Julia Collection Band

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DU BIST DIE FRAU MEINES LEBENS
Der Auftrag des überaus smarten Anwalts Max Golding ist eindeutig. Nur leider er hat seine Rechnung ohne January gemacht: Um in den Besitz der prächtigen Calendar-Farm zu kommen, führt kein Weg an dieser entwaffnend schönen Frau vorbei. Aber vielleicht zu ihr hin?

EINFACH TRAUMHAFT, DIESER MANN
Der Star-Architekt Will Davenport ist der begehrenswerteste Mann, der March je begegnet ist - aber auch der gefährlichste! Denn er plant auf dem Gelände ihrer weitläufigen Familienfarm eine Hotelanlage. Und deshalb darf sich March auf keinen Fall in ihn verlieben …

VERLIEB DICH NICHT IN DIESEN MANN
Breite Schultern und ein so verführerisches Lächeln - May Calendar findet den Geschäftsmann Luke Marshall unfassbar attraktiv. Doch sie ahnt gleich, dass auch er es nur auf ihren Familiensitz abgesehen hat. Und da muss es ihr egal sein, wie begehrenswert er ist …


  • Erscheinungstag 05.09.2012
  • Bandnummer 49
  • ISBN / Artikelnummer 9783954461950
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carole Mortimer

Julia Collection, Band 49

CAROLE MORTIMER

Die Calendar-Girls

Du bist die Frau meines Lebens

Sie sei es, die er wolle, und keine andere. Für immer und ewig! Nichts wäre für die zauberhafte January Calendar schöner, als dass es der umwerfende Anwalt Max Golding ernst meinte. Aber will er in Wirklichkeit nicht nur ihren prächtigen Besitz in Yorkshire? Und warum findet eine mysteriöse Verbrechensserie statt – aber erst, seitdem er in der Gegend ist?

Einfach traumhaft, dieser Mann

Eigentlich ist es ein Traumjob für den Star-Architekten Will Davenport: Er soll auf dem Gelände der malerischen Calendar-Farm eine Hotelanlage bauen. Doch March, eine der drei atemberaubenden Besitzerinnen, will sie ihm auf keinen Fall verkaufen. Und je näher er der temperamentvollen Schönheit kommt, desto mehr zweifelt er, was wichtiger ist: Geld oder Liebe?

Verlieb dich nicht in diesen Mann

Zwei der besten Freunde des smarten Geschäftsmanns Luke Marshall sind schon daran gescheitert, das weitläufige Anwesen der Calendars in Yorkshire zu kaufen – jetzt versucht Luke sein Glück. Das aber will ihm die schöne und selbstsichere May mit allen Mitteln verweigern. Oder ist vielleicht May selbst das pure Glück, das Luke sucht? Er muss es herausfinden …

1. KAPITEL

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?“

January saß an der Bar, um sich von ihrem einstündigen Gesangsvortrag zu erholen. Sie trank Mineralwasser und wollte das Angebot höflich ablehnen, als sie merkte, von wem es kam.

Er war es. Derselbe Mann, der seit einer Stunde im Hintergrund der Hotelbar saß und sie beobachtet hatte, während sie am Flügel saß und sang. Er hatte sie förmlich angestarrt, mit einer Hartnäckigkeit, die ihr das Wiedererkennen leicht machte.

January hätte den Drink tatsächlich lieber abgelehnt. Sie wahrte stets strikte Distanz zu den Gästen des exklusiven Hotels, die meist nur auf der Durchreise waren und dann für immer verschwanden.

Erinnere dich, was im letzten Jahr auf dem Hof passiert ist, hätte Januarys Schwester May zu ihr gesagt, und January erinnerte sich daran – nur zu gut!

Bedenke, was du mir – leider zu spät – versprochen hast, hätte ihre Schwester March hinzugefügt. Fremden Menschen auf den ersten Blick zu trauen bringt nur Unannehmlichkeiten!

„Danke, das wäre sehr nett“, antwortete sie mit rauer Stimme.

Der Mann nickte und bestellte bei John, dem Barkeeper, eine Flasche Champagner. Dann trat er beiseite und ließ January zu dem entfernt stehenden Ecktisch vorangehen.

Es war eine gemütliche Bar, die durch den Weihnachtsschmuck, den man nach den Feiertagen noch nicht abgenommen hatte, zusätzlich an Atmosphäre gewann. January bemerkte die neugierigen Blicke der anderen Gäste und konnte sich und ihren Begleiter in einem der großen Wandspiegel erkennen: sie selbst groß und gertenschlank, mit dem langen Paillettenkleid, das sie bei ihren Auftritten trug, das dunkle Haar offen über den Schultern, die grauen Augen geheimnisvoll von langen schwarzen Wimpern überschattet. Ihr Begleiter war noch etwas größer, dunkelhaarig und gut aussehend, im schwarzen Smoking mit schneeweißem Hemd und Augen, deren tiefes Kobaltblau an einen unergründlichen Bergsee erinnerte.

Vor allem diese Augen hatten während der letzten Stunde, seit Beginn ihres Vortrags, Januarys Aufmerksamkeit gefesselt. Es waren Augen, die einen nicht mehr losließen. Sogar im Spiegel konnte January erkennen, dass sie ihrem geschmeidigen, von leichtem Hüftschwung begleiteten Gang unablässig folgten.

Der Mann ließ January Platz nehmen und wählte dann den Sessel gegenüber.

„Warum Champagner?“, fragte sie, als er beharrlich schwieg. Er schien sie nur an seinen Tisch gebeten zu haben, um sie unentwegt anzusehen.

„Ist heute nicht Silvester?“ Mehr sagte er nicht, und January begann zu bedauern, dass sie nicht auf die stummen Warnungen ihrer Schwestern gehört hatte.

„Allerdings“, antwortete sie und atmete auf, als John mit zwei Gläsern und einem Eiskübel kam, aus dem der Hals einer Champagnerflasche herausragte. Der Mann wartete, bis John die Flasche geöffnet hatte, und nickte dann – zum Zeichen, dass er entlassen war.

John zog sich auf diese unmissverständliche Aufforderung hin zurück, allerdings nicht, ohne January einen neugierigen Blick zugeworfen zu haben. Er kannte ihre Gewohnheit, sich von den Hotelgästen fernzuhalten, und fragte sich ganz offensichtlich, warum sie bei diesem Gast eine Ausnahme machte.

„January“, stellte sie sich vor, sobald John gegangen war.

Der Mann lächelte unmerklich, beugte sich vor und füllte die beiden Gläser so geschickt, dass kein Tropfen der schäumenden Flüssigkeit überlief. „Der Monat, der auf den Dezember folgt“, bestätigte er dabei.

January schüttelte den Kopf. „Sie missverstehen mich. Ich heiße January.“

„Oh.“ Das Lächeln des Mannes vertiefte sich, sodass seine ebenmäßigen weißen Zähne sichtbar wurden. „Ich heiße Max.“

Ein großer Redner scheint er nicht zu sein, überlegte January, während sie ihn über den Rand ihres Glases hinweg betrachtete. Er ist mehr der betont männliche, schweigsame Typ, der nur redet, wenn es darauf ankommt.

„Ist Max die Kurzform von Maximilian?“, fragte sie betont locker. Sein Lächeln verschwand, und sein Gesicht wirkte plötzlich beinahe finster. „Die Kurzform von Maxim“, antwortete er. „Meine Mutter war wohl eine eifrige Romanleserin.“

„Vermuten Sie das, oder wissen Sie es?“

„Ich vermute, dass ‚Rebecca‘ zu ihren Lieblingsbüchern gehörte.“

January beschloss, das Thema nicht weiter zu verfolgen. „Sind Sie geschäftlich hier?“, fragte sie stattdessen. Schließlich verbrachten die meisten Menschen den Silvesterabend mit Verwandten oder Freunden.

Max nickte zerstreut. „Mehr oder weniger. Arbeiten Sie täglich im Hotel oder nur heute, weil Silvester ist?“

January runzelte die Stirn. Die Frage klang ziemlich unhöflich, aber vielleicht hatte Max die Angewohnheit, sich weniger höflich als deutlich auszudrücken. Sie war jedenfalls bereit, es zu seinen Gunsten anzunehmen.

„Für gewöhnlich singe ich am Donnerstag-, Freitag- und Samstagabend.“

„Und da heute Freitag ist …“

„Ganz recht“, bestätigte sie mit ihrer rauen, dunklen Stimme. „Übrigens muss ich gleich wieder auf die Bühne.“ Etwas wie Erleichterung klang aus den letzten Worten. Der Umgang mit Max war nicht gerade einfach.

„Ich warte, bis Sie für heute Schluss machen.“ Mehr sagte er nicht, und er hatte auch noch nichts vom Champagner getrunken. Sein einziges Bestreben schien zu sein, January keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Das war schon aus der Entfernung beunruhigend gewesen – aus der Nähe wirkte es geradezu gefährlich!

January hatte die Einladung spontan, vielleicht aus Neugier, angenommen und bedauerte das jetzt. Verglichen mit Max wirkten Heathcliff und Mr Rochester, ihre Lieblingshelden aus „Wuthering Heights“ und „Jane Eyre“, beinahe redselig, und ob sie eine Frau so angestarrt hätten, war zumindest zweifelhaft.

„Davon halte ich nichts“, wehrte sie mit leichtem Kopfschütteln ab und lächelte dann, um die Absage nicht so brüsk erscheinen zu lassen. Immerhin zählte Max zu den Hotelgästen, die sie als Angestellte zu unterhalten hatte. „Ich singe meist bis halb zwei oder zwei Uhr früh … je nachdem, wie lange die Gäste bleiben. Heute ist Silvester, da wird es sicher noch später werden.“

Sie würde nicht vor vier Uhr zu Hause sein, körperlich erschöpft und nervlich so überreizt, dass sie wach blieb, bis ihre Schwestern gegen sechs Uhr aufstanden. Nicht gerade eine ideale Lösung, aber sie musste froh sein, im nahen York eine Stellung gefunden zu haben.

„Ich warte trotzdem“, erklärte Max ungerührt.

January wurde unbehaglich zumute. Genau deshalb hatte sie sich bisher konsequent von den männlichen Hotelgästen ferngehalten. Was hatte sie nur bewogen, ausgerechnet bei diesem Mann eine Ausnahme zu machen?

Ein leichtes Kribbeln lief ihr den Rücken hinunter. War Angst oder heimliche Lust der Anlass dafür? Max fixierte sie immer noch mit seinen tiefblauen Augen – ihre nackten Schultern, ihren Ausschnitt, die sanfte Rundung ihrer Brüste … Fast kam es ihr so vor, als liebkoste er sie nicht mit Blicken, sondern mit seinen schlanken, auffallend schön geformten Händen.

„Ich warte“, wiederholte er. „Was bedeuten schon einige Stunden?“

Wie beruhigend, schoss es January durch den Kopf, während sie gleichzeitig an die Zeitungsberichte über nächtliche Überfälle dachte, denen einsame Frauen seit einiger Zeit in dieser Gegend ausgesetzt waren.

Nicht, dass der weltmännische und offensichtlich wohlhabende Max sie an den „Nachtschatten“ erinnert hätte – so nannte man den Serientäter in den unseriöseren Zeitungen –, aber wie sah ein Mann aus, der nachts Frauen überfiel? Vermutlich wirkte er tagsüber ganz normal und verwandelte sich nur bei Dunkelheit in ein Monster.

„Sagen Sie mir, January“, unterbrach Max sie in ihren Gedanken. Er hatte sich vorgebeugt und betrachtete sie womöglich noch eindringlicher. „Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?“

Die Frage bewirkte, dass Januarys Hand leicht zu zittern begann. Sie stellte ihr Glas vorsichtig auf den Tisch und suchte nach einer überzeugenden Antwort. Warum stellte ihr Max keine der üblichen Fragen, die so leicht zu beantworten waren? „Hallo, wie geht es Ihnen? Haben Sie Familie? Was tun Sie, wenn Sie nicht singen?“ Keine dieser Fragen hätte sie überrascht, aber Liebe auf den ersten Blick?

„Nein“, erklärte sie nach reiflicher Überlegung. „Verlangen mag es auf den ersten Blick geben, aber Liebe? Nein, auf keinen Fall. Was meinen Sie?“

„Ich habe Sie gefragt“, betonte er.

„Und ich habe Nein gesagt.“ Die Hartnäckigkeit dieses Mannes war wirklich erstaunlich. „Wie kann man sich in jemanden verlieben, den man nicht kennt? Sie würden all die kleinen Unarten, über die sich die meisten ärgern, zu spät entdecken. Die falsch ausgedrückte Zahnpastatube, die im ganzen Wohnzimmer verstreute Zeitung, unnötiges Barfußgehen …“

„Ich verstehe, was Sie meinen.“ Seine klaren kobaltblauen Augen belebten sich. „Haben Sie alle diese schlechten Angewohnheiten?“

Hatte sie die? Leider ja. Die falsch ausgedrückte Zahnpastatube konnte March zur Weißglut bringen, und May regte sich jeden Tag darüber auf, dass sie die Zeitung nach dem Lesen nicht wieder zusammenlegte. Dass sie barfuß herumlief – eine Angewohnheit, die sie schon als Kind gehabt hatte –, war auf einem Bauernhof ebenfalls unpraktisch. Einmal hatte sie sich einen Nagel in den Fuß getreten und war ins Krankenhaus gebracht worden, um eine Tetanusspritze zu bekommen. Ein andermal war sie vor dem Kamin auf eine glühende Kohle getreten, was ebenfalls eine Fahrt zum Krankenhaus erforderlich gemacht hatte.

„Man hat mir versichert, dass ein Liebender solche Unarten übersieht“, fuhr Max fort, als January schwieg. „Schließlich ist kein Mensch vollkommen.“

Mit einer Ausnahme, dachte January giftig. Max würde sich nicht den kleinsten Fehler erlauben. Er würde die Zahnpastatube von unten ausdrücken und regelmäßig umknicken, er würde die Zeitung nach dem Lesen wieder zusammenlegen und niemals barfuß durch das Haus laufen. Er handelte umsichtig und überlegt, ohne etwas dem Zufall zu überlassen. Vielleicht war das sein einziger Fehler!

„Das mag sein“, gab sie widerwillig zu, „aber trotzdem enden jährlich Tausende von Ehen vor dem Scheidungsrichter. Mangelndes Verständnis oder unsinniges Verhalten des Partners sind dabei die am häufigsten genannten Gründe.“

Max lächelte, die Wendung des Gesprächs schien ihm Spaß zu machen. „Ist eine Ehe jemals geschieden worden, weil einer der beiden, Mann oder Frau, die Zahnpastatube falsch ausgedrückt hat?“, fragte er belustigt.

January zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich nicht, aber deswegen bleibe ich doch bei meiner Antwort auf Ihre Frage.“

Warum er die gestellt hatte, war ihr schleierhaft. Nur eins wusste sie genau: Zu Champagner würde sie sich so bald nicht wieder einladen lassen!

„Eine überaus klare Antwort“, bestätigte Max spöttisch. „Ich muss zugeben, dass man selten einer Frau begegnet, die das, was die Romantiker Liebe nennen, so klarsichtig beurteilt.“

January zögerte, denn ganz so hatte sie es nicht gemeint. „Tatsächlich?“, fragte sie zweifelnd.

„Ja, tatsächlich, aber …“

John, der Barkeeper, näherte sich dem Tisch. „January, ich störe nur ungern …“

„Oh, Sie stören nicht, John.“ January lächelte ihn erleichtert an. Es war höchste Zeit, die ungewöhnliche Unterhaltung mit Max zu beenden. „Sie wollen mich an meinen nächsten Auftritt erinnern, nicht wahr?“

John verzog das Gesicht. „Ich wollte Ihnen nur rechtzeitig sagen, dass Mr Meridew wieder seine Runde macht.“ Er wies mit dem Kopf zur Tür, durch die der Hotelmanager gerade die Bar betreten hatte.

Genau genommen zählte January nicht zu den Angestellten des Hotels, aber das hätte Peter Meridew nicht daran gehindert, ihr sein Missfallen zu bekunden. Sie hatte sich noch nie zu einem Drink einladen lassen, und es war gut möglich, dass Peter daran Anstoß nahm. Der Job in der Bar machte ihr Spaß, und sie brauchte das Geld zu nötig, um ihn wegen eines Fremden, den sie nie wiedersehen würde, aufs Spiel zu setzen.

„Danke, John“, sagte sie und wandte sich wieder an Max. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“

„Möchten Sie, dass ich mit diesem Mr Meridew spreche?“, fragte er.

„Mit Peter? Auf keinen Fall.“ January stellte irritiert fest, dass Max den Hotelmanager stark fixierte. Zweifellos hätte ein Wort von ihm genügt, ihr jede Kritik an der kleinen Freiheit, die sie sich genommen hatte, zu ersparen. „Es wird ohnehin Zeit für mich.“

Max nickte. „Dann bis später. Ich warte hier, bis Sie fertig sind.“

January wollte zum dritten Mal protestieren, überlegte es sich aber anders. Welchen Sinn hätte das gehabt? Es war besser, nach ihrer letzten Nummer zu verschwinden, ohne dass Max etwas davon merkte.

„Danke für den Champagner“, sagte sie und stand auf.

Er neigte leicht den Kopf. „Gern geschehen.“

Während January zum Flügel ging, spürte sie wieder Max’ Blick. Was sah er? Eine große, schlanke Frau mit dunklem Haar in einem langen schwarzen Paillettenkleid. Mehr würde er nicht zu sehen bekommen, und außer ihrem Vornamen wusste er nichts von ihr.

Er hätte sie am nächsten Morgen erleben sollen, früh um sechs Uhr, in ihren Gummistiefeln und knöcheltief im Schlamm … auf dem Weg zum Stall, um die Kühe zu melken!

Max war unzufrieden mit sich selbst. Wollte er January abschrecken, bevor er sie richtig kennengelernt hatte? Oder sie ihn? Dann konnte er sich nur zu seinem Erfolg gratulieren!

Diese Geschäftsreise entsprach nicht seinen Wünschen. Er wäre lieber bis Neujahr in Philadelphia geblieben und hätte den harmlosen Flirt mit der Filmschauspielerin April Robine fortgesetzt. Er war jetzt siebenunddreißig, und April passte zu ihm, denn sie war mindestens zehn Jahre älter und sah mindestens zwanzig Jahre jünger aus.

Leider hatte Luke Marshall, sein Freund und Arbeitgeber, darauf bestanden, dass die fraglichen Verhandlungen so schnell wie möglich abgeschlossen wurden. Vielleicht, weil er ebenfalls an April interessiert war und vermutlich bessere Chancen bei ihr hatte. Ja, so war Luke. Max kannte ihn nur zu gut.

Wie hatte er ahnen können, dass ein zufälliger Besuch der Hotelbar April Robine und alle anderen Frauen, mit denen er jemals zusammen gewesen war, völlig aus seinem Bewusstsein auslöschen würde? Zugunsten dieser January, die allein noch für ihn zählte und die er unbedingt gewinnen musste?

Jedenfalls vorübergehend. Wenn er ehrlich war, wollte er keiner Frau einen dauerhaften Platz in seinem Leben einräumen. Egal, wie schön sie war. Und January war unbeschreiblich schön.

Sie war vollkommen, vom dunklen Scheitel bis zu den Sohlen ihrer zarten Füße, an denen sie diese unsinnig hohen Riemchensandaletten trug. So vollkommen, dass er unfähig gewesen war, auch nur ein Mal den Blick von ihr abzuwenden. So vollkommen, dass er in ihrer Gegenwart ungewöhnlich schweigsam gewesen war und sie nur gefragt hatte, ob sie an Liebe auf den ersten Blick glaube.

Ihre freimütige Antwort hatte ihn fast schockiert, aber was hatte ihn nicht schockiert, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte? Ihr Anblick hatte ihn wie ein Schlag in die Magengrube getroffen, dessen Folgen sich noch verstärkten, seit er ihr gegenübergesessen hatte. Aus der Nähe war sie noch schöner, ihre dunkle, rauchige Stimme klang noch verführerischer, und ihre Figur …

Vielleicht war es besser, vorläufig nicht an ihren gertenschlanken Körper zu denken. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Er musste mindestens noch drei Stunden warten, ehe er sie von hier fortbringen konnte.

Die drei Stunden wurden die längsten, die Maxim Patrick Golding je erlebt hatte. Als es Mitternacht schlug, fand er keine Gelegenheit, mit January anzustoßen, und musste zähneknirschend zusehen, wie sie von anderen Männern umringt wurde, die sie beglückwünschten und den traditionellen Neujahrskuss einforderten. Jeden Einzelnen hätte er mit einem Schlag zu Boden strecken mögen!

Während der zweiten Gesangspause hatte der Hotelmanager January mit Beschlag belegt. Max hatte mit ansehen müssen, wie sie sich angeregt unterhielten, und seine Hoffnung, January würde wenigstens einmal zu ihm hinsehen, hatte sich nicht erfüllt.

War das Absicht gewesen? Nach seinem Frontalangriff in der ersten Pause hätte ihn das eigentlich nicht überraschen dürfen.

Wie Luke jetzt über ihn gelacht hätte! Oder besser, wie er bei Januarys Anblick selbst zum Angriff übergegangen wäre! Aber daran wollte er nicht denken. Ein Schritt in Januarys Richtung hätte das Ende seiner langen Freundschaft mit Luke Marshall bedeutet.

Als January ihr Programm schließlich beendete, wirkte sie erschöpft. Das konnte Max von sich nicht sagen. Er hatte wegen der Zeitverschiebung den ganzen Nachmittag geschlafen und war jetzt hellwach.

„Wohin gehen Sie?“, fragte er, als sie sich wortlos von ihm abwandte.

„Nach Hause“, antwortete sie, ohne die langen dunklen Wimpern zu heben.

Ja, sie sah wirklich müde aus. Dunkle Schatten lagen unter ihren wunderschönen grauen Augen.

„Sagte ich nicht, dass ich auf Sie warten würde?“

January merkte, dass sie ihren hartnäckigen Verehrer nicht ohne Weiteres abweisen konnte. „Ich muss noch meinen Mantel und meine Tasche holen“, sagte sie.

„Ich komme mit.“ Max war nicht bereit, noch einmal von ihrer Seite zu weichen.

January sah ihn spöttisch an. „Bis in die Damentoilette?“

„Ich warte draußen.“

„Wie großzügig!“ January ging voran und verschwand hinter einer Tür, auf der „Nur für Personal“ stand.

Max wusste nicht, wie lange er noch warten konnte. Geduld war nie seine Stärke gewesen, und an diesem Abend hatte er nichts dazugelernt. Doch es schien, als würde er auf eine besonders harte Probe gestellt, denn eine Minute nach der anderen verstrich, ohne dass January zurückkam. Wo, zum Teufel, steckte sie?

Peter Meridew näherte sich und blieb höflich stehen. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Max machte ein abweisendes Gesicht. Er wusste noch zu genau, wie raffiniert der Hotelmanager January in ihrer zweiten und letzten Pause mit Beschlag belegt hatte.

„Gibt es noch einen zweiten Ausgang aus dem Raum für das Personal?“, fragte er kurz angebunden. Er nahm inzwischen fast sicher an, dass January ihm irgendwie entwischt war.

Peter sah erst die Tür und dann Max an. „Oh ja, es gibt einen zweiten Ausgang“, antwortete er befremdet. „Er führt auf den hinteren Korridor. Bitte, Sir, wenn es Probleme gibt, kann ich vielleicht helfen …“

„Heißen Sie etwa January?“, fuhr Max ihn unwirsch an. „Doch wohl kaum.“

Sie hatte ihn abgehängt. Einfach abgehängt. Deshalb war sie im Personalraum verschwunden. Aber warum überraschte ihn das? Er hatte ihr den ganzen Abend so zugesetzt, dass sie ihn für einen abgebrühten Geschäftsmann halten musste, der für die Nacht eine willige Bettpartnerin suchte.

War er das? Zum Teufel, nein! Eine Nacht mit January würde auf keinen Fall genügen, und wenn sie ihm etwas mehr Zeit gelassen hätte, wäre es ihm vielleicht gelungen, sie davon zu überzeugen.

„Wie bitte?“ Peter fand sich immer weniger zurecht. „Ist January eine Freundin von Ihnen?“

Max erinnerte sich daran, dass January vorzeitig von seinem Tisch aufgestanden war, um nicht von dem Manager entdeckt zu werden. Wie sagten die Leute doch? Morgen ist auch noch ein Tag. Und da morgen Samstag war, wusste er genau, wo January zu finden sein würde.

„Noch nicht“, antwortete er vage und setzte sein liebenswürdigstes Lächeln auf. „Übrigens möchte ich Sie dazu beglückwünschen, wie Sie dieses Haus führen. Ich bin geschäftlich weltweit unterwegs und kann Ihnen versichern, dass Sie sogar den internationalen Standard übertreffen.“

Peter Meridew blühte bei dem übertriebenen Lob auf, was ganz in Max’ Absicht lag. Er wollte Januarys Stellung nicht gefährden und bei dem Manager auf keinen Fall Verdacht erregen.

„Vielen Dank, Sir. Es ist sehr freundlich, das zu sagen.“

„Im Gegenteil“, beteuerte Max. „Es ist ein Vergnügen, in einem so kompetent geführten Hotel abzusteigen.“

Hatte er jetzt übertrieben?

„Falls Sie während Ihres weiteren Aufenthalts noch irgendwelche Wünsche haben, wenden Sie sich bitte an mich“, sagte er und zog sich bescheiden zurück.

Max sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Für ihn ging der Abend wenigstens positiv zu Ende, was er von sich selbst nicht behaupten konnte. January war ihm ausgewichen und hatte ihn zuletzt auch noch ausgetrickst. Hatte er sich den Silvesterabend so vorgestellt?

Nie und nimmer, und wenn January glaubte, so davonzukommen, hatte sie sich geirrt. Sie würde sich noch wundern.

Sehr wundern!

2. KAPITEL

„Um Himmels willen, May … was ist heute los mit dir?“ January sah ihre älteste Schwester besorgt an. May hatte einen Teller fallen lassen, als sie alle drei aufgestanden waren, um das Dinnergeschirr abzuräumen.

Schon beim Auftragen hatte May mehr Lärm als sonst gemacht. Während des Essens hatte sie geschwiegen und nur einen unartikulierten Laut von sich gegeben, wenn January oder March sie etwas fragten.

Die Calendar-Schwestern – die siebenundzwanzigjährige May, die sechsundzwanzigjährige March und die fünfundzwanzigjährige January – sahen sich ungeheuer ähnlich. Sie waren alle drei groß und schlank und hatten dasselbe dunkle Haar. Nur ihre Augenfarbe war verschieden. May hatte grüne, March graugrüne und January graue Augen.

May, die Älteste, war immer auch die Ruhige, Überlegene gewesen, die nichts aus der Fassung bringen konnte, aber heute Abend ließ sich das nicht von ihr sagen!

„Waren die Aufführungen sehr anstrengend?“, erkundigte sich January teilnahmsvoll.

May arbeitete seit Jahren auf dem gemeinsamen Hof und war zum notwendigen Ausgleich der örtlichen Theatergruppe beigetreten. Während der Weihnachtszeit hatte die Pantomime „Aladin“ auf dem Programm gestanden – mit May in der Titelrolle, die traditionsgemäß von einer Frau gespielt wurde. Die Aufführungen hatten ihr großen Spaß gemacht, sie aber auch erschöpft, denn es waren lange Abende und mehrere Matineen damit verbunden gewesen.

„Wenn es nur das wäre …“ May hatte sich hingekniet, um die Scherben aufzusammeln. „Wir hatten heute Besuch.“

January horchte auf. Sie ahnte, wer der Besucher gewesen war. Ein hartnäckiger Mann wie Max ließ sich vielleicht einmal überlisten, aber damit war man ihn nicht los. Irgendwie musste er ihre Adresse herausgefunden haben.

May richtete sich langsam auf, in ihren grünen Augen schimmerten Tränen. „Erinnert ihr euch an den Brief, den wir vor Weihnachten bekommen haben? Von dem Anwalt, der diesen amerikanischen Konzern vertritt?“ Als ihre Schwestern verständnislose Gesichter machten, fügte sie hinzu: „Sie wollen den Hof kaufen.“

„Natürlich erinnere ich mich daran!“ March riss wütend ein Geschirrtuch vom Haken und wischte die Flecken auf, die durch den zerbrochenen Teller entstanden waren. „Wenn wir an einem Verkauf interessiert wären, hätten wir auf dem Immobilienmarkt inseriert.“ Sie warf das Tuch schwungvoll in den Korb für schmutzige Wäsche.

„Ja“, seufzte May und ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Wie auch immer … Der Anwalt war heute hier, um persönlich mit uns zu sprechen. Oder besser gesagt, mit mir, denn ihr wart beide nicht da.“

January hatte tagsüber geschlafen – wie immer, wenn sie abends in der Bar auftrat –, und March war unterwegs gewesen, um den freien Neujahrstag auszunutzen. Sie arbeitete sonst täglich von neun bis fünf Uhr und hatte wenig Zeit für sich selbst. May war die Einzige, die regelmäßig auf dem kleinen, an einem Hang gelegenen Hof arbeitete und nebenbei auch den Haushalt versorgte. Leider war der Hof nicht groß genug, um die drei Schwestern zu ernähren, ohne dass zwei von ihnen zusätzlich Geld verdienten.

„Eigentlich habe ich das Angebot nicht ernst genommen“, meinte January. Sie war jetzt sicher, dass nicht Max, sondern ein anderer Mann den Besuch gemacht hatte – ein Mann, den sie fast noch weniger mochte.

May lachte bitter. „Der Anwalt schien anderer Ansicht zu sein. Er hat sogar einen Preis geboten, den ich nur verrückt nennen kann.“

January und March verschluckten sich fast, als sie die Summe hörten. Alle drei Schwestern wussten, dass der kleine Hof nicht annährend so viel wert war. Warum hatte der Anwalt dann ein so unsinniges Angebot gemacht – für sechzehn Hektar Land, einige Stallgebäude und ein veraltetes Wohnhaus?

„Wo ist der Haken?“, fragte March misstrauisch.

„Abgesehen von der sofortigen Räumung des Hofs scheint es keinen zu geben“, antwortete May.

„Abgesehen von …“, wiederholte January entrüstet. „Wir drei wurden hier geboren! Der Hof ist …“

„Unser Zuhause“, vervollständigte March den Satz.

May nickte. „Das habe ich dem Anwalt gesagt, aber es schien ihn nicht zu beeindrucken.“

„Wahrscheinlich, weil er irgendwo in einem luxuriösen Penthouse wohnt“, murmelte March. „Er weiß nicht, was ein Zuhause bedeutet.“ Etwas schärfer fügte sie hinzu: „Du hast ihn doch hoffentlich nicht hereingebeten?“

May schüttelte den Kopf. „Ich habe gerade Heu aufgeladen, als er angekommen ist. Sobald er sich vorgestellt und den Grund für seinen Besuch genannt hatte, machte ich ihm eindeutig klar, dass er sich nicht ins Haus zu bemühen brauche. Sein maßgeschneiderter Anzug war für den Anlass wenig geeignet, und wie seine blank geputzten, handgefertigten Schuhe anschließend aussahen, könnt ihr euch denken.“

January lachte über den zufriedenen Ton ihrer Schwester. „Du hast ihn doch hoffentlich mit einer gehörigen Standpauke verabschiedet?“

May nickte. „Allerdings, aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass er wiederkommen wird.“

„Hast du eine Ahnung, worum es eigentlich geht?“

„Oh, das ist ganz einfach“, erklärte March. „Derselbe Konzern hat vor einigen Monaten Hanworth Manor gekauft, um dort ein Forschungszentrum einzurichten. Da unser Hof mitten im Hanworth-Gebiet liegt, sind wir dem neuen Besitzer wahrscheinlich im Weg.“

James Hanworth, der seine ausgedehnten Ländereien ein halbes Jahrhundert lang wie ein klassischer Gutsherr verwaltet hatte, war vor einem halben Jahr gestorben, ohne eine Frau oder Kinder zu hinterlassen. Die entfernten Verwandten, denen der Besitz daraufhin zugefallen war, hatten sich geeinigt, alles zu verkaufen und den Gewinn zu teilen.

„Warum hast du uns das nicht früher erzählt?“, fragte May aufgebracht. „Da ist es ja kein Wunder, dass sie um jeden Preis versuchen, uns loszuwerden.“

Nein, das ist wirklich kein Wunder, gab January ihrer ältesten Schwester recht. Doch der Hof hatte schon ihren Großeltern und Eltern gehört, und jetzt bildete er die Existenzgrundlage der drei Schwestern. Keine wäre je auf den Gedanken gekommen, den Hof oder das Land zu verkaufen. Wo hätten sie leben sollen? Ein anderes Heim war einfach nicht vorstellbar.

January sah auf ihre Uhr. „Ich muss mich fertig machen, aber wir sprechen morgen beim Frühstück noch einmal darüber. Einverstanden?“

May nickte. „Einverstanden.“

January drückte ihr tröstend den Arm. „Niemand kann uns zwingen zu verkaufen, wenn wir nicht wollen.“

„Nein“, gab May zu, „aber man könnte uns das Leben zur Qual machen. Unser Land liegt zu ungünstig.“

„Warten wir erst mal ab, was die neuen Besitzer vorhaben“, meinte March besänftigend. „Ich werde morgen versuchen, mehr herauszufinden.“

„Bring dich aber nicht in Schwierigkeiten“, warnte May, die sich immer noch für ihre jüngeren Schwestern verantwortlich fühlte. Ihre Mutter war früh gestorben, und nach dem Tod des Vaters im letzten Jahr nahm sie diese selbst gewählte Aufgabe doppelt ernst.

„Keine Sorge, ich bin vorsichtig.“ March machte sich nie große Sorgen. Sie war die fröhlichste und unbekümmertste von den drei Schwestern.

„Dann sehen wir uns morgen früh.“ January verschwand lachend. Sie kannte die kleinen Zwistigkeiten zwischen ihren grundverschiedenen Schwestern.

Oben, in ihrem Zimmer, machte sie sich für den Abend fertig. Sie wählte wieder ein schwarzes Kleid, diesmal knielang, mit tiefem Ausschnitt und langen, an den Handgelenken weit abstehenden Ärmeln. Das Haar steckte sie mit strassbesetzten Kämmen hoch und ließ nur einige Locken über die Schläfen fallen.

January hatte immer noch Mühe, sich an das Doppelleben zu gewöhnen, das sie einerseits als glamouröse Sängerin und andererseits als einfache Frau vom Lande in Gummistiefeln, weiten Pullovern und alten Jeans führte. Irgendwie passte beides nicht zusammen.

Umso realer waren die Sorgen, die sie sich während der Fahrt zum Hotel machte. Natürlich konnte sie niemand zum Verkauf zwingen, aber Mays Einwand, dass es Schwierigkeiten geben könnte, war durchaus berechtigt. Ihr Land lag wie eine Insel mitten im Hanworth-Gebiet, und eine ausgedehnte Forschungseinrichtung rund um sie herum konnte zu erheblichen Problemen führen.

Natürlich gab es so etwas wie Wege- und Wasserrecht. James Hanworth hatte den Calendars in dieser Hinsicht niemals Schwierigkeiten gemacht. Er akzeptierte die Enklave und wusste, dass sie ohne freien Zugang und ausreichende Wasserversorgung nicht lebensfähig war.

Würde der neue Eigentümer, ein Konzern, auch so großzügig sein?

January war so sehr mit ihren privaten Sorgen beschäftigt, dass sie erst wieder an Max dachte, als sie die Hotelbar betrat und ihn im Gespräch mit John antraf. Vielleicht hatte sie auch gehofft, er würde nach einer Nacht wieder abreisen – ein fataler Irrtum, wie sich jetzt herausstellte.

„Ah, January!“ Max folgte ihr mit teils neugierigen, teils spöttischen Blicken, als sie zum Flügel ging, um die Noten für den Abend zu sortieren. Dann stand er auf und schlenderte zu ihr hinüber. „Mir scheint, es hat gestern Abend eine kleine Unstimmigkeit zwischen uns gegeben. Waren wir nicht verabredet?“

„Waren wir das?“ January sah ihn kühl an, obwohl seine physische Ausstrahlung mehr als beunruhigend war. Er sah wirklich sehr gut aus. January hätte sich vielleicht weniger gegen ihn gewehrt, wenn er nicht so hartnäckig und siegesgewiss aufgetreten wäre.

„Jedenfalls hatte ich mir das eingebildet.“ Er lächelte so gewinnend, dass Januarys Herz einen Schlag aussetzte. „Vielleicht haben wir heute Abend mehr Glück?“

Er versucht, weniger direkt zu sein, dachte January belustigt, aber er kann nicht verbergen, dass er unbedingt mit mir allein sein will …

„Vielleicht“, antwortete sie unverbindlich. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden? Ich beginne mit dem ersten Teil meines Programms.“

„Selbstverständlich.“ Max machte Platz, damit sie sich hinsetzen konnte. Dann trat er nah an sie heran, neigte sich zu ihr hinunter und flüsterte: „Sie sehen heute noch bezaubernder aus als gestern.“

January beugte sich zurück, um Max besser ins Gesicht sehen zu können. „Danke“, hauchte sie in wachsender Verwirrung.

Max lächelte und richtete sich auf. In seinen blauen Augen lag uneingeschränkte Bewunderung. „Schön gesagt“, flüsterte er.

January neigte spöttisch den Kopf. Max durfte auf keinen Fall merken, wie sehr seine Nähe sie beunruhigte. „Man bemüht sich.“

Die Antwort gefiel ihm. „Ich erwarte Sie an der Bar zur ersten Pause“, meinte er. „John hat mir verraten, dass Sie am liebsten Mineralwasser trinken.“

January runzelte die Stirn. Es gefiel ihr nicht, dass Max sich mit anderen Leuten über ihre Gewohnheiten unterhielt – auch nicht, wenn dieser andere der harmlose John war.

„Die Pause dient nur dazu, dass man sich ein bisschen erholt“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass in Max’ Gegenwart so etwas nicht möglich sein würde.

„Dann schweigen wir“, schlug er vor.

Als ob sie gestern nicht schon genug geschwiegen hätten! Redselig konnte man Max wirklich nicht nennen. Aber er brauchte auch nicht zu reden. Seine Gegenwart genügte, um sie immer mehr aus der Fassung zu bringen. Warum musste er sie auch so unausgesetzt anstarren?

„Einverstanden“, antwortete sie.

Max betrachtete sie zweifelnd. „Sie haben mir schon einmal so bereitwillig zugestimmt und sind dann durch die Hintertür verschwunden.“

January errötete, denn ungewollt meldete sich ihr schlechtes Gewissen. „Diesmal bleibe ich“, versprach sie. „Genügt das?“

„Ja, das genügt.“ Max neigte zustimmend den Kopf. „Übrigens haben Sie die erotischste Stimme, die ich jemals gehört habe … beim Sprechen wie beim Singen.“

Schon besser, dachte Max, während er sich wieder auf seinen Barhocker setzte. Viel besser. Genau die richtige Mischung von Scherz und Ernst. Jetzt kommt es nur noch darauf an, das für die nächsten Stunden beizubehalten.

Nur noch! Als January vorhin in dem engen schwarzen Kleid hereingekommen war, hätte er im ersten Moment fast die Kontrolle über sich verloren. Das Blut war ihm plötzlich heiß und schwer durch die Adern geflossen, und die anderen Reaktionen seines Körpers hatte er lieber nicht beachtet. Seit seiner Jugend war er von dem Anblick einer Frau nicht so hoffnungslos überwältigt worden.

Zum Glück hatte er sich wieder beruhigt und vernünftig mit ihr gesprochen. Vernünftig? Dass er ihr zum Schluss gestanden hatte, wie erotisch er ihre Stimme fand, war alles andere als vernünftig gewesen, aber die Bemerkung hatte ihm das sanfte Erröten ihrer Wangen eingebracht und den verräterischen Glanz in ihren wunderschönen grauen Augen.

Max war siebenunddreißig Jahre alt und hatte in seinem Leben viele schöne Frauen kennengelernt. Mit einigen von ihnen hatte er auch geschlafen, aber sie waren alle zu weltläufig und erfahren gewesen, um noch bei einem Kompliment zu erröten. Ein erfrischender Gedanke, dass January nicht zu diesem Typ gehörte.

Wie alt mochte sie sein? Wahrscheinlich Mitte zwanzig. Nicht zu jung, um sich ihretwegen das Gewissen zu belasten, und nicht zu alt, um seine Beharrlichkeit routiniert hinzunehmen.

„Ein tolle Frau, nicht wahr?“ John, der Barmann, polierte Gläser für den späteren Gästeansturm und hatte Max’ Gedankengang mühelos verfolgt. „Kein bisschen hochmütig wie ihre meisten Vorgängerinnen.“

Max begriff, dass John die beste Informationsquelle war, wenn es um January ging, aber er zögerte, sich seiner zu bedienen. Aus einem unerfindlichen Grund verspürte er das Bedürfnis, sie von sich aus kennenzulernen, ihr eine Maske nach der anderen abzunehmen, bis ihr wahres Gesicht zum Vorschein kam. Wie bei dem Kinderspiel, bei dem man von einem Päckchen eine Hülle nach der anderen entfernte, bis endlich der Inhalt zum Vorschein kam.

Wieder dankte Max dem Himmel dafür, dass Luke ihn nicht bei seinen Bemühungen um January beobachten konnte. Wie hätte er sich darüber gefreut, dass sein alter Freund hilflos in den Netzen einer unbekannten Schönen zappelte! Gefreut? Mindestens. Er hätte ihn tagelang deswegen ausgelacht.

Ob der Misserfolg in der wichtigen Angelegenheit, die ihn herführte, Luke das Lachen vergällt hätte? Schon möglich. Eine so halsstarrige, unnachgiebige Person … Nicht, dass er einen Moment an Rückzug gedacht hatte! Er würde nur etwas mehr Zeit brauchen, um das erwünschte Ziel zu erreichen. Seit er January kannte, bedauerte er das nicht mehr.

Allmählich begann sich die Bar zu füllen. Januarys Stimme drang auch in die anderen Gesellschaftsräume des Hotels und lockte Gäste an – zum Beispiel eine Gruppe junger Männer, die wahrscheinlich einen Neujahrsausflug gemacht hatten und sich an der Bar aufbauten, um zu trinken und die Augen nach January zu verdrehen. So, wie sie in ihrem schwarzen Kleid aussah, war das verständlich, aber Max hätte am liebsten allen Männern Barverbot erteilt, um Januarys Anblick allein genießen zu können.

Ein unsinniger Wunsch, angesichts des Berufs, den sie gewählt hatte! Als Sängerin in einer Bar wollte sie gesehen und angeschwärmt werden. Das gehörte genauso zu ihrem Erfolg wie ihre anziehende erotische Stimme. Trotzdem hatte Max den unwiderstehlichen Wunsch, aufzustehen und January sein Jackett umzulegen, damit sie vor fremden Blicken geschützt war.

„Whisky“, sagte er grimmig zu John. „Am besten gleich einen doppelten“, fügte er hinzu, als einer der jungen Männer zu January ging und sich mit ihr unterhielt, während sie zwischen zwei Liedern in einem Notenheft blätterte.

John stellte ihm das Glas hin. „January kann gut auf sich selbst aufpassen“, sagte er und verzog dabei das Gesicht.

Und wenn schon, dachte Max, der sich für sie verantwortlich fühlte. Nur verantwortlich? So ein Unsinn! Er hätte sie gern auf die Arme genommen, in seine Suite hinaufgetragen und dort geliebt, bis sie eng umschlungen und erschöpft eingeschlafen wären.

January pausierte immer noch und sah gerade jetzt lachend zu ihrem Verehrer auf. Sie schien sich in seiner Gegenwart völlig entspannt zu fühlen. Das war zu viel für Max. Viel zu viel, als sich der Mann auch noch zu ihr hinunterbeugte und sie, für alle sichtbar, auf den Mund küsste.

Max merkte kaum, dass er die Bar durchquerte, den Mann am Kragen packte und ihn von January wegzog.

„Max?“ Januarys empörte Stimme drang wie von fern an sein Ohr. „Was fällt Ihnen ein?“

Max starrte einen Moment finster vor sich hin und drehte sich dann zu January um. „Er hat Sie belästigt …“

„Wie kommen Sie denn darauf?“ January war aufgestanden, um den Mann aus Max’ Griff zu befreien. „Josh ist ein Freund und feiert heute seinen Abschied vom Junggesellenleben. Nächsten Samstag heiratet er meine Cousine Sara.“

Und wenn schon, dachte Max. Der Kuss hatte durchaus nicht verwandtschaftlich gewirkt.

„Sie verursachen einen Aufstand!“, flüsterte January aufgeregt.

Mehrere Gäste der inzwischen gut gefüllten Bar sahen zu ihnen herüber, unter ihnen auch die jungen Männer, mit denen Josh hereingekommen war. Vermutlich waren sie drauf und dran, ihrem Freund zu Hilfe zu kommen.

„Es tut mir leid“, sagte Max leise, denn er hatte bemerkt, dass inzwischen auch der Hotelmanager die Szene verfolgte.

Was war bloß in ihn gefahren? Zugegeben, January interessierte ihn mehr als jede andere Frau auf der Welt, aber für sie war er nur ein beliebiger Hotelgast, der ihr gestern Abend einen Drink ausgegeben hatte.

Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf. „Es tut mir wirklich leid, wenn ich eben zu weit gegangen bin“, sagte er zu Josh und versuchte, möglichst freundlich zu klingen.

„Kein Problem.“ Josh tat die Angelegenheit großzügig ab. „Schön zu wissen, dass es Gäste gibt, die auf January aufpassen.“

„Ich brauche niemanden …“

„Darf ich mich bei Ihnen und Ihren Freunden vielleicht mit einem Drink revanchieren?“, unterbrach Max January, die zweifellos darauf hinweisen wollte, dass sie keinen Aufpasser brauchte. „Ich bin sicher, dass sich January in der Pause gern zu uns setzt.“

Während er das sagte, drehte er sich zu January um und stellte fest, dass sie zornig noch viel schöner aussah. Ihre tiefgrauen Augen blitzten, ihre Wangen glühten, und sogar die Lippen wirkten voller und üppiger. Max konnte sich kaum zurückhalten, sie zu küssen.

„Sie heiraten am nächsten Samstag?“, wandte er sich wieder an Josh.

„Nachmittags um drei Uhr“, bestätigte Josh. „Sie sind herzlich eingeladen, wenn Sie January begleiten wollen.“

„Josh, ich glaube nicht …“

„Warum gehen wir nicht wieder an die Bar?“ Max war geschickt genug, Januarys Weigerung zuvorzukommen. „Wir dürfen Ihre zukünftige Cousine wirklich nicht länger von der Arbeit abhalten.“

Während er mit Josh an die Bar zurückkehrte, spürte er Januarys Blicke wie glühende Pfeile in seinem Rücken. Auch das nächste Lied, in dem irgendetwas von „für sich selbst sorgen können“ vorkam, war zweifellos auf ihn gemünzt.

Trotzdem konnte er sich nicht zurückhalten, January zuzuprosten, als sie ihr Lied beendet hatte. Er erntete einen vernichtenden Blick und antwortete wiederum mit einem Lächeln. Es würde nicht leicht sein, January zu erobern, aber er war in seinem Leben noch keiner Herausforderung ausgewichen und würde jetzt nicht damit anfangen.

Im Ganzen mochte der Tag nicht gerade erfolgreich verlaufen sein, aber der Abend hatte vielversprechend begonnen. Falls wirklich alle Mittel bei January versagten, hatte er jetzt die Möglichkeit, auf Joshs Einladung zurückzukommen und am nächsten Samstag im Kreis der Familie Hochzeit zu feiern!

3. KAPITEL

„Sie können mich am nächsten Samstag wirklich nicht zu der Hochzeit begleiten“, erklärte January entschieden. Sie hatte nur eingewilligt, nach Abschluss ihres Programms etwas mit Max zu trinken, um ihm das zu sagen. Sie saßen sich gegenüber, und er ließ sie, wie immer, nicht aus den Augen.

„Und warum kann ich das nicht?“, fragte er belustigt. „Josh schien es mit der Einladung durchaus ernst zu meinen.“

„Er hat es ganz bestimmt ernst gemeint“, bestätigte January, die ihrem zukünftigen Cousin mehr als böse war, weil er sie in diese unmögliche Situation gebracht hatte. Sie an seinem Junggesellenabend zu küssen war eine Sache – Max zu seiner Hochzeit einzuladen eine andere. „Es geht trotzdem nicht.“

„Und warum nicht?“, fragte Max noch einmal. „Die Einladung ging von Josh aus, und ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie von jemand anderem begleitet werden.“

„Das ist ein Irrtum“, beharrte January. „Ich werde von meiner Familie begleitet und müsste vorher fragen, wenn ich einen fremden Gast mitbringen will.“ Max’ starr auf sie gerichteter Blick begann sie schon wieder zu irritieren. „In Ihrem Fall eine etwas peinliche Frage, meinen Sie nicht?“

„Bis zum Samstag ist es noch eine ganze Woche“, antwortete Max ungerührt. „In dieser Zeit kann viel passieren.“

Für January passierte immer viel. Sie arbeitete auf dem Hof und trat abends in der Hotelbar auf, aber ein so gut aussehender und weltläufiger Mann passte einfach nicht in ihr Programm!

„Ich habe Nein gesagt, Max“, erklärte sie nachdrücklich, „und ich bleibe auch dabei.“ Sie trank einen Schluck Mineralwasser. Etwas Stärkeres wäre jetzt durchaus angebracht gewesen, aber sie musste noch mit dem Auto nach Hause fahren.

„Wie auch immer, January … Sie waren heute Abend wirklich gut.“ Max wechselte einfach das Thema. „Trotz des übertriebenen Kusses, den Sie während des Programms einem fremden Mann gewährt haben.“

January seufzte ungeduldig. Sie war zu müde, um Max einfach zum Teufel zu schicken, wie er es verdient hätte. „Es ging um eine Wette … noch dazu um eine Wette am traditionellen Junggesellenabend. Ich kenne fast alle Beteiligten aus meiner Schulzeit. Joshs Einfall war ein großer Spaß für sie.“

Max’ Gesicht verriet, dass ihm der Sinn für diesen Spaß fehlte. Außerdem hatte er bemerkt, dass Peter Meridew nicht nur Josh, sondern auch seine Freunde nachdrücklich ermahnt hatte, die anderen Gäste nicht mit ihrem Lärm zu stören.

January hatte das ebenfalls bemerkt, und es war ihr mehr als gleichgültig, was Max darüber dachte. Er war nur ein Hotelgast, der bald abreisen würde. Es sollte ihm nicht gelingen, eine singende Frau vom Lande – oder auch eine in der Landwirtschaft arbeitende Sängerin – mit gebrochenem Herzen zurückzulassen!

Dabei verhehlte sie keineswegs, dass sie sein spontanes Eingreifen zu ihrem Schutz äußerst ritterlich fand. Das war vielleicht ein etwas altmodischer Ausdruck, aber genauso hatte es auf January gewirkt. Kein Wunder, dass die Frauen ihren Rettern früher ohnmächtig an die Brust gesunken waren! Wäre sie Max vorhin nicht zuvorgekommen, hätte er Josh zweifellos mit einem gezielten Treffer k. o. geschlagen.

„Es ist spät geworden.“ January strich sich das lange dunkle Haar zurück und warf John, der sich auf das Ende seiner Schicht vorbereitete, einen hilflosen Blick zu. Es war zwar nicht so spät wie gestern, aber sie fühlte sich doppelt erschöpft und war außerdem innerlich aufgewühlt. Max hatte eben doch einen zu großen Eindruck auf sie gemacht. „Ich sollte endlich fahren.“

Max nickte, seinen blauen Augen schien nichts zu entgehen. „Sie sehen wirklich müde aus. Darf ich Ihnen ein Taxi bestellen?“

January seufzte, denn es war kein Vergnügen, jetzt noch eine Stunde am Steuer zu sitzen. „Das hätte wenig Sinn. Ich arbeite morgen nicht und müsste extra herkommen, um mein Auto abzuholen.“

„Ich würde es Ihnen bringen“, schlug Max vor. „Bei der Gelegenheit könnten Sie mich Ihrer Familie vorstellen.“

Und dann wären Sie kein „fremder Gast“ mehr, wie ich vorhin gesagt habe, ergänzte January im Stillen. Wirklich clever von Ihnen, Mr Max, aber leider kommt das nicht infrage.

„Vielen Dank, das ist nicht nötig.“ January stand auf, um dem Gespräch ein Ende zu machen.

Max erhob sich ebenfalls. „Ich tue es wirklich gern“, versicherte er. „Außerdem hat John mir vorhin von dem ‚Nachtschatten‘ erzählt, der die Gegend unsicher macht.“ Er winkte dem Barkeeper zu, während er January hinausbegleitete.

Damit hatte Max zweifellos recht. Der „Nachtschatten“ hatte bisher zwar nur in einsamen ländlichen Gegenden zugeschlagen, aber so spät war auch der Parkplatz des Hotels dunkel und ohne Aufsicht.

„Das stimmt“, gab January zu. „Sechs Überfälle in den letzten sechs Monaten.“

„Und trotzdem bestehen Sie darauf, allein nach Hause zu fahren?“

January nickte.

„Das habe ich mir gedacht. In dem Fall werde ich mich noch nicht in meine warme, gemütliche Suite zurückziehen, sondern Sie zu Ihrem Auto bringen.“

„Das ist nicht nötig.“

„Vielleicht nicht, aber es ist keine angenehme Vorstellung, Sie allein in die dunkle Nacht hinauszuschicken.“

January erkannte an Max’ Gesicht, dass es sinnlos war, länger zu widersprechen. Dabei ging sie dreimal wöchentlich allein im Dunkeln zu ihrem Auto. Jede Woche, und wenn Max abgereist war, würde es wieder so sein.

„Sie erinnern mich immer mehr an meine älteste Schwester May“, scherzte sie, als Max ihr den Mantel umlegte, um sie vor der kalten Winterluft zu schützen.

„Ich gestehe, dass mir der Vergleich mit einer älteren Schwester nicht gefällt.“

„Und wenn ich Ihnen versichere, dass mir meine beiden Schwestern sehr am Herzen liegen?“

„Schon besser“, gab Max zögernd zu. „Hier … ziehen Sie den Mantel lieber richtig an. Die Luft ist kalt.“

January hatte nichts dagegen, sich in den Mantel helfen zu lassen, aber dass ihr Max auf dem Weg zum Parkplatz den Arm um die Schultern legte, behagte ihr weniger. Er schützte sie zwar mit seinem Körper gegen den Wind, aber seine Nähe irritierte sie. Oder war es Erregung, was sie verspürte? Ein Mann wie Max war ihr noch nie begegnet, und seine überlegene, selbstsichere Art ergab zusammen mit seinem ungewöhnlich guten Aussehen eine gefährliche Mischung.

Sei ehrlich, January, sagte eine Stimme in ihr, gib endlich zu, dass du diesen Mann aufregend und faszinierend findest.

Aufregend? Ja, denn ihr Herz schlug wie wild, und die Röte auf ihren Wangen rührte nicht von der Kälte her.

„Ich wollte Sie mit der Anspielung auf meine älteren Schwestern nicht kränken“, versicherte sie, um ja kein Schweigen aufkommen zu lassen, das sie noch nervöser gemacht hätte. „Sie war eher als Kompliment gedacht.“

Warum war der Weg zu ihrem Auto heute so lang? Sonst waren es doch immer nur einige Schritte gewesen!

„Als Jüngste bin ich am häufigsten Ziel von Ermahnungen meiner Schwestern. Sogar March stimmt manchmal in das Konzert ein, obwohl sie von uns dreien am impulsivsten ist.“

„January, March und May“, wiederholte Max langsam. „Drei Monate des Jahres. Steckt dahinter ein geheimer Sinn?“

„Das ist leicht erklärt.“ January blieb aufatmend neben ihrem kleinen Auto stehen und suchte in der Handtasche nach den Schlüsseln. „Sehen Sie …“

Max ließ sie nicht ausreden. „Im Moment sehe ich nur die schönste Frau, die mir jemals begegnet ist. Genauer gesagt … ich sehe seit sechsunddreißig Stunden nichts anderes.“

January hob den Kopf und war plötzlich unfähig, sich zu rühren. Sie sah in Max’ blaue Augen und fühlte sich wie von einem magischen Licht verzaubert.

„January!“, stöhnte er, drückte ihr die Lippen auf den Mund und nahm sie fest in die Arme.

So muss es sein, wenn man ertrinkt, dachte January einige Minuten später. Nach dem anfänglichen Kampf gegen das Unvermeidliche ergibt man sich einer Macht, vor der jeder Widerstand versagt.

Sie wusste nichts über diesen Mann, bis auf das Wenige, das er ihr freiwillig mitgeteilt hatte. Sie kannte nicht einmal seinen Nachnamen und doch …

Sie konnte nicht mehr klar denken, sondern nur noch atmen, Max’ warmen Körper spüren und sich dem Verlangen hingeben, das seine Küsse in ihr weckten. Wie in Trance legte sie ihm die Arme um den Nacken und schob ihm die Hände ins dichte, seidenweiche Haar.

Max stöhnte auf. Januarys Berührung erregte ihn und machte ihn kühner. Er ließ die Zunge über ihre Lippen gleiten, reizte und verlockte sie und drang tiefer in ihren Mund ein. January hatte noch nie das Gefühl gehabt, so mit einem anderen Menschen eins zu sein, als wäre sie ein Teil von Max und er ein Teil von ihr …

Wie Nadelspitzen traf die Kälte ihr erhitztes Gesicht. Verwirrt öffnete sie die Augen und stellte fest, dass es sacht zu schneien begonnen hatte. Max löste sich zögernd von ihr, nur seine Hände umschlossen noch ihre Taille.

„Der Schnee ist so wirksam wie eine kalte Dusche“, sagte er in einem Anflug von Selbstironie. „Aber vielleicht ist es besser so. Wenn wir uns zum ersten Mal lieben, sollte es nicht gerade auf einem dunklen Hotelparkplatz sein.“

Zum ersten Mal? Damit wollte er wahrscheinlich andeuten, dass es nicht dabei bleiben würde! Verwirrt trat January einen Schritt zurück und wandte sich ab. Wo waren nur ihre Autoschlüssel? Sie hatte sie doch bestimmt …

„January?“ Max drückte ihr Kinn leicht nach oben, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. Es war noch bleicher als sonst.

„Ich muss mich beeilen“, sagte sie und fand endlich die Autoschlüssel ganz unten in ihrer Handtasche. „Es ist schon sehr spät …“

„Oder sehr früh, das kommt ganz darauf an, wie man es betrachtet. Ich möchte dich wiedersehen, January … und zwar heute. Darf ich dich zum Essen einladen?“

Durfte sie die Einladung annehmen? January zögerte. Wenn sie Ja sagte, würde er sie wieder küssen. Sie würde sich so weit verlieren, dass es kein Zurück mehr gab. Schon jetzt verzehrte sie sich nach Max’ Berührung, und wenn er den Kuss nicht beendet hätte …

Sollte sie die Einladung also ablehnen? Sollte sie ihm Adieu sagen und vergessen, was sie gerade eben in seinen Armen gefühlt hatte? Weiterleben, als wäre nichts geschehen? Wollte sie das? Konnte sie das?

„Zum Essen zu gehen ist eine gute Idee“, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Die Sehnsucht, die sie empfand, wäre seinem aufmerksamen Blick nicht entgangen. Die Sehnsucht? War es nicht mehr? Viel mehr?

„Ob es eine gute Idee ist, weiß ich nicht“, erwiderte Max, „aber notwendig ist es in jedem Fall.“ Er sah zum Himmel auf, von dem die Flocken immer dichter herabfielen. „Macht es dir auch wirklich nichts aus, bei diesem Wetter allein nach Hause zu fahren?“

Hatte sie eine andere Wahl? Sollte sie hierbleiben und den Rest der Nacht in Max’ Suite verbringen? Nein, besser nicht. Es war neu für sie, dass sie so auf einen Mann reagierte – neu und fast ein bisschen unheimlich –, aber deswegen musste sie ihm nicht bei der erstbesten Gelegenheit nachgeben.

„Nein, es macht mir nichts aus“, beteuerte sie, während sie mit unsicherer Hand die Autotür aufschloss. „Wir sind hier nicht in Südengland. In Yorkshire schneit es nun einmal viel, und wenn man sich immer nach dem Wetter richten würde, käme man zu gar nichts.“

„Also gut.“ Max gab widerwillig nach. „Wo wollen wir uns zum Lunch treffen?“

January war inzwischen eingestiegen, aber die Tür stand noch offen. „Warum nicht hier im Hotel?“, fragte sie. „Um halb eins? Es gibt in der Nähe einen Pub, wo sonntags ein üppiger Lunch serviert wird.“

Im Hotel zu essen kam für sie nicht infrage. Sie wollte nicht von Peter Meridew gesehen werden – schon gar nicht mit einem Mann wie Max!

„Einverstanden.“ Max beugte sich hinunter, sodass January die Autotür nicht schließen konnte. „Du wirst es dir doch nicht anders überlegen?“

Das hatte January schon getan. Mehr als ein Mal, aber nein … sie würde zu ihrem Wort stehen.

„Ich werde pünktlich um halb eins hier sein“, versprach sie und fuhr fröstelnd zusammen, als einige Schneeflocken ins Auto gewirbelt wurden. „Hu!“

„Entschuldige.“ Max trat zurück, und January konnte endlich die Autotür schließen.

„Du solltest hineingehen“, sagte sie, nachdem sie das Fenster heruntergedreht hatte. Zu ihrer Erleichterung sprang der Motor beim ersten Versuch an. Der Wagen war alt und neigte dazu, sie in ungünstigen Momenten im Stich zu lassen. „Sonst wirst du noch ganz nass.“

„Ich warte, bis du abgefahren bist“, erklärte Max. „Das ist das Mindeste, was ich tun kann.“

January musste insgeheim lächeln. Max schien es nicht gewohnt zu sein, dass seine Wünsche missachtet wurden. „Bis morgen“, sagte sie, winkte noch einmal und fuhr davon.

An der Ausfahrt des Parkplatzes sah sie John zu seinem Auto gehen und winkte ihm ebenfalls zu. Dann bog sie auf die leere Straße ein und beschleunigte das Tempo.

Es wäre eine Lüge gewesen, die Rückfahrt zum Hof als einfach zu bezeichnen – besonders, was die letzte Strecke betraf, wo die Straße nicht mehr asphaltiert war. Doch sie erreichte ihr Ziel ohne Zwischenfall, stellte den Motor ab und reckte die müden Arme. Sie war heute angespannter als sonst, aber das lag an Max, an ihrer Reaktion auf ihn und an der Zukunft, die völlig unklar war.

Erst als sie einen Blick auf die vertraute Umgebung und die verschneiten Hügel geworfen hatte, ließ die Anspannung nach, und tiefer Frieden erfasste sie. So weit das Auge reichte, gehörte das Land ihr und ihren Schwestern. Sicher, das Leben auf dem Hof war nicht immer leicht, die Arbeit kaum zu bewältigen und zahlte sich selten aus. Auch das Wetter brachte immer wieder Probleme mit sich, aber das Land gehörte ihnen.

Nichts und niemand würde daran etwas ändern.

January erschien zu spät zu der Verabredung. Bis jetzt waren es zehn Minuten, wie Max mit einem Blick auf seine goldene Armbanduhr feststellte. Er war während dieser zehn Minuten in der Hotelhalle auf und ab gegangen, und seine Nervosität war mit jeder Sekunde gewachsen. Erstens, weil er jede noch so kleine Verspätung aus beruflichen Gründen hasste, und zweitens, weil die Verspätung bedeuten konnte, dass January es sich anders überlegt hatte.

Der zweite Grund wog wesentlich schwerer als der erste. War er am Ende selbst schuld? Hatte er sich gestern Abend zu weit vorgewagt? Vielleicht hätte er sie nicht so leidenschaftlich küssen sollen. Ihr Körper war warm und biegsam gewesen. Ihre Brüste hatten weich an seiner Brust gelegen, ihre Schenkel sich an seine geschmiegt …

Er hatte seine ganze Willenskraft zusammennehmen müssen, um January nicht in sein Schlafzimmer hinaufzutragen und ihren bezaubernden Körper mit Händen und Lippen zu erforschen!

Hör auf, Max, ermahnte er sich immer wieder. Genügte es nicht, dass er eine schlaflose Nacht verbracht hatte? Zuerst, weil er nicht wusste, ob January gut zu Hause angekommen war, dann, weil er sie nicht gebeten hatte, ihn nach ihrer Rückkehr anzurufen, und schließlich, weil er seine Sehnsucht nach ihr, sein Verlangen, sie zu sehen und zu berühren, einfach nicht beherrschen konnte.

Wie lange war es her, dass er sich so nach einer Frau verzehrt hatte? War das überhaupt jemals vorgekommen? Wann war er mitten in der Nacht aufgestanden und hatte kalt geduscht, um sich gehörig abzukühlen?

Max sah erneut auf die Uhr – aus den zehn waren inzwischen fünfzehn Minuten geworden.

„Sir?“, klang es von der Rezeption herüber.

Max drehte sich verdrossen um und merkte, dass er gemeint war. „Mr Golding, nicht wahr? Ich glaube, da ist ein Anruf für Sie.“ Patty zeigte auf den Telefonapparat am Ende des Empfangstresens.

Wahrscheinlich Luke, der hören will, ob ich Erfolg gehabt habe, dachte Max und griff nach dem Hörer. Ein Gespräch mit seinem Chef war jetzt genau das, was er brauchte!

„Ja, bitte?“, meldete er sich gereizt.

„Max?“ Das war Januarys Stimme. Sie klang unsicherer als sonst.

Max zwang sich zur Ruhe. Er durfte auf keinen Fall zeigen, wie nervös und wütend er wegen der Verspätung war. Leider gelang ihm das nicht.

„Wo, zum Teufel, steckst du?“, polterte er los. Januarys Anruf genügte ihm als Beweis dafür, dass sie nicht mehr kommen würde.

„Im Moment zu Hause …“

Max umklammerte den Hörer fester. „Du solltest längst hier sein!“

„Im Moment zu Hause“, wiederholte January, „aber bis vor Kurzem steckte ich noch mit meinem Auto im Straßengraben. Es tut mir wirklich leid“, fügte sie nach einer Pause hinzu. „Ich bin rechtzeitig losgefahren, um pünktlich um halb eins im Hotel zu sein. Plötzlich kam ich auf der vereisten Straße ins Rutschen, verlor die Kontrolle und landete im Straßengraben. Ich konnte einfach nicht früher anrufen …“

„Bist du verletzt?“, fuhr Max dazwischen. Er war wütend auf sich selbst, weil er sich nicht besser beherrscht hatte. Angenommen, sie war wirklich verletzt … Ein schrecklicher Gedanke!

„Abgesehen von einer kleinen Beule am Kopf bin ich okay“, versicherte January. „Nur das Auto ist schrottreif.“

„Vergiss das Auto. Es ist leicht zu ersetzen … im Gegensatz zu dir.“

„Das mag für dich gelten. Ich bin leider nicht in der Lage, mir jederzeit einen neuen Wagen kaufen zu können. Aber wie auch immer … zum Lunch werde ich es nicht mehr schaffen. Wollen wir uns stattdessen zum Dinner treffen? March braucht ihr Auto heute Abend nicht und würde es mir borgen. Natürlich unter der Bedingung, dass ich es nicht auch zu Bruch fahre.“

Max kämpfte noch mit albtraumartigen Bildern. January verletzt im Straßengraben! Sie zu verlieren, nachdem er sie gerade erst gefunden hatte …

„Soll ich dich nicht lieber abholen?“, fragte er. „Dann liegt das Risiko, im Straßengraben zu landen, bei mir.“

„Nein, auf keinen Fall!“, protestierte January.

„Und warum nicht? Wenn ich deinen Schwestern kurz Guten Tag sage, bedeutet das nicht, dass ich um deine Hand anhalte. Denk lieber an deine Sicherheit. Ich möchte auf keinen Fall …“

„Es geht nicht darum, was meine Schwestern denken oder nicht denken“, unterbrach January ihn ungeduldig. „Es geht ausschließlich darum, dass ich am Ende der Welt wohne. Dir den Weg dorthin zu beschreiben wäre die Aufgabe für einen geschulten Strategen.“

„Du scheinst dich aber mühelos zurechtzufinden …“

„Vielleicht sollten wir uns gar nicht treffen. Das Wetter spielt einfach nicht mit.“

„Nein!“ Max gab es auf, sich zu verstellen. Sollte er sich eine weitere Nacht schlaflos im Bett herumwälzen? „Diese Möglichkeit existiert für mich nicht.“

„Für mich auch nicht“, erwiderte January so leise, dass Max sich fragte, ob er sie richtig verstanden hatte.

„Dann treffen wir uns zum Dinner. Um halb acht … hier im Hotel.“

„Einverstanden. Und bevor du auflegst … Da wäre noch eine Kleinigkeit.“

„Und welche?“, fragte Max misstrauisch.

January lachte leise. „Solltest du mir nicht deinen Nachnamen sagen? Es war mir eben etwas peinlich, Patty nach einem Gast zu fragen, von dem ich nur wusste, dass er mit wütendem Gesicht in der Hotelhalle auf und ab ging …“

Daran hatte Max überhaupt nicht gedacht. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er Januarys Nachnamen genauso wenig kannte. Namen waren ihm einfach unwichtig erschienen. Für ihn gab es nur January – die Frau, die ihn fast um den Verstand brachte.

„Golding“, gab er bereitwillig Auskunft. „Maxim Patrick Golding.“

Am anderen Ende der Leitung trat Schweigen ein. Beängstigendes Schweigen.

„January?“, fragte Max, als die Sekunden verstrichen, ohne dass der leiseste Ton zu hören war. „Was ist los?“

„Hast du Golding gesagt?“, kam es flüsternd zurück.

„Allerdings“, bestätigte er.

„Du bist M. P. Golding?“

Max runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht.

„Das habe ich dir eben gesagt.“ Was störte sie an diesem Namen? Warum sprach sie ihn so förmlich aus, als wäre er ein Buchautor? Oder ein … Nein, nur das nicht!

„Wie lautet dein eigener Nachname?“, fragte er mit einem bangen Vorgefühl.

„Bei Vornamen wie January, March und May?“ Januarys Stimme bebte vor unterdrückter Empörung. „Geben Sie sich etwas mehr Mühe, Mr Golding, dann müssten Sie eigentlich von selbst darauf kommen … falls das jetzt noch nötig ist. Leben Sie wohl.“

„January, ich …“ Max sprach nicht weiter, denn ein leises Klicken verriet ihm, dass January aufgelegt hatte. Alles Blut wich aus seinen Wangen, als ihm klar wurde, was das bedeutete. January, March und May … alles Monatsnamen. Monatsnamen aus dem gregorianischen Kalender.

Calendar …

Nein, das war kein Zufall. So viele Übereinstimmungen konnte es nicht geben. Januarys Nachname musste Calendar sein.

Was für eine Katastrophe!

4. KAPITEL

„Ich bitte dich, January … was hast du eigentlich vor?“ May folgte ihrer Schwester hinaus in den Hof.

January ließ sich nicht aufhalten. „Ich will mein Auto aus dem Straßengraben holen“, antwortete sie ausweichend.

„Hat das nicht Zeit, bis das Wetter besser wird?“ May sah kopfschüttelnd zu, wie January auf den Traktor kletterte. „Du hast selbst gesagt, dass der Wagen schrottreif ist.“

Wie wahr, dachte January, denn der rechte Kotflügel war bei dem Aufprall bis zur Unkenntlichkeit zusammengedrückt worden. Aber es hatte endlich aufgehört zu schneien, und January musste irgendetwas tun, um sich abzulenken und über allem Grübeln nicht den Verstand zu verlieren.

M. P. Golding! Sie hatte den Namen, der unter dem Brief stand, der kurz vor Weihnachten angekommen war, sofort wiedererkannt. Das Schreiben stammte aus dem Anwaltsbüro der Marshallcorporation und enthielt ein Kaufangebot für den Calendar-Hof und das dazugehörige Land. Und derselbe Anwalt war gestern hier gewesen, um May die Sache persönlich schmackhaft zu machen!

January war immer noch fassungslos. Sie konnte nicht aufhören, daran zu denken, sosehr sie es auch versuchte.

„Ich kann das Wrack nicht einfach im Graben liegen lassen“, erklärte sie.

„Es ist inzwischen zugeschneit und wird in den nächsten Tagen niemanden stören“, widersprach May.

January schüttelte den Kopf. „Ich erledige das jetzt.“

„Was ist los, Schatz?“ May sah ihre Schwester besorgt an. „Du warst heute Morgen in bester Laune. Vielleicht hat dein Kopf doch mehr abbekommen, als wir gedacht haben. Ich könnte Dr. Young anrufen …“

„Ich brauche keinen Arzt, May“, beteuerte January. Und so einen schon gar nicht, fügte sie im Stillen hinzu. „Es ist nur eine Beule … wirklich.“ Und sie tat nicht halb so weh wie ihr Herz, das kein Arzt kurieren konnte. „Lass mich jedenfalls hinfahren und nachsehen, ob man das Auto mit dem Traktor herausziehen kann. Ich brauche einfach frische Luft.“

May ließ sich nicht so schnell überzeugen. „Bist du heute Abend nicht wieder verabredet?“, fragte sie misstrauisch.

January wich dem forschenden Blick ihrer Schwester aus. „Ich habe meine Pläne geändert. Warum gehst du nicht wieder hinein? Du wirst hier draußen noch festfrieren. Ich bleibe nicht lange fort, das verspreche ich.“

„Also gut.“ May gab widerwillig nach. „Ich halte heißen Tee bereit, wenn du zurückkommst.“

January atmete auf. Der Kampf war gewonnen. Sie ließ den Motor an, dessen Lautstärke jede weitere Diskussion unmöglich machte, winkte May noch einmal zu und fuhr vom Hof.

Sie brauchte einfach Zeit für sich selbst. Zeit, um herauszufinden, was während der letzten beiden Tage passiert war. Zeit, um dahinterzukommen, was Max Golding eigentlich im Schilde führte!

Trotz allem, was er bei ihrem letzten Telefongespräch gesagt hatte, war sie fest davon überzeugt, dass er von Anfang gewusst hatte, dass sie eine der Calendar-Schwestern war. Hatte er deswegen so starkes Interesse an ihr gezeigt? War es seine Absicht gewesen, die drei Schwestern gegeneinander aufzubringen und dadurch ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen?

Die Angst, dass es so gewesen sein könnte, quälte sie am meisten. Gestern Abend, als sie sich geküsst hatten, war sie drauf und dran gewesen, sich in Max zu verlieben. Vielleicht liebte sie ihn schon, dann kam die Enttäuschung über sein Verhalten zu spät.

Er glich keinem der Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Er war intelligent, hatte blendende Umgangsformen, musste nicht sparen und überzeugte vor allem durch sein Selbstbewusstsein, das keinen Widerstand aufkommen ließ. Auch January hatte sich dadurch gewinnen lassen und musste sich jetzt fragen, ob das beabsichtigt gewesen war.

Eins wusste sie genau: Sobald Max die neue Situation überdacht hatte, würde er wieder auf dem Hof auftauchen! Ein Grund mehr für sie, sich während der nächsten Tage möglichst rarzumachen.

Wie sich herausstellte, war das nicht so einfach, denn als sie mit dem Traktor um die nächste Kurve bog, kam ihr ein Auto entgegen, das den verschneiten Weg blockierte. Es fuhr im Schneckentempo … und am Steuer saß Max Golding!

January musste scharf bremsen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Max bremste ebenfalls. Sein Wagen, dessen Reifen kein so gutes Profil hatten wie die des Traktors, kam ins Schlingern, aber Max konnte ihn gerade noch abfangen.

January glaubte einen Geist zu sehen. Nie und nimmer hatte sie damit gerechnet, dass Max sich unmittelbar nach dem missglückten Telefongespräch in seinen Wagen setzen und zum Hof hinausfahren würde. Warum ließ er ihr keine Zeit, sich an die veränderte Situation zu gewöhnen? Warum gewährte er ihr nicht die kleinste Atempause?

Es genügte, ihn aussteigen zu sehen, um sich diese Frage zu beantworten. Er hatte sich bereits umgestellt. Statt des Maßanzugs und der handgemachten Halbschuhe, die gestern zu Mays Freude so sichtbar gelitten hatten, trug er einen grob gestrickten dunkelblauen Pullover, Jeans und schwere Lederstiefel. Offenbar hatte er begriffen, welche Kleidung auf einem Bauernhof angebracht war und welche nicht.

January schloss die Hände fester um das Lenkrad, als sie Max mit grimmigem Gesicht auf sich zukommen sah. Was wollte er ihr sagen, und vor allem … was sollte sie ihm antworten?

Angriff ist die beste Verteidigung, hörte sie ihren verstorbenen Vater sagen, und damit war ihr Entschluss gefasst. Sie öffnete die Tür des Traktors, stieg vorsichtig auf das Trittbrett und sprang von dort in den Schnee hinunter. Dann wartete sie – den Kopf leicht zurückgebeugt, den Blick starr geradeaus gerichtet.

„Ich hatte keine Ahnung, January …“

January lächelte kalt. „Wovon, Mr Golding? Dass mein Nachname Calendar lautet? Dass ich eine der drei Schwestern bin, deren Hof Ihre Gesellschaft so gern kaufen möchte? Verzeihen Sie mir, aber das kann ich einfach nicht glauben!“

January wusste, dass es Zufälle gab – aber solche Zufälle? Max war Anwalt. Er hatte für die Marshallcorporation den Brief geschrieben. Er hatte May auf dem Hof besucht, ihr zum Verkauf geraten und sich gleichzeitig an ihre Schwester herangemacht. Er, er und immer wieder er!

„Deinen Verdächtigungen gegenüber bin ich machtlos“, fuhr Max atemlos fort. „Ich kann nur wiederholen, dass ich bis vor Kurzem keine Ahnung hatte, wie du heißt und wer du bist.“

Und das soll ich dir glauben? dachte January. Nein, dazu kannst du mich nicht zwingen.

„Warum sind Sie hier, Mr Golding?“, fragte sie mit einem vernichtenden Blick. „Meine Schwester May hat Ihnen gestern mehr als deutlich gemacht, dass wir an Ihrem Angebot nicht …“

„Würdest du gefälligst aufhören, Mr Golding und Sie zu mir zu sagen?“, unterbrach er sie gereizt. „Noch dazu in diesem verächtlichen Ton? Du hast mich Max genannt, und Max bin ich immer noch.“

Aber nicht derselbe Max, dachte sie traurig. Jetzt bist du ein Feind … ein Feind, den man kennt. Unzuverlässig, falsch und hinterhältig.

„Du hast recht“, fuhr er fort. „Deine Schwester May hat mir gestern überdeutlich gemacht, dass ihr nicht an einem Verkauf des Hofs interessiert seid. Und da ich jetzt über die Familie Bescheid weiß, fällt mir nachträglich auch die Ähnlichkeit zwischen euch auf. Sie ist bemerkenswert … nicht nur wegen der Augen. Ich habe gestern einfach nicht darauf geachtet. Wahrscheinlich war ich zu sehr mit dem Projekt beschäftigt.“

„Nicht darauf geachtet?“, wiederholte January bitter. „Dann kannst du dich auf einen weiteren Schock gefasst machen, sobald du March begegnest. ‚Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen‘, pflegte unser Vater zu sagen, wenn er uns drei beisammen sah.“

„Ich habe von Ähnlichkeit gesprochen“, widersprach Max. „Nicht von Gleichheit. Dein Aussehen, deine Stimme … alles an dir ist einmalig.“

„Oh ja, natürlich.“ January lachte verächtlich. „Ich kenne deine Schmeicheleien inzwischen. Würdest du jetzt bitte den Weg freimachen? Es gibt Menschen, die arbeiten müssen.“

Max betrachtete sie genauer. „Stammt die Beule von dem Unfall?“

January bedeckte ihre geschwollene und verfärbte Schläfe instinktiv mit der Hand. Die Verletzung tat weh, aber sie hatte wenig Lust, sich ausgerechnet mit Max Golding darüber zu unterhalten.

„Antworte mir, January“, drängte er.

„Ja“, gab sie widerwillig zu. „Die Beule stammt von dem Unfall. Wenn du ein Stück zurücksetzen und in der Einfahrt wenden würdest …“

„Ich will weder zurücksetzen noch wenden“, unterbrach er sie schroff.

„Und ich will nicht länger mit dir diskutieren“, erwiderte sie zornig. „Mit anderen Worten … wir haben uns nichts mehr zu sagen!“

January wollte wieder auf den Traktor steigen, aber Max fasste sie hart am Arm. „Ich habe dir sogar noch mehrere Dinge zu sagen. Erstens wiederhole ich, dass mir deine Verbindung zur Calendar-Familie unbekannt war. Zweitens …“

„Und ich wiederhole, dass ich dir nicht glaube!“

Aller Glanz erlosch in seinen blauen Augen. Sie wirkten plötzlich irgendwie leblos. „Ich lüge nicht, January“, sagte Max ernst. „Warst du wegen der Beule bei einem Arzt?“

„Schon wieder schwesterliche Töne?“, spottete sie. „Du sprichst wie May.“

„Wenn May so besorgt um dich ist wie ich, muss sie ein sympathischer Mensch sein.“

January schoss das Blut in die Wangen. „Ich bezweifle, dass sie deine Sympathie erwidert.“

Max schüttelte den Kopf. „Mir liegt nichts daran, allgemein beliebt zu sein. Mir liegt nur daran, dass keine Nachwirkungen von dem Unfall zurückbleiben.“

„Nachwirkungen?“, wiederholte January heftig. Es war ihr endlich gelungen, ihren Arm zu befreien. „Die rühren höchstens daher, dass ich dich länger ansehen muss, als mir lieb ist. Lässt du mich nun endlich durch, oder muss ich mit dem Traktor über das Feld fahren?“

Lass mich durch, betete sie insgeheim … lass mich durch! Noch eine oder höchstens zwei Minuten, und sie würde vor seinen Augen in Tränen ausbrechen. Noch half ihr der Zorn, Haltung zu bewahren, aber lange würde das nicht mehr gut gehen …

Max wandte den Blick nicht von January. Sie war die Widerspenstigste, hartnäckigste … Widerspenstiger als er? Oder etwa hartnäckiger? Wohl kaum.

Im Moment war sie ungeheuer wütend auf ihn, weil sie sich getäuscht fühlte. Was er jetzt – oder in unmittelbarer Zukunft – sagte oder tat, würde nicht den geringsten Einfluss auf sie haben und ihre Meinung über ihn nicht ändern. Außerdem befand er sich selbst in einer Zwickmühle. Bisher hatte er immer streng darauf geachtet, private und berufliche Dinge zu trennen. Dadurch wurden persönliche Konflikte vermieden, und nun war er unwissentlich von diesem Prinzip abgewichen.

January Calendar. Von allen anziehenden und begehrenswerten Frauen hatte er sich ausgerechnet eine der Calendar-Schwestern ausgesucht!

Wie hatte das geschehen können? Die Chancen dafür waren gleich null – jedenfalls hätte er das bei der beträchtlichen Entfernung zwischen Hof und Hotel angenommen. Das Schicksal hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es spielte mit ihm, aber nicht zum ersten Mal. Bisher hatte er das Spiel immer gewonnen, und wenn er wollte, würde er auch diesmal der Sieger sein.

Wenn er wollte … genau da lag das Problem. Die Entdeckung, dass January eine der Calendar-Schwestern war, die er zu einem Verkauf ihres Hofs überreden sollte, hatte ihn einfach umgehauen. Er befand sich in einer Lage, aus der er keinen Ausweg sah. Eine höchst ungewöhnliche Situation für Maxim Patrick Golding!

„Du bist also nicht bereit, wegen der Beule einen Arzt aufzusuchen?“, fragte er noch einmal. Irgendwie musste es ihm doch gelingen, sie zur Vernunft zu bringen.

„Nein“, antwortete sie klipp und klar.

Max nickte. Er hatte nichts anderes erwartet. Widerspenstig? Hartnäckig? Kein herkömmlicher Ausdruck reichte aus, um diese Frau zu beschreiben.

„Und aus dem gemeinsamen Dinner heute Abend wird auch nichts?“

January blitzte ihn empört an. „Du sagst es.“

„Das habe ich mir gedacht. Da ich für heute keine weiteren Pläne habe und schon beinahe auf dem Hof bin, könnte ich das unterbrochene Gespräch mit deinen Schwestern fortsetzen.“

January glaubte, sich verhört zu haben. „Du würdest nur deine Zeit verschwenden.“

Max zuckte die Schultern. „Es ist meine Zeit.“

„Und ich dachte, deine Zeit gehört der Marshallcorporation!“

Damit hatte January sogar recht. Seit fünfzehn Jahren stand die Corporation im Mittelpunkt seines Lebens, und er hatte längst aufgehört, wie ein normaler Anwalt nur von Montag bis Freitag und von neun bis siebzehn Uhr für sie zu arbeiten. Doch er war nicht verheiratet und hatte keine Familie. Das Apartment in London gehörte ihm zwar, aber er war so selten dort, dass man es eigentlich kein zweites Heim nennen konnte. Im Grunde arbeitete er gern länger als üblich, und die vielen Reisen, die sein Beruf mit sich brachte, waren ihm eher willkommen. Das bedeutete aber nicht, dass ihm auch Januarys Unterstellungen willkommen waren.

„Auch ich habe freie Wochenenden und gelegentlich sogar Urlaub“, sagte er, obwohl das reichlich übertrieben war.

In Wirklichkeit konnte er die Urlaube, die er während der letzten fünfzehn Jahre genommen hatte, an einer Hand abzählen. Urlaub war ihm nie besonders wichtig gewesen. Er bedeutete für ihn eine unnötige Unterbrechung seiner Arbeit, und da er beruflich weit herumkam auch keine Erweiterung seines geistigen Horizonts.

„Du hast sogar am Silvesterabend noch gearbeitet“, erinnerte January ihn boshaft.

Max presste die Lippen zusammen. Er wusste, worauf January anspielte. Sie war überzeugt, dass er sie an diesem Abend absichtlich aufs Korn genommen hatte, um schneller ans Ziel zu kommen und Luke den erfolgreichen Geschäftsabschluss melden zu können.

Doch das entsprach nicht der Wahrheit. Er hätte January niemals für seine Pläne benutzt, und der überwältigende Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte, war ganz persönlicher Natur gewesen. Geschäft und Vergnügen gehörten für ihn nun einmal nicht zusammen, und die gegenwärtige Situation bewies, wie vernünftig dieser Grundsatz war.

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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