Julia Exklusiv Band 311

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OLIVIA UND DER AUSTRALISCHE MILLIONÄR von WAY, MARGARET
"Finde dich selbst!" Mit diesen Worten schickt Oscar Balfour seine Tochter Olivia nach Australien. Bei dem Rancher-Millionär Clint McAlpine soll sie sich beweisen, und von der ersten Sekunde an stehen alle Zeichen auf Sturm! Bis Clints erster Kuss Olivias stolzes Herz erweicht …

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  • Erscheinungstag 24.05.2019
  • Bandnummer 311
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713232
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Margaret Way, Cathy Williams, Kate Walker

JULIA EXKLUSIV BAND 311

PROLOG

Ich freue mich auf die Herausforderung. Natürlich freue ich mich darauf!

Das bevorstehende Abenteuer diente schließlich dazu, das Beste aus ihr herauszuholen. Gleichzeitig fühlte sie aber auch eine gelinde Panik in sich aufsteigen. Allein in einem völlig fremden Land? Bestand da nicht auch die Gefahr, noch unglücklicher zu werden, als sie es ohnehin schon war?

Unsinn! Du bist doch nicht umsonst eine Balfour, Mädchen!

Olivia Balfour sprach häufig mit sich selbst. Das war eine Taktik, die sie sich bereits in frühesten Kindertagen angeeignet hatte. Sie war etwa sieben, als sie damit angefangen hatte, weil sie merkte, wie schwer es war, in ihrem Umfeld irgendjemandes Aufmerksamkeit zu erlangen.

Inzwischen war sie erwachsen, couragiert, selbstbewusst, aber nicht zu selbstgefällig – ein Wort, das zu ihrem bevorzugten Sprachschatz gehörte – und mit einem guten Urteilsvermögen ausgestattet.

Allerdings hatte diese Selbsteinschätzung durch die Ereignisse in den letzten Tagen ziemlich gelitten. Das verunsicherte sie. Aber sich jemandem anzuvertrauen kam für Olivia nicht infrage – beziehungsweise gelang es ihr regelmäßig im letzten Moment, diesen Drang zu stoppen.

Sie war ihren Verpflichtungen immer verantwortungsvoll nachgekommen und hatte stets, in Theorie und Praxis, resolut zu ihren Prinzipien und Moralvorstellungen gestanden, die sehr hoch angesiedelt waren.

Jetzt hatte sie es verloren – ihr unerschütterliches Selbstvertrauen!

Und damit auch die Fähigkeit, stets Ruhe, Übersicht und die Kontrolle über alles und jeden zu behalten. Das tat weh. Und wie weh das tat!

„Grundgütiger, Olivia!“, hatte ihr Vater, der englische Multimillionär Oscar Balfour, empört ausgerufen. „Wie konntest du nur? Gerade von dir hätte ich am wenigsten erwartet, dass du mir derart in den Rücken fällst!“

Natürlich hatte sich angesichts dieser Anschuldigung eine gewisse Verbitterung bei Olivia eingestellt. Nach den vielen Jahren, in denen sie alles getan hatte, um seine Anerkennung zu erringen, empfand sie Oscars Worte als ziemlich harte und ungerechte Kritik.

Wäre das Ganze doch nicht mehr als ein böser Traum! Dann könnte ich jetzt ganz normal mein gewohntes Leben weiterführen …

Doch so war es leider nicht. Der Eklat an jenem schrecklichen Abend hatte derartige Kreise gezogen, dass die gesamte Familie davon betroffen und nichts je wieder so wie vorher sein würde. Und das ausgerechnet beim hundertsten Jubiläum des berühmten, jährlich stattfindenden Balfour Charity Balls!

„Der Balfour-Ball ist ein absolutes Muss für jeden, der in der oberen Gesellschaft Rang und Namen hat!“, behauptete Edwina Balfour, Olivias snobistische Großtante. „Eine Einladung zu diesem Ball kommt einer Audienz im Königspalast gleich.“

Hätte man Olivia befragt, würde sie sagen, dass sie einen Ball auf Balfour Manor unbedingt einer Einladung in den Palast vorziehen würde. Auf jeden Fall aber war diese gesellschaftlich äußerst relevante Veranstaltung absolut nicht der richtige Ort, um einen Zickenkrieg auszutragen. Doch genau das hatten sie und Bella an jenem schicksalhaften Abend veranstaltet!

„Geh zum Teufel!“, hatte ihre Zwillingsschwester Olivia ins Gesicht geschrien und ihr eine Ohrfeige verpasst.

Noch nie zuvor hatte ein Zwilling den anderen tätlich angegriffen. Aber nun war diese schreckliche Szene in ihren Köpfen gespeichert, vielleicht für immer. Ein derartiger Bruch der Etikette galt als unverzeihlich und brachte die gesamte Familie in Misskredit. Als einzige Entschuldigung hätte man höchstens anführen können, dass sowohl Bella als auch Olivia es eigentlich nur gut meinten … und zwar mit ihrer geliebten jüngeren Schwester Zoe.

Arme Zoe!

Am wichtigsten Tag im Jahr – und an diesem speziellen Datum sogar des Jahrhunderts – hatten alle Balfour-Schwestern in festlichen Abendkleidern, funkelnden Juwelen und in schöner Eintracht vor dem imposanten Eingang des Herrensitzes beieinandergestanden. Sie gaben ein so hinreißendes Bild ab, dass die Pressefotografen gar nicht genug von ihnen bekommen konnten.

Leider bemerkte niemand, dass einige Paparazzi sich auf der Jagd nach intimeren Bildern und interessanten Schlagzeilen heimlich und als Angestellte getarnt ins Hausinnere geschlichen hatten. An diesem Abend kamen sie mehr als auf ihre Kosten!

Olivia seufzte, als sie daran zurückdachte, wie stolz sie an besagtem Abend auf ihre distinguierte Erscheinung gewesen war, im unübersehbaren Gegensatz zu ihrer wilden, glamourösen Zwillingsschwester, die ohnehin immer wie ein schillernder Kolibri aus der Geschwisterrunde herausstach. In ihrer aufregend mondänen und ziemlich gewagten Designerrobe zog Bella natürlich die meisten Blicke auf sich. Olivia galt eher als die Besonnene, Praktische … von der Presse wurde sie unfairerweise sogar einmal als frömmelnd und scheinheilig bezeichnet, während man ihrer Schwester das größere Herz und natürlich auch mehr Humor attestierte.

Jetzt, wo alle Karten offen auf dem Tisch lagen, musste Olivia sich eingestehen, dass sie sich Bella innerlich immer weit überlegen gefühlt hatte. Sosehr sie ihre Zwillingsschwester auch liebte und an ihr hing, konnte sie den Drang, sie zu bevormunden, einfach nicht unterdrücken. Heimlich bewunderte sie Bellas aufreizende Schönheit, traute ihr aber keine intellektuelle Tiefe und Ernsthaftigkeit zu.

Anders als Olivia las Bella keine Bücher oder Fachzeitschriften, sie hatte ihr Studium nicht beendet, und für schöne Künste interessierte sie sich schon gar nicht. Auch in Geschmack und Lebensart unterschieden sie sich sehr. Während Bella ihre körperlichen Vorzüge herausfordernd unterstrich, tat Olivia ihr Bestes, um sie möglichst zu verbergen.

Aber schließlich waren sie ja auch keine eineiigen Zwillinge. Bella glich geradezu frappierend ihrer verstorbenen Mutter, der wunderschönen Alexandra – bis auf die typischen, leuchtend blauen Balfour-Augen. Sie war ein Freigeist und hasste es, auf einem Fleck zu verharren und Verantwortung zu übernehmen. Olivia dagegen spürte nichts von dem unbezwingbaren Freiheitsdrang ihrer Schwester.

Stattdessen war sie ihrem Vater nach und nach zu einer nahezu unverzichtbaren Assistentin und Vertreterin in Sachen Charity geworden und unterwies und leitete ihre jüngeren Schwestern und Halbschwestern an, wann immer das nötig war. Währenddessen führte Bella unbekümmert ihr hektisches Gesellschaftsleben weiter, stets umringt von einer Horde männlicher Bewunderer.

Doch so unterschiedlich sie auch fühlten und lebten, dieser verflixte Streit war ihre erste ernsthafte Auseinandersetzung gewesen.

„Als Zwillinge halten wir für immer und ewig zusammen!“, hatte ihr gemeinsames Mantra während ihrer nicht ganz einfachen Kindheit gelautet. Olivia und Bella liebten sich, und sie liebten ihre kleine Schwester Zoe, die, wie sich an jenem schrecklichen Tag herausstellte, nicht Oscar Balfours leibliche Tochter war. Und damit ließ sich auch das verklärte Bild ihrer Mutter nicht länger aufrechterhalten. Alexandra hatte in der Fantasie der Zwillinge immer direkt hinter Mutter Theresa rangiert.

„Sie muss eine Heilige gewesen sein. Denn nur die Lieblinge der Götter sterben jung, sagt man doch, oder?“, hatten sie einander getröstet, um den Schmerz darüber zu verarbeiten, dass Alexandra Balfour bei der Geburt ihrer dritten Tochter verstorben war.

Olivia hatte dafür plädiert, Zoe die Wahrheit über ihre Herkunft zu sagen, Bella war strikt dagegen gewesen. Nachdem sie am Tag des verheerenden Balls zufällig ein verstecktes Tagebuch ihrer Mutter gefunden, gelesen und damit Alexandras lang gehütetes Geheimnis aufgedeckt hatten, debattierten sie nicht etwa in aller Öffentlichkeit, sondern in einem Privatzimmer hitzig über ihr weiteres Vorgehen.

Leider hatten sie sich nicht vergewissert, ob die Tür auch wirklich verschlossen war. Außerdem konnten sie nicht damit rechnen, dass sich getarnte Paparazzi ins Haus eingeschlichen hatten. Dass die Presse den schönen und teilweise ziemlich skandalträchtigen Balfour-Mädchen ständig nachspionierte, wusste jede von ihnen. Doch eine derartige Dreistigkeit war ein Novum.

Dazu hatte der Fotograf auch noch das unverschämte Glück, exakt im richtigen Moment auf die beiden Streithähne zu stoßen, und die Chuzpe, die Tür einen Spalt aufzudrücken, um ein höchst brisantes Foto zu schießen.

Am nächsten Morgen konnte die ganze Welt sehen, wie Bella ihre Schwester Olivia ohrfeigte, und die dazugehörige Schlagzeile lesen: Ein weiterer Skandal um Illegitimität erschüttert die Balfour-Dynastie …

Allein die Erinnerung daran verursachte Olivia jetzt noch Übelkeit. Wann würden ihre quälenden Selbstvorwürfe und Zweifel endlich aufhören und sie zur Ruhe kommen? Sie sollte sich entweder damit abfinden, im Zustand ewiger Reue zu leben, oder Bella beipflichten, die gesagt hatte: „Früher oder später muss jeder für seine Sünden bezahlen, Schwesterherz. Darin unterscheiden wir Balfours uns nicht von den Normalsterblichen.“

Olivia spürte, wie sich alles in ihr gegen diese Aussage wehrte.

Was für ein Unsinn! Natürlich sind wir anders als die breite Masse!

Zum Beispiel wohnten sie in einem außergewöhnlich großen, luxuriösen Heim, das sich wahrlich nicht jeder leisten konnte. Ihre Familie wurde im Debrett’s und im Who’s who? erwähnt! Und ihr Vater war Multimillionär.

Und doch hatte Bella irgendwie recht behalten. In diesem Fall zahlten sie alle!

Kein Wunder, dass ihr Vater die alten Balfour-Familientugenden entstaubt und wiederbelebt hatte – eine Ansammlung ethischer Leitsätze, die seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben wurden und nur in der letzten vorübergehend ihre Kraft verloren zu haben schienen. Da Oscar Balfour sich dafür die Hauptschuld gab, lag ihm sehr dran, das Versäumte nachzuholen, wenn auch ziemlich spät.

Darum schickte er seine acht Töchter aus drei Ehen, einem eigenen Fehltritt und der Affäre seiner ersten Frau auf eine Art Sinnreise, um sich an die alten Ideale zu erinnern und damit jede für sich den wahren Sinn des Lebens fand.

Bella hatte er unter dem Motto Würde auf die Reise geschickt und Olivia als Denkanstoß den Begriff Demut mit auf den Weg gegeben, was sie in blankes Erstaunen versetzte.

Demut? Wie ist das gemeint, Daddy?“, fragte sie gekränkt.

Ausnahmsweise hatte Oscar sich viel Zeit genommen, um es ihr zu erklären. Nach dem Gespräch fühlte Olivia sich elender und verletzter als je zuvor in ihrem Leben. Jetzt, mit etwas Abstand und im Stadium aufkeimender Selbsterkenntnis, überlegte sie, ob Oscar nicht doch recht haben könnte, zumindest in einigen Punkten.

Olivia wusste genau, was andere Menschen von ihr dachten: zurückhaltend bis distanziert, kühl bis eisig, über die Maßen selbstbewusst, snobistisch und einen Tick prüde und auf jeden Fall die unzugänglichste von allen Schwestern.

Aber das stimmte nicht! Zumindest zeichnete es kein ganzheitliches Bild von ihr.

Gut, sie war kein Ausbund an Temperament wie Bella und eine eher private Person. Doch in erster Linie entsprang dies demselben Schutzmechanismus wie die virtuos gespielte Heiterkeit und Oberflächlichkeit ihrer Zwillingsschwester. Immerhin hatten sie beide im Alter von erst zwei Jahren ihre Mutter verloren …

„Angesichts Daddys neu erwachten Vatersyndroms bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unsere Strafexpedition anzutreten!“, lautete Bellas schnippische Devise. „Also, Kopf einziehen und durch.“

„Ich betrachte es lieber als Herausforderung“, behauptete Olivia, „aber, lieber Himmel, Daddy! Doch nicht Australien!“ Ihre Vorstellung von dem fernen Kontinent war die eines verlassenen Fleckchens Erde, nicht weit vom Südpol entfernt. Hatte man nicht unverbesserliche Sträflinge dorthin verschifft? Ob Bella vielleicht doch recht hatte?

„Für dich heißt es Australien, und damit basta!“, entschied Oscar mit ungewohnter Strenge. „Und du wirst jede Arbeit präzise und ohne Protest erledigen, was auch immer man dir zuteilt, verstanden? Schließlich hast du einen klugen Kopf auf den Schultern und bist es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen.“

Vielleicht sollte sie ihn daran erinnern, dass er ihr erst vor Kurzem versichert hatte, wie unverzichtbar sie als Hilfe und Unterstützung für ihn sei. Stattdessen schickte er sie nun zu einem Mann, den sie nur wenige Male getroffen und auf Anhieb nicht hatte ausstehen können.

Obwohl sie sich ihm gegenüber völlig normal verhalten hatte, hatte dieser Clint McAlpine, ein australischer Rinderbaron, die Frechheit besessen, ihr ins Gesicht zu sagen, dass sie dringend einmal einen Dämpfer versetzt bekommen müsste!

„Komm endlich von deinem hohen Turm herunter, Eisprinzessin!“, hatte er sie mit plumper Vertraulichkeit und einem amüsierten Zucken um den gut geschnittenen Mund aufgefordert. „Und misch dich unter die Normalsterblichen. Ich wette, das würde dir gut bekommen.“

Jetzt noch krümmte Olivia sich bei der Erinnerung an diesen schrecklichen Moment. Dass er Multimillionär wie ihr Vater war, gab ihm noch lange nicht das Recht, so mit ihr zu reden. Wahrscheinlich lag es an der Kränkung und der schwelenden Wut, der sie damals keinen Ausdruck hatte verleihen können, dass sein Bild noch immer so lebendig vor ihrem inneren Auge stand.

Irgendwie existierte eine weit hergeholte Verbindung väterlicherseits zwischen den McAlpines und den Balfours, was zur Folge hatte, dass man sich zwangsläufig ab und zu über den Weg lief. Außerdem besuchten die McAlpines London häufiger aus geschäftlichen Gründen und nutzten dann gern die Gelegenheit, Arbeit und Vergnügen zu verbinden.

Vor ein paar Jahren hatte Oscar Balfour einen großen Aktienanteil an der McAlpine Pastoral Company erstanden. Möglicherweise hatte auch das seine Entscheidung beeinflusst, sie ausgerechnet nach Australien zu schicken. Offenbar vertraute er dem Junior ebenso sehr wie zuvor Kyle McAlpine, der inzwischen verstorben war.

Daher war Olivia gerade mal zwei Tage nach dem furchtbaren Skandal auf dem Weg ans Ende der Welt.

Down Under …

1. KAPITEL

Darwin, Hauptstadt des Northern Territory und Tor zu Australien …

Olivia hatte sich noch nie besonders fürs Reisen erwärmen können, obwohl internationales Jet-Setting durchaus zu ihrem privilegierten Lebensstil gehörte. Doch diese Reise war in jedem Fall die bislang aufreibendste Erfahrung.

Zuerst der Flug von London nach Singapur. Der reine Horror! Über vierzehn Stunden Klaustrophobie! Dann hatte sie vergeblich versucht, auf einem Übernachtungsstopp im Raffels neue Kräfte zu tanken. Das Luxushotel versprühte einen ganz besonderen Charme, und sie würde es liebend gern noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt besuchen. Nun ging es weiter nach Darwin – der tropischen Hauptstadt des nördlichen Territoriums –, was noch einmal vier und mehr Stunden Flug bedeutete!

Sie konnte nicht lesen, sie konnte nicht schlafen … und sich nicht mit dem schmerzhaften Entzug des Wohlwollens ihres Vaters abfinden. Doch Olivia wusste, dass es keine Alternative für sie gab, als sich durchzukämpfen. Sie und Bella hatten die Order mit auf den Weg bekommen, nach genau fünf Monaten zurück nach London zu fliegen, um dort am zweiten Oktober an der Geburtstagsfeier ihres Vaters teilzunehmen. Und damit quasi wieder in den Schoß der Familie aufgenommen zu werden und ihre momentan so rapide beschnittenen Privilegien wiederzuerlangen.

Seufzend sah Olivia durchs Flugzeugfenster nach unten auf die glitzernde Oberfläche der Timorsee, eines Seitenarms des Indischen Ozeans zwischen Australien und dem Archipel der Sunda-Inseln. Das Wasser war so leuchtend türkis wie die Augen ihrer Zwillingsschwester. Ihre eigenen waren einen Ton dunkler.

Doch bevor ihre Gedanken zu Bella wandern konnten, erschien Darwins Skyline in ihrem Sichtfeld.

Skyline war allerdings geprahlt, denn neben den spektakulären Anblicken von New York, London und anderen Weltstädten wirkte dieser wie eine Kulisse aus einem Somerset-Maugham-Roman. Ein tropischer Außenposten, mehr nicht.

Durch die familieneigene Privatinsel in der Karibik war Olivia durchaus an tropische Temperaturen gewöhnt, aber die schwüle Hitze Darwins, die sie beim Verlassen des Fliegers wie eine feuchte Decke einhüllte, besaß noch einmal eine ganz andere Qualität!

Sie wurde von ihrem Teint her oft genug als die typische englische Rose beschrieben. Wer etwas vom Gärtnern verstand, wusste, wie sehr Rosen extreme Hitze hassten. Trotzdem schickte ihr Vater sie hierher! Und sie hatte sich seiner Entscheidung gebeugt. Aber tat sie das nicht schon ihr Leben lang?

Stets versuchte sie, Oscars hohen Erwartungen zu entsprechen, während Bella, der die Männer reihenweise zu Füßen lagen, sich auf wilden Partys vergnügte.

„Alles harmlose Flirts, die mir das langweilige Dasein versüßen sollen, Darling.“

Obwohl sie nie mit ihrer Zwillingsschwester hätte tauschen wollen, fühlte Olivia sich weniger wie eine englische Rose, sondern eher wie eine ältliche Jungfer, die mitternächtlich Unmengen von Lampenöl verbrannte, um heimlich obskure Literatur zu verschlingen, anstatt sich von echten Männern verführen zu lassen.

Wie war es eigentlich dazu gekommen? Lag es vielleicht an ihrem Vater, der von klein auf zu viel von ihr verlangt hatte? Bella sah ihre Hauptaufgabe darin, sich immer und überall perfekt gestylt zu zeigen, während ihre Outfits viel zu konservativ für eine Frau von gerade mal achtundzwanzig Jahren waren.

Achtundzwanzig! Lieber Himmel, wann wollte sie denn das Thema Familie und Kinder in Angriff nehmen? Die Zeit lief ihr langsam davon. Mit den Heiratsanträgen, die sie bekam, hätte Bella bereits ein ganzes Zimmer tapezieren können.

Sie selbst jedoch konnte nur auf zwei Beziehungen zurückblicken – beide absolute Desaster! Geoffrey und Justin. Sie hatten ihr nur schöne Augen gemacht, um über sie an ihre Schwester heranzukommen. Hätte sie ihnen daraus einen Vorwurf machen können? Bella besaß alles, was ihr fehlte: Sie war sexy, aufregend, wagemutig und abenteuerlustig, hatte keine Angst, viel Haut zu zeigen, während Olivia meist so zugeknöpft wie eine scheue Novizin war.

Was sollte jemand wie sie in Australien anfangen? Olivia wollte nicht hierher. Es war zu heiß und, wenn ihre spärlichen Informationen auch nur annähernd stimmten, viel zu primitiv und unzivilisiert.

Allein Darwin City! City?

Eine Stadt auf einem Felsvorsprung am Rand von Peninsula, an drei Seiten umgeben von türkisblauem Wasser. Zu ihren Füßen lag ein sehr großer Hafen. Es war typisch für Olivia, dass sie alles über ihren Verbannungsort gelesen hatte, was sie in der kurzen Zeit in die Hände bekommen hatte. So wusste sie zum Beispiel, dass die Stadt bereits zweimal zerstört und wieder aufgebaut worden war.

Zuerst während des Zweiten Weltkrieges nach dem massiven Luftangriff der Japaner im Februar 1942, als mehr Bomben über Darwin abgeworfen wurden als über Pearl Harbour. Dann machte eine Naturkatastrophe die Stadt ein zweites Mal dem Erdboden gleich, durch den Zyklon Tracy im Jahr 1974.

Menschen, die zwei derartige Schicksalsschläge überlebt hatten, müssten doch eigentlich ihre Sachen zusammenpacken und sich irgendwo in den Bergen eine neue Heimat suchen. Doch offensichtlich waren die Bewohner von Darwin viel mutiger als sie.

Im Innern des Flughafengebäudes blickte Olivia suchend um sich. Sie hatte McAlpine als genau so einen mutigen Typen in Erinnerung. Einen echten Mann, der vor überschüssiger Energie fast zu bersten schien. Daneben war er natürlich unerträglich arrogant und unterschwellig aggressiv. Doch die Frauen schienen ihn dafür zu lieben.

Nicht, dass er auf seine Weise nicht auch kultiviert war. Er verkörperte ein widersprüchliches und faszinierendes Image. Der raue, mächtige Rinderbaron und gleichzeitig hoch angesehene Geschäftsführer von M.A.P.C., der McAlpine Pastoral Company. Sonst hätte Oscar Balfour sich als schlauer, alter Fuchs in Geschäftsdingen auch nicht in das Unternehmen eingekauft.

Sosehr Olivia ihren Vater auch liebte und respektierte, momentan war sie etwas unsicher, was ihre Gefühle für ihn betraf. Er war nie wirklich das gewesen, was Bella und sie sich sehnlichst gewünscht hatten, ein Vater zum Anfassen. Immer auf der Jagd nach noch mehr Geld und Macht, hatte er nur selten Zeit für seine Töchter gehabt.

Eine ähnliche Brillanz in Geschäftsdingen und Rücksichtslosigkeit im Bestreben, an der Spitze mitzuspielen, glaubte Olivia auch in McAlpine erkannt zu haben. Ihr Vater hatte auf diese Weise jedenfalls drei Ehen verschlissen, sich einen folgenschweren One-Night-Stand zuschulden kommen lassen und sicher noch weitere Affären gehabt, von denen sie nichts wusste.

Die Tatsache, dass ihre eigene Mutter ihn ebenfalls betrogen hatte, ignorierte Olivia in diesem Zusammenhang. Wer wusste schon, was sie dazu getrieben haben mochte? Vielleicht hatte Oscar ihr ja gute Gründe dafür geliefert.

Olivia erinnerte sich an McAlpines Heirat mit einer australischen Erbin, die einen sehr ungewöhnlichen Namen hatte. Geendet hatte das Ganze in einem erbitterten Scheidungskrieg, was sie nicht im Geringsten überraschte. Vielleicht hatte auch er seine Frau schlecht behandelt oder sogar betrogen! Soweit sie informiert war, gab es auch eine Tochter aus dieser Ehe, die sicher bei ihrer Mutter lebte. Wie sollte sich ein Arbeitstier wie Clint McAlpine auch um die Bedürfnisse eines kleinen Mädchens kümmern?

Dafür strotzte der mächtige Rinderbaron geradezu vor maskulinem Sex-Appeal. Also würde er nicht lange allein bleiben. Sie selbst allerdings hatte nicht die geringste Absicht, sich in die Schar seiner Bewunderinnen einzureihen. Olivia bevorzugte den eher subtilen englischen Look und Style. Wie Justin ihn perfekt verkörperte, hätte er sich nicht als die falsche Ratte erwiesen, die er nun einmal war. Der Ausdruck stammte von Bella, nicht von ihr!

Energisch zwang Olivia ihre Gedanken in die Gegenwart zurück und sah sich erneut um. Ungläubig weiteten sich ihre Augen. War Darwin etwa ein tropisches Seebad? Um sie herum sah sie nur Palmen und andere exotische Grünpflanzen. In riesigen Kübeln blühten Blumen und Stauden jeder Couleur und verbreiteten einen geradezu betäubend süßen Duft. Vom knallblauen Himmel sandte die Sonne ihre Strahlen durch riesige Glasfronten und tauchte die ganze Umgebung in goldenes Licht.

Selbst mit Sonnenbrille fühlte Olivia sich geblendet. Plötzlich rammte sie jemand ziemlich unsanft in die Seite. „Verzeihung …“, murmelte sie automatisch.

„Keine Ursache, Darling, war eindeutig mein Fehler.“

Fassungslos musterte sie das unglaubliche Outfit ihres Gegenübers. Dunkelblaue Boxershorts zum froschgrünen Netzunterhemd.

„Brauchen Sie vielleicht Hilfe, kleine Lady?“

Da sie sich erst fassen musste, schloss sie für eine Sekunde die Augen. Sie war mindestens zwei Köpfe größer als der Mann vor ihr. „Danke, nein … ich werde abgeholt.“

„Glücklicher Teufel!“

Rasch wandte Olivia sich ab und bahnte sich grimmig einen Weg durch die bunte Menschenmenge. Warum musste es auch ein Mann sein, der sie hier erwartete? Warum nicht irgendeine ältliche Lieblingstante, bei der sie ihr angeschlagenes Selbstbewusstsein gesund pflegen und sich ein wenig verwöhnen lassen konnte?

Noch nie hatte sie eine derart flippige, kunterbunte Mode oder so viel nackte Haut auf einem Fleck gesehen. Oder so niedliche Kinder und attraktive junge Frauen mit einem Teint aus Honig und Milchkaffee und Augen wie dunkle Schokolade. Alle hier waren klein und feingliedrig. Nicht zum ersten Mal fühlte Olivia sich wie eine Giraffe und farbloser, als sie es tatsächlich war. Hier hätte sogar Bella ein Problem, aus der Menge herauszustechen! dachte sie mit einer Spur von Genugtuung.

Zu erraten, wie viele Anteile von einem Aborigine, Indonesier, Neuguineer oder Asiaten in den farbenfroh gekleideten Menschen um sie herum steckten, traute Olivia sich schon gar nicht zu. Aber eines vereinte sie offenbar – sie waren alle Australier und sprachen mit diesem besonderen australischen Akzent, der sehr viel breiter war als ihr eigener. Und sehr viel lauter!

Journalisten hatten ihr häufiger attestiert, dass man mit ihrer scharfen Stimme Glas schneiden könne. Für Olivias Ohren klangen alle Balfours so. Oder hieß das etwa, dass sie vielleicht doch ein Snob war? Einen schrecklichen Moment lang überfiel sie das Gefühl, sich selbst enttarnt oder sogar verraten zu haben.

Was war nur seit jenem schrecklichen Abend mit ihr los? Alles, was sie bis dahin als sicheres, solides und hart erarbeitetes Fundament angesehen hatte, schien plötzlich in den Grundfesten erschüttert zu sein und drohte zusammenzubrechen. Was würde dann mit ihr geschehen?

Verunsichert und mit klopfendem Herzen schaute Olivia um sich. Australiens hunderttausendköpfige Bevölkerung … zusammengesetzt aus über fünfzig Nationalitäten … vereint in einem riesigen Schmelztiegel. So wurde es wenigstens in ihrem Reiseführer beschrieben. Jeder schien auf irgendjemanden zu warten, begrüßte, verabschiedete, umarmte oder küsste einen Freund oder Verwandten.

Jetzt erinnerte Olivia sich wieder, dass Darwin als beliebte Basis für Touristen galt, von der aus sie zum Weltkulturerbe gehörende Sehenswürdigkeiten besuchten und erforschten: den Kakadu Nationalpark oder das Arnhemland, ein Siedlungsgebiet der Aborigines im Northern Territory, das größer als Portugal war.

Ganz sicher interessante Orte, aber wie man bei dieser unglaublichen Hitze auch nur auf den Gedanken kommen konnte, dort herumzulaufen, war ihr schleierhaft. Sie schwitzte jetzt schon unerträglich. Trotzdem käme sie nie auf die Idee, ihr langärmeliges Armani-Jackett, das sie über einer cremefarbenen Seidenbluse zum schmalen, knielangen Rock trug, gegen Shorts, Tank Top oder Blümchen-BH zu tauschen. Das trugen nämlich die jungen Frauen um sie herum.

Heimlich wünschte sie sich allerdings, wenigstens auf das Jackett verzichtet zu haben, da sie sich langsam vor Hitze auflöste. Selbst die teuren Designerschuhe fühlten sich wie plumpe Holzklötze an ihren schmerzenden Füßen an. Und dass jeder sie anstarrte, machte die Sache auch nicht besser. Außerdem hatte sich neben dem Fließband inzwischen eine beachtliche Menge Gepäckstücke angesammelt, alle bedruckt mit dem unübersehbaren Louis-Vuitton-Label. Vielleicht hätte sie für diese Reise doch lieber gewöhnliche Koffer und Taschen kaufen sollen. Das unangenehme Empfinden, nicht wirklich hierherzupassen, wuchs.

„Alles in Ordnung, Darling?“

Erstaunt wandte sie sich einer attraktiven, dunkelhäutigen Frau in den Dreißigern zu, die um die Hüften etwas pummelig war, was ein lose fallendes Kleid mit floralem Muster kaschierte. An den Füßen trug sie pinkfarbene Flip-Flops.

Steht auf meiner Stirn etwa: Hilf- und hoffnungslos?

„Danke der Nachfrage, aber mir geht es bestens“, gab Olivia steif zurück.

„Sieht aber gar nicht danach aus, Darling!“ Der aufmerksam besorgte Blick aus den nachtschwarzen Augen wirkte ebenso aufrichtig wie das breite Lächeln. „Dein hübsches Porzellangesicht ist rot und fleckig, und auf deiner Oberlippe stehen kleine Schweißperlen. Ich würde sagen, du setzt dich lieber einen Moment.“

Warum mussten nur alle Australier so schrecklich laut sprechen?

Mit mütterlicher Strenge legte die Fremde eine Hand unter Olivias Ellenbogen und führte sie die zwei Schritte zu einer Bank, auf der noch eine Ecke frei war. „Langen Flug gehabt, was? Hört man am Akzent, dass du eine Pom bist!“ Als sie spürte, wie Olivia sich versteifte, lachte sie leise. „Kein Grund, beleidigt zu sein. Mein Urgroßvater stammt auch aus England. Er wurde von seiner vornehmen Familie nach Übersee geschickt, um das Vermögen durch Perlenfischerei aufzustocken. Seine Familie hat mich nie anerkannt. Aber das ist okay, ich kümmere mich auch nicht um sie. Und jetzt setz dich, Darling. Wir wollen ja nicht riskieren, dass du noch bewusstlos wirst!“

„Ich bin noch nie ohnmächtig geworden.“

„Für alles gibt es ein erstes Mal, Darling. Fünf von zehn Menschen kippen in ihrem Leben irgendwann um. Mir ist das auch schon passiert. War ein Unfall, bin aber fast gestorben. Rani und ich waren zum Fischen draußen. Barra … ist die Kurzform für Barramundi, der beste Fisch der Welt!“

„Ich habe schon davon gehört“, murmelte Olivia, weil sie nicht unhöflich sein wollte. „Ist es nicht unerträglich heiß hier?“

„Nicht für mich, Darling. Ich würde es eher als kühl bezeichnen. Sei froh, dass du nicht in der schwülen Regenzeit hier warst, aber die ist gerade vorbei. Was treibt dich überhaupt hierher? Wie eine Touristin siehst du nicht gerade aus, eher ein wenig neben der Spur.“

„Neben der Spur?“, echote Olivia schwach.

„Ja, etwas stimmt nicht mit dir, Darling …“ Aufmerksam schaute die Frau in Olivias blaue Augen. „Dein Geist ist verwundet. Irgendetwas ist geschehen, das dich einfach nicht loslässt. Keine Angst, hier wird deine Seele gesunden … weit, weit weg von dem, was dich verletzt hat. Hier wirst du durchgrünen und deine echten Farben zeigen können.“

Olivia, die sich schon immer für Übernatürliches interessiert hatte und manchmal sogar glaubte, selbst eine Gabe in dieser Richtung zu besitzen, erkannte eine Prophezeiung, wenn sie eine hörte.

„Oh, das hoffe ich!“ Ihre Stimme klang schon wieder fester.

Die fremde Frau starrte ihr immer noch sehr intensiv in die Augen. So wie es Hypnotiseure taten. Vielleicht war sie ja eine Zauberin oder etwas in der Art.

„Wie ein Vogel im Käfig, der verzweifelt versucht zu entkommen“, fuhr die Fremde in einer Art Singsang fort, „immer wieder stößt er mit den Flügeln an die Käfigwände und verletzt sich. Ihm fehlt die Entschlossenheit zur Flucht.“

„Vielleicht möchte ich ja einfach nicht allein fliegen“, murmelte Olivia, völlig gefangen von dem Bild.

„Aber Rettung ist bereits in Sicht …“, weissagte die Fremde.

Das holte Olivia schlagartig auf den Boden zurück und erinnerte sie daran, warum sie überhaupt in diesem bunten, überfüllten Flughafengebäude saß. Sie räusperte sich. „Ich warte auf einen Mr. McAlpine, der mich hier abholen wollte.“ Damit stoppte sie erfolgreich jede weitere Prophezeiung. „Ich werde für ihn arbeiten.“

Jetzt war es an der Frau, verblüfft auszusehen. „Clint hat dich angeheuert?“

„Sie nennen ihn Clint?“, fragte Olivia schockiert. Niemand, außer dem engsten Familienkreis und wenigen sehr guten Freunden, wäre es je in den Sinn gekommen, ihren Vater einfach Oscar zu nennen. Grundgütiger!

„Oh, nein, Darling! Vergiss, dass du eine Pom bist“, riet die Frau, der Olivias Gesichtsausdruck nicht entgangen war. „Wir sind nicht so förmlich. Außerdem gibt es hier niemanden, der Clint nicht liebt. Er ist der netteste Kerl auf der Welt! Und ein würdiger Nachfolger für seinen Vater, der inzwischen oben in The Milky Way ist, der Wohnung unserer Urahnen.“

Olivia wäre noch befremdeter gewesen, wenn sie in ihrem Reiseführer nichts über Die Milchstraße gelesen hätte, die ihr bisher nur als Teil der Galaxie ein Begriff gewesen war, für die Aborigines aber einen alten mystischen Platz darstellte, wo ihre Geister wohnten.

„Ich bin Bessie Malgil“, stellte sich die Frau verspätet vor. „Hier kennt mich jeder. Ich male.“

„Bilder?“, fragte Olivia mit echtem Interesse.

„Nicht die Art von Bildern, die du kennst, Darling. Wir nennen es Indigenous Art, ihr würdet es wohl als Eingeborenenkunst bezeichnen. Und was ist mit dir? Wie heißt du? Ich wette, Lady Irgendwas …“

„Olivia Balfour.“ Lächelnd reichte sie ihrer Samariterin die Hand. „Kein Titel.“

„Brauchst du auch nicht“, grinste Bessie und umfasste Olivias Hand mit eleganten langen Fingern. „Es steht dir auch so auf der Stirn geschrieben, Livvy!“

Livvy! Wenn mir noch irgendetwas zu meinem Elend gefehlt hat, dann, dass mich jemand Livvy nennt!

„Na, es kommt dir sicher wie ein richtiges Abenteuer vor, plötzlich in diesem Teil der Welt zu sein, was, Livvy? Du siehst eher so aus, als würdest du in einen Palast gehören.“

„Oh, nein, Bessie!“, wehrte Olivia heftig ab. „Ich bin ein ganz normaler Mensch, der Herausforderungen liebt.“

Bessie lachte, aber nicht wirklich überzeugt. „Nur nicht unbedingt heute, oder? Lass mich dir aus der Jacke helfen, sonst bekommst du tatsächlich noch einen Hitzschlag! Clint wollte dich abholen, sagst du?“

Leicht schwankend kam Olivia auf die Beine und hielt Bessie die Arme entgegen – wie ein kleines Kind, das es nicht gewohnt ist, sich selbst an- oder auszuziehen. „Er hat es zumindest versprochen.“ Kraftlos sank sie anschließend wieder auf die Bank.

„Dann kommt er auch!“ Bessie faltete das Jackett zusammen und legte es neben Olivia. „Na, wer sagt’s denn!“, rief sie bereits in der nächsten Sekunde triumphierend aus. „Damit bin ich hier wohl überflüssig …“

2. KAPITEL

Olivia reckte den Hals und rappelte sich erneut hoch, weil sie Clint McAlpine nirgendwo entdecken konnte. Während ihr Blick über die bunte Menschenansammlung glitt, spürte sie eine seltsame Aufregung um sich herum. Dann hörte sie vereinzeltes Klatschen, erwartungsvolles Gemurmel und animiertes Gelächter. Es war, als hätte sich plötzlich eine Königliche Hoheit zu ihnen gesellt.

„Da ist er, Darling! Genau im richtigen Moment!“

Als sie Bessies Blick folgte, war alles, was sie sehen konnte, ein auffallend großer, verwildert aussehender Mann, der direkt auf sie zuhielt. McAlpine?

Auf jeden Fall jemand, der offensichtlich den größten Teil des Tages im Freien verbrachte und wie ein Held aus irgendeinem Abenteuerfilm wirkte, der sich mit Tod und Teufel im Amazonasdelta oder in der arabischen Wüste herumschlug. In verwaschenen Khakihosen und – hemd, um die schmalen Hüften einen breiten Ledergürtel mit einer auffallenden Silberschnalle. Hochhackige Cowboystiefel ließen ihn noch größer erscheinen, als er es ohnehin schon war. Das gebräunte Gesicht war mit dunklen Bartstoppeln übersät, als hätte er sich seit Tagen nicht rasiert. Auf dem dichten dunkelbraunen Haar, das so lang war, dass er es bequem zu einem Pferdeschwanz hätte zusammenbinden können, trug er den typisch australischen breitkrempigen Rindertreiberhut.

Und zwar auf eine ziemlich verwegene Art, wie Olivia fand. Der unerwartete Anblick eines völlig Fremden schockierte sie derart, dass sie keinen Muskel rühren konnte. Allein seine Augen kamen ihr vage vertraut vor. Sie leuchteten in einem Bernsteingold, wie man es bei erwachsenen Löwen sehen konnte.

Ansonsten erinnerte nichts an den smarten Clint McAlpine, den sie bei einer Familienhochzeit auf einem Landsitz in Schottland kennengelernt hatte. Dort hatte er sich nahtlos in die Welt der englischen High Society eingefügt. Doch dieser Mann wirkte wie eine wilde Kreatur, die nie gezähmt worden war.

Während sie ihn mit einer Mischung aus Amüsement und Horror begutachtete, lüftete Clint McAlpine den verblichenen Hut in einer weit ausholenden Geste, die sie nur als ironisch interpretieren konnte. Dabei zeigte er sein strahlend weißes Gebiss in einem Lächeln, das Olivias Wangen und Nacken dunkelrot färbte.

Dieser Mann ist heiß und brandgefährlich! schoss es ihr durch den Kopf. Und ich bin ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert!

Überwältigt von dieser Erkenntnis konnte Olivia nur eines tun: Sie fiel in Ohnmacht.

In den achtunddreißig Jahren seines sehr bewegten Lebens war Clint schon so einiges widerfahren, doch noch nie hatte er eine Frau in seinen Armen auffangen müssen, weil sie bei seinem Anblick ohnmächtig wurde!

Ohne Frage eine sehr schöne Frau – groß, elegant und mit aristokratischen Gesichtszügen. Unerwartet überfluteten ihn lebhafte Erinnerungen an Olivia Balfour, die Eisprinzessin, wie er sie genannt hatte. Kaum in Australien angekommen, machte sie ihm bereits Ärger. Aber hatte er das nicht insgeheim erwartet?

„Armes kleines Ding!“, murmelte Bessie, während Clint die für ihre Größe viel zu zarte, leichte Gestalt auf die inzwischen leere Bank legte.

„Klein?“, fragte er sarkastisch. „Ohne Schuhe … einsachtundsiebzig, würde ich schätzen.“

„Wie auch immer“, knurrte Bessie, „ich hab’s kommen sehen. Zu viele Klamotten! Und nicht an unsere Temperaturen gewöhnt. Wie sie im Outback überleben soll, ist mir schleierhaft, Boss!“

„Wenn ich nicht weiter weiß, komme ich zu dir, Bessie, wie immer.“ Während er sprach, schaute er auf Olivias Balfours stille, liliengleiche Züge hinunter. „Wir beide wissen doch, wie man zarte Blumen am Leben erhält, nicht wahr?“ Sie hatte sehr dichte, lange Wimpern, die plötzlich zu flattern begannen. Ein gutes Zeichen.

Clint streckte die Hand aus, um ein paar Knöpfe ihrer hochgeschlossenen Seidenbluse zu öffnen. Besaß diese Frau denn gar keine Instinkte, sich bei der Hitze in so einen Käfig einzusperren? Als Nächstes öffnete er den Knopf an ihrem Rockbund, um ihr mehr Atemfreiheit zu verschaffen.

„Kaltes Wasser, Bessie … los, los!“

„Sicher, Boss!“ Eifrig schoss sie davon und wäre fast mit einer Flughafenangestellten zusammengestoßen, die nur auf ein Zeichen gewartet hatte, das ihr erlaubte, sich der kleinen Gruppe zu nähern. Die attraktive Brünette hielt einen großen Becher mit Eiswasser in der Hand, den sie bedenkenlos als Waffe gegen eine Kollegin einsetzte, die – offenbar vom gleichen Gedanken beseelt wie sie – ebenfalls herbeieilte.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie, nicht etwa mit einem Blick auf die bewusstlose Frau, sondern direkt in Clint McAlpines bernsteinfarbene Raubtieraugen. Dass er ein heißer Typ sein sollte, hatte sie bereits gehört. Doch nicht mal Adonis kam der Wirklichkeit auch nur nahe. Dieser Mann war absolut umwerfend!

„Sie kommt langsam zu sich“, murmelte Clint abwesend und suchte Olivias Puls. Er war schwach, aber regelmäßig. Ohne hochzuschauen, griff er nach dem Wasserbecher. „Danke.“

„Gern geschehen, Mr. McAlpine.“ Die Finger der Hostess zitterten von der flüchtigen Berührung. Was für ein Mann! Und noch zu haben! Jeder wusste, dass seine Ehe nicht funktioniert hatte und er wieder auf dem Markt war. Unglaublich! Seine Exfrau musste blind und auch sonst nicht ganz bei sich gewesen sein, so einen Fang aus den Klauen zu lassen. „Braucht sie medizinische Hilfe? Ich könnte das veranlassen.“

„Ich denke, das ist nicht notwendig.“ Clint fühlte Olivias Wangen, die inzwischen deutlich abgekühlt waren. „Sie ist nur erschöpft von dem langen Flug und völlig falsch angezogen. Das kühle Wasser wird ihr guttun.“

Als er merkte, dass die Frau immer noch keine Anstalten machte zu gehen, seufzte er unhörbar. Dabei kannte er derlei Situationen durchaus. „Nochmals vielen Dank!“ Sein Lächeln versetzte die brünette Schönheit in eine Art mentalen Schwebezustand, sodass sie wie auf Wolken an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte.

Olivia öffnete zögernd die Augen und versuchte, sich zu orientieren. Alles um sie herum drehte sich. Halt suchend griff sie nach jemandes Hemd und krallte sich fest, da sie das Gefühl hatte abzustürzen. „Lieber Himmel! Bin ich etwa in Ohnmacht gefallen?“, flüsterte sie entsetzt.

„Ah, die Prinzessin erwacht aus ihrem hundertjährigen Schlummer!“, stellte eine vor Sarkasmus triefende Männerstimme fest. Als Olivia den Kopf zur Seite drehte, schaute sie genau in Clint McAlpines goldene Augen. „Ja, du warst ohnmächtig, Prinzessin. Ich lege jetzt einen Arm um deinen Nacken, um dich zu stützen, und dann trinkst du, so viel du kannst, von dem kühlen Wasser. Bessie wird dir helfen.“

„Oh, gut … Bessie ist noch hier.“ Ihre etwas sonderbare Samariterin erschien Olivia plötzlich als der einzige Halt in einem totalen Chaos.

„Keine Sorge, ich bin bei dir, Darling“, versicherte Bessie, die längst entschlossen war, diese wunderschöne, zerbrechliche Lady unter ihre Fittiche zu nehmen. Während sie näher kam, gluckste sie wie eine besorgte Henne. Diese Livvy mit den spektakulären Augen, die so blau waren wie die Flügel eines Ulyssesschmetterlings, und der zarten Porzellanhaut erschien ihr wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Energisch nahm Bessie den Becher in die Hand und hielt ihn an Olivias Lippen.

„Nein danke“, wehrte die schwach ab, „mit mir ist alles in Ordnung.“

„Unsinn!“, entschied Clint McAlpine barsch. „Gib ihr zu trinken, Bessie.“

„Ich wollte schon immer Krankenschwester werden“, kicherte Bessie und versuchte es erneut. Diesmal mit mehr Erfolg. „Mir gefällt es, mich um Leute zu kümmern.“

„Dann ist dies deine Chance“, ermunterte Clint sie.

„Ich habe sie von der ersten Sekunde an gespürt, zwischen all den Menschen“, erklärte Bessie zufrieden. „Nie zuvor habe ich jemanden gesehen, der so … beatific ist wie sie.“

Clint lachte gutmütig. „Entrückt? Yeah, das passt perfekt, Bessie.“

„Ist das nicht auch ein Synonym für Engel?“ Trotz Schwindel und Benommenheit wollte Olivia nicht mit ihrem neu erworbenen Wissen hinter dem Berg halten.

„Oder für einen Brolga auf der Suche nach einem Wasserloch“, murmelte Bessie kryptisch. „So habe ich sie angetroffen …“

„Eine Art Emu“, half Clint aus. „Nichts, weswegen du in Panik geraten müsstest.“

Wie nah sie sich waren, wurde Olivia erst bewusst, als sie ihm fragend den Kopf zuwandte und dabei feststellte, dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Sein harter Körper strahlte eine beunruhigende Hitze aus. Er war stark, muskulös und roch … nach Mann. Eine betörende Kombination von Pheromonen und Duftstoffen aus der Natur, die sie nicht identifizieren konnte, die aber ungeheuer anregend und sexy wirkten. Für einen Sekundenbruchteil stellte Olivia sich vor, wie es wäre, diesen Körper auf eine sehr intime Art zu erforschen.

Dann erschrak sie so sehr vor ihrer überschäumenden Fantasie, dass sie fast von der Bank gefallen wäre. Lieber Himmel! Da hatte sie noch kaum einen Fuß auf diesen tropischen Außenposten gesetzt und drohte bereits überzuschnappen!

„Na, na … niemand will dir was tun. Trink jetzt, dein Organismus sollte etwas runtergekühlt werden.“

„Alles bestens, Darling“, versicherte auch Bessie mit breitem Lächeln.

Olivia gehorchte. Es tat unglaublich gut. Sie hatte gar nicht gewusst, dass klares Wasser so gut schmecken konnte!

„Bitte … kann ich mich jetzt aufsetzen?“

„Immer mit der Ruhe.“ Selbst mit dem zerzausten Haar, das ihr übers Gesicht fiel, der derangierten Seidenbluse und dem geöffneten Rockbund schaffte Olivia Balfour es, immer noch elegant auszusehen, stellte Clint fasziniert fest. Es musste wohl irgendwie von innen kommen.

„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte er. Ihre Augen leuchteten in exakt dem durchdringenden Blau wie die kostbare Chinavase in seinem Haus.

„Alle starren mich an“, flüsterte Olivia nervös.

Und damit hatte sie sogar recht. Aber es war kein unangenehmes, aufdringliches Starren, sondern eher Neugierde. Sicher hatte die aufregende Neuigkeit, dass eine echte Pom bei Clint McAlpine, dem größten Rinderzüchter des nördlichen Territoriums, arbeiten würde, längst die Runde gemacht.

„Woher weißt du eigentlich, dass sie dich anstarren?“, fragte Clint selbstgefällig und konnte den Blick einfach nicht von ihrem langen blonden Haar abwenden. Die wenigen Male, die sie sich über den Weg gelaufen waren, hatte Olivia es stets zu einem eleganten, aber wenig kleidsamen Knoten aufgesteckt getragen.

„Es ist mir so peinlich, dass ich in Ohnmacht gefallen bin!“

„Mach dich nicht lächerlich!“ Wenigstens kehrte endlich etwas Farbe auf ihre blassen Wangen zurück. Ob es an seinem schwachen Scherz oder an Olivias überzogenem Schamgefühl lag, wusste er nicht. Vielleicht ärgerte sie sich auch heimlich über seinen forschen Ton, der sich seltsamerweise automatisch einstellte, sobald er der stolzen Eisprinzessin auch nur in die Nähe kam.

Dass ihr Vater sie ausgerechnet nach Australien schicken wollte und dann auch noch seiner Obhut anvertraute, war ein echter Schock für Clint gewesen. Und ihn schockte so schnell nichts! Natürlich wusste er alles über den Skandal, der Auslöser für Oscar Balfours ebenso spontane wie weitreichende Entscheidung gewesen war. Obwohl er die einschlägigen Magazine selbst nicht las, hatte er genügend Verwandte, Freunde und Geschäftskontakte in England, die ihn nur zu bereitwillig mit dem neuesten Klatsch versorgten.

Ehrlich gesagt konnte er sich Olivia gar nicht in einer Auseinandersetzung mit ihrer hinreißenden Schwester, dem wilden Zwilling, vorstellen, die sogar in einer Ohrfeige gegipfelt haben sollte. Olivia war für ihn stets die Eisprinzessin gewesen, unfähig und unwillig, von ihrem hohen Ross herabzusteigen und sich unter die Normalsterblichen zu mischen. Doch diesmal schien sie tatsächlich abgestürzt zu sein.

Was sie seiner Meinung nach jetzt am dringendsten brauchte, war ein langer, erholsamer Schlaf. Als Vielflieger kannte Clint die lästigen Folgen des Jetlags sehr gut. Doch da er wusste, dass Olivia die Reise bereits unterbrochen hatte, um im „Raffels“ zu übernachten, wunderte er sich über ihren angeschlagenen Zustand. Auf jeden Fall konnten sie nicht wie geplant gleich zur Ranch rausfliegen, sondern müssten noch eine weitere Nacht im familieneigenen Apartment in Hafennähe verbringen.

Vielleicht war es aber auch besser, Zimmer im Darwin International Resort Hotel zu buchen. Es lag ganz in der Nähe.

Wenn er sich Miss Balfour so anschaute, schien sie zu keinem Job zu passen, den er ihr hätte anbieten können. Wahrscheinlich hatte sie noch nie in ihrem Leben eine Küche von innen gesehen. Abgesehen davon brauchte keiner der McAlpine-Betriebe einen Koch, selbst wenn er es gewagt hätte, eine Frau wie sie ins Outback zu schicken. Er hatte bereits ein perfektes Team – Kath und Norm Cartwright, ein Ehepaar, das sich um alle häuslichen Arbeiten auf Kalla Koori kümmerte.

Wenn Olivia Balfour weder kochen noch einen Haushalt führen konnte, würde sie erst recht nicht für eine viel härtere Disziplin taugen, das Treiben von Rindern! Dabei sah sie wirklich nicht dumm aus. Im Gegenteil, eigentlich wirkte sie sogar sehr intelligent.

Und das war sie auch unter Garantie.

Immerhin hatte sie, besonders nach dem Tod von Oscars dritter Frau, häufiger als offizielle Gastgeberin ihres Vaters fungiert und war daran gewöhnt zu tun, was höhere Töchter eben taten: Charity-Events organisieren, Feste oder Ausstellungen eröffnen, Kinderheime besuchen und so weiter und so fort.

Vielleicht konnte sie für ihn auch in dieser oder ähnlicher Hinsicht hilfreich sein. Er hatte genügend gesellschaftliche Verpflichtungen, die er regelmäßig vernachlässigte. Aber Gäste und wichtige Geschäftsfreunde wollten unterhalten werden.

Dafür müsste Miss Balfour allerdings erst einmal an ihrer Hochnäsigkeit und ihrem Standesdünkel arbeiten. Hatte er sie nicht schon einmal, neben anderen Dingen, darauf hingewiesen, dass sie ihre Nase etwas zu hoch trug? Und dass man mit Fug und Recht behaupten könnte, sie würde den Snobismus zu einer Art Kunstform erheben?

Wenn sie sich noch daran erinnerte, konnte er kaum erwarten, dass er ihr sympathischer war als sie ihm. Und trotzdem war sie hier … weil ihr Vater sie geschickt hatte!

Oscar Balfour war ein attraktiver, extrem erfolgreicher und sehr charmanter Mann, den Clint gern auf seiner Seite wusste. Sein verstorbener Vater hatte große Stücke auf ihn gehalten. Außerdem gehörte er zu den Hauptaktionären von M.A.P.C.

Clint seufzte. Wie es aussah, mussten Olivia Balfour und er versuchen, das Beste aus der vertrackten Situation zu machen … oder sich irgendwann gegenseitig erwürgen.

Clint McAlpine musste eine lokale Berühmtheit sein.

Überall, wo sie hingingen, wurden sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Respekt und überschwänglicher Freundlichkeit gegrüßt. Die Menschen winkten und lächelten ihnen zu, als wäre er ein Rockstar, der zu einem lange erwarteten Open-Air-Konzert in die Stadt gekommen war.

Über Nacht waren seine Bartstoppeln verschwunden. Doch der verwegene Naturburschen-Look, der garantierte, dass die Frauen den Blick nicht von ihm wenden konnten, war noch derselbe. Und das, was Olivia in den Augen ihrer Geschlechtsgenossinnen las, war nackte, animalische Lust! Sie wusste gar nicht, ob sie angewidert war oder sich zurückgesetzt fühlte.

Nie zuvor hatte sie eine so herausfordernde Kombination aus kastanienbraunem Haar, bronzefarbener Haut und eindringlichen goldenen Augen gesehen. Clint hatte sogar Zeit gefunden, sein Haar ein wenig kürzen zu lassen. Einen Schnitt konnte man die kinnlange, wilde Mähne allerdings immer noch nicht nennen.

Warum war der Mann nicht zehn, zwanzig Jahre älter und sah höchstens durchschnittlich aus? Konnte er nicht wenigstens eine Glatze oder einen Bauch haben und eine Art Vaterfigur sein? Ein Onkel hätte es auch getan.

Dass die Wahl ihres Vaters ausgerechnet auf McAlpine gefallen war, fand Olivia fatal! Sie hatten absolut nichts gemeinsam. Schlimmer noch! Schon von der ersten Begegnung an herrschte so etwas wie eine unausgesprochene Feindschaft zwischen ihnen. Dieser arrogante Kerl brachte das Schlimmste in ihr zum Vorschein.

Aber sich auf einen Krieg mit ihm einzulassen war aus mehreren Gründen keine gute Idee. Erstens war er ihr körperlich hundertmal überlegen, zweitens hielt Olivia es auch aus anderen Gründen für viel zu gefährlich, ihm nahezukommen, und drittens würde er unter Garantie ihren Vater darüber informieren.

Etwas Gutes gab es aber doch über ihn zu berichten. Olivia hatte wie ein Stein geschlafen, und er hatte sie nicht geweckt. Es war bereits nach neun, als Clint in ihrem Hotelzimmer anrief und sie zum Frühstück herunterbat. Er hatte sogar genug Anstand zu fragen, ob sie gut geschlafen habe.

„Danke der Nachfrage“, erwiderte sie kühl, was ihr allerdings nicht leichtfiel, da ihr Blut allein beim Klang seiner Stimme wie glühende Lava durch die Adern floss. „Ich habe sogar ausgezeichnet geschlafen, Mr. McAlpine, und …“

„Mr.?“

„Wie bitte?“

„Wir sind über hundert Ecken verwandt, schon vergessen?“, murmelte er träge.

Lohnte es, deswegen den ersten Kleinkrieg vom Zaun zu brechen? Nein, entschied Olivia. Ganz geschlagen geben wollte sie sich aber auch nicht. „Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht … McAlpine?“

Er grinste amüsiert, beließ es aber dabei. „Nicht im Geringsten. Aber es wird Zeit, das Tempo ein wenig anzuziehen, und dazu musst du fit sein. Kein Problem für eine echte Balfour, möchte ich denken. Jetzt frühstücken wir flott, und dann machen wir uns auf den Weg. Die Geschäfte warten. Aber das kennst du ja von deinem Vater, oder? Wir sehen uns dann gleich im Foyer.“

Sie hatte geduscht, sich angezogen und war innerhalb von nur zwanzig Minuten unten gewesen. Ein absoluter Rekord für Olivia. Allerdings hatte die Zeit nicht gereicht, um ihr Haar in den üblichen steifen Knoten zu zwingen. Also hatte sie die blonde Lockenfülle einfach mit einer goldenen Spange im Nacken gebändigt.

In der Hotelhalle herrschte überraschend viel Betrieb. Menschen liefen hierhin und dorthin, und alle schienen glücklich darüber, einfach hier zu sein. Kein Zeichen von McAlpine, der wegen seiner Größe eigentlich leicht zu finden sein sollte. Doch er war nirgendwo zu sehen, ebenso wenig wie seine Fans, die ihn stets umringten.

„Miss Balfour, nehme ich an?“ Seine Stimme troff geradezu vor Sarkasmus.

„Oh, Verzeihung!“ Sie war in ihn hineingelaufen. Oder hatte er den Zusammenstoß provoziert? Seine Hände auf ihren Schultern sandten kleine Stromstöße durch ihren Körper, bis hinunter in die Zehen. Auch Clint schien etwas gespürt zu haben, da er Olivia abrupt freigab und zurücktrat.

„Wollen wir, Eisprinzessin?“

Er betrachtete sie mit einer gewissen Skepsis, so als wäre sie nicht aus Fleisch und Blut, sondern eine Art Erdbeertörtchen mit Sahne. Das ärgerte Olivia. „Wäre es nicht einfacher gewesen, sich gleich im Restaurant zu treffen?“, fragte sie spitz.

Doch Clint schien ihr gar nicht zugehört zu haben. „Hast du etwas gesagt?“

„Schon gut …“ Auf keinen Fall wollte sie sich von diesem Stoffel aus der Ruhe bringen lassen!

Als erfahrene Jet-Setterin hatte Olivia sich gestern noch zurechtgelegt, was sie am nächsten Tag anziehen würde, bevor sie sich ins komfortable Hotelbett hatte fallen lassen. Dem tropischen Klima diesmal angemessen trug sie ein weißes Top aus einem Seide-Baumwollgemisch mit ovalem Ausschnitt und mit Dreiviertelärmeln. Dazu eine leichte weiße Leinenhose und ebenfalls weiße Segeltuchschuhe. Mit einer kleinen Anleihe an Bellas Wagemut legte sie auch noch einen breiten, mit Nieten beschlagenen schwarzen Ledergürtel heraus, um das viele Weiß zu unterbrechen.

Clints Outfit unterschied sich nicht groß von dem gestrigen. Zumindest nicht in seiner Lässigkeit. Zu schwarzen, engen Jeans trug er ein ebenfalls schwarzes T-Shirt mit dem sinnigen Logo „I Love NY“. Das Love wurde natürlich durch ein rotes Herz ersetzt. Er wirkte so fit, wie man nur wirken konnte – und umwerfend sexy.

Und wie er sich bewegt … wie eine Dschungelkatze!

Olivia schluckte mühsam und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, um sich aus der Starre zu lösen, die sie befallen hatte.

„Angst vorm australischen Frühstück?“, fragte er feixend, ihre seltsame Verfassung zum Glück völlig missinterpretierend. „Ich bin sicher, du erwartest ein gigantisches T-Bone-Steak, Würstchen, gebratene Eier mit Tomaten und Kartoffelpuffer, stimmt’s?“

Sie schauderte. „Das scheint dich offenbar nicht zu schrecken.“

„Bis auf die Kartoffelpuffer“, bestätigte er lachend. „Die überlasse ich dir. Obwohl ich bezweifele, dass du überhaupt je frühstückst, wenn ich dich so anschaue.“

„Was weißt du eigentlich wirklich über mich?“, fragte Olivia nach einer Pause.

„Ehrlich gesagt … eher nichts“, gab er unumwunden zu. „Warum legen wir die Fakten nicht offen auf den Tisch, Eisprinzessin. Du willst genauso wenig hier sein, wie ich dich hierhaben will. Aber da wir beide nicht aus diesem Käfig fliehen können, in den uns dein Vater gesperrt hat …“ Er hob vielsagend die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Ich möchte sein Wohlwollen nicht verlieren, und du willst dich reinwaschen, wie ich gehört habe.“

„Mich reinwaschen?“ Olivias Augen sprühten blaue Blitze. „Ich bin nicht …“

„Mach das mit deinem Vater aus“, unterbrach er sie grob und wandte sich der jungen Bedienung zu, die mit einem silbernen Trolley neben ihrem Tisch anhielt.

„Guten Morgen, Mr. McAlpine.“

„Guten Morgen, Kym.“ Da war es wieder, dieses dreiste, breite Lächeln. „Was hast du uns heute Schönes anzubieten?“

„Alles, was Sie bestellt haben, Mr. McAlpine!“ Kym kicherte animiert, wobei sich zwei reizende Grübchen in ihren Wangen zeigten.

„Also keine Überraschung“, murmelte Olivia trocken.

Die Kellnerin wandte sich um und sah sie aus großen braunen Augen an. „Ich hoffe, Sie genießen Ihr Frühstück, Ma’am …“

Olivia erlaubte sich nicht, ihre wahre Reaktion zu zeigen, sondern nickte nur schwach. Freche Göre! Mich wie McAlpines Großtante zu behandeln!

Kym stellte ihnen frisch gepressten Fruchtsaft in geeisten Gläsern und eine Schale mit saftigen Papaya-Schnitzen hin. Die gekochten Eier und den Toast deckte sie mit einer Wärmehaube zu.

„Freut mich, Sie wieder einmal gesehen zu haben, Mr. McAlpine“, hauchte sie, bevor sie sich zurückzog.

„Noch eine Bewunderin?“, fragte Olivia spöttisch.

„Alles zu deiner Zufriedenheit, Eisprinzessin?“

„Danke, ja“, gestand sie gnädig.

„Dann hau endlich rein, damit wir aufbrechen können!“ Seine attraktiven Züge hatten sich verfinstert, der Blick war eisenhart. Vor ihren Augen hatte McAlpine sich in einem Sekundenbruchteil von Crocodile Dundee in einen erbarmungslosen Finanzmogul verwandelt. Vielleicht sollte sie sich doch lieber angewöhnen, ihre spitze Zunge zu mäßigen. Denn über den großen Teich zurück nach England zu schwimmen traute sie sich dann doch nicht zu.

Und ihr Rückflugticket für Oktober befand sich in Händen ihres zukünftigen Peinigers. Dafür hatte ihr Vater gesorgt!

3. KAPITEL

Clint tauchte in Olivias Hotelzimmer auf, als sie sich gerade fragte, was sie mit ihren unzähligen Gepäckstücken machen sollte. Inzwischen war ihr klar, dass sie viel zu viel mitgeschleppt hatte. Wahrscheinlich brauchte sie nicht mehr als ein khakifarbenes Busch-Outfit, einen Schlapphut und Knöchel-Boots, um mögliche Schlangenangriffe abwehren zu können.

Sie hatte alles über Schlangen gelesen. Und über Dingos und wilde Büffel – ganz zu schweigen von den Krokodilen!

Vielleicht sollte sie McAlpine gegenüber erwähnen, dass sie bereits etwas Erfahrung im afrikanischen Dschungel hatte sammeln können. Wobei ihre Unterkunft damals – der Eigner der Lodge war der Vater eines von Bellas Bewunderern – sehr komfortabel gewesen war. Während der extra für sie veranstalteten Safari wurden nur Fotos geschossen, da Olivia es nie akzeptiert hätte, eine Waffe gegen die wilden Tiere einzusetzen.

Und jetzt war sie im Northern Territory gelandet! Am Ende der Welt!

„Reist du immer mit so leichtem Gepäck?“, fragte Clint.

„Nur, wenn ich auf Safari bin!“, konterte sie bissig.

„Also habe ich keine Chance, dich nackt zu Gesicht zu bekommen?“

„Ich muss doch sehr bitten!“ Olivias Stimme überschlug sich fast. Im Nachhinein dachte sie selbst, dass sie wie eine verklemmte alte Jungfer auf den albernen Scherz reagiert hatte.

„War nur’n Witz, Miss Balfour.“ Erneut inspizierte er den Berg von Louis-Vuitton-Koffern. „Trotzdem schlage ich vor, das Ganze zu reduzieren. Such raus, was du wirklich brauchst, und ich sorge dafür, dass der Rest zurückgeschickt wird.“

„Wie du meinst.“ Es gefiel ihr nicht, dass McAlpine sie immer irgendwie dumm aussehen ließ. Missmutig wählte sie zwei Koffer und ihr Beautycase aus.

„Können wir dann los?“ Clint schnappte sich die beiden großen Gepäckstücke, als handele es sich um leere Hutschachteln, und wandte sich zum Gehen. „Ich habe ein City-Apartment in Darwin. Wir fahren mit dem Taxi rüber.“

Olivia erstarrte. „Zu welchem Zweck?“

Dafür erntete sie einen kurzen, ungeduldigen Blick. „Bestimmt nicht, um wilden Sex zu haben, falls dir das im Kopf herumschwirrt. Auf dem Dach des Gebäudes befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz. Wir fliegen mit dem Helikopter.“

Wilden Sex! Lässig wedelte Olivia mit der Hand, um ihre Verwirrung zu kaschieren. „Helikopter ist okay. Den nutzen wir auch in der Karibik, wenn wir zu der Privatinsel fliegen, die Daddy vor etlichen Jahren gekauft hat.“

„Wow!“, rief Clint, aber es hörte sich nicht bewundernd an. „Davon können andere nur träumen! Dein Daddy ist ein richtiger Tycoon, oder?“

„Soweit ich weiß, giltst du auch als ziemlich zahlungskräftig.“

Das brachte ihn zum Lachen. „Ziemlich zahlungskräftig … was für ein altertümlicher Ausdruck! Du hältst mich also auch für einen Krösus? Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“

„Keine Ahnung, worauf du anspielst!“, brauste Olivia auf. Langsam hatte sie es satt, immer von ihm aufgezogen zu werden.

„Geld ist ein sehr wirksames Aphrodisiakum, Miss Balfour!“

Und das sagte er ausgerechnet ihr! „Dann wirst du sicher beruhigt sein zu hören, dass ich absolut nicht an dir interessiert bin, McAlpine! Weder in romantischer Hinsicht noch sonst wie!“

„Und damit sind wir schon zwei, Eisprinzessin“, kam es lässig zurück. „Ehrlich gesagt, bist du mir viel zu zugeknöpft.“

Darauf antwortete Olivia nicht. Zugeknöpft!

Bisher hatte sie das immer für ein Kompliment oder eine Tugend gehalten. Sie war stolz darauf gewesen und insgeheim der Meinung, sie hätte sogar eine Medaille dafür verdient, nicht so leichtlebig zu sein wie viele andere – ganz vorneweg ihre eigenen Schwestern!

Immer noch schweigend standen sie kurz darauf vor dem Hotellift. Als die Stahltüren auseinanderglitten, gaben sie die Sicht auf zwei lächelnde Gäste und einen Pagen mit einem Gepäck-Trolley frei.

„Ich übernehme das Gepäck, Mr. McAlpine …“, sagte der junge Mann eifrig. „Soll es zu Ihrem Hubschrauber-Landeplatz gebracht werden?“

„Ja. Besten Dank, Arnold.“

„Ein wundervoller Tag zum Fliegen.“

„Absolut …“

„Du meine Güte!“, rief Olivia überrascht, als sie den wartenden Helikopter sah, neben dem einige Männer standen.

„Jetzt gibt’s kein Zurück mehr“, warnte Clint, der ihren Ausruf völlig missverstand.

„Keine Sorge, ich freue mich auf den Flug. Es ist der Helikopter. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“

„Hört, hört …“, lästerte ihr neuer Boss. „Und ich dachte, dich könnte nichts mehr überraschen.“

„Was soll das jetzt wieder heißen?“, fragte Olivia schneidend.

Clint hob abwehrend die Hände. „Eine völlig harmlose Bemerkung, Eisprinzessin. Das ist die neueste Errungenschaft der McAlpine Aviation, die mein Großvater Roscoe McAlpine gegründet hat. Angefangen hat es mit Charterflügen kleinerer Maschinen, dann folgten Jet-Charter, Helikopterflüge und Luftfracht. Nebenbei unterstützen wir den Staat bei Wasser- und Feuerkatastrophen. Granddad wäre sicher stolz über diese Entwicklung. Die Ironie ist, dass ausgerechnet er beim Absturz seiner Privatmaschine ums Leben kommen musste, obwohl er ein sehr erfahrener Pilot war.“

Olivia schluckte trocken. „Bin ich der einzige Passagier?“, fragte sie mit einem Blick auf die wartenden Männer.

„Keine Panik, das sind keine Viehdiebe, sondern brave Angestellte. Sie kommen mit uns. Sonst noch was?“

Ja, wohin fliegen wir? hätte Olivia gern gefragt, schüttelte aber angesichts Clints kritischen Blicks nur den Kopf.

Um die Gefühle zu beschreiben, die sie befielen, als sie von oben auf die urzeitliche Wildnis hinunterstarrte, fehlten Olivia die Worte. Und das sollte für die nächsten fünf Monate ihre neue Heimat sein!

Ihrer Meinung nach hätten selbst die ersten Eroberer dieses Kontinents – durchweg kühne, unerschrockene Engländer – abgedreht und wären weitergesegelt, wenn sie als Erstes diese unwirtliche Gegend entdeckt hätten. Ganz sicher galt sie auch heute noch als das letzte unberührte Fleckchen Erde auf diesem Planeten!

Doch so fremdartig und faszinierend alles auf Olivia wirkte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie auch nur eine Minute ihres Aufenthalts genießen würde. Die karge, rötliche Landschaft erinnerte an den Mars, der Bewuchs sah aus wie riesige Nadelkissen, die in den unterschiedlichsten Gold-, Orange- und Brauntönen leuchteten.

Verbrannte Erde! schoss es ihr durch den Kopf. Und ich mit meiner empfindlichen Haut! Ruhe bewahren, Olivia!

Sie wusste, wie wichtig es war, sich nicht schon vorher verrückt zu machen. Ordnung und Übersicht bildeten schließlich die Grundpfeiler ihrer Existenz. Sie war eine Balfour und vom Sternzeichen her Steinbock! Und die liebten bekanntlich Herausforderungen.

Die beiden Männer, die mit ihnen flogen, mochten um die vierzig sein. Kräftige, sonnengegerbte Cowboytypen mit harten Muskeln, die sicher ohne Mühe mit bloßen Händen einen Bullen zu Boden bringen konnten. Doch als Clint sie Olivia vorstellte, gaben sie sich ausgesprochen höflich und sprachen mit leiser Stimme. Sie saßen direkt neben McAlpine und tauschten sich mit ihm über irgendwelche fachlichen Dinge aus, während sie ganz nach hinten verfrachtet worden war.

Vielleicht gar nicht so schlecht, so konnte McAlpine wenigstens nicht sehen, wie der erste Blick auf seinen Stammsitz sie schockierte! Okay, nicht jedem war es möglich, auf einem Herrensitz zu leben, aber das spottete wirklich jeder Beschreibung! Nichts, absolut nichts würde sie hier von all den hübschen Sachen gebrauchen können, die sie vorsorglich eingepackt hatte. Und schon gar nicht das heimlich von Bella ausgeliehene extravagante Cocktailkleid!

Oh, Bella, wie sollen wir die nächsten Monate nur überleben?

Olivia hoffte aufrichtig, dass ihre Zwillingsschwester, die sie längst schmerzlich vermisste, sich nicht so schrecklich fürchtete wie sie in diesem Moment.

Aber wovor habe ich eigentlich Angst? Vor dem Outback … oder vor McAlpine?

Wenige Minuten später landeten sie auf einer Wiese vor der Rinderfarm, die wie eine grüne Oase inmitten einer riesigen Wüste wirkte. Hohe Palmen und andere exotische Bäume, die Olivia nie zuvor gesehen hatte, umgaben das Anwesen. Dazu kamen Unmengen von Stauden und Büschen, deren verschwenderische Blütenfülle und betörend süßer Duft ihr fast den Atem raubte. All das wirkte wie ein lebendiger, farbenprächtiger Schutzwall um ein eher farbloses Haus, das kaum größer als ein durchschnittliches englisches Cottage war.

Durch dunkle Sonnengläser inspizierte Olivia bedächtig ihr neues Zuhause. Und dann dämmerte es ihr langsam. McAlpine wollte sie aufziehen! Dies hier konnte unmöglich sein Familienstammsitz sein! Aber wenn er wirklich glaubte, sie so leicht ins Bockshorn jagen zu können, musste sie ihn leider enttäuschen!

Sie betrachtete das Gebäude noch einmal unter einem ganz anderen Vorzeichen. Bei dem Farmhaus handelte es sich um eine Holzkonstruktion, die auf stabil wirkenden Pfählen stand. Ob als Schutz gegen Hochwasser oder zur Belüftung wusste Olivia nicht. Seitlich vom Haus sah man weit in der Ferne einen Fluss, der sich durch die Landschaft schlängelte. Ob es in ihm Krokodile gab, die sich bevorzugt auf den breiten Sandbänken oder an seinen Ufern sonnten?

Energisch unterdrückte Olivia ihre aufsteigende Panik und versuchte, sich wieder auf ihre unmittelbare Umgebung zu konzentrieren.

Eine Art Holzspalier, mit Wein und einer goldgelb blühenden Pflanze berankt, begrenzte die großzügige, umlaufende Veranda und verhinderte einen direkten Blick ins Innere des Hauses. Der süße Duft machte Olivia ganz schwindelig.

Das Dach war aus einfachem Wellblech und Grün gestrichen, genau wie die hölzernen Fensterläden und die breite Doppeltür, die auf die überdachte Veranda führte. Zwischen bequem aussehenden Korbmöbeln standen riesige Übertöpfe, in denen weitere exotische Pflanzen wuchsen. Andere Pflanzschalen, die an eisernen Ketten von der Decke herabhingen, beherbergten üppige Farne, deren Wedel fast bis zum Boden herabhingen.

Mit ein wenig Pflege und ein paar Tropfen Wasser könnte man ein exotisches Paradies aus diesem Urwald machen, schoss es Olivia den Kopf. Doch ihr Bild eines gepflegten, englischen Gartens, wie sie ihn von Balfour Manor kannte, zerplatzte gleich wieder wie eine Seifenblase vor ihrem inneren Auge.

Home Sweet Home! Mehr denn je fühlte sie sich wie ein Fisch auf dem Trockenen! Und sobald sie versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bewahrheitete sich das Gefühl auch noch!

„Alles in Ordnung?“, fragte Clint, als er sie taumeln sah und energisch nach ihrem Arm griff.

„Mir geht’s ausgezeichnet, danke“, behauptete Olivia wenig überzeugend.

„Seltsam …“ Er grinste. „Und ich hätte schwören können, dass du gerade gedacht hast: Wo, zum Teufel, bin ich hier nur gelandet!

„Vielleicht solltest du deinen Intuitionen zukünftig nicht unbedingt trauen, McAlpine“, riet sie ihm. „Aber, da wir das Thema nun schon angeschnitten haben … wo, zum Teufel, sind wir hier?“

„In Naroo Waters.“

„Wie überaus reizend.“ Ihr Lächeln glich dem einer Society-Lady anlässlich einer Charity-Gala.

„Ja, nicht wahr?“ Seine Augen glitzerten wie Goldbarren. „Mir gefällt es hier auch ausnehmend gut. Von Kindesbeinen an habe ich diesen Ort immer wieder gern besucht. Es ist einer unserer Außenposten, und ich bin sicher, es stört dich nicht, dass wir den kleinen Umweg gemacht haben, um Wes, Bernie und ein wenig Material hier abzuladen. Wes leitet Naroo Waters, und Bernie ist seine rechte Hand.“

„Und das konntest du mir nicht vorher sagen?“, fragte sie gefährlich milde.

„Ich gehöre eher zum wortkargen Typ und gebe immer nur weiter, was ich unbedingt für notwendig erachte“, erklärte er mit breitem Lächeln.

„Dann sollte das also kein Test für mich sein?“

Diesmal lachte Clint laut heraus. „Wenn es so wäre, Eisprinzessin, dann hättest du ihn in dieser Sekunde jedenfalls mit Bravour bestanden. Geh doch kurz ins Haus, während ich mit Wes alles Notwendige bespreche. Seine Frau Heather wird dir sicher eine Tasse Tee anbieten. Ich komme gleich nach.“

„Und als wer oder was soll ich mich ihr vorstellen?“

Clint kniff die Augen zusammen und betrachtete sie einen Moment kritisch. „Sag ihr doch einfach, du wärst eine alte Freundin …“

Als Olivia zögernd die Verandastufen erklomm, kam ihr eine kleine, zierliche Frau in knielangen Bermudas, einem grasgrünen Tank-Top und einer Unmenge roter Locken auf dem Kopf, die bei jedem Schritt lustig wippten, entgegengeeilt.

„Sie müssen Olivia sein!“, stellte sie mit sonnigem Lächeln fest, als würde sie einen lang erwarteten Gast begrüßen. „Kommen Sie doch herein … oder darf ich Du sagen?“, fragte sie im gleichen Atemzug. „Wir sind hier draußen nicht so förmlich.“

Das alles sagte sie ausgesprochen herzlich, und nicht in diesem höflichen, unverbindlichen Ton, den Olivia so gut kannte. Und den sie selbst bei solchen Gelegenheiten in der Vergangenheit stets benutzt hatte, wie sie sich jetzt schuldbewusst eingestand.

„Ich habe eine schöne Tasse Tee für dich und dazu ein Stück Rosinenkuchen. Ganz frisch aus dem Ofen.“

Der Tee war genau so, wie Olivia ihn mochte, und der Kuchen mit der knusprigen Walnusskruste schmeckte einfach köstlich. Dazu kam das reizende, offene Wesen von Heather Finlay – ein typisch schottischer Name. Olivia war schon halb versöhnt mit ihrem Schicksal. Sie saßen in einem kleinen Wohnzimmer, dessen heller Stilmix zusammen mit rustikalen Stoffen in kunterbunten Farben einen frischen, ländlichen Charme versprühte.

Aus der Nähe betrachtet wirkte Heather älter, als Olivia sie zuerst geschätzt hatte. Vermutlich Anfang vierzig, mit einer grazilen, sportlichen Figur, jeder Menge Sommersprossen auf der Nase und fröhlichen grünen Augen.

„Und du bist hier, um Urlaub zu machen?“, fragte sie neugierig und schaute ihren Gast aus dem fernen Europa an, als wäre Olivia eine Art blonde Fee aus einem alten Märchen.

Spontan beschloss Olivia, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ich bin hier, um Mr. McAlpine auszuhelfen, wo immer er mich gebrauchen kann, Heather. Es ist eine Art … geschäftliches Arrangement. Mein Vater ist Hauptaktionär der McAlpine Pastoral Company. Ich möchte so viel wie möglich über die Firmeninterna lernen und mich nebenbei natürlich nützlich machen.“

Zu Olivias Erstaunen erhellte sich Heathers Gesicht, als hätte jemand eine Lampe angeknipst. Ihr Lächeln konnte man eindeutig triumphierend nennen.

„Du bist die absolut perfekte Hilfe für ihn, was seine gesellschaftlichen Verpflichtungen betrifft!“, freute sie sich. „Ich bin sicher, dass Clint genau meiner Meinung ist und dich deshalb engagiert hat. Kennst du eigentlich Marigole, seine Exfrau?“

„Nein …“

Langsam setzte Olivia ihre hübsche Teetasse ab. Royal Doulton’s Regalia. Heather hatte offensichtlich extra für sie ihr bestes Service hervorgeholt. Wie nett von ihr.

„So gut kenne ich McAlpine noch gar nicht. Wir sind uns einige Male in London und anlässlich einer Hochzeit in Schottland begegnet. Es besteht eine sehr weitläufige Verbindung zwischen unseren Familien. Aber seine Frau … oder Exfrau … habe ich nie kennengelernt. Offenbar hat sie ihn nicht auf seinen Reisen nach Europa begleitet.“

„Soweit ich weiß, ist ihm die Scheidung vor zwei Jahren auch ziemlich nahegegangen.“ Sie schenkte ihnen beiden eine zweite Tasse Tee ein. „Balfour und McAlpine … zwei gute, alte schottische Namen. Heißt Balfour nicht Weideland?“

„Woher weißt du das alles?“, fragte Olivia überrascht.

Heather schüttelte demonstrativ ihren Rotschopf und lachte. „Wie wohl nicht zu übersehen ist, stammen meine Vorfahren auch aus Schottland. Genau wie die von Wes. Kann ich denn davon ausgehen, dass deine Familie Weideland besitzt?“, fragte sie augenzwinkernd.

„Nichts, was sich mit diesen Dimensionen vergleichen lässt!“, erklärte Olivia aus vollem Herzen. „Ehrlich gesagt, war ich auf das hier völlig unvorbereitet.“

„Das hört sich ja fast nach Panik an.“

Olivia lächelte etwas verkrampft. „Ich würde es gern leugnen, aber dann müsste ich lügen. Diese … unendliche Weite und Einsamkeit, das Fehlen von menschlichen Ansiedlungen … Kultur und Citylights … Die Natur hier ist einfach … überwältigend.“

„Das ist sie“, pflichtete Heather ihr gelassen bei.

„Fühlst du dich nicht manchmal schrecklich allein?“, fragte Olivia spontan.

„Absolut! Besonders, seit unsere Söhne auf dem Internat sind. Und das ist schon eine ganze Weile. Die beiden sind jetzt zwölf. Zwillinge …“ Ein stolzes, mütterliches Lächeln machte ihr Gesicht ganz weich. „Im Juni haben sie Ferien, die sie natürlich zu Hause verbringen. Aber wenn Wes auf einem langen Rindertrieb ist oder es mir sonst irgendwann reicht, unternehme ich einfach einen Trip nach Darwin. Dort habe ich eine Menge guter Freunde.“

„Dann freust du dich schon auf deine Jungs?“ Angesichts Heathers leuchtender Augen bestand für Olivia daran kein Zweifel.

„Alex und Ewan! Ich vergöttere die kleinen Racker!“

„Ich bin auch ein Zwilling“, sagte Olivia lächelnd. „Meine Schwester Bella ist außerordentlich hübsch.“

Heather lachte. „Das muss sie als deine Zwillingsschwester ja zwangsläufig sein!“

Autor

Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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