Julia Exklusiv Band 295

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LIEBESZAUBER IN ATHEN von RIVERS, NATALIE
Endlich hat sie ihren Prinzen gefunden! Kerry schwebt auf Wolken: Der vermögende Hotelier Theo Diakos scheint ihre Gefühle zu erwidern und bittet sie sogar, bei ihm in Athen zu bleiben. Überglücklich zieht sie in seine Villa - nicht ahnend, dass Theo ganz andere Pläne verfolgt …

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  • Erscheinungstag 02.03.2018
  • Bandnummer 0295
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711122
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natalie Rivers, Nicola Marsh, Natalie Anderson

JULIA EXKLUSIV BAND 295

1. KAPITEL

Wie hypnotisiert starrte Kerry auf das schmale weiße Plastikröhrchen. Ihre Hand zitterte, als sie das Pluszeichen im Fenster sah. Dann huschte ein Lächeln über ihre Züge. Positiv!

Eigentlich hatte sie nicht wirklich damit gerechnet, dass der Test so ausfallen würde. Es war ganz und gar nicht geplant, schwanger zu werden. Ihr Leben würde sich von Grund auf ändern.

Unentschlossen biss sie sich auf die Lippen. Eigentlich hatte sie sich über das Ergebnis gefreut … aber jetzt?

Wie würde Theo auf die Nachricht reagieren? Bei dem Gedanken daran, es ihm zu sagen, spürte Kerry, dass sie plötzlich nervös wurde.

Seit sechs Monaten war sie die Lebensgefährtin von Theo Diakos – einem der reichsten und mächtigsten Baulöwen von Athen. Von dem Moment an, als sie sich kennenlernten, waren sie unzertrennlich gewesen. Theo bot ihr einen kosmopolitischen Lebensstil, der für sie ganz neu war. Er behandelte sie wie eine Prinzessin, und auch sein Bruder Corban und dessen Frau Hallie hatten sie mit offenen Armen aufgenommen.

Nacht für Nacht teilte sie das Bett mit ihm, aber nie hatten sie über ihre Gefühle füreinander gesprochen, und erst recht nicht über eine gemeinsame Zukunft.

Entschlossen strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ging hinaus auf die Dachterrasse. Wenn Theo und sie sich in Athen aufhielten, war dies ihr Lieblingsplatz – eine grüne Oase der Ruhe inmitten der Hektik. Hier oben, umgeben von blühenden Rosen und plätschernden Springbrunnen, hätte man es nicht für möglich gehalten, im besten Hotel der Stadt zu sein, dem luxuriösen Flaggschiff von Theos Imperium.

Kerry trat an die Brüstung und ließ den Blick schweifen. Unter ihr leuchteten bereits vereinzelt die Lichter der Großstadt auf, und vor ihr erstrahlten die Akropolis und die Säulen des Parthenon im letzten Glanz der untergehenden Sonne. Es war ein erhebender Anblick, den Kerry für immer mit Theo in Verbindung bringen würde. Mit ihm zusammen zu sein, war unbeschreiblich. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich wirklich begehrt.

Anfangs konnte sie kaum glauben, dass dieser fantastische Mann wirklich an einem einfachen Mädchen wie ihr interessiert sein sollte, aber er hatte ihre Zweifel und Bedenken bald zerstreut. Nie zuvor war sie so glücklich gewesen.

Die Schatten der Vergangenheit schienen für immer gebannt. Endlich erlebte sie das Glück, das jemand sie wollte und schätzte … eine völlig neue Erfahrung. Etwas, das sie in ihrem dreiundzwanzigjährigen Leben noch nie erlebt hatte.

Sanft legte sie die Hände auf ihren Bauch. Sie musste sich erst an den Gedanken gewöhnen, Theos Kind in sich zu tragen. In diesem Moment schwor sie sich, ihrem Kind von Anfang an das Gefühl zu geben, geliebt zu sein. Nie sollte es sich – wie sie selbst – unerwünscht vorkommen.

In ihrem Innersten erfüllte sie die Überzeugung, dass Theo sich ebenfalls freuen würde. Schließlich war er ein wunderbarer Onkel – sein Neffe Nicco vergötterte ihn geradezu – und würde einen ebenso wunderbaren Vater abgeben.

Plötzlich konnte sie es kaum erwarten, ihm die Neuigkeit zu berichten. Er sollte es sofort erfahren. Ungestüm lief sie zurück in die Suite und malte sich bereits seinen Gesichtsausdruck aus, wenn er davon erfuhr.

Vor seinem Arbeitszimmer hielt sie inne. Theo war nicht allein. Sein Bruder war bei ihm, und sie schienen in ein ernstes Gespräch vertieft. Enttäuschung malte sich auf ihre Züge, weil die wunderbare Neuigkeit vorläufig noch warten musste.

Sie wollte sich gerade abwenden, als sie stockte. Zwar hatte sie nicht vor, zu lauschen, und ihr Griechisch war eigentlich auch nicht perfekt, aber doch gut genug, dass sie verstand, worüber die beiden sprachen.

Sie redeten davon, Hallie ihren Sohn, den kleinen Nicco, wegzunehmen!

Nein! Kerry presste eine Hand gegen ihr wild klopfendes Herz. Sie musste sich verhört haben! Auf einmal wünschte sie sich weit weg, aber ihre Füße schienen ihr nicht mehr zu gehorchen.

„Du musst an Nicco denken, es ist deine Pflicht, ihn zu beschützen“, hörte sie Theo sagen. „Er ist dein Sohn … alles andere ist zweitrangig.“

„Aber Hallie, sie ist meine Frau. Sie vertraut mir. Ich kann ihr das einfach nicht antun“, erwiderte Corban.

„Du musst. Nicco ist ein Diakos.“ Theos Stimme klang hart wie Stahl. „Und die Familie geht über alles. Hallie ist nicht fähig, sich um ihr Kind zu kümmern.“

„Aber, findest du das nicht übertrieben? Sollten wir ihr nicht zumindest erlauben, sich von Nicco zu verabschieden?“

„Nein! Auf keinen Fall. Wir ziehen die Sache heute Nacht noch durch. Wir bringen deinen Sohn mit dem Hubschrauber auf die Insel. Hallie wird gar nicht mitbekommen, dass er fort ist. Und wenn sie es merkt, können wir sie in aller Diskretion aus dem Land schaffen. Niemand außerhalb der Familie wird je davon erfahren.“

Sie wollen Hallie ihr Kind wegnehmen, dachte Kerry entsetzt.

Ihr wurde schlecht. Die Erinnerung an ihre schreckliche Kindheit stieg wieder in ihr auf. Das Leid und die Verzweiflung ihrer eigenen Mutter, die nicht damit fertiggeworden war, dass man ihr damals das Kind weggenommen hatte.

Ich kann das nicht zulassen! Sie musste verhindern, dass ihrer Freundin dasselbe Leid zugefügt wurde wie ihrer Mutter. Wenn man dieser damals das Kind gelassen hätte, wäre sie vielleicht noch am Leben.

Ich muss zu Hallie und sie warnen. Voller Panik lief sie in das Luxusapartment, in dem Corban und seine Frau wohnten. Sie fand Hallie im Schlafzimmer, wo sie an ihrem Toilettentisch saß und sich das lange braune Haar bürstete.

„Kerry!“, rief Hallie verwundert, als Kerry außer Atem in ihr Zimmer stürmte. „Was ist los?“

„Entschuldige bitte“, stieß Kerry hervor. „Es geht um Nicco. Ich habe eben gehört, wie Theo und Corban davon geredet haben, dass sie ihn von hier wegbringen wollen.“

„Aber warum denn? Ist etwas passiert?“ Hallie sprang auf. Ihr Stuhl landete mit einem lauten Krachen auf dem Boden.

„Keine Angst, es geht ihm gut. Aber es ist etwas viel Schlimmeres. Sie meinen, du seist nicht fähig, dich um ihn zu kümmern. Deshalb wollen sie Nicco auf irgendeine Insel bringen, ohne dir etwas davon zu sagen.“

„Nein!“, schrie Hallie auf. Wie erstarrt stand sie da. „Das können sie nicht tun! Nicht mit mir!“ Mit einem Griff packte sie ihre Handtasche und die Autoschlüssel. Dabei warf sie ein Weinglas um, das auf dem Tisch stand. Auf ihren hochhackigen Schuhen stakste sie unsicher zur Tür.

„Warte“, rief Kerry ihr nach. Sie ließ das Papiertaschentuch fallen, mit dem sie den Rotweinfleck aufwischen wollte, und rannte Hallie nach. Hallie hat getrunken, dachte sie. Sie darf auf keinen Fall das Auto nehmen.

Aber sie kam zu spät. Das Kinderzimmer war leer, und die Anzeige des privaten Lifts zeigte an, dass Hallie bereits die Tiefgarage erreicht hatte.

Oh Gott, was habe ich getan, dachte Kerry panisch. Wenn den beiden nun etwas passiert!

Unschlüssig verharrte sie einen Augenblick, dann lief sie zurück zu Theos Arbeitszimmer. Ohne anzuklopfen, stürzte sie hinein.

„Ihr müsst sofort kommen, Hallie …“ Kerrys Stimme versagte, hilflos rang sie nach Luft.

Mit einem Schritt war Theo bei ihr. Beruhigend legte er ihr eine Hand auf den Arm.

„Beruhige dich erst einmal. Ja, tief durchatmen.“ Besorgt ruhte sein Blick auf ihr. Als er sah, dass sie wieder zu Atem gekommen war, fuhr er fort: „So. Jetzt erzähl in aller Ruhe, was passiert ist.“

Verzweifelt sah Kerry ihn an. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Sorge um Hallie und Nicco und ihrem Misstrauen gegenüber ihrem Geliebten.

„Hallie hat das Auto genommen und ist mit Nicco weggefahren. Aber sie ist betrunken …“

Corban stieß einen lauten Fluch aus und stürmte zum Lift. Er rief seinem Bruder irgendetwas auf Griechisch zu, das Kerry in ihrer Aufregung nicht verstand. Theo griff zum Telefon und gab seinem Sicherheitspersonal die Anweisung, Hallie aufzuhalten. Dann sah er zu Kerry, die noch immer wie ein Häufchen Elend mitten im Raum stand.

„Ich hoffe, dass wir Hallie noch einholen können“. Er trat auf Kerry zu und zog sie an sich. Sanft strich er ihr übers Haar. „Mach dir keine Sorgen, wir bringen die beiden schon sicher zurück.“

Dann, bevor Kerry auch nur ein Wort hervorbringen konnte, verschwand er. Nur der Duft seines männlich-herben Eau de Toilette lag noch in der Luft.

Theo war der Mittelpunkt in Kerrys Leben. Alles andere verblasste neben seiner starken Präsenz.

Sie hatte eine zeitlich befristete Stelle in seiner Firma angenommen. Als ihr Vertrag endete, war sie überglücklich, dass er sie gebeten hatte, zu bleiben. Auf Theos Wunsch hin hatte sie sich auch nicht nach einem neuen Job umgesehen, damit sie ihn jederzeit auf seinen Geschäftsreisen begleiten konnte. Er wolle sie immer um sich haben, hatte er gesagt. Und bei seiner knapp bemessenen Zeit sei das nur so möglich.

Kerry schloss die Augen. Sie sehnte sich nach Theos starken Armen. Wenn er sie hielt, war alles in Ordnung, dann konnte ihr nichts passieren. Sogar jetzt, wo er so besorgt um seinen Neffen war, hatte er sich noch die Zeit genommen, sie zu beruhigen.

Er hatte ihr versichert, sie habe das Richtige getan – nur kannte er nicht die ganze Wahrheit.

Mit zitternden Knien trat sie ans Fenster und sah hinaus in die dunkle Nacht. Irgendwo da draußen war Corban und suchte seine Frau und sein Kind. Und Theo half ihm dabei. Kerrys Mund zitterte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Lieber Gott, dachte sie flehentlich, bitte lass alles wieder gut werden.

Mit rabenschwarzer Miene eilte Theo Diakos durch das Hotel. Hallie und das Kind waren in Sicherheit. Corban hatte sie am Syntagma Square eingeholt, wo Hallie auf ein Auto aufgefahren war. Zum Glück war außer Blechschäden nichts passiert – doch leider war die Presse aufmerksam geworden. Innerhalb von Minuten war der Sportwagen von Paparazzi umringt. Daher hatte Corban es nicht geschafft, seine Frau und sein Kind ohne großes Aufsehen von der Unfallstelle wegzubringen … morgen würden alle Zeitungen darüber berichten.

Theo stieß einen Fluch aus. Hätte er doch nur früher gehandelt! Hätte er es doch nur nicht so lange hinausgezögert, mit Corban zu sprechen … dann wäre ihnen all das erspart geblieben. Dabei war doch schon seit längerem offensichtlich, dass Hallie ein Alkoholproblem hatte.

Bis jetzt hatten sie es vertuschen können. Selbst Kerry hatte nichts gemerkt. Aber nun … nun würde die Presse alles breittreten.

Theo sah auf die Uhr. Er hatte Kerry kurz angerufen, um ihr mitzuteilen, dass alles in Ordnung sei. Aber sie klang so unglücklich, dass er es für ratsam hielt, sofort zurückzukehren. Er bedauerte von ganzem Herzen, dass sie in all das hineingezogen worden war. Zartbesaitet wie sie war, machte sie sich bestimmt größte Sorgen.

Nie würde sie sich so verhalten wie Hallie, dachte er. Kerry war sanft und zurückhaltend. Sie hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Er genoss jede Minute, die er mit ihr verbringen konnte.

Vor einem Jahr hatte er sie im Foyer eines seiner Hotels zum ersten Mal gesehen. Sie hatte eine Gruppe Touristen durch das Haus geführt. Mit ihren langen blonden Haaren, den großen blauen Augen und dem strahlenden Lächeln war sie ihm sofort aufgefallen. Und nach dem ersten gemeinsamen Abend war es um ihn geschehen. Ihr sanftes Wesen und ihr Liebreiz gefielen ihm. Sie war wie Medizin für ihn. Ein Hort des Friedens in seinem anstrengenden, hektischen Leben.

Ungeduldig beschleunigte er seinen Schritt. Er war sich sicher, sie auf der Dachterrasse anzutreffen, die sie so liebte. Er würde sie in die Arme schließen und küssen, bis alle ihre Sorgen verflogen waren.

Wie vermutet war sie auf der Dachterrasse. Beim Klang seiner Schritte drehte sie sich um und sah ihm angstvoll entgegen.

„Ist mit den beiden alles in Ordnung? Und der Unfall … ist jemand verletzt worden?“

Theo trat auf sie zu und umarmte sie. Er strich ihr die blonden Strähnen zurück und presste sanft seine Lippen auf die zarte Stelle unterhalb ihres Ohrs. „Vergiss das Ganze einfach, Liebling. Komm, ich werde dich auf andere Gedanken bringen.“ Aber anstatt sich wie sonst an ihn zu schmiegen, blieb ihr Körper starr.

„Aber wo sind sie denn jetzt?“ Kerry befreite sich aus seinen Armen und trat einen Schritt zurück.

Verblüfft sah Theo sie an. Noch nie hatte Kerry sich seinen Zärtlichkeiten entzogen. Was ist nur mit ihr los?

„Entspann dich. Corban hat alles unter Kontrolle. Er wird Hallie und Nicco umgehend außer Landes bringen, damit sie dem ganzen Presserummel entgehen. Und jetzt, mein Schatz, komm her! Glaub mir, es wird dir bald besser gehen.“

Aber Kerry folgte seiner Aufforderung nicht. Sie schluckte schwer und sah ihm unverwandt ins Gesicht. Ich muss ihm sagen, was ich getan habe, dachte sie, und ich muss wissen, worum es bei dem Gespräch mit Corban ging. Und dann … dann werde ich ihm sagen, dass ich schwanger bin.

Theo pflückte eine Blüte von den Kletterrosen, die einen betörenden Duft verströmten. „Ich glaube, ich weiß, womit ich dich ablenken kann“, raunte er verheißungsvoll.

Verzweifelt blickte Kerry auf die wunderschöne rosa Blume in Theos Hand. War es wirklich erst gestern, dass wir uns hier auf der Terrasse geliebt haben, fragte sie sich. Sehnsüchtig dachte sie an die romantischen Stunden zurück. Theo hatte sie aus dem Schlafzimmer hinaus auf die Terrasse getragen. Er hatte ihr das zarte Spitzennegligé ausgezogen und ihren Körper mit duftenden Rosenblüten bedeckt. Und dann hatten sie sich in der lauen Sommernacht unter dem Sternenhimmel geliebt.

Wie sehr wünschte sie sich, einfach seinem Werben nachzugeben und alles um sich herum zu vergessen, aber …

„Theo, bitte … Ich muss mit dir reden. Ich habe euer Gespräch mit angehört. Du hast zu Corban gesagt, dass er Nicco wegbringen soll … ohne Hallies Wissen.“

„Ja. Leider habe ich viel zu lange damit gewartet“, erwiderte Theo. „Das heutige Fiasko hätte leicht vermieden werden können.“

„Fiasko? Wie kannst du so … so kalt sein! Das war eine Tragödie.“

„Stimmt – eine Tragödie, die man hätte vermeiden können.“

„Aber doch nicht, indem man einer Mutter ihr Kind wegnimmt!“

Wieder stiegen die Bilder aus der Vergangenheit vor Kerry auf. Sie musste an ihre eigene Mutter denken. Sie war erst sechzehn Jahre alt gewesen, als sie ihr Kind auf die Welt brachte. Man hielt sie damals nicht für fähig, sich um das Baby zu kümmern, und hatte es in die Obhut der Großmutter gegeben. Das hatte Kerrys Mutter nie verwunden. Ihr Leben lang hatte sie sich Vorwürfe gemacht. Sie versank in Depressionen und versuchte mit Alkohol und anderen Drogen, den Schmerz zu betäuben. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und nahm sich das Leben.

Noch schwerer wog für Kerry die Tatsache, dass man ihr immer vorenthalten hatte, wer ihre Mutter war. Für die Großmutter, bei der sie aufwuchs, bedeutete die Enkelin nur eine Belastung, was sie Kerry auch immer vorwarf.

„Es ehrt dich, dass du dir Sorgen um Hallies und Niccos Wohlbefinden machst. Und ich bin dir auch sehr dankbar, dass du mich alarmiert hast, aber mein Gespräch mit Corban war privater Natur. Eine reine Familiensache … und ich wüsste nicht, was dich das anginge.“

Seiner Stimme war deutlich anzuhören, dass er allmählich die Geduld verlor. Wie wird er erst reagieren, wenn ich ihm gestehe, was ich getan habe, fragte sich Kerry verzweifelt.

„Hallie ist meine Freundin. Es ist doch selbstverständlich, dass ich mir Sorgen um sie mache. Und um Nicco.“

„Trotzdem ist es allein meine Sache, was ich zum Wohl meiner Familie entscheide.“ Plötzlich sah er sie misstrauisch an, ein ungeheurer Verdacht stieg in ihm auf.

„Du hast ihr doch hoffentlich nicht von dem Gespräch erzählt?“

Einen Moment stockte Kerrys Herzschlag.

„Doch“, flüsterte sie kaum hörbar. Jetzt ist es raus. Sie blickte Theo an.

„Wie konntest du nur! Die Sache geht dich gar nichts an!“

„Natürlich geht es mich etwas an“, stieß Kerry ärgerlich hervor. Wie konnte er nur so herzlos sein?

„Jetzt wird mir klar, warum du dir Sorgen gemacht hast … weil du allein schuld an dieser ganzen Misere bist. Herrgott, das Ganze hätte böse ausgehen können. Mein Neffe hätte sterben können.“

„Ich wusste doch nicht, dass Hallie getrunken hatte. Das habe ich erst …“

„Deine Ausreden interessieren mich nicht“, unterbrach Theo sie.

„Aber …“

„Du hast dich in meine Angelegenheiten eingemischt. Und mich hintergangen.“

„Hallie ist meine Freundin“, wiederholte Kerry tonlos.

„Und ich? Was bin ich für dich? Du hättest zuerst mit mir darüber reden müssen, anstatt eigenmächtig zu handeln.“

„Du … ich …“ Kerry wusste nicht, was sie noch zu ihrer Verteidigung vorbringen sollte.

Er hatte ja recht. Wenn sie zuerst mit ihm gesprochen hätte, wäre das alles nicht passiert. Aber er … er wollte einer Mutter ihr Kind wegnehmen. Das hatte sie genau gehört.

„Ich will, dass du deine Sachen packst und verschwindest“, sagte Theo schneidend. „Ich will dich nicht mehr sehen.“

„Wie bitte?“ Ungläubig starrte sie ihn an.

Brüsk wandte er sich ab. Für ihn war Kerry gestorben. Vor einer Minute hatte er sie aus seinem Leben gestrichen.

„Warte doch“, rief sie ihm nach. „Ich muss dir noch etwas sagen …“

Die Türklinke bereits in der Hand, hielt Theo inne. Zögernd drehte er sich um und sah sie an. Sie hatte noch eine kleine Galgenfrist.

„Ich habe heute Abend herausgefunden, dass …“

Plötzlich brach sie ab. Plötzlich hatte sie Angst, ihm zu sagen, dass sie schwanger war.

Nach allem, was heute passiert war, kam Theo ihr wie ein Fremder vor. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass er fähig sein würde, einer Mutter ihr Kind wegzunehmen … und dies auch noch vehement zu verteidigen.

Wenn sie sich nicht scheuten, Hallie so etwas anzutun, die seit sieben Jahren mit Corban verheiratet war, wie würden sie dann erst mit ihr verfahren? Schließlich wäre ihr Kind ein Diakos. Würde Theo … sie wagte es nicht, den Satz zu Ende zu denken.

„Ja? Was … was hast du noch so Wichtiges zu sagen?“ Seine Ungeduld war offensichtlich.

„Ich wollte noch sagen … ich habe das Gefühl, dich gar nicht mehr zu kennen.“

„Das beruht allerdings auf Gegenseitigkeit. Und jetzt verschwinde.“

2. KAPITEL

14 Monate später …

„Vielen Dank, dass ich Sie in Ihrem Heim besuchen darf.“ Theo reichte dem alten Mann, der an einem verwitterten Holztisch unter einem uralten Olivenbaum saß und seinen Kaffee trank, zur Begrüßung die Hand. „Ihre Insel ist wirklich wundervoll. Ein wahres Paradies. Und so friedlich.“

Drakon Notara ignorierte die ausgestreckte Hand. Ohne von der Tasse aufzublicken, schnaubte er irgendetwas Unverständliches. Theo kannte ihn bereits, er hatte ihn mehrmals in Athen getroffen, darum ließ er sich von der schroffen Art des Alten nicht weiter beeindrucken.

„Als wenn es Ihnen darauf ankäme. Friedlich! Ha! Sie wollen ja nur das Land, um eine ihrer protzigen Hotelanlagen darauf zu bauen. Mit Bars, in denen diese schrecklich laute Musik gespielt wird. Für diese Touristen, die sich betrinken und benehmen wie Vandalen.“ Er hob den Kopf und sah Theo zum ersten Mal an. „Das werde ich nicht zulassen.“

Ich lasse mich nicht provozieren, nahm Theo sich vor. Schweigend erwiderte er den Blick des Alten. Normalerweise hätte er schon an dieser Stelle jede Verhandlung abgebrochen, aber es stand zu viel auf dem Spiel.

Er musste diese Insel einfach haben. Das hatte er seiner Mutter auf dem Sterbebett versprochen. Und dafür war er bereit, so manches in Kauf zu nehmen.

Drakon Notara hatte ihm bis jetzt weder einen Platz noch eine Erfrischung angeboten. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, den gepflasterten Boden zu fegen. Zentimeterhoch bedeckten die welkenden Blüten der Olivenbäume die Steine. Es war überdeutlich, dass Theo nicht willkommen war. Er hatte jedoch auch nicht damit gerechnet, dass der Alte es ihm leicht machen würde.

„Ich kann Sie beruhigen“, erwiderte er auf die Anschuldigungen. „Nichts dergleichen habe ich vor. Keine Hotels, keine Bars. Wenn Sie mich einfach erklären ließen …“

„Worte, nichts als Worte“, fuhr ihn Drakon an. „Meinen Sie, ich kann nicht lesen? Die Klatschspalten sind voll von Meldungen über Leute Ihres Schlags. Reich und verwöhnt. Wie Ihr Bruder und seine Frau, die sogar betrunken Auto fährt und ihr eigenes Kind dabei in Gefahr bringt.“

„Sie sollten nicht alles glauben, was in der Regenbogenpresse steht.“ Theos Ton war eisig. Immer noch dachte er mit Grauen an diese Nacht, obwohl seitdem schon über ein Jahr vergangen war. „Meine Familie ist ganz und gar nicht so, wie sie in den Medien dargestellt wird.“

„Wollen Sie damit sagen, dass alles erstunken und erlogen ist?“, fragte der Alte herausfordernd.

„Ich meine lediglich, dass es im Moment nicht um meine Familie geht. Ich bin hier, um Ihnen ein Angebot zu unterbreiten. Wir werden sicher eine Regelung finden, die zu unser aller Zufriedenheit ist.“

„Ich habe keine Lust, jetzt mit Ihnen zu reden. Und ich habe keine Lust, mir irgendwelche einstudierten Reden anzuhören, mit denen Sie mich über den Tisch ziehen wollen.“ Der alte Mann stützte sich schwer auf der Tischplatte ab und bemühte sich, auf die Beine zu kommen. „Wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist, die Insel zu kaufen, dann kommen Sie für ein paar Tage her. Wohnen Sie hier. Ich will mir in Ruhe ansehen, mit wem ich es zu tun habe. Erst dann werde ich eine Entscheidung treffen. Aber bringen Sie Ihre hübsche Freundin mit, die, die ich letztes Jahr kennengelernt habe. Sie hat mir gefallen. Erstaunlich, dass Sie so ein nettes Mädchen gefunden haben.“

Verwundert starrte Theo den Alten an. Krampfhaft überlegte er, wo er Kerry wohl kennengelernt haben mochte, bis ihm die Wohltätigkeitsabende einfielen, zu denen er mit ihr gegangen war. Dort musste es gewesen sein.

Allerdings überstieg es sein Vorstellungsvermögen, was Drakon mit der Einladung bezweckte. Ob ihm zu Ohren gekommen ist, dass ich mit ihr Schluss gemacht habe, dachte Theo.

„Oder haben Sie schon wieder eine andere?“, unterbrach der Alte Theos Gedanken. „Eigentlich hatte ich erwartet …“, stirnrunzelnd hielt er inne, „wie hieß sie noch mal?“

„Kerry“, antwortete Theo gepresst. Ihm war nicht entgangen, dass Drakon die Vergangenheitsform benutzt hatte. Ganz sicher weiß er, dass sie nicht mehr meine Freundin ist, mutmaßte Theo. „Sie heißt Kerry.“

„Ach ja, Kerry. Stimmt. Ein entzückendes junges Ding – sie hat mich an meine Frau erinnert, damals, als wir noch jung waren. Eigentlich hatte ich erwartet, eine Heiratsanzeige in der Zeitung zu lesen. Es war ja nicht zu übersehen, dass die Kleine bis über beide Ohren in Sie verliebt war. Aber wie ich Sie kenne, haben Sie sie längst vergessen.“ Abrupt wandte er sich um und schlurfte davon.

„Meine persönlichen Angelegenheiten tun hier gar nichts zur Sache! Ich trenne grundsätzlich Privates und Geschäftliches“, rief Theo ihm nach.

Aber wahrscheinlich sieht der Alte das nicht so, dachte er, und sein Mut sank. Offensichtlich fand Drakon Theos Privatleben durchaus wichtig. Er war eben sehr konservativ, und wenn Theo es nicht schaffte, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, bedeutete das einen dicken Minuspunkt. Außerdem hatte der alte Mann Kerry anscheinend richtig ins Herz geschlossen.

„Für mich haben die traditionellen Werte eben noch eine Bedeutung“, antwortete er jetzt über die Schulter hinweg. „Ich halte gar nichts von diesen schnelllebigen Zeiten und der Wegwerfmentalität.“

„Wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie, dass wir da gar nicht so verschieden sind“, erwiderte Theo.

Am liebsten wäre er Drakon nachgelaufen und hätte ihn davon überzeugt, dass er überhaupt nicht vorhatte, ein Hotel auf der Insel zu bauen. Aber dann hätte er ihm auch erzählen müssen, warum ihm diese Insel so wichtig war – und dazu war er nicht bereit. Das ging niemanden etwas an. Schon gar nicht einen rechthaberischen alten Mann, der meinte, anderen seine Moralvorstellungen aufzwingen zu können.

„Dann kommen Sie ein anderes Mal wieder … zu einem richtigen Besuch … und bringen Sie Kerry mit.“ Mit diesen Worten verschwand Drakon in seinem Haus.

Frustriert sah Theo ihm nach. So fragil der Alte auch wirkte, sein Wille war offensichtlich ungebrochen.

„Würden Sie mir erlauben, Sie zum Hubschrauberlandeplatz zurückzubegleiten?“ Drakon Notaras Assistent war unbemerkt herangetreten und legte eine Hand auf Theos Arm.

„Ich kenne den Weg“, sagte dieser und schüttelte unwillig die Hand ab. In Gedanken versunken und blind für die atemberaubende Aussicht auf das Ägäische Meer eilte er den Pfad entlang.

Ich brauche Kerry, dachte er. Wenn ich den Wunsch meiner Mutter erfüllen will, dann werde ich es nur mit Kerrys Hilfe schaffen.

„Vielen herzlichen Dank.“ Der Kunde bedankte sich überschwänglich. Als er ging und die Tür öffnete, ließ er einen Schwall kalter, feuchter Luft herein.

„Ihr Urlaub wird sicher fantastisch. Ich war auch einmal in Kreta und würde jederzeit wieder hinfahren.“ Kerry stand auf und schloss die Tür mit Nachdruck.

Einen Moment blieb sie stehen und blickte auf die regennasse Straße. Wie wundervoll es wäre, jetzt am Strand in der Sonne zu liegen und mit Lucas zu spielen, dachte sie wehmütig. Ihr Sohn war jetzt sechs Monate alt, und es war unwahrscheinlich, dass sie in naher Zukunft Gelegenheit haben würde, mit ihm in Griechenland Sandburgen zu bauen. Nicht bei ihren schwierigen finanziellen Verhältnissen. Vor vierzehn Monaten hatte sie Athen verlassen – Hals über Kopf und todunglücklich. Die erste Zeit in London war ein Albtraum gewesen. Kerry hatte versucht, die Scherben ihres Lebens wieder zusammenzukehren. Aber das war nicht einfach. Sie hatte kein Geld, keine Arbeit und keine Wohnung … und war obendrein auch noch schwanger.

„Es ist bald Zeit für deine Mittagspause“, unterbrach ihre Kollegin Carol diese trüben Gedanken. „Von mir aus kannst du schon gehen. Ich halte inzwischen hier die Stellung.“

„Vielen Dank, du bist ein Schatz. Ich bin schon halb verhungert. Lucas ist ja wirklich ein goldiges Kind, aber er weckt mich jeden Morgen bei Tagesanbruch. Da habe ich um diese Uhrzeit bereits einen Bärenhunger.“

In diesem Moment ging erneut die Tür auf, und der eisige Luftzug ließ sie erschauern.

„Man sollte nicht glauben, dass wir bereits Juni haben“, rief sie und zog fröstelnd die Jacke enger um sich. „Guten Morgen, kann ich Ihnen …“ Das Wort „helfen“ blieb ihr in der Kehle stecken, als sie sah, wer da eben hereingekommen war. Theo Diakos!

Mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck starrte er sie an.

Mein Gott, dachte Kerry. Sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Schwäche an. Das muss eine Sinnestäuschung sein.

Aber nein, es war der Mann, den sie so geliebt hatte. Seine hochaufgerichtete, athletische Gestalt füllte den Türrahmen fast aus. Er trug einen dunklen Anzug, der vom Regen völlig durchnässt war. Von den schwarzen Haaren tropfte das Wasser. Unverwandt sah er sie unter zusammengezogenen Brauen an.

Was will er hier, dachte Kerry. Hat er von Lucas erfahren? Weiß er, dass er einen Sohn hat?

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Carol war aufgestanden und um den Schreibtisch herumgekommen. Sie ging zu einem Regal, auf dem Reiseprospekte lagen. „Darf ich Ihnen etwas Bestimmtes zeigen?“

Trotz ihres Schocks hätte Kerry beinahe laut aufgelacht. Die Vorstellung war wirklich zu komisch. Der Multimilliardär Theo Diakos buchte – einfach so – in einem zweitrangigen Reisebüro in irgendeiner Nebenstraße Londons seinen nächsten ‚All-inclusive-Urlaub‘!

Es muss einen Grund geben, dass er hier ist. Theo macht nie etwas … einfach so, dachte sie.

„Ich möchte mit Kerry sprechen“, antwortete er, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Ach? Sie kennen sich?“ Carol sah ihre Kollegin überrascht an.

Kerry, die zur Salzsäule erstarrt schien, konnte ihren Blick nicht von dem Mann lösen, den sie einmal geliebt hatte. Aber er … er hatte ihre Gefühle nicht erwidert. Sie hatte ihm nichts bedeutet. Ein einziger Abend hatte genügt, um ihr zu zeigen, dass Theo Diakos kein Herz besaß – und nicht einen Funken Mitgefühl im Leib.

Er hatte schließlich diese Verschwörung angezettelt. Einer Mutter ihr Kind wegzunehmen! Was für ein Mensch muss er sein, dachte Kerry. Und dann hatte er ihr nicht einmal Gelegenheit gegeben, alles zu erklären. Was sich ihm in den Weg stellte, wurde vernichtet. Auch wenn es seine Geliebte war.

„Carol, das ist Theo. Er lebt in Athen.“ Kerry brachte es kaum über die Lippen, Theo vorzustellen. Sie zitterte bei dem Gedanken, was sein Besuch nach sich ziehen konnte. Bis heute hatte sie niemandem erzählt, was in Athen eigentlich passiert war. Niemand sollte wissen, wer Lucas’ Vater war.

„Warum geht ihr nicht zusammen einen Kaffee trinken? Du hast doch sowieso Pause, Kerry“, schlug Carol vor. „Wahrscheinlich habt ihr euch viel zu erzählen.“

Das war nun allerdings das Letzte, wonach Kerry der Sinn stand. Andererseits wollte sie an ihrem Arbeitsplatz auch keinen Eklat heraufbeschwören. Sie brauchte diesen Job.

„Warum nicht? Ich hole nur schnell meine Tasche.“ Mühsam beherrscht ging sie in den kleinen Aufenthaltsraum, der im rückwärtigen Teil des Reisebüros lag.

Dabei konnte sie Theos Blicke förmlich spüren. Warum ist er hier, überlegte sie wieder. Hat er von Lucas erfahren? Will er ihn mir wegnehmen?

Sie schloss die Tür hinter sich und sank erschöpft auf einen Stuhl. Am liebsten wäre sie nicht mehr zurückgegangen. Plötzlich schoss ihr ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Wenn Carol nun Lucas erwähnte!

Mit einem Griff schnappte sie ihre Handtasche und stürzte zurück.

„Lass dir Zeit“, rief Carol ihr nach.

„Danke, das ist lieb, aber es wird nicht lange dauern. Ich bin bald wieder zurück.“

„Trotzdem, viel Spaß!“

„Danke“, damit ging Kerry schnell an Theo vorbei auf die Straße hinaus, sodass diesem nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen.

Spaß! Das ist tatsächlich das Letzte, was ich mir im Moment vorstellen kann.

Plötzlich stieg eine unbändige Angst in ihr auf. Ich muss jetzt sofort wissen, was er vorhat, dachte sie.

Abrupt drehte sie sich um, sodass sie fast zusammenstießen.

„Was willst du!“ Feindselig starrte sie ihn an.

„Ich will dich zurück nach Griechenland holen.“

3. KAPITEL

Scheinbar unbeteiligt beobachtete Theo, wie Kerry auf seine Worte reagierte. Irgendwie kam sie ihm völlig verändert vor. Er konnte nur nicht genau benennen, was es war.

Einerseits lag es natürlich an der Kleidung. Sie trug eine Art Uniform in Marineblau. Außerdem hatte sie jetzt einen Pony. Die Haare fielen ihr auch nicht mehr offen auf die Schultern, sondern waren zu einem Knoten zusammengesteckt. Aber das war es nicht. Die Veränderung ging tiefer. Kerry wirkte älter, reifer … ein Eindruck, den der sorgenvolle Zug auf ihrem Gesicht noch verstärkte.

Prüfend blickte er sie an. Er hätte schwören können, dass ihre Augen blau waren, aber jetzt wirkten sie fast grau. Grau wie der wolkenverhangene Himmel.

„Du musst verrückt sein!“, stieß Kerry hervor. „Ich komme doch nicht mit dir nach Griechenland.“

„Oh doch. Das wirst du.“

„Und warum sollte ich das tun?“ Ungläubig schaute sie ihn an. „Was verleitet dich zu der Annahme, dass ich mit dir auch nur irgendwohin gehe?“

„Weil du mir das schuldig bist.“

„Ich? Ich soll dir etwas schuldig sein?“ Kerry fühlte, wie eine unbeschreibliche Wut in ihr aufstieg. „Ich habe meinen Beruf für dich aufgegeben. Ich habe nie auch nur einen einzigen Cent von dir angenommen – im Gegenteil. Ich habe meine sämtlichen Ersparnisse aufgebraucht, während ich mit dir lebte. Und das, mein Lieber, hat meine Situation wirklich nicht verbessert, als du mich rausgeworfen hast. Ich hatte eine ganz schön harte Zeit nach meiner Rückkehr. Und – ich habe dir den ganzen Schmuck zurückgegeben, den du mir geschenkt hast.“

Das war ihr wirklich nicht leichtgefallen. Nicht wegen des Werts der Schmuckstücke. Geld war ihr nicht so wichtig. Nein, sie hatte geglaubt, Theo würde mit den Geschenken seine Zuneigung für sie ausdrücken und ihr damit symbolisch zeigen, wie viel sie ihm bedeutete. Aber auch in dem Punkt hatte sie sich wohl getäuscht.

„Es geht mir hier nicht um Banalitäten wie Geld oder Geschenke.“

„Worum geht es denn dann?“ Lieber Gott, lass ihn nicht herausgefunden haben, dass ich einen Sohn habe, dachte sie verzweifelt.

„Du hast dich in Angelegenheiten eingemischt, die dich nichts angingen. Und das hätte tragische Folgen haben können.“

Mit Grauen dachte Kerry an die Nacht zurück, die mit dem Unfall geendet hatte.

„Es ist doch niemand verletzt worden“, sagte sie kleinlaut.

„Was wir aber bestimmt nicht dir zu verdanken haben. Aber auch das ist nicht der Grund meines Besuchs. Es geht um etwas völlig anderes. Deine Einmischung hatte nämlich einen riesigen Medienrummel zur Folge. Das Ganze war das gefundene Fressen für die Paparazzi. Sie haben meine Familie gnadenlos gejagt. Vor allem Hallie und Corban haben sie das Leben zur Hölle gemacht.“

Die Erleichterung, dass Theo offensichtlich nichts von Lucas wusste, machte Kerry mutig. Wie kann er so zynisch sein, dachte sie. Mit diesem Mann habe ich ein Jahr meines Lebens verschwendet.

„Ach. Du willst damit also sagen, dass ihr plötzlich nicht mehr so einfach einer Mutter ihr Kind wegnehmen konntet, weil die Augen der Öffentlichkeit auf euch gerichtet waren?“

Sobald ihr die Worte entschlüpft waren, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Die Änderung in Theos Gesicht war dramatisch. Von ihm ging jetzt eindeutig etwas Bedrohliches aus.

„Es wäre wirklich viel besser … für dich, wenn du vergessen würdest, was du in dieser Nacht gehört hast.“

Eine Gänsehaut überlief Kerry beim Klang seiner Stimme. Gleichzeitig regte sich jedoch auch ihr Widerspruchsgeist. Was fällt ihm ein, so mit mir zu reden, dachte sie. Er hat mir gar nichts vorzuschreiben, schließlich sind wir nicht mehr liiert.

„Das hättest du wohl gern, nicht wahr? Schämst du dich denn gar nicht, so etwas Horrendes auch nur in Erwägung gezogen zu haben? Wahrscheinlich wartest du nur darauf, dass das Medieninteresse erlischt, um dann deinen miesen Plan durchziehen zu können.“

Theo glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Nie hätte er gedacht, dass in seiner sanften Kerry so ein Kampfgeist steckte. Die Kerry von damals hätte es niemals gewagt, so mit ihm zu reden.

„Du solltest jetzt ganz vorsichtig sein“, erwiderte er gefährlich leise. Unwillkürlich war er einen Schritt auf sie zugegangen, sodass Kerry den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht blicken zu können.

„Ach ja!“ Sie stemmte kämpferisch die Hände in die Seiten. „Und wenn nicht? Was dann?“

Theo spürte, wie die Atmosphäre um sie herum förmlich Funken sprühte. Eine Spannung lag in der Luft, die von ihrem Streit herrührte … aber da war auch noch etwas anderes. Etwas, was auch früher schon zwischen ihnen bestanden hatte: die Spannung der Leidenschaft.

Hilflos ballte er die Fäuste. Er musste sich eingestehen, dass er Kerry am liebsten in seine Arme gerissen hätte. Am liebsten wollte er sie mit einem Kuss zum Schweigen bringen.

Das Blut pochte in seinen Schläfen, während er sie in stummer Wut anblickte. Und plötzlich sah er, dass Kerrys Augen sich unmerklich weiteten und ihre Lippen sich leicht öffneten. Da wusste er, dass auch sie dieses Feuer zwischen ihnen fühlte.

Es war reine körperliche Anziehungskraft. Kerry begehrte ihn genauso wie er sie.

Unvermittelt packte er sie an den Armen und zog sie an sich. Ihr lockender Mund war nur Millimeter von seinem entfernt. Wenn er den Kopf nur noch ein bisschen senkte … Er könnte sich nehmen, was ihm früher gehört hatte. Er könnte ihren Körper nehmen und ihr zeigen, dass man mit einem Theo Diakos nicht spielte.

Aber deshalb war er nicht hier. Er konnte es nicht riskieren, Kerry vollends in die Defensive zu treiben. Er brauchte ihre Hilfe. Zögernd ließ er sie los und trat einen Schritt zurück.

„Ich bin nicht gekommen, um irgendwelche Spielchen zu spielen. Ich werde dir sagen, weshalb ich gekommen bin.“

„Dann tu das doch endlich.“ Kerry war froh, dass sie sich anscheinend nicht verraten hatte. Trotz des strömenden Regens spürte sie die Hitze, die ihr in die Wangen gestiegen war. Aber Theo schien nichts gemerkt zu haben. Wie kann ich nur immer noch so auf ihn reagieren, dachte sie. Nach allem, was er mir angetan hat. Aber in Zukunft würde sie gewappnet sein. Diese Schwäche würde sie sich nicht mehr erlauben.

Suchend sah Theo sich um. „Wollen wir nicht lieber ins Trockene gehen?“ Er deutete auf ein Café in der Nähe.

„Nein. Jetzt bin ich schon einmal nass. Außerdem ist meine Mittagspause fast vorüber. Sag mir einfach, was du willst.“

„Ich möchte eine Insel kaufen. Und ich brauche dich, damit ich das Geschäft abschließen kann.“

Verwirrt runzelte Kerry die Stirn.

Mich? Was habe ich denn damit zu tun?“

„Weil dieser Alte, der Besitzer der Insel, sich weigert, mit meiner Familie Geschäfte zu machen. Er will nur an jemanden verkaufen, der seiner Vorstellung von Moral und Anstand entspricht. Jemand, der die traditionellen Werte hochhält.“

„Und was habe ich damit zu tun? Wieso sollte ich die Meinung dieses Manns ändern können?“

„Dieser Mann heißt Drakon Notara. Er erinnert sich an dich. Offensichtlich hast du ihm gefallen. Er mag dich.“ Theos Ton ließ deutlich erkennen, dass er sich fragte, wie auch nur irgendjemand Kerry mögen konnte.

„Stimmt. Ich kann mich auch an ihn erinnern. Er hat mir von dem Biotop, einer Art Landschaftsschutzgebiet, auf seiner Insel erzählt. Er hasst alles, was modern ist, und möchte seine Insel als eines der letzten Refugien bewahren. Aber wieso willst ausgerechnet du ein Landschaftsschutzgebiet kaufen? Es wundert mich überhaupt nicht, dass Drakon nicht an dich verkaufen will. Er befürchtet wahrscheinlich, dass du eine dieser Hotelanlagen auf der Insel baust.“

„Mir kam es eher so vor, als ginge es ihm um meine Einstellung zu Ehe und Familie. Und genau aus diesem Grund wirst du mich morgen auf die Insel begleiten – als meine Verlobte. Und untersteh dich, ihm zu verraten, dass wir getrennt sind.“

Schockiert starrte Kerry ihn an.

„Verlobte?“

Einen Moment dachte sie, er wolle ihr einen Heiratsantrag machen. Aber das war ja völlig verrückt. Fast genauso verrückt, wie zu erwarten, dass sie – eine Frau, die er von heute auf morgen rausgeworfen hatte – da mitmachen würde. Und das alles wegen eines Geschäftsabschlusses.

„Ganz genau. Du hast schon richtig gehört. Die paar Tage, die wir auf der Insel sein werden, wirst du dich benehmen, als wären wir ein Herz und eine Seele.“

„Aber ich war doch auch nicht deine Verlobte, als ich Drakon kennengelernt habe.“

„Das ist inzwischen ja eine Weile her. Es wäre doch nur natürlich, dass sich unsere Beziehung … entwickelt hat.“

„Unsere Beziehung? Entwickelt!“ Kerry war fassungslos. „Was für eine interessante Formulierung angesichts der Tatsache, dass du mich hinausgeworfen hast, ohne mir Gelegenheit zu geben, dir meine Sicht der Dinge zu erklären.“

„Was du getan hast, war unverzeihlich. Warum sollte ich mir also deine Ausreden anhören?“

„Ich werde dir nicht helfen, diesen alten Mann über den Tisch zu ziehen. Das kannst du vergessen.“

„Oh doch. Das wirst du“, erwiderte Theo kühl. „Ich werde dich morgen bei dir zu Hause abholen.“

„Du weißt doch gar nicht, wo ich wohne.“

„Natürlich weiß ich das. Und ich erwarte, dass du um halb sieben abreisebereit vor der Tür stehst.“

Panik erfasste Kerry. Wenn er schon weiß, wo ich arbeite, kennt er wahrscheinlich auch meine Privatadresse, dachte sie. Und wenn er das herausbekommen hat … ich muss verhindern, dass seine Leute noch weiter nachforschen … er darf nie etwas von Lucas erfahren …

Sie dachte an seine Worte – das Kind eines Diakos gehört seinem Familienclan.

Wenn er keine Bedenken gehabt hatte, Hallie ihr Kind wegzunehmen, die immerhin mit seinem Bruder verheiratet war, also auch zur Familie gehörte – was für eine Chance hätte sie dann wohl.

„Ich hoffe, du bist vernünftig. Es hat keinen Sinn, davonzulaufen. Ich werde dich überall finden.“

Am nächsten Morgen stand Kerry schon um sechs vor ihrer Wohnung. Sie wollte einfach nicht riskieren, dass Theo ins Haus kam. Je weniger er von ihr und ihrem Privatleben wusste, desto besser.

Als eine halbe Stunde später eine schwarze Limousine neben ihr am Straßenrand hielt, wurde ihr klar, dass ihre Befürchtungen grundlos gewesen waren. Theo war nämlich schon am Abend vorher nach Athen zurückgeflogen und hatte lediglich Anweisung gegeben, sie abzuholen und zum Flughafen zu bringen.

„Ihr Ticket, Miss Martin.“ Theos Assistent überreichte ihr einen weißen Umschlag. „Sie fliegen von Heathrow aus. In Athen wird man Sie abholen und zu Mr. Diakos bringen. Dann werden Sie gemeinsam auf die Insel fliegen.“

„Danke“, sagte Kerry automatisch und stieg in den Wagen. Theo scheint sich meiner sehr sicher zu sein. Ich habe nicht einmal zugesagt, dass ich mitkomme, dachte sie. Bin ich wirklich so berechenbar?

Dabei kannte er ihre Beweggründe gar nicht. Er hatte einfach aus ihrem früheren Verhalten geschlossen, dass sie auch jetzt seinen Wünschen keinen Widerstand leisten würde.

Kerry schloss die Augen und ließ sich in die Polster sinken. Schon jetzt vermisste sie Lucas, den sie Bridgets Obhut anvertraut hatte. Bridget und sie waren als Schwestern zusammen aufgewachsen. Erst später hatte sie entdeckt, dass Bridget eigentlich ihre Tante war. Aber diese Enthüllung hatte das enge Band zwischen ihnen nicht zerstört. Kerry würde Bridget immer als ihre Schwester betrachten.

Und Lucas war bei ihr in guten Händen. Bridget hatte selbst kleine Kinder, sie konnte gut mit ihnen umgehen. Der Gedanke tröstete Kerry jedoch kaum. Aber sie wusste, dass sie dieses Opfer bringen musste, wenn sie ihren Sohn schützen wollte. Warum nur hatte sie dennoch das Gefühl, ihn im Stich zu lassen?

Theo sah zu Kerry, als sie auf Drakon Notaras Insel aus dem Hubschrauber stiegen. Das Haar wurde ihr vom Wind der Rotoren ins Gesicht geweht, und als sie es am Hinterkopf zusammenfasste, sah man, wie blass sie war.

Nie hatte sie sich beschwert, wenn er sie gebeten hatte, ihn auf einer seiner Geschäftsreisen zu begleiten, aber Theo wusste, dass sie jedes Mal reisekrank wurde. Wahrscheinlich hatte sie in der Nacht vor der Reise kein Auge zugetan – entsprechend schlecht musste sie sich jetzt fühlen. Er wollte jedoch, dass sie für die Begegnung mit Drakon frisch und munter wirkte.

Er wandte sich an den Assistenten, der sie in Empfang nahm. „Sie brauchen uns nicht zu begleiten. Ich kenne den Weg. Danke. Meine Verlobte muss sich nach der Reise ein wenig ausruhen. Sie ist etwas angegriffen vom Flug. Ein Spaziergang wird ihr guttun.“

Er legte den Arm um Kerrys Schultern und zog sie an sich. Er spürte, wie sich ihr Körper anspannte und sie sich seinem Griff entwinden wollte.

„Komm, lehn dich an mich, meine Liebe“, sagte er laut, dann senkte er die Stimme. „Vergiss nicht, warum wir hier sind. Du bist meine Verlobte, also benimm dich auch dementsprechend.“

Kerry zwang sich, ihren Körper zu entspannen. Es erstaunte sie, dass er bemerkt hatte, wie schlecht es ihr ging. Das war früher nicht so, dachte sie. Aber wenn ich nur halb so elend aussehe, wie ich mich fühle, hätte das wohl jeder gesehen.

Insgeheim war sie froh, sich an Theo anlehnen zu können. Ihr war so schlecht. Sie musste ihre ganze Konzentration aufbringen, um überhaupt gehen zu können. Nach und nach fühlte sie sich jedoch besser, und jetzt wurden ihr ganz andere Dinge bewusst. Wie stark Theos Arme waren. Wie sicher sie sich fühlte, wenn er sie hielt. Die Harmonie ihrer Bewegung. Sie schienen sich in einem instinktiven Gleichklang zu bewegen. Er zeugte davon, wie sehr ihre Körper aufeinander abgestimmt, wie vertraut sie sich waren.

„Geht es dir besser?“, fragte er nach einer Weile.

Kerry wandte den Kopf und sah ihn an. Sie begegnete seinem intensiven Blick. Plötzlich fühlte sie sich äußerst unbehaglich … irgendwie schuldig.

Nie zuvor hatte sie ihm etwas verheimlicht. Vielleicht interpretiere ich wegen meines schlechten Gewissens nur etwas in seinen Blick hinein, dachte sie.

„Es ist nicht mehr weit. Das Haus liegt gleich hinter der Kuppe dort drüben.“ Theo hob Kerrys Kinn mit einem Finger. „Denk immer daran … Drakon ist zwar alt, aber er ist ein schlauer Fuchs. Er wird uns mit Argusaugen beobachten.“

„Ich will aber nicht lügen“, erwiderte Kerry. Sie mochte Drakon und fand, dass er ein reizender alter Herr war. „Das ist nicht fair.“

„Dann solltest du dich bemühen, überzeugend zu wirken, damit er nicht auf die Idee kommt, heikle Fragen zu stellen. Und wie sagt man doch so schön: Ein Blick sagt mehr als tausend Worte.“

Und damit zog Theo sie gegen ihren Protest an sich und verschloss ihr die Lippen mit einem Kuss.

4. KAPITEL

Der Kuss überrumpelte Kerry vollkommen. Mit allem hätte sie gerechnet, nur nicht damit. Aber bevor sie auch nur richtig verstand, was da gerade geschah, reagierte ihr Körper. Plötzlich fand sie sich eng an Theos Körper geschmiegt, den Kopf in den Nacken gelegt … so erwiderte sie seinen tiefen Kuss.

Es war kein zärtlicher Kuss, sondern ein heftiger Kuss voller Leidenschaft. Eine Inbesitznahme, der Kerry sich willenlos hingab. Sie schlang die Arme um Theos Nacken und klammerte sich fest an ihn, als wollte sie für immer und ewig mit ihm verschmelzen.

Dann – ohne Vorwarnung – ließ Theo sie los.

„Ich würde sagen, das wirkt überzeugend“, sagte er und trat einen Schritt zurück.

Kerry glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Wieder und wieder hatte sie von Theo geträumt, aber in ihren Träumen küsste er sie, weil er sie liebte und vermisst hatte.

Die Wirklichkeit strafte diese Träume Lügen. Er hatte sie aus purer Berechnung geküsst – und sie, sie hatte sich ihm einfach hingegeben. Oh Gott, wie peinlich … wie konnte ich nur so blauäugig sein, dachte sie. Jetzt gilt es zu retten, was noch zu retten ist, um mein Gesicht zu wahren. Kämpferisch reckte sie das Kinn vor.

„Dann bin ich ja froh, dass meine Demonstration deinen strengen Kriterien standhalten konnte. Das dürfte dann fürs Erste genügen … Ab jetzt nur noch vor Publikum, sozusagen wenn Drakon überzeugt werden muss.“

Amüsiert sah Theo sie an. Ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Na, dann komm. Wir wollen unseren Gastgeber nicht länger warten lassen.“ Wie selbstverständlich fasste er Kerry bei der Hand und zog sie mit sich.

„Ich hörte, dass Sie sich bei Ihrer Ankunft nicht wohl gefühlt haben?“, fragte Drakon. Aufmerksam sah er sie an. „Hoffentlich geht es Ihnen jetzt besser.“

„Ja. Vielen Dank. Viel besser“, erwiderte Kerry lächelnd. Entspannt lehnte sie sich im Stuhl zurück und nippte an ihrem Glas. Sie sah sich um. Es ist wirklich paradiesisch hier, dachte sie. Sie saßen im Schatten der knorrigen Olivenbäume, vor sich die unendliche Weite des Meers. Und mit Drakon zu plaudern, brachte sie wenigstens auf andere Gedanken. Die Episode mit Theo war einfach zu verstörend gewesen.

„Kerry leidet unter Flugangst“, erklärte Theo. Überrascht sah Kerry ihn an. Nie hätte sie vermutet, dass er das noch wusste. „Aber normalerweise geht es ihr wieder gut, sobald wir gelandet sind“, fügte er hinzu.

„Das muss ja eine Tortur für Kerry sein. So oft, wie Sie reisen“, sagte Drakon.

„Jetzt machen Sie mir aber ein schlechtes Gewissen.“ Reumütig verzog Theo das Gesicht. „Ich gestehe, es ist sehr egoistisch von mir, Kerry zu bitten, mich zu begleiten, aber ich will so oft wie möglich in ihrer Nähe sein.“

„Liebe ist egoistisch“, entgegnete Drakon trocken und trank seinen Ouzo aus.

„Das kann man wohl sagen“, erwiderte Theo und sah Kerry dabei in die Augen.

Verlegen blickte sie zur Seite. Sie dachte daran, wie oft Theo früher dasselbe gesagt hatte: Ohne sie könne er nicht sein. Nur hatte sie damals geglaubt, er würde es aus Liebe sagen.

Ihre Kindheit war geprägt gewesen von dem Gefühl, nicht gewollt zu sein. Und mit achtzehn Jahren hatte sie erfahren, dass dieses Gefühl sie nicht getrogen hatte. Auch ihre Großmutter hatte sie nicht gewollt, sondern lediglich aus einem konservativem Pflichtgefühl heraus aufgenommen – weil sie ihrer eigenen Tochter nicht zutraute, sich um ein Kind zu kümmern.

Und auch Theo wollte sie nicht. Ein einziger Fehler, und er hatte sie von sich gestoßen.

„Ich hoffe, morgen werden Sie uns erlauben, die Insel zu besichtigen“, unterbrach Theos Stimme Kerrys Gedanken.

„Lassen Sie uns jetzt nicht über Geschäftliches reden“, winkte Drakon ab. „Meine Liebe“, wandte er sich an Kerry, „wie kommt es, dass ich Sie so lange nicht gesehen habe? Ich gestehe, ich verlasse die Insel nicht oft, aber ich war doch bei ein paar Wohltätigkeitsveranstaltungen und habe Sie da vermisst.“

„Das tut mir leid.“ Wie soll ich mich nur herausreden, ohne dass Drakon Verdacht schöpft, überlegte sie. „Ich konnte Theo in letzter Zeit leider nicht so oft begleiten, sondern musste viel nach London – Familienangelegenheiten.“

„Hoffentlich nichts Unerfreuliches. Ist jemand krank?“

„Nein, nein, nichts so Gravierendes, Gott sei Dank.“

Sie dachte an Lucas, und wieder überkam sie das Gefühl, ihren Sohn im Stich gelassen zu haben. Nichts Wichtiges – dabei ist er das Wichtigste in meinem Leben, dachte sie.

„Da bin ich froh“, erwiderte der Alte. Er schob seinen Stuhl zurück und stand schwerfällig auf. Unwirsch winkte er ab, als Theo sich erhob, um ihm behilflich zu sein. „Ich werde mich vor dem Abendessen ein wenig hinlegen. Wenn ihr wollt, seht euch nach Herzenslust im Haus um. Morgen könnt ihr dann die Insel besichtigen.“

Lächelnd sah Kerry ihm nach. Drakon Notara ist ein richtiges Original, dachte sie, ich mag ihn wirklich sehr. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie Theo sie anstarrte. Das Lächeln wich aus ihrem Gesicht.

„Was freut dich denn so?“, fragte Theo und setzte sich neben sie.

„Ach, nichts“, wich sie aus. „Ich mag den Alten einfach und freue mich, ihn wiederzusehen.“

Unverwandt hielt sie den Blick auf die atemberaubende Aussicht gerichtet. Dennoch war sie sich Theos Nähe nur allzu deutlich bewusst.

„Und ich freue mich, dich wiederzusehen“, sagte er und legte Kerry den Arm um die Hüfte. „Wirklich.“ Zart streichelte er das schmale Stückchen Haut zwischen ihrer Bluse und dem Bund ihres Rocks.

„Wieso, du siehst mich doch gar nicht an“, parierte sie schnippisch.

„Dann eben … ich freue mich, dich zu fühlen.“

„Das war aber nicht Teil des Deals“, protestierte sie schwach.

„Haben wir einen Deal? Das war mir gar nicht bewusst“, flüsterte er an ihrem Ohr, während er sie weiter liebkoste.

„Nicht, lass mich!“, stieß Kerry mit zitternder Stimme hervor. Wie hatte sie sich nach dieser Berührung gesehnt! Unwillkürlich durchlief ein Schauer ihren Körper.

Als hätte Theo nur darauf gewartet, zog er sie enger an sich. Er presste seine Lippen auf ihren Nacken.

„Du ahnst gar nicht, wie ich das vermisst habe“, murmelte er zwischen den Küssen. „Und ich weiß genau, dass es dir genauso geht.“

„Nein. Das bildest du dir nur ein.“ Sie versuchte, sich seiner Umarmung zu entziehen. Wenn ich dem jetzt nicht sofort ein Ende setze, werden wir im Bett landen, dachte sie. Das kann ich nicht zulassen … so wie er mich damals behandelt hat. Und auch wegen des Geheimnisses, das sie vor ihm verbarg.

„Ich werde mich hier ein wenig umsehen“, verkündete sie und stand entschlossen auf. „Drakon hat uns ja die Erlaubnis dazu gegeben. Ich wundere mich überhaupt, dass du die Gelegenheit nicht schon längst ergriffen hast, deinen zukünftigen Besitz genauestens in Augenschein zu nehmen.“

Ein leises Lächeln umspielte Theos Lippen. Am liebsten wäre er zwar auf der Stelle mit Kerry ins Bett gegangen, aber er konnte warten. Dafür würde auch heute Nacht noch Zeit sein.

Ihm war nicht entgangen, wie stark Kerry auf ihn reagierte. Sie war so leicht zu durchschauen. Er konnte in ihr lesen wie in einem offenen Buch. Sie zierte sich noch ein bisschen, aber sollte sie nur … irgendwann würde sie doch ihm gehören.

Langsam ging er hinter ihr her. Die atemberaubende Aussicht auf die Ägäis interessierte ihn überhaupt nicht. Er hatte nur Augen für Kerry, für den verführerischen Schwung ihrer Hüften.

Zwar würde er ihr nie verzeihen, dass sie sich in seine Angelegenheiten eingemischt hatte, und nie mehr würde er sein Leben mit ihr teilen, aber – und da war er sich sicher – durchaus noch einmal sein Bett.

Kerry war stehen geblieben, und Theo trat neben sie.

„Drakon mag keine Veränderungen“, sagte sie unvermittelt. „Er hält nichts davon, Liebgewonnenes einfach aus einer Laune heraus auszutauschen … wegzuwerfen.“

„Ich würde sagen, er ist gewissen modernen Errungenschaften gegenüber durchaus aufgeschlossen. Sieh dir doch nur den Hubschrauberlandeplatz an.“

„Ich frage mich, wo er leben will, sollte er die Insel wirklich verkaufen.“

„Ich glaube, am liebsten würde er hier seinen Lebensabend verbringen. Aber er will seine Angelegenheiten ordnen. Seine Tochter lebt auf dem Festland. Anscheinend hat sie überhaupt keinen Geschäftssinn. Außerdem muss sie sich um ihren kranken Ehemann kümmern. Ich glaube, Drakon will einfach schon zu Lebzeiten alles regeln.“

„Er ist wirklich ein sehr verantwortungsbewusster Mensch.“ Kerry blieb stehen und strich sich die Haare aus den Augen. „Aber woher weißt du das eigentlich alles? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Drakon ausgerechnet dir sein Herz ausgeschüttet hat.“

„Das lass nur meine Sorge sein“, erwiderte Theo. Er strich ihr übers Haar. „Warum hast du dir eigentlich die Haare schneiden lassen?“

Überrascht sah Kerry ihn an. „Ach, ich wollte einfach mal etwas anderes ausprobieren. Aber ich lass mir den Pony wieder wachsen. Er fällt mir immer in die Augen … das ist so unpraktisch.“ Sie wandte sich ab. „Ich gehe hinein und ziehe mich fürs Abendessen um.“

„Geh nur, ich schaue mich noch ein bisschen um“, erwiderte Theo. Nachdenklich sah er ihr nach.

Täuschte er sich, oder war ihre Figur etwas voller geworden? Vielleicht ist es meine Einbildung, dachte er, weil ich sie so begehre. Aber ihr Busen kam ihm tatsächlich üppiger vor. Wenn er sich vorstellte, dass Kerry in seinen Armen lag und er diese wundervollen Brüste streichelte, musste er gegen ein unbändiges Verlangen ankämpfen. Am liebsten wäre er ihr gefolgt und hätte sie sofort ins Bett gezogen.

Aber er wollte sich Zeit dafür nehmen, sie zu verführen. Viel Zeit.

Erleichtert betrat Kerry das kühle Innere des Hauses. Welch eine Wohltat, dachte sie, wohl wissend, dass nicht nur die Außentemperatur daran schuld war, dass ihr so heiß war.

Sie wollte duschen und sich gleich umziehen. Bis zum Abendessen würde es noch eine Weile dauern, aber sie wollte nicht riskieren, dass Theo hereinkam und sie nur halb bekleidet sah. Ihr waren seine Blicke nicht entgangen, die seine Absichten deutlich verrieten.

Viel zu früh war sie fertig. Unruhig ging sie im Zimmer umher. Schließlich entschied sie sich, wieder hinauszugehen. Angesichts der Tatsache, dass Theo jeden Moment kommen konnte, schien ihr das ratsam.

Die Wände im Flur waren über und über mit Gemälden bedeckt. Langsam ging Kerry von einem zum anderen. Das Motiv der Bilder war immer das gleiche – die Insel, nur jeweils aus einer anderen Perspektive. Irgendwie kam ihr der Stil bekannt vor, er erinnerte sie an etwas. Kerry trat näher und versuchte, die Signatur zu lesen. Sie konnte den Namen nicht entziffern, aber es war klar, dass es sich immer um denselben Künstler handelte.

Plötzlich stieß Theo zu ihr. Er war schweißgebadet und außer Atem.

„Es hat länger gedauert, den Felsenpfad wieder hochzuklettern, als ich dachte“, sagte er. „Drakon ist schon im Esszimmer. Warum leistet du ihm nicht Gesellschaft, während ich schnell duschen gehe?“

Dem kam Kerry nur zu gern nach. Alles war besser, als in Theos Nähe zu sein. Außerdem wollte sie Drakon nach den Gemälden fragen.

Letztlich verlief der Abend harmonischer, als Kerry zu hoffen gewagt hatte. Die Unterhaltung blieb an der Oberfläche – keine heiklen Themen oder gar Geschäftliches –, und Theo zeigte sich von seiner charmantesten Seite.

Fast fühlte Kerry sich in die Vergangenheit zurückversetzt. So hatte Theo sich ihr gegenüber immer verhalten. Er schien ein begnadeter Schauspieler zu sein.

Plötzlich beschlich sie ein unangenehmer Verdacht. Hat er früher auch nur eine Rolle gespielt, fragte sie sich, die Rolle des leidenschaftlichen Liebhabers? Ist gar nichts ehrlich gewesen? Hatte ihm je wirklich etwas an ihr gelegen, oder war es einfach nur bequem für ihn gewesen, sie um sich zu haben … eine angenehme Reisebegleitung sozusagen?

Dieser Abend bewies ihr, dass Theo ein Meister der Täuschung war – ein Gedanke, der ihr ganz und gar nicht gefiel.

Ihre Gedanken schweiften ab. Sie dachte an Lucas. Wie sehr ich ihn vermisse, dachte sie. Bis jetzt war sie noch keine einzige Nacht von ihm getrennt gewesen. Bridget hätte ihn jetzt bereits ins Bett gebracht. Ob er wohl gleich eingeschlafen ist? Oder hat er geweint, weil er mich vermisst?

„Kerry“, Theos Stimme unterbrach ihre sorgenvollen Überlegungen. „Unser Gastgeber möchte sich zurückziehen.“

Kerry zuckte zusammen und wandte ihre Aufmerksamkeit Drakon zu. Der alte Mann sah müde und erschöpft aus.

„Das war ein ausgezeichnetes Essen. Vielen Dank“, sagte sie.

„Tut mir leid, dass ich es so abrupt beende, aber ich bin nicht mehr so ausdauernd wie früher“, erwiderte der Alte, während er sich mühsam erhob.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen.“ Kerry sprang auf.

„Da sage ich nicht nein. Von einer hübschen jungen Frau lasse ich mir gern helfen.“

Es entging Kerry nicht, dass Drakon sich bemühte, einen leichten Ton anzuschlagen, obwohl es ihm augenscheinlich gar nicht gut ging. Sie nahm seinen Arm und wollte ihn zu seinem Zimmer geleiten, aber da erschien auch schon der Assistent des Alten mit einem Rollstuhl. Dankbar ließ dieser sich hineinsinken.

„Diesen Anblick wollte ich Ihnen eigentlich ersparen.“ Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. „Es tut mir leid …“

„Machen Sie sich keine Gedanken. Vielen Dank noch einmal für den reizenden Abend.“ Kerry beugte sich zu Drakon hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sein Assistent ihn hinausbrachte.

„Endlich allein“, erklang Theos sonore Stimme hinter ihr.

Der gefürchtete Augenblick war gekommen.

Über die Weite des Raums hinweg begegneten sich ihre Blicke. Kerry fühlte sich, als sei die Erdanziehung plötzlich stärker geworden. Sie konnte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegen. Von Kopf bis Fuß durchströmte sie eine Welle der Erregung. Da war wieder diese Anziehung … wie früher … auch jetzt … Ihre Lippen öffneten sich.

„War alles immer nur ein Spiel für dich?“, entfuhr es ihr.

5. KAPITEL

Überraschung malte sich auf Theos Zügen. Er fing sich jedoch sofort wieder, und seine Miene wurde so undurchdringlich wie zuvor. Es war mehr als deutlich, dass er nicht vorhatte, sich auf eine Diskussion über ihre Beziehung einzulassen. Schon gar nicht in Drakon Notaras Esszimmer.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete er, während er mit ein paar Schritten den Raum durchquerte, bis er direkt vor Kerry stand. Er schloss sie in die Arme. „Warum gehen wir nicht auf unser Zimmer und reden in Ruhe darüber?“

„Du weißt sehr genau, was ich meine“, erwiderte Kerry unwillig und versuchte, sich seinen Armen zu entwinden, aber Theo ließ sie nicht los.

Eng umschlungen führte er sie mit sanfter Gewalt aus dem Zimmer. Wieder wurde sich Kerry seiner Kraft und maskulinen Stärke bewusst. Bei jedem Schritt fühlte sie seine muskulösen Schenkel an ihrem Körper, die Hitze, die sein Körper ausstrahlte und die sie durchdrang.

Ihr Herz begann wild zu pochen. Warum nur hat er diese Macht über mich, fragte sie sich verzweifelt. Sie wünschte sich, sie könnte wieder den Ärger über seinen Verrat heraufbeschwören … oder zumindest immun gegen seine Verführungskünste werden.

„Wir reden später“, sagte Theo, während er die Tür öffnete und Kerry hinter sich herzog, ohne seinen Griff zu lockern. Wie eine Puppe drehte er sie zu sich um und zog sie eng an sich. „Ich weiß etwas viel Besseres“, murmelte er heiser.

„Nein!“ Kerry stemmte beide Hände gegen seine Brust. „Ich will jetzt eine Antwort. Ich will wissen, ob alles immer nur Theater war. Habe ich dir jemals etwas bedeutet?“

„Theater? Wie kommst du darauf? Als wenn man diese Magie zwischen uns vortäuschen könnte. Du spürst sie doch auch.“

„Darum geht es jetzt gar nicht“, stieß Kerry hervor. Wenn sie ehrlich war, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als in Theos Armen zu liegen. „Ich dachte immer, das zwischen uns sei mehr gewesen, als …“

Weiter kam sie nicht. Theo verschloss ihren Mund mit einem innigen Kuss. Einem Kuss, der Kerry bis ins Innerste berührte … und jeglichen Widerstand völlig unmöglich machte.

Willenlos schmiegte sie sich an ihn, umarmte ihn und erwiderte die Werbung seiner Lippen. Mit einem Beben fühlte sie, wie Theo den Reißverschluss ihres Rocks öffnete und seine Hand unter den Bund gleiten ließ.

Eine Hitze breitete sich in Kerrys Körper aus, die sie zu verzehren schien. Sie fühlte sich wie Wachs in Theos Händen. Wie sehr habe ich das vermisst, dachte sie. Ich will ihn, oh, wie sehr ich ihn will …

Mit einer geschmeidigen Bewegung hob Theo sie auf seine Arme und trug sie zum Bett. Sanft legte er sie hin und beugte sich über sie. Sein Gesicht kam näher … bis die Welt um Kerry verschwand und es nur noch ihn gab.

Sie spürte die harten Muskeln, als er sich an ihren Körper drängte, seine Hände, die ihren Körper erforschten, ihre intimste Stelle …

„Nein!“, stieß sie keuchend hervor. Er liebt mich ja doch nicht.

Eine Sekunde schien Theo wie erstarrt. Sein Atem ging stoßweise. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht genauso willst wie ich“, keuchte er.

„Nicht so.“ Verzweifelt bemühte sie sich, völlig unbeweglich zu liegen. Sie wusste, die leiseste Bewegung seiner Hand würde all ihre Willenskraft brechen.

„Doch. Genau so.“ Sanft verstärkte er den Druck seiner Finger. Unwillkürlich kam ein Keuchen über Kerrys Lippen.

„Siehst du, wie sehr du es willst“, erklang Theos Stimme triumphierend an ihrem Ohr.

„Nein. Das ist keine Liebe.“

Verblüfft hob Theo den Kopf. „Natürlich nicht.“

„Aber ich dachte, ich bedeute dir etwas.“ Sie zwang sich, Theos Hand wegzustoßen, und setzte sich auf. „Ich dachte immer, da sei mehr zwischen uns.“

„Mehr?“, echote er. Konnte diese Frau nicht einfach Ruhe geben! Ausgerechnet sie wagte es, von Gefühlen zu reden?

Schließlich war sie es, die seine Gefühle verletzt hatte. Sie hatte ihn hintergangen und beinahe eine Tragödie heraufbeschworen.

„Wenn du mich manipulieren willst und meinst, ich lasse mich in der Hitze des Gefechts zu irgendwelchen Äußerungen hinreißen, dann hast du dich getäuscht.“ Wütend stand er auf und blickte auf Kerry hinab.

Warum muss sie alles ruinieren, dachte er. Sie ist doch genauso erregt wie ich.

Kerry wirkte, als würde sie sich am liebsten unter der Bettdecke verstecken. Es war deutlich, wie sehr sein Ausbruch sie erschreckt hatte. Dann aber runzelte sie die Stirn, und ihre Schultern strafften sich.

„Du bist doch derjenige, der in unserer Beziehung immer alles kontrolliert hat … und nun meinst du, das könntest du immer noch. Aber da hast du dich getäuscht.“ Resolut schwang sie die Beine über die Bettkante. „Wenn hier also jemand das Recht hätte, von Manipulation zu sprechen, dann wäre ich das ja wohl. Schließlich habe ich damals zu allem Ja und Amen gesagt.“

„Beziehung? Wer redet denn hier von Beziehung? Die war zu Ende, als du mein Vertrauen missbraucht hast.“

„Du hast mich damals rausgeworfen. Und jetzt … wo es dir in den Kram passt … willst du mich zurück!“

„Ich will dich überhaupt nicht zurück!“, stieß Theo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Ach ja. Und warum spielst du dann den feurigen Liebhaber?“

„Du wusstest doch, worum es geht. Du weißt, dass alles nur Show ist für Drakon. Aber warum sollen wir darüber hinaus nicht auch ein bisschen Spaß haben … und jetzt behaupte nicht wieder, dass du gar nicht willst. Deine Reaktion spricht Bände …“

Unsicher blickte Kerry ihn an. Sie biss sich auf die Lippen. Natürlich will ich ihn, musste sie zugeben. Aber laut sagte sie: „Ich habe dir nie etwas bedeutet. Du hattest nie auch nur den geringsten Respekt vor mir!“ Ihre Stimme brach.

„Respekt! Du wagst es, von Respekt zu reden? Ausgerechnet du?“

Da habe ich meine Antwort, dachte Kerry. Ich wollte es ja wissen. Aber warum muss die Wahrheit immer so wehtun?

Tränen stiegen ihr in die Augen. Kurz schloss sie die Lider und atmete tief durch. Ich werde nicht weinen, schwor sie sich. Diese Genugtuung gebe ich ihm nicht. So viel Selbstwertgefühl hatte sie noch, dass sie Theo diesen Triumph nicht gönnte.

„Ich will, dass du sofort dieses Zimmer verlässt“, verlangte sie.

„Den Teufel werde ich tun. Ich kann unseren Gastgeber ja wohl kaum um zwei Einzelzimmer bitten. Das würde alles auffliegen lassen.“

„Dann werde ich das tun“, verkündete Kerry mit fester Stimme. Sie stand auf und wandte sich zur Tür.

Mit einem Schritt war Theo bei ihr. Seine Finger gruben sich in Kerrys Arm.

„Überleg dir gut, was du tust“, sagte er mühsam beherrscht. In seiner Stimme lag ein drohender Unterton.

„Das hätte ich von vornherein tun sollen. Nie hätte ich mit dir hierherkommen dürfen.“

Unsanft stieß Theo sie gegen die Wand … und während Kerry noch versuchte, die Balance wiederzufinden, stürmte er aus dem Zimmer. Blind vor Tränen ließ Kerry sich auf das Bett fallen. Nein, ich werde nicht weinen, dachte sie verzweifelt, dann hätte er gewonnen.

Aber hatte er das nicht sowieso? Ganz egal, wie sehr sie ihre Gefühle vor ihm verbarg, wie sehr sie diese sogar vor sich selbst verbarg, immer würden Theo und sie miteinander verbunden bleiben – denn sie war die Mutter seines Sohns.

Am nächsten Morgen erwachte Kerry vom Rauschen der Dusche. Theo muss also letzte Nacht irgendwann zurückgekommen sein. Sie selbst hatte sich stundenlang schlaflos im Bett hin und her gewälzt, aber schließlich hatte die Erschöpfung sie doch in einen leichten Schlummer fallen lassen.

Hastig stand sie auf und zog den Morgenmantel an. Sobald Theo aus der Dusche kam, würde sie schnurstracks hineingehen, um jedem Gespräch einen Riegel vorzuschieben. Gerade wollte sie etwas aus ihrem Koffer nehmen, als hinter ihr auch schon die Badezimmertür aufging.

„Guten Morgen.“ Theos Stimme klang seltsam tief und belegt, als hätte er kaum geschlafen. Aber was viel wichtiger war … es lag keine Aggressivität mehr darin. Erleichtert drehte Kerry sich um.

„Guten Mor…“ Weiter kam sie nicht. Theo stand in der Badezimmertür, nur mit einem Handtuch bekleidet, das er sich um die Hüften geschlungen hatte.

Er sah absolut fantastisch aus. Kerry schluckte schwer. Kaum konnte sie die Augen von seinem muskulösen Oberkörper losreißen. Und mit dem zerzausten, noch feuchten Haar, das ihm lässig in die Stirn fiel, wirkte er geradezu verwegen.

Ihr Blick wanderte seinen Körper entlang … nach unten. Überrascht weiteten sich ihre Augen. Ihr prüfender Blick schien eine sofortige Reaktion bei Theo hervorgerufen zu haben … Verlegen sah sie zu Boden und eilte fluchtartig ins Badezimmer. Hastig verschloss sie die Tür und lehnte sich aufatmend dagegen. Gerettet … für diesmal.

Als Kerry das Bad verließ, fand sie das Zimmer leer vor. Auf dem kleinen Balkon hatte man ein köstlich aussehendes Frühstück serviert, allerdings nur für eine Person.

Wie die meisten Griechen übersprang Theo die erste Mahlzeit des Tages. Kerry fragte sich, wie er das bei seiner Größe von knapp einem Meter neunzig aushielt. Ihr wurde immer ganz flau, wenn sie eine Mahlzeit ausließ.

Sie trat auf den Balkon hinaus. Ein wundervolles Panorama bot sich ihrem Blick. Das Gelände verlief leicht abschüssig, und die Rasenfläche ging in silbrig schimmernde Olivenhaine über. Dahinter dehnte sich das leuchtende Türkis des Meers. So früh am Morgen lag noch ein leichter Dunst über dem Wasser, der sich im Laufe des Tages auflösen würde.

Mit einem Seufzer des Wohlbehagens ließ Kerry sich am Tisch nieder und griff hungrig zu.

Kaum hatte sie den letzten Bissen verspeist, stand Theo plötzlich neben ihr.

„Ich habe schlechte Nachrichten“, sagte er. „Drakon fühlt sich nicht wohl. Keine Chance, ihn heute Morgen zu sprechen. Er hat uns aber ausrichten lassen, wir könnten uns ruhig auf der Insel umsehen.“

„Ach, das tut mir leid. Hoffentlich ist es nichts Ernstes“, sagte Kerry erschrocken.

„Ich weiß es nicht. Allerdings ist allgemein bekannt, dass er schon seit längerem kränkelt. Nur deshalb erwägt er ja überhaupt den Verkauf seiner Insel.“ Theo klang nicht übermäßig besorgt. „Sag mal“, fuhr er fort, „hast du eigentlich passendes Schuhwerk dabei? Wir werden ganz schön klettern müssen.“

Irritiert sah Kerry ihn an. Die Gesundheit des alten Manns schien Theo herzlich egal zu sein. Typisch – alles, was ihn interessierte, war die Insel!

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie ins Zimmer. „Ich ziehe mich um. Warte bitte hier draußen“, rief sie ihm über die Schulter hinweg zu.

„Die Insel ist nur ein paar Quadratkilometer groß“, erklärte Theo ihr, als sie sich auf den Weg machten, „und es gibt keine asphaltierten Straßen, auf denen man etwas transportieren könnte. Lass uns auf den Berg hinaufsteigen, von dort müsste man einen guten Überblick über die ganze Insel haben.“

Er warf Kerry einen wohlgefälligen Blick zu. Reizend sieht sie aus, dachte er, in diesen Leinenhosen und dem Seidentop.

„Hoffentlich geht es Drakon bald besser“, sagte Kerry.

Sie scheint den Alten wirklich zu mögen. Nun ja, das beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit – umso besser, das kann mir nur zugutekommen.

Sie hatten den Schutz der Olivenbäume verlassen und stiegen in der prallen Sonne den steinigen Bergpfad empor.

„Willst du eine Pause machen?“ Theo wandte sich um und blickte Kerry fragend an.

„Nein, danke.“ Um nichts in der Welt hätte sie sich in die Reichweite seiner Arme begeben.

Außerdem lenkte das Wandern sie ab. Sie brauchte ihre ganze Konzentration, um auf dem steilen Pfad nicht zu stolpern. Das hinderte sie daran, über die Situation nachzudenken, in die sie da geraten war.

Schweigend stiegen sie weiter bergan. Der Weg war eigentlich nicht allzu steil, aber als sie endlich auf der Kuppe angekommen waren, hatte Kerry das Gefühl, den Mount Everest erklommen zu haben. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre Knie zitterten. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sie sich auf einen Felsbrocken sinken. Die Aussicht war fantastisch. Der Nebel über dem Wasser hatte sich aufgelöst, und man konnte sogar die Nachbarinsel sehen.

„Wenn du dich ausgeruht hast, gehen wir zurück“, verkündete Theo, ohne Kerry anzublicken.

„Was? Wir sind doch gerade erst angekommen. Willst du nicht erst einmal eine Weile die Aussicht genießen?“

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

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