Julia Exklusiv Band 197

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MEIN GRIECHISCHER GELIEBTER von REID, MICHELLE
Nie hat sich Isobel wohler gefühlt, als in den Armen des griechischen Unternehmers Leandros Petronades - und nie verlassener als in der Ehe mit ihm. Deshalb willigt sie auch in die Scheidung ein. Sie ahnt ja nicht, dass Leandros ganz anderes von ihr will

PORTRAIT EINER GROSSEN LIEBE von MANSELL, JOANNA
Cleo ist empört! Am liebsten würde sie sofort wieder abreisen - dabei ist sie gerade erst bei Maxim Brenner angekommen. Doch der berühmte Maler hält sie für ein Aktmodel. Und obwohl ihr Herz in Maxims Nähe schrecklich klopft, ist Cleo nicht bereit für eine Affäre

SEKTFRÜHSTÜCK IM HILLTOP INN von DARCY, EMMA
Küsse heißt wie Feuer! Zärtlichkeiten, die das Herz entflammen! Und doch fürchtet die hübsche Tierpflegerin Serena, dass sie und der anziehende Multimillionär Nic Moretti keine gemeinsame Zukunft haben werden. Sie fühlt sich neben diesem Traummann so unbedeutend


  • Erscheinungstag 16.03.2010
  • Bandnummer 197
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952427
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

JOANNA MANSELL

Porträt einer grossen Liebe

Cleo ist gewohnt, dass Männer ihr wegen ihrer Schönheit und ihres Reichtums jeden Wunsch von den Augen ablesen. Umso verärgerter ist sie, dass der Maler Maxim Brenner, der sie porträtieren soll, Cleo versehentlich für ein Aktmodell hält! Das wird sie ihm heimzahlen! Nur ahnt sie nicht, dass dem Zauber dieses fantastischen Mannes nicht zu entkommen ist …

MICHELLE REID

Mein griechischer Geliebter

Isobel ist nirgends lieber als in Leandros’ Armen – und doch hat sie Angst, von dem griechischen Unternehmer erneut verletzt zu werden. Ihre stürmische Liebe war eine Erfüllung – ihre Ehe dagegen eine Katastrophe! Deshalb gibt Isobel Leandros Versuch, die Scheidung doch noch abzuwenden, keine Chance. Nicht, so lange noch eine andere um Leandros wirbt …

EMMA DARCY

Sektfrühstück im Hilltop Inn

Die Tierpflegerin Serena ist schockiert: Wie kann sie nur so dumm sein und sich in den reichen Nic Moretti verlieben! Sie weiß doch, wie er über sie denkt: Der Millionär und die Friseuse! Und doch erwidert sie Nics stürmische Küsse, sehnt sich nach seinen Zärtlichkeiten. Um endlich Klarheit zu erhalten, entschließt sich Serena, Nic zur Rede zu stellen …

1. KAPITEL

Cleo Rossiter strich durch ihr hellblondes Haar und schaute ihren Vater ärgerlich an. „Wie konntest du das alles vereinbaren, ohne mich zu fragen?“

„Du warst im Ausland bei einem Foto-Shooting“, erwiderte er. „Natürlich habe ich versucht, dich anzurufen, konnte dich aber nicht erreichen.“

Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Hast du dich auch wirklich darum bemüht? Normalerweise funktionieren die Telefone auf den Bermudas problemlos.“

„Vielleicht gab es irgendwelche Schwierigkeiten mit den Leitungen“, erwiderte er ungerührt. „Außerdem dachte ich, es würde dir nichts ausmachen. Ich sprach mit deinem Agenten, und der erklärte mir, du hättest bis zum Monatsende nichts zu tun.“

„Weil ich Urlaub machen wollte! Den ganzen Sommer habe ich als Model gearbeitet. Ich brauche ein paar freie Tage – und mit dieser Zeit weiß ich was Besseres anzufangen, als mich portraitieren zu lassen.“

„Bei den Sitzungen kannst du dich entspannen. Und der Lake District eignet sich ideal für kurze Ferien. All die Berge, die frische Luft, die Landschaft – dort wird es dir sicher gefallen.“

„Im Lake District regnet es sehr oft“, betonte Cleo.

„Den ganzen Sommer hast du dich über deine Fototermine in all diesen heißen Ländern beklagt.“

„Das heißt noch lange nicht, dass ich nass werden und rumsitzen will, während mich irgendjemand malt.“

„Ich weiß. Trotzdem bitte ich dich darum.“

„Wieso? Du hast ein paar Dutzend Fotos von mir, und ich kann dir noch mehr besorgen.“

„Nicht einmal der beste Fotograf kann ein Gesicht so lebendig festhalten wie ein Maler“, entgegnete der Vater. „Am Monatsende feierst du deinen dreiundzwanzigsten Geburtstag, Cleo. Das Bild soll neben dem Portrait deiner Mutter hängen.“

Krampfhaft schluckte sie und erkannte zu spät, wie dumm und gefühllos sie war. Hätte ihr nicht die Zeitverschiebung nach der langen Flugreise zu schaffen gemacht, wäre ihr schon früher klargeworden, warum sich der Vater ein Portrait von ihr wünschte.

Ihr dreiundzwanzigster Geburtstag … So alt war ihre Mutter bei der Hochzeit gewesen. Damals hatte Vater sie malen lassen. Neun Monate später kam Cleo auf die Welt, ein Flitterwochen-Baby. Und nur fünf Jahre später war ihre Mutter, wenige Tage nach einer Totgeburt, gestorben. Seither standen sich Vater und Tochter sehr nahe. Er hatte nie wieder geheiratet, und sie war mit keinem ihrer Freunde eine ernsthafte Beziehung eingegangen. Niemand konnte sich mit dem charakterfesten, willensstarken Mann messen, der sie großgezogen hatte.

„Ich habe mich in den letzten Wochen genau informiert“, erklärte er nun. „Offenbar gibt es keinen besseren Portraitmaler als Maxim Brenner. Ich sah mir einige seiner Arbeiten an, und die sind wirklich ausgezeichnet. Nur mühsam konnte ich ihn überreden, diesen Auftrag zu übernehmen, denn er ist sehr gefragt und über Monate hinweg praktisch ausgebucht. Da ihm die Zeit fehlt, nach London zu kommen, musst du zu ihm in den Lake District fahren und dort ein paar Tage verbringen, bis das Bild fertig ist. Sein Haus hat einen Anbau, in dem die Klienten während ihres Aufenthalts wohnen.“

„Ein paar Tage?“, wiederholte Cleo unbehaglich. „So lange dauert das?“

„Gute Portraits kann man nicht an einem einzigen Nachmittag vollenden. Außerdem ist Mr. Brenner sehr beschäftigt. Er hat pro Tag nur wenige freie Stunden, die er für dein Bild opfern will, und deshalb weiß er nicht, wie lange er brauchen wird.“

„Dann fahre ich lieber täglich für ein paar Stunden hin.“ „Im Voraus vermag er nicht zu sagen, wann er Zeit finden wird. Deshalb sollst du in diesem Anbau wohnen und für die Sitzungen zur Verfügung stehen, wann immer er es einrichten kann. Außerdem liegt Cumberland immerhin sechshundert Meilen von London entfernt.“ Cleos Vater runzelte die Stirn. „Übrigens, ich muss dich warnen. Mr. Brenner ist angeblich ein sehr schwieriger Mensch, und er besteht auf seiner künstlerischen Freiheit. Die Klienten dürfen also keine Wünsche bezüglich ihrer Portraits äußern.“

„Großartig“, bemerkte Cleo trocken.

„Sicher wirst du keine allzu großen Probleme mit ihm haben. Ihr werdet euch wahrscheinlich nur bei den Sitzungen sehen. Aber vergiss bitte nicht – dieses Bild bedeutet mir sehr viel. Und ohne deine Mitarbeit werde ich’s nicht bekommen.“

„Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?“, fragte sie leise.

„Ich weiß, wie schmerzlich es für dich ist, über deine Mutter zu reden – für mich auch“, gab er freimütig zu. „Wirst du’s für mich tun? Bist du bereit, in Mr. Brenners Haus zu wohnen, bis das Portrait fertig ist?“

„Natürlich. Wann muss ich hinfahren?“

„Morgen. Du sollst so schnell wie möglich zu ihm kommen, weil er diese Woche ein paar freie Nachmittage hat.“

Unwillkürlich stöhnte Cleo. Sie hatte gehofft, sie könnte erst einmal zu Hause bleiben. „Aber die Sachen, die ich von den Bermudas mitgebracht habe, sind noch gar nicht ausgepackt.“

„Nimm sie mit, dann ersparst du dir, alles wieder einzupacken.“

„Ich bezweifle, dass ich im Lake District Bikinis, Shorts und dünne T-Shirts brauchen werden. Wahrscheinlich eher einen Regenmantel, viele Pullover und wasserdichte Stiefel.“ Sie rümpfte die Nase.

„Glaub bloß nicht, dass es dort ununterbrochen regnet!“ Er zögerte, dann fügte er in sanftem Ton hinzu: „Ich bin dir sehr dankbar, Cleo.“

Wehmütig lächelte sie. „Aber ich tu doch immer, was du willst.“ Das stimmte. Seit sie denken konnte, bemühte sie sich, seine Wünsche zu erfüllen.

Cleo brauste in dem kleinen roten Sportwagen, den ihr Vater ihr zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte, durch den Regen. Je weiter sie nach Norden kam, desto heftiger prasselten die Tropfen gegen die Windschutzscheibe. Resignierend seufzte sie. Es ist ja nur für ein paar Tage, sagte sie sich. Danach konnte sie den restlichen Urlaub daheim verbringen und sich erholen. Am Monatsende würde sie ihren dreiundzwanzigsten Geburtstag mit ihrem Vater feiern und dann wieder arbeiten. Der Agent hatte sie bereits über Fototermine in Paris und London informiert. Außerdem meinte er, ihr Gesicht entspreche dem Image eines neuen Parfüms, das nächstes Jahr auf den Markt kommen sollte, und sie habe gute Chancen, für die Werbekampagne engagiert zu werden. Auch die Probeaufnahmen für einen Werbespot, den man vor ihrer Bermuda-Reise von ihr gemacht hatte, seien hervorragend ausgefallen.

Eigentlich hätte sie mit ihrem Leben zufrieden sein müssen. Mit dreiundzwanzig hatte sie eine makellose Haut, die auch Nahaufnahmen standhielt, und ihre klaren grünen Augen faszinierten alle Fotografen. Sie verdiente gutes Geld, besuchte exotische Länder und hatte die besten Zukunftsaussichten.

Warum wurde sie dann in letzter Zeit von Depressionen gequält?

Cleo biss sich auf die Lippe, weil sie die Antwort auf diese Frage kannte. Sie schien in ihrem Leben kein bestimmtes Ziel anzustreben. Sie machte Karriere, besaß Geld im Überfluss, war schön und bis zu einem gewissen Grad sogar berühmt, aber irgendwie genügte ihr das nicht. Deshalb litt sie unter Gewissensbissen, denn sie wusste sehr gut, dass sie von vielen Leuten um den Luxus, den sie sich leisten konnte, beneidet wurde. Was fehlte ihr?

Ungeduldig schüttelte sie den Kopf. Nichts fehlt mir, redete sie sich energisch ein. Aus irgendwelchen Gründen fühlte sie sich eben etwas niedergeschlagen. Vielleicht hatte sie zu viel gearbeitet. Am besten vergaß sie dieses undefinierbare Problem und dachte an etwas anderes.

Ihre Gedanken wanderten zum Portrait ihrer Mutter, das zu Hause im Salon hing. Von ihr hatte Cleo das blonde Haar geerbt, vom Vater die grünen Augen.

Wie das Bild verriet, hatte ihre Mutter gütig blickende braune Augen gehabt. Verzweifelt wünschte Cleo, sie könnte sich deutlicher an ihre Mama erinnern, aber bei deren Tod war sie erst fünf Jahre alt gewesen. Sie entsann sich einer weichen Stimme, eines ganz bestimmten Dufts, doch das Gesicht blieb im Dunkel.

Immer wieder hatte sie versucht, sich die Züge ihrer Mutter vorzustellen. Aber diese Erinnerung schien ausgelöscht zu sein, vielleicht wegen des Schocks, von Mamas plötzlichem Tod hervorgerufen. Man hatte ihr erklärt, sie würde ein Geschwisterchen bekommen. Sie freute sich auf die Heimkehr der Mutter und des Babys aus dem Krankenhaus. Und dann der schreckliche Nachmittag, an dem ihr Vater ihr schonend beigebracht hatte, beide seien gestorben …

Sie schauderte. Nach all den Jahren spürte sie immer noch einen Anflug jenes Grauens, das sie damals erfasst und das kalte Angst vor Geburten und Krankenhäusern in ihr geweckt hatte. Geradezu besessen achtete sie auf ihre Gesundheit, denn sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als zu erkranken und in eine Klinik eingeliefert zu werden. Schon vor langer Zeit hatte sie beschlossen, niemals Kinder zu bekommen. Sie wusste sehr wohl, dass die damit verbundenen Risiken eher klein waren, aber sie existierten, sonst würde ihre Mutter noch leben.

Da sie keine Kinder haben wollte, erschien es ihr auch sinnlos zu heiraten. Ich brauche keinen Ehemann, sagte sie sich. Finanziell war sie unabhängig, sie übte einen interessanten Beruf aus, sie bewohnte mit ihrem Vater ein schönes Haus, und ihr Zusammenleben verlief problemlos. Es gab wirklich keinen Grund, warum sie heiraten sollte.

Es regnete immer stärker, und Cleo musste sich auf die Straße konzentrieren. Bald würde sie von der Autobahn abbiegen und nach Nordwesten in den Lake District fahren. Ihr Vater hatte ihr den Weg zu Maxim Brenners Haus genau beschrieben, aber bei diesem grässlichen Wetter konnte man sich leicht verirren.

Nachdem sie die Autobahn verlassen hatte, begannen niedrige Hügel aus dem Nebel aufzusteigen. Nasse Schafe drängten sich an die Hecken, um ein wenig Schutz vor dem Regen zu finden. Am frühen Nachmittag war es bereits so dunkel wie am Abend. Cleo spürte, wie ihre Depressionen unaufhaltsam zurückkehrten, und wünschte, sie hätte den Mut aufgebracht, ihrem Vater zu erklären, sie könne seine Bitte nicht erfüllen. Irgendwie kam es ihr unheimlich vor, dass ihr Bild neben dem Portrait der Mutter hängen sollte. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Ihr Vater hatte ihr ein Versprechen abgenommen, und sie war noch nie wortbrüchig geworden.

Wenn das Wetter nicht so grauenhaft wäre, würde ich mich besser fühlen, überlegte sie. Dieser endlose Regen, der graue Nebel – plötzlich sehnte sie sich nach dem heiteren, strahlenden Sonnenschein über den Bermudas.

Die Straße führte um Windermere und seine klatschnassen Touristen herum und wand sich zum Nordende des Sees, nach Ambleside, durch das verstopfte Einbahn-System des Städtchens. Müde und frustriert kämpfte sich Cleo durch die immer enger werdenden kurvenreichen Straßen.

Mehrmals hielt sie an, um einen Blick auf die Landkarte zu werfen, die der Vater ihr gegeben hatte. Sie verpasste eine schlecht gekennzeichnete Abzweigung, musste den Wagen wenden – kein leichtes Unterfangen auf der schmalen Straße mit dem tiefen Graben an einer Seite – und ein Stück zurückfahren. Maxim Brenner wohnte offenbar im entlegensten Teil dieser feuchtkalten Ecke von England. Irritiert runzelte Cleo die Stirn. Warum lebte er nicht in einer zivilisierteren Gegend?

Eine letzte Abzweigung führte sie in eine Allee, an deren Ende sie die dunkle Silhouette eines Hauses sah. Es war viel größer, als sie erwartet hatte, und wirkte, eingehüllt von Regenschleiern, ziemlich abweisend. Cleo bremste auf der gekiesten Zufahrt und hupte, um Maxim Brenner über ihre Ankunft zu informieren. Sie hoffte, er würde die Tür öffnen, damit sie hineinlaufen konnte, ohne völlig durchnässt zu werden.

Doch die Tür blieb geschlossen. Im Haus war kein Lebenszeichen zu erkennen, nicht einmal ein Vorhang bewegte sich. Nichts wies darauf hin, dass man Cleos Auto bemerkt hatte.

„Großartig“, flüsterte sie. Also musste sie wohl oder übel an die Tür klopfen und im strömenden Regen warten, bis sie Einlass fand. Seufzend zog sie die dünne Baumwolljacke enger um die Schultern. Sie hatte einen Regenmantel mitgenommen, aber der lag in ihrem Koffer – im Kofferraum. Wenn sie ihn auspackte, würde sie nass bis auf die Haut werden.

Sie stieß den Wagenschlag auf und rannte zum Eingang. Während sie den Klopfer mit aller Kraft gegen das Holz hämmerte, schüttelte sie Wassertropfen aus Haar und Kleidung. Niemand öffnete die Tür, und Cleos Verzweiflung wuchs. Was hatte das zu bedeuten? Maxim Brenner wusste doch, dass sie ankommen würde. Ihr Vater hatte ihn angerufen und ihm mitgeteilt, sie würde am Nachmittag eintreffen.

Wieder betätigte sie den Klopfer und trat erbost gegen die Tür, die weiterhin geschlossen blieb. „Das ist kein guter Anfang“, murmelte sie und ging ein paar Schritte nach hinten, um festzustellen, ob irgendwo ein Fenster offen stand. Das Haus sah unbewohnt aus.

Cleo fühlte sich versucht, einfach nach London zurückzufahren. Man konnte wohl kaum von ihr erwarten, hierzubleiben, wenn niemand daheim war, oder? Aber was würde ihr Vater sagen, wenn sie ihm gestand, dass sie nicht einmal versucht hatte, ins Haus zu gelangen? Wieder seufzte sie und beschloss, ihre Anwesenheit etwas energischer zu bekunden.

Sie hielt es für sinnlos, noch länger an die Vordertür zu klopfen. Offensichtlich war Maxim Brenner nicht da, oder er arbeitete in einem Teil des Hauses, wo er sie nicht hörte. Vielleicht gab es einen Hintereingang.

Als sie zur Rückfront kam, war sie triefnass, und das blonde Haar klebte an ihrem Kopf. Drei dunkle Hausmauern umgaben einen kleinen Hof. Ein trostloses Heim, dachte sie auf dem Weg zur Hintertür. Vielleicht zählte Maxim Brenner zu jenen grüblerischen Künstlertypen, die sich stets in düsterer Stimmung befanden und dermaßen in ihrer Arbeit aufgingen, dass sie die Außenwelt nicht beachteten. Ihr Vater hatte Cleo immerhin gewarnt und erklärt, Maxim Brenner sei ein schwieriger Mensch.

Jedenfalls war es äußerst schwierig, in sein Haus zu kommen. Fluchend sprang sie über Pfützen und spürte, wie das Regenwasser in ihren Kragen und die Schuhe rann. Als sie endlich die Tür erreichte, machte sie sich nicht die Mühe anzuklopfen. Stattdessen drückte sie einfach auf die Klinke, die sofort nachgab, und marschierte hinein.

Sie betrat eine große Küche und am anderen Ende einen Flur, von dem mehrere Türen abgingen. „Und was jetzt?“, fragte sie laut, in wachsender Ungeduld.

Abrupt flog eine Tür zu ihrer Linken auf, eine hochgewachsene Gestalt erschien. „Sie sind spät dran“, tadelte eine tiefe Stimme. „Ziehen Sie sich aus, und legen Sie sich hier drin auf die Couch. Ich bin gleich wieder da.“

Er verschwand durch eine andere Tür, und Cleo starrte ihm verwirrt nach. „Ich soll mich ausziehen?“, wisperte sie ungläubig, dann geriet sie in Wut. „Für wen hält er mich eigentlich?“

Der Mann tauchte wieder auf. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber er packte sie am Arm und schob sie in das Zimmer, aus dem er zuvor gekommen war. „Sie sind ja immer noch angezogen“, warf er ihr vor und runzelte die Stirn. „Beeilen Sie sich, ich habe nicht viel Zeit.“

Empört erwiderte sie: „Ich werde mich nicht vor Ihnen ausziehen! Vor niemandem!“

Er kniff die dunklen Augen zusammen. „Warum sind Sie dann hergekommen? Ich habe deutlich erklärt, was ich von Ihnen verlange.“

Sie straffte die Schultern und musterte ihn eisig. „Ich weiß nicht, für wen Sie mich halten, aber hier liegt offenbar ein Missverständnis vor.“

„Also sind Sie nicht bereit, Ihre Kleidung abzulegen?“

„Nichts auf der Welt könnte mich dazu bewegen.“

Seine grimmig aufeinandergepressten Lippen entspannten sich ein wenig. „Ich habe Ihnen Geld angeboten und beabsichtige, das übliche Honorar zu zahlen“, bemerkte er trocken.

„Ich weiß nicht, was das ‚übliche Honorar‘ ist“, antwortete sie verächtlich. „Aber ich bedaure jedes arme Mädchen, das so was machen muss, um Geld zu verdienen.“

„Es scheint sich tatsächlich um einen Irrtum zu handeln“, gab er nach einer kurzen Pause zu. „Und Sie sind wohl nicht die junge Frau, die ich erwartet habe. Aber nur interessehalber, was glauben Sie, wozu ich dieses Mädchen veranlassen möchte?“

Zu ihrem eigenen Ärger spürte sie, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. „Das ist doch offensichtlich. Was treibt ein Mann mit einem Mädchen, das sich auszieht und auf die Couch legt?“

„Für andere Männer kann ich nicht sprechen, aber ich erkläre Ihnen sehr gern, wie ich in einer solchen Situation zu verfahren pflege. Die junge Frau muss in einer bestimmten Pose reglos daliegen, während ich sie male.“

Krampfhaft schluckte sie, und es dauerte eine Weile, bis sie stockend hervorbrachte: „Sie … Sie malen sie?“

„Vorhin rief ich in einem nahe gelegenen Kunst-College an, und man versprach mir, ein Modell herzuschicken, das heute Nachmittag ein paar Stunden für mich posieren soll.“ Er trat näher, und sie musste wieder schlucken. Sie war fast eins achtzig groß, aber er überragte sie um mindestens zehn Zentimeter – eine ganz neue Erfahrung für Cleo, die den Männern normalerweise in Augenhöhe begegnete.

„Sind Sie – Maxim Brenner?“

„Und Sie sind offenbar das steinreiche kleine Biest, das sich portraitieren lassen will“, erwiderte er in unfreundlichem Ton. „Ich habe vergessen, dass Sie heute kommen würden.“

„Wie konnten Sie?“, rief sie ärgerlich. „Mein Vater hat alles mit Ihnen besprochen, erst vor wenigen Tagen. Und ich finde, Sie sollten mich etwas besser behandeln“, fügte sie hochmütig hinzu. „Immerhin bezahlt er Ihnen viel Geld für dieses Bild.“

Maxims dunkle Augen wurden fast schwarz. „Und Sie glauben, das verschafft Ihnen gewisse Privilegien?“

Sein Tonfall zerrte an ihren Nerven, aber sie hielt seinem kalten Blick stand, fest überzeugt, dass sie als Siegerin aus dieser Diskussion hervorgehen würde. Ihr Vater hatte sie gelehrt, welche Vorteile der Reichtum mit sich brachte. „Geld verhilft einem immer zu Privilegien.“

„Nicht in diesem Haus.“

„Aber es hat mir doch Zugang gewährt?“, konterte sie herausfordernd und fragte sich, woher sie den Mut nahm, diesem furchteinflößenden Mann Paroli zu bieten. „Will mein Vater das Doppelte des normalen Honorars zahlen? Wie er zu sagen pflegt: Jeder hat seinen Preis.“

Sein Gesicht nahm einen warnenden Ausdruck an. „Sie denken also, ich wäre käuflich?“

„Warum nicht? Sie haben sich doch bereit erklärt, mich zu portraitieren, oder? Demzufolge muss mein Vater Mittel und Wege gefunden haben, um Sie dazu zu überreden.“

Er schwieg, und Cleo nahm an, nun hätte sie ihn festgenagelt. Natürlich konnte er nicht antworten, ohne zuzugeben, er habe sich bestechen lassen. Sie wusste nicht, warum es ihr so wichtig war, diesen Mann zu übertrumpfen – oder warum von Anfang an eine seltsame knisternde Feindseligkeit zwischen ihnen herrschte. Im Normalfall stand sie einem Menschen, den sie eben erst kennengelernt hatte, nicht so abweisend gegenüber.

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unvernünftig sie sich verhielt, angesichts der Tatsache, dass sie die nächsten Tage in Maxim Brenners Haus verbringen musste. Aber ehe sie einlenken konnte, ergriff er wieder ihren Arm und führte sie zur Tür.

„Was tun Sie?“, fragte sie erschrocken.

Seine dunklen Augen glitzerten. „Was glauben Sie wohl?“

„Keine Ahnung“, erwiderte sie atemlos, während er sie durch den Korridor zog. „Aber Sie sollten mich besser loslassen. Wenn mein Vater erfährt, wie Sie mit mir umgehen …“

„Ihr Vater ist dreihundert Meilen weit weg in London. Und vielleicht tue ich nur etwas, das er schon längst hätte tun sollen.“

„Niemals würde er bei mir Gewalt anwenden!“, fauchte sie.

„Ich wende nicht Gewalt an, ich halte nur Ihren Arm. Aber wenn ich Ihr Vater wäre, was ich glücklicherweise nicht bin, hätte ich Ihnen Manieren beigebracht, notfalls mit einem energischen Klaps aufs Hinterteil.“

Inzwischen hatten sie die Küche erreicht, und er dirigierte Cleo zielstrebig zur Hintertür. „Sie wollen doch nicht …“, begann sie argwöhnisch.

„Sie fragen, ob ich Sie rauswerfe?“ Er grinste schwach. „Genau das habe ich vor.“

„Aber es regnet in Strömen!“

„Das ist nicht mein Problem.“

„So etwas können Sie doch nicht tun!“, rief sie wütend.

„O doch. In meinem Haus kann ich machen, was ich will. Wenn Sie bereit sind, sich für Ihre Unhöflichkeit zu entschuldigen, und versprechen, sich wie ein zivilisierter Mensch zu benehmen, dürfen Sie zurückkommen.“

„Niemals!“

„Dann müssen Sie eben draußen bleiben.“ Mit diesen Worten schob er sie zur Tür hinaus, die krachend hinter ihr ins Schloss fiel. Regen peitschte Cleo entgegen und durchnässte ihre immer noch feuchte Kleidung von Neuem. Erbost wandte sie sich von der Tür ab. Okay, sie hatte es versucht, ohne Erfolg. Nun musste sie sich nicht mehr an das Versprechen gebunden fühlen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, oder? Maxim Brenner war nicht nur schwierig, sondern unmöglich. Geflissentlich übersah sie die Tatsache, dass ihr eigenes Verhalten nicht ganz einwandfrei gewesen war. Ich bin müde von der langen Fahrt, versuchte sie ihr Gewissen zu beruhigen, deshalb hätte er einige Zugeständnisse machen müssen. Außerdem hatte er sie mit dem Befehl, sie solle sich ausziehen, völlig durcheinandergebracht und den Irrtum nicht einmal bedauert.

Trotzig hob sie den Kopf. Nein, sie trug wirklich keine Schuld an dem unerfreulichen Zwischenfall und würde sich ganz sicher nicht entschuldigen, sondern sofort nach London zurückfahren und ihrem Vater zu erklären versuchen, warum alles schiefgegangen war. Wenn er unbedingt ein Bild von ihr haben wollte, musste er eben einen anderen Portraitmaler auftreiben.

Sie rannte zu ihrem Auto und tastete in der nassen Jackentasche nach dem Schlüssel. Aber da steckte er nicht. Plötzlich fiel ihr ein, wo er sein musste. Als sie ins Haus gegangen war, hatte sie ihn in der Hand gehalten und ihn dann auf den Küchentisch gelegt. Frustriert stampfte sie mit dem Fuß auf. Da sie unglücklicherweise in einer Pfütze stand, spritzte noch mehr Wasser an ihren Beinen hoch und rieselte in die Schuhe. So ein verdammtes Pech! Nun brannten sogar Tränen in ihren Augen.

Ein paar Sekunden lang erwog sie einen Fußmarsch. Aber Maxim Brenner schien meilenweit von der nächsten Ortschaft entfernt zu wohnen, also würde sie stundenlang durch den Regen wandern müssen – in modischen Schuhen, die sich gewiss nicht dafür eigneten. Cleo biss die Zähne zusammen und dachte über die Alternative nach – an die Tür zu klopfen und sich bei diesem grässlichen Mann zu entschuldigen. „Das kann ich nicht“, flüsterte sie, „beim besten Willen nicht.“

Aber als sie zehn Minuten lang im strömenden Regen umhergegangen war und ihre Schuhe sich aufzulösen begannen, überlegte sie, ob sie es vielleicht doch schaffen würde. Fünf Minuten später klopfte sie an die Haustür, die fast sofort aufschwang. „Haben Sie mir etwas zu sagen?“, fragte Maxim Brenner in ruhigem Ton.

Cleo schaute ihn an und stellte leicht erschrocken fest, wie erstaunlich gut er aussah. Bei der ersten Begegnung hatte sie nur den düsteren Ausdruck in seinen Augen bemerkt, das schwarze Haar, die einschüchternde Körpergröße. Nun registrierte sie das ebenmäßige Gesicht, die gerade Nase, den ernsten und doch sinnlichen Zug um die Lippen. „Ich … eh …“ Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Nun, ich möchte mich für meine Unhöflichkeit entschuldigen.“ Zu ihrer Erleichterung zog er die Tür weiter auf und ließ sie eintreten. Sobald sie dem Regen entronnen war, fühlte sie sich besser, und ihr Zorn kehrte zurück. „Sie hatten kein Recht, mich bei diesem Wetter auszusperren.“

„Es ist mein gutes Recht, selbst zu bestimmen, wen ich in mein Haus lasse und wen nicht“, erwiderte er kühl.

„Schauen Sie mich doch an! Ich bin nass bis auf die Haut.“

„Hätten Sie sich vernünftig angezogen, dann wären Sie trocken geblieben“, bemerkte er ohne das geringste Mitleid.

„Ich wusste doch nicht, dass man mich zwingen würde, eine Stunde im strömenden Regen auszuharren.“

„Es waren nur knapp fünfzehn Minuten, und Sie hätten gar nicht hinausgehen müssen, wären Sie bereit gewesen, sich sofort zu entschuldigen.“

„Ich sah keinen Grund, mich überhaupt zu entschuldigen“, entgegnete Cleo. „Sobald ich hereinkam, verlangten Sie, dass ich mich ausziehe und auf die Couch lege. Wie hätte ich denn darauf reagieren sollen?“

Seine dunklen Augen verrieten unverhohlene Belustigung. „Keine Ahnung. Wie reagieren Sie denn normalerweise auf ein solches Ansinnen?“

„Ich lehne es ab!“, stieß sie hervor, dann merkte sie, dass er sich auf ihre Kosten amüsierte, und wurde noch zorniger. „Hören Sie, das wird nicht klappen.“ Sie nahm die Autoschlüssel vom Küchentisch. „Aus dem Portrait wird nichts. Ich fahre jetzt nach London zurück. Wenn mein Vater Ihnen einen Vorschuss gezahlt hat, müssen Sie ihn eben zurückerstatten.“

„Unmöglich. Ich habe das Geld bereits verbraucht. Und falls es Sie interessiert – Ihr Vater hat mir keinen Vorschuss überwiesen, sondern die gesamte Summe, die nicht unbeträchtlich war.“

Cleo blinzelte ungläubig. „Und Sie haben schon jeden einzelnen Penny ausgegeben?“

„Warum nicht? Was für einen Sinn hätte es, das Geld sinnlos auf der Bank herumliegen zu lassen?“

„Dann müssen Sie es eben irgendwie auftreiben und meinem Vater zurückzahlen.“

„Das habe ich nicht vor. Sollte das Portrait aus irgendeinem Grund nicht zustande kommen, brauche ich das Honorar nicht zurückzuerstatten. Das weiß er.“

„Einer solchen Vereinbarung hätte er niemals zugestimmt.“

„Doch, das tat er. Ich habe ihm ganz klare Bedingungen gestellt, und er ist bereitwillig darauf eingegangen.“

Sie biss sich auf die Lippe. Lag ihrem Vater so viel an dem Portrait, dass er die ungeheuerlichsten Forderungen erfüllte, nur um es zu bekommen? Bedrückt starrte sie vor sich hin. Er war ein schwerreicher Mann, und mochte die Summe, die er dem Maler bezahlt hatte, noch so hoch gewesen sein – er konnte sich den Verlust leisten. Aber es widerstrebte ihr, ihn betrogen zu sehen. Wenn er das Geld einbüßte und kein Portrait erhielt, wäre es ihre Schuld. Sie hätte alles vermasselt, nur weil sie nicht mit Maxim Brenner auskam.

Dabei verstand sie nicht einmal, warum sie solchen Ärger miteinander hatten. Sicher, er war ein schwieriger Mensch, aber nicht der erste in ihrem Leben. Als Model, das in der Werbebranche arbeitete, traf sie viele launische, temperamentvolle Leute, und mithilfe ihres Charmes war es ihr stets gelungen, Differenzen zu bereinigen.

Cleo warf Maxim einen raschen Blick zu und runzelte die Stirn. Vielleicht hing das Problem damit zusammen, dass er nicht der Vorstellung entsprach, die sie sich von einem Kunstmaler machte. Ein Klischee hatte ihr vorgeschwebt, ein schlampiger Bohemien mit langem, zerzaustem Haar, in einem schäbigen Kittel voller Farbflecken.

Aber Maxim trug eine gepflegte Frisur, kurz geschnitten, und lässige, aber teure Kleidung. Außerdem schien er großen Wert auf konventionelle Manieren zu legen.

Und ihr Aussehen beeindruckte ihn offenbar nicht im Mindesten. Daran war sie nicht gewöhnt. Nur zu gut wusste sie, welch unfaire Vorteile ihr die großen grünen Augen, das glänzende blonde Haar und die schlanke, geschmeidige Figur einbrachten. Diese Pluspunkte nutzte sie schamlos aus, seit sie – bereits in der Teenager-Zeit – deren Wirkung erkannt hatte. Um als Model an der Spitze zu bleiben, musste man hart arbeiten. Oft genügte nicht einmal das, also sah man sich genötigt, alle Vorzüge einzusetzen, die man aufweisen konnte. Bis jetzt war ihr Vater der einzige Mann gewesen, den sie mit ihrer äußeren Erscheinung nicht zu umgarnen vermochte. Natürlich erfüllte ihn der Erfolg seiner schönen Tochter mit großem Stolz. Aber sie hatte es noch nie geschafft, ihm gegenüber ihren Willen durchzusetzen, indem sie mit den Wimpern klimperte oder bezaubernd lächelte.

Offensichtlich konnte sie auch Maxim Brenner nicht auf diese Weise herumkriegen. Und das würde ihren Aufenthalt in seinem Haus noch komplizieren. Werde ich wirklich hierbleiben?, überlegte sie. Wollte sie denn nicht abreisen? Andererseits mochte sie das Wort nicht brechen, das sie ihrem Vater gegeben hatte, und ebenso wenig die Verantwortung für seinen finanziellen Verlust tragen. Leise seufzte sie und fragte Maxim: „Wie lange brauchen Sie, um das Portrait zu malen?“

Er zuckte die Schultern. „Das hängt von Ihrer Kooperationsbereitschaft ab.“

„Wie meinen Sie das?“

„Allem Anschein nach wurden Sie Ihr Leben lang verwöhnt und verhätschelt, und Sie tun immer nur, was Sie wollen. Falls es Ihnen im Grunde Ihres Herzens zuwider ist, sich von mir malen zu lassen, werden wir immer nur streiten.“

„Ich bin überhaupt nicht so, wie Sie glauben!“, protestierte Cleo. „Und ich will, dass dieses Portrait zustande kommt. Ich habe meinem Vater versprochen, das durchzustehen, und ich halte immer mein Wort.“

„Beinahe hätten Sie es gebrochen, als Sie vorhin wegrannten“, betonte er kühl.

„Weil ich nicht mit Ihrem unmöglichen Benehmen gerechnet hatte!“

Seine dunklen Augen funkelten. „Wenn Sie hierbleiben, werden Sie vielleicht noch andere unerwartete Dinge erleben.“

„Zum Beispiel?“, erkundigte sie sich müde.

„Am besten stellen wir gewisse Punkte von Anfang an klar. Ich bin nicht daran interessiert, Sie zu portraitieren. Dazu ließ ich mich nur überreden, weil Ihr Vater mir eine horrende Summe anbot. Ja, Sie sind schön mit Ihren ungewöhnlichen Augen und dem hellblonden Haar. Aber es hat mich noch nie gereizt, Schönheit auf die Leinwand zu bannen. Nach einiger Zeit wird so viel Vollkommenheit einfach langweilig. Ich male lieber Leute mit Charakter und Erfahrung – Menschen, die ein hartes, faszinierendes, gefährliches oder schwieriges Leben geführt haben. Schönheit verblasst irgendwann, aber ein starker Charakter bleibt bestehen.“

„Und Sie halten mich für charakterlos?“, fragte Cleo ärgerlich.

„Wie können Sie Charakter entwickelt haben, wenn Sie von Geburt an von Ihrem reichen Vater beschützt wurden? Niemals mussten Sie um irgendetwas kämpfen. Sicher erfüllte er Ihnen jeden Wunsch, schirmte Sie gegen die Außenwelt ab, gegen alle unangenehmen und bedrohlichen Dinge. Sogar jetzt wohnen Sie immer noch bei ihm, wenn Sie nicht als Model arbeiten. Sie verlassen sich auf sein Geld und seinen Schutz, um der harten Realität zu entfliehen. Wie alt sind Sie? Zwei- oder dreiundzwanzig? Sie haben noch nicht einmal begonnen, erwachsen zu werden. Nein, Cleo, ich glaube nicht, dass Sie Charakter besitzen.“

Mit diesem vernichtenden Urteil wandte er sich ab und ging hinaus. Zutiefst erschüttert von seinen Worten, war sie unfähig, zu widersprechen oder überhaupt etwas zu sagen.

2. KAPITEL

Eine Zeit lang stand Cleo reglos mitten in der Küche und vergaß, wie durchnässt sie war. Unentwegt kreisten ihre Gedanken um Maxims Worte. Er hat unrecht, sagte sie sich immer wieder, ich bin nicht charakterlos, nicht nur die verwöhnte Tochter eines reichen Vaters. Für ihre eigene Karriere hatte sie hart genug gearbeitet. Nun zählte sie zu den Topmodels des Landes. Wie viele Mädchen konnten das schon von sich behaupten?

Aber wärst du so weit gekommen, hätte dein Vater dir nicht all die Türen geöffnet?, fragte eine verräterische innere Stimme. Sicher, mit ihrem Aussehen hätte sie es wahrscheinlich auch aus eigener Kraft geschafft. Doch dem Geld ihres Vaters verdankte sie ihre perfekte Aufmachung bei den Vorstellungsgesprächen in den Modelagenturen, die Mappe mit den hervorragenden professionellen Fotos. Er hatte sie mit den richtigen Leuten bekannt gemacht und vermutlich auch, obwohl er es nicht zugab, seine Hand beim Abschluss ihres Vertrags im Spiel gehabt, ihrem Engagement bei einer Spitzenagentur. Seine geschäftlichen Aktivitäten waren so vielfältig, dass nicht einmal seine Tochter genau wusste, wie weit sein Einfluss reichte.

Ungeduldig schüttelte Cleo den Kopf. Darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Bisher hatte sie diese Dinge erfolgreich in den Hintergrund ihres Bewusstseins verbannt. Sie nahm sich vor, Maxims Vorwürfe einfach zu ignorieren. Was ging ihn das alles überhaupt an? Er sollte sie portraitieren, sonst nichts. Um ihr Privatleben, ihre geheimen Ängste und Bedenken brauchte er sich nicht zu kümmern.

Sie schlüpfte aus der nassen Baumwolljacke und beschloss, sich erst einmal umzuziehen. Zu diesem Zweck musste sie die Unterkunft aufsuchen, die Maxim ihr zugedacht hatte. Sie wusste nicht, wohin er gegangen war. Typisch für diesen Kerl – einfach zu verschwinden, ohne sie in ihr Zimmer zu führen … und ausgerechnet er hatte den Nerv, ihr schlechte Manieren anzukreiden.

Nun musste sie ihn wohl oder übel suchen. Vermutlich war er in das Zimmer zurückgekehrt, in das er sie bei der ersten Begegnung bugsiert hatte – mit dem Befehl, sie solle sich ausziehen. Wie sie sich erinnerte, war es eine Art Atelier, mit Leinwänden, die an Stühlen lehnten, Farbtiegeln und Pinseln auf dem Tisch. Vom Korridor hinter der Küche gingen mehrere Türen ab, und Cleo hatte vergessen, hinter welcher sich jener Raum befand.

Sie öffnete die erstbeste Tür und schaute in ein Wohnzimmer. Auf großen, bequemen Sesseln und kleinen Tischen, etwas willkürlich verteilt, häuften sich Bücher und Zeitschriften. Ein breites Fenster bot einen Ausblick in den regennassen verwilderten Garten.

Die zweite Tür führte in einen Raum mit Fernseher, Videogerät und Stereoanlage. Bücher, Kassetten und CDs füllten die Regale. Auf einer Couch voller Kissen konnte man es sich gemütlich machen, Musik hören oder Videos sehen. Das Zimmer war in hellen, freundlichen Farben eingerichtet, und Cleos Füße versanken in einem dicken Teppich.

Überrascht stellte sie fest, wie komfortabel das Haus eingerichtet war. Eine gewisse lässige Unordnung trug zur entspannten Atmosphäre bei – ein krasser Kontrast zu den wenig einladenden Außenmauern und zur untadeligen Eleganz ihres eigenen Heims. Dort hatten die Möbel dünne, kunstvoll geschnitzte Beine und wurden täglich auf Hochglanz poliert. Auf den Parkettböden lagen kostbare Teppiche, verschnörkelte Stuckatur schmückte die Zimmerdecken.

Wider alle Erwartungen musste sie zugeben, dass Maxims Haus irgendwie wohnlicher wirkte. Natürlich hatte sie noch nicht alles gesehen, aber das restliche Haus war sicher in ähnlichem Stil eingerichtet wie die Räume, die sie bereits kannte. Hier musste man nicht befürchten, makellose Tischflächen zu beflecken, wenn man Kaffeetassen darauf abstellte. Man konnte die Beine auf die Stühle legen und barfuß über die dicken Teppiche gehen.

Natürlich gefällt mir mein eigenes Haus besser, sagte sie sich, das exquisite Mobiliar und die Gemälde, die geschmackvolle Ausstattung jedes einzelnen Zimmers …

Sie öffnete die nächste Tür und betrat den Raum, in dem sie schon einmal gewesen war, und sah Maxim am anderen Ende stehen, bei einer großen Couch unterhalb eines Panoramafensters. Erleichtert atmete sie auf. Nun würde er sie in ihr Zimmer führen, und sie konnte endlich trockene Sachen anziehen. Danach wollte sie ihren Vater anrufen, um ihm mitzuteilen, sie sei gut angekommen, und einige Kommentare über den Portraitmaler abzugeben, den er ausgesucht hatte.

Sie ging weiter ins Atelier hinein. Erst jetzt sah sie das nackte Mädchen, das auf der Couch lag und dessen Beine von Max hin und her geschoben wurden. „Was … was machen Sie denn da?“, fragte Cleo stockend.

Seelenruhig drehte er sich um. „Ich dachte, Sie wären schon in Ihrem Zimmer und würden Ihre Sachen auspacken.“

„Leider haben Sie versäumt, mir mein Zimmer zu zeigen.“

„Sie wohnen im Anbau. Biegen Sie am Ende des Korridors nach rechts, und öffnen Sie die zweite Tür.“

Peinlich berührt wollte sie sich abwenden – obwohl sie nicht den geringsten Grund hatte, Verlegenheit zu empfinden. Aber da lächelte das Mädchen sie an. „Sie müssen sich nicht unbehaglich fühlen, weil Sie mich so sehen. Daran bin ich gewöhnt, und es macht mir gar nichts aus.“

„Bewegen Sie sich nicht!“, befahl Maxim. „Wenn Sie das rechte Bein etwas anwinkeln könnten …“ Er berührte wieder die Wade der nackten jungen Frau. „Ist es so bequem?“

„Wenn ich diese Pose nicht zu lange beibehalten muss …“

Cleo erwiderte das Lächeln des Mädchens. „Oh, Sie sind das Modell, das Mr. Brenner malen wird.“

„Heute mache ich nur ein paar Skizzen“, erklärte er und trat zurück, um das Mädchen zu mustern. „Bei diesem schlechten Licht kann ich nicht mit Farben malen.“ Er wandte sich wieder zu Cleo um. „Wenn Sie mehr Fleisch an den Knochen hätten, würde mich eine Aktstudie von Ihnen vielleicht interessieren. Solche Körper mag ich“, fuhr er fort und zeigte auf sein Modell. „Kraftvoll und erdverbunden, kurvenreich, mit starken Gliedmaßen und einer wohlgerundeten Kehrseite …“

„Ein Körper mit Charakter?“, fiel Cleo ihm ins Wort. Sie konnte sich einen gewissen Sarkasmus nicht verkneifen.

„Genau“, stimmte er zu. „Ein Körper, der zum Leben benutzt wird – keineswegs perfekt, aber deshalb fasziniert er mich umso mehr.“

„He!“, rief das Mädchen und lachte. „In diesem Körper, der zum Leben benutzt wird, steckt eine ganz bestimmte Frau, und die würde gern was Nettes drüber hören.“

„Ich sage nur lauter nette Dinge“, versicherte Maxim lächelnd.

„Vollkommenheit gefällt ihm nicht“, ergänzte Cleo, immer noch ironisch. „Die findet er langweilig. Nun werde ich mein Zimmer suchen, Mr. Brenner, und meine Sachen auspacken. Ich will Sie nicht noch länger bei der – Arbeit stören“, fügte sie mit besonderer Betonung hinzu.

Ehe sie zur Tür ging, sah sie ein warnendes Glitzern in seinen Augen. Plötzlich konnte sie dieses Atelier, den Maler und sein nacktes Modell gar nicht schnell genug verlassen. Irgendetwas erregte ihr Unbehagen. Natürlich war sie nicht prüde, aber die kleine Szene hatte eine unerwartete sinnliche Atmosphäre ausgestrahlt, die sie beunruhigte.

Mühelos fand sie den Weg in den Anbau, wo es keine Küche gab, aber einen Wohnraum, ein Bad, ein großes Schlafzimmer mit Doppelbett, Einbauschränken und einem bequemen Lehnstuhl am Fenster. Als sie sich ausziehen wollte, fiel ihr ein, dass ihr Gepäck immer noch im Auto lag. Seufzend rannte sie noch einmal hinaus, um es zu holen, und schleppte den großen, schweren Koffer ins Haus.

Wenig später hatte sie geduscht, war in ein Sweatshirt und eine Jogginghose geschlüpft. Sie räumte ihre Garderobe in die Schränke – viel zu viele Sachen für die paar Tage, denn sie hatte sich noch nicht entscheiden können, was sie tragen wollte, wenn sie gemalt wurde. Irgendwas Passendes werde ich schon finden, dachte sie beim Anblick der eleganten Kleider, Blusen und Röcke, der Designer-Jeans und seidenen T-Shirts.

Nachdem alles verstaut war, ging sie zum Telefon, das im Flur stand, und wählte die Nummer ihres Vaters. Er meldete sich sofort.

„Hallo, Dad! Ich wollte dir nur sagen, dass ich gut angekommen bin.“

„Hattest du eine angenehme Reise?“

„Ja, bis auf den strömenden Regen, der einfach nicht aufhören will.“

„Sicher wird sich das Wetter bald bessern. Nun, wie ist dieser Maxim Brenner?“

„Das weißt du doch“, erwiderte Cleo überrascht. „Ich meine – du hast ihn ja kennengelernt.“

„Nur telefonisch. Ich hatte keine Zeit für die lange Fahrt nach Cumberland, und er war zu beschäftigt, um hierherzukommen.“

„Du hast nur am Telefon mit ihm gesprochen?“, fragte sie empört, „und mich daraufhin ins Haus eines Mannes geschickt, den du gar nicht kennst?“

„Er portraitierte die zwei Töchter eines meiner besten Freunde, der ihn mir empfahl. Die beiden wohnten in seinem Haus, und es gab keinerlei Probleme.“

„Das alles hättest du mir vorher erzählen sollen. Und warum hast du mich nicht hierherbegleitet?“

„Du bist dreiundzwanzig, Cleo“, entgegnete er, und sie glaubte einen uncharakteristischen gequälten Unterton aus seiner Stimme herauszuhören, „also alt genug, um eine so harmlose Situation zu meistern. Maxim Brenner genießt einen internationalen Ruf, und den wird er wohl kaum gefährden, indem er seinen niedrigen Instinkten nachgibt und über dich herfällt.“

Verblüfft blinzelte sie. So hatte ihr Vater noch nie mit ihr gesprochen. War irgendetwas passiert? „Geht’s dir nicht gut?“, fragte sie besorgt.

„Doch, alles in Ordnung.“

Erleichtert atmete sie auf. Ihr Dad würde sie niemals belügen. Wahrscheinlich hatte er sich nur ein bisschen im Büro geärgert. Deshalb kam sie sofort wieder auf ihre eigenen Schwierigkeiten zu sprechen. „Hier gefällt es mir nicht. Und Maxim Brenner ist alles andere als ein Gentleman.“

„Was hat er denn getan – oder nicht getan?“, erkundigte sich ihr Vater trocken.

Dass Maxim sie im Regen ausgesperrt hatte, verschwieg sie lieber, denn daran war sie selber nicht ganz unschuldig gewesen. „Er ist nicht besonders gastfreundlich“, klagte sie, „und er trug mir nicht einmal meinen schweren Koffer ins Haus, obwohl es wie aus Eimern goss.“

„Vermutlich hatte er etwas anderes zu tun.“

„Du nimmst ihn auch noch in Schutz?“

„Du kannst nicht von sämtlichen Leuten erwarten, dass sie alles liegen- und stehenlassen, nur um dich zu bedienen.“

Schon wieder dieser ungeduldige Unterton, als würde er nur mit halbem Ohr zuhören. Aber Cleo hatte noch mehr zu sagen, etwas, das er wohl oder übel zur Kenntnis nehmen, das ihn sogar schockieren musste. Vielleicht würde er sogar sagen, sie dürfe keine Sekunde länger unter Maxim Brenners Dach bleiben. „Vorhin sah ich eine nackte Frau in seinem Atelier“, verkündete sie triumphierend.

Das beeindruckte ihren Vater nicht im Mindesten. „Im Haus eines Kunstmalers solltest du mit so etwas rechnen. Außerdem hast du nicht zum ersten Mal eine nackte Frau gesehen. Wenn du als Model arbeitest, teilst du dir die Umkleidekabinen mit den anderen Mädchen, so viel ich weiß.“

Natürlich, das stimmte. Aber sie hatte nicht geglaubt, dass er diesen Standpunkt vertreten würde, sondern etwas mehr Einfühlungsvermögen erwartet.

„Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen“, fuhr er fort. „Ich habe ein paar wichtige Telefonate zu erledigen. Ruf wieder an, wenn das Portrait fertig ist, und sag mir, wann du nach Hause kommst.“

„Sicher werde ich mich schon vorher melden. Immerhin muss ich mehrere Tage hierbleiben, und du willst doch wissen, wie die Arbeit an dem Bild vorangeht.“

„Also gut“, antwortete er nach kurzem Zögern. „Bis dann, Cleo.“

Sie wollte sich verabschieden, aber da hatte ihr Vater schon aufgelegt. Verwundert runzelte sie die Stirn. Irgendetwas stimmte da nicht. Er wirkte so seltsam verändert. Nun, wahrscheinlich war er nur übermüdet, weil er viel zu hart arbeitete. Wenn sie ihn das nächste Mal anrief, würde er sicher wieder der Dad sein, den sie kannte und liebte.

Plötzlich knurrte ihr Magen. Am Vormittag hatte sie an einer Tankstelle ein Sandwich gegessen und seither nichts mehr. Also ging sie in die Küche. Trotz des frühen Abends schuf der bewölkte Himmel ein fast nächtliches Dunkel, und Cleo schaltete das Licht ein. Jetzt erschien ihr der Raum viel freundlicher. Funkelnde Kupferpfannen und – töpfe hingen an Eisenhaken, rote Fliesen bedeckten den Boden. Exotische Vögel und Blumen in lebhaften Farben zierten die Kachelwände.

Zu Cleos Enttäuschung stand kein Topf auf dem Herd, der eine warme Mahlzeit enthalten und köstliche Düfte verbreitet hätte. Als Maxim eintrat, drehte sie sich um und zog die perfekt geschwungenen Brauen hoch. „Kein nacktes Modell im Schlepptau?“, fragte sie spitz.

„Lizzie ist nach Hause gefahren“, erklärte er seelenruhig.

„Aber ich habe kein Auto gehört.“

„Weil sie ein Fahrrad benutzt.“

„Sie lassen das Mädchen in diesem strömenden Regen radfahren?“, rief sie ungläubig.

„Im Gegensatz zu Ihnen hat sie sich wetterfest angezogen. Sie trägt einen Regenmantel und Gummistiefel.“

„Nun, ich sah sie in ganz anderem Zustand.“

Maxim runzelte die Stirn. „Wie lange wollen Sie eigentlich noch darauf herumreiten, dass Lizzie nackt posiert hat? Leiden Sie an irgendwelchen Komplexen?“

„Keineswegs. Aber ich bin nicht an so etwas gewöhnt.“

„Sie sind Model, also müssten Sie in den Umkleidekabinen schon einige nackte Mädchen gesehen haben.“

Genauso hatte auch Cleos Vater argumentiert, und sie ärgerte sich umso mehr, weil sie beiden recht geben musste und selber nicht wusste, warum sie sich dermaßen über die nackte Lizzie aufregte. „Das ist was anderes“, meinte sie.

„Warum?“, forderte er sie kühl heraus.

„Wenn wir uns umziehen, werden wir nicht von Männern begafft oder angefasst.“

„Es stört Sie also, dass ich Lizzie berührt habe, um sie in die gewünschte Position zu bringen?“

Nun geriet sie auf immer gefährlicheres Terrain. Auf keinen Fall sollte er glauben, es würde sie beunruhigen, dass er eine nackte Frau berührt hatte.

Das beunruhigt mich kein bisschen, sagte sie sich energisch. Dieser Mann bedeutet mir nichts, also kann er machen, was er will. Sie wich dem Blick seiner dunklen Augen aus. „Lassen wir das Thema.“ Anklagend fügte sie hinzu: „Wie auch immer, Sie hätten Lizzie nicht erlauben dürfen, bei diesem Wetter radzufahren. Sie könnte sich eine Lungenentzündung holen.“

„Wohl kaum“, entgegnete Maxim trocken. „Sie ist ein kerngesundes Mädchen. Und das Dorf, in dem sie wohnt, liegt ganz in der Nähe. Sie müsste in ein paar Minuten daheim sein.“

„Hier gibt’s ein Dorf?“, fragte Cleo erstaunt.

„Unten am See.“

„Welchen See meinen Sie?“

„Haben Sie ihn nicht gesehen, als Sie hier heraufgefahren sind?“

„Ich sah nur den Regen, der gegen die Windschutzscheibe prasselte.“ Sie schaute zum Fenster, an dessen Glas immer noch Tropfen perlten. „Hört das denn niemals auf?“

„Morgen früh scheint die Sonne“, prophezeite er zuversichtlich.

Sie glaubte ihm nicht. Aber sie war viel zu hungrig, um sich noch länger um das Wetter zu kümmern. „Wann serviert Ihre Haushälterin das Dinner?“

„Ich habe keine Haushälterin.“

„Sicher könnten Sie sich eine leisten.“

Er presste die Lippen zusammen. „Für Sie zählt wohl nur das Geld, nicht wahr? Die Frage, was sich jemand leisten kann oder nicht. Wissen Sie, worin Ihr Problem liegt? Es gibt nichts, was Sie sich nicht leisten könnten.“

„Ich habe kein Problem“, protestierte sie.

„Ganz im Gegenteil. Sie haben so viele Probleme, dass Sie gar nicht wissen, wo Sie anfangen sollen, wenn Sie eins lösen möchten. Aber da Sie diesen Versuch wahrscheinlich niemals unternehmen werden, brauchen Sie sich deshalb keine Sorgen zu machen.“

„Ich mache mir um gar nichts Sorgen!“, entgegnete Cleo wütend. „Wie können Sie es wagen, so etwas von mir zu behaupten, wo Sie mich doch gar nicht kennen?“

„Ich muss Sie nicht kennenlernen. Wer und was Sie sind, merke ich, wenn ich Sie einfach nur anschaue. Und die Informationen, die ich über Ihre Herkunft und über Ihren Lebensstil habe, ergänzen den Eindruck.“

„Oh, natürlich!“, erwiderte sie in verächtlichem Ton. „Ich bin das verwöhnte, stinkreiche Biest, nicht wahr? Daddys kleines Mädchen, das immer bekommt, was es will.“

„Das sind Ihre Worte, nicht meine.“

„Glauben Sie nicht, dass ich sehr hart arbeiten muss? Wenn man als Model Erfolg haben will, benötigt man sehr viel Willenskraft und Ausdauer.“

„Sicher muss ein Mädchen, das keinen einflussreichen Vater hat, solche Eigenschaften besitzen. Aber Sie hatten es vermutlich viel einfacher.“

Beinahe verschlug es ihr die Sprache. Noch nie hatte jemand so mit ihr geredet. „Dieser Beruf ist niemals einfach“, fauchte sie. „Gerade bin ich von den Bermudas zurückgekehrt. Dort musste ich stundenlang in der heißen Sonne stehen, Tag für Tag, bis die gewünschten Fotos endlich im Kasten waren. Davor reiste ich fast einen Monat lang kreuz und quer durch Amerika. Jede Nacht schlief ich in einem anderen Hotel.“

„Das muss ja furchtbar anstrengend gewesen sein“, meinte er gedehnt.

„Allerdings!“, stieß sie hervor, erbost über seinen Zynismus.

„Ist das mühsamer, als den ganzen Tag hinter einem Ladentisch zu stehen oder in einem Büro vor dem Computer zu sitzen und stundenlang auf einen kleinen flackernden Bildschirm zu starren? Übrigens, die unzähligen Verkäuferinnen und Sekretärinnen erhalten nicht die Chance, ständig um die ganze Welt zu reisen, und man zahlt ihnen auch keine horrenden Summen, nur weil sie hübsch sind.“

„Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass ich so aussehe“, erwiderte Cleo herausfordernd.

„Nein, sicher nicht“, stimmte er zu. „Aber Sie würden noch viel attraktiver wirken, wenn Sie ein bisschen Dankbarkeit für Ihre Privilegien zeigten.“

„Ich sehe keinen Grund, meine Attraktivität noch zu steigern“, konterte sie kühl.

Maxim zog skeptisch die dunklen Brauen hoch. „Sie glauben also, Sie würden eine perfekte Persönlichkeit besitzen, die zu Ihrem perfekten Gesicht und Ihrer perfekten Figur passt?“

„Hören Sie auf, mir das Wort im Mund herumzudrehen! Ich weiß sehr gut, dass ich nicht vollkommen bin. Sogar mein Gesicht weist ein paar kleine Mängel auf.“

„Ja, ich weiß“, bestätigte er kühl. „Die sind mir bereits aufgefallen.“

Erschrocken starrte sie ihn an und vergaß alles andere. „Wirklich? Sind sie so leicht zu erkennen?“

„Nur für jemanden, der schon sehr viele Gesichter gemalt hat. Geraten Sie bloß nicht in Panik. Es wird noch mindestens zwei Jahre dauern, bevor die Kamera diese Fehler wahrnimmt.“

Bedrückt runzelte sie die Stirn. „Zwei Jahre“, wiederholte sie nachdenklich. „Das ist nicht lange.“

„Sie können sich ja an einen plastischen Chirurgen wenden“, schlug er ungerührt vor. „Der würde Ihnen für den Rest Ihres Lebens zu künstlicher Schönheit verhelfen und Ihre Haut so lange straffen, bis auch die letzten charakteristischen Züge aus Ihrem Gesicht verschwunden sind. Gewiss, eine Sechzigjährige mit den Brüsten einer Zwanzigjährigen würde etwas komisch aussehen. Aber das alles lässt sich machen.“

Cleo schauderte. „Niemals würde ich mich auf einen Operationstisch legen“, flüsterte sie.

Nun betrachtete er sie etwas aufmerksamer, als hätte der Klang ihrer Stimme sein Interesse geweckt. „Haben Sie Angst davor?“

Sie gab keine Antwort, und zu ihrer Erleichterung verfolgte er das Thema nicht weiter. Stattdessen erklärte er: „Was das Dinner betrifft – zu Hause koche ich für mich selbst. Aber ich esse zu unkonventionellen Zeiten, so, wie ich’s am besten mit meiner Arbeit vereinbaren kann. Deshalb sollten Sie sich selber verköstigen. Die Vorratsschränke sind gut bestückt. Nehmen Sie, was immer Sie brauchen.“

Langsam hob sie den Kopf und schaute ihn an. „Sie meinen, ich muss für mich selber kochen?“

„Was haben Sie denn erwartet? Dass ich für Sie koche?“

„Nein. Aber ich dachte, da wäre jemand, der sich um Sie kümmert.“

„Warum? Glauben Sie nicht, dass ich alt genug bin, um für mich selbst zu sorgen?“

Sein spöttischer Tonfall trieb ihr das Blut in die Wangen. „Und wer hält das Haus sauber?“

„Mrs. Branson kommt zwei- oder dreimal pro Woche aus dem Dorf herauf, wischt den schlimmsten Staub weg, entfernt die schmutzigen Fußabdrücke von den Teppichen und bringt alles in Ordnung.“

„Könnte sie nicht kochen?“

„Wahrscheinlich – aber warum sollte sie? Ich beschäftige sie nur als Putzfrau, weil ich einfach keine Zeit habe, diese Arbeit selber zu erledigen.“

„Vielleicht würde sie für mich kochen, wenn ich sie bezahle?“

Ein eisiger Ausdruck trat in Maxims dunkle Augen. „Sind Sie zu verwöhnt oder zu faul, um sich selbst zu verpflegen?“

„Ich bin nicht faul!“, widersprach Cleo ärgerlich. „Aber ich …“ Sie schluckte und blickte auf den Boden. „Ich kann nicht kochen“, gestand sie nach einer kleinen Pause.

„Jeder bringt eine einfache Mahlzeit zustande.“

„Ich nicht.“

„Und warum nicht?“

„Weil – nun ja, weil ich es niemals tun musste“, gab sie zu und versuchte erfolglos, ihre Scham zu verbergen.

„Jede Mahlzeit, die Sie jemals in Ihrem Leben gegessen haben, ist von jemand anderem zubereitet worden?“, fragte Maxim ungläubig.

„Daheim haben wir eine Haushälterin. Und wenn ich unterwegs bin, esse ich im Hotel oder in einem Restaurant.“ Inzwischen war ihr Gesicht rot angelaufen, denn sie wusste, dass dieses Geständnis ihn nur in seiner Ansicht bestärken würde, sie wäre ein verwöhntes, reiches Biest. Natürlich ist es mir völlig egal, wie dieser Mann über mich denkt, redete sie sich schnell ein. Aber ihre Selbsteinschätzung begann zu leiden, und das gefiel ihr gar nicht. „Muss ich denn unbedingt kochen können?“, fragte sie trotzig.

„Selbstverständlich nicht. Aber ich finde, jeder Mensch müsste imstande sein, für seine eigenen grundlegenden Bedürfnisse zu sorgen. Oder sind Sie so sehr daran gewöhnt, für die Erfüllung Ihrer Wünsche zu bezahlen, dass Sie nicht einmal versuchen, unabhängig zu werden?“

„Ich bin unabhängig“, versicherte Cleo. „Immerhin habe ich einen Job, einen gut bezahlten Beruf, und meinen eigenen Freundeskreis.“

„Aber Sie wohnen immer noch zu Hause bei Daddy“, betonte Maxim mit scharfer Stimme.

„Warum sollte ich auch nicht? Ich liebe ihn, und wir kommen gut miteinander aus.“

„Sie müssen ja gar nicht aufhören, ihn zu lieben. Trotzdem sollten Sie allmählich auf eigenen Füßen stehen. Dazu gehört natürlich Mut.“ Der Blick seiner dunklen Augen schien sie zu durchbohren. „Den können Sie vielleicht nicht aufbringen.“

„Für Sie ist es einfach, so zu reden. Sie sind ein Mann. Und für Männer gelten ganz andere Voraussetzungen.“

„Unsinn! Und ehe Sie mir vorwerfen, ich sei verständnislos, lassen Sie mich erklären, dass ich Sie völlig verstehe. Auch ich hatte einen dominanten Vater, und ich weiß sehr gut, wie schwer es ist, sich von einem so starken Einfluss zu befreien.“

„Mein Vater ist nicht dominant“, widersprach Cleo.

„Also halten Sie Ihre Beziehung zu ihm für normal? Meinen Sie nicht, dass er Ihr Leben zu sehr beeinflusst?“

„Natürlich nicht!“

„Warum sind Sie dann hier?“

Cleo blinzelte verwundert. „Was meinen Sie?“

„Warum wohnen Sie in meinem Haus?“

„Um mich portraitieren zu lassen.“

„Wollen Sie gemalt werden?“

„Nein“, erwiderte sie, ohne zu überlegen. Dann erkannte sie, was sie zugegeben hatte, und wurde wieder rot.

„Sie sind hier, weil es der Wunsch Ihres Vaters ist“, betonte Maxim kühl. „Sie tun, was er will, und nicht, was Sie selber möchten.“

„Das begreifen Sie nicht …“, begann Cleo. Weiter sprach sie nicht, denn es widerstrebte ihr, das Portrait ihrer Mutter zu erwähnen, neben dem ihr eigenes hängen sollte.

„Oh, ich begreife das sehr gut. Man kann sich das Leben sehr einfach machen, wenn man ein Kind bleibt, geliebt und beschützt von einem starken Vater. Aber eines Tages müssen Sie erwachsen werden, Cleo. Und je länger Sie das hinausschieben, desto schwerer wird es Ihnen fallen. An Ihrer Stelle würde ich möglichst bald damit anfangen.“

Herausfordernd warf sie das lange blonde Haar in den Nacken. „Vielen Dank, aber ich brauche keine Ratschläge bezüglich meines Lebensstils. Und ich sehe auch keinen Grund, kochen zu lernen. Vergessen Sie das Dinner. Ich werde später wegfahren und mir ein Restaurant suchen.“

„Sie versuchen also wieder, Ihre Probleme auf finanzielle Weise zu lösen?“, fragte er leise.

„Ich habe keine Probleme“, entgegnete sie scharf. „Zumindest hatte ich keine, bevor ich hierherkam und Ihre Bekanntschaft machte.“

Er lächelte spöttisch. „Ich möchte keinesfalls ein Problem für Sie sein, also werde ich wieder an meine Arbeit gehen und Sie Ihrem Schicksal überlassen. Trotzdem sollten Sie über alles nachdenken, was ich gesagt habe, Cleo. Wenn Sie sich nicht ändern, werden Sie ein ziemlich armseliges Leben führen.“

Als sie allein war, setzte sie sich an den Küchentisch und blickte düster vor sich hin. Wie hatte er es wagen können, so mit ihr zu reden? Was wusste er schon über sie? Bestürzt runzelte sie die Stirn. Hatte er sich etwa nach ihr erkundigt, in ihrem Privatleben herumspioniert? Das musste sie unbedingt herausfinden.

3. KAPITEL

Da es immer noch in Strömen regnete, gab Cleo ihre Absicht auf, ein Restaurant zu suchen. Stattdessen machte sie sich einen Berg Sandwiches. Mit Obst und einer Tasse Kaffee beendete sie die eher fantasielose Mahlzeit. Glücklicherweise musste sie sich keine Sorgen um ihre Figur machen. Sie konnte fast alles essen, was ihr schmeckte, ohne mehr als zwei Pfund zuzunehmen. Da sie erst am Monatsende wieder arbeiten würde, hatte sie noch genug Zeit, um ihre Sünden wiedergutzumachen.

Nachdem sie das Geschirr gespült hatte, gähnte sie herzhaft und beschloss, ins Bett zu gehen. Es war ein sehr langer Tag gewesen.

Sie schlief tief und fest. Am nächsten Morgen blinzelte sie erstaunt in strahlendes Sonnenlicht. Sie stand auf und lief zum Fenster. Der Himmel war wolkenlos, fröhlich zwitscherten die Vögel im Laub der nahen Bäume.

„Maxim sagte, heute würde die Sonne scheinen“, flüsterte Cleo überrascht, dann rümpfte sie die Nase. „Wahrscheinlich gehört er zu diesen Männern, die immer recht behalten müssen.“

Sie duschte, und danach überlegte sie, was sie anziehen sollte. Sicher würde Maxim heute mit der Arbeit an ihrem Portrait beginnen. Eine halbe Stunde später hatte sie alles anprobiert, was zur Verfügung stand, und noch immer keine Entscheidung getroffen. Schließlich fand sie es ratsam, auf Nummer Sicher zu gehen, und schlüpfte in ein schlichtes schwarzes Kleid, das sich eng an ihren Körper schmiegte und einen wundervollen Kontrast zu ihrem blonden Haar bildete. Die hohen Wangenknochen betonte sie mit ein wenig Rouge, dann trug sie goldenen Lidschatten auf, tuschte die hellen Wimpern und bemalte ihre Lippen.

Nach einem kritischen Blick in den Spiegel schüttelte sie ihre kunstvollen Locken, sodass sie möglichst natürlich auf die Schultern fielen, dann nickte sie zufrieden. Wirklich gute Profiarbeit. Natürlich hatte sie in ihrem Beruf gelernt, sich möglichst vorteilhaft zu schminken.

Cleo schlüpfte in hochhackige Sandaletten, die ihre langen Beine und die schmalen, zierlichen Füße betonten. Sie ging zur Küche, um Kaffee zu machen, aber ehe sie ihr Ziel erreichte, kam Maxim aus seinem Atelier und trat ihr in den Weg. „Heute Vormittag habe ich Zeit“, verkündete er ohne Umschweife. „Fangen wir zu arbeiten an.“

„Aber ich habe noch nicht gefrühstückt.“

„Das kann warten. Sie sehen ohnehin so aus, als würden Sie kaum was essen. Leben Sie von Mineralwasser und diesen merkwürdigen Schlankheitskeksen, wie die meisten Models?“

„Ich ernähre mich ganz normal“, erwiderte Cleo ärgerlich.

„Solange jemand anderer für Sie kocht“, erinnerte er sie spöttisch, dann schlug er einen geschäftsmäßigen Ton an. „Wenn ich Ihr Portrait nicht sofort in Angriff nehme, müssen wir wahrscheinlich bis morgen warten. Mir persönlich ist es egal, wie lange es dauert, aber ich hatte den Eindruck, Sie wollen es möglichst schnell hinter sich bringen.“

Allerdings, dachte sie. Je früher ich nach London zurückfahren und meinen Urlaub genießen kann, desto besser. „Also gut, dann frühstücke ich eben später.“ Sie folgte ihm ins Atelier, das nun – vom Morgensonnenschein erfüllt – ganz anders wirkte als der düstere Raum, den sie am Vortag gesehen hatte. Als sie ans Fenster trat, erlebte sie eine weitere Überraschung. Jetzt, nachdem sich die grauen Nebel aufgelöst hatten, war die Aussicht überwältigend. Smaragdgrüne Wiesen erstreckten sich bis zu einem glitzernden Gewässer. Dahinter ragten runde Bergkuppen auf, bildeten eine Kette, die sich in fernen bläulichen Dunstschleiern verlor. Steinwälle überzogen die Hänge im Zickzack, und dazwischen bewegten sich weiße Flecken, die sich als Schafe entpuppten. Über ihren Köpfen drehte ein einzelner Bussard seine trägen Kreise, nutzte die Tragkraft der emporsteigenden Warmluft.

„Gefällt Ihnen die Gegend heute Morgen etwas besser?“, fragte Maxim.

„Natürlich! Was ist das für ein Gewässer da unten? Ein Fluss?“

„Nein, ein kleiner See. Von hier aus kann man nur das eine Ende sehen. Im Dorf haben Sie einen besseren Ausblick.“

„Und wo ist das Dorf?“

Er zeigte auf ein dichtes Wäldchen zur Linken. „Diese Bäume verdecken alle Häuser. Im Winter, wenn die Blätter gefallen sind, kann man die Dächer ausmachen, und nachts blinken die Lichter zwischen den Zweigen.“

„Oh, ich wäre gern im Winter hier“, sagte Cleo gedankenlos. „Die glitzernden Schneekristalle an den Ästen und die verschneiten Berge müssen wunderschön sein.“

Skeptisch schaute er sie an. „Nachdem Sie gestern wegen eines kleinen Regenschauers so viel Aufhebens gemacht haben, würden Sie unseren Winter wohl kaum genießen. Es wird eiskalt, und der Schnee bedeckt nicht nur die Berge. Manchmal liegt er auch in den Tälern meterhoch.“

„Das würde ich verkraften“, beharrte sie. „Außerdem war das gestern kein kleiner Schauer, sondern strömender Dauerregen.“

„Wir Einheimischen sehen das ein bisschen anders. Nachdem wir nun die Aussicht bewundert und das Wetter erörtert haben, könnten wir an die Arbeit gehen.“

„Gut. Was muss ich tun? Soll ich mich auf die Couch legen?“

„Nein – es sei denn, Sie möchten nackt gemalt werden“, entgegnete er grinsend, dann zeigte er auf einen Stuhl mit hoher Lehne, der am Fenster stand. „Setzen Sie sich dorthin, möglichst entspannt und natürlich. Zunächst mache ich nur ein paar Skizzen, dann sehen wir weiter.“

Cleo sank auf den Stuhl und fühlte sich seltsam befangen, was ihr lächerlich vorkam. Immerhin hatte sie schon ein paar hundert Mal vor der Kamera posiert. Einige Minuten lang schaute Maxim sie einfach nur an, mit durchdringendem, aber unpersönlichem Blick. Noch nie im Leben hatte sie sich so verlegen gefühlt. Außerdem wurde ihr aus unerklärlichen Gründen heiß. Sie musste sich zwingen, nicht rastlos hin und her zu rutschen. Schließlich erklärte er: „Das hat keinen Sinn.“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie sitzen völlig verkrampft da. Und nichts an Ihnen wirkt natürlich, vom bemalten Gesicht bis zu diesen lächerlichen Schuhen.“

„Mein Gesicht und meine Schuhe sind okay. Ich weiß, wie ich mich zurechtmachen muss. Damit verdiene ich nämlich mein Geld.“

„Ich will nicht, dass Sie gut aussehen, sondern so wie Sie selbst.“

„Das bin ich selbst“, entgegnete Cleo erbost. „So sehe ich fast jeden Tag aus.“

„Nein, Sie richten sich so her. Ein glamouröses Image für die Kamera, eine Fassade. Waschen Sie das Make-up aus Ihrem Gesicht, bürsten sie die lackierten Locken aus Ihrem Haar, und ziehen Sie dieses Kleid aus.“

„Was stimmt denn nicht mit meinem Kleid?“

„Es drückt Ihre Brüste flach und zeigt fast alle Knochen Ihres Körpers.“

„Genau diesen Effekt hat der Designer beabsichtigt. Das ist ein sehr teures Kleid, und es wurde so entworfen, dass es überall eng anliegt.“

Maxim schien durch den dünnen Stoff bis auf Cleos Haut zu schauen. „Für diesen Stil sind Sie zu dünn. Ihre Brüste verschwinden völlig, und das Gleiche gilt vermutlich auch für Ihren Hintern. Ziehen Sie was Vernünftiges an, und nehmen Sie sich ein Paar Gummistiefel aus dem Schrank unter der Treppe.“

„Warum?“, fragte sie unwillig.

„Weil wir rausgehen. Ich brauche frische Luft. Die halbe Nacht habe ich gearbeitet. Sie können mich begleiten. Hier kommen wir vorerst ohnehin nicht weiter. Außerdem möchte ich Sie draußen im Tageslicht sehen. Mit Ihrem Portrait fange ich erst an, wenn ich herausgefunden habe, was sich hinter diesem Glamour-Image verbirgt.“

„Vielleicht nichts, was Sie interessieren könnte – ein unscheinbares, ganz gewöhnliches Mädchen.“

Er zog die Brauen zusammen. „Fürchten Sie, man könnte die Person hinter der bemalten Fassade nicht mögen?“

„Ich fürchte gar nichts“, erwiderte Cleo rasch und wusste, dass sie log. Es gab so vieles, was ihr Angst machte, vor allem die schreckliche Leere in ihrem Leben. Vielleicht hatte Maxim recht, und sie müsste sich tatsächlich ändern, aber wie? Doch diesem Mann würde sie ihre Zweifel und Nöte niemals gestehen. Und sie wollte dieses Gespräch möglichst schnell beenden, denn sie ahnte, wie geschickt er es verstand, die Geheimnisse seiner Mitmenschen zu ergründen.

Auch sie sehnte sich plötzlich nach frischer Luft. Die würde ihr vielleicht helfen, die beunruhigenden Gedanken zu verbannen, die sie in letzter Zeit bedrängten. „Gut, ich gehe mit Ihnen zum Dorf hinunter. Aber ich muss mir keine Stiefel ausleihen. Ich habe meine eigenen.“

„Wir nehmen eine Abkürzung über die Felder. Nach dem gestrigen Regen wird der Weg ziemlich matschig sein. Da nutzen Ihnen schicke, modische Stiefel nichts.“

Cleo wollte widersprechen, besann sich aber anders, weil er recht hatte – schon wieder. Ihre feinen hellen Wildlederstiefel eigneten sich tatsächlich nicht für eine Wanderung über schlammige Felder.

Sie lief in ihr Zimmer, zog Jeans und ein T-Shirt an, dann öffnete sie den begehbaren Schrank unter der Treppe. Erstaunt musterte sie über ein Dutzend Gummistiefel in verschiedenen Größen. Maxim schien sehr viele Gäste damit zu versorgen. Sie griff nach einem Paar, das so aussah, als würde es ihr passen.

Dann schaute sie sich im Schrank um, entdeckte einen Fußball, Rollschuhe, einen kleinen Puppenwagen, einen Tretroller und mehrere Kartons mit Spielen, die sich in einer Ecke stapelten. Verwirrt runzelte sie die Stirn. Wozu brauchte Maxim das alles? Nun, vermutlich portraitierte er auch Kinder, die er mit diesen Spielsachen bei Laune halten musste.

Cleo schlüpfte in die mehr praktischen als eleganten Stiefel und ging zur vorderen Haustür, wo Maxim wartete. Sie folgte ihm in den hellen, warmen Sonnenschein hinaus und seufzte zufrieden. „Vielleicht hat dieses Fleckchen Erde auch seine guten Seiten. Eine großartige Aussicht – und gelegentlich hört es sogar zu regnen auf. Wohnen Sie schon immer hier?“

„Nein, erst seit vier Jahren. Vorher war ich in London.“

„Und warum haben Sie sich dann fürs Landleben entschieden? Ist Ihnen die Großstadt auf die Nerven gefallen?“

„Ich fand es hier – praktischer.“

„Praktischer?“, wiederholte sie, während sie dahinschlenderten. „Für einen Kunstmaler wäre es in London doch viel einfacher. Ihre Klienten könnten sich die weite Fahrt ersparen.“

„Die Welt hört nicht an den Grenzen von London auf“, erwiderte er knapp und beschleunigte seine Schritte – offenbar, um das Gespräch zu beenden.

Nachdenklich beobachtete sie ihn, während sie hinter ihm den Feldweg entlangging. Hatte sie einen wunden Punkt getroffen? War in London etwas geschehen, das ihn veranlasst hatte hierherzuziehen? Wenn ja, musste es etwas gewesen sein, über das er nicht reden wollte. Sie hätte ihn gern danach gefragt, aber seine abweisende Haltung hinderte sie daran. Später würde sie es noch einmal versuchen. Maxim Brenner begann sie zu interessieren.

Sie näherten sich dem See, der glitzernde Sonnenstrahlen widerspiegelte. Hinter den Bäumen tauchten graue Dächer auf. Die steinernen Hausmauern wirkten sogar im hellen Licht etwas düster. Endlich verlangsamte Maxim sein Tempo, und Cleo holte ihn ein. „Es gibt ein paar Läden im Dorf“, erklärte er. „Dort kann man das Allernötigste kaufen. Wenn Sie was Besonderes brauchen, müssen Sie wahrscheinlich nach Ambleside oder Windermere fahren.“

„Ich glaube, ich habe alles Nötige mitgenommen. Und ich werde ja nicht lange bleiben.“

„Das hängt davon ab, wie ich mit dem Portrait vorankomme und, wie gesagt, von Ihrer Kooperationsbereitschaft.“

„Oh, ich werde sehr kooperativ sein.“

Maxim zog die dunklen Brauen hoch. „Offenbar möchten Sie möglichst bald wieder abreisen. Gefällt es Ihnen hier nicht?“

Ihr Blick glitt über das klare Wasser des Sees, das Dorf und die Berge. „Doch. Aber ich bin in London zu Hause.“

„Und dort führen sie ein so bedeutsames, ausgefülltes Leben, dass Sie Ihre Rückkehr gar nicht erwarten können?“

Warum verspottete er sie immer wieder? Cleo wusste es nicht, und das ärgerte sie. „Ich arbeite dort, und ich nehme meinen Job sehr wichtig.“

„Nun, Sie arbeiten auf der ganzen Welt. Sie könnten nahezu überall leben und trotzdem Ihre Model-Karriere fortsetzen. Aber Ihr Vater wohnt in London, nicht wahr? Und weil Sie Daddys kleines Mädchen sind, bleiben Sie dort.“

Sein herablassender Ton brachte sie noch mehr in Wut. „Ich wünsche keine weitere Lektion über die Beziehung zwischen meinem Vater und mir zu hören.“

„Die werde ich Ihnen auch nicht erteilen“, entgegnete er zu ihrer Überraschung. „Sie sind alt und klug genug, um die Wahrheit selbst zu erkennen. Wenn Sie ihr nicht ins Auge schauen wollen, so ist das Ihr ureigenstes Problem.“

„Es ist kein Problem!“, fuhr sie ihn an.

Statt zu antworten, zuckte er nur skeptisch die Schultern, was ihren Zorn noch schürte. Was gab diesem Mann das Recht, ihre Lebensweise zu kritisieren? „Ich gehe jetzt zum Haus zurück“, verkündete sie.

„Jetzt sind Sie richtig kindisch. Und das wirkt bei einer Dreiundzwanzigjährigen nicht besonders attraktiv. Sie sollten sich nicht in den Schmollwinkel zurückziehen. Kommen Sie lieber mit mir zum Ufer.“

„Ich schmolle nicht, aber ich will mir nicht anhören, wie Sie an meinem Vater herumnörgeln.“

„Das tu ich ja gar nicht. Ich habe ziemlich lange mit ihm telefoniert, und anscheinend ist er ein vernünftiger Mann. Natürlich legt er großen Wert darauf, seinen Willen durchzusetzen. Aber das kann man von vielen einflussreichen Männern behaupten.“

„Auch von Ihnen?“

Maxims Augen funkelten. „Auch von mir. Und deshalb gebe ich Ihnen einen Rat. Versuchen Sie, sich mit mir zu vertragen. Ich bin Ihrem Vater sehr ähnlich.“

„Sie sind ganz anders – ein Künstler!“ Plötzlich lachte er laut auf, und Cleo sah ihn erstaunt an. „Was ist denn so komisch?“, fragte sie argwöhnisch, denn sie nahm an, er würde sich wieder über sie lustig machen.

„Nichts. Gehen wir, ich zeige Ihnen den See.“

Zögernd folgte sie ihm auf eine schmale Straße, die rechts abbog. Nur weil ich nichts Besseres zu tun habe, sagte sie sich.

Sobald er mich wieder ärgert, kehre ich um.

Nach wenigen Minuten erreichten sie den See, den grüne Wiesen umgaben, vor dem Hintergrund der Berge. Vereinzelte Leute spazierten am Ufer entlang. Mehrere Boote schaukelten auf dem Wasser, und einige Jungen versuchten erfolglos, das Gleichgewicht auf ihren Surfbrettern zu halten. Nun war Cleo froh, dass sie nicht zum Haus zurückgegangen war. „Hier ist es so schön und friedlich …“

„Nicht ganz so friedlich, wie es aussieht“, erwiderte Maxim. „Einige Unternehmer haben ein Stück Land am anderen Ende des Dorfs gekauft. Dort wollen sie ein Hotel und Ferienhäuser bauen, um diesen Teil des Lake Districts für den Tourismus zu erschließen.“

„Und das missfällt den Einheimischen?“

„Gegen Touristen haben sie nichts. Die würden die Wirtschaft ankurbeln und ihnen zu dringend benötigten Arbeitsplätzen verhelfen. Mit einem kleinen Hotel, das in die Landschaft passt, wären sie durchaus einverstanden. Aber sie finden, man müsste statt der Ferienhäuser billige Unterkünfte für Ortsansässige bauen. Zu viele junge Leute müssen von hier wegziehen, weil sie es sich nicht leisten können, hier zu leben. Wenn ein Haus zum Verkauf steht, wird es zuvor in ein Ferien-Cottage umgewandelt, und dann kostet es Unsummen.“

„Wie unfair! Sind die Bauunternehmer bereit, ihre Pläne zu ändern?“

„Das ist unwahrscheinlich. An den Ferienhäusern verdienen sie viel mehr.“

Sie wandten sich vom See ab und machten sich auf den Rückweg. Nach einer Weile bemerkte Cleo: „Ich wüsste wirklich gern, wie lange es dauern wird, bis mein Portrait fertig ist.“

„Aber ich habe ja noch nicht einmal angefangen.“

„Das ist nicht meine Schuld. Heute Morgen wollte ich Ihnen Modell sitzen, und Sie waren nicht bereit, mit der Arbeit zu beginnen.“

„Das ist mein Vorrecht. Ich kann nicht auf Befehl malen.“

„Und wann können Sie es?“

Autor

Michelle Reid
Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht. Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre Geschwister...
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Emma Darcy ist das Pseudonym des Autoren-Ehepaars Frank und Wendy Brennan. Gemeinsam haben die beiden über 100 Romane geschrieben, die insgesamt mehr als 60 Millionen Mal verkauft wurden. Frank und Wendy lernten sich in ihrer Heimat Australien kennen. Wendy studierte dort Englisch und Französisch, kurzzeitig interessierte sie sich sogar für...
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