Julia Exklusiv Band 268

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VORSICHT VOR DIESEM MANN! von OLIVER, ANNE
Neugierig betrachtet Deedee das Foto eines attraktiven Fremden mit dem Schriftzug "Vorsicht vor diesem Mann!". Bald findet sie heraus, wen das Bild zeigt: Cameron Black, den Millionär, der sie aus ihrer Wohnung herausklagt! Als sie vor ihm steht, weiß sie: Dieser Feind ist gefährlich sexy …

ZUCKERWATTE FÜR ZWEI von HARDY, KATE
Daisy ist verzweifelt: Der nostalgische Jahrmarkt ihrer Familie steht vor dem Aus. Nur in den Armen ihrer neuen Liebe Felix, einem vermögenden Unternehmer, findet sie Trost. Doch als sie Felix um Geld bittet, erlischt die Liebe in seinem Blick. Ist nun alles aus?

NOCH EINMAL - MIT VIEL LIEBE! von MARSH, NICOLA
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  • Erscheinungstag 29.01.2016
  • Bandnummer 0268
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707583
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Oliver, Kate Hardy, Nicola Marsh

JULIA EXKLUSIV BAND 268

1. KAPITEL

„Vorsicht vor diesem Mann!“

Deedee O’Flanagan achtete nicht weiter auf die Warnung, die ihre Kollegin vorlas, sondern suchte nach ihrem Lipgloss. „Roz, was auch immer der getan hat – bestimmt hat er es nicht verdient, dass ein Warnhinweis mit Foto in einer öffentlichen Toilette ausgehängt wird.“

Hm, vielleicht doch, dachte sie dann, als sie seine tiefblauen Augen näher betrachtete. Solche Augen konnten einen zu Dingen verleiten, die man normalerweise nicht tat …

„Das kann wohl nur die Frau beurteilen, die das Foto aufgehängt hat“, erwiderte Roz. „Tja, Cameron, du hast sie offenbar echt wütend gemacht. Ich muss allerdings gestehen, dass ich dich ziemlich lecker finde.“

„Ja …“, stimmte Deedee zu. Dunkles Haar, markante Züge, zum Küssen einladende Lippen … sie konnte sich vorstellen, was für einen Körper ein so atemberaubend attraktiver Mann hatte.

„Wenn wir unseren Job behalten wollen, sollten wir lieber raus und diesen ungeduldigen hohen Tieren ihre Getränke bringen“, sagte Roz und ging zur Tür.

Deedee, die ihre Gedanken nur schwer von dem unbekannten Traummann losreißen konnte, nickte.

Cameron Black. Warum kam ihr der Name nur so bekannt vor? Sie verdrängte den Gedanken, trug korallenrotes Lipgloss auf, zwirbelte einige ihrer wie Stacheln hochstehenden blonden Strähnen und versuchte vergeblich, ihr Namensschild gerade zu rücken.

Dann fiel ihr Blick unwillkürlich noch einmal auf den Warnhinweis. Unter dem Foto stand: „Er ist nicht der Mann, für den man ihn hält.“ Einem Impuls folgend, nahm Deedee den Zettel von der Wand ab. Vielleicht hatte die Frau, die ihn aufgehängt hatte, ja übertrieben, weil sie von Cameron enttäuscht worden war. Deedee wusste, dass Paare ihre Beziehung oft unterschiedlich wahrnahmen. Auch wenn Deedee in dieser Hinsicht noch nicht über viel Erfahrung verfügte – es hatte in ihren dreiundzwanzig Lebensjahren bisher erst eine ernsthafte Beziehung gegeben, und zwar keine mit besonders glücklichem Ende.

Angesichts von Camerons attraktivem Gesicht schien es ihr ein Sakrileg zu sein, das Blatt in den Papierkorb zu werfen. Also faltete Deedee es zusammen und schob es in ihre Hosentasche.

Kurze Zeit später eilte sie mit einem Tablett voll Fingerfood durch das vor allem von männlichen Führungskräften besuchte Lokal. Mit einem gewinnenden Lächeln wandte sie sich an eine Gruppe besonders wichtig aussehender Männer. „Möchten Sie Crab Cakes mit Zitronengrassoße probieren? Oder ein Oliven-Käse-Bällchen?“

Wie zu erwarten, ignorierten die Männer sie und sprachen weiter über das Modell, das vor ihnen auf dem Tisch stand. Es handelte sich um ein Bauprojekt, das in Melbournes Innenstadt verwirklicht werden sollte. Einige gierige Finger griffen allerdings trotzdem nach den Häppchen auf Deedees Tablett.

Wie unhöflich! Deedee biss die Zähne zusammen, lächelte jedoch weiter, während sie um die Gruppe herum zur anderen Seite des Tisches ging. Sie hasste diese undankbare Arbeit, bei der man sich so unterordnen musste. Doch sie hatte keine Wahl, es sei denn, sie wollte nach Sydney zurückkehren und zugeben, dass sie einen Fehler gemacht hatte …

„Vielen Dank, Deedee“, sagte eine tiefe, angenehme Stimme. Überrascht blickte Deedee den Mann an, der sich höflich bedankt und sie mit ihrem Namen angesprochen hatte.

„Bitte schön. Ich hoffe, es schmeckt … Ihnen …“ Sie verstummte, als sie in ein paar funkelnde blaue Augen blickte.

Das kann doch nicht wahr sein, dachte Deedee. Aber es stimmte: Vor ihr stand der Mann, dessen Foto sich in ihrer Hosentasche befand. Allerdings sah er noch atemberaubender als auf dem Ausdruck aus. Seine dunkelblauen Augen wirkten fast schwarz, und sein Blick war einzig und allein auf sie, Deedee, gerichtet. Am liebsten hätte sie über die glatte, sonnengebräunte Haut an seinem frisch rasierten Kinn gestrichen …

Der rotbraun-schwarz gemusterte Schlips hob sich vom blendend weißen Hemd ab und lenkte den Blick auf einen muskulösen Hals. Das Haar des Mannes war kürzer als auf dem Foto, und einige Strähnen glänzten kastanienbraun.

Er trug einen anthrazitfarbenen Nadelstreifenanzug, an dessen Schnitt man erkennen konnte, dass er von einem italienischen Designer stammte und sehr teuer gewesen war. Deedee fragte sich, wie sich der Stoff wohl anfühlen mochte, wenn man darüberstrich und vielleicht die Muskeln des Mannes darunter spürte. Ihr Magen krampfte sich ein wenig zusammen, und sie umfasste ihr Tablett fester.

Noch immer lächelnd, schob Cameron Black sich ein Crab Cake in den Mund und wandte sich schließlich ab.

Nein, dachte Deedee unwillkürlich, denn sie hätte die Wärme seines Lächelns gern noch länger genossen. „Sie haben die kleine Krabbenfrikadelle gar nicht in die Soße getunkt“, sagte sie ein wenig zu laut. „Und es war die letzte …“ Er wandte sich wieder zu ihr um, und sie hatte das Gefühl, in seinen dunkelblauen Augen zu ertrinken.

Unwillkürlich malte sie sich aus, sie würde den Finger in die Soße tauchen und ihn ihrem attraktiven Gegenüber zwischen die Lippen schieben …

„Schade“, sagte er. Seine Stimme klang ein wenig tiefer, und seine Augen wirkten noch dunkler, als würde er sich gerade dasselbe wie Deedee vorstellen.

„Wie wäre es mit einem Oliven-Käse-Bällchen? Die haben natürlich eine andere Konsistenz, aber wenn Sie Oliven mögen …“ Errötend verstummte Deedee.

„Ich liebe Oliven.“ Er wandte den Blick nicht von ihr, während er sich ein Bällchen vom Tablett nahm.

„Sind Sie langsam fertig?“ Ein Mann mit dichtem weißem Haar, den Deedee im Stillen Mr Weißschopf taufte, warf ihr über den Rand seiner außergewöhnlich hässlichen Brille einen kurzen Blick zu. „Also, wie ich sagte, Cam …“

„Cam“ hielt Deedees Blick noch eine Sekunde fest, dann blinzelte er verschwörerisch und wandte sich wieder seinen Geschäftspartnern zu.

Cam … Cameron Black, wiederholte Deedee seinen Namen in Gedanken und beobachtete, wie er mit einem langen, schlanken Finger das Modell berührte und den Entwurf erläuterte. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er sie mit diesem Finger berührte – irgendwo …?

Jetzt reiß dich aber mal zusammen, dachte Deedee, bevor du dich noch vollständig lächerlich machst.

Dieser Mann war Projektentwickler in der Baubranche und versuchte mit Größen der Geschäftswelt in Kontakt zu kommen. Statt mit netten Gesprächen verbrachte er seine wertvolle Zeit mit Leuten wie Mr Weißschopf. Zweifellos gehörte er zu den Männern, denen Geldverdienen wichtiger als eine Beziehung war. Deshalb hatte seine Verflossene sicherlich den Warnhinweis aufgehängt.

Als Deedee gehen wollte, fiel ihr Blick auf das Modell. Es stellte das Haus dar, in dem sich ihre Wohnung befand. Schon vor Monaten hatten alle Bewohner einen Räumungsbescheid erhalten, doch Deedee hatte bis jetzt noch keine neue, bezahlbare Wohnung gefunden.

Deshalb war ihr Cameron Blacks Name so bekannt vorgekommen: Jemand aus seinem Unternehmen „Cameron Black Property Developers“ würde sie und einige Familien in drei Wochen auf die Straße setzen. Ein Pfandleihgeschäft und eine Tätowierstube waren den Plänen des umfangreichen Neubauprojekts bereits zum Opfer gefallen.

Erneut wurde ihr heiß, doch diesmal vor Enttäuschung und Empörung über Camerons offensichtliche Gier und seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber Menschen, die sich eine Wohnung in den schickeren Stadtteilen einfach nicht leisten konnten.

Eigentlich hätte Deedee sich auf die Zunge beißen und in die Küche gehen sollen, um Nachschub zu holen. Doch sie hatte noch nie den Mund halten können.

„Entschuldigung.“ Sechs Augenpaare richteten sich auf sie, doch sie konzentrierte sich auf Cameron.

„Haben Sie eigentlich irgendeinen Gedanken an die Bewohner von Nummer 203 verschwendet, die Sie einfach so auf die Straße setzen?“

„Wie bitte?“, fragte Cameron.

Deedee wies auf das Modell. „Ich verstehe nicht, wie Sie nachts noch ruhig schlafen können. Mrs Jacobs hat fünfzehn Jahre in diesem Haus gewohnt und musste dann zu ihrer Tochter nach Geelong ziehen. Clem Mason …“

„Passen Sie auf, was Sie sagen, Fräuleinchen“, warnte Mr Weißschopf sie, aber Deedee würdigte ihn keines Blickes.

„Wissen Sie eigentlich, wie schwer es ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden, Mr Black? Ist Ihnen egal, was aus den Leuten wird, die in dem Gebäude wohnen?“

„Ich wüsste nicht, dass es irgendwelche Schwierigkeiten gibt“, erwiderte Cameron in sachlichem, geschäftsmäßigem Ton.

„Natürlich nicht.“ Solche Sätze hatte er sicher auch zu der Frau gesagt, die den Warnhinweis aufgehängt hatte. „Wahrscheinlich hängt deswegen ein Foto von Ihnen in der Damentoilette“, sagte Deedee lauter als beabsichtigt. Alle um sie herum verstummten.

Um nicht noch mehr Dummheiten zu machen, stellte sie ihr Tablett ab und eilte auf die Damentoilette, die zum Glück leer war. Seufzend lehnte Deedee sich von innen gegen die Tür und vermutete, dass sie ihren Job wohl demnächst verlieren würde.

Sie benetzte sich die Hände und legte sie auf Gesicht und Hals, um sich etwas abzukühlen. Auch wenn ihr Job ihr nicht gefiel, sie brauchte ihn. Warum konnte sie ihre Zunge nicht im Zaum halten? Und weshalb musste dieser Traummann ausgerechnet ihr böser Vermieter sein?

Plötzlich wurde die Tür energisch von einer sehr männlichen, sonnengebräunten Hand aufgestoßen. Vor Deedee stand – Cameron Black. Doch statt sich bedroht zu fühlen, überfiel sie Nervosität und freudige Erregung, die ihren ganzen Körper vibrieren ließen. Verärgert über sich selbst versuchte Deedee, ruhig zu bleiben, und wandte sich zu Cameron Black um. Da Cameron gut dreißig Zentimeter größer war als sie, musste sie den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen. „Ich denke, Sie haben einen Fehler gemacht und sich in der Tür geirrt“, sagte sie.

„Nein, ich glaube eher, dass Sie einen Fehler gemacht haben.“ Seine dunklen Augen funkelten, und seine Stimme klang zwar kühl, war aber dennoch seidenweich. „Man sollte nicht die Menschen beschimpfen, die dafür sorgen, dass Sie nach dieser Veranstaltung bezahlt werden.“

Sein Blick jagte Deedee einen heißen Schauer durch den ganzen Körper. „Ich sage nur die Wahrheit, Mr Black“, entgegnete sie. „Auch wenn mich das oft in Schwierigkeiten bringt …“

„Woher wissen Sie eigentlich, wie ich heiße?“

„Ich vermute, dass das inzwischen die meisten Frauen hier wissen.“

Cameron Black kniff die Augen zusammen und schloss die Tür, damit niemand sie stören konnte. Sein maskuliner Duft schlug Deedee entgegen. Er roch wie Schneeflocken auf Zedernholz. Plötzlich stand er so dicht vor ihr, dass sie seine Körperwärme durch den feinen Stoff seines Hemdes spüren konnte.

Er stützte die Hände rechts und links von Deedees auf den Waschtisch und beugte sich über sie. „Was für ein Spielchen treiben Sie da …“, er schaute auf ihr schief sitzendes Namensschild, obwohl er sich bestimmt an ihren Namen erinnerte, „… Deedee?“

Als sie mit leicht zitternden Fingern das Blatt Papier aus ihrer Hosentasche zog, streifte ihre Hand seine, und sie hatte das Gefühl, ein Stromschlag schieße ihr durch den Arm. „Ich treibe keine … Spielchen.“ Sie drückte ihm das Blatt an die Brust.

Cameron faltete den Zettel auseinander und hielt ihn so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Es war still, und man konnte hören, dass sein Atem schneller ging – offensichtlich vor Wut.

„Der Zettel hing am Spiegel.“

Deedee zuckte zusammen, als Cameron das Blatt zusammenknüllte und es sich in die Tasche schob. Fast hätte sie ihn gebeten, es ihr zurückzugeben … damit sie darauf herumtrampeln konnte, wenn sie in drei Wochen kein Zuhause mehr haben würde.

„Danke, dass Sie den Zettel nicht hängen gelassen haben“, sagte er ruhig. „Ich hatte etwas Ärger mit einer Exfreundin.“

„Ach, wirklich? Haben Sie sie rausgeworfen, wie das so Ihre Art ist?“

„Nein, sie hat mich auf die Straße gesetzt.“

Deedee wollte etwas Sarkastisches entgegnen, doch seine absolut ausdruckslose Stimme hielt sie davon ab. Er verdrängt den Schmerz, dachte sie und schob die Hände in die Hosentaschen, um nicht die Arme nach Cameron auszustrecken. Denn sie wusste sehr gut, wie weh es tat, verlassen zu werden.

Energisch rief sie sich in Erinnerung, dass es sich bei Cameron Black um ihren bösen Vermieter handelte. Zugegeben, er war auch ein verführerischer Traummann im Nadelstreifenanzug, aber sein Leben wurde von Gier bestimmt. Deedee beschloss, sich aus dem Staub zu machen, damit sie nicht noch weitere Dummheit beging oder noch auf die Idee kam, Mitleid mit Cameron zu haben – oder Sex auf dem Waschtisch. Sie drehte sich Richtung Tür.

Energisch versperrte Cameron ihr den Weg, und Deedee sah ihn mit großen silbergrauen Augen argwöhnisch an. Sie war eine zierliche, fast zerbrechliche Frau, aber mutig. Das gefiel ihm.

Sie hatte sich durch das kurze blonde Haar gestrichen, das nun in alle Richtungen von ihrem Kopf abstand. Mit dem Namensschild, das schief über einer ihrer kleinen festen Brüste saß, erinnerte sie ihn an eine etwas aus der Fasson geratene Waldelfe. Cameron fühlte sich ganz unerwartet und sehr heftig von ihr angezogen.

Er zwang sich jedoch, sachlich zu bleiben. „Möchten Sie mitkommen und mit den anderen Investoren über Ihre Bedenken sprechen?“

„Mit diesem reizbaren alten Mann? Das hat doch keinen Sinn. Außerdem muss ich noch eine halbe Stunde arbeiten, und im Gegensatz zu anderen Leuten brauche ich das Geld.“ Sie schnaubte verächtlich. „Leute wie Sie kaufen einfach ganze Häuserblöcke auf, nehmen unzähligen Menschen ihr Zuhause und nennen das dann ‚Bauprojekt‘. In Wirklichkeit ist es reine Geldgier.“

„Es ist keine …“, begann Cameron, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Sie interessieren sich überhaupt nicht für das Schicksal der Menschen, die in den Häusern wohnen, die Sie betreuen.“

Einen kurzen Moment lang tauchte ein Bild aus der Vergangenheit vor Camerons innerem Auge auf. Schnell verdrängte er diesen Gedanken und ballte die Hände zu Fäusten. Für den Reichtum und die Anerkennung, die er jetzt genoss, hatte er viele Jahre hart gearbeitet. „Sie wissen doch gar nichts über mich.“

„Sie sind mir in die Damentoilette gefolgt. Das allein verrät schon viel über sie – und nicht unbedingt Schmeichelhaftes.“

Deedee sah ihn mit funkelnden Augen an. Cameron hatte das Gefühl, ein heftiger, heißer Energiestoß würde ihn durchzucken. In seinen zweiunddreißig Lebensjahren hatte noch nie eine Frau eine solche Reaktion in ihm ausgelöst. Wenn er diese Leidenschaft an eine andere Stelle leiten könnte … Heftiges Begehren erfasste ihn, als er sich vorstellte, an welcher Stelle seines Körpers er Deedees zarte Hand mit den farblos lackierten Nägeln gern spüren würde.

„Warum haben Sie den Zettel mit meinem Foto eigentlich aufgehoben und ihn nicht weggeworfen?“

Sie senkte den Blick, während ihre Wangen einen entzückenden Rosaton annahmen. „Ich … ich habe nicht nachgedacht.“ Dann stieß sie ihm plötzlich gegen die Brust und sagte: „Und jetzt gehen Sie mir bitte aus dem Weg!“

Cameron hatte das Gefühl, die Berührung würde ihm die Haut verbrennen. Der Impuls, ihre Hand festzuhalten und an seinen Oberkörper zu pressen, war sehr stark, doch Cameron machte einen Schritt zur Seite. Als er beobachtete, wie Deedee zur Tür marschierte und sie aufriss, verrieten ihm ihre geröteten Wangen, dass auch sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Eigentlich hätte er erleichtert sein sollen, dass sie ging, doch stattdessen fragte er sie nach ihrer Telefonnummer.

Die Hand an der Türklinke, starrte Deedee ihn fassungslos an.

„Vielleicht werde ich Anzeige gegen meine Ex erstatten“, erklärte Cameron.

„Das schaffen Sie sicher auch ohne meine Hilfe.“ Deedee schnaufte verächtlich und verließ die Damentoilette.

Er sog Deedees sinnlichen Duft ein und war erstaunt, wie sehr ihn ihre Reaktion störte. „Stimmt, ich brauche Ihre Hilfe nicht.“

Plötzlich tauchte ihr elfenhaftes Gesicht noch einmal im Türrahmen auf. „Vielleicht hat Ihre Ex dem Rest der Frauen ja einen Gefallen getan“, sagte sie. „Sie waren offenbar nicht der Mann, für den sie Sie gehalten hat.“

Sie musterte ihn kühl von oben bis unten und fügte hinzu: „Wenn man bedenkt, dass Sie sich gerade auf der Damentoilette aufhalten, kann man sich schon fragen, was Ihre Ex mit dem Satz ‚Er ist nicht der Mann, für den man ihn hält‘ gemeint hat.“

Cameron machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er wusste nur zu gut, was Katrina gemeint hatte.

Als sie zu Hause ankam, war Deedee immer noch sicher, dass es richtig gewesen war, Cameron Black nicht ihre Telefonnummer zu geben. Er war der gefährlichste Mann, dem sie je begegnet war. Ihm gehörte das Haus, in dem sie wohnte, und er wollte es abreißen lassen. Dennoch übte er eine stärkere Anziehung auf sie aus als je ein anderer Mann.

Sie hatte noch nicht ihren Mantel ausgezogen, als das Telefon klingelte. Dabei war es schon nach Mitternacht. Deedee schaute auf das Display des Telefons und sah, dass der Anruf von Donna, einer guter Freundin und Mutter eines Kleinkindes, stammte. Deshalb nahm sie das Gespräch an.

„Ich habe mir das Bein gebrochen“, sagte Donna mit erstickter Stimme. „Trent kommt erst in zwei Wochen zurück. Kannst du mir helfen und dich um Fraser kümmern?“

Müde rieb Deedee sich die Augen. Donna wohnte im Yarra Valley, mehrere Stunden von Melbourne entfernt. Deedee hatte sie kennengelernt, als sie ehrenamtlich für einen Verein in Sydney gearbeitet hatte, der Kinder aus armen Familien täglich mit Frühstück versorgte. Donna war dort ebenfalls tätig gewesen. Dann hatte sie geheiratet und war mit ihrem Mann Trent, der häufig auf einer Bohrinsel arbeitete, nach Victoria gezogen.

Mit meinem altersschwachen Auto kann ich unmöglich zwischen Victoria und Melbourne pendeln, überlegte Deedee. Aber ich muss doch zur Arbeit – falls ich überhaupt noch einen Job habe!

Sie ließ den Blick über das Chaos in ihrer Wohnung und die Umzugskartons, die sie schon gepackt hatte, schweifen und dachte an ihre Freundin, die Hilfe brauchte. „Ich komme so schnell wie möglich“, sagte Deedee, legte auf und stopfte eilig ein paar Kleidungsstücke in zwei Einkaufsbeutel. Immerhin waren alle Wertsachen und Papiere schon in Umzugskisten verstaut. Außerdem hatte Deedee ja noch drei Wochen Zeit, bis sie die Wohnung räumen musste. Wenn sie für zwei Wochen zu Donna nach Victoria zog, blieb ihr noch eine Woche, um alles einzupacken und eine Wohnung zu finden. Ein schwieriges Unterfangen, aber nicht unmöglich. Deedee durfte Donna jetzt nicht im Stich lassen. Cameron Black und seine Planierraupen würden notfalls ein Weilchen warten müssen.

Cameron wusste nicht, was ihm mehr an die Nieren ging: dass Katrina ihn bis zu einem geschäftlichen Treffen verfolgt und dort ihr Gift versprüht hatte oder dass eine sehr ansprechende Person namens Deedee dies in einem entscheidenden Moment der Verhandlungen herausposaunt hatte.

Bei Bill Smith benötigte man diplomatisches Feingefühl, und obwohl der Mann ihm auf die Nerven ging, brauchte Cameron seine Hilfe, um mit der Kommune alles zu klären. Vermutlich hätte er sich Bills Unterstützung schnell sichern können, wenn Deedee O’Flanagan nicht ins Gespräch geplatzt wäre. So hatte Cameron trotz der ohnehin knappen Zeit ein weiteres Treffen anberaumen müssen, um den älteren Mann schließlich zu überzeugen.

Cameron blickte aus seinem Fenster auf das Telstra-Stadion und den Yarra River. Es war leicht gewesen, Deedee O’Flanagans Telefonnummer herauszufinden. Auch Bill hatte offenbar bei dem Catering-Unternehmen angerufen, um sich über Deedee zu beschweren, denn man hatte Cameron mitgeteilt, dass man „diese Dame“ bereits entlassen habe.

Miss O’Flanagan wohnte in dem Gebäude, das umfangreich renoviert werden sollte. Alle Bewohner hatten bereits vor einigen Monaten einen Räumungsbescheid bekommen, und die meisten waren inzwischen ausgezogen. Eigentlich alle – bis auf Miss O’Flanagan.

Cameron seufzte. Deedee hatte ihren Job verloren, weil sie den Mut gehabt hatte, für ihre Überzeugungen einzutreten, auch wenn das in diesem Fall unangebracht gewesen war. Und sie hatte den Zettel abgenommen, auf dem sein Foto zu sehen war. Offensichtlich sorgte sie sich um andere Menschen – sogar um ihn.

Er hätte ihr das Renovierungsprojekt erläutert, wenn sie ihm nur eine Sekunde lang zugehört hätte. Und was ihre Lebensumstände betraf … vielleicht konnte er ihr ja helfen, in einem seiner Gebäudekomplexe eine Wohnung zu finden.

Die sollte aber am anderen Ende der Stadt sein, ermahnte ihn seine innere Stimme. Je weiter weg, desto besser. Denn er ahnte, dass diese kleine Elfe alles, was er sich im Laufe der Jahre aufgebaut hatte, ganz leicht zum Einsturz bringen konnte – mit einem einzigen Blick ihrer silbergrauen Augen oder einem Wort aus ihrem verführerischen Mund.

2. KAPITEL

Zwei Wochen später

Dieser Abend war eine einzige Katastrophe.

Es goss in Strömen, und Deedee kam nicht in ihr Apartment. Man hatte das Gebäude eine Woche früher als angekündigt verschlossen. Es war also einzig und allein Cameron Blacks Schuld, dass sie nun zusammengekauert auf den Stufen vor der Haustür saß und überlegte, wie sie ihm einen langsamen, schmerzhaften Tod bereiten könnte – nachdem sie ihre Sachen aus ihrem Apartment geholt hatte.

Ihr Auto hatte Deedee am anderen Ende der Stadt stehen lassen müssen, nachdem es einen Totalschaden gehabt hatte. Die notwendigen Reparaturen würde sie nicht bezahlen können: Sie hatte keinen Job mehr, was sie erfahren hatte, als sie ihrem Arbeitgeber hatte mitteilen wollen, warum sie für zwei Wochen ausfallen würde.

Deedee betrachtete es als mittleres Wunder, dass sie es mit zwei Beuteln voll Kleidung und einem Karton, in dem eine ausgesetzte Katze hockte, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis hierher geschafft hatte. Doch nun kam sie weder in ihre Wohnung, noch konnte sie jemanden anrufen. Denn als sie zwei Wochen zuvor überstürzt zu Donna aufgebrochen war, hatte sie ihr Handy zu Hause liegen lassen.

Wasser tropfte auf Deedees Füße, Straßenbahnen schlängelten sich durch den dichten Verkehr, und Passanten mit Regenschirmen hasteten an Deedee vorbei. Als ihr Essensduft aus einem asiatischen Imbiss in die Nase stieg, hätte sie alles für eine Portion gebratenen Reis gegeben.

Zumindest war es auf der obersten Stufe relativ trocken. Deedee holte eins der Thunfisch-Sandwiches heraus, die sie gekauft hatte, und fütterte das Kätzchen durch ein Loch im Karton.

„Alles wird gut“, beruhigte sie es und biss auch einmal vom Sandwich ab, während sie immer wütender wurde. „Wir beide lassen uns nicht unterkriegen!“

Endlich. Abrupt blieb Cam stehen und betrachtete Deedee unter seinem großen schwarzen Schirm hervor. Sie schaute gerade nach oben. Durch ihre Kopfhaltung wurde Cams Blick auf ihren zarten Hals gelenkt. Unwillkürlich fragte er sich, wie es sich anfühlte, mit dem Finger über die seidenweiche Haut zu streichen …

„Hier ist es?“

Die barsche Stimme des Möbelpackers riss Cam aus seinen Gedanken. Er nickte und reichte dem Mann die Schlüssel, während er die Stufen hinaufstieg. „Apartment Nummer sechs.“

Als er sich näherte, blickte Deedee argwöhnisch zu ihm. Dann erst erkannte sie ihn. „Sieh an, der große Cameron Black höchstpersönlich“, sagte sie verächtlich und stand auf. „Was ist hier eigentlich los?“

„Das frage ich mich auch, Miss O’Flanagan. Immerhin versuche ich schon seit zwei Wochen, Sie zu erreichen.“

„Warum?“ Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. „Ein persönlicher Notfall zwang mich zu ungewöhnlichen Maßnahmen.“

„Ihre persönlichen Notfälle reißen leider nicht ab. Ich war leider gezwungen, die Möbelpacker herzubestellen. Wenn Sie mir nicht mitteilen können, wohin ich Ihre Möbel bringen lassen soll, muss ich alles einlagern lassen“, erwiderte Cameron höflich.

„Aber ich habe doch noch eine Woche Zeit!“

„Nein, Miss O’Flanagan. Und das wüssten Sie auch, wenn Sie mal ans Telefon gegangen wären.“

„Ich habe mein Telefon zurzeit nicht bei mir.“ Als Deedee den Möbelwagen und die wartenden Möbelpacker erblickte, wurde ihr heiß und kalt. „Leider habe ich meinen Job verloren – dank des Abends neulich. Wie soll ich mir denn die Miete für ein neues Apartment leisten können? Ich brauche mehr Zeit.“

Er schüttelte den Kopf. „Die Bauarbeiten fangen morgen früh an.“

Morgen früh? Na super.“ Deedee zog einen Schmollmund, den Cameron am liebsten geküsst hätte.

Sofort unterdrückte er diesen Impuls. Verdammt, dachte er, irgendwie gelingt es ihr, es so aussehen zu lassen, als sei ich schuld an ihrer Situation. Cameron überkamen Schuldgefühle. Immerhin hatte Deedee dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Menschen Katrinas „Warnhinweis“ gelesen hatten, weil sie den Zettel beherzt abgenommen hatte.

„Können Sie nicht bei Freunden unterkommen?“, fragte er.

„Ich bin erst vor einigen Monaten nach Melbourne gezogen und kenne kaum jemanden.“

„Aber die letzten Wochen haben Sie ja auch irgendwo gewohnt.“ Bei einem Mann etwa? Cameron wollte lieber nicht darüber nachdenken.

„Aber nicht in Melbourne – was Sie eigentlich gar nichts angeht. Außerdem habe ich noch eine Woche Zeit! Ich habe telefonisch um Aufschub gebeten und ihn auch bekommen.“ Ihre leicht hysterische Stimme durchschnitt die von Abgasen schwere Luft.

„Das muss ein Missverständnis sein.“ Cameron ging an Deedee vorbei, schloss die Tür auf und rief Möbelpacker herein.

Deedee nahm ihre Beutel und den Karton mit der Katze und drängte sich an Cameron vorbei in den schmalen Gang. Cameron beschloss, sie die Wohnungstür selbst aufschließen zu lassen, um ihr nicht die letzte Würde zu nehmen. Drinnen angekommen, ließ er den Blick über die Kartonstapel im winzigen Wohnzimmer wandern. Offenbar hatte Deedee schon angefangen zu packen. Und dem Geruch nach zu urteilen, den eine Packung saurer Milch in der Spüle verströmte, hatte es wohl tatsächlich einen Notfall gegeben.

Deedee stellte ihre Sachen ab und marschierte zum Kühlschrank, an dem ein Kalender hing. „Räumung“ hatte sie in riesigen roten Buchstaben eingetragen, verziert mit Blutstropfen. Allerdings war das falsche Datum markiert.

Offenbar hatte sie ein ausgeprägtes Talent, sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Doch bezüglich einer Sache hatte sie recht: Egal, mit wem sie über einen Aufschub gesprochen hatte – letzten Endes musste Cam als ihr Vermieter zum Wort eines seiner Angestellten stehen.

„Wie wäre es, wenn wir einen Kaffee trinken und die Möbelpacker ihre Arbeit machen lassen?“, schlug er vor. „Vielleicht fällt uns ja eine Lösung ein.“

„Ich werde die beiden nicht aus den Augen lassen!“ Deedee warf den Männern einen finsteren Blick zu.

„Fangen Sie mit den Möbeln an“, wies Cam sie an. Dann wandte er sich wieder Deedee zu. „Packen Sie ein, was Sie in nächster Zeit brauchen. Wollen Sie sich nicht bei Ihren Kollegen umhören, ob Sie ein paar Tage bei einem von ihnen unterkommen können?“

Deedee warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Dann nahm sie Karton und Beutel, ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Cameron sah zu, wie die Möbelpacker die Möbel, die alt und teilweise kaputt waren, hinausschafften, während er einen Anruf tätigte, um einen Dinnertermin zu verschieben.

Fünf Minuten später tauchte Deedee wieder auf. „Ich habe sämtliche Kolleginnen angerufen: Eine hat gekündigt und ist weggezogen, eine lebt mit ihrer Tante zusammen in einer Einzimmerwohnung, und die anderen wohnen in Hostels. Aber ein paar meiner Sachen kann und werde ich nicht einlagern lassen. Sie sind einfach zu wertvoll.“ Sie biss sich auf die Lippe und schien den Tränen nahe zu sein.

„Gut. Stellen Sie die Sachen beiseite, dann lasse ich sie in mein Apartment bringen. Dort sind sie sicher.“

„Auf gar keinen Fall!“

„Du meine Güte, jetzt seien Sie doch vernünftig! Wir werden schon eine Übernachtungsmöglichkeit für Sie finden. Überlassen Sie das mir.“

Sie atmete hörbar aus. „In Ordnung. Aber sollte irgendetwas von meinen Sachen wegkommen, werden Sie nichts zu lachen haben.“

Nach einer knappen Dreiviertelstunde waren sämtliche Gegenstände aus dem Apartment geräumt. Die Dinge, an denen Deedee besonders hing, wurden zu Cam gebracht. Er schloss ab und ging die Stufen hinunter. Als er feststellte, dass Deedee ihm nicht folgte, drehte er sich um. Mit zwei Beuteln und einem Karton stand sie mit hängenden Schultern da und wirkte winzig in ihrem abgetragenen Mantel, der in den Achtzigern vielleicht einmal modern gewesen war.

Am liebsten wäre er hinaufgerannt und hätte Deedee in die Arme geschlossen. Denselben Impuls hatte er auch immer gehabt, wenn seine jüngere Schwester, vollgepumpt mit Drogen, in der Morgendämmerung nach Hause zurückgekehrt war.

„Gehen wir“, sagte er ungeduldig, als Deedee sich nicht rührte. Auch Amy hatte seine Hilfe nie gewollt. „Hier können Sie nicht bleiben!“

„Haben Sie vielleicht einen besseren Vorschlag?“ Deedees Augen funkelten herausfordernd.

Sie könnten bei mir im Bett schlafen, dachte Cameron und malte sich unwillkürlich aus, wie ihre widerspenstigen Haare ihn an der Nase kitzelten, während sie auf ihm lag und genießerisch die Augen schloss … Schnell riss er sich zusammen und sagte ein wenig steif: „Ich werde Ihnen für heute Abend ein Hotelzimmer buchen. Morgen überlegen wir uns dann eine andere Lösung.“

„Ich kann nicht ins Hotel“, entgegnete Deedee sofort. Ihr Blick wanderte zu dem Karton, aus dem ein kratzendes Geräusch zu hören war. „Ich habe auf dem Weg hierher eine ausgesetzte Katze gerettet, die ich unmöglich mit ins Hotel nehmen kann. Außerdem brauche ich Futter und ein Katzenklo.“

Sie blickte Cameron in die Augen und fügte hinzu: „Und schlagen Sie mir jetzt bloß nicht vor, ich soll sie ins Tierheim bringen. Das kommt überhaupt nicht infrage.“

„Heißt das, Sie würden wegen einer Katze die ganze Nacht hier auf der Treppe verbringen?“

„Ja.“ Sie zog den Karton enger an sich. „Auch wenn Sie kein Herz haben, Cameron Black – ich werde dieses Tier beschützen, was immer es kostet.“

„Unglaublich.“ Cam schüttelte den Kopf. Deedee war entweder unglaublich naiv oder unglaublich wagemutig, vielleicht auch beides. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er die Dinge vorantreiben musste, sofern er es noch zu seinem Dinner schaffen wollte. Ohne sie anzusehen, ging er zurück und nahm ihre vollgestopften Beutel.

„Wohin wollen Sie mit meinen Sachen?“

„Zu mir nach Hause.“

„Nein!“, rief Deedee und wollte nach den Beuteln greifen, doch Cameron war schon losgegangen.

Nein, sie wollte auf keinen Fall in das Apartment von „Vorsicht vor diesem Mann!“, wo er frühstückte oder halb nackt Sportsendungen im Fernsehen sah. Sie wollte nicht wissen – bei diesem Gedanken setzte ihr Herz einen Schlag aus –, ob er allein schlief.

„Halt!“, rief sie, doch Cameron ließ sich nicht davon beeindrucken.

„Sie kommen jetzt mit zu mir. Ich habe keine Zeit, mich darüber zu streiten.“

Mit zu ihm nach Hause, dachte Deedee. Sie wusste doch gar nichts über ihn – außer dass ihr bei seinem Anblick immer heiß und kalt wurde. Sie rannte ihm nach und riss an einem Beutelhenkel, der daraufhin durchriss.

Einige Wäschestücke fielen in eine Pfütze, unter anderem ein ziemlich alter Tangaslip, auf dem in verwaschener, aber noch lesbarer Schrift „Versuchung“ stand.

O nein, dachte Deedee und bückte sich schnell, um den Slip aufzuheben. Zu spät: Er baumelte bereits von Camerons Zeigefinger.

Errötend richtete sie sich wieder auf, fluchte leise und riss ihm das winzige Wäschestück aus der Hand, wobei sie jeglichen Körperkontakt tunlichst vermied. Während sie die übrigen Kleidungsstücke aufhob, tropfte ihr der Regen aufs Haar, bis Cameron seinen Schirm über sie hielt und sich selbst den Wassermassen aussetzte.

„Das ist alles Ihre Schuld!“, rief Deedee aufgebracht.

„Soll das heißen, ich bin dafür verantwortlich, dass Sie Pech haben?“

Ihr durchdringender Blick traf ihn mit der Wucht eines D-Zuges. „Ja. Seit ich Sie kennengelernt habe, ist mein Leben ein einziger Albtraum!“

Cameron schaute sie mit seinen tiefblauen Augen schweigend an. Auf seinem teuren Wollmantel glitzerten die Regentropfen wie Diamanten, und Deedee nahm den markanten Geruch seines teuren Aftershaves wahr.

Sie dachte noch einmal über sein Angebot nach und musste zugeben, dass es wirklich sehr großzügig war. Oder hatte sie da etwas falsch verstanden? „Nur damit wir uns nicht missverstehen – was genau schlagen Sie vor?“, fragte sie nach.

„Sie haben keine Unterkunft, und dafür trage ich wohl tatsächlich die Verantwortung. Also ist mein Apartment die plausible Lösung.“

„Und was ist mit meinem pelzigen kleinen Freund hier? Ohne ihn werde ich nirgendwo hingehen.“

Stirnrunzelnd betrachtete Cameron den Karton. „Also gut, Sie können ihn mitnehmen und sich dann morgen nach einer geeigneteren Unterkunft umsehen.“

Deedee seufzte. Sie hatte keine andere Wahl, und außerdem ging es ja nur um eine einzige Nacht. In einem Bett schlafen können, in Sicherheit sein …

Sie beging den Fehler, Cameron noch einmal anzuschauen. Seine dunklen Augen und sein sinnlicher Mund faszinierten sie zutiefst. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wohl wäre, diesen Mund zu spüren …

Ob sie bei ihm wirklich in Sicherheit wäre?

„Also gut. Vielen Dank“, sagte sie und bemühte sich, ihre Stimme normal klingen zu lassen. „Aber ich muss auf dem Weg dorthin noch in eine Zoohandlung.“

Cameron nickte, klemmte sich den Beutel mit dem abgerissenen Henkel unter den Arm und rief Davis an, den Sicherheitswachmann seines Apartmentgebäudes, um ihn zu informieren, dass gleich Kartons einer gewissen Deedee eintreffen würden.

Als sie dann neben ihm auf den weichen Lederpolstern saß und Camerons Aftershave roch, kam ihr der riesige Wagen plötzlich gar nicht mehr so groß an. Trotzdem versuchte Deedee, so viel Abstand wie möglich zu Cameron zu halten. Sie beruhigte die immer unruhiger werdende Katze und war froh, sich auf etwas anderes als auf Camerons Nähe konzentrieren zu können.

„Diese Person, bei der Sie die letzten Wochen waren … bei der können Sie also nicht einige Tage unterkommen?“, fragte er.

„Nein“, erwiderte Deedee und ließ ihn absichtlich im Unklaren darüber, in welcher Beziehung sie zu dieser „Person“ stand. „Victoria ist weit weg, und ich arbeite ja hier in Melbourne.“ Sofern sie wieder einen Job finden würde.

Denn Deedee musste sich selbst etwas beweisen – sich und ihrer Familie, der sie leider erzählte hatte, sie würde in einer Galerie arbeiten und in einem tollen Apartment mit Blick auf den Yarra River wohnen. Nach ihrem Schulabschluss hatte sie mehrere Jahre im Ausland gelebt. Als sie zurückgekehrt war, hatte ihre Familie ihr mitgeteilt, dass sie sie finanziell nicht unterstützen würde, wenn sie nicht studierte. Daraufhin hatte Deedee ihre Eltern beim Wort genommen und war ausgezogen.

Ihre Familie betrachtete ihre Begeisterung für Textildesign als reine Zeitverschwendung. Kreativität hatte in ihren Augen keinen Wert, da Künstler kaum Geld verdienten. Deedee wollte ihnen das Gegenteil beweisen und zeigen, was in ihr steckte. Doch bis zu ihrem großen Durchbruch blieb ihr nichts anderes übrig, als zu kellnern. Oder es mit etwas anderem zu versuchen, dachte sie seufzend.

Nachdem sie Futter und Streu für die heimatlose Katze besorgt hatte, bei der es sich eigentlich um einen Kater handelte, wie Deedee in der Zwischenzeit festgestellt hatte, folgte Deedee Cameron in ein luxuriöses Apartmentgebäude. Als sie in seinem Penthouse ankamen, blieb sie überrascht stehen, denn eine so kühle, unpersönliche Einrichtung hatte sie nicht erwartet.

Fast alles hier war weiß: Blendend weiße Sofas standen auf weißen Marmorfliesen, auf denen auch noch ein schwarzer Läufer lag. Es gab einige Glastischchen, auf denen sich kleine Lämpchen mit dunklen Lampenschirmen befanden. Steingraue Vorhänge rahmten deckenhohe Fenster ein, durch die man einen atemberaubenden Blick auf Melbourne hatte.

Nichts lag oder stand in der Wohnung herum: keine Kaffeetasse, kein Fernsehprogramm oder ein Buch. Es gab nichts, was dem Raum eine gemütliche, wohnliche Atmosphäre verlieh. Vermutlich verbringt Cameron Black nicht viel Zeit hier, dachte Deedee.

„Einen tollen Blick hat man von hier“, stellte sie fest und ging zum Fenster. „Man kann bestimmt wunderschöne Sonnenuntergänge genießen – wenn man sich die Zeit nimmt, hinzuschauen.“

„Sonnenaufgänge“, korrigierte Cameron sie und stellte Deedees Beutel ab. „Die Fenster gehen nach Osten. Und ja, ich nehme mir durchaus die Zeit.“

„Ich hätte nicht vermutet, dass Sie Sinn für so etwas haben.“

„So sind Sie halt: Sie bilden sich in Sekundenschnelle ein Urteil über andere Menschen, ohne alle Fakten zu kennen. Sie sind impulsiv, sehr emotional – und sehen nur, was Sie sehen wollen.“

Dieses schonungslose Urteil wollte Deedee nicht auf sich sitzen lassen. „Und Sie sind kühl und berechnend. Dabei zeigen Sonnenaufgänge doch den neuen Tag und einen Neubeginn an. Denken Sie nur an die Hoffnung, die sich mit einem solchen Neuanfang verbindet, und … oh, du meine Güte …!“

Sie verstummte, weil ihr Blick auf ein großformatiges Kunstwerk fiel. Ohne eine Sekunde lang den Blick davon abzuwenden, zog sie ihre Lesebrille aus der Tasche und trat näher an das Kunstwerk heran, um es genauer in Augenschein zu nehmen.

Es handelte sich um einen asymmetrischen Wandteppich, der fast die gesamte Fläche der Wand bedeckte. Er zeigte einen Wald, der aus farbigen Fäden bestand, auf den Schneeflocken fielen, die aus silbernen Fäden und Perlen gemacht waren. Deedee konnte nicht widerstehen: Sie berührte den Wandteppich und strich darüber.

„Ein Original Sheila Dodd. Der muss ja ein Vermögen wert sein!“

„Das stimmt. Kennen Sie ihr Werk?“ Cameron klang, als könnte er nicht glauben, dass jemand wie Deedee Werke von Künstlern wie Sheila Dodd erkannte.

„Sie inspiriert mich.“

„Und wobei?“

„Bei meiner Arbeit.“ Deedee betrachtete erneut das Kunstwerk, erwähnte jedoch nicht, dass sie ähnliche Stücke wie die renommierte australische Künstlerin schuf. „Ich liebe es, Dinge zu kreieren, seien es nun Speisen, Kleidungsstücke oder Stoffmuster.“ Nach einem kurzen Blick auf Cameron fragte sie: „Das überrascht Sie wohl, oder?“

„Bei Ihnen überrascht mich schon lange nichts mehr.“

Er sah sie mit einem Blick an, den sie nicht deuten konnte oder wollte und der sie sehr nervös machte. „Schade, dass die Einrichtung so … so wenig farbig ist“, sagte sie.

„Meinem Innenarchitekt hat’s gefallen“, erwiderte Cameron und fragte dann: „Was würden Sie denn ändern?“

„Es ist natürlich nur meine persönliche Meinung, aber finden Sie nicht, dass diese Wohnung nichts über Sie selbst aussagt?“ Als er schwieg, schaute sie sich um und erklärte: „Hier fehlen persönliche Dinge wie Fotos, Erinnerungsstücke oder formschöne Sachen, um eine gemütliche Atmosphäre zu schaffen. Rote oder apricotfarbene Kissen, warmes Licht und stimmungsvolle Musik.“

Camerons Blick, der weiterhin auf ihr ruhte, verunsicherte Deedee. Um das zu überspielen, stellte sie den Karton ab, nahm den Kater heraus und barg das Gesicht in seinem weichen Fell.

„Mir gefällt meine Einrichtung“, sagte Cameron. „Das Gästezimmer ist dort drüben“, fügte er hinzu. „Es verfügt über einen Wintergarten. Bitte achten Sie darauf, dass sich die Katze nur dort aufhält.“

Deedee folgte Cameron einen breiten Flur entlang. Plötzlich blieb Cameron stehen und wies auf eine offen stehende Tür. In dem Zimmer standen einige Fitnessgeräte und Deedees Kartons. „Davis, der Sicherheitswachmann, hat Ihre Sachen dort hineinstellen lassen.“

Er öffnete eine weitere Tür, in der sich ein großes Doppelbett mit creme- und goldfarbenem Überwurf befand. „Wie Sie sehen, stehen Ihre Sachen hier.“

„Ja“, sagte Deedee in das angespannte Schweigen hinein und dachte insgeheim, dass sie ihr Urteil über Cameron vielleicht doch revidieren musste. Wie viele Menschen würden schon einer praktisch Fremden Unterschlupf gewähren? „Danke“, fügte sie leise und verlegen hinzu.

Cameron nickte und blickte auf die Uhr. „Da ich wahrscheinlich nicht vor Mitternacht heimkehre, schlage ich vor, Sie machen es sich gemütlich. Falls Sie Hunger haben sollten, nehmen Sie sich einfach etwas aus dem Kühlschrank.“

„Ich … vielen Dank noch einmal. Gute Nacht.“ Deedee betrat das Gästezimmer und schloss schnell die Tür hinter sich.

Als Camerons Schritte sich entfernten, streichelte sie noch einmal den Kater. „Ich glaube, ich werde dich Charlie nennen. Was hältst du davon, Charlie: Thunfisch für dich und ein heißes Bad für mich“, sagte sie betont fröhlich. Doch sie war alles andere als heiter. Bei dem Gedanken, in was für eine Lage sie sich gebracht hatte, krampfte sich ihr Magen zusammen.

3. KAPITEL

Als Cam seine letzte E-Mail las, war es nachts um halb eins – Deedee würde sicher schon schlafen. Er war nach dem Dinner extra noch einmal ins Büro gefahren, damit er ihr nicht noch einmal gegenübertreten musste. Er hatte keine Lust, die Frau zu treffen, die sich in seine Träume geschlichen und sein Verlangen geweckt hatte, seit er ihr vor Wochen das erste Mal begegnet war.

Er schaltete den Computer aus, strich sich über den Nacken und malte sich unwillkürlich aus, wie Deedee sich im Whirlpool des Gästebads entspannte, aus einer seiner Tassen trank und sich in dem Raum, der sich direkt neben seinem Schlafzimmer befand, ins Bett kuschelte.

Cameron kochte sich einen Kaffee und blätterte am Schreibtisch seiner Sekretärin in einer Zeitschrift, um sich abzulenken. Wieder fiel ihm Deedee ein, die ihm nicht gesagt hatte, dass sie ihren Job verloren hatte. Vielleicht hatte sie schon einen neuen gefunden, doch das bezweifelte er. Deedee O’Flanagan machte die Dinge auf ihre Weise. Ob sie verantwortungslos war, wollte Cameron nicht beurteilen. Doch er war tatsächlich überrascht gewesen, als sie das Kunstwerk von Sheila Dodd erkannt hatte.

Gelangweilt blätterte er weiter, bis er plötzlich auf ein Foto seiner Exfreundin stieß: Katrina, untergehakt beim begehrtesten Junggesellen von ganz Melbourne, Jacob Beaumont Junior, der in Kürze wohl kein Junggeselle mehr sein würde, was sich an dem riesigen Diamantring, den Katrina am Finger trug, ablesen ließ.

Cameron stellte die Tasse ab. Im Gegensatz zu ihm stammte Jacob Beaumont Junior aus altem Geldadel. Seinem Vater gehörten eine Fluggesellschaft und zahlreiche Schiffe. Damit war Jacob die ideale Partie für die Tochter eines einflussreichen Abgeordneten, der das Amt des Regierungsoberhaupts anstrebte.

Cameron hatte Katrina für die perfekte Frau gehalten: groß, dunkelhaarig, gebildet und immer perfekt zurechtgemacht, unbefangen und zügellos im Schlafzimmer, gewandt und anregend im Gespräch. Und sie war ebenso ehrgeizig gewesen wie er. Doch dann hatte er ihr von seiner Vergangenheit und seiner Familie erzählt.

Katrina hatte ebenso rigoros wie umgehend ihre Beziehung beendet. Denn in ihren Augen bestimmte allein die Familiengeschichte, wer er war. Und somit stand Cameron in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten. Dass er es von ganz unten mit viel Fleiß, Talent und harter Arbeit bis nach oben geschafft hatte, interessierte sie nicht.

Cameron riss die Seite aus der Zeitung, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. Katrinas Urteil hatte ihn zutiefst getroffen und ihm gezeigt, dass die oberen Zehntausend ihn niemals in ihrer Welt akzeptieren würden – ganz egal, wie viel Erfolg er auch haben mochte.

Er mochte Frauen und genoss ihre Gesellschaft. Er liebte ihren Duft und die Tatsache, dass sich ein zarter Frauenkörper wunderbar anfühlte. Doch er war fest entschlossen, in Zukunft niemandem mehr die Wahrheit über seine Vergangenheit anzuvertrauen. Von nun an würde es keine emotionalen Verwicklungen in seinem Leben mehr geben.

Leise schloss Cam die Tür auf, um seinen schlafenden Gast nicht zu wecken. Als er die Lampe im Wohnzimmer ausschalten wollte, entdeckte er plötzlich Deedee. Oder besser gesagt, ihren Po, der in einem rot-grün karierten Flanellschlafanzug steckte und hinter seinem weißen Ledersofa hervorragte.

Cam blieb wie angewurzelt stehen, während sein ganzer Körper auf sehr männliche Weise reagierte. Er konnte Deedees nackte Füße und über dem Bund der Schlafanzughose einen Streifen zarte Haut sehen. Was, um alles in der Welt, tat sie da eigentlich?

Dann hörte er ihre sanfte Stimme. Deedee gab leise und besänftigende Laute von sich. Er wurde von heftiger Erregung erfasst, als ihr kleines Hinterteil sich wackelnd hinter dem Sofa hervorschob, wobei unweigerlich der Hosenbund tiefer rutschte …

„Gibt es irgendein Problem?“

Der niedliche kleine Po verharrte mitten in der Bewegung, dann war ein Fauchen zu hören. „Au!“

Mit einem gesträubten und sehr aufgebrachten Bündel Fell im Arm tauchte Deedee auf. Ihr blondes Haar war zerzaust, und ihre Augen wirkten noch größer als sonst, sodass sie ihn wieder an eine Waldelfe erinnerte.

„Ich habe nicht gehört, dass Sie nach Hause gekommen sind.“ Beim atemlosen Klang ihrer Stimme dachte Cameron unwillkürlich an leidenschaftliche Nächte und …

„Charlie ist aus dem Zimmer entwischt, und … ähm, an der Rückseite des Sofas ist ein kleines Loch von seinen Krallen. Also … eigentlich sind es mehrere Löcher …“ Deedee biss sich auf die Lippe, dann fügte sie lächelnd hinzu: „Ein Glück sind sie hinten, da kann man sie nicht sehen.“

„Ein Glück für Charlie“, erwiderte Cameron kühl.

Deedees Lächeln verschwand. Sie drückte den Kater eng an sich und stand auf. „Wenn Sie mir einen Nagelknipser geben, kümmere ich mich sofort um seine scharfen Krallen.“

Der weite Schlafanzug hing lose um ihre zarte Figur, und eigentlich hätte Cameron froh darüber sein sollen. Doch ihn überkam der heftige Drang, sie zu beschützen – oder war es Lust …?

Cameron ging zum Fenster und blieb mit dem Rücken zu Deedee stehen, damit sie seine Erregung nicht bemerkte. „Nehmen Sie das Vieh und verschwinden Sie in Ihr Zimmer.“

„Sie mögen wohl keine Tiere“, stellte Deedee fest. „Wie traurig!“

Der sanfte Tadel in ihrer Stimme entging Cameron nicht, und ihn überkam das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. „Ich mag keine Tiere in meiner Wohnung.

„Deshalb würde ich auch nie auf Dauer in so einer Wohnung leben wollen: kein Garten, keine frische Luft, kein Himmel, keine Tiere …“

Unwillkürlich schweifte Camerons Blick zu der jungen Frau, die sich in der Fensterscheibe spiegelte und mit ihren schmalen Fingern die Katze streichelte. Das Oberteil ihres Schlafanzugs war leicht verrutscht und gab den Blick auf ihr Schlüsselbein frei, das sich deutlich unter der zarten Haut abzeichnete …

„Dann möchten Sie sich bestimmt so bald wie möglich eine passendere Unterkunft suchen.“

Ein angespanntes Schweigen entstand. „Natürlich“, sagte Deedee dann, ließ die Schultern sinken und ging aus dem Zimmer.

Verdammt, dachte Cameron, die Hände zu Fäusten geballt. Warum hatte er seine Wut auf Katrina an Deedee auslassen müssen? Er ging Deedee nach und holte sie an ihrer Tür ein.

Deedee blieb stehen, gab ihm jedoch keine Gelegenheit, etwas zu sagen. „Vielen Dank für Ihre Großzügigkeit, Cameron Black. Gute Nacht.“

Mit diesen Worten machte sie die Tür auf und schloss sie sofort hinter sich.

Eine Weile starrte Cameron auf die geschlossene Tür. Als von drinnen keine Geräusche mehr zu hören waren, malte er sich aus, wie Deedee in ihrem zu großen Schlafanzug ins Bett kroch. Schnell verdrängte er dieses Bild, denn er wollte nicht daran denken, was sich unter dem rot-grün karierten Flanell verbarg.

Er atmete tief durch und beschloss, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt für eine halbe Stunde auf dem Laufband war.

Das Klingeln seines Handys riss Cameron aus seinen Träumen, in denen leidenschaftliche Waldelfen die Hauptrolle spielten. Ohne die Augen zu öffnen, meldete er sich.

„Guten Morgen, Mr Black“, sagte eine Stimme. „Hier ist Sasha Needham, ich rufe im Auftrag von Sheila Dodd an. Es tut mir leid, Sie schon so früh zu stören, aber ich habe gerade einen Anruf von Sheila aus Großbritannien erhalten.“

„Ja?“ Er blickte auf die Uhr: Es war erst Viertel vor sechs.

„Sheila bittet um Verzeihung, aber sie wird die Arbeit, die Sie bei ihr in Auftrag gegeben haben, nicht zum vereinbarten Zeitpunkt fertigstellen können. In ihrer Familie gab es einen Notfall, sodass sie noch einige Wochen in Großbritannien bleiben muss.“

Mit einem Schlag war Cameron hellwach. „Aber die Galerie wird in nicht einmal drei Wochen eröffnet!“

„Es tut Sheila wirklich sehr leid, Mr Black. Sie hat mir einige Namen von Künstlern genannt, die vielleicht stattdessen …“

„Schicken Sie sie mir per E-Mail, ich melde mich dann gegebenenfalls bei Ihnen.“ Cameron beendete das Gespräch, warf die Decke zur Seite und ging ins Badezimmer.

Er hatte während der vergangenen zwei Jahre wie verrückt gearbeitet, um aus einer über und über mit Graffiti besprühten Lagerhalle in einem Melbourner Vorort etwas Einzigartiges zu machen: eine Kunstgalerie, und zwar nicht nur für renommierte Künstler, sondern auch für unbekannte Talente aus ärmeren Gegenden. Damit wollte er Menschen, die bereit waren, Zeit und Arbeit in etwas Wertvolles zu stecken, helfen, ihr Leben zum Besseren zu wenden. Denn auch Cameron hatte sein Leben zum Besseren wenden können. Außerdem sollte die Galerie dem Andenken desjenigen Menschen dienen, der ihm den Neubeginn ermöglicht hatte.

Cam setzte alles daran, um die Galerie bekannt zu machen. Zur Eröffnung waren der Minister für Kunst und Kultur sowie zahlreiche Pressevertreter eingeladen. Wenn er Sheilas Werk nicht präsentieren konnte, musste er sich schleunigst etwas anderes einfallen lassen.

Als Cam geduscht und sich angezogen hatte, öffnete er die Terrassentüren, hörte in einiger Entfernung den morgendlichen Autoverkehr und spürte den kühlen Winterwind, der um die Palmen strich, die in großen Töpfen in seinem Dachgarten wuchsen. Das verblassende Glühen des Sonnenaufgangs verlieh den Wolken einen zarten Rosaton. Wer hatte eigentlich behauptet, dass Stadtwohnungen und Naturnähe einander ausschlossen?

Deedee O’Flanagan.

Sofort tauchte ihr Bild wieder vor seinem geistigen Auge auf – wie schon in seinen Träumen letzte Nacht: Sie streckte sich auf seinem Schreibtisch aus, aß einen roten Apfel und trug nichts außer ihrer Lesebrille.

„Wow!“, hörte er Deedee plötzlich sagen.

Zu seiner großen Erleichterung trug sie einen rosafarbenen Morgenmantel, der ihren Körper fast gänzlich verhüllte. „Guten Morgen“, begrüßte er sie.

Doch Camerons Erleichterung hielt nicht lange an, denn als sie seinen Gruß erwiderte, biss sie doch wirklich in einen roten Apfel.

„Die Terrasse ist ja wunderschön!“, rief sie begeistert, und ihre silbergrauen Augen funkelten. „Ist das ein Kumquat-Baum?“

„Ähm, wir müssen besprechen, wie …“, begann Cameron, doch in diesem Moment klingelte sein Handy.

Deedee beobachtete Cameron, der den Anruf entgegennahm. Er trug einen dunklen Anzug, ein perfekt gebügeltes weißes Hemd und einen blauen Schlips. Er hatte sich erst kürzlich das Haar schneiden lassen, und das nach Zedernholz duftende Aftershave sowie seine breiten Schultern verstärkten seine maskuline Ausstrahlung. Ja, der große, dunkelhaarige Mann war einfach atemberaubend.

Du solltest ihn nicht so anstarren, rief sie sich zurecht. Denn immerhin war sie seinetwegen obdachlos. Und da sie – ebenfalls seinetwegen – ihren Job verloren hatte, musste sie sich nach einer anderen Stelle umsehen, anstatt sich endlich um ihre Karriere als Künstlerin kümmern zu können. Wenn sie doch endlich mehr Zeit auf ihre künstlerischen Aktivitäten verwenden könnte.

Damit Cameron ungestört telefonieren konnte, ging sie eine Weile auf die Terrasse, bevor sie sich aus der Küche einen Kaffee holte und Cameron auch gleich einen einschenkte. Cameron saß mit seinem Laptop am Esstisch, runzelte die Stirn und machte eine Art Schmollmund, was äußerst sexy wirkte. Einen verrückten Moment lang überlegte Deedee, wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihren Mund auf seinen presste …

Als sie ihm in die von langen, dunklen Wimpern umgebenen Augen blickte, stellte sie fest, dass er besorgt wirkte. „Kann ich irgendwie helfen?“, fragte sie unwillkürlich.

Cameron lehnte sich zurück, sodass ihr Blick auf seinen muskulösen Oberkörper fiel, über dem sich das weiße Hemd spannte. „Nein. Es sei denn, Sie kennen einen Künstler, der über die Erfahrung von Sheila Dodd verfügt und innerhalb sehr kurzer Zeit ein beeindruckendes Kunstwerk schaffen kann.“

„Warum?“, fragte Deedee.

„Weil ich in knapp drei Wochen eine Galerie eröffne, die Presse und eine ganze Reihe Kunstkritiker anwesend sein werden und ich ein besonderes Stück für die größte Wand brauche. Ich habe bei Sheila eine Arbeit in Auftrag gegeben, aber sie ist im Ausland und hat einen Notfall in der Familie.“ Er ließ die Faust auf den Tisch fallen. „Verdammt!“

„Sie brauchen also jemanden, der sich mit Textilarbeit auskennt …“

„Im Moment würde ich mich mit fast allem zufriedengeben, außer vielleicht mit Makramé.“

Mit heftig klopfendem Herzen sagte Deedee: „Überlassen Sie die Sache mir. Heute Abend habe ich etwas für Sie.“

„Sie kennen jemanden?“, fragte Cameron überrascht. „Wen?“

„Keine Fragen.“ Deedee spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Ob sie ihn so beeindrucken könnte, dass er ihre Arbeit ausstellen würde?

Als er sie misstrauisch ansah, fügte sie schnell hinzu: „Ich weiß schon, dass wir nicht gerade die besten Freunde sind, und gestern Abend … also, das ist alles vergeben und vergessen, wenn …“

„Wie bitte? Sie verzeihen mir?“ Cameron zog die Augenbrauen hoch. „Dabei fällt mir ein – wo ist eigentlich dieser Kater?“

„Charlie liegt auf meinem Schlafanzug und schläft“, versicherte Deedee und fragte dann vorsichtig: „Haben Sie Bedenken, wenn ich allein in Ihrem Apartment bleibe?“

Cameron zuckte die Schultern, dann zog er einen winzigen Moment lang einen Mundwinkel hoch. „Was kann schon Schlimmes passieren?“

Deedee gingen verschiedene Szenarien durch den Kopf, mit denen sie sich jedoch nicht weiter beschäftigen wollte. Sie rang sich ein Lächeln ab und fragte: „Dann sind Sie also mit Makramé einverstanden?“

Deedee wartete eine Viertelstunde für den Fall, dass Cameron doch zurückkommen würde. Dann klingelte das Telefon, doch als sie das Gespräch annahm, wurde am anderen Ende aufgelegt. Ob das eine Geliebte war, die beim Klang einer weiblichen Stimme einfach aufhängte?

Deedee verdrängte das heftige Missfallen, dass sie bei dieser Vorstellung empfand. Dann holte sie die Kartons, in denen sich alle Materialien befanden, mit denen sie ihre Textilkunstwerke erschuf, sowie eines ihrer Werke. Es war ihr ganzer Stolz: ein großformatiges, auf einen Rahmen gespanntes Textilbild. Es ähnelte farblich Sheilas Werk, doch Deedee hatte auch noch ein leuchtendes Rot eingearbeitet. Sie lehnte das Bild an eine leere Wand, trat einen Schritt zurück und betrachtete es kritisch.

Zweige, die sie in mühevoller Kleinarbeit gesammelt und mit schwarzen, weißen und silberfarbenen Fäden zusammengebunden hatte, bildeten einen Baum. Die Blätter waren aus Silberdraht. Sie hatte sie in einem Goldschmiedekurs gearbeitet. Eine schwarze Schlange wand sich an einem Stück altem Stacheldraht durch die Zweige. Und dahinter waren sehr dezent, aber dennoch äußerst erotisch eine männliche und eine weibliche Silhouette zu erkennen, die Deedee mit Farbe aufgesprüht hatte. Vervollständigt wurde das Werk durch die aus roter Seide und Organza gearbeiteten Äpfel, die durch geschickt aufgebrachte Farbe dreidimensional wirkten.

Sie hatte das Werk nie ihrer Familie gezeigt. Deren Gleichgültigkeit hätte ihr zu sehr wehgetan, denn Deedee hatte über mehrere Monate ihr Herz und ihre Seele in diese Arbeit gesteckt hatte und ihr letztes Geld in das Material investiert.

Würde sie Cameron Black damit überzeugen können, ihr eine Chance zu geben?

Er kam spät nach Hause. Deedee, die an einem weiteren Textilbild saß, spürte seinen zweifelnden Blick.

„Hallo.“ Sie nahm die Brille ab und sah blinzelnd von dem mit Stoff und anderem Material bedeckten Tisch auf. „Entschuldigen Sie das Chaos. Ich räume gleich auf und …“

„Vergessen Sie es“, fiel Cameron ihr ins Wort. „Ich habe keine Zeit zu verschwenden.“ Als er sein Jackett abstreifte, wanderte sein Blick zu den Stoffstücken. „Sie sind also die Künstlerin. Deswegen kennen Sie auch Sheilas Arbeit!“

Deedee verdrängte ihre Selbstzweifel und nickte. „Ja. Ich habe schon immer gerne mit Stoffen gearbeitet und vor ein paar Jahren in Sydney an einem von Sheilas Workshops teilgenommen.“

Cameron verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was haben Sie bis jetzt vorzuweisen?“

Da es nichts gab, das Deedee mehr als ihre Kunst bedeutete, hatte sie weiche Knie, als sie aufstand und ihr Kunstwerk enthüllte, das sie mit einem Laken verdeckt hatte.

Sie sah, wie es um Camerons Mund zuckte, und glaubte zu hören, wie er leise sagte: „Schon wieder Äpfel.“

„Das Bild heißt: ‚Vor dem Sündenfall‘.“

Eine kleine Ewigkeit schien zu vergehen. Deedee wartete gespannt. Doch Cameron schwieg.

Schließlich nickte er und sagte: „Also gut, Deedee. Sie bekommen den Auftrag und haben zweieinhalb Wochen Zeit, ein Werk zu erschaffen, das an die Kunst einer Sheila Dodd heranreicht.“

Unendlich erleichtert und ein wenig atemlos erwiderte sie: „Was stellen Sie sich denn vor?“

„Ein Bild, das doppelt so groß ist wie das, was Sie mir gerade gezeigt haben. Alles Weitere überlasse ich Ihnen. Aber enttäuschen Sie mich nicht. Bei der Eröffnung werden die Presse und der Minister für Kunst und Kultur anwesend sein. Ich kann es mir nicht erlauben …“

„Ich werde Sie nicht enttäuschen“, versicherte Deedee.

Cameron nickte, ohne sie anzusehen. „Ich vermute, dass Sie die nächsten zweieinhalb Wochen durcharbeiten müssen, sodass Sie kaum Schlaf finden werden. Ist Ihnen das bewusst?“

Sie nickte. „Kein Problem. Ich arbeite nicht mehr für den Catering-Service und gehöre ganz Ihnen.“

Er schaute sie scheinbar fassungslos an. Seine Miene war undurchdringlich, doch seine Augen wurden dunkler, als sein Blick über ihr enges schwarzes T-Shirt, das apricotfarbene Chiffontuch um ihre Taille, die schwarzen Leggins und ihre nackten Füße wanderte.

Deedees Herz schlug wie verrückt. Es war, als würde sie sich in seinen dunklen Augen verlieren und … nein, ermahnte sie sich energisch. Das würde ihr nicht noch einmal passieren. Jay hatte sie sofort in seinen Bann gezogen – sie und unzählige andere Frauen. Und deswegen würde sie nie wieder jemandem leichtfertig vertrauen. Denn was immer sie für einen Mann empfand, sie konnte nicht sicher sein, dass dieser ihre Gefühle erwiderte. Auch wenn seine Augen scheinbar nichts als Liebe widerspiegelten …

„Sie brauchen einen Ort, an dem Sie ungestört arbeiten können“, stellte Cameron fest. „Also werden Sie hierbleiben, bis das Werk fertig ist.“

Beim Weggehen fügte er hinzu: „Sie haben nur knapp drei Wochen, Deedee. Nutzen Sie die Zeit.“

4. KAPITEL

Als Deedee hörte, dass in der Küche etwas aus dem Kühlschrank genommen wurde, fiel ihr ein, dass sie seit einem Apfel am Morgen nichts mehr gegessen hatte. Nun krampfte sich ihr der Magen so heftig zusammen, dass sie keinen Bissen hinunterbekommen würde.

Sie musste zugeben, dass sie Cameron falsch eingeschätzt hatte. Schließlich bot er ihr die Chance, die sie sich so sehr gewünscht hatte.

Andererseits: Er war der Erste gewesen, dem sie ihr Werk gezeigt hatte – und das Bild war ihm nicht einmal einen Kommentar wert gewesen. Allerdings schien er sich sehr für Kunst zu interessieren … Deedee fiel wieder ein, wie er sie angesehen hatte, bevor er aus dem Zimmer gestürmt war. War sie ihm so unsympathisch, oder steckte etwas anderes hinter seiner Reaktion? Schnell verdrängte sie diesen Gedanken und beschloss Cameron zu zeigen, was in ihr steckte.

Cam stellte das tiefgefrorene Fertiggericht in den Ofen, schaltete ihn ein und lehnte sich seufzend gegen den Küchentresen. Wäre Deedee in diesem Moment in die Küche gekommen, hätte sie sofort gesehen, warum er das Wohnzimmer fluchtartig verlassen hatte. Er hatte sogar kurz überlegt, ob er sich nicht eine Weile vor den geöffneten Kühlschrank stellen und sich abkühlen sollte.

Nach einem einzigen Blick auf Deedee hatte er gewusst, dass sich unter ihrem figurbetonten Outfit genau die Kurven verbargen, die er im Traum vor sich gesehen hatte. Verdammt, dachte er. Wie konnte es sein, dass sie eine so unglaublich heftige Anziehung auf ihn ausübte? Und nun hatte er sie auch noch beauftragt, ein Kunstwerk für ihn zu erschaffen – in seinem Apartment …

Cameron beschloss, während der nächsten zweieinhalb Wochen abends lange im Büro zu bleiben. Andererseits musste er sich vergewissern, dass sie vorankam … Außerdem sollten sie auf ihre Vereinbarung anstoßen. Also nahm Cameron eine Flasche Moët Chandon aus dem Kühlschrank und zwei Gläser aus dem Schrank und ging zurück ins Wohnzimmer, wo er Deedees großartiges Kunstwerk noch einmal betrachtete. Wer hätte gedacht, dass die kleine Kellnerin so talentiert war? Dieses Bild hätte den renommiertesten Galerien des Landes Ehre gemacht. Und es wirkte, als würde es hierher – in sein Wohnzimmer – gehören.

Genauso wie Deedee, die vor dem Fenster stand und die Hände hinter dem Kopf verschränkt hatte. Ihr zerzaustes Haar glänzte, und er konnte riechen, dass sie nach Mandeln duftete. Wie gebannt beobachtete Cameron, wie sie sich vor dem Panorama des nächtlichen, vor unzähligen Lichtern glitzernden Melbourne streckte. Deedees Bewegungen schienen einen ganz eigenen Rhythmus zu haben, und Cameron ließ fasziniert und ausgehungert den Blick über ihre schmale Taille und den festen kleinen Po wandern. Wie es sich wohl anfühlte, wenn sich ihre schlanken Beine um seine Hüften legen würden …?

„Wir haben uns noch nicht auf die Einzelheiten unserer Zusammenarbeit geeinigt“, riss Deedee ihn plötzlich aus seinen gefährlichen Gedanken.

Als sie sich umwandte und ihre sich Blicke trafen, flammte kurz etwas zwischen ihnen auf, das sie beide aber schnell unterdrückten.

„Das stimmt“, bestätigte Cameron, der am liebsten vorgeschlagen hätte, ihre Vereinbarung mit einem Kuss zu besiegeln. Doch mit ihren sinnlichen rosigen Lippen würde sie ihm jede Verhandlungsmacht nehmen. Also stellte er die Gläser und die Flasche ab und sagte: „Lassen Sie uns zuerst darauf anstoßen.“

Deedee liebte Champagner, aber die Angelegenheit war ihr viel zu wichtig. Sie musste unbedingt einen klaren Kopf behalten. „Zuerst müssen wir die Details besprechen. Wie viel ist Ihnen meine Arbeit wert?“

Cameron nannte eine Summe, die sie völlig überwältigte.

„Vorausgesetzt, Sie sind bis zum vereinbarten Zeitpunkt fertig“, erinnerte er sie.

Deedee war überglücklich und zugleich voller Angst. Von dem Honorar würde sie eine ganze Weile leben können. Es würde ihrer Familie zeigen, dass sie als Künstlerin Geld verdienen konnte. Vielleicht werden meine Eltern dann meine Arbeit wertschätzen, dachte sie mit klopfendem Herzen, denn sie sehnte sich schon so lange danach, dass sie stolz auf sie waren.

„Ich werde Ihnen einen Vorschuss geben, damit Sie die notwendigen Materialien kaufen können“, sagte Cameron. „Sie können Tag und Nacht in meinem Apartment arbeiten.“

Deedee nickte nachdenklich. Tagsüber würde er nicht da sein, aber abends … „Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich beim Arbeiten beobachtet oder sich das unfertige Werk ansieht.“

„Die Höhe des Honorars gibt mir das Recht, mir jederzeit ein Bild davon zu machen, wie Sie vorankommen.“ Cameron wirkte zufrieden, als er Champagner in zwei Gläser goss.

Kein Wunder, dachte Deedee. Verglichen mit den Geldbeträgen, mit denen er täglich zu tun hatte, war ihr Honorar wahrscheinlich nicht der Rede wert. Doch die Tatsache, dass endlich jemand ihre Arbeit zu schätzen wusste, machte sie sprachlos.

„Ich habe großes Vertrauen in Sie, Deedee“, sagte er nun. „Zweifeln Sie nicht an Ihren Fähigkeiten.“

„Das tue ich nicht“, entgegnete sie und straffte sich, als er sich näherte. „Auch wenn Sie kein Wort über mein Werk verloren haben.“

„Sagt es nicht genug aus, dass ich Ihnen diesen Auftrag erteilt habe?“ Seine Hand streifte ihre, als er ihr ein Glas Champagner reichte. Wieder durchzuckte eine Art Stromschlag ihren Arm und erweckte in ihr eine heftige Sehnsucht nach mehr.

„Wir werden als Team zusammenarbeiten: Sie übernehmen den kreativen Teil, während ich Sie mit Essen, Kaffee, Schokolade und wenn nötig mit Kopfschmerztabletten versorgen werde.“

Deedee stieß ihr Glas gegen seins. „Auf unsere Teamarbeit.“ Nachdem sie den ersten Schluck des köstlichen Champagners getrunken hatte, sagte sie lächelnd: „Und was Schokolade angeht: Ich mag ausschließlich Zartbitter.“

„Eine Frau nach meinem Geschmack.“ Camerons jungenhaftes Lächeln sorgte dafür, dass Deedee die Knie weich wurden.

Er erinnert mich an Jay, dachte sie und rief sich gleich darauf wieder zur Ordnung. Trotzdem erwiderte sie Camerons Lächeln. Warum auch nicht? Sie würden ja schließlich nicht zusammen im Bett landen.

„Oliven esse ich auch besonders gerne“, fuhr sie fort. „Wenn ich mich recht erinnere, mögen Sie die auch.“

„Oliven-Käse-Bällchen …“ Mit Camerons Lächeln verschwand auch die unbeschwerte Atmosphäre. Stattdessen war da nun etwas Tieferes, Intensives und Dunkles.

Sein Blick wanderte zu ihren Lippen, die plötzlich prickelten und sich so trocken anfühlten, dass Deedee sie am liebsten mit der Zunge befeuchtet hätte. Seit dem unschönen Erlebnis mit Jay hatte sie keine gute Meinung mehr von Männern. Doch keiner hatte ihr so sehr das Gefühl gegeben, eine begehrenswerte Frau zu sein, wie Cameron es jetzt tat. Vielleicht könnte er es sogar schaffen, dass sie ihre Meinung änderte …

Ob er sie küssen würde, wenn sie näher käme? Doch wozu würde das führen – zum besten Sex ihres Lebens, in seinem Bett?

Du weißt doch gar nichts über diesen Mann, rief Deedee sich in Erinnerung. Nur dass er reich und atemberaubend war – und sich zu ihr hingezogen fühlte. Sie gab sich einen Ruck und wich einen Schritt zurück. Mit aller Macht bemühte sie sich, ihre Stimme normal klingen zu lassen. „Erzählen Sie mir von Ihrer Galerie.“

Cameron sah sie einen Moment lang nachdenklich an, als würde auch er über das erotische Knistern zwischen ihnen nachgrübeln. „Sie ist mein neuestes Projekt“, sagte er dann.

„Das heißt, Sie haben wieder ein paar Leute auf die Straße gesetzt?“, fragte Deedee und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als seine Augen funkelten und sich etwas darin spiegelte, das an Bedauern erinnerte.

„Ich bin nicht so ein Mistkerl, wie Sie offenbar glauben“, erwiderte Cameron.

In diesem Moment ertönte ein durchdringendes Jaulen in Deedees Zimmer, das von energischem Kratzen begleitet wurde.

„Charlie scheint sich einsam zu fühlen“, sagte sie leise. „Und bestimmt hat er auch Hunger.“

„Bestimmt“, erwiderte Cameron gleichgültig und fuhr fort: „Die Galerie befindet sich in einer ehemaligen Lagerhalle. Sie war mit Brettern vernagelt und mit Graffiti besprüht, aber die riesigen, hohen Räume bieten viel Platz.“

„Was für Kunst werden Sie dort zeigen?“

„Alles Mögliche: Gemälde, Textilkunst, Schmuck … vor allem möchte ich junge Talente fördern.“

„Aber warum soll ausgerechnet ich ein Werk für Sie anfertigen? Sie haben doch bestimmt genug Kontakte, um jemand anderen zu beauftragen.“

„Ich habe keine Zeit mehr, lange nach jemandem zu suchen. Außerdem ist Ihr Stil einzigartig. Deswegen will ich Sie.“

Camerons Stimme klang geschäftsmäßig und sachlich, doch seine Augen verliehen seinen Worten eine ganz andere Bedeutung. Deedees Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Ohne den Blick von Cameron abzuwenden, trank sie noch einen Schluck Champagner.

Dass er sie noch mehr brauchte, als er sie wollte, gab ihr ein ganz ungewohntes Machtgefühl. Kühn sagte sie: „Ich möchte Sie um noch einen Gefallen bitten, der Charlie betrifft. Vielleicht könnten wir uns auf einen Kompromiss einigen? Ich werde ja fast drei Wochen lang hier sein und fände es unfair, ihn die ganze Zeit einzusperren. Darf er vielleicht hier bei mir sein?“

Als Cameron nicht sonderlich begeistert wirkte, fuhr sie fort: „Die Terrasse würde ihm bestimmt auch gefallen. Dort könnte er auch keinen Schaden anrichten …“

Cameron seufzte. „Also gut. Probieren wir es aus, bevor er noch den gesamten Lack von der Tür kratzt.“

Deedee schwieg einen Moment und sagte dann widerstrebend: „Ich habe ihn sehr ins Herz geschlossen, aber es wird schwer werden, eine Wohnung zu finden, in die ich ihn mitnehmen kann. Wenn Sie also jemanden kennen, der einen Kater haben möchte …“ Sie blinzelte, als ihr Tränen in die Augen stiegen.

„Ich werde mal in meinem Unternehmen herumfragen“, erwiderte Cameron. „Vorerst kann er hier bleiben.“

„Danke.“ Sie leerte ihr Glas und spürte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, als ihr die kribbelnden Blasen die Kehle hinunterrannen. „Dann werde ich mal die freudige Nachricht überbringen, dass wir einen Kompromiss gefunden haben.“

„Tun Sie das. Und dann essen wir. Sie haben doch bestimmt Hunger?“

„Ich bin halb verhungert!“, rief Deedee ihm über die Schulter zu, während sie auf ihren niedlichen nackten Füßen aus dem Zimmer hüpfte. „Ich habe heute nämlich erst einen Apfel gegessen.“

Cameron starrte auf die Stelle, an der Deedee bis eben gestanden hatte. Es war, als würde ihre Aura plötzlich sein ganzes Apartment füllen – als hätte man eine Tür geöffnet, durch die nun Sonnenlicht in einen dunklen Keller strömte. Schnell verdrängte er diesen absurden Gedanken und ging in die Küche, wo ihm ein durchdringender Geruch entgegenschlug.

Kurze Zeit später betrachtete Cameron stirnrunzelnd sein verkohltes Fertiggericht.

„Wonach riecht es denn hier?“, erkundigte sich Deedee, die mit dem Kater auf dem Arm hereinkam.

„Nach Charlies Abendessen.“ Schnell fischte Cameron die Fleischbrocken aus dem Fertiggericht und legte sie auf eine Untertasse.

„Oh“, hauchte Deedee, und beim Klang ihrer Stimme wurde ihm heiß. „Das wäre aber nicht nötig gewesen. Ich habe noch ganz viel Katzenfutter!“

Als Cameron die Untertasse auf den Boden stellte, bemerkte er Deedees golden lackierte Zehennägel, die jeweils mit einer winzigen schwarzen Schneeflocke verziert waren. Ihre Knöchel waren schlank, die Waden perfekt geformt …

Als pelzige weiße Pfoten ihm den Blick versperrten, richtete Cameron sich auf.

Deedee betrachtete stirnrunzelnd das Preisschild auf der leeren Verpackung des Fertiggerichts. Dann entdeckte sie den Rest des Essen und sagte: „Das war gar nicht für Charlie gedacht, stimmt’s? Sie haben bloß die falsche Packung erwischt.“ Mit einem frechen Lächeln fügte sie hinzu: „So etwas passiert eben. Warum können Sie es nicht zugeben, anstatt Mr Perfect zu spielen? Wir sind doch unter uns.“

Dieser Umstand war Cameron durchaus bewusst und ließ seinen Blutdruck stetig ansteigen. Um seine Erregung zu verbergen, wandte er sich um und spülte die Tassen ab, die sie heute Morgen benutzt hatten. Dann fragte er das Erste, das ihm durch den Kopf ging: „Was möchten Sie essen?“

„Dasselbe wie Sie.“ Deedees Stimme klang heiser und ein wenig tiefer als sonst.

Unwillkürlich gingen ihm wieder ebenso erregende wie unliebsame Bilder durch den Kopf: Deedee, die rittlings auf ihm saß, mit zerzaustem Haar und ihren langen nackten Beinen …

Cameron schloss die Augen, stellte vorsichtig die Tassen ab und hoffte inständig, seine Vernunft möge ihn nicht im Stich lassen.

Deedee war ganz offensichtlich angeheitert. Wie um alles in der Welt hatte er ihr auch auf leeren Magen Champagner anbieten können?

„Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass Sie sich bedienen können, wenn Sie Hunger haben“, begann er schroff. „Warum haben Sie es nicht getan?“

„Ich habe es vergessen“, erwiderte Deedee – und saß im nächsten Moment neben ihm auf dem Küchentresen.

Cameron beging den Fehler, sie anzusehen. Silbergraue Augen erwiderten aufmerksam seinen Blick. Er stützte einen Ellenbogen auf und ermahnte sich, die heftige körperliche Reaktion zu ignorieren, die wohl jeder Mann gehabt hätte.

Aber er war eben ein Mann, der sich danach sehnte, Deedees warme Haut – zart, warm und duftend – zu berühren. Um sich abzulenken, ballte er die Hände zu Fäusten. Doch gegen das heftige Begehren, das sich an einer bestimmten Stelle seines Körpers bemerkbar machte, war er machtlos.

Als sich Deedees sinnliche rosige Lippen zu einem feinen Lächeln verzogen, überlegte Cameron, wann er das letzte Mal gelacht hatte. Bestimmt konnte jemand wie sie ihm endlich wieder Leben einhauchen. Er hörte sie atmen und hätte gern beobachtet, wie sich ihre Brust hob und wieder senkte. Am liebsten hätte er Deedee berührt und ihre fest werdenden Brustspitzen an seinen Handflächen gefühlt …

Stattdessen konzentrierte er sich auf Deedees Gesicht – auf ihre Augen, die verborgene Gedanken widerspiegelten, ihre hohen Wangenknochen, die kleinen Ohrläppchen …

„Sie tragen zwei verschiedene Ohrringe.“

Deedee neigte den Kopf zur Seite und erwiderte: „Das ist der asymmetrische Look. Wie Ihr Sheila-Dodd-Kunstwerk. Oder Ihr Schlips.“ Durch ihre langen, seidigen Wimpern betrachtete sie seinen Hals.

Cameron musste plötzlich schlucken. „Mein Schlips ist asymmetrisch?“, fragte er dann.

Statt zu antworten, rutschte Deedee auf ihrem entzückenden kleinen Po näher, lockerte seinen Krawattenknoten und zog den Schlips dann mit einem kleinen Ruck zur Seite. „Jetzt ist er es“, stellte sie mit einem frechen Lächeln fest.

Als sie ihm den Schlips langsam glatt strich, rief die sanfte Berührung heftige Erregung in Cameron hervor.

„Schon viel besser. Es sah so aus, als würde der Schlips Sie erwürgen.“

Ihm war plötzlich sehr heiß. Eigentlich hatte er sein Apartment nie als sonderlich warm empfunden – bis diese junge Frau aufgetaucht war.

„Also gut, ich gebe es zu: Ich habe einen Fehler gemacht. Ich wollte Sie mit einem gefrorenen Fertiggericht beeindrucken, das ich vom Delikatessenladen um die Ecke habe liefern lassen.“

Cameron schob sich am Küchentresen entlang. Nun stand er direkt vor Deedee. Ihre Knie berührten seine Hüften, er konnte ihr die Hände auf die Taille legen und ihr direkt in die Augen sehen. „Und jetzt werde ich wohl noch einen Fehler begehen“, fügte er hinzu und presste den Mund auf ihren.

5. KAPITEL

Als seine Lippen Deedees berührten, schien etwas in Cameron zu explodieren. Diese unerwartet heftige Reaktion machte ihm ein für alle Mal klar, dass er nicht in der Lage sein würde, sich von ihr zu lösen, selbst wenn er es gewollt hätte. Lava schien durch seine Adern zu jagen und sein Begehren noch mehr anzufachen.

Er spürte, wie Deedee sofort und unmittelbar reagierte: Erst versuchte sie, ihn wegzuschieben, doch dann öffneten sich ihre Lippen wie von selbst, und sie krallte die Finger in sein Hemd. Als er den Kopf leicht neigte, um den Kuss zu vertiefen, stöhnte sie leise auf.

Ihr süßer, verführerischer Geschmack verlockte ihn, ihren Mund immer tiefer und intensiver zu liebkosen. Dies hier war kein gewöhnlicher Kuss – er traf Cameron mit nie gekannter Wucht, machte jeden klaren Gedanken unmöglich und fegte alle Zweifel beiseite.

Er versuchte sich einzureden, dass lediglich übergroße Begierde hinter all dem steckte. Doch ihm war klar, dass hier etwas geschah, über das er nicht länger nachdenken wollte. Denn dann hätte er sich eingestehen müssen, dass er vielleicht den größten Fehler seines Lebens begangen hatte.

Stattdessen zog er Deedee enger an sich und schob sich weiter zwischen ihre Schenkel, die sich wie auf ein stummes Kommando zu öffnen schienen. Durch sein Hemd schien ihre sinnliche Wärme bis an seine Haut zu dringen.

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

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