie die Störung, aber ich suche meine Verlobte.“ Er hielt Burt ein Foto hin. „Ich frage mich, ob Sie sie vielleicht gesehen haben.“

Burt log nicht gerne. Es war nun einmal unehrlich, wie man es auch betrachtete. „Die einzige Frau, die ich kürzlich gesehen habe, zieht in meinem Schlafzimmer gerade ihre Strumpfhose aus“, antwortete er wahrheitsgemäß. Er verschränkte die Arme vor der nackten Brust und sah den Mann vorwurfsvoll an. „Und ich war gerade dabei, ihr dabei zu helfen, als Sie uns unterbrachen.“

Das Grinsen des Mannes brachte Burt in Rage. Nichts würde ihm größere Freude bereiten, als ihm mit einem kräftigen Kinnhaken das lüsterne Lächeln aus dem käsigen Gesicht zu wischen.

Nicht nur der Nadelstreifenanzug war Burt an diesem Typen unsympathisch. Sein verschlagener Blick machte ihn nervös und verriet ihm deutlicher als Worte, dass irgendetwas an diesem Mann faul war.

„Dann lasse ich Sie wieder zu Ihrem nächtlichen Vergnügen zurückkehren“, sagte der Mann und holte eine Visitenkarte und einen Füller aus der Innentasche seines Jacketts. Er kritzelte etwas auf die Rückseite und reichte sie Burt. „Hier sind mein Name und meine Zimmernummer. Wenn Sie eine unscheinbare Frau in khakifarbenem Rock und weißer Bluse sehen, rufen Sie mich.“

Burt hielt sich nur mit Mühe zurück, ihm eins auf die Nase zu geben. Die Frau mochte ja keine Schönheit sein, aber sie verdiente es bestimmt nicht, von ihrem Verlobten als unscheinbar bezeichnet zu werden. Er drehte die Karte um, und tatsächlich, da hieß es: Patrick Elsworth, Konzessionierter Steuerberater. Burt zuckte die Achseln und wollte die Tür schließen.

„Sie trägt eine Brille mit schwarzem Gestell“, fügte Elsworth noch hinzu, aber Burt hatte ihm schon die Tür vor der Nase zugeknallt.

Er schob die Riegel vor, trat an den Schreibtisch und warf die Karte in den Papierkorb. Dann ging er ins Schlafzimmer zurück. Die Frau war nirgends zu sehen.

„Lady?“ Nichts. „He, Lady!“

Wohin, zum Kuckuck, mochte sie gegangen sein? War sie schon wieder auf dem Balkon? Oder noch schlimmer, womöglich auf dem Sims? Sein Herz klopfte unruhig bei der Vorstellung. Obwohl er die Frau nicht kannte, wollte er natürlich nicht, dass ihr etwas zustieß. Gerade als er auf dem Balkon nachsehen wollte, wurde die Tür zum Badezimmer einen Spaltbreit geöffnet.

„Ist er weg?“, flüsterte die Frau.

Burt nickte. „Heute wird er uns nicht mehr stören.“

Sie stieß die Tür weiter auf und blieb unsicher stehen. Mit ihrer Brille und dem skeptischen Blick in ihren grünen Augen erinnerte sie ihn an seine Grundschullehrerin Mrs. Andrews, als er versucht hatte, ihr weiszumachen, dass es nicht seine Absicht gewesen war, Susie Parker einen Grashüpfer in den Rückenausschnitt ihres Kleides zu stecken, sondern dass der kleine Racker da von selbst hineingesprungen war.

„Woher wollen Sie wissen, dass er nicht zurückkommt?“, fragte die Frau ihn.

„Weil ich ihm deutlich zu verstehen gab, dass ich eine weitere Störung ganz und gar nicht begrüßen würde“, sagte Burt. Er lächelte sie freundlich an, um ihr die Nervosität zu nehmen. „Es ist nicht meine Schuld, wenn er annimmt, dass ich es mir mit einem Rodeohäschen gemütlich machen will.“

„Wie bitte?“ Sie hinkte zur Tür. „Nein, sagen Sie es mir lieber nicht. Ich glaube, ich habe ungefähr eine Vorstellung, was Sie meinen.“

Burt folgte ihr ins Wohnzimmer der Suite. Die Fremde hatte ihr glattes hellblondes Haar aus dem strengen Knoten gelöst, und Burt war erstaunt, um wie viel jünger sie jetzt aussah. Als er sie zuerst durch die Glastür zum Balkon gesehen hatte, hatte er sie auf etwa Mitte oder Ende dreißig geschätzt. Aber jetzt kam sie ihm nicht älter als vier- oder fünfundzwanzig vor.

Es fiel ihm auch auf, dass sie die zerrissene Strumpfhose ausgezogen hatte. Er schluckte mühsam und wandte hastig den Blick von ihren wohlgeformten Waden und schlanken Knöcheln ab. Stattdessen starrte er auf ihre Füße und sah zu seiner Überraschung, dass sie ihre Zehennägel knallrot lackiert hatte. Wirklich sehr verblüffend, wenn man ihren ansonsten so – er weigerte sich, das Wort unscheinbar zu benutzen – so konservativen Aufzug bedachte. Ja, genau das war das Wort. Konservativ.

Aber dann sagte er sich, dass es ihn nichts anging, in welcher Farbe die Frau ihre Zehennägel lackierte oder dass sie ihre attraktiven Beine unter einem viel zu weiten Rock versteckte.

„Setzen Sie sich doch und beruhigen Sie sich, während ich mich anziehe. Dann kümmere ich mich um Ihre Knie.“

Sie nickte und ließ sich auf das Sofa sinken. Einige Sekunden lang sah sie stumm zu ihm auf, dann schob sie die Brille etwas höher und räusperte sich. „Ich wollte nicht neugierig sein, aber ich habe die Schminke in Ihrem Badezimmer gesehen. Sind Sie eine Art Clown oder so?“, fragte sie höflich.

„Nicht ganz.“ Er unterdrückte ein Lachen. „Ich bin ein Stierkämpfer.“ „Ein Stierkämpfer?“ Sie sah ihn wieder zweifelnd an. „Sind

Sie so etwas wie ein Matador? Ich wusste nicht, dass die sich die Gesichter anmalen.“

„Nicht die Art von Stierkampf“, sagte er lächelnd. „Ich nehme an Rodeos teil – und Sie wissen ja, das Bullenreiten gehört mit dazu. Ich bin dieses Wochenende mit dem PBR in dieser Stadt.“

„Was ist das?“

„Die Professional Bull Riders – der Verband der professionellen Bullenreiter.“

„Das ist sehr … interessant, Mister …“ Sie hielt inne und errötete. „Es ist mir so peinlich. Sie waren so unglaublich freundlich zu mir, und ich weiß nicht einmal Ihren Namen.“

„Burt Wakefield.“

„Ich heiße Anastasia Devereaux“, sagte sie und streckte ihm höflich die Hand entgegen.

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Devereaux.“ Er nahm ihre Hand, aber kaum hatte er sie berührt, als ihn ein seltsames Gefühl durchfuhr, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Er schluckte nervös und ließ ihre Hand hastig wieder los. Es war ihm unmöglich, zu sprechen, und so drehte er sich um und ging ins Schlafzimmer zurück. Er war kurz davor gewesen, unter die Dusche zu gehen, als sie bei ihm angeklopft hatte, aber das konnte warten, bis er sich um ihre aufgeschürften Hände und Knie gekümmert hatte. So wie sie vorhin durchs Zimmer gehinkt war, mussten ihre Knie ihr inzwischen höllisch wehtun.

Er löste das Badetuch um seine Taille und zog sich Boxershorts, Jeans und ein T-Shirt an. Dann holte er aus seiner Tasche den Erste-Hilfe-Kasten heraus, den er überallhin mitnahm. Als er das Wohnzimmer betrat, sah er sie zusammengekauert auf dem Sofa sitzen, die Arme um sich geschlungen und am ganzen Körper zitternd. Sein Magen zog sich vor Mitleid zusammen, und er hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er nicht daran gedacht hatte, ihr eine Decke oder seine Jacke anzubieten.

Er schob den Couchtisch beiseite, ging vor ihr in die Knie und rieb ihr kräftig die Arme, um sie aufzuwärmen. „Ich hole Ihnen meine Jacke“, sagte er und stand auf.

Gleich darauf war er zurück und legte ihr seine schwere Lederjacke um die Schultern. Schließlich zog er ihr Haar unter dem Kragen hervor. Das weiche, schulterlange Haar fühlte sich weich wie Seide auf seinen Händen an, und er musste sich zusammenreißen, um nicht die Finger darin zu vergraben.

„Das sollte Sie in null Komma nichts aufwärmen“, sagte er und trat einen Schritt zurück. Ihm war jedenfalls plötzlich sehr viel wärmer, und er fragte sich, was zum Teufel in ihn gefahren war.

„Vielen Dank“, sagte sie, immer noch ein wenig bibbernd.

Burt kniete sich wieder vor ihr hin, schob ihr den Rock hoch und versuchte, nicht auf die glatte, zarte Haut ihrer Schenkel zu achten. Er holte tief Luft, öffnete ein kleines Fläschchen Antiseptikum und hoffte, dass der scharfe Geruch ihn wieder zur Vernunft bringen würde.

„Möchten Sie mir erzählen, was das alles zu bedeuten hat?“, fragte er und betupfte behutsam ihre verletzte Haut mit einem Wattebausch.

„Nein“, sagte sie hastig. Sekunden später fügte sie hinzu: „Verzeihen Sie mir bitte, aber ich glaube nicht, dass das eine sehr gute Idee wäre.“

Burt sah kurz zu ihr auf. Er konnte verstehen, dass sie zögerte, sich ihm anzuvertrauen. Immerhin kannte sie ihn überhaupt nicht. „Sie können mir vertrauen“, sagte er und sah ihr direkt in die grünen Augen. Wenn er nicht aufpasste, würde er sich noch in diese herrlichen Augen verlieben. Er musste sich räuspern, um weitersprechen zu können. „Ich möchte Ihnen nur aus den Schwierigkeiten helfen, in denen Sie stecken.“

„Warum glauben Sie, dass ich Schwierigkeiten habe?“, fragte sie misstrauisch.

„Irgendetwas hat Sie doch auf den Sims getrieben.“ Er wandte sich wieder ihren aufgeschürften Knien zu. „Und ich wette, es war nicht Ihr Wunsch nach frischer Luft.“ Er schraubte das Antiseptikumfläschchen zu und griff nach der Tube mit der Salbe. „Warum fangen Sie nicht damit an, warum Sie vor Ihrem Verlobten davonlaufen?“

Ihre Hand zitterte leicht, als sie wieder die Brille hochschob. „Ich kenne Sie nicht.“

„Das stimmt. Aber unter den Umständen denke ich nicht, dass Ihnen eine Wahl bleibt. Es ist eindeutig klar, dass Sie Hilfe brauchen, und da ich niemanden sonst sehe, der sich freiwillig für diesen Job meldet, bin ich das Beste, was Sie haben.“ Ein plötzlicher Gedanke ließ ihn zu ihr aufsehen. „Hat der Nadelstreifen Sie etwa rau behandelt?“

„Nicht direkt“, antwortete sie. „Er war zu sehr damit beschäftigt, mir anzudrohen …“ Sie presste die Lippen zusammen und sah Burt sekundenlang unschlüssig an. „Ich weiß einfach nicht, ob es klug ist, Sie in die Sache hineinzuziehen“, sagte sie schließlich kläglich.

„Warum verraten Sie mir nicht, was los ist, und lassen mich das entscheiden?“ Er trug die Salbe auf ihre Knie auf, während er auf ihre Reaktion wartete. Als er schon glaubte, sie würde sein Angebot ablehnen, hörte er sie tief Luft holen. Ihr verängstigter Ausdruck weckte sein tiefstes Mitgefühl. Anastasia Devereaux war offensichtlich in einer aussichtslosen Lage, und sie hatte eine Heidenangst.

„Sie sind so freundlich zu mir gewesen, Mr. Wakefield. Aber …“

„Ich heiße Burt.“

Sie nickte. „Patrick sieht seine Chancen schwinden. Und verzweifelte Männer greifen oft auf verzweifelte Methoden zurück. Ich möchte Sie nicht in diese Sache verwickeln, Burt.“

Die Art, wie sie seinen Namen mit ihrer sanften Stimme aussprach, beschleunigte seinen Puls. Burt konzentrierte sich darauf, ihre Schürfwunden zu versorgen, und hoffte, das würde ihn von seiner unerklärlichen Reaktion ablenken. Er musste sich heute Abend irgendwann den Kopf gestoßen und es vergessen haben. Diese Frau war doch nicht einmal sein Typ. Abgesehen davon, dass die Frauen, die er normalerweise attraktiv fand, Make-up trugen und man die Figur unter ihrer Kleidung erahnen konnte, strahlte Anastasias Haltung Kultiviertheit und Vornehmheit aus. Schon ihr Name wies darauf hin, dass sie einer höheren Gesellschaftsschicht entstammte als er. Und obwohl sein Bankkonto bewies, dass er als Stierkämpfer sehr erfolgreich war, und er außerdem einen Abschluss in Betriebswirtschaft hatte, war er nicht der kultivierte, akademische Typ.

Hinzu kam, dass Anastasia mit diesem hinterhältigen kleinen Ekel Patrick verlobt war. Und Burt gehörte nicht zu den Männern, die auf fremdem Territorium wilderten, selbst wenn sein Gegner nicht gut genug war, dieselbe Luft wie Anastasia zu atmen.

„Das Beste wäre, wenn ich das Hotel irgendwie unbemerkt verlassen und Sie aus der Sache herauslassen könnte“, bemerkte sie.

„Ich kann schon auf mich aufpassen.“ Er wickelte den Mullverband um ihr Knie und klebte ihn mit Heftpflaster fest. „Und ich gebe Ihnen mein Wort, Ihr Verlobter muss erst an mir vorbei, bevor er Hand an Sie legen kann, Annie.“

Anastasia hielt abrupt den Atem an. Die einzigen Menschen, die sich jemals über das Gebot ihrer Großmutter hinweggesetzt und sie Annie genannt hatten, waren ihre Eltern gewesen. Sie hatte vergessen, wie sehr ihr der Klang ihres Kosenamens gefehlt hatte.

Tiefe Trauer erfüllte sie bei dem Gedanken an ihre Eltern. Obwohl sie vor neunzehn Jahren gestorben waren, gleich nach Anastasias fünftem Geburtstag, erinnerte sie sich noch an sie und fragte sich oft, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie mit ihnen aufgewachsen wäre.

Sie zwang sich, die wehmütigen Gefühle zu verscheuchen. Selbst wenn ihre Großmutter ihr nie erlaubt hatte, auch nur den leisesten Anflug von Abenteuer in ihr Leben zu lassen, hatte sie doch eine nette Kindheit verbracht. Jedenfalls behauptete das ihre Großmutter. Und was Carlotta Whittmeyer sagte, war Gesetz. Niemand wagte es, ihr zu widersprechen.

Annie betrachtete Burt Wakefield nachdenklich. Er schien ein vertrauenswürdiger Mann zu sein. Und der Himmel wusste, dass sie im Augenblick nichts nötiger brauchte als einen Freund.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“, sagte sie unsicher. Konnte sie einem wildfremden Mann verraten, warum sie Patrick Elsworth unbedingt eine Woche lang aus dem Weg gehen musste?

„Fangen Sie einfach am Anfang an.“ Burt zwinkerte mit den Augen.

Sein Lächeln war ermutigend, und ihr Herz machte einen Sprung. „Patrick ist Großmutters Steuerberater.“

„Haben Sie beide sich so kennengelernt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Er kam regelmäßig in die Leihbibliothek, in der ich arbeite. Nach einigen Wochen bat er mich, mit ihm essen zu gehen. Das ist jetzt etwa ein Jahr her.“

„Sie haben sich also schon eine ganze Weile mit ihm getroffen?“

„Ja.“ Annie hatte plötzlich das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben. Sie lehnte den Kopf erschöpft gegen den Sofarücken. „Zunächst mal möchte ich eine Sache klarstellen. Patrick Elsworth war nie mein Verlobter und wird es auch nie werden.“

2. KAPITEL

Burt betrachtete den glitzernden Diamanten an Annies Ringfinger der linken Hand. „Und was ist das?“, fragte er und wies auf das beeindruckende Schmuckstück. „Soweit ich weiß, ist ein solcher Klunker die Art eines Mannes, eine Frau als sein Eigentum zu kennzeichnen.“

„Das ist der Verlobungsring, den Patrick mir zu geben versuchte“, erwiderte sie, als ob damit alles geklärt wäre.

„Der Mann hat Sie gebeten, ihn zu heiraten, Sie haben den Ring angenommen, aber Sie sind nicht mit ihm verlobt.“ Burt wollte sichergehen, dass er alles richtig verstanden hatte.

„Genau.“

Burt sah sie nachdenklich an. Vielleicht fand eine Frau das logisch, aber für ihn ergab das nicht den geringsten Sinn. Es sei denn, sie …

Sein Blick ruhte argwöhnisch auf ihr. Der Diamant musste einige Tausend Dollar wert sein. Hatte sie das Schmuckstück womöglich gestohlen?

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, schüttelte sie den Kopf. „Bevor Sie mich fragen, ob ich eine Diebin bin – die Antwort lautet Nein. Der Ring gehört meiner Großmutter, und ich habe vor, ihn ihr zurückzugeben.“

Burt wurde von Minute zu Minute verwirrter. „Sie meinen, der Typ hat versucht, Ihnen einen Verlobungsring zu geben, der Ihrer Großmutter gehört, und Sie tragen ihn, aber Sie haben ihn nicht angenommen, und Sie werden ihn nicht heiraten.“

„Richtig.“

„Sind Sie sicher, dass Sie am Anfang angefangen haben?“, fragte Burt. „Entweder ich habe da etwas verpasst, oder Sie haben wichtige Informationen ausgelassen.“

Sie spielte nervös mit dem Saum ihres Rocks, bevor sie ihn über ihre verbundenen Knie zog und Burt so den Blick auf ihre hübschen Schenkel verwehrte. „Ich bin ein Jahr lang mit Patrick ausgegangen …“

„So viel habe ich mitbekommen.“ Burt stand auf, zog den Couchtisch heran und setzte sich darauf, sodass er direkt vor Annie saß. Dann griff er nach ihrer rechten Hand und fing an, die Abschürfungen auf der Handfläche zu reinigen. Noch nie hatte er so zarte Haut berührt. „Warum spulen Sie nicht vor zu den Ereignissen, die Sie vorhin auf den Sims und dann zu mir geführt haben?“, fragte er, um sich abzulenken.

„Wir kannten uns ein paar Monate, da fing Patrick an, meiner Großmutter Tipps für Investitionen und Steuerersparnisse zu geben, obwohl sie schon einen sehr fähigen Steuerberater hatte“, erklärte Annie.

Burt wickelte einen Verband um ihre Hand. „Lassen Sie mich raten. Bald darauf wechselte sie ihren Steuerberater.“

Annie nickte. „Stimmt. Großmutter entließ Mr. Bennett, der seit Jahren für sie arbeitete, und stellte Patrick ein. Zunächst schien alles in bester Ordnung zu sein. Aber dann fiel mir eine Veränderung an ihm auf. Es war am Anfang nichts allzu Auffälliges. Patrick trug plötzlich sehr viel schönere, teurere Kleidung, und ich dachte, er hätte vielleicht von einigen seiner Klienten einen Vorschuss bekommen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber dann schaffte er sich einen BMW an, kaufte ein neues Haus in einer der teuersten Gegenden der Stadt und richtete es mit wertvollen Antiquitäten und Originalgemälden ein. Ich fürchtete schon, er hätte sich in Schulden gestürzt, um sich das alles leisten zu können. Schließlich fing er an, sich damit zu brüsten, dass er für alles bis auf das Haus bar bezahlt hätte. Und da wurde mir klar, dass da etwas nicht stimmte. Ein Steuerberater, der mit praktisch nichts begonnen hatte, noch dazu in einer kleinen Stadt wie unserer, konnte sich unmöglich in weniger als einem Jahr einen solchen Luxus leisten.“

„Sie kommen nicht aus Saint Louis?“

„Nein. Wir leben in Herrin, einer Kleinstadt südöstlich von hier, die zum Bundesstaat Illinois gehört. Die Bevölkerung liegt bei etwa zehntausend, also bin ich sicher, dass er unmöglich so viel Geld verdient haben konnte.“

„Ja, es klingt wirklich sehr verdächtig“, stimmte Burt zu und klappte den Verbandskasten zu.

„Das dachte ich auch.“ Annie drehte unbewusst den Diamantring hin und her. „Aber bis heute Abend hatte ich nicht mehr als das – bloße Vermutungen.“

„Und jetzt haben Sie Beweise?“

Sie kaute an ihrer Unterlippe. „Nicht genau.“

„Wie können Sie dann sicher sein, dass er Ihre Großmutter bestohlen hat?“

Plötzlich stand sie auf und ging nervös im Zimmer auf und ab. In seiner großen Jacke wirkte ihr zierlicher Körper zerbrechlich und zart. Burt hielt erschrocken den Atem an. Woher war denn dieser Gedanke gekommen? Jetzt war er sicher, dass er sich in der ersten Runde des Bullenreitens den Kopf gestoßen haben musste. Unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand durch das Haar. Aber er fühlte keine Beulen.

„Ich weiß, dass Patrick Großmutters Geld veruntreut hat, weil er es selbst zugegeben hat, kurz bevor er mich bat, ihn zu heiraten“, fuhr Annie fort.

„Sie meinen, dieser Esel hat zugegeben, dass er Ihre Großmutter bestiehlt, und erwartet dann noch, dass Sie ihn heiraten?“, fragte er ungläubig.

„Ja.“ Burt starrte sie ungläubig an. „Eins muss ich dem Ekelpaket lassen: Er hat eine tüchtige Portion Frechheit.“ Sie blieb vor ihm stehen. „Genau das habe ich auch gedacht.

Aber als ich ihm sagte, dass ich lieber sterben würde, als ihn zu heiraten …“ Sie schloss die Augen und erschauerte. „Sagte er, dass sich das leicht machen ließe.“

Burt stand abrupt auf. „Der Kerl hat Ihnen gedroht, Sie umzubringen?“

„Ja.“

„Und Sie glauben, er meinte es ernst?“

Sie nickte und rückte wieder nervös ihre Brille zurecht. „Ja, das tue ich. Er ist verzweifelt genug, um das zu tun.“

Burt ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten und bedauerte, dass er dem Nadelstreifen keine verpasst hatte, als er die Gelegenheit dazu hatte. Er legte Annie die Hände auf die Schultern und sah sie ernst an. „Sie müssen die Polizei anrufen.“

„Und ihnen was sagen? Obwohl Patrick seinen Diebstahl zugegeben und mich bedroht hat, habe ich weder Beweise noch Zeugen. Und natürlich würde er alles leugnen, wenn man ihn fragt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Die Polizei könnte nichts unternehmen, weil sein Wort gegen meins steht.“

Burt musste zugeben, dass Annie recht hatte. Ohne Beweise konnte die Polizei nicht eingreifen. „Wenn Sie ihn im Verdacht haben, ein solcher Schurke zu sein, was machten Sie dann in seinem Zimmer?“

„Das habe ich mich seitdem auch etwa tausend Mal gefragt“, erwiderte sie bedrückt. „Ich nehme an, ich war einfach zu naiv oder zu dumm, und im Augenblick denke ich eher Letzteres.“

„Sie sind zu streng mit sich, Annie.“ Burt schlüpfte mit den Händen unter die Jacke, um die Spannung in ihren Schultern wegzumassieren.

„Ich hätte es wirklich besser wissen sollen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber Großmutter hat hier in der Stadt mehrere Konten, und als Patrick mir sagte, er hätte in Saint Louis ein Geschäftstreffen mit den Bankiers, und mir vorschlug, ihn zu begleiten, dachte ich, ich könnte die Gelegenheit nutzen, um etwas herauszufinden, das ihn belastet.“

„Aber Sie haben nichts gefunden?“ Burt war in Gedanken gar nicht mehr so sehr bei der Sache. Stattdessen genoss er es, ihre schmalen Schultern unter seinen Händen zu fühlen.

„Nein, ich fand nichts heraus, weil dieses Geschäftstreffen nie stattfand. Es war nichts als ein Trick gewesen, damit ich ihn ins Hotel begleitete und seinen Antrag annehme. Er sagte, ihm wäre aufgefallen, dass ich Verdacht geschöpft hätte. Also kaufte er den Ring vom Geld meiner Großmutter, und das war’s.“

Burt hörte auf, sie zu massieren. Jetzt war er wirklich verwirrt. „Wie hätte denn eine Ehe zwischen Ihnen beiden alles in Ordnung gebracht? Sie hätten Ihrer Großmutter doch trotzdem erklären können, was los ist, und sie hätte ihn festnehmen lassen können.“

Annie schüttelte den Kopf. „Patrick kennt meine Großmutter nur allzu gut. Sie würde niemals den Mann ihrer einzigen Enkelin anzeigen, was immer er auch getan haben mochte. Es würde einen zu großen Skandal verursachen. Und was ein schlechtes Licht auf die Whittmeyers werfen könnte, muss um jeden Preis vermieden werden.“

Burt konnte es nicht fassen, dass eine Frau das Glück ihrer Enkelin opfern konnte, nur um den Namen der Familie zu schützen. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans, um nicht seinem ersten Impuls nachzugeben und Annie tröstend in den Arm zu nehmen. Das Problem war allerdings, dass er nicht sicher war, ob er wirklich nur Trost anbieten wollte. Und das war völlig lächerlich. Schließlich kannte er die Frau erst seit knapp einer Stunde.

„Warum rufen Sie Ihre Großmutter nicht an, sagen ihr alles und lassen sie einen Rechnungsprüfer holen, der mit ihr alle Konten durchgeht?“, schlug er vor und wunderte sich, warum seine Stimme plötzlich so rau klang. Er räusperte sich. „Oder vielleicht kann sie Elsworth auch einfach feuern und sich diese Erfahrung eine Lehre sein lassen.“

Annie seufzte. „Ich kann es Großmutter nicht sagen. Sie ist gerade auf einer Museumstour in Europa und kommt erst in einer Woche zurück.“ Sie ließ sich wieder auf das Sofa sinken. „Und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, weiß ich nicht einmal genau, in welchem Land sie sich gerade aufhält.“

„Gibt es denn niemand anders, an den Sie sich wenden können?“, fragte Burt. „Wie ist es mit Ihren Eltern? Oder einer Tante oder einem Onkel?“

Annie schüttelte den Kopf. „Meine Eltern sind vor neunzehn Jahren gestorben. Großmutter und ich haben nur einander.“ Sie zog seine Jacke enger um sich. „Auf den Fenstersims hinauszuklettern war nicht das Klügste, was ich je getan habe, aber es war das Einzige, was mir einfiel. Patrick will ich auf keinen Fall heiraten, und ich muss irgendwie am Leben bleiben, bis Großmutter zurückkommt und ich ihr alles erklären kann.“

Annie sah so klein und verloren aus in seiner großen Jacke, dass Burt sich am liebsten neben sie gesetzt und sie in die Arme genommen hätte. Stattdessen fuhr er sich mit der Hand durch das Haar und zwang sich, sich auf Annies Problem zu konzentrieren.

„Wie haben Sie es überhaupt geschafft, sein Zimmer zu verlassen?“, fragte er schließlich, um sich von seinen unpassenden Wünschen abzulenken.

„Patrick war in den Wohnbereich seiner Suite gegangen, weil er telefonieren wollte. Er hatte vor, eine Kirche in Las Vegas zu reservieren und für uns einen Flug dorthin zu buchen. Da habe ich den Ring genommen und bin geflohen.“ Annie erschauerte. „Jetzt muss ich nur einen handfesten Beweis für meinen Verdacht finden und Patrick die nächste Woche irgendwie aus dem Weg gehen.“

„Sie können auf keinen Fall nach Hause gehen“, stellte Burt nachdenklich fest. „Dort wird er zuerst nach Ihnen suchen.“

Sie nickte. „In Herrin könnte ich mich unmöglich verstecken. Alle dort kennen mich.“ Sie nahm ihre Brille ab und rieb sich müde den Nasenrücken. „Aber es gibt keinen anderen Ort, wo ich hinkönnte, und ich habe auch kein Geld, um hinzufahren, selbst wenn es ihn gäbe. Ich habe meinen Mantel und meine Handtasche in Patricks Suite gelassen.“

Burt musste sich zwingen, ihr zuzuhören. Ohne ihre Brille sah Annie völlig verändert aus. Man konnte sie vielleicht nicht im klassischen Sinn als schön bezeichnen, aber sie war wirklich sehr attraktiv.

„Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Geldes. Sie kommen mit mir“, sagte er, bevor ihm richtig bewusst wurde, was er da vorschlug.

Sekundenlang sahen sie sich nur stumm an. Aber je mehr Burt darüber nachdachte, desto logischer schien ihm seine Idee zu sein. Er hatte Annie Devereaux vielleicht erst vor einer Stunde kennengelernt, und sie kamen aus völlig verschiedenen Welten, doch er brachte es nicht über sich, eine hilflose Frau in solchen Schwierigkeiten sich selbst zu überlassen.

„Ich weiß das Angebot wirklich zu schätzen, Burt. Aber ich möchte Sie auf keinen Fall noch mehr in die Sache verwickeln, als Sie es sowieso schon sind.“ Annie stand auf, legte seine Jacke ab und reichte sie ihm. „Mir fällt schon etwas ein …“

„Zu spät, Kleines“, unterbrach Burt sie. „Ich bin jetzt Ihr Komplize, ob Sie wollen oder nicht.“

„Aber …“

„Kein Aber.“ Er lachte. „Glauben Sie, ich weiß, wie ich Sie unbemerkt aus dem Hotel herausbekomme, und bei mir sind Sie in Sicherheit, bis Ihre Großmutter von ihrer Reise zurück ist. Ich bin fest entschlossen, Sie unter meine Fittiche zu nehmen.“

„Ich soll bei Ihnen bleiben? Eine Woche lang?“, fragte Annie mit schwacher Stimme.

„Genau.“

„Das kann ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil … Es geht nicht“, brachte sie stammelnd hervor. „Ich kenne Sie doch gar nicht.“

Er nickte. „Ich verstehe. Aber das können wir gleich in Ordnung bringen.“

Annie starrte ihn fassungslos an. Sie hörte schon gar nicht mehr, was er sagte. Sie nahm nur wahr, wie gut er aussah. Burt Wakefield war wirklich ein scharfer Typ, wie Tiffany, ihre junge Assistentin in der Bibliothek, sagen würde. Seine blauen Augen waren hinreißend und sahen sie mit einer Freundlichkeit an, wie Patrick es mit seinen blassgrauen nie getan hatte.

Aber das war nur ein Teil von Burts Anziehungskraft. Sein aufregender Bariton würde das Herz jeder Frau schneller schlagen lassen, die noch einen Funken Leben in sich hatte.

Und seine Berührung war reiner Zauber. Das war das einzige Wort, das auch nur annähernd beschreiben konnte, wie es sich angefühlt hatte, als er ihre Hand und die verletzten Knie gereinigt und verbunden hatte. Seine Finger hatten ihre Beine berührt, und ein prickelnder Schauer hatte ihren Körper durchströmt. Dass er gebaut war wie ein griechischer Gott, half ihr auch nicht gerade dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren.

„Was würden Sie denn gern über mich erfahren?“, fragte Burt und legte ihr seine Jacke wieder um die Schultern.

Annie atmete tief ein, und nahm den Duft nach Rasierwasser und Leder wahr, der von ihm ausging. Burt Wakefield war viel zu aufregend männlich und er war ihr so nahe, dass er sie völlig durcheinanderbrachte.

Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück, um Abstand zwischen sich und ihn zu bringen. „Was haben Sie gefragt?“

Er setzte sich wieder auf den Kaffeetisch direkt vor ihr, stützte die Arme auf die Knie und wiederholte geduldig seine Frage. „Was würden Sie gern über mich erfahren?“

Wie deine Lippen sich anfühlen, wenn du mich küsst. Wie dein Körper sich anfühlt, wenn du dich an mich schmiegst …

Annie schluckte mühsam und starrte auf ihre nervös ineinander verschränkten Finger. Was in aller Welt war nur in sie gefahren? Sie fantasierte nicht einmal über Männer, mit denen sie ausgegangen war, geschweige denn über einen Fremden. Und Burt war nicht mehr als das für sie.

„Ich … was wollen Sie mich denn wissen lassen?“, brachte sie schließlich hervor.

Sein Lächeln war so umwerfend, dass ihr Puls schneller zu schlagen begann. „Lassen Sie mich sehen. Sie kennen meinen Namen, und Sie wissen, dass ich ein Stierkämpfer bin.“ Er hielt kurz inne. „Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, besitze zusammen mit meinen Brüdern Morgan und Curtis die Lonetree Ranch in Wyoming. Und wenn ich zu alt bin, um für meinen Lebensunterhalt Stieren auszuweichen, habe ich vor, Pferde fürs Rodeo zu züchten. Gibt es sonst noch etwas, das Sie wissen möchten?“

Sie sah unwillkürlich zu seiner linken Hand. Er trug keinen Ehering, aber das bedeutete nicht viel. „Wird Ihre Freundin nichts dagegen haben, wenn ich eine Woche lang bei Ihnen bleibe?“

„Ich habe keine.“

„Oh.“

Er grinste. „Machen Sie sich jetzt keine falschen Vorstellungen, Annie. Mir gefallen Frauen. Ich habe nur noch nicht die richtige gefunden.“

„Ich dachte nicht …“ Ihre Wangen röteten sich vor Verlegenheit, und sie wechselte hastig das Thema. „Aber wie wollen Sie mich aus dem Hotel schmuggeln, ohne dass Patrick uns sieht?“

„Überlassen Sie das mir“, sagte er und stand auf. Er ging zum Telefon am Schreibtisch und nahm den Hörer auf.

Annie konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich mit dem Gedanken spielte, diesen verrückten Plan durchzuziehen. Aber während sie ihm beim Wählen zusah, wurde ihr klar, dass die Vorstellung, die nächste Woche mit dem attraktivsten Cowboy zu verbringen, den sie je kennengelernt hatte, einerseits ein wenig beängstigend war, ihr andererseits aber auch sehr reizvoll erschien.

„Hi, Sarah. Ich bin’s, Burt. Ich brauche deine Hilfe“, sagte er gerade. „Ja, ich weiß, wie spät es ist.“ Er grinste, hielt den Hörer ein wenig vom Ohr ab und zwinkerte Annie zu. „Sarah ist die Koordinatorin für die Veranstaltung. Sie ist nur ein bisschen grantig, weil ich sie um halb zwei nachts geweckt habe.“

„Vielleicht war das keine so gute Idee“, bemerkte Annie kleinlaut. Die wütend erhobene Stimme der Frau war bis zu ihr zu hören.

Burt lachte. „Sie wird es überleben.“ Er legte den Hörer wieder ans Ohr und nickte. „Ja, ich weiß, dass du mir das heimzahlen wirst. Und jetzt schreib dir etwas auf. Ich möchte, dass du Folgendes für eine Bekannte besorgst: einen Hut, eine Bluse und eine Jeans in Größe …“ Er wandte sich an Annie. „Welche Größe tragen Sie?“

„Achtunddreißig, aber …“

„Und die Schuhgröße?“

„Siebenunddreißig.“

„Kaufe Bluse und Jeans in Größe sechsunddreißig, ein Paar Stiefel in siebenunddreißig und einen Hut, der dir passen würde.“ Burt wählte absichtlich eine Nummer kleiner, denn er fand Annies Sachen viel zu weit. Er hörte einen Moment zu und lachte. „Ja, ich weiß, dass ich dir einen Gefallen schulde, Sarah. Lass alles auf meine Hotelzimmerrechnung setzen und sorg dafür, dass es morgen sehr früh hier ist. Oh, wir brauchen auch eine Jacke mit PBR-Logo. Die kleinste Nummer, die sie haben.“

Nachdem er aufgelegt hatte, schüttelte Annie den Kopf. „Mir passt Größe sechsunddreißig nicht, Burt. Es wird mir alles zu klein sein.“

Bei seinem Lächeln wurden ihr wieder die Knie weich. „Vertrauen Sie mir, Kleines. Die Sachen werden sitzen wie angegossen.“

Am nächsten Morgen sah Burt zum fünften Mal in ebenso vielen Minuten auf die Uhr. Sobald Sarah mit den Sachen angekommen war, die Burt ihr genannt hatte, hatte Annie ihr etwas zugeflüstert und dann gewartet, bis Sarah mit einer kleinen Tüte zurückkehrte. Dann war sie im Schlafzimmer verschwunden. Seitdem war eine halbe Stunde vergangen, und Annie war noch immer nicht herausgekommen.

Gerade als er zu fürchten begann, dass sie unter der Dusche ertrunken war oder sich wieder als Fassadenkletterer versuchte, wurde die Tür zum Schlafzimmer geöffnet. Burt drehte sich hastig um und öffnete den Mund, um zu fragen, warum sie so lange gebraucht hatte, aber der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn innehalten.

Er grinste zufrieden. „Mann, Sie sehen umwerfend aus, Annie.“

Sie warf ihm über den Rand ihrer Brille einen zweifelnden Blick zu. „Ich bin mir nicht so sicher.“

„Warum? Was stimmt nicht?“ Er sah nichts an ihr, das nicht in Ordnung war. Ganz im Gegenteil. Annies Figur war so perfekt, wie ein Mann es sich nur wünschen konnte.

„Die Jeans ist zwar ziemlich elastisch, aber sie sitzt trotzdem viel enger, als ich es gewohnt bin“, protestierte sie. „Und die Bluse liegt auch viel zu eng an.“

Sie drehte sich so, dass sie im Spiegel über dem Schreibtisch ihren Rücken betrachten konnte, und die rot-blaue Westernbluse spannte sich über ihren Brüsten. Burt schluckte erregt. Die Bluse saß wirklich sehr eng, aber genau so musste es auch sein. Annie sah zum Anbeißen aus.

Als sie sich bückte, um ein heruntergefallenes Preisschild aufzuheben, blieb Burt fast das Herz stehen. Hatte sie unter der Jeans gar nichts an? Sie saß wie eine zweite Haut, und doch zeichnete sich darunter nichts ab. Der Gedanke, sie könnte unter der Jeans völlig nackt sein, trieb ihm den Blutdruck in die Höhe.

Hastig wandte er den Blick ab und räusperte sich. „Die Sachen stehen Ihnen bestens. Sie werden in der Menge aufgehen, und Elsworth wird Sie selbst dann nicht erkennen, wenn er direkt an Ihnen vorbeigeht.“

Sie kaute skeptisch auf der Unterlippe. „Ich nehme an, das wollten wir erreichen, oder?“

Burt nickte. „Genau, Annie. Nur so bekommen wir Sie unbemerkt hier heraus.“

„Sie haben wohl recht.“ Sie zuckte die Achseln. „Wenn wir das Hotel verlassen haben, werde ich irgendwo wieder meinen Rock und meine Bluse anziehen.“

„Nur wenn Sie auffallen wollen wie ein Kuhfladen auf der Autobahn“, sagte er unverblümt. Er rückte seinen schwarzen Cowboyhut zurecht und reichte Annie den Hut, den Sarah für sie gekauft hatte. „Lassen Sie Ihr Haar offen und setzen Sie den auf.“

Sie starrte den breitkrempigen Hut an. „Ich habe so was noch nie getragen.“

„Ein Grund mehr, jetzt damit anzufangen.“ Er setzte ihn ihr kurz entschlossen auf. „Elsworth wird nicht nach einer hübschen Blondine in Jeans, Stiefeln und Cowboyhut suchen. Er wird Ausschau halten nach einem kleinen Spatz von einem Mädchen in sackartigen Sachen.“

„Einem was?“

Burt lachte leise. „In diesem weiten khakifarbenen Rock und der blassen Bluse sehen Sie wie ein kleiner, verängstigter Spatz aus.“

„Das ist nicht wahr.“

„Doch.“

„Meine Sachen sind nicht sackartig“, verteidigte Annie sich. „Sie liegen nur nicht eng an, und neutrale Farben sind modern.“

Burt schnaubte amüsiert. „Wenn man versucht, wie ein kleiner Spatz auszusehen.“ Er machte einen Schritt nach hinten, musterte sie vom Hut bis zu den Stiefeln und runzelte die Stirn. „Können Sie ohne Ihre Brille sehen?“

„Nicht sehr gut. Ich bin kurzsichtig, und alles, was in einiger Entfernung liegt, ist ein bisschen verschwommen.“

„Aber Sie werden nicht gegen irgendeine Wand laufen oder so, wenn Sie sie abnehmen?“

„Nein.“

„Dann geben Sie sie mir“, sagte er und streckte die Hand aus. „Ich werde sie in meine Hemdtasche stecken und sie Ihnen zurückgeben, sobald wir hier raus und auf dem Weg zur Arena sind.“

Annie nahm pflichtschuldigst die Brille ab und gab sie ihm. „Ich habe daran gedacht, Kontaktlinsen zu kaufen, aber ich bin so an die Brille gewöhnt, dass ich nicht sicher bin, wie ich ohne sie aussehe.“

Er lächelte. „Glauben Sie mir, Sie sehen prima aus.“

Ihr Herz machte einen Sprung. Sah Burt sie an, wie ein Mann eine Frau ansieht, die er attraktiv findet? Aber Annie verwarf den albernen Gedanken sofort. Ob sie eine Brille trug oder nicht, sie würde nie zu den Frauen gehören, die von den Männern bewundernd angestarrt wurden.

Sie sah Burt zu, während er im Zimmer herumging und den Rest seiner Sachen in die große rot-schwarze Tasche packte. Dass sie ein anerkennendes Glitzern in seinen Augen bemerkt zu haben glaubte, lag wahrscheinlich nur daran, dass sie ohne Brille nicht so gut sehen konnte.

„Geben Sie mir Ihre Sachen“, sagte Burt. „Sobald wir heute Abend das Savvis-Center verlassen haben, fahren wir direkt zum Flughafen.“

Als sie ihm ihren Rock und ihre Bluse brachte, in denen sie sorgfältig gefaltet ihre Unterwäsche versteckt hatte, verstaute er alles in seiner Tasche und zog den Reißverschluss zu. Annie schluckte erregt. Irgendwie kam es ihr sehr intim vor, dass ihre Sachen zusammen in seiner Tasche lagen.

„Sind Sie bereit?“, fragte er und hielt ihr die Jacke hin, die Sarah ihr gestern gebracht hatte. Zu Annies Erleichterung war Sarah auch so nett gewesen, ihr neue Unterwäsche zu besorgen, ohne dass Burt etwas mitbekam.

„Nicht wirklich“, sagte sie mit einem nervösen Kichern und ließ sich in die Jacke helfen. „Wann fängt das Bullenreiten an?“

„In etwa zwei Stunden.“ Er zog seine Jacke an, nahm die Tasche hoch und führte Annie zur Tür. „Aber wir müssen uns ins Savvis-Center fahren lassen und dort einen Bissen zu uns nehmen, bevor ich mich umziehen und mir das Gesicht schminken kann.“

„Das Gesicht?“

Er lachte. „Mit der Schminke, die Sie gesehen haben.“

Annie musste sich zwingen, Burts Zimmer, in dem sie sich sicher fühlte, zu verlassen und in den Flur hinauszutreten. Zu ihrer Erleichterung waren außer ihnen keine anderen Hotelgäste zu sehen.

Sie musste so ängstlich ausgeschaut haben, wie sie sich fühlte, denn Burt nahm ihre Hand, während sie zusammen zum Aufzug gingen. „Halten Sie durch, Annie“, sagte er leise. „Alles wird gut gehen.“

Diese Geste beruhigte sie so sehr, dass sie anfing, an den Erfolg ihres verrückten Plans zu glauben. „Burt, ich möchte Ihnen danken …“

Bevor sie weitersprechen konnte, ließ er plötzlich die Tasche fallen und riss Annie in die Arme.

„Was tun Sie denn …“

„Still, Kleines“, brachte er nur schnell hervor, bevor er ihre Lippen mit einem so heißen Kuss verschloss, dass ihr die Knie weich wurden.

3. KAPITEL

Als Burt Annie küsste, versuchte er, den Mann im Auge zu behalten, den er aus dem Aufzug hatte kommen sehen. Patrick Elsworth kam direkt auf sie zu, und Burt wollte sichergehen, dass er Annie nicht erkannte.

Aber ihre weichen Lippen und ihr schlanker Körper an seinem ließen seinen Blutdruck in gefährliche Höhen schießen und machten es ihm fast unmöglich, sich auf etwas anderes als die wundervolle Frau in seinen Armen zu konzentrieren. Er presste sie noch fester an sich, und ihre Lippen öffneten sich unter dem Druck mit einem leisen Aufkeuchen. Er hätte selbst dann nicht darauf verzichten können, die Gelegenheit auszunützen und den Kuss zu vertiefen, wenn sein Leben davon abhinge.

Ihr langes blondes Haar, das wie goldene Seide über seine Hände floss, die Süße ihrer Zunge, die zaghaft seine eigene Zunge berührte, ließen ihn völlig den Mann vergessen, der immer näher kam. Annie küsste wie ein schüchterner Engel, aber ihre vollen Brüste erinnerten Burt daran, dass sie eine Frau aus Fleisch und Blut war, deren Körper für die Liebe eines Mannes geschaffen war. Burts Körper reagierte mit einer Heftigkeit, die ihn erstaunte.

„Guten Morgen“, sagte Elsworth und blieb neben ihnen stehen.

Burt unterbrach den Kuss und nickte stumm, drückte Annie aber immer noch fest an sich, und das aus mehreren Gründen. Zuerst einmal fürchtete er, dass sie in Panik geraten und sich umdrehen könnte, sodass der Kerl sie erkennen würde. Zum anderen war er nicht sicher, dass er sich zurückhalten könnte, ihn windelweich zu schlagen, wenn er seine Hände nicht mit irgendetwas beschäftigte. Aber vor allem ließ er Annie nicht los, weil sie sich so wundervoll in seinen Armen anfühlte.

Als Elsworth immer noch nicht weiterging, hob Burt eine Augenbraue. „Wollten Sie noch etwas?“

Der Mann nickte. „Ich suche immer noch meine Verlobte. Sie beide haben sie nicht zufällig heute Morgen gesehen, oder?“

Burt spürte, wie Annie zusammenzuckte. Er schüttelte den Kopf. „Wie ich Ihnen schon gestern Abend sagte, die einzige Frau, die ich gesehen habe, liegt im Augenblick in meinen Armen.“

Elsworth betrachtete anerkennend Annies hübschen festen Po und die langen schlanken Beine in der eng sitzenden Jeans. Burt hatte plötzlich das Bedürfnis, Annie vor den gierigen Blicken dieses Kerls zu beschützen, und legte instinktiv die Hand auf ihren Po. Wie schon gestern wünschte er sich, er könnte Elsworth das laszive Grinsen mit einem Kinnhaken vom Gesicht wischen.

„Kein Wunder, dass Sie gestern Abend keine Zeit hatten, die Sache mit mir zu besprechen“, meinte Elsworth augenzwinkernd.

„Und ich beabsichtige auch jetzt nicht, mit Ihnen darüber zu sprechen“, sagte Burt barsch. „Wenn Sie Ihre Frau nicht halten können, lassen Sie wenigstens andere Männer in Ruhe, die es können.“

Zu seiner unendlichen Genugtuung verschwand Elsworths ärgerliches Grinsen sofort, und ohne ein weiteres Wort ging er den Flur hinunter.

„Ist er fort?“, flüsterte Annie, als Burt sie immer noch nicht losließ.

„Ich glaube ja.“

Er versuchte, sich einzureden, dass er sie nur für den Fall an sich drückte, dass Elsworth zurückkam. Aber die Wahrheit war wohl eher, dass er sie nicht loslassen wollte und gern dort weitergemacht hätte, wo Elsworth sie unterbrochen hatte.

Der Gedanke ließ Burt stutzen. Was sollte das denn? Er hatte Annie nur geküsst, um sie vor Elsworth zu beschützen. Einen anderen Grund gab es nicht.

Er gab sie frei, bückte sich, um die Tasche aufzuheben, und ging mit Annie zum Aufzug weiter. „Lassen Sie uns von hier verschwinden, bevor der Blödmann zurückkommt“, sagte er und fühlte sich, als wäre seine Jeans ihm um einige Nummern zu eng.

Annie folgte Burt auf wackligen Beinen zum Aufzug. Als sie plötzlich in Burts Armen gelandet war, war sie sprachlos gewesen vor Verblüffung, aber gleichzeitig wurde sie von Gefühlen erfüllt, die sie noch nie zuvor empfunden hatte. Und als er sie küsste, glaubte sie, die ganze Welt wäre plötzlich zum Stillstand gekommen. In ihren ganzen vierundzwanzig Jahren war sie noch nie so geküsst worden.

Sein fester Mund hatte sich auf ihren gepresst, dass ihr schwindlig wurde und ihre Knie zu zittern begannen. Aber als er sie kühn mit der Zunge liebkoste, kribbelte ihr Körper auf einmal an Stellen, die gefälligst nicht so zu kribbeln hatten. Das Beunruhigendste von allem war, dass sie das Ganze genossen hatte, besonders als er die Hand besitzergreifend auf ihren Po gelegt hatte.

„Sind Sie okay? Können wir ein Taxi zum Savvis-Center nehmen?“, fragte Burt und steckte ein zusammengefaltetes Stück Papier in die Innentasche seiner Jacke.

Annie sah sich um. Wann waren sie denn aus dem Aufzug gekommen und zur Rezeption gegangen? Sie war so sehr in Gedanken gewesen, dass sie es überhaupt nicht mitbekommen hatte. Aber das war eigentlich nicht verwunderlich, wenn sie innerlich bebte. Was sie nicht ganz begreifen konnte, war, warum sie sich bei Burt viel lebendiger fühlte als bisher in ihrem ganzen Leben.

„Alles in Ordnung, Kleines?“, fragte Burt besorgt. Er legte ihr behutsam eine Hand auf den Rücken, als sie auf den Ausgang zuhielten.

„Äh … ja“, brachte sie hervor. „Wir können gehen, wann immer Sie wollen.“

„He, Burt, wart mal!“, rief eine männliche Stimme ihnen nach. „Ich will mit dir über mein Los reden.“

Annie sah einen Cowboy durch die Lobby auf sie zulaufen. „Sein Los?“

„Den Stier, den er reiten soll“, erklärte Burt. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Das hat mir gerade noch gefehlt.“ Er begrüßte den Mann mit finsterer Miene. „Ich denke, man hat dir gestern geraten, heute Nachmittag nicht zu reiten.“

„Ach, es war doch nur eine leichte Gehirnerschütterung“, wehrte der Mann grinsend ab. „Der Doc hat mir gerade sein Okay gegeben.“ Er warf Annie einen flüchtigen Blick zu, sah sie angenehm überrascht noch einmal an und lächelte charmant. „Wer ist diese hübsche Lady?“

Annie konnte gerade noch einen überraschten Ausruf unterdrücken, als Burt ihr einen Arm um die Taille legte und sie fest an sich zog. „Das ist Annie. Sie ist mit mir zusammen.“

„Nett, Sie kennenzulernen, Annie. Ich bin Curtis Wakefield, der jüngere und besser aussehende Bruder dieses ungehobelten Kerls.“

Er hielt ihr die Hand hin, und sie sah gleich die Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern. Sie hatten beide dunkles Haar und ausdrucksvolle blaue Augen.

Sie hörte Burt wieder leise fluchen, als sie Curtis die Hand gab. „Tag, Curtis.“ War es nur ihre Einbildung, oder wurde Burts Griff um ihre Taille tatsächlich fester? Curtis Wakefield sah genauso gut aus wie sein älterer Bruder, aber trotzdem fühlte sie nicht dasselbe Kribbeln bei seiner Berührung wie bei Burt.

„Wir sind gerade dabei, zum Savvis-Center zu fahren“, erklärte Burt barsch.

„Ich komme mit euch, dann kannst du mir alles erzählen, was du über Black Magic weißt“, erwiderte Curtis ungerührt und folgte ihnen in die Kälte hinaus.

Während sie auf ein Taxi warteten, schützte Burt Annie, so gut es ging, mit seinem Körper vor dem eisigen Wind. Trotz der strahlenden Mittagssonne musste die Temperatur ungefähr beim Gefrierpunkt liegen.

„Melde dich krank, Bruderherz“, sagte Burt in einem Ton, der eher wie ein Befehl klang als wie ein Ratschlag.

„Du weißt, dass ich das nicht tun kann“, erwiderte Curtis. „Es würde mich dem Finale am Ende der Saison nicht näher bringen.“

„Warum soll er sich krankmelden?“, fragte Annie interessiert. Dem jungen Mann schien nichts zu fehlen.

Ein Taxi hielt bei ihnen. Burt öffnete die hintere Tür und ließ Annie einsteigen, bevor er sich neben sie setzte.

Curtis rutschte von der anderen Seite neben Annie und antwortete ihr, bevor Burt eine Chance hatte. „Burt will, dass ich neben dem Gang stehen bleibe, wenn das Tor auf geht und Black Magic in die Arena kommt – natürlich ohne mich auf seinem Rücken.“ Er schnaubte verärgert. „Das kannst du vergessen.“

„Hör zu, kleiner Bruder, das ist Black Magics erste Saison“, sagte Burt mit grimmigem Gesichtsausdruck. „Er ist jung und unberechenbar, und du hast gestern eine Gehirnerschütterung erlitten. Was dir jetzt noch fehlt, ist, gleich noch mal eins auf den Schädel zu bekommen.“

Annie sah von einem Mann zum anderen. Beide hatten den gleichen dickköpfigen Ausdruck, und beide reckten trotzig das Kinn.

„Ich komme nicht in die Endrunde, wenn ich jetzt nicht antrete“, sagte Curtis und sah seinen Bruder finster über Annies Kopf hinweg an.

„Es ist noch lange hin bis Oktober“, wandte Burt ein. „Bis dahin kannst du noch Punkte einholen.“

„Letztes Jahr habe ich es nicht geschafft, weil Fireball mich in Detroit gegen das Tor getrieben hat und ich mir den Knöchel gebrochen habe. Ich lasse nicht zu, dass ich auch dieses Jahr nicht in die Endrunde komme, nur weil ich nicht genug Punkte zusammenkriege.“ Das Taxi hielt vor dem Hintereingang zur Arena, und Curtis stieß die Tür auf und stieg aus. „Also stell dich darauf ein, dass ich Black Magic reite.“

Burt stieg auf seiner Seite aus und half Annie aus dem Wagen, während er gleichzeitig weiter auf seinen Bruder einredete. „Verdammt noch mal, Curtis, du …“

„Ich mache meinen Job“, unterbrach Curtis ihn und knallte die Autotür zu. „Sei du einfach da und mach deinen Job, wenn es Zeit für mich ist, abzusteigen.“ Er wandte sich an Annie und berührte den Rand seines schwarzen Cowboyhuts mit dem Zeigefinger. „War nett, Sie kennenzulernen, Annie. Ich hoffe, Sie bald wiederzusehen.“

Bevor sie etwas sagen konnte, war Curtis schon mit langen, schnellen Schritten im Gebäude verschwunden, ohne sich noch einmal umzusehen.

„Verdammter Idiot!“, schimpfte Burt leise. „Er benimmt sich wie ein pubertierender Sechzehnjähriger und nicht wie ein erwachsener Mann von sechsundzwanzig.“

„Warum wollten Sie nicht, dass Ihr Bruder heute reitet?“, fragte Annie behutsam.

Burt bezahlte den Taxifahrer und führte Annie zu der Tür, durch die Curtis gerade gegangen war. „Curtis hatte in weniger als zwei Monaten drei Gehirnerschütterungen. Wenn er nicht bald lernt, auf den Füßen zu landen statt auf seinem Holzkopf, wird nicht mehr viel von ihm übrig bleiben.“

Burt zeigte dem Sicherheitsbeamten seinen Ausweis und führte Annie dann einen langen Flur entlang und in eine riesige Arena. Annie bemerkte einen breiten Korridor zu ihrer Linken und Schilder, die auf die Trainingsräume hinwiesen. Zu ihrer Rechten standen einige der größten und einschüchterndsten Tiere friedlich in einem Labyrinth transportierbarer Boxen herum.

„Könnten ich bitte meine Brille haben?“, fragte Annie. Als sie sie aufsetzte, schnappte sie erschrocken nach Luft. „Sind das die Tiere, die Curtis reitet und mit denen Sie kämpfen?“, fragte sie erschaudernd.

Er lächelte. „Genau. Das sind die besten Rodeostiere der Welt.“

Sie starrte die riesigen Tiere sekundenlang an und dann den attraktiven Cowboy, der sie unbekümmert anlächelte. „Sie und Curtis sind beide nicht mehr bei Verstand. Darf ich fragen, wie oft Sie in letzter Zeit eine Gehirnerschütterung hatten?“

Nachdem sie sich am Büfett bedient hatten, das für die Reiter und ihre Gäste im VIP-Saal zur Verfügung gestellt wurde, hatte Burt Annie zu den Sitzplätzen gebracht, die für Verwandte und Freunde der PBR-Mitglieder reserviert waren, und ließ sie dann allein, um sein Kostüm anzuziehen. Annie sah nachdenklich auf die riesige Arena hinunter und fragte sich, ob es nicht doch sie war, die den Verstand verloren hatte. Sie war nie besonders impulsiv oder abenteuerlustig gewesen, aber in den vergangenen vierzehn Stunden hatte sie Dinge getan, die sie vorher nicht einmal zu denken gewagt hätte – und von denen ihre Großmutter hoffentlich niemals erfahren würde.

Sie schüttelte den Kopf. Wenn Carlotta Whittmeyer jemals herausbekam, dass ihre Enkelin mehrere Stockwerke hoch auf dem schmalen Sims eines Hotels balanciert hatte und dann die Nacht in der Suite eines wildfremden Mannes verbracht hatte, würde sie es nie verzeihen.

Aber sie nahm es ihrer Großmutter nicht übel, dass sie so überfürsorglich war. Sie fürchtete, dass ihre Enkelin die Abenteuerlust ihrer Eltern geerbt haben könnte. Carlotta hatte den schlimmsten Albtraum einer Mutter erleben müssen. Sie hatte ihre Tochter, ihr einziges Kind, verloren.

Seit dem Tag, als sie sich im College kennengelernt hatten, bis zu ihrem viel zu frühen Tod acht Jahre später, hatten Christine und Jack Devereaux nach dem Motto gelebt, dass man im Leben aktiv Erfahrungen sammeln musste und nicht nur von den Seitenlinien aus zuschauen durfte.

Sie waren leidenschaftliche Bergsteiger, erforschten Höhlen und machten Fahrten auf den wildesten Flüssen. Und wenn sie nicht gerade an irgendeinem entlegenen Teil der Welt ihrer Leidenschaft für gefährliche Sportarten frönten, dann planten sie ihre nächste Reise. Sie hatten sogar Annie einige Male mitgenommen.

Wenn sie am Leben geblieben wären, hätten sie diese Liebe fürs Abenteuer vielleicht an Annie weitergegeben. Aber ein Unfall bei einer Wildwasserfahrt hatte ihnen das Leben genommen, als Annie gerade fünf Jahre alt gewesen war. Danach war sie zu ihrer Großmutter gekommen.

Annie erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen, wie verwirrt und ängstlich sie gewesen war, weil man sie zwang, bei einer Großmutter zu leben, die sie kaum kannte. Sie litten beide unter ihrem fürchterlichen Verlust und hätten sich gegenseitig mit Liebe und Trost über diese schwierige Zeit hinweghelfen sollen. Aber statt ein kleines Mädchen zu trösten, das nicht verstehen konnte, warum es seine geliebten Eltern niemals wiedersehen würde, hatte Carlotta ihr einen Vortrag über die Dummheit gehalten, gefährliche Risiken einzugehen. Das war neunzehn Jahre her, und ihre Großmutter hatte keinen Tag vergessen, Annie an den hohen Preis zu erinnern, den man für Leichtsinn und Impulsivität zahlen musste.

Annie seufzte. Sie war ziemlich sicher, dass ihre Großmutter sie liebte und die Situation, so gut sie konnte, gemeistert hatte. Aber sie dachte oft, dass ihre Beziehung ganz anders hätte sein können.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“ Eine weibliche Stimme brachte sie wieder in die Gegenwart zurück.

Annie sah auf. Ein hübsches Mädchen von etwa zwanzig mit kastanienbraunem Haar stand neben ihr. „Natürlich nicht“, sagte sie lächelnd. „Ich freue mich über etwas Gesellschaft.“

„Ich bin Kaylee Simpson“, sagte das Mädchen und setzte sich.

„Freut mich, Kaylee. Ich bin Ana … Annie.“

Die Lichter gingen plötzlich aus, und ein einzelner Scheinwerfer war auf einen Cowboy gerichtet, der im Zentrum der mit Sand bedeckten Arena stand. Er stellte sich vor als der Vorsitzende der Professionellen Bullenreiter, hieß das Publikum zu den letzten beiden Runden der „Saint Louis Open“ willkommen und wünschte allen einen angenehmen Nachmittag.

Als er geendet hatte, beugte Kaylee sich zu Annie. „Sind Sie mit jemandem hier?“

„Ja, so ungefähr“, antwortete Annie ausweichend.

Ein lauter Knall ersparte ihr weitere Kommentare. Der Beginn eines beeindruckenden Feuerwerks wurde angekündigt. Annie und Kaylee standen auf, genau wie alle anderen Zuschauer, als zwei große Flammen angezündet wurden. Die Cowboys, die am Wettbewerb teilnahmen, kamen in die Arena gelaufen und wurden dem begeistert klatschenden Publikum vorgestellt.

Als Burts Bruder Curtis an der Reihe war, steckte Kaylee zwei Finger in den Mund und stieß einen begeisterten, ohrenbetäubenden Pfiff aus. „Das ist der Mann, den ich heiraten werde“, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln.

Als die Eingangszeremonie zu Ende ging, setzten sie sich wieder. „Wie lange sind Sie schon mit Curtis verlobt, Kaylee?“, fragte Annie.

„Oh, wir sind nicht verlobt. Curtis Wakefield weiß kaum, dass ich existiere. Er denkt, ich bin noch ein Kind.“

„Aber haben Sie nicht gesagt …“

„Ich werde ihn heiraten“, bekräftigte Kaylee. „Sobald er aufwacht und mehr in mir sieht als die kleine Schwester seines besten Freundes.“

„Und wie alt sind Sie?“

„Im nächsten Monat werde ich zwanzig“, antwortete Kaylee lächelnd.

In diesem Moment kündigte der Sprecher die Stierkämpfer an, und als er Burts Namen nannte, begann Annies Herz schneller zu schlagen, und sie musste tief Luft holen, um sich zu beruhigen. Aber die Gestalt, die dann in die Mitte der Arena lief, sah überhaupt nicht wie Burt aus. Abgesehen davon, dass er um Augen und Mund grelle rosa, blaue und gelbe Farbe aufgetragen hatte, war der Cowboyhut des Mannes alt und zerbeult, und er trug ein grelles langärmliges Hemd, bunte Hosenträger und eine breite kurze Jeans, die fast wie ein zerfledderter Jeansminirock wirkte. Als Burt sich umdrehte, sah Annie, dass Tücher wie kleine Flaggen vom Hosenbund hingen. Große helle Flicken auf seinem Hosenboden verkündeten bekannte Westernprodukte. Unter der Jeans schien er eine Art Radlerhose zu tragen. Dicke Wattepolster bedeckten beide Knie, und statt der Cowboystiefel trug er Turnschuhe.

„Das ist Curtis’ Bruder“, sagte Kaylee.

„Burt“, stimmte Annie betäubt zu.

„Kennen Sie ihn?“

„So ungefähr.“

Kaylee lachte. „Sie sind so ungefähr mit jemandem hier, und Sie kennen Burt so ungefähr.“ Dann ging ihr ein Licht auf. „Ach du liebe Güte! Sie sind mit Burt hier.“

„Nein. Ja.“ Annie wurde rot. „Es ist ein wenig kompliziert.“

„Ich glaube nicht, dass Burt je eine Freundin zu einer Veranstaltung mitgebracht hat“, bemerkte Kaylee nachdenklich.

„Es ist nicht so, wie Sie denken.“ Annie sah Burt seinen Platz neben einer Reihe von Toren am Ende der Arena einnehmen. „Wir sind nur …“ Was waren sie denn? Freunde? Nein. Sie und Burt kannten sich im Grunde kaum. „Wir sind nur … Bekannte“, fügte sie lahm hinzu.

Kaylee lachte. Sie nahm ihr offensichtlich die Erklärung nicht ab. „Wenn Sie’s sagen.“ Ihr Ausdruck wurde plötzlich besorgt. „Sie werden Burt doch nichts verraten, oder? ich meine davon, dass ich Curtis heiraten will?“

Annie schüttelte den Kopf. „Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.“

„Danke.“ Kaylee zuckte die Schultern. „Ich möchte nicht, dass mein Bruder oder Curtis erfährt, was ich für ihn empfinde. Sie würden nie aufhören, mich damit aufzuziehen.“

Der erste Bullenreiter wurde angekündigt, und Kaylee beugte sich aufgeregt vor. „Da ist mein Mann“, sagte sie stolz. „Im Moment ist Curtis auf dem fünften Platz. Aber mein Bruder Mitch ist ihm hart auf den Fersen. Er ist nur zwei Plätze hinter Curtis.“

Zwei Männer – einer hielt das Ende eines langen Seils, das an einem der Tore befestigt war, und der andere schien das Tor zuzudrücken – standen am einen Ende der Arena. Der Mann, der das Metalltor festhielt, ließ plötzlich los, während der andere heftig am Seil zog. Beide sprangen hastig zurück, denn im nächsten Moment stürmte ein schwarzer Stier mit Curtis auf seinem Rücken aus dem Gang heraus.

Als bitte er um ein göttliches Eingreifen, hielt Curtis einen Arm hoch über dem Kopf erhoben, während der andere auf dem breiten Rücken des Tiers gefesselt zu sein schien. Fasziniert sah Annie das riesige Geschöpf springen und sich wild drehen und winden, um Curtis loszuwerden, und sie fragte sich, wie Curtis sich am Ende von dem Ungetüm befreien und in Sicherheit bringen konnte, ohne ernsthaft verletzt zu werden.

Es dauerte nicht lange, bevor sie die Antwort darauf bekam, denn ein schriller Signalton war zu hören, und Curtis senkte die zweite Hand, zerrte kurz an dem Seil und war schon frei. Der wütende Stier bockte immer noch wie wild, Curtis sprang geschickt von seinem Rücken herunter und lief auf den Zaun zu, der die Arena umgab. Doch statt dass der Stier den davonlaufenden Mann ignorierte, wie Annie gehofft hatte, raste er zornig hinter ihm her.

Annie stieß erleichtert den Atem aus, als es so aussah, als könnte Curtis sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Aber ihre Freude war nur von kurzer Dauer. Plötzlich stolperte er und fiel auf die Knie. Der Stier schien den Vorteil zu erkennen, den der Zufall ihm geschenkt hatte, und stürmte mit gefährlich gesenkten Hörnern auf sein Opfer zu.

Annies Herz klopfte wild. Sie hielt erschrocken eine Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Aber was als Nächstes geschah, raubte ihr den Atem.

Mit fröhlich flatternden Tüchern sprang Burt vor den Stier und schlug ihn auf die Schnauze, was ganz sicher schmerzhaft für das Tier war. Zu Annies Entsetzen wirbelte der Stier herum und machte sich mit einem lauten Schnauben daran, seinen neuen Feind auf die Hörner zu nehmen.

4. KAPITEL

Annie sah mit angehaltenem Atem zu, wie der große schwarze Stier auf Burt zuraste. Gleichzeitig brachte Curtis sich hinter dem Zaun in Sicherheit. Burt sprang von einer Seite zur anderen, dem wütenden Stier immer nur einen knappen Meter voraus.

Und dann war die Jagd genauso schnell wieder vorüber, wie sie begonnen hatte. Burt hatte den Stier zu den Gängen hinübermanövriert, wo man die Tore weit aufgerissen hatte. Offenbar verlor das Tier das Interesse an Burt, als es eine Gelegenheit sah, dem Lärm und dem blendenden Licht zu entkommen, und trottete gemächlich durch die Öffnung und außer Sicht.

Einer der Cowboys schloss das Tor, und das begeistert jubelnde Publikum wandte seine Aufmerksamkeit Curtis’ Ritt zu, der auf einem riesigen Bildschirm über der Arena wiederholt wurde.

Annie atmete auf und versuchte, sich wieder zu beruhigen. Keiner schien zu finden, dass Burt irgendetwas Ungewöhnliches getan hatte. Selbst Kaylee hatte nur ein zufriedenes Lächeln aufgesetzt.

Burt griff gerade nach einem Seil und reichte es Curtis. Die Brüder schlugen die Hände gegeneinander, und Annie sah ihren Gesichtern an, dass sie ihren Streit von vorhin vergessen hatten. Beide Männer machten einen sehr zufriedenen Eindruck, und als die Punktzahl für Curtis’ Ritt bekannt gegeben wurde, grinsten sie und klopften einander auf die Schulter. Verblüfft starrte Annie sie an. Sie schienen die Aufregung und die Gefahr genossen zu haben.

„Hatten Sie gar keine Angst um sie?“, fragte sie Kaylee.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Die beiden wissen, was sie tun. Wenn ein Reiter dieses Niveau erreicht, dann gehört er zu den besten auf der ganzen Welt. Wenn sie absteigen, wissen sie alle, dass sie so schnell wie möglich auf die Füße kommen und sich aus dem Staub machen müssen, während der Stierkämpfer den Bullen ablenkt. Und Burt ist einer der besten Stierkämpfer. Die Männer wissen, dass sie sich darauf verlassen können, dass er alles tun wird, was in seiner Macht steht, um den Stier zu verwirren.“

Annie sah Burt wieder neben dem Tor in Position gehen. Er hatte große Beweglichkeit und Sportlichkeit bewiesen, so wie er dem Stier ausgewichen war. Und er machte auch einen sehr selbstbewussten Eindruck. Sie seufzte. Sie würde also einfach glauben müssen, dass es stimmte, was Kaylee gesagt hatte.

Im Lauf des Nachmittags änderte Annie mehrere Male ihre Meinung über Burt. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob er der mutigste Mann war, den sie je kennengelernt hatte, oder einfach nur der verrückteste. Wieder und wieder sah sie ihn und zwei weitere Stierkämpfer die Reiter vor den gefährlichen Stieren retten, indem sie sich ihnen selbst in den Weg stellten. Und sie kamen aus den Gefechten jedes Mal ohne einen Kratzer hervor.

Aber mehrere Stunden später, nachdem der letzte Stier aus der Arena getrottet war und die Menge Kaylees Bruder, dem Gewinner des Abends, zujubelte, fühlte Annie sich wie gerädert. Sie hatte nie etwas so Beängstigendes, Aufregendes und gleichzeitig so seltsam Befriedigendes gesehen, und sie war so erschöpft, als hätte sie sich den zweitausend Pfund schweren Tieren selbst stellen müssen.

Autor

Kathie De Nosky
<p>Kathie DeNosky stellt ihren Wecker oft auf 2 Uhr morgens, um wenigstens einige Stunden in Ruhe arbeiten zu können, bevor der Rest der Familie erwacht. Während dann in ihrem Büro leise Countrymusik erklingt, schreibt sie an ihren Romances, denen eine ganz besondere Mischung aus Sinnlichkeit und Humor zeigen ist. Sie...
Mehr erfahren