Julia Exklusiv Band 248

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VERLIEBT IN VENEDIG von MATHER, ANNE
Bella donna! Die Begegnung mit der hübschen Emma stellt die Welt des Conte Cesare Vidal auf den Kopf. Der adelige Lebemann führt nicht nur ein riskantes Doppelleben, das jeden in seiner Nähe in Gefahr bringt - er ist auch so gut wie verheiratet: mit Emmas Stiefmutter!

BLEIB BEI MIR - BLEIB IN SYDNEY von DARCY, EMMA
Kreativ, klug und sexy - für Richard war Leigh stets die absolute Traumfrau. Als er die Tochter seines Chefs nach sechs Jahren wiedertrifft, will er sie endlich für sich gewinnen. Wie kann er der zögernden Leigh beweisen, dass es ihm nicht um das Erbe ihres Vaters geht?

WEN LIEBST DU WIRKLICH? von WOOD, SARA
Auf den ersten Blick ist Laura nicht der Typ Frau, den der selbstbewusste Cassian Baldwin sonst bevorzugt. Doch die alleinerziehende junge Mutter zeigt dem Erfolgsautoren, dass man im Buch des Lebens mit allem rechnen sollte - vor allem mit plötzlicher Leidenschaft!


  • Erscheinungstag 11.07.2014
  • Bandnummer 0248
  • ISBN / Artikelnummer 9783733703547
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Mather, Emma Darcy, Sara Wood

JULIA EXKLUSIV BAND 248

ANNE MATHER

Verliebt in Venedig

Unter der Sonne Italiens verliebt sich die reizvolle Emma in den charismatischen Conte Cesare Vidal. Sein erster Kuss verwandelt ihr zartes Verlangen in heftige Begierde – doch dann stößt der attraktive Mann sie brüsk zurück! Der Conte muss ihre reiche Stiefmutter heiraten, um seinen Palazzo zu retten, und darf seinen Gefühlen für Emma keinesfalls nachgeben!

EMMA DARCY

Bleib bei mir – bleib in Sydney

Das Wiedersehen mit Richard Seymour stürzt Leigh in ein Chaos der Gefühle. Noch immer sehnt sie sich nach ihm, obwohl er sie vor Jahren bitter enttäuschte. Als Richard ihr einen Heiratsantrag macht, weiß sie nicht, wie sie sich entscheiden soll. Liebt er sie wirklich, oder will er sich mit dieser Ehe nur die Firma ihres Vaters sichern?

SARA WOOD

Wen liebst du wirklich?

Eigentlich möchte Cassian Baldwin der jungen Mutter kündigen, die auf dem Anwesen wohnt, das der erfolgreiche Autor sich als Ruhesitz gekauft hat. Doch die Entschlossenheit, mit der sie sich zur Wehr setzt, rührt ihn. Immer intensiver werden seine Gefühle für Laura, die es im Leben nicht leicht hat. Ist Cassian dabei, sich gegen seinen Willen zu verlieben?

1. KAPITEL

Leise stieg der Mann aus dem Wasser, sein schwarzer Neoprenanzug glänzte im blassen Mondlicht wie die Haut eines Seehundes. Einen Moment lang stand der Taucher reglos da und lauschte, doch das einzige Geräusch kam von den Wellen, die gegen den Bootsanleger schlugen. Nachdem der Mann einen letzten Blick in die unergründlichen Tiefen des Kanals geworfen hatte, suchte er Schutz in der Dunkelheit des gegenüberliegenden Lagerhauses.

Schwer atmend trat er hinter eine Palette mit Obstkisten, nahm die Taucherbrille ab und zog sich geschickt den Neoprenanzug aus. Innerhalb von Sekunden hatte er beides zu einem Bündel zusammengerollt und in einem Gitarrenkasten verstaut. Die Sauerstoffflaschen versteckte er hinter einigen Kartons. Schließlich streifte er sich sein Jackett über, band sich die Krawatte fest und öffnete dann, den Gitarrenkasten in der Hand, lautlos die Tür.

Nachdem sich der Mann vergewissert hatte, dass sich keine Menschenseele am Kai befand, verließ er das Gebäude, wobei seine dicken Kreppsohlen nicht das leiseste Geräusch auf den Betonplatten verursachten.

Der Conte Cesare Vidal kletterte geschmeidig aus der Gondel, bezahlte den Gondoliere und schlenderte lässig den Säulengang hinunter, der den privaten Bootssteg mit dem Innenhof des Palazzo Vidal verband.

Ein rosaroter Streifen am Horizont überzog die zahllosen Kuppeln der Paläste und die vielen Glockentürme der Stadt mit goldenem Schimmer. Ein neuer Tag brach an. Schon bald würden die Kanäle von Gondeln, Lastkähnen und Motorbooten nur so wimmeln, und die vaporetti, die Liniendampfer, würden Gäste vom Bahnhof über den Canal Grande zu ihren Luxushotels befördern.

Für den Conte war Venedig jedoch keine Touristenattraktion, sondern sein Zuhause. Obwohl der u-förmig gebaute Palazzo ziemlich heruntergekommen war, wirkte seine bröckelnde Fassade immer noch eindrucksvoll. Mit ihren typisch venezianischen Loggien, Rundbogenfenstern und Stuckverzierungen spiegelte sie den Wohlstand vergangener Generationen wider. Trotzdem wäre es möglich, diesen ehemaligen Glanz wiederherzustellen – wenn die Familie die finanziellen Mittel ihrer Vorfahren besessen hätte.

Eine eisenbeschlagene Tür führte in eine riesige, dunkle Halle, in deren Mitte ein gewundener Treppenaufgang zu der Galerie im ersten Stock lag. Hier befanden sich außer einigen Gäste- und Badezimmern und dem Küchentrakt die Wohnungen des Conte und seiner Großmutter, der verwitweten Contessa Francesca.

Die übrigen Gemächer des großen Palazzos wurden nicht bewohnt und waren der Feuchtigkeit und damit dem Verfall ausgesetzt. Gelegentlich überkam den Conte bei diesem Gedanken ein Anflug des Bedauerns. Doch er hatte nicht das Geld, die Zimmer instand zu setzen, es sei denn, er heiratete eine reiche Erbin – und das war sehr unwahrscheinlich.

Obwohl er keinerlei Schwierigkeiten hatte, Frauen kennenzulernen, hatte er bisher noch keine getroffen, deren Vermögen auch nur annähernd groß genug war, dass er es in Erwägung gezogen hätte, sein Junggesellendasein aufzugeben.

Eines Tages, das wusste er, würde er heiraten müssen, schon um einen Sohn zu zeugen, der den Familiennamen weiterführte. Die Bemühungen mancher eifriger Mütter, ihre Töchter mit einem Adligen zu verkuppeln, entlockten ihm jedoch nur ein müdes Lächeln. Warum sollte er eine Frau heiraten, wenn er sie auch ohne Trauschein haben konnte?

Die Contessa missbilligte seinen Lebenswandel zutiefst. Ihrer Meinung nach verbrachte ihr Enkel die Nächte in fragwürdiger Gesellschaft beim Glücksspiel, und er war daran gewöhnt, sich beim Frühstück Vorhaltungen machen lassen zu müssen.

Seine Eltern waren gestorben, als er erst achtzehn Jahre alt war. Von einem Tag auf den anderen war er nicht nur Waise, sondern auch als Conte Oberhaupt der Familie und Besitzer eines großen Vermögens geworden. Eines Vermögens, das ihm in den folgenden Jahren unter den Händen zerronnen war.

Doch das war Vergangenheit, und er hatte aus seinen Fehlern gelernt. Heutzutage machte sich der Conte Vidal keine Illusionen mehr über die Welt im Allgemeinen und die Frauen im Besonderen.

Durch einen kleinen Vorraum betrat er jetzt den sonnigen Salon, dessen Fenster einen atemberaubend schönen Blick auf einen Seitenarm des Canal Grande boten, der sich zwischen Palästen, Kirchen und berühmten Plätzen hindurchschlängelte.

Das geräumige Wohnzimmer mit dem hellen Teppichboden war in einer Mischung aus Alt und Neu eingerichtet. Bequeme Sessel und Sofas, bezogen mit zartgrünem Samt, boten einen reizvollen Kontrast zu den übrigen Möbeln aus dunklem Holz. Es gab mehrere Bücherregale, Glasvitrinen und einen Schreibtisch aus Mahagoni.

Eine Wand wurde beherrscht von einer lebensgroßen, antiken römischen Statue, während in einer Ecke eine Hightech-Musikanlage sowie ein supermoderner Fernseher standen. An dem ausziehbaren Tisch im Erker nahmen der Conte, wenn er zu Hause war, und seine Großmutter ihre Mahlzeiten ein.

Cesare lockerte seine Krawatte, während er über den Flur in sein Ankleidezimmer schlenderte. Er zog sich aus, duschte, ging in sein geräumiges Schlafzimmer hinüber und schlüpfte dann wohlig seufzend unter die weiche Decke des riesigen Himmelbettes.

Augenblicklich schlief er ein und wurde erst wach, als Anna, die Haushälterin, zusammen mit ihrem Mann Giulio das einzige Personal des Palazzos, geräuschvoll die Samtvorhänge zurückzog.

Er blinzelte ins helle Sonnenlicht. „Anna“, rief er erbost, „was tust du da?“

Klein, rund und stets gut gelaunt, lächelte Anna ihn fröhlich an. „Die Contessa will mit Ihnen reden“, erklärte sie resolut. „Sie muss etwas Wichtiges mit Ihnen besprechen und kann nicht länger warten.“

Cesare fuhr sich mit einer Hand durch sein kräftiges, dunkles Haar, schlug fluchend die Decke zurück und schwang die langen Beine über die Bettkante.

„Kaffee steht neben Ihnen auf dem Tisch“, fuhr Anna ungerührt fort. „Außerdem gibt es ofenwarme Croissants mit Butter. Möchten Sie sonst noch etwas, Signore?“

Er schüttelte den Kopf und goss sich Kaffee ein. „Liebe Anna, was sollte ich bloß ohne dich tun?“, fragte er dann spöttisch. „Du liest mir doch jeden Wunsch von den Augen ab!“

Trotz seiner ironischen Bemerkung sah er sie Abbitte leistend an. Liebevoll erwiderte die Haushälterin seinen Blick. Für sie war Cesare ein Gott.

Nachdem sie das Zimmer verlassen und er sich eine weitere Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, zog er sich an, rasierte sich und war dann bereit, seiner Großmutter gegenüberzutreten.

Sie saß am Schreibtisch im Salon und war dabei, Briefe zu schreiben. Obwohl ihr zierlicher Körper stark unter Rheumatismus zu leiden und sie die Achtzig weit überschritten hatte, umgab die Contessa immer noch die Aura einer großen Dame. Diejenigen, die in ihre Nähe gerieten, mussten nach kurzer Zeit feststellen, dass sie trotz ihres Alters über einen scharfen Verstand und eine noch schärfere Zunge verfügte. Zwar verursachte ihr Enkelsohn ihr manche schlaflose Nacht, doch er war ihr das Wichtigste auf der Welt. Sein Glück und die Notwendigkeit, einen Erben zu zeugen, bedeutete ihr alles.

Als der Conte jetzt zu ihr trat, musterte sie ihn eindringlich. Ihre hellblauen Augen funkelten. „Nun, Cesare“, sagte sie bissig, „hast du dich doch endlich entschlossen, uns mit deiner Anwesenheit zu beehren?“

Er hob die Schultern. „Was kann denn so wichtig sein, Großmutter, dass du mich zu dieser frühen Morgenstunde aus dem Bett holen lässt?“

Wie vermutet, brachte diese Bemerkung die alte Dame in Zorn. „Es ist bereits nach elf!“, rief sie ärgerlich. „Wenn du dir die Nächte nicht, weiß der Himmel wo, um die Ohren schlagen würdest, bräuchtest du auch nicht bis mittags zu schlafen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ich plötzlich sterben sollte und du allein mit deinen Angelegenheiten fertig werden müsstest!“

„Danke, aber ich werde sehr gut mit meinen eigenen Angelegenheiten fertig!“ Der Conte ließ sich in einen Sessel fallen und griff nach einer Zeitung.

Die Contessa ballte die Hände zu Fäusten. „Hast du denn keinen Funken Ehrgefühl deiner Familie gegenüber im Bauch?“, rief sie erbost. „Bin ich dir denn vollkommen gleichgültig?“

Bestürzt ließ er die Zeitung sinken. „Also schön, Contessa! Was wolltest du mir sagen?“

Seine Großmutter erhob sich zu ihrer vollen Größe von stolzen 155 Zentimetern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir werden Gäste hier im Palazzo haben.“

„Was?“

„Ja, du hast richtig gehört.“ Francesca schien außerordentlich zufrieden darüber zu sein, dass sie nun seine volle Aufmerksamkeit besaß. Sie schwieg eine Weile, um die dramatische Wirkung ihrer Worte noch länger genießen zu können.

„Du wirst dich nicht mehr an Joanna Dawnay erinnern“, fuhr sie dann fort. „Wir waren Schulfreundinnen – damals in Paris.“

Der Conte begann sich zu langweilen. „Aha. Diese Frau kommt also her?“

„O nein! Joanna ist schon vor fünfzehn Jahren gestorben.“ Gedankenverloren spielte Francesca mit ihrer langen Perlenkette. „Joanna heiratete erst spät. Der Auserwählte war nicht gerade das, was man einen reichen Mann nennt. Als ihre Eltern starben, hinterließen sie sie völlig mittellos, also musste sie heiraten, um leben zu können. Joanna heiratete einen Pfarrer und zog mit ihm nach Südengland. Fünf Jahre später bekamen sie eine Tochter, Celeste, deren Patentante ich wurde.“

„Na, und?“

„Nach Joannas Tod“, fuhr sie fort, „schrieb mir Celeste gelegentlich, und so war ich über ihren weiteren Lebensweg stets auf dem Laufenden. Mit zwanzig Jahren heiratete sie einen wesentlich älteren Witwer namens Charles Maxwell, der ein Kind mit in die Ehe brachte. Als er zehn Jahre später starb, stand Celeste ohne Geld da, aber mit einer siebzehnjährigen Stieftochter.“

„Geld ist nicht alles“, warf Cesare träge ein. „Manche Menschen sind auch arm sehr glücklich.“

„Ach ja?“ Die Contessa sah ihn spöttisch an. „Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du so etwas sagen könntest. Mir scheint nämlich, dass du dein Geld zum Fenster hinauswirfst!“

Er lächelte. „Das ist meine Sache“, erwiderte er sanft, und nur ein sehr guter Beobachter hätte feststellen können, dass der Conte nur mühsam seinen Ärger im Zaum hielt.

„Nun gut. Um aber mit der Geschichte fortzufahren: Celeste ist eine praktisch veranlagte Frau. Sie übernahm die Verantwortung für sich und ihre Stieftochter, flog zu einem Besuch in die Vereinigten Staaten und heiratete dort zum zweiten Mal. Clifford Vaughan war ein schon älterer, schwerreicher Industrieller. Leider verstarb er bereits zwei Jahre nach der Hochzeit. Doch machte er wenigstens aus Celeste eine sehr wohlhabende Frau …“

„Wie anständig von ihm“, entgegnete Cesare bissig. „Und vermutlich hat sie ihn wahnsinnig geliebt?“

Die Contessa hob die Schultern. „Das bezweifle ich, aber es ist auch nicht von Bedeutung. Auch wenn sie ihn wegen seines Geldes heiratete … Ich bewundere Celeste. Sie ist eine Frau mit Verstand und Herz!“

„Ha!“, machte er. „Wie viel Herz besitzt jemand, der aus rein materiellen Gründen eine Ehe eingeht?“

Francesca lächelte. „Mein lieber Cesare, dies ist doch die einzige Art von Ehe, die du einzugehen gedenkst, oder nicht? Also wage es nicht, andere Leute zu kritisieren!“

Unvermittelt erhob er sich. „Das ist doch wohl etwas ganz anderes. Ich habe keineswegs vor, eine alte Schachtel zu heiraten, auch wenn sie Millionen besitzt!“

„Ja, du hast recht! So etwas solltest du auch nicht tun. Alte Schachteln können schließlich keine gesunden Söhne in die Welt setzten.“ Sie hielt kurz inne und sah ihn nachdenklich an. „Nein, Cesare“, verkündete sie dann, „du solltest Celeste Vaughan heiraten!“

Fassungslos starrte er seine Großmutter an.

2. KAPITEL

Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Celeste Vaughan, ihre Stiefmutter, von der sie so lange nichts gehört hatte, wollte sie nach Venedig mitnehmen!

Emma Maxwell hatte gerade eine schwere Grippe hinter sich und fühlte sich immer noch erschöpft, körperlich wie seelisch. Wahrscheinlich sollte sie Celeste dankbar sein, dass sie sie aus dem feuchten, selbst im Mai manchmal noch empfindlich kühlen England herausholen und mit ihr ins wärmere Italien fliegen wollte.

Aber irgendwie hatte Emma ein mulmiges Gefühl. Celeste tat niemals etwas, ohne eine ganz bestimmte Absicht damit zu verfolgen. Diesen Grund galt es nun herauszufinden.

Es war damals ein großer Schock für die kleine Emma gewesen, als ihr Vater eine Frau heiratete, die seine Tochter hätte sein können. Obwohl sie erst sieben Jahre alt gewesen war, konnte sie sich noch gut daran erinnern, wie sie sich geradezu hatte zwingen müssen, freundlich zu ihrer Stiefmutter zu sein.

Sie hätte sich die Mühe sparen können, denn Celeste hatte keine Zeit für kleine Mädchen. Kurz nach der Hochzeit überredete sie ihren Mann, Emma auf ein Internat zu schicken, obwohl sein Gehalt als Buchhalter kaum ausreichte, die Unterhaltskosten zu bezahlen.

Emma hatte es dort gut gefallen. Anders verhielt es sich mit den Ferien. Stets wurde sie zu verschiedenen Tanten und Cousinen geschickt und durfte die schulfreie Zeit erst dann wieder in ihrem Elternhaus verbringen, als sie alt genug dafür war, den Lebensrhythmus ihrer Stiefmutter nicht durch ihre Anwesenheit zu stören.

Zu Emmas großem Kummer erschien ihr ihr Vater bei jedem Besuch kleiner und blasser. Sie konnte nur vermuten, dass es Celestes ständige Forderungen nach Geld waren, die bewirkten, dass er förmlich dahinwelkte. Als Emma die letzte Klasse besuchte, starb er. Celeste nahm ihre Stieftochter sofort von der Schule, ohne dass diese einen Abschluss hätte machen dürfen.

Es stellte sich heraus, dass ihr Vater nichts hinterlassen hatte außer dem Haus, in dem Emma groß geworden war und das er natürlich Celeste vermachte. Diese teilte ihrer Stieftochter nach der Testamentseröffnung ohne Umschweife mit, dass sie es verkaufen würde. Emma sollte sich schnellstmöglich einen Job und eine andere Unterkunft suchen.

Celeste war dann in die Vereinigten Staaten gegangen, und Emma hatte nicht geglaubt, sie jemals wiederzusehen. Später bekam sie jedoch einen kurzen Brief, in dem ihre Stiefmutter sie davon in Kenntnis setzte, dass sie wieder geheiratet habe, und eine noch knappere Mitteilung über den Tod ihres zweiten Ehemannes mit der Bemerkung, dass er ihr ein Vermögen hinterlassen habe. Emma war weder sonderlich erfreut noch neidisch gewesen, es interessierte sie einfach nicht. Celeste war und blieb eine Fremde für sie.

Während ihrer anstrengenden Ausbildung zur Krankenschwester in einer Londoner Klinik hatte Emma beinahe überhaupt nicht mehr an Celeste gedacht, sondern sich nur an die ganz frühen Jahre ihrer Kindheit erinnert, wie schön es gewesen war, von liebevollen Eltern umsorgt zu werden. Mit den anderen Schwesternschülerinnen und Pflegern verband sie eine herzliche Freundschaft, das machte den Mangel an Familienleben wieder wett. Sie arbeitete hart, bekam überdurchschnittlich gute Noten und sah der Zukunft relativ gelassen ins Auge.

Doch vor sechs Wochen zog sie sich eine böse Grippe zu, mehrere Tage lang bestand sogar der Verdacht auf Lungenentzündung. Schließlich, als die Krise überwunden war, wurde Emma mit der Tatsache konfrontiert, dass sie noch längere Zeit viel zu schwach sein würde, um den Anforderungen eines hektischen Krankenhausalltags gewachsen zu sein.

Die Pflegedienstleiterin empfahl ihr dringend, sich einige Wochen beurlauben zu lassen. Vor allem müsse Emma aus der feuchten, abgasbeladenen Luft Londons heraus, am besten sei ein Klimawechsel.

Während sie noch überlegte, was sie nun tun sollte, war eines Tages plötzlich ein Eilbrief von Celeste aus den USA angekommen. Er enthielt die Einladung, zusammen einige Wochen lang Italien zu besuchen. Celeste würde am folgenden Tag in England eintreffen und erwartete Emma am Londoner Flughafen.

Zuerst war diese über den anmaßenden Ton des Schreibens ziemlich schockiert gewesen. Doch ihre desolate finanzielle Situation, verbunden mit der Neugier, was genau Celeste wohl im Sinn hatte, führte schließlich dazu, dass Emma einen Bus zum Airport nahm. Eine Weile später fand sie sich mit Celeste und einem wahren Berg von Koffern in einem Taxi wieder.

Celeste stieg natürlich im Luxushotel Savoy ab. Im Salon der Suite, die sie bezogen hatte, wiederholte Celeste ihre Einladung. Emma überlegte immer noch, wo wohl der Haken an der Sache sei. Schließlich konnte sich ihre Stiefmutter nicht über Nacht geändert haben, so entwaffnend charmant und mitfühlend sie jetzt auch mit ihr umging, oder? Weil sie aber sechs Wochen Urlaub und nichts anderes zu tun hatte, stimmte Emma zuletzt der Reise zu.

Celeste war entzückt und traf sofort Vorkehrungen für den Italienbesuch. Emma wurde von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, damit sie als Tochter einer wohlhabenden Frau auch entsprechend angezogen war. Nachdem die Passformalitäten erledigt waren, brachen sie nach Venedig auf.

Dort, im First-Class-Hotel Danieli, blieb Emma weitgehend sich selbst überlassen. Während ihre Stiefmutter anderweitig beschäftigt war, unternahm Emma lange Spaziergänge in der schon sommerlich warmen Luft und besah sich einige der zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Lagunenstadt.

Sie waren noch nicht einmal sechsunddreißig Stunden da, schon verkündete Celeste der völlig entgeisterten Emma, dass sie am kommenden Tag das Hotel verlassen und zukünftig in dem Palazzo ihrer Patentante, der Contessa Vidal, wohnen würden.

Während Emma noch vor einem Koffer hockte und versuchte, Ordnung in das wüste Durcheinander von Celestes Kleidungsstücken zu bringen, dachte sie abermals daran, was ihre Stiefmutter eigentlich bezweckte. Warum hatte sie sie eingeladen? Wenn sie sowieso vorhatte, bei der Contessa zu wohnen, wozu brauchte Celeste dann Emmas Gesellschaft? Und falls sie vorhatte, ihre Stieftochter als Dienstmädchen zu benutzen, wäre es weit billiger gewesen, dafür jemanden für die Dauer der Reise einzustellen. Allein Emmas neue Garderobe hatte ein kleines Vermögen gekostet!

Nein, Emma konnte einfach nicht daraus schlau werden. Ganz sicher waren es keine selbstlosen Gründe, dass sich Celeste so urplötzlich zu der alten Dame hingezogen fühlte. Hatte die Contessa vielleicht einen Sohn? War Celeste deshalb in den letzten Tagen so aufgeregt gewesen? Wollte sie jetzt, wo sie soviel Geld besaß, auch noch einen Adelstitel? Aber warum, um alles auf der Welt, hatte sie Emma mitgeschleppt?

Die Tür der Suite öffnete sich, und der Gegenstand ihrer Überlegungen betrat das Zimmer. Celeste strahlte nur so vor Tatkraft. „Emma“, meinte sie statt einer Begrüßung, „bist du mit dem Packen fertig?“

Emma erhob sich. Mit ihren 175 Zentimeter kam sie sich neben ihrer viel kleineren Stiefmutter immer wie eine Riesin vor. Dabei war sie jedoch sehr ansehnlich, die Magerkeit, die man häufig bei großen Frauen findet, fehlte ihr völlig. Ihre Figur wies an genau den richtigen Stellen weibliche Rundungen auf.

„Noch nicht ganz“, antwortete sie. „Hör mal, Celeste, willst du wirklich, dass ich mit dir im Palazzo wohne? Es ist doch sicher besser, ich suche mir eine billige Pension?“

Die Miene ihrer Stiefmutter wurde frostig, und sofort beschlich Emma wieder ein ungutes Gefühl. Sicher würde gleich ein Donnerwetter auf sie niederhageln.

„Natürlich wirst du mit mir kommen“, sagte Celeste lächelnd, ihr Blick war dabei jedoch eiskalt. „Wir sind beide eingeladen worden, also wirst du mich selbstverständlich dorthin begleiten!“

Emma hob die Schultern. „Und warum schließt die Einladung der Contessa auch mich mit ein?“, wollte sie wissen.

Celeste wedelte ungeduldig mit der Hand. „Du stellst zu viele Fragen!“, rief sie irritiert. „Wo ist mein zitronenfarbenes Chiffonkleid? Ich will es heute Abend tragen. Und morgen früh werden wir dann in den Palazzo umziehen.“ Sie wandte sich einem goldgerahmten Spiegel zu und betrachtete sich darin wohlwollend. „Übrigens, die Contessa kommt zum Dinner hierher, und du wirst uns Gesellschaft leisten.“

Seit ihrer Ankunft im Danieli hatte Emma die Mahlzeiten stets auf ihrem Zimmer eingenommen. Den Tisch unten im großen Speisesaal überließ sie gern ihrer Stiefmutter, die es genoss, dort allein zu dinieren, die geheimnisvolle junge Witwe zu spielen und alle Blicke auf sich zu ziehen.

Emma machte große Augen, sparte sich aber eine weitere Bemerkung. Langsam keimte ein Verdacht in ihr: Wollte Celeste etwa bei der Contessa den Eindruck erwecken, dass sie und ihre Stieftochter eine herzliche, innige Beziehung zueinander hegten? Wenn ja, warum? Konnte es sein, dass die alte Dame einfach voraussetzte, dass sich Celeste nach Charles Maxwells Tod natürlich weiterhin liebevoll um sie, Emma, kümmerte?

Es versetzte Emma einen schmerzhaften Stich, aber die Wahrheit war, dass Celeste in der Vergangenheit ihre Stieftochter als ein lästiges Übel angesehen hatte, dessen sie sich schnellstmöglich zu entledigen gedachte …

Am Abend trug Emma ein hellrosa Etuikleid aus Leinen, welches Celeste ausgesucht und das ein kleines Vermögen gekostet hatte, Emma jedoch überhaupt nicht stand. Zu ihrer hellen Haut und den blonden Haaren passten dunklere oder leuchtende Farben viel besser als Pastelltöne. In ihrem gegenwärtigen Gemütszustand kam sie nicht umhin zu vermuten, dass ihre Stiefmutter ganz bewusst gerade dieses Kleid gewählt hatte, um Emma nicht besonders attraktiv erscheinen zu lassen.

Gewiss, früher hatte sich Emma auch keine Designerklamotten leisten können, aber die Kleidungsstücke zu Hause in ihrem Schrank waren flott und passten zu ihrem sportlichen Typ. Niemals hatte sie sich darin unscheinbar oder gar minderwertig gefühlt.

Um Punkt acht Uhr trafen sie sich mit der Contessa unten im Hotelfoyer. Emma hatte noch nie jemanden gesehen, der so hoheitsvoll wie die Gräfin wirkte. Nachdem sie sich einander vorgestellt hatten und bei einem Aperitif saßen, wandte sich Francesca an Emma: „Nun, mein Kind, wie findest du diese plötzliche Wendung zum Guten?“

Emma sah fragend zu ihrer Stiefmutter und hob dann die Schultern. „Ich … eh, dies hier ist etwas ganz … anderes als das Krankenhaus“, meinte sie und fühlte sich sehr unbehaglich.

Celeste hatte ihre Hand auf Emmas Unterarm gelegt und drückte ihn nun warnend.

„Du warst im Krankenhaus?“ Die Contessa runzelte die Stirn.

„Ich bin …“, begann Emma, hielt dann jedoch inne, weil sich Celestes Griff schmerzhaft verstärkte.

„Habe ich dir nicht geschrieben, dass Emma eine schwere Grippe hatte?“, sagte ihre Stiefmutter hastig. „Beinahe wäre eine Lungenentzündung daraus geworden, und deshalb war sie in der Klinik besser aufgehoben als zu Hause.“

Emma starrte sie an. Wenn sie einen Beweis für ihre Vermutung brauchte, nun hatte sie ihn!

„Nein, meine Liebe“, erwiderte Francesca, „das hast du mir nicht geschrieben. Aber es ist jetzt nicht mehr von Bedeutung. Nur gut, dass du, Emma, nach Italien gekommen bist. Du wirst feststellen, dass du dich hier viel schneller erholen wirst als in England.“

Emma schluckte. Einen Augenblick lang fiel ihr keine passende Bemerkung ein, aber sie wusste, dass man eine Antwort von ihr erwartete. „Ihr Englisch ist ausgezeichnet, Contessa“, murmelte sie schließlich.

„Danke, mein Kind!“ Die alte Dame lächelte. „Trinkt eure Martinis aus! Ich denke, wir sollten uns jetzt ins Restaurant begeben.“

Sie erhoben sich und gingen in den angrenzenden Speiseraum hinüber. Francesca hakte sich bei Celeste unter. „Und nun musst du von dir erzählen, meine Liebe. Ich will alles über deine beiden Ehemänner wissen und ob du eventuell daran denkst, noch einmal zu heiraten. Mit dreiunddreißig hat dein Leben doch gerade erst angefangen!“

Emma fühlte sich wie betäubt. Am liebsten hätte sie gesagt, sie litte unter Kopfschmerzen, was auch stimmte, und sich vor dem Dinner gedrückt, doch das verbot ihr der Anstand. Sicher wäre die Contessa beleidigt, ganz abgesehen von Celestes Reaktion …

Während des Dinners unterhielten sich Francesca und Celeste angeregt. Emma dagegen stocherte nur in ihrem Essen herum, obwohl es köstlich war. Die Minestrone war besonders schmackhaft, anschließend gab es gegrillten Fisch. Selbst die leckere Nachspeise konnte Emmas Stimmung nicht heben. Glücklicherweise sprach die Gräfin fast ausschließlich mit Celeste, sodass Emma davon entbunden war, lügen zu müssen. Es war nicht so, dass ihre Stiefmutter dies immer tat. Ab und zu blieb sie auch bei der Wahrheit, und zwar immer dann, wenn es ihren eigenen Interessen zuträglich war.

„Armer Charles“, sagte Celeste gerade. „Er war noch so jung, als er starb – kaum dreiundfünfzig!“ Sie sah Emma durchdringend an. „Selbstverständlich trauerten Emma und ich gemeinsam. Wir halfen uns gegenseitig, mit dem schweren Verlust fertig zu werden.“

„Natürlich“, die Gräfin zeigte Verständnis, „aber du kannst dich glücklich schätzen, jemanden in dieser Zeit bei dir gehabt zu haben, der dir vom Alter her so nahe steht. Denn, meine liebe Celeste, niemand wird dich, so jung, wie du aussiehst, für Emmas Mutter halten. Ihr könntet Schwestern sein!“

„Emma und ich sind gute Freundinnen“, stimmte Celeste zu, aber der drohende Blick, den sie ihrer Stieftochter zuwarf, strafte ihre Worte Lügen.

Je länger der Abend dauerte, um so genervter wurde Emma. Warum verletzte es sie, wie ihre Stiefmutter redete? Was interessierte es sie, dass sich Celeste jetzt hier als ihre liebevolle Beschützerin aufspielte und so tat, als hätte sie ihre Stieftochter aus ärmlichen Verhältnissen heraus in die Welt der Reichen und Schönen geholt?

Es war logisch, dass sich die Contessa, aus altem Adelsgeschlecht und aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass die Familie das Wichtigste auf der Welt war, überhaupt nicht vorstellen konnte, dass ihr Patenkind seine Stieftochter damals einfach vor die Tür gesetzt hatte.

Was Celeste auch immer von ihr denken mochte, Emma war nicht dumm. Geködert mit der Aussicht auf eine kostenlose Luxusreise, sollte sie indirekt dazu beitragen, die Gutgläubigkeit einer alten Damen schamlos für einen dubiosen Zweck auszunutzen. Und dieser Zweck, daran hegte Emma nunmehr nicht den geringsten Zweifel, war, sich den Grafen Vidal zu angeln. Mochte er noch so alt, dick und hässlich sein – Celeste, die nicht davor zurückgeschreckt war, in den Vereinigten Staaten einen über Siebzigjährigen allein wegen seines Geldes zu heiraten –, würde keine dieser Eigenschaften für wichtig halten. Ihr ging es allein darum, sich eines Tages Contessa Celeste Vidal nennen zu können!

Emma war übel, und sie schämte sich. Nur durch ihre bloße Anwesenheit würde sie mithelfen, dieses Komplott zu schmieden. Falls sie jemals gedacht hatte, hier in Venedig vergnügliche Ferien machen zu können, so war diese Hoffnung jetzt verflogen. Sobald sie wieder mit Celeste allein wäre, würde sie ihr sagen, dass sie nach London zurückfliegen würde. Ihre Stiefmutter konnte tun und lassen, was sie wollte, und morgen gern in den Palazzo ziehen, aber sie, Emma, würde sie nicht bei ihrem schmutzigen Vorhaben unterstützen!

Plötzlich wandte die Contessa ihre Aufmerksamkeit wieder Emma zu: „Wie gefällt es dir in Venedig, mein Kind?“, fragte sie wohlwollend lächelnd. „Bist du an alten Palästen, Museen und Kunstgalerien interessiert? Oder kannst du dich mehr für den Strand, den Lido und die blauen Fluten der Adria begeistern?“

„Ich finde, es ist eine wunderschöne Stadt“, meinte sie mit soviel Begeisterung, dass Celeste sie argwöhnisch anschaute. „Natürlich habe ich mir schon den Dogenpalast angesehen. Und heute Morgen habe ich in einem Straßencafé auf dem Markusplatz gesessen.“

Die Contessa klatschte begeistert in die Hände. „Ich finde es wunderbar, dass du Freude an schönen Dingen hast. Meine Familie besaß eine wertvolle Sammlung alter Skulpturen und Gemälde, aber mit den Jahren mussten viele Stücke davon verkauft werden.“

Schade eigentlich, dass Emma morgen wieder nach London zurückfliegen würde. Unter anderen Umständen hätte sie es sehr genossen, sich mit der Contessa über deren Heimatstadt und die zahllosen Sehenswürdigkeiten zu unterhalten. Sicher wusste die alte Dame viel Interessantes darüber zu berichten.

Endlich war das Dinner vorüber, und Emma konnte sich zurückziehen. Bestimmt war Celeste ihr sogar dankbar dafür, dass sie sie mit der Gräfin allein ließ, denn jetzt hätte sie die Gelegenheit, ungestört über den Grund ihrer Reise zu sprechen.

Rasch fuhr Emma mit dem Fahrstuhl auf ihr Zimmer, zog eine Strickjacke über und verließ das Hotel. Sie hatte beschlossen, an ihrem letzten Abend in Venedig noch soviel wie möglich von der Stadt mitzubekommen. Ziellos ging sie an den Kanälen vorbei, beobachtete, wie beleuchtete Gondeln mit Liebespaaren in der Dunkelheit verschwanden, und schlenderte über einige der vielen Plätze.

Um diese Uhrzeit waren die Geschäfte natürlich schon geschlossen, doch die Bars und Straßencafés waren geöffnet. Sie geriet in große Versuchung, einfach in eines dieser Lokale zu gehen und sich einen Kaffee zu bestellen, doch letztendlich fehlte ihr dazu der Mut. Außerdem hatte sie ihr Portemonnaie im Hotel vergessen, sonst hätte sie es vielleicht doch gewagt, so extravagant zu sein und eine Gondel zu mieten.

So schön der Spaziergang auch war, ihre Niedergeschlagenheit verflog dadurch nicht. Langsam lenkte sie ihre Schritte wieder in Richtung Hotel. Morgen früh würde sie sich mit Celeste auseinandersetzen müssen, und das war kein sehr angenehmer Gedanke.

Geistesabwesend und mit hängendem Kopf betrat Emma das Foyer des Danieli und stieß prompt gegen die breiten Schultern eines Mannes, der ebenso wenig aufgepasst hatte. Hastig trat Emma einen Schritt zurück und wollte sich entschuldigen, doch der Mann kam ihr zuvor.

„Scusi, Signorina.“

„Non importa, Signore.“ Als sie in die hellblauen Augen des Fremden schaute, verzog sich Emmas Mund unwillkürlich zu einem Lächeln. Plötzlich stellte sie fest, dass er sie wohlwollend von Kopf bis Fuß musterte, und wurde sich bewusst, dass sie ihn genauso intensiv anstarrte wie er sie.

Er hatte das gewisse Etwas an sich, was ihn von seinen Landsleuten unterschied. Denn dass er Italiener war, daran gab es für Emma keine Zweifel, trotz der ungewöhnlichen Augenfarbe. Er maß bestimmt über 1 Meter 85, war schlank und breitschultrig. Das elegante Dinnerjacket saß wie angegossen, und er trug es mit einer großen Ungezwungenheit. Seine Haut war stark gebräunt, was darauf schließen ließ, dass er sich häufig im Freien aufhielt. Und seine Wimpern – schwarz wie sein Haar – waren die längsten, die Emma je gesehen hatte.

Im krassen Gegensatz dazu standen seine markanten, sehr männlichen Gesichtszüge. Vermutlich würden ihn viele als attraktiv bezeichnen, was jedoch nicht allein an seinem guten Aussehen lag, sondern vielmehr an seinem geradezu magischen Charme, der Frauen sich ihrer eigenen Weiblichkeit sehr bewusst werden ließ.

Obwohl er wesentlich älter war als Emma, sie schätzte ihn auf ungefähr vierzig Jahre, fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Komisch, hatte sie doch immer Jungs ihres eigenen Alters vorgezogen! Plötzlich stellte sie fest, wie unerfahren sie doch noch war.

Der Mann lächelte ebenfalls. „Parla italiano?“

Sie seufzte bedauernd. „No! Nur ein paar Sätze aus dem Wörterbuch.“

„Aha, also sind Sie Engländerin!“ Er sprach jetzt Englisch mit leichtem Akzent. „Habe ich Ihnen wehgetan?“

Emma schüttelte den Kopf.

„Gut. Verbringen Sie hier Ihre Ferien, Signorina?“

Sie nickte und wollte ihren Weg fortsetzen, doch er hielt sie zurück. „Gehen Sie noch nicht, Signorina! Um sicherzugehen, dass Sie meine Entschuldigung wirklich annehmen, erlauben Sie, dass ich Sie zu einem Drink einlade?“

„Danke, nein, Signore! Meine … Freunde warten auf mich.“

Er sah sie amüsiert an. „Dann verraten Sie mir wenigstens Ihren Namen!“

„Emma Maxwell“, erwiderte sie lächelnd.

„Bene. Arrivederci, Signorina!“

„Good-bye.“ Resolut eilte Emma Richtung Fahrstuhl. Sie war überhaupt nicht mehr niedergeschlagen, sondern fühlte sich auf einmal sonderbar beschwingt. Wer weiß, vielleicht würde sie ihn einmal wiedersehen …

Erst oben in ihrem Zimmer erinnerte sie sich an ihren Entschluss, Venedig morgen früh zu verlassen. Sie stellte sich vor den goldgerahmten Spiegel und betrachtete sich nachdenklich. Was konnte ein Mann wie der blauäugige Fremde schon in ihr, einem dummen Teenager, sehen? Ja, wenn sie so atemberaubend schön wie Celeste gewesen wäre! Leider hatte Emma nichts Vergleichbares vorzuweisen. Ihr Haar war zwar blond, doch kein bisschen lockig. Ganz gerade hing es ihr bis über die Schultern herab.

Ihre Haut war blass – nun, das würde sich in der italienischen Sonne rasch ändern. Und ihre schrägen, riesengroßen, intensiv grünen Augen, von denen sie immer geglaubt hatte, dass sie das Schönste an ihr waren, besaßen keineswegs die langen Wimpern des Fremden. Und dieses unmögliche rosa Kleid!

Spontan beschloss Emma, sich gleich morgen früh ein anderes zu kaufen, vielleicht in Knallrot oder in diesem wundervollen Royalblau! Doch wozu eigentlich? Sie wollte Venedig ja verlassen! Vorher musste sie allerdings ihre Stiefmutter noch von diesem Entschluss unterrichten …

3. KAPITEL

Leise vor sich hinsummend, kehrte Celeste erst in den frühen Morgenstunden in die gemeinsame Suite zurück.

Sie hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, und ein träges, zufriedenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Als sie ihre Stieftochter ins Zimmer treten sah, zuckte sie erschrocken zusammen. „Emma! Was, in Gottes Namen, machst du hier um diese Uhrzeit?“

„Ich konnte nicht schlafen“, antwortete Emma. „Celeste, ich habe die Absicht, morgen … eh, heute wieder nach Hause zu fliegen.“

Celeste hob die Brauen.

Nervös verschränkte Emma die Arme vor der Brust. „Ich weiß nicht, welche Unwahrheiten du über unser Verhältnis zueinander verbreitet hast, aber ich werde es keinesfalls zulassen, dass du diese liebe alte Dame weiterhin so belügst …“

Zuerst starrte Celeste sie verblüfft an, dann brach sie in lautes Lachen aus. „Diese sogenannte liebe alte Dame ist noch mehr hinter dem Geld her als meine Wenigkeit! Ist dir nie in den Sinn gekommen, was der eigentliche Grund unseres Besuches hier ist? Ich will einen Titel, und im Gegenzug bekommt die Familie Vidal etwas von meinem Vermögen ab!“

Emma wurde rot. „Das habe ich mir schon gedacht“, gab sie zu. „Aber so leicht kann es wohl doch nicht sein, sonst hättest du dir kaum die Mühe gemacht, mich mitzuschleppen.“

Ihre Stiefmutter lächelte unangenehm. „Du hast recht. Die Contessa ist zwar geldgierig, aber wie allen Italienern bedeutet ihr die Familie eine ganze Menge. Falls ich hier ohne dich aufgetaucht wäre, hätte sie bestimmt verdächtige Fragen gestellt.“

„Du hättest doch einfach sagen können, dass ich wegen meines Jobs nicht mitkommen konnte.“

„Oh nein, Darling, das hätte sie niemals geglaubt! Ich habe keine Ahnung, ob du weißt, wie viel Clifford mir tatsächlich hinterlassen hat, aber glaub mir, Francesca kennt mein Bankkonto bis auf den letzten Penny! Wer, wie ich, mehrere Millionen Dollar besitzt, lässt seine Tochter nicht arbeiten.“

„Mehrere Millionen Dollar!“, rief Emma fassungslos.

„Natürlich! Was denkst du denn, warum ich diesen alten Knacker sonst geheiratet hätte?“

Emma wurde übel. „Celeste …“

„Was regst du dich so auf? Sei doch einmal vernünftig! Welchen Schaden kann es denn anrichten, wenn ich der Contessa gegenüber so tue, als seien du und ich die dicksten Freunde, um die alte Dame zufriedenzustellen?“

Emma schüttelte den Kopf. „Diese ganze Situation widert mich an!“

„Nun, Darling, würdest du es nicht auch toll finden, eine Gräfin zu sein?“

„Überhaupt nicht. Ich würde einen Mann heiraten, den ich liebe, und keinen ältlichen Playboy, der sein eigenes Vermögen verspielt hat und dasselbe womöglich jetzt noch einmal vorhat!“

Celeste lachte. „Ach, Emma, der Conte Cesare Vidal ist noch nicht alt und außerdem sehr attraktiv! Nicht, dass sein Aussehen eine Rolle für mich spielt, wie du dir vorstellen kannst. Aber es ist doch nett zu wissen, dass der Vater meiner zukünftigen Kinder kein Aphrodisiakum brauchen wird, um seine Lust zu fördern.“

Emma wandte sich angeekelt ab. „Meine Güte, Celeste, es ist furchtbar, dich so etwas sagen zu hören!“

„Du bist einfach zu sensibel, Darling. Werde endlich erwachsen! Dir sollte doch klar sein, dass die Contessa mich und keine andere reiche, aber sicher ältere Frau will, weil ich in der Lage bin, einen gesunden Sohn zur Welt zu bringen. Denn nichts auf der Welt wünscht sie sich mehr als einen Erben für ihren Enkelsohn.“

„Wenn du nichts dagegen hast, Celeste, ziehe ich es vor, in diese schmutzige Sache nicht mit hineingezogen zu werden. Ich werde nach Hause fliegen, und du kannst tun und lassen, was du willst, aber ohne mich!“

Die Stimme ihrer Stiefmutter klang hart: „Du bleibst!“

„Nein.“

„Dann denk doch mal nach, Emma! Die Contessa mag dich, deshalb werde ich es nicht zulassen, dass du gehst und ich hier unangenehme Fragen beantworten muss. Und falls du die Absicht haben solltest, der Contessa einige Dinge über uns zu erzählen, vergiss es! Ich könnte sonst gezwungen sein, dir das Leben ziemlich ungemütlich zu machen.“

Emma errötete. „Wage es nicht, mir zu drohen, Celeste! Ich komme gut allein zurecht und brauche deine Unterstützung nicht.“

„Vielleicht nicht. Doch dein Krankenhaus braucht sie, zum Beispiel in Form einer großzügigen Spende. Falls du meine Pläne durchkreuzt, werde ich dort schon jemanden finden, der mir behilflich ist!“

Fassungslos starrte Emma ihre Stiefmutter an. „Das kann nicht dein Ernst sein!“

„Ich habe noch niemals etwas so ernst gemeint.“

„Es gibt genug andere Kliniken …“

„Ich werde dich überall finden, Darling. Mit Geld kann man alles, aber auch alles kaufen!“

„Warum?“, fragte Emma verzweifelt. „Warum tust du mir das an, Celeste? Was habe ich dir getan?“

„Nichts. Ich will dich einfach hier haben.“ Ihre Stimme wurde sanfter. „Darling, was verlange ich denn schon von dir? Sechs Wochen, in denen du eine der schönsten Städte der Welt erkunden kannst. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt!“

Emma hatte genug. Wortlos verließ sie den Salon, ging in ihr Schlafzimmer und legte sich ins Bett.

Sie war neunzehn Jahre jung, unerfahren und hatte niemanden auf der ganzen Welt, an den sie sich wenden konnte, denn ihre entfernten Verwandten in England kümmerte ihr Wohlergehen herzlich wenig.

Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als bei Celeste zu bleiben, denn Emma hatte im Moment einfach nicht die Kraft, gegen ihre Stiefmutter anzukämpfen.

Beim Frühstück ließ nichts auf die nächtliche Szene schließen. Celeste plauderte angeregt drauflos, und wenn sie es merkte, dass ihre Stieftochter auffallend still war, so ignorierte sie diese Tatsache.

„Der Conte Cesare Vidal leistete uns nach dem Dinner Gesellschaft“, sagte sie gerade mit einem selbstzufriedenen Lächeln. „Nachdem die Contessa nach Hause gefahren war, haben er und ich eine Gondelfahrt gemacht. Ach, Emma, Darling, das war einfach herrlich! Wir müssen zusehen, dass wir dir für die Dauer deines Aufenthaltes hier auch einen männlichen Begleiter besorgen. Nur mit einem Mann an der Seite kann man die venezianischen Nächte richtig genießen!“

„Danke, aber das wird nicht nötig sein!“, sagte Emma knapp.

Celeste sah sie scharf an. „Du wirst nicht gehen.“

„Nein, Celeste, aber ich habe auch nicht die Absicht, mich von dir verkuppeln zu lassen!“

„Darling, niemand wird dich zu etwas zwingen, was du nicht willst, im Moment jedenfalls noch nicht. Und jetzt, während ich mich anziehe, packst du bitte meine Sachen, ja? Um elf wird uns ein gewisser Giulio, ein Angestellter der Contessa, zum Palast begleiten. Stell dir nur vor, Emma, ich in einem venezianischen Palazzo! Ist das nicht fantastisch?“

Emma hatte dazu ihre eigene Meinung. Unter anderen Umständen hätte sie es bestimmt ebenso aufregend gefunden, in diesem wunderschönen alten Gebäude wohnen zu dürfen. Doch wie die Dinge jetzt lagen, fühlte sie sich nur unbehaglich.

Fröstelnd verschränkte Celeste die Arme vor der Brust, während sie die kalte Halle durchquerten. Am Fuß der Marmortreppe blieben sie stehen und warteten auf den alten Giulio, der unter der Last von Celestes Gepäck beinahe zusammenbrach. Emma trug einen kleinen Koffer und einen Kleidersack – fast ihre gesamte Garderobe –, während am Eingangstor immer noch der riesige Schrankkoffer mit Celestes Abendkleidern wartete.

„Wir müssen einen Fahrstuhl installieren lassen“, sagte Celeste keuchend zu Emma, als sie die Treppe hochstiegen. „In den Staaten bewältigt niemand solche Höhenunterschiede zu Fuß.“

Die Contessa Francesca erwartete sie im Salon. Anna, die Haushälterin, servierte Kaffee, und nachdem sie einige Tassen getrunken und eine Weile geplaudert hatten, wurden ihnen die Räumlichkeiten gezeigt.

Das für Celeste bestimmte Schlafzimmer war riesig, als Attraktion stand das einladende Himmelbett auf einem Podest. Die cremefarbenen Samtvorhänge an allen vier Seiten konnten heruntergelassen werden, sodass man, vor neugierigen Blicken sicher, wie in einer Höhle darin lag. Auf dem bunten Mosaikfußboden lagen geschmackvolle Brücken, und das dunkle Holz der antiken Möbel bildete einen reizvollen Kontrast zu den hellen Sitzbezügen einiger locker im Raum verteilten Sessel.

„Liebe Güte“, entfuhr es der verblüfften Celeste, „das ist ja ein halber Audienzsaal!“

„Vielleicht wurde es früher wirklich einmal dafür benutzt“, sagte Emma und vergaß für einen Moment ihre Probleme. „Schließlich hielten in vergangenen Zeiten auch Könige und Königinnen von ihrem Bett aus Hof.“

„Tatsächlich?“ Celeste machte große Augen. „Nun, solange es über eine gute Matratze verfügt, schätze ich, werde ich damit klarkommen.“ Sie seufzte. „Wo ist das Badezimmer? Hoffentlich sind die Armaturen auf dem neuesten Stand.“

Die Wanne mit den altmodischen Löwenfüßen war groß genug, um wenigstens ein halbes Dutzend Menschen aufzunehmen. Doch die Wasserleitungen schienen neu zu sein, denn als Celeste einen Hahn aufdrehte, schoss ein dampfend heißer Strahl in das Porzellanbecken.

Während Anna unter Anweisung von Celeste deren Koffer auspackte, beschloss Emma, weiter auf Entdeckungstour zu gehen. Ihr eigenes Schlafzimmer war weit weniger imposant als das ihrer Stiefmutter. Obwohl es ebenfalls sehr groß war, enthielt es keine Antiquitäten, und die moderne Schlafgelegenheit war eine einzige Enttäuschung. Wie gern hätte Emma in einem Himmelbett geschlafen! Im Gegensatz zu ihrer Stiefmutter liebte sie nämlich die Atmosphäre, die alte Möbel ausstrahlten, sehr.

Sie schlenderte zurück zum Salon, doch er war menschenleer. Links davon ging ein kleiner Flur ab, der zum Küchentrakt führte. Emma trat auf die Galerie, stützte sich mit den Ellenbogen auf der geschnitzten Brüstung ab und schaute gedankenverloren hinunter in die dunkle Halle. Sicher war sie in früheren Zeiten für Empfänge und Bälle genutzt worden.

Im Geiste sah Emma juwelengeschmückte Damen mit Reifröcken und gepuderten Perücken, an deren Seite die Männer mit farbenfrohen Kniebundhosen und zierlichen Schnallenschuhen an den Füßen. Bestimmt hatten die Musiker hier oben auf der Galerie gestanden …

Eine ganze Weile träumte Emma so vor sich hin, um ihre Lippen spielte ein versonnenes Lächeln. Doch plötzlich erschrak sie. Unten war die eisenbeschlagene Eingangstür aufgegangen, und ein Schwall hellen Sonnenlichts ergoss sich auf den Mosaikfußboden. Emma beobachtete, wie ein Mann leise hereinkam, die Halle durchquerte und dann geräuschlos in einem der unteren Räume verschwand. Sein Gesicht hatte sie nicht sehen können, nur dass er einen Gitarrenkasten in der Hand hielt.

Sie runzelte die Stirn und richtete sich auf. Plötzlich beschlich sie ein ungutes Gefühl. Sie konnte es nicht genau definieren, aber es kam ihr vor, als hätte der Mann etwas zu verbergen. Seine Bewegungen waren bewusst unauffällig gewesen, so als wolle er auf keinen Fall Aufmerksamkeit erregen. Wer war er? Und was wollte er hier?

Sie schluckte. Nach dem, was Celeste und die Contessa ihr erzählt hatten, war Emma der Meinung gewesen, dass nur der erste Stock des Hauses bewohnt würde und die übrigen Räume seit Langem leer stünden. Welchen Grund konnte also ein Fremder haben, in dieses untere Zimmer zu gehen, noch dazu mit einer Gitarre?

Je länger Emma darüber nachgrübelte, desto lächerlicher kam ihr die Situation vor. Was auch immer sich hier abspielte, es ging sie nicht das geringste an. Trotzdem hatte der Zwischenfall sie nervös gemacht. Sie sollte jetzt besser ihr Zimmer aufsuchen, bevor die Fantasie noch mit ihr durchging.

„Was haben Sie denn hier zu suchen?“

Als sie die Stimme hörte, fuhr sie zu Tode erschrocken zusammen und drehte sich hastig um. „Sie?“ Es war der Mann aus dem Danieli!

Er trat einen Schritt zurück, seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. „Was machen Sie hier?“, fragte er barsch. Über irgendetwas schien er sich zu ärgern.

„Ich … nun, die Contessa Vidal hat mich und meine Stiefmutter zu einem Besuch eingeladen. Aber wer sind Sie?“

Seine Miene entspannte sich. „Sie sind Celeste Vaughans Stieftochter?“

„Ja. Doch Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“ Plötzlich wurde sie rot. „Sind Sie etwa der Conte?“

Er verbeugte sich leicht. „Zu Ihren Diensten …“

„A…aber“, stotterte Emma, „wie sind Sie …? Ich meine, ich habe Sie gar nicht hereinkommen sehen. Oder waren Sie das eben dort unten in der Halle?“

Er schaute wieder finster drein. „Haben Sie hier oben schon lange gestanden? Oder haben Sie ein Geräusch gehört und wollten nachsehen?“

„Ich fürchte, ich habe mich Tagträumen hingegeben“, gab Emma zu. „Wie soll ich Sie anreden? Mit Signor Conte?“ Sie wurde wieder rot. „Entschuldigen Sie, aber ich bin etwas verwirrt, weil Sie mich so erschreckt haben!“

„Wie Sie mich anreden, spielt keine Rolle. Sie haben also geträumt?“

„Ja, und plötzlich sah ich einen Mann mit einem Gitarrenkasten hereinkommen und in einem der unteren Räume verschwinden. Das habe ich etwas merkwürdig gefunden, da die Contessa sagte, die Erdgeschosszimmer seien unbewohnt.“

Der Conte fuhr sich mit einer Hand zerstreut durch das kräftige schwarze Haar. Nachdenklich schaute er Emma an. „Manchmal benutze ich sie als Abstellkammern, das ist alles“, erklärte er dann vage.

Sie nickte. Während sie sich sekundenlang ansahen, überschlugen sich Emmas Gedanken. Das also war der Conte Cesare Vidal, der Mann, den Celeste heiraten wollte! Derselbe Mann, der ihr, Emma, diesen herrlichen Moment von neu erwachtem Selbstbewusstsein geschenkt hatte. Gestern, im Danieli hatte er sie von Kopf bis Fuß gemustert und offensichtlich attraktiv gefunden, weil er sie dann zu einem Drink eingeladen hatte. Es war unglaublich! Wie konnte es jemand über sich bringen, sich selbst zu verkaufen?

Ihr wurde bewusst, dass er sie immer noch anstarrte, und verlegen senkte sie den Blick. Zu ihrer Jeans trug sie heute nur ein schlichtes grünes T-Shirt, und schmerzlich wurde sie daran erinnert, dass sie eigentlich vorgehabt hatte, sich ein paar neue Kleider zu kaufen.

Plötzlich begann er zu lächeln. „Ich hatte gedacht, Celestes Stieftochter sei ein kleines Schulmädchen.“

Sie wurde rot. „Ich bin neunzehn und werde in einigen Monaten zwanzig.“

„Tatsächlich?“

Emma hob die Schultern. „Nun …, wollen wir nicht in den Salon gehen?“

„Wenn Sie möchten, gern.“

Er hatte das gewisse Etwas, daran gab es keinen Zweifel. Sie fühlte, wie er sie mehr und mehr in seinen Bann zog. Der Conte besaß die Selbstsicherheit eines Mannes, der genau wusste, welche Wirkung er auf Frauen ausübte.

Sie durfte nicht schwach werden, denn er war ein unverbesserlicher Spieler und schien nicht die geringsten Skrupel zu haben, eine Frau nur wegen ihres Geldes zu heiraten.

4. KAPITEL

Zu Emmas großer Erleichterung befand sich Celeste nicht im Salon. Doch die Contessa war da und lächelte ihnen entgegen.

„Ah, wie ich sehe, habt ihr beide euch bereits bekannt gemacht! Cesare, meinst du nicht, dass es Zeit ist, dich zum Lunch umzuziehen?“

Er trug eine dunkle Hose und ein weißes Seidenhemd, bei dem einige Knöpfe geöffnet waren, sodass die dunklen Locken auf seiner Brust zu sehen waren. Emma fand, dass er wundervoll angezogen war … Reiß dich zusammen, befahl sie sich selbst, Cesare ist ein Mann von Welt und alt genug, um dein Vater zu sein!

„Wie du meinst, Contessa.“

Wie beiläufig ließ er seinen Blick zu Emma schweifen, und prompt wurde sie rot. „Ich fürchte, ich habe gebummelt, sonst hätte ich mir auch schon etwas anderes angezogen“, meinte sie verlegen.

„Was hast du denn unternommen, mein Kind?“, fragte die Contessa freundlich.

„Ich habe meine neue Umgebung erkundet“, antwortete Emma. „Vor Jahren muss es hier einfach wunderschön gewesen sein.“ Hastig korrigierte sie sich: „Ich meine, damals, als Luxus in diesen Kreisen noch zum Leben einfach dazugehörte …“

„Ich verstehe dich sehr gut, mein Kind. Sag ruhig, dass der Palazzo uns vor der Nase zusammenfällt! Meinen Enkelsohn kümmert die Vergangenheit herzlich wenig, er lebt nur in der Gegenwart.“

Nervös schaute Emma zum Conte hinüber. Er stand ganz ruhig da. Das mangelnde Taktgefühl seiner Großmutter schien ihn nicht aus der Fassung zu bringen, im Gegenteil, er wirkte eher amüsiert.

„Wie Sie sicher schon festgestellt haben“, wandte er sich an Emma, „sehnt sich die Contessa von ganzem Herzen danach, dass der Palazzo wieder instand gesetzt wird. Für meine Großmutter sind Dinge wichtiger als Menschen. Ich dagegen finde, dass man eigentlich nur ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und den Sonnenschein braucht.“ Er lachte, was Francesca erst recht in Rage brachte.

„Und Geld?“, fragte sie wütend. „Was ist damit, Cesare? Du bist doch der letzte, der ohne Geld auskommen würde!“

Er hob die Schultern. „Du scheinst mich nicht besonders gut zu kennen, Contessa. Die Menschen ändern sich, weißt du, sie werden erwachsen, reifer und gewinnen an Erfahrung …“

„Hah!“ Ein Schwall italienischer Sätze prasselte auf Cesare nieder.

Knallrot vor Verlegenheit machte Emma, dass sie in ihr Schlafzimmer kam.

Das Mittagessen wurde auf einer Dachterrasse mit Blick auf den Kanal serviert. Während die Sonne warm schien und der Duft köstlicher Speisen aus der Küche herüberwehte, begann sich Emma langsam wohler zu fühlen.

Sie hatte ein dunkelblaues Sommerkleid angezogen, das sie vor ihrer Abreise noch in London gekauft hatte und das ihr sehr gut stand. Das blonde, lange Haar hatte sie so lange gebürstet, bis es glänzte. Doch neben der strahlenden Schönheit ihrer Stiefmutter fühlte sie sich seltsam farblos. Celeste trug ein tief ausgeschnittenes Gewand, dessen Hellgelb ihre rotblonden Locken zum Leuchten brachte. An ihren Ohren hingen tropfenförmige Diamanten, ein passender, einzeln gefasster Stein baumelte genau auf ihrem Busen.

Der Conte saß ihr gegenüber. Bestimmt, dachte Emma, kann er nicht den Blick von diesem Schmuckstück wenden! Lustlos stocherte sie in ihrem Risotto herum, auf einmal war ihr der Appetit vergangen.

Die widersprüchlichen Gefühle, die Cesare in ihr erweckte, waren vollkommen neu für sie. Wahrscheinlich liegt das einzig an seinem Adelstitel, versuchte sie sich einzureden. Sie war es eben nicht gewohnt, mit italienischen Grafen umzugehen.

Denn was Männer betraf, war Emma so unerfahren nicht. In den letzten drei Jahren hatte sie eine Menge Freunde gehabt. Vielleicht lag es an diesem romantischen Venedig, dass sie hier ständig an die Liebe – und an den Conte – denken musste. Klar, dass jemandem, der aus so normalen und bodenständigen Verhältnissen kam, diese Atmosphäre zu Kopf steigen musste!

Doch welche Ausreden sie auch immer fand: Emma konnte die Augen nicht von Cesare lassen. Sie schaute ihn so intensiv an, dass er es plötzlich bemerkte, sich zu ihr wandte und zurückstarrte. Hastig senkte sie den Blick und guckte verlegen auf ihren noch vollen Teller.

Nach dem Essen kündigten Celeste und die Contessa an, dass sie jetzt gedächten, ein Mittagsschläfchen zu halten. Also beschloss Emma, endlich ihren Einkaufsbummel zu unternehmen. Sie lief auf ihr Zimmer, vertauschte die hohen Pumps mit bequemen Sandalen und nahm ihre Handtasche.

Sie hatte gerade die letzten Stufen zur Halle erreicht, als eine dunkle Gestalt aus dem Schatten unter der Treppe hervortrat. „Sieh an, sieh an! Wo wollen Sie denn hin?“, fragte der Conte.

Emma fröstelte. „Ich möchte einkaufen gehen, Signore, wenn Sie nichts dagegen haben. Und ich möchte, dass Sie mich nicht immer so erschrecken!“

Lächelnd nahm er sie beim Arm. „Die Geschäfte sind um diese Tageszeit geschlossen. Außerdem ist es draußen viel zu warm, um durch die Stadt zu laufen. Kommen Sie doch mit mir, ich werde Ihnen die Schönheit der Lagune zeigen!“

Emma machte große Augen. „Sie wollen … Ich meine, wieso?“

„Weil ich es will. Ich tue immer, was ich will.“

„Tatsächlich.“ Sie starrte ihn unsicher an. Es war ja schön und gut, Cesare aus der Ferne zu bewundern, aber so dicht vor ihm zu stehen, war einfach überwältigend. Sie hatte Angst vor seinem bezwingenden Charme, außerdem traute sie sich in seiner Gegenwart selbst nicht über den Weg. Und dazu kam noch, dass Celeste mit Sicherheit nicht mit seinem Vorschlag einverstanden gewesen wäre.

Cesare nahm eine Strähne ihres Haares zwischen die Finger. „Sie möchten doch gern mitkommen, nicht wahr? Falls es Sie beruhigt: Ich werde Ihrer Stiefmutter nichts davon erzählen.“

Konnte er Gedanken lesen? Seufzend folgte sie ihm zur Tür.

Als sie im hellen Sonnenlicht standen, sagte Cesare: „Sie kommen doch mit, nicht wahr, Emma? Schließlich kennen wir uns schon seit gestern. Heute Morgen habe ich sogar in Ihrem Hotel angerufen. Ich wollte sichergehen, dass Sie meine Entschuldigung annehmen, und mich Ihnen als Führer anbieten, falls Sie den Wunsch haben, meine Heimatstadt zu erkunden. Doch leider hatten Sie das Hotel schon verlassen.“

Entgeistert starrte sie ihn an. „Das glaube ich nicht! Warum sollten Sie so etwas tun?“

Er hob die Schultern. Während sie zum Bootssteg gingen, murmelte Cesare sanft: „Das frage ich mich auch.“

Emma musste unwillkürlich lächeln.

Cesare deutete auf das Motorboot, das am Steg angebunden war. „Das ist meines. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir es statt einer Gondel benutzen? Mich stört es immer, wenn der Gondoliere jedes Wort der Unterhaltung mithört und dabei womöglich noch laut und falsch singt.“

Sie wollte eine Bemerkung dazu machen, unterließ es aber. Mit Cesares Hilfe stieg sie ein. Dann stellte sie sich neben ihn ans Steuer und sah zu, wie er geschickt ablegte.

Sie fuhren durch eine Märchenstadt. Vom Wasser aus betrachtet, war Venedig noch schöner. Mit Begeisterung in der Stimme erklärte Cesare Emma die Sehenswürdigkeiten, an denen sie vorbeifuhren. Egal, was die Contessa gesagt hatte, Emma hatte den Eindruck, dass er seine Heimatstadt innig liebte. Sie sah die Kirche Santa Maria della Salute mit den berühmten Deckengemälden von Tizian und Tintoretto, die Ca’ d’Oro, ein Palazzo, dessen Fassade vergoldet ist, das Gritti, früher gotischer Palast, jetzt Luxushotel.

Der Conte schien jedes Gebäude, jede Kirche zu kennen, und es gab so viel Herrliches zu schauen, dass Emma vor Begeisterung manchmal die Hände zusammenschlug. Jetzt fuhren sie unter der Rialto-Brücke durch.

„Am besten geht man über diese Brücke zu Fuß“, sagte Cesare. „In den Läden zu beiden Seiten kann man alle möglichen Souvenirs kaufen: Murano-Glas, handgefertigte Spitzen, Goldschmuck …“

Sie nickte. „Das alles ist sicher sehr schön, aber ich würde lieber dorthin gehen, wo es nicht so viele Touristen gibt.“

„In Ordnung.“ Er lächelte. „Wenn Sie mir vertrauen, werden wir jetzt in die Lagune fahren.“

„Vertrauen?“, fragte Emma verwirrt.

Sie verließen den Canal Grande und bogen in einen engen, dunklen Seitenarm ein. Die Häuser zu beiden Seiten standen mit den Fundamenten im Wasser und wiesen mit kunstvollen schmiedeeisernen Gittern versehene Torbögen auf, sodass man vom Kanal direkt in die Innenhöfe fahren konnte. Es wimmelte von kleinen Motorbooten, die entweder an Holzpfählen oder an den Eingangssäulen der Palazzi vertäut waren.

„Ich meine, dass viele Inseln in der Lagune heutzutage einsam und verlassen sind“, erklärte Cesare. „Natürlich gibt es noch die Touristenattraktionen Murano, Burano und Torcello, aber diese Inseln heben wir uns für ein andermal auf, okay?“

Emma sah auf ihre Armbanduhr. „Es ist schon nach drei. Vielleicht sollten wir uns nicht mehr allzulange hier aufhalten.“

Er hob die Schultern, und Emma sah seine Muskeln unter dem dünnen Hemd spielen. Sie konnte sich nicht helfen, aber sie fand Cesare sehr anziehend. Warum hat er nie geheiratet? überlegte sie. Bestimmt gibt es doch genug Frauen, die ihre Freiheit ihm zuliebe nur zu gern aufgegeben hätten!

Urplötzlich tauchten sie aus dem dunklen Gewirr der Kanäle auf und fuhren auf das von der Sonne beschienene Meer hinaus, das sich in seiner blauen Unendlichkeit bis zum Horizont erstreckte. Das Ganze geschah so unerwartet und war so wunderschön, dass Emma vor Überraschung den Atem anhielt.

Cesare schaltete den Motor ab. Nachdem sie die dicht bevölkerten Inseln Venedigs mit ihren Türmen und Kuppeln rasch hinter sich gelassen hatten, überließ er für eine Weile das Boot der sanften Dünung. Hier draußen auf dem offenen Meer herrschte um diese Zeit wenig Schiffsverkehr, sie schienen ganz allein in dieser blauen, beinahe unwirklichen Welt zu sein.

„Gefällt es Ihnen?“, fragte der Conte Emma.

Entzückt nickte sie. „Wie könnte es mir nicht gefallen?“ Sie ging zum Heck des Bootes und setzte sich auf eine mit Kissen ausgelegte Bank. Cesare nahm neben Emma Platz.

„Ich weiß immer noch nicht, warum Sie mich mitgenommen haben“, meinte sie.

Träge lehnte er sich zurück und sah sie so eindringlich an, dass sie ganz verlegen wurde. „Ich mag Sie.“

Diese Bemerkung konnte Emma nicht kommentarlos hinnehmen. „Graf Cesare …“

„Cesare genügt völlig.“

„Na gut. Cesare, ich werde nicht schlau aus Ihnen. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass Celeste hierhergekommen ist, um Sie zu heiraten. Warum also geben Sie sich dann mit mir ab?“ Sie seufzte. „Und bitte lügen Sie mich nicht an!“

Er machte eine hilflose Geste. „Das tue ich nicht, ich mag Sie wirklich. Ich habe Sie mitgenommen, weil ich neugierig auf Ihre Reaktion war.“

„Und warum sind Sie nicht mit Celeste hier? Warum wollten Sie keinen Mittagsschlaf halten?“

„Sie stellen zu viele Fragen“, stellte er plötzlich kühl fest. „Genießen Sie den Tag, und betrachten Sie ihn einfach als Geschenk der Götter!“

Emma wandte sich ab. Wie konnte er, der Conte Cesare Vidal, eigentlich Gefallen an so einem unbedeutenden kleinen Ding wie ihr finden? Er musste wissen, dass er damit, dass er mit Emma unterwegs war, seine Chancen verringerte, bei Celeste Erfolg zu haben. Es war einfach lächerlich! Er musste andere Gründe haben, warum er mit ihr, Emma, seine Zeit verplemperte, doch ihr fiel keine plausible Erklärung ein.

Er selbst musste so gut bei Frauen ankommen, dass er kaum mehr als ein flüchtiges Interesse für Emma hegen konnte. Seine Einladung zu einem Drink im Danieli war nur die typische Geste eines Italieners, der sich höflich entschuldigen wollte, und bedeutete gar nichts. Und als er sie heute Morgen in seinem Palazzo entdeckt hatte, war er sogar ziemlich barsch zu ihr gewesen, als ob er sich von Emmas Anwesenheit dort belästigt gefühlt habe.

Auf einmal hatte die reizvolle Umgebung jeden Glanz verloren. Ein unbehagliches Gefühl stieg in Emma auf. Unsicher sah sie zu Cesare hinüber, der gedankenverloren aufs Meer schaute. Als er aber ihren Blick bemerkte, wandte er sich ihr sofort zu: „Möchten Sie, dass wir zurückfahren?“

„Ich denke, es wird Zeit“, erwiderte sie.

Er erhob sich, ging jedoch nicht nach vorn, sondern blieb direkt vor Emma stehen und betrachtete sie aufmerksam.

„Machen Sie sich nicht kleiner, als Sie sind, Emma Maxwell!“, sagte er sanft. „Sie sind ein nettes Kind, und mit einer gewissen Anleitung könnten Sie außergewöhnlich hübsch sein, wissen Sie das nicht?“

„Ich bin kein Kind“, erwiderte sie trotzig.

Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. „Nein? Nun, vielleicht für junge Männer Ihrer Altersklasse nicht, doch mir erscheinen Sie sehr jung und naiv. Ich kann mich selbst überhaupt nicht daran erinnern, dass ich auch einmal so jung war. Mir kommt es vor, als sei ich schon so alt geboren.“

„Frauen altern schneller als Männer“, wandte sie rasch ein.

„Das stimmt. Aber, wie Sie ganz richtig bemerkten, Celeste steht mir vom Alter her viel näher.“

„Ich habe nicht das Alter gemeint!“, rief Emma mit hochroten Wangen.

Endlich ließ er ihr Kinn los. „Trotzdem sind Sie sehr scharfsinnig.“ Mit diesen Worten ging Cesare wieder nach vorn ans Steuer und ließ den Motor an.

Emma seufzte. So, jetzt hatte sie also selbst gehört: Der Conte fand sie weder besonders attraktiv, noch fühlte er sich sexuell zu ihr hingezogen!

Sie stand ebenfalls auf und stellte sich neben ihn. „Sagen Sie mir bitte ehrlich, warum Sie mich mitgenommen haben.“

„Weil Sie ein nettes Mädchen sind und ich Sie mag.“

„Ist das alles?“

„Was möchten Sie denn gern hören?“ Er lächelte. „Was Ihnen Ihre nette Stiefmutter auch immer über mich gesagt haben mag: Ich gehe keine Beziehungen mit Teenagern ein!“

„Deutlicher kann man es wohl nicht ausdrücken!“, rief Emma, den Tränen nahe. „Oh, ich wünschte, ich wäre niemals hierhergekommen!“

Cesare lachte laut los, und einen Moment lang war sie versucht, ihm ins Gesicht zu schlagen, so wütend war sie.

„Haben Sie denn erwartet, dass ich mit Ihnen flirte?“, fragte er plötzlich so ernst, dass Emma ihn nur sprachlos anstarren konnte. „Sind Sie vielleicht auch nur so eine weibliche Touristin, die nach Venedig kommt, um hier eine Romanze zu erleben, bevor der englische Alltag sie wieder einholt?“

„Natürlich nicht!“ Sie wandte das Gesicht ab. „Ich nehme hiermit zurück, dass ich bei unserer ersten Begegnung geglaubt habe, Sie seien ein Gentleman, Signore!“

Mittlerweile fuhren sie wieder durch die Kanäle, und dank Cesares hervorragenden Ortskenntnissen legten sie kurz darauf am Palazzo an. Ohne darauf zu warten, dass Cesare ihr beim Aussteigen behilflich war, kletterte Emma aus dem Boot, eilte über den Innenhof und öffnete die schwere Eingangstür.

Nachdem sie die Halle durchquert hatte und am Fuß des Treppenaufganges angekommen war, hatte Cesare Emma eingeholt. „Vermutlich sind Sie jetzt wütend auf mich“, neckte er sie.

„Da irren Sie sich“, erwiderte sie kalt. „Ich hege überhaupt keine Gefühle Ihnen gegenüber!“ Hoch erhobenen Hauptes wollte sie stolz die Treppe hinaufschreiten, doch Emmas Sandalen waren bei dem Versuch, möglichst schnell aus dem Boot zu kommen, nass geworden. So rutschte sie auf den glatten Stufen aus und wäre rückwärts die Treppe hinuntergefallen, wenn Cesare sie nicht in letzter Sekunde aufgefangen hätte.

Mit dem Rücken wurde sie eng an seinen harten Körper gepresst. Seine starken Arme schlossen sich wie von selbst um ihre Taille und hielten sie so fest, dass Emmas Knie plötzlich ganz weich wurden. Niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie eine so überwältigende sexuelle Anziehungskraft zu jemandem verspürt, und, nach seinem schweren Atmen zu urteilen, empfand Cesare diesen engen Körperkontakt als ebenso verwirrend. Emma war sich plötzlich sicher, dass er sie küssen würde, wenn sie sich zu ihm drehte, und musste all ihre Kraft aufbringen, um dieser süßen Versuchung nicht nachzugeben.

Plötzlich ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Während ihr eigener Herzschlag ihr laut in den Ohren dröhnte, eilte Emma, ohne sich noch einmal umzuwenden, die Treppe hinauf.

5. KAPITEL

Cesare verließ das Büro von Marco Cortina im Fondaco dei Tedeschi. Dieses Gebäude, früher Handelszentrum deutscher Kaufleute, beherbergte heutzutage unter anderem das Hauptpostamt von Venedig.

Er tauchte zwischen den Touristengruppen, die sich Richtung Rialto-Brücke drängten, unter, denn er hatte nicht das Bedürfnis, ausgerechnet in diesem Stadtviertel gesehen zu werden. Während er die Brücke rechts liegen ließ, eilte er durch ein Gewirr von Straßen zur Piazza San Marco. Cesare wollte sich mit Celeste um elf Uhr in einem der zahlreichen Cafés treffen, die die Piazza säumten.

Wieder einmal wunderte er sich über sich selbst. Wie hatte er bloß zulassen können, dass er und seine Großmutter ausgerechnet jetzt, wo soviel auf dem Spiel stand, Gäste im Palazzo aufgenommen hatten? Doch den Wunsch der alten Contessa abzulehnen, wäre flegelhaft gewesen, und das war nicht seine Art. Also musste er mit dieser Situation irgendwie klarkommen.

Natürlich wusste er genau, was Celeste mit ihrem Besuch hier bezweckte, und um ihr und seiner Großmutter die Stirn zu bieten, hatte er Emma vor zwei Tagen zu dem Bootsausflug mitgenommen. Leider war dieser Versuch gründlich fehlgeschlagen.

Cesare fluchte. Dieser Ausflug war das Dümmste gewesen, was er im Moment hatte tun können, und ihn wahrscheinlich für alle Zeiten der Möglichkeit beraubt, eine normale, harmlose Freundschaft zu diesem Kind aufzubauen.

Kind? Nein, es war nichts Kindliches an ihr gewesen, als er Emma an der Treppe in seinen Armen gehalten hatte, und seine eigene Reaktion auf ihren weichen, fraulichen Körper war die eines erwachsenen Mannes gewesen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass er es unter anderen Umständen sehr aufregend gefunden hätte, eine Affäre mit Emma Maxwell einzugehen. Es stimmte zwar, dass er sich für so junge Frauen noch nie besonders interessiert hatte, doch Emmas aufrichtiger Charakter und ihre Gewissheit, dass er sich ja doch nicht für sie interessierte, reizte Cesare irgendwie, es doch einmal bei ihr zu probieren …

Das andere Problem war Celeste. Sie war schön und sehr reich, und vom Alter her würde sie wunderbar zu ihm passen. Er wusste, dass sie nur darauf wartete, dass er Annäherungsversuche unternahm, doch zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er nicht den geringsten Wunsch, sich darauf einzulassen. Cesare hatte viele schöne Frauen kennengelernt; stets war er der Meinung gewesen, dass Schönheit die Voraussetzung für körperliches Begehren darstellte. Jetzt erfuhr er, dass dies nicht immer so sein musste.

Dieses Kind, diese Emma, war nicht schön, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn, und doch besaß ihr schlanker Körper etwas Erregendes, dessen sie sich überhaupt nicht bewusst war. Ihr helles Haar, das nach Zitronenshampoo duftete, war weich und glänzend wie Seide. Auch ihre Hände waren weich. Cesare ärgerte sich über sich selbst, weil er sich immer wieder fragte, wie sich diese Hände wohl auf seinem Körper anfühlen würden und welche Freuden Emma in seinen Armen erleben könnte …

„Cesare, Cesare!“, murmelte er wütend vor sich hin. „Was für ein Benehmen legst du, ein vierzigjähriger Mann, an den Tag, dass du dich zu einem neunzehnjährigen Teenager hingezogen fühlst!“

Bevor er den Markusplatz erreichte, versuchte er, sich ganz auf das Treffen mit Celeste zu konzentrieren. Vielleicht sollte er wirklich ernsthaft mit ihr anbändeln, schon um seine Gedanken von Emma Maxwell abzulenken. Doch das barg auch Gefahren in sich, obgleich diese ganz anderer Art waren.

Celeste erwartete ihn schon. Sie saß vor einem Campari Soda und rauchte eine ihrer langen Filterzigaretten. Heute trug sie ein hellblaues, eng anliegendes Kleid mit rundem Ausschnitt. Ein Seidentuch war lässig um ihren schlanken Hals geschlungen, ihre rötlichen, halblangen Locken glänzten wie Kupfer. Sie war schön, elegant und wirkte sehr selbstbewusst.

Als Cesare an ihren Tisch trat, sah sie hoch und lächelte erfreut. „Nun, Cesare, Sie sind spät dran. Es ist bereits fünf Minuten nach elf“, tadelte sie ihn sanft.

„Tut mir leid, ich wurde aufgehalten.“ Cesare setzte sich und bestellte beim Kellner ebenfalls einen Campari. Dann wandte er sich wieder Celeste zu. „Können Sie mir noch einmal verzeihen?“

Sie nickte huldvoll. „Aber nur, weil Sie es sind“, sagte sie schelmisch und sah ihn dabei verführerisch an. „Wo sind Sie denn gewesen?“

Cesare hob die Schultern. „Ich musste einer Verpflichtung nachkommen“, erwiderte er knapp.

Als sie ihre Campari ausgetrunken hatten, schlug Celeste vor, die Basilica di San Marco zu besichtigen.

Also mischten sie sich unter die zahllosen Touristen und betraten die Traumwelt venezianisch-byzantinischer Architektur. Riesige antike Marmorsäulen trugen die Kuppel, der gesamte Fußboden war mit farbigen Mosaiken eingelegt. Es gab eine solche Fülle von berühmten Gemälden, Heiligenfiguren und Statuen, dass man gar nicht wusste, wohin man zuerst schauen sollte.

„Ein Teil der Basilika stammt aus dem neunten Jahrhundert“, erzählte Cesare stolz und beobachtete dabei Celeste. Doch ihre Miene drückte nicht das ehrfurchtsvolle Staunen und pure Entzücken aus, das er auf Emmas Gesicht gesehen hatte. Celeste wirkte eher leicht gelangweilt, die Schönheit der Kirche schien sie überhaupt nicht zu berühren.

„So alte Bauwerke sind nicht mein Fall“, gestand sie und seufzte erleichtert auf, als Cesare schließlich meinte, sie hätten genug gesehen, und sie zum Ausgang führte.

Celeste schien zu spüren, dass er über ihr Desinteresse verstimmt war, denn sie meinte: „Habe ich Sie vor den Kopf gestoßen, Darling? Das wollte ich nicht, aber ich bin nun einmal ein modern denkender Mensch. Geben Sie mir Stahl, Glas und Beton, und ich bin zufrieden!“

Cesare hob die Schultern. „Non importa“, entgegnete er.

Sie hakte sich bei ihm ein. „Und was machen wir jetzt? Wollen wir irgendwo essen gehen?“

„Ich denke, wir sollten unseren Lunch im Palazzo einnehmen“, kam die knappe Erwiderung.

Celeste war klug genug, nicht zu widersprechen, bestand aber darauf, eine Gondel zu nehmen.

Nun, jetzt um die Mittagszeit war es nicht so romantisch wie am Abend, doch Celeste war zufrieden, auf den bequemen Polstern zu sitzen und Cesare an ihrer Seite zu spüren. Langsam ruderte der Gondoliere sie durch die Kanäle.

Cesare Vidal sah Celeste an. Von Nahem betrachtet, konnte er die feinen Linien sehen, die sich schon um ihre Augen und den Mund zu bilden begannen, doch trotzdem war sie atemberaubend schön. Aber irgendwie spürte er eine unerklärliche Abneigung ihr gegenüber.

„Cesare“, meinte sie plötzlich, „Sie wissen doch, warum Ihre Großmutter mich eingeladen hat, nicht wahr?“

Er nickte.

„Und?“

Autor

Anne Mather
<p>Ich habe schon immer gern geschrieben, was nicht heißt, dass ich unbedingt Schriftstellerin werden wollte. Jahrelang tat ich es nur zu meinem Vergnügen, bis mein Mann vorschlug, ich solle doch meine Storys mal zu einem Verlag schicken – und das war’s. Mittlerweile habe ich über 140 Romances verfasst und wundere...
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