Julia Exklusiv Band 312

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Lee Wilkinson
Verführung wie im Rausch

Madeleine schwebt im siebten Himmel! Einer der begehrtesten Junggesellen Englands lädt sie zum Dinner ein: der Multimillionär Rafe Lombard. Wie im Rausch gibt sie sich seinen Verführungskünsten hin. Doch dann erfährt sie: Rafe soll nicht nur ihr seine Liebe geschworen haben...

Lindsay Armstrong
Der goldene Schlüssel zum Glück

Gefangen mit dem Feind! Bei einer Hausbesichtigung sperrt Maggie sich und den Baulöwen Jack McKinnon versehentlich ein. Seit er ihr einmal vorgeworfen hat, ein verwöhntes High-Society-Girl zu sein, ist sie nicht gut auf ihn zu sprechen. Doch dann küsste er sie nach ihrer Befreiung heiß …

Heidi Rice
Nur eine rasante Affäre?

Liebe? Nie wieder, denkt Jessie. Bis eines Tages ein faszinierender Mann auf einem Motorrad direkt in ihr Herz braust! Doch der Lebenskünstler Monroe Latimer macht ihr schnell klar: Eine heiße Sommeraffäre ist wunderbar - aber an die große Liebe glaubt er nicht …


  • Erscheinungstag 21.06.2019
  • Bandnummer 312
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713249
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lee Wilkinson, Lindsay Armstrong, Heidi Rice

JULIA EXKLUSIV BAND 312

1. KAPITEL

Im Krankengymnastikraum in der exklusiven Grizedale-Klinik im Londoner Stadtteil Mayfair war es angenehm ruhig, man hörte nur den Straßenverkehr im Hintergrund. Auf dem Boden lag ein dicker Teppich, ein Strauß roter Rosen in einer Vase verbreitete herrlichen Duft, und auf der Liege war ein blütenweißes Laken für den nächsten Patienten ausgebreitet. Die dünnen weißen Gardinen vor dem geöffneten Fenster bauschten sich in der leichten Brise und hielten die Sommerhitze ab.

Madeleine saß am Schreibtisch und machte sich Notizen in der Akte der Patientin, die sie gerade behandelt hatte. Sie trug einen anthrazitfarbenen Anzug und eine cremefarbene Bluse und hatte das lange blonde Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Plötzlich klopfte es, und die Tür wurde geöffnet.

Es war Eve, die ihr Unterlagen brachte. In ihrer blauen Tracht und mit den im Nacken zusammengefassten Locken sah sie wie immer sehr adrett aus. Mit Eve und deren Bruder Noel war Madeleine seit ihrer Kindergartenzeit befreundet, und von ihr hatte sie auch von dem Job erfahren.

„Es ist nur eine befristete Stelle, weil die Mitarbeiterin in Erziehungsurlaub geht“, hatte Eve ihr erzählt. „Aber sie ist gut bezahlt und das Betriebsklima sehr angenehm. Vielleicht ist es genau das Richtige für dich, bis du dir selbst einen Patientenstamm aufgebaut hast … Das heißt, wenn es dir nichts ausmacht, in den Sommermonaten an vier Abenden in der Woche zu arbeiten.“

„Überhaupt nicht“, hatte Madeleine dankbar erwidert. „Ich bin froh, wenn ich Geld verdienen und Berufserfahrung sammeln kann.“

„Dann spreche ich schon mal mit Mrs. Bond aus der Verwaltung.“

Kurz darauf hatte Madeleine in der Klinik anfangen können. Ihre abendlichen Besuche bei ihrer Mutter im Pflegeheim hatte sie nun auf den Nachmittag verlegt, wenn sie zwischen zwei Patienten freihatte.

Als Eve die Unterlagen auf den Schreibtisch legte, lächelte sie Madeleine an. Ihre blauen Augen funkelten aufgeregt. „Dein letzter Patient heute ist neu. Ein gewisser Rafe Lombard …“ Im Flüsterton fuhr sie fort: „Ein toller Typ! Groß, dunkelhaarig und wahnsinnig attraktiv.“

Madeleine seufzte und verdrehte die Augen. „Der letzte Mann, von dem du mir vorgeschwärmt hast, hatte Pickel und Schuppen.“

„Spotte nur, aber diesmal wirst du zugeben, dass ich nicht übertreibe. All meine Kolleginnen sind hin und weg. Sogar Thelma, die Männerhasserin, ist ganz schwach geworden, als er sie angelächelt hat.“

„Na, dann schick diesen Adonis mal rein“, erwiderte Madeleine trocken.

Kurz darauf wurde die Tür erneut geöffnet. Der Mann, der eintrat, wirkte sehr selbstsicher und war von einer Aura der Macht umgeben. Madeleine stockte der Atem, und sie hatte plötzlich das Gefühl, dass die Welt stillstand, denn es schien ihr, als hätte sie ihr ganzes Leben auf ihn gewartet.

Während er beinah regungslos dastand und sie ansah, versuchte Madeleine sich zusammenzureißen und ruhig zu atmen. Er übte eine überwältigende Wirkung auf sie aus, und sie wusste instinktiv, dass sie sich kühl und distanziert geben musste, sonst wäre sie verloren. Vermutlich zum ersten Mal konnte sie verstehen, warum jeder ihrer Dozenten außer Colin die Schülerinnen davor gewarnt hatte, sich mit einem Patienten einzulassen.

Nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, stand Madeleine auf und ging auf den Mann zu. „Mr. Lombard, ich bin Madeleine Knight …“

Lächelnd begrüßte er sie und sah ihr dabei tief in die Augen.

„Soweit ich es aus Ihren Unterlagen ersehen kann, haben Sie wahrscheinlich ein Schleudertrauma“, begann sie. „Wann ist es passiert?“

„Vorhin.“

Seine Stimme klang tief und rau. Unwillkürlich erschauerte Madeleine.

Unverwandt blickte er sie an. „Seitdem fühle ich mich nicht so gut. Ich glaube zwar nicht, dass es etwas Ernstes ist, aber man hat mir geraten, einen Physiotherapeuten aufzusuchen.“

„Wie kam es dazu?“, erkundigte sie sich und stellte fest, dass ihre Stimme ein wenig bebte.

„Ich bin mit meinem Rennwagen auf einer privaten Rennstrecke gefahren, als die Lenkung versagt hat.“ Trocken fügte er hinzu: „Dann bin ich in die Strohballen am Rand gerast.“

Dass er sie so eindringlich beobachtete, machte sie nervöser als die bisherigen Flirtversuche einiger Patienten.

„Bitte machen Sie den Oberkörper frei, und legen Sie sich hin, damit ich Sie untersuchen kann“, bat sie ihn höflich-kühl.

Intensiver als nötig konzentrierte sie sich auf seine Akte. Unterdessen zog er sein Jackett und das Hemd aus und hängte beides über einen Stuhl, bevor er ihrer Aufforderung nachkam. Erst als er lag, sah sie wieder auf.

Er hatte breite Schultern, einen muskulösen Rücken, eine schlanke Taille und schmale Hüften. Seine Haut war gebräunt und schimmerte wie Seide.

Noch einmal atmete Madeleine tief durch und ging dann zu ihm, um ihn zu untersuchen.

Obwohl Rafe Lombard sicher genau wusste, wie er auf Frauen wirkte, versuchte er nicht, mit ihr zu flirten. Stattdessen lag er ruhig da und führte auf ihre Anweisungen hin die entsprechenden Bewegungen aus.

„Gut, Mr. Lombard …“, sagte Madeleine schließlich und wich einige Schritte zurück. Während er die Beine von der Liege schwang, fuhr sie fort: „Ihre Nacken- und Schultermuskulatur ist zwar verhärtet, aber das müsste sich in den nächsten Tagen bessern.“

„Prima.“ Er lächelte strahlend. Seine weißen Zähne bildeten einen reizvollen Kontrast zu seinem dunklen Teint.

Wie gebannt betrachtete sie die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln. Seine grünen Augen standen leicht schräg und waren überaus faszinierend. Sie hätten selbst ein Durchschnittsgesicht außergewöhnlich wirken lassen. Allerdings waren seine Züge alles andere als nichtssagend …

Madeleine riss sich zusammen, bevor sie weitersprach. „Am Wochenende sollten Sie sich ausruhen und sich dann am Montag noch einmal untersuchen lassen, um sicherzugehen.“

Rafe Lombard lächelte. „Also, wann sehe ich Sie wieder?“

Sein Blick und die direkte Frage brachten sie völlig aus der Fassung. Die Krankenhausleitung hatte bestimmte Regeln aufgestellt, an die alle Mitarbeiter sich halten mussten. So war es dem Personal verboten, sich mit Patienten einzulassen. Und sie konnte es sich nicht leisten, ihren Job zu verlieren, denn die Kosten für die Pflege ihrer Mutter waren enorm.

„Vielleicht möchten Sie am Montag- oder Dienstagmorgen wiederkommen?“

Rafe Lombard schüttelte den Kopf. „Abends würde es mir besser passen.“

Madeleine biss sich auf die Lippe und tat so, als würde sie ihre Termine überfliegen. „Dann also am Montagabend zur selben Zeit?“, schlug sie ruhig vor.

Mrs. Deering, die untersetzte und glücklich verheiratete Teilzeitkraft mittleren Alters, die an den Wochenenden und montagabends kam, würde ihm sicher helfen können, ohne dass ihr Seelenfrieden oder ihr Arbeitsplatz gefährdet wären.

„Sehr gut.“

„Also gute Nacht, Mr. Lombard.“

Au revoir, Miss Knight. Vielen Dank.“ Lässig ging Rafe Lombard zur Tür und verließ den Raum.

Plötzlich verspürte Madeleine ein unerträgliches Gefühl der Leere. So ist das Leben, seufzte sie, bevor sie sich an ihren Schreibtisch setzte. Während sie die Eintragungen in seiner Akte vornahm, sah sie sein attraktives Gesicht immer noch vor sich.

Als Eve hereinkam, um sich zu verabschieden, war Madeleine noch immer in Gedanken bei dem dunkelhaarigen Fremden. „Ich habe mich gerade gefragt, ob du noch da bist“, erklärte ihre Freundin lächelnd. „Die anderen sind schon fast alle weg.“

Da sie die Aussicht auf ein einsames Abendessen nicht gerade erfreulich fand, hatte Madeleine es nicht eilig gehabt.

„Und, wie findest du Rafe Lombard?“

„Er war genauso toll, wie du ihn beschrieben hast“, erwiderte sie betont lässig.

Eve wirkte zufrieden. „Und das ist noch lange nicht alles.“

„Das heißt?“

„Joanne, die ja immer alles weiß, hat mir erzählt, er habe von Christopher Charn, seinem Patenonkel, Charn Industries geerbt. Damit dürfte er Multimillionär und eine sehr gute Partie sein. Bis jetzt hat es allerdings noch keine Frau geschafft, ihn vor den Altar zu schleppen, was eine echte Herausforderung ist. Wenn ich könnte, würde ich die Gelegenheit ergreifen, denn es ist das Risiko wert, gefeuert zu werden.“ Seufzend fuhr Eve fort: „Na ja, ich muss auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Ich bin bestimmt nicht sein Typ. Und sicher stehen die Frauen bei ihm Schlange.“

Madeleine musste ihr recht geben. Sie seufzte ebenfalls und nahm sich vor, nicht mehr an Rafe Lombard zu denken.

„Bist du damit fertig?“ Als Madeleine nickte, nahm Eve die Akte und ging damit zur Tür. „Ich gehe jetzt. Ich bin mit Dave verabredet. Bis Dienstag. Verbring nicht das ganze Wochenende im Pflegeheim, sondern geh auch mal aus.“

„Ich versuche es.“

Bei einer Gasexplosion, bei der ihr gemietetes Haus völlig zerstört worden war, hatte ihre Mutter schwere Kopfverletzungen erlitten. Seitdem verbrachte Madeleine fast ihre gesamte Freizeit an ihrem Bett. Es war eine große Belastung für sie. Ohne zu wissen, ob überhaupt etwas zu ihrer Mutter durchdrang, redete sie mit ihr oder las ihr etwas vor.

Ihr Mann Colin war bei diesem tragischen Unglück ums Leben gekommen. Und sie, Madeleine, allein war schuld daran.

Im Lauf der Monate hatten sich bis auf Eve und Noel alle Freunde von ihr zurückgezogen. Mit ihrer fröhlichen, bodenständigen Art war Eve ihr vor allem eine seelische Stütze gewesen, während Noel ihr tatkräftig unter die Arme griff. Zuerst hatte er ihr dabei geholfen, eine neue Bleibe zu finden, dann war er mit ihr ausgegangen und hatte alles unternommen, um sie aufzuheitern. Er arbeitete für eine Mineralölfirma, und als er ins Ausland gegangen war, hatte sie ihn und seine Hilfsbereitschaft, seine lässige, oft respektlose Art und seinen schrägen Sinn für Humor schrecklich vermisst.

Seitdem hatten sich einige Männer für sie interessiert. Doch sie war auf Distanz geblieben, weil sie davon ausging, dass eine neue Beziehung unter den gegebenen Umständen zum Scheitern verurteilt war. Natürlich war es an der Zeit, nach vorn zu blicken, aber bisher hatte sie sich auch noch zu keinem Mann so stark hingezogen gefühlt, um das Risiko einzugehen.

Bis zum heutigen Tag. Und bei Rafe Lombard brauchte sie sich keine Hoffnungen zu machen.

Da es schon spät war, stand Madeleine schließlich auf. Nachdem sie das Fenster geschlossen und sich ihre Tasche über die Schulter gehängt hatte, verließ sie die Klinik durch eine Seitentür und ging zum Tor.

Wenn es regnete, fuhr sie mit dem Bus zu ihrer Wohnung in Knightsbridge, aber seit einigen Tagen war das Wetter so herrlich, dass sie gern zu Fuß ging. An diesem Abend fühlte sie sich allerdings erschöpft und leer und hatte überhaupt keine Lust.

Madeleine lief gerade die Grizedale Street entlang, als die hintere Tür einer dunkelblauen Limousine, die am Straßenrand parkte, geöffnet wurde und ein großer, dunkelhaariger Mann ausstieg. Da die Abendsonne sie blendete, dauerte es einen Moment, bis sie bemerkte, dass es Rafe Lombard war, der ihr den Weg versperrte. Überrascht blieb sie stehen und beschattete die Augen mit der Hand.

„Ich dachte, ich erwische Sie noch, wenn ich hier warte“, meinte er lässig. „Gehen Sie mit mir essen?“

Madeleine stellte fest, dass er mindestens einen Kopf größer war als sie. „Nein, danke“, entgegnete sie stockend.

„Vielleicht war es dumm von mir, Sie so zu überfallen. Aber nun, da ich zugegeben habe, dass ich ein Idiot bin, überlegen Sie es sich vielleicht doch anders?“, erkundigte er sich lachend.

„Was? Mit einem bekennenden Idioten auszugehen?“

Daraufhin lächelte er anerkennend. „Denken Sie an den Unterhaltungswert.“

Energisch schüttelte sie den Kopf. „Ich kann gut darauf verzichten.“

„Bestimmt nicht“, spottete er sanft.

„Doch.“

„Kommen Sie. Ich beiße nicht.“

Verlegen senkte Madeleine den Blick. „Tut mir leid, es geht nicht.“

Rafe Lombard legte den Kopf zur Seite. „Warum nicht?“

Er wirkte so charmant, dass sie weiche Knie bekam. „Es verstößt gegen die Vorschriften der Klinik, sich privat mit den Patienten zu treffen“, erklärte sie.

Ihre Wortwahl ließ ihn schmunzeln. „Ich verspreche Ihnen, kein Sterbenswörtchen zu verraten.“

„Ich bin nicht passend angezogen.“

Nun lächelte er jungenhaft. „Ihr Outfit ist absolut okay.“

Bevor sie weiter protestieren konnte, schob er sie kurzerhand zum Wagen und half ihr beim Einsteigen. Dann setzte er sich neben sie und schnallte erst sie und anschließend sich an. Als sein Schenkel dabei ihren berührte, wurde ihr ganz heiß. Offenbar spürte Rafe Lombard ihre Verwirrung, denn er rückte daraufhin ein Stück weg.

„Haben Sie Lust auf ein bestimmtes Restaurant?“, fragte er betont lässig.

Verwirrt schüttelte Madeleine den Kopf. Sie wusste, dass es ein Fehler gewesen war, in den Wagen zu steigen. „Nein, ich …“

Daraufhin drückte er auf einen Knopf und wies den Chauffeur an: „Fahren Sie erst mal ein bisschen durch die Gegend, Michael.“

Als der Chauffeur startete, fühlte Madeleine sich fast, als würde man sie entführen. „Wie kommen Sie dazu …?“, begann sie matt.

„Das Risiko einzugehen?“, beendete Rafe den Satz für sie. „Reine Entschlusskraft. Wenn ich sicher gewesen wäre, dass ich Sie wiedersehe, hätte ich wahrscheinlich nichts überstürzt. Aber ich habe Erkundigungen eingezogen und erfahren, dass Sie am Montagabend nicht hier sind … Und das konnte entweder bedeuten, dass ich ein weiterer Patient bin, den Sie nicht unbedingt wiedersehen wollen, oder dass Sie sich vielleicht für mich interessieren, aber sich wegen der Vorschriften lieber von mir fernhalten. Ich hatte gehofft, Letzteres wäre der Fall.“

Sie versuchte, die freudige Erregung zu unterdrücken, die sie erfasste, und biss sich auf die Lippe. Obwohl Rafe Lombard sich vorsichtig ausgedrückt hatte, schien er sich ganz sicher zu sein, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Und natürlich hatte sie ihn in der Annahme bestärkt, indem sie bereitwillig einstieg.

„Es eröffnet viele Möglichkeiten“, meinte er lächelnd. „Und ich freue mich, weil Sie ungebunden sind und sie ausschöpfen können.“

Es knisterte förmlich zwischen ihnen. Doch Madeleine rief sich die Worte ihrer Freundin über seine Wirkung auf Frauen ins Gedächtnis und versuchte, sich kühl zu geben. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gelang es ihr nicht.

„Wie kommen Sie darauf, dass ich nicht gebunden bin?“, fragte sie, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Scheinbar unbeeindruckt antwortete er: „Na ja, erstens tragen Sie keinen Ring …“

„Das hat heutzutage gar nichts zu bedeuten.“

„Stimmt. Deswegen habe ich Ihre Kollegin abgefangen.“

„Welche Kollegin?“

„Die hübsche Dunkelhaarige, die meine Daten aufgenommen hat. Ich habe zufällig gesehen, wie sie die Klinik verlassen hat, und mit ihr gesprochen. Eve, nicht? Ich glaube, sie ist eine gute Freundin von Ihnen. Ich habe einiges von ihr erfahren.“

„Und was?“, erkundigte Madeleine sich ein wenig heiser.

„Ich wollte wissen, ob Sie verheiratet sind oder einen festen Freund haben. Sie hat mir erzählt, Sie hätten Ihren Mann verloren und würden seit einiger Zeit allein leben. Eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine so schöne Frau wie Sie ungebunden ist, aber sie meinte, es gebe wohl niemanden.“ Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr: „Es wartet zu Hause also keiner auf Sie?“

„Nein“, gestand sie.

„Mit mir essen zu gehen könnte dann vielleicht netter sein, als allein am Tisch zu sitzen … Bitte sagen Sie Ja, sonst bin ich gekränkt.“

Jetzt musste sie lächeln. „Ich habe das Gefühl, dass Sie so schnell nichts aus der Fassung bringt“, erklärte sie mit einem scharfen Unterton. „Aber Sie haben recht.“

Rafe Lombard lachte. „Und, wohin gehen wir?“

Er hat einen schönen Mund, dachte sie. Bei dem Anblick seiner vollen Lippen verspürte sie ein Prickeln. „Entscheiden Sie“, brachte sie hervor.

„Ins Xanadu bitte, Michael“, wies er den Chauffeur an. Dann nahm er ihre Hand und strich mit dem Daumen über die Innenfläche. „Bestimmt sind Sie auch der Meinung, dass es der ideale Ort für einen romantischen Abend ist.“

Prompt erschauerte sie. Es ging ihr alles viel zu schnell. Deswegen entzog sie Rafe Lombard ihre Hand und wandte sich ab, um aus dem Fenster zu sehen. Sie war allerdings immer noch nervös, als der Chauffeur kurz darauf vor dem In-Lokal in Mayfair hielt.

Bei dem Xanadu handelte es sich um ein umgebautes ehemaliges Wohnhaus, das nun an eine spanische Hazienda erinnerte. Der große Garten war dezent beleuchtet und lud mit den grünen Rasenflächen und den zahlreichen alten Bäumen und blühenden Büschen zum Verweilen ein.

Als der Chauffeur, ein Mann mittleren Alters, ihnen die Tür öffnete, sagte Rafe Lombard zu ihm: „Sie brauchen nicht auf uns zu warten. Fahren Sie nach Hause zu Ihrer Frau.“

„Danke, Sir“, erwiderte Michael. „Gute Nacht, Sir, Madam …“

Nachdem Rafe Lombard Madeleine beim Aussteigen geholfen hatte, gingen sie hinein. Im Foyer nahm man ihm das Jackett ab, und der Inhaber kam auf sie zu, um sie zu begrüßen. „Guten Abend, Mr. Lombard … Madam … Wie schön, Sie zu sehen! Der übliche Tisch?“

Unwillkürlich fragte sich Madeleine, ob er ständig mit irgendwelchen Frauen hierherkam.

„Bitte, Henri.“

Dann erschien der Maitre d’ hôtel und führte sie in dem sehr stilvoll eingerichteten Restaurant mit den weiß gekalkten Wänden unter mehreren Rundbögen hindurch zu einer abgeschiedenen Ecke. Die hohen Fenster mit Blick auf den Garten standen offen und ließen die warme, nach Rosen und Geißblatt duftende Luft herein. Am blauen Himmel erschienen bereits die ersten Sterne, und auch der Mond war deutlich zu erkennen.

Es war tatsächlich der perfekte Ort für einen romantischen Abend.

„Und?“, fragte Rafe Lombard, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Es ist perfekt“, erwiderte Madeleine lächelnd.

Während sie einen Aperitif nahmen, versuchte Madeleine, sich auf die Speisekarte zu konzentrieren. Dabei musterte sie Rafe Lombard immer wieder verstohlen.

Mit den von langen Wimpern gesäumten strahlenden grünen Augen, den hohen Wangenknochen, dem sinnlichen Mund und dem markanten Kinn war er umwerfend attraktiv. Es war jedoch nicht nur sein Aussehen, das sie faszinierte, sondern etwas anderes, das sie nicht zu benennen vermochte und das etwas in ihr ansprach. Es schien ihr, als hätte sie ihn schon immer gekannt und als würden sie zusammengehören.

Während des Dinners, das vorzüglich schmeckte, plauderte Rafe über unverfängliche Themen, fand heraus, wofür sie sich interessierte, und fragte sie nach ihrer Meinung. Trotz der unterschwelligen Spannung antwortete Madeleine so gelassen, dass sie sich später selbst darüber wunderte.

Erst beim Kaffee wagte er sich weiter vor. „Erzählen Sie mir von Ihrem Mann“, bat er sie und versetzte sie damit in Alarmbereitschaft.

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„Wie hieß er?“

„Colin. Colin Formby.“

„Haben Sie Ihren Mädchennamen behalten?“

„Ja. Meine Familie hat es so gewollt“, erwiderte Madeleine leise, bevor sie einen Schluck trank.

Fragend hob Rafe eine Augenbraue. „Sind Sie Einzelkind?“

„Ja.“

Er machte eine Pause und lehnte sich zurück. „Was hat Ihr Mann beruflich gemacht?“, erkundigte er sich schließlich.

„Er war Dozent.“

„Und wo haben Sie sich kennengelernt?“

„An der Schule.“ Sie wich seinem Blick aus. „Er hat mich im letzten Ausbildungsjahr unterrichtet.“

Rafe wirkte fasziniert. „Er war also älter als sie?“

„Achtzehn Jahre.“

„Das ist ein enormer Altersunterschied.“

„Ja“, bestätigte sie kurz angebunden. Allerdings war sie immer davon überzeugt gewesen, dass es keine Rolle gespielt hätte, wenn sie Colin aufrichtig geliebt hätte.

„Wie lange waren Sie verheiratet?“, hakte Rafe nach, obwohl er ihr Unbehagen offenbar bemerkte.

„Sechs Monate.“

„Das ist nicht lange.“

„Nein.“ Nun flüsterte sie beinah.

Erneut schwieg er einen Moment. „Wie ist er gestorben?“, erkundigte er sich dann.

„Er ist bei einer Explosion ums Leben gekommen.“

„Das ist schlimm.“

Jetzt sah sie ihn an. „Ja, das war es.“

Nachdem er ihr Kaffee nachgeschenkt hatte, wechselte er das Thema. „Und was macht Madeleine Knight in ihrer Freizeit? Sind Sie ein Fernsehjunkie?“

Sofort entspannte Madeleine sich wieder. Lachend schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich lese lieber.“

„Ah, eine Frau nach meinem Geschmack! Kennen Sie Matthew Colts ‚Funny Business‘?“

„Und ob! Ein tolles Buch …“

Eine Weile unterhielten sie sich über den Roman und amüsierten sich gemeinsam über die Stellen, die ihnen am besten gefallen hatten.

„Ich habe irgendwo gelesen, dass es bald auf der Bühne aufgeführt werden soll.“

„Ja. Das ist bestimmt sehenswert. Gehen Sie gern ins Theater?“

„Sehr sogar.“

„Haben Sie schon das neue Stück im West End gesehen, von dem alle reden?“

„‚Beloved Impresario‘?“ Madeleine schüttelte den Kopf. Da sie nicht zugeben wollte, dass sie es sich nicht leisten konnte, fügte sie hinzu: „Die Karten sind sicher schwer zu bekommen.“

„Ich könnte welche besorgen, wenn Sie gern hingehen würden“, meinte Rafe lässig.

Ihr Herz begann wie wild zu pochen. Am liebsten hätte sie bejaht, doch es war schon verrückt genug gewesen, zu ihm in den Wagen zu steigen. Zweifellos wollte er nur eine Affäre.

Deshalb riss sie sich zusammen und erwiderte höflich-kühl: „Ich glaube nicht, danke.“

Forschend blickte er ihr in die Augen. „Heißt das, Sie möchten es nicht sehen? Oder wollen Sie nicht mit mir hingehen?“

Plötzlich hatte sie das Gefühl, sich auf gefährlichem Terrain zu bewegen. Und Rafe wusste es.

Madeleine hob das Kinn. „Ich habe nicht viel Freizeit. Deswegen möchte ich mich nicht verzetteln.“

Zu ihrer Erleichterung machte er eine resignierte Geste und wechselte das Thema.

Mit seinem Charme gelang es Rafe bald, sie wieder zum Lachen zu bringen, und als sie schließlich aufbrachen, erklärte Madeleine, sie hätte die ganze Nacht im Xanadu verbringen können.

Das Taxi, das er bestellt hatte, wartete bereits, und sobald sie auf dem Rücksitz Platz genommen hatten, sagte er: „Miss Collins hat mir erzählt, Sie würden in Knightsbridge wohnen. Wo genau?“

Madeleine nannte ihm die Adresse, und nachdem er die Trennscheibe geöffnet hatte, gab er diese an den Fahrer weiter.

Während der Taxifahrer sich in den Verkehr einfädelte, sah Rafe ihr tief in die Augen. Sein Blick war so forschend, dass Madeleine unwillkürlich schneller atmete und ihr Herz erneut zu rasen begann. Wie gebannt sah sie ihn an.

Dann umfasste er ihr Gesicht und neigte den Kopf, um sie zu küssen. Obwohl er ihre Lippen nur flüchtig berührte, flammte ein fast unkontrollierbares Verlangen in ihr auf.

Schließlich zog er sich zurück. „Davor hast du dich den ganzen Abend gefürchtet. Aber es war gar nicht so schlimm, oder?“ Als sie schwieg, fügte er hinzu: „Soll ich es wieder tun?“

„Lieber nicht“, antwortete sie mit bebender Stimme, sobald sie die Sprache wiedergefunden hatte.

„Okay“, meinte er, bevor er sie erneut küsste, diesmal allerdings richtig.

Sobald sie seinem Drängen nachgab und die Lippen öffnete, begann er ein erotisches Spiel mit der Zunge, das sie ganz schwindelig und benommen machte.

„Ich wohne ganz in der Nähe“, flüsterte Rafe, nachdem er sich von ihr gelöst hatte. „Kommst du noch auf einen Schlummertrunk mit rauf?“

„Es ist spät“, wehrte sie heiser ab. „Ich muss ins Bett.“

„Genau das hatte ich vor.“

Sie wagte es nicht, ihn anzublicken. Instinktiv wusste sie, dass der Sex mit Rafe Lombard überwältigend sein würde.

„One-Night-Stands waren noch nie mein Fall“, erklärte sie und stellte dabei unbehaglich fest, dass sie ziemlich spießig wirken musste.

Rafe zog eine Augenbraue hoch. „Davon war doch gar nicht die Rede. Ich glaube, mir würde es nicht einmal reichen, dich Millionen von Nächten in den Armen zu halten.“

Krampfhaft hielt sie den Blick gesenkt, um sich von Rafes Worten nicht verführen zu lassen. Zum ersten Mal überhaupt hatte sie das Bedürfnis, endlich Eves Rat zu befolgen und das Leben zu genießen. Aber die Schuldgefühle, die sie seit dem Unglück begleiteten, retteten sie, indem sie sie daran erinnerten, dass sie es sich nicht leisten konnte, sich mit diesem Mann einzulassen.

Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, sagte Madeleine deshalb: „Ich will nicht mit dir ins Bett. Bitte bring mich nach Hause.“

2. KAPITEL

Madeleine rechnete damit, dass Rafe wütend reagierte, doch zu ihrer Überraschung erwiderte er ruhig: „Na gut, wenn du willst.“

Ihre Erleichterung währte allerdings nicht lange.

„Gehst du morgen Mittag mit mir essen?“, fragte er. Bevor Madeleine antworten konnte, fuhr er fort: „Laut Wettervorhersage soll es so schön bleiben. Lass uns irgendwohin fahren. Ich kenne ein idyllisches Fleckchen, wo wir picknicken können.“

„Das geht leider nicht.“

„Du arbeitest doch nicht, oder?“

„Nein. Aber ich habe viel zu tun.“ Schnell fügte sie hinzu: „Samstagvormittags mache ich immer meine Wohnung sauber und gehe danach einkaufen.“

Sie besorgte dann immer einige Mitbringsel für ihre Mutter, bevor sie mit dem Bus zum Pflegeheim fuhr.

Rafe zog die dunklen Brauen hoch. „Das kann sicher warten, oder? Genieß lieber das tolle Wetter, und mach einen Ausflug mit mir.“

Prompt musste Madeleine an ihre Mutter und Colin denken und wurde erneut von Schuldgefühlen überwältigt. „Man kann nicht immer nur Spaß haben“, sagte sie scharf. Als daraufhin ein Schatten über sein Gesicht huschte, berührte sie seinen Arm. „Tut mir leid. Das war nicht besonders nett.“

„Stimmt.“ Rafe legte die Hand auf ihre. „Aber das brauchst du auch nicht zu sein. Offenheit ist mir lieber.“

Das überraschte sie, denn von den Männern, die sie bisher kennengelernt hatte, hatte niemand sonderlich großen Wert auf Ehrlichkeit gelegt.

„Verrätst du mir, warum du eben so reagiert hast?“, hakte Rafe nach.

Dazu war sie nicht in der Lage. Sie konnte mit niemandem darüber reden, nicht einmal mit Eve und Noel.

Sie zog ihre Hand zurück. „Es geht nicht ums Spaßhaben. Es ist nur …“

„Du erträgst meinen Anblick nicht?“

„Nein, das ist es nicht.“

„Was dann?“

„Ich … ich habe keine Zeit für Bindungen.“

„Ich möchte doch nur ein paar schöne Stunden mit dir verleben“, meinte Rafe. „Wenn du morgen Vormittag beschäftigt bist, fahren wir eben später.“

„Das geht auch nicht. Ich muss um halb drei weg.“

„Und wann bist du wieder zu Hause?“

„Gegen sechs“, erwiderte Madeleine.

„Dann geh mit mir essen.“

Bevor sie eine Ausrede ersinnen konnte, bog der Taxifahrer in den Danetree Court ein, einen von Bäumen gesäumten Platz, in dessen Mitte das Haus stand, in dem sie wohnte. Sie hatte die Erdgeschosswohnung in dem altmodisch anmutenden Gebäude gemietet.

Sobald der Fahrer angehalten hatte, suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. „Du brauchst nicht mitzukommen“, wandte sie sich an Rafe.

Dieser ignorierte jedoch ihre Worte und bat den Fahrer zu warten. Dann begleitete er sie auf die andere Straßenseite. Im Licht der Laterne schloss er auf und reichte ihr danach den Schlüssel.

„Danke.“ Nachdem Madeleine den Flur betreten hatte, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Rafe stand so dicht vor ihr, dass sie seine Körperwärme und seinen warmen Atem spürte. Sein Mund war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Allein bei der Vorstellung, dass Rafe sie wieder küsste, erschauerte sie.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. „Danke für den wunderschönen Abend.“

„Freut mich, dass es dir gefallen hat. Ich dachte, wir könnten morgen ins Annabel’s gehen …“

Madeleine zögerte. Einerseits war ihr klar, dass sie dem Ganzen sofort ein Ende bereiten musste, andererseits sehnte sie sich verzweifelt danach, ihn wiederzusehen.

„Ich hole dich um halb acht ab“, verkündete er.

„Also gut“, erwiderte sie wider besseres Wissen. Als er angesichts ihrer mangelnden Begeisterung eine Augenbraue hochzog, fügte sie hinzu: „Ich freue mich … Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Madeleine. Schlaf gut.“

Statt zu gehen, blieb Rafe allerdings stehen und betrachtete sie. Fasziniert von der knisternden Atmosphäre, verharrte sie ebenfalls regungslos, als er den Kopf neigte, um sie zu küssen.

Diesmal erschien es ihr vertraut. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. Dann drängte er ihre Lippen auseinander, um ein erotisches Spiel mit der Zunge zu beginnen, das ihren Widerstand endgültig brach. Ihr Herz pochte wie wild, während heißes Verlangen in ihr aufflammte, und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Einige Sekunden später löste Rafe sich von ihr und sagte rau: „Du bist die schönste Frau, die mir je begegnet ist. Ich kann es gar nicht erwarten, dich zu lieben …“

Madeleine wusste, dass sie ihn eigentlich hätte wegschicken müssen, war dazu jedoch nicht in der Lage.

„Willst du das auch?“, murmelte er.

Nachdem sie genickt hatte, ging er zum Taxi, um den Fahrer zu bezahlen. Als er zurückkehrte, küsste er sie wieder und schob sie dabei ins Haus. Ohne sich von ihr zu lösen, zog er ihr die Spange aus dem Haar und stieß einen zufriedenen Laut aus, als die seidigen Strähnen ihr über die Schultern fielen. Anschließend ließ er die Hände in ihren Nacken und dann immer tiefer bis zu ihrem Po gleiten.

„Noch nie habe ich eine Frau so begehrt“, sagte er leise, den Mund an ihrem.

Seine Berührungen waren alles, was sie sich erhofft oder ersehnt hatte. Nie zuvor hatte sie solche Sinnenfreuden erlebt.

Während Rafe sie weiter küsste, knöpfte er ihre Bluse auf und öffnete ihren BH. Als er eine Brust umfasste und die Spitze mit dem Daumen liebkoste, erschauerte Madeleine heftig und atmete scharf ein. Daraufhin neigte er den Kopf, um die anderen Knospe mit der Zunge zu reizen, bis sie vor Verlangen brannte.

Schließlich löste sie sich von ihm und zog ihn ins Schlafzimmer. Ihr war durchaus bewusst, dass ihr Verhalten völlig untypisch, ja verrückt war, doch sie ignorierte die Stimme der Vernunft und ging zum Fenster, um die Jalousie zu schließen.

Als sie sich dann zu Rafe umwandte, sah sie im Halbdunkel das Funkeln in seinen Augen, bevor sie die Nachttischlampe einschaltete.

Auf der Frisierkommode stand der gerahmte Schnappschuss eines blonden Mannes, der lächelte.

Rafe nahm es in die Hand. „Ist das dein Mann?“, erkundigte er sich mit einem argwöhnischen Unterton.

„Nein, das ist Noel“, erwiderte Madeleine ein wenig geistesabwesend. „Er ist gerade im Mittleren Osten. Auf den Ölfeldern.“

„Warst du mal mit ihm zusammen?“

„Nein. Er ist nur ein guter Freund.“

Vorsichtig stellte er das Foto wieder zurück und drehte sich zu ihr um.

Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er gleich zur Sache kommen würde, aber er schien es nicht eilig zu haben. „Ich möchte dich ansehen“, sagte er leise. „Zieh dich aus.“

Als würde sie unter einem Bann stehen, begann Madeleine, ihr Kostüm und ihre Bluse abzustreifen. Da sie allerdings noch nie besonders freizügig gewesen und sich nun überdeutlich seiner begehrlichen Blicke bewusst war, brannten ihr die Wangen, als sie sich schließlich auch ihres Slips entledigte.

Sobald sie nackt vor ihm stand, stieß er einen verlangenden Laut aus. Ohne sie aus den Augen zu lassen, zog er sich ebenfalls aus. Sie schluckte mühsam, und ihr Magen krampfte sich leicht zusammen.

„Komm her“, forderte Rafe sie auf. Madeleine zögerte keine Sekunde.

Er hob sie aufs Bett und legte sich neben sie. Dann stützte er sich auf einen Ellbogen und beugte sich über sie. Während er mit der anderen Hand ihre Brüste streichelte, meinte er leise: „Du bist wunderschön.“

Colin war kein besonders guter Liebhaber gewesen und hatte nur selten Lust gehabt. Er hatte am liebsten im Dunkeln mit ihr geschlafen und ihr auch nie Komplimente gemacht und sie so zärtlich liebkost. Vielmehr hatte er es vermieden, sie zu berühren, als wäre Sex etwas Unanständiges.

Offenbar war Rafe in der Hinsicht ganz anders.

Tief atmete er den Duft ihrer Haut ein, bevor er die Lippen über ihren flachen Bauch gleiten ließ. Nachdem er jeden Zentimeter geküsst hatte, widmete er sich wieder ihren Brüsten, während er eine Hand zwischen ihre Beine schob, um ihre empfindsamste Stelle zu reizen. Erschauernd gab Madeleine sich ganz den köstlichen Empfindungen hin, die er mit seinen geschickten Bewegungen weckte.

Bereits nach kurzer Zeit glaubte sie es nicht mehr aushalten zu können. Erregt wand sie sich hin und her und stöhnte dabei lustvoll. Daraufhin verharrte Rafe in der Bewegung und zog sie an sich, sodass sie mit dem Rücken zu ihm lag, bevor er erneut ihre Brüste streichelte.

Ganz vorsichtig drang er in sie ein, als wollte er abwarten, wie sie reagierte. Dann verfiel er in einen langsamen, kraftvollen Rhythmus. Als Madeleine die Spannung, die sich in ihr aufbaute, nicht länger zu ertragen glaubte, keuchte sie lustvoll. Er zögerte den Moment noch ein wenig hinaus, und schließlich erlebten sie beide gleichzeitig einen ekstatischen Höhepunkt.

Eine Weile lagen sie schwer atmend und mit klopfenden Herzen schweigend nebeneinander. Nachdem die Wellen der Lust abgeebbt waren, drehte Rafe Madeleine zu sich um, zog sie an sich und küsste sie zärtlich.

„Hoffentlich warst du nicht enttäuscht“, sagte Madeleine, als sie seine Miene sah.

„Ganz bestimmt nicht“, versicherte er.

Dann küsste er sie und schmiegte die Stirn an ihre. „Du bist etwas ganz Besonderes, und ich fühle mich sehr geschmeichelt, weil du mit mir geschlafen hast.“

Als sie sich daraufhin entspannte, seufzte er erleichtert und legte ihren Kopf an seine Schulter.

Sie war völlig erschöpft. Die Intensität dieser leidenschaftlichen Begegnung mit Rafe hatte sie ausgelaugt. Gleichzeitig war sie jedoch überglücklich, denn niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass Liebe so schön sein konnte. Ja, es war tatsächlich Liebe. Nie hätte sie geglaubt, dass derart starke Gefühle sich so schnell entwickeln konnten. Es lag weder an ihrer langen Enthaltsamkeit noch an der überwältigenden Anziehungskraft zwischen Rafe und ihr. Dies war etwas ganz anderes.

Rafe und sie harmonierten nicht nur körperlich perfekt miteinander, sondern schienen auch seelenverwandt zu sein. Kurz bevor sie einschlief, ertappte Madeleine sich bei dem Gedanken, dass sie nie wieder einem Mann begegnen würde, der so gut zu ihr passte.

Dasselbe ging Madeleine durch den Kopf, als sie irgendwann wieder aufwachte und noch immer im siebten Himmel schwebte. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie richtig verliebt. Und sie ging ein großes Risiko ein, wenn sie sich erlaubte, so für einen Mann zu empfinden, den sie gerade erst kennengelernt hatte.

Allerdings hatte sie genau gewusst, worauf sie sich einließ. Und es war unbeschreiblich schön gewesen. Nicht einmal ihre Schuldgefühle Colin gegenüber konnten es ihr verderben oder etwas an ihrer Liebe zu Rafe ändern.

Seufzend streckte Madeleine die Hand aus, um ihn zu berühren, doch er war nicht da. Unvermittelt öffnete sie die Augen und stellte fest, dass er angezogen am Bett stand, eine Tasse Tee in der Hand.

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, aber ich muss jetzt los.“

Er stellte die Tasse auf den Nachttisch und lächelte Madeleine an. Obwohl die Jalousie noch geschlossen war, konnte sie sehen, wie seine grünen Augen funkelten. Unrasiert und mit zerzaustem Haar wirkte er unwiderstehlich männlich und attraktiv.

Prompt schlug ihr Herz schneller. Sie setzte sich auf.

„Am liebsten würde ich bleiben und dich lieben, bis es dunkel wird“, fuhr er fort, woraufhin sofort wieder Verlangen in ihr aufflammte. „Aber du hast ja gesagt, du hättest zu tun …“ Tiefe Enttäuschung überkam sie. „Ich hole dich um halb acht ab.“

Dann beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie, als könnte er es nicht ertragen, sie zu verlassen. Madeleine wollte ihn gerade bitten zu bleiben, als er sich aufrichtete und zur Tür ging.

Wenige Sekunden später war er verschwunden.

Einen Moment lang fühlte sie sich einsam und verlassen, als wäre alles nur ein wundervoller Traum gewesen. Die Tasse auf dem Nachttisch bewies jedoch, dass Rafe Wirklichkeit war und außerdem an sie gedacht hatte. Dankbar nahm Madeleine sie und trank einen Schluck. Schon am Abend würde sie ihn wiedersehen.

So verging der Vormittag wie im Flug, und selbst ihr täglicher Besuch im Pflegeheim belastete diesmal nicht so wie sonst. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, wie es ihr schien, konnte sie ihre Schuldgefühle verdrängen.

Um Viertel nach sieben hatte sie geduscht, sich umgezogen und zurechtgemacht und wartete auf Rafe. Vom Fenster aus beobachtete sie fünfzehn Minuten später, wie ein silberfarbener Porsche vorfuhr und Rafe heraussprang. In dem perfekt sitzenden Abendanzug sah er umwerfend gut aus, sodass sie sich prompt fragte, ob sie schick genug war.

Nachdem sie einige Male tief durchgeatmet hatte, ließ sie ihn erst klingeln, bevor sie ihre Abendtasche nahm und zur Tür ging.

„Fertig?“, erkundigte er sich lächelnd.

Madeleine nickte. „Wie sehe ich aus?“, fragte sie leicht unsicher.

Rafe musterte Madeleine. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das ihre schlanke Figur und ihre makellose, zart gebräunte Haut perfekt zur Geltung brachte. Ihre Hochfrisur betonte ihre perfekten Züge, und die kleinen Goldkreolen unterstrichen ihre elegante Erscheinung.

„Umwerfend“, erwiderte er und neigte den Kopf, um sie zu küssen.

Es war ein schöner Abend, und der Duft von Rosen lag in der Luft, als Rafe sie zu seinem Wagen begleitete.

Nachdem er ihr beim Einsteigen geholfen hatte, setzte er sich ans Steuer und ließ den Motor an. „Hast du mich vermisst?“, fragte er lässig, nachdem er auf die Hauptstraße gebogen war und sich in den Verkehr eingefädelt hatte.

„Dazu hatte ich gar keine Zeit“, schwindelte Madeleine.

„Und, was hast du den ganzen Tag gemacht?“

„Nichts Besonderes. Heute Vormittag habe ich sauber gemacht und eingekauft.“

„Aber heute Nachmittag warst du weg, stimmt’s? War es denn nett?“

„Nicht besonders.“ Sie biss sich auf die Lippe.

Rafe bemerkte ihren beinah trotzigen Tonfall und überlegte, was Madeleine wohl vor ihm verbarg. Er beschloss allerdings, nicht weiter in sie zu dringen, sondern wechselte das Thema. „Warum bist du Physiotherapeutin geworden?“

Sofort entspannte Madeleine sich, denn sie sprach gern über ihre Arbeit. „Man könnte sagen, ich bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Er war auch Physiotherapeut und schon in meiner Kindheit eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Deshalb war er auch sehr beschäftigt.“

„Dann hast du ihn also kaum gesehen?“, hakte Rafe nach.

„Nein“, erwiderte sie, und ihre blauen Augen blickten traurig. „Wenn er nicht gerade in seiner Praxis in der Baker Street war, befand er sich auf Vortragsreise in den USA.“

„Warum ausgerechnet dort?“

„Weil er Amerikaner ist. Er ist in Boston aufgewachsen und hat dort auch seine Ausbildung gemacht.“

„Dann bist du Halbamerikanerin? Hast du noch Verwandte in den Staaten?“

„Nur eine Tante und einen Onkel, die wir ab und zu besucht haben. Sie haben sich immer sehr gefreut.“ Bei der Erinnerung daran lächelte sie.

Dann schwiegen sie, bis Rafe schließlich vor dem bekannten Nachtclub in der Berkeley Street hielt. Nachdem er Madeleine aus dem Wagen geholfen hatte, reichte er dem Doorman die Schlüssel, und sie gingen die Treppe hinunter.

„Guten Abend, Mr. Lombard. Schön, Sie zu sehen!“, begrüßte man Rafe.

Beim Eintreten wurde er von einem Paar angesprochen, das ihn offenbar kannte und mit ihm plaudern wollte, doch nach einem kurzen Wortwechsel entschuldigte er sich und führte Madeleine weg.

Sobald die beiden außer Hörweite waren, sagte er: „Jo und Tom sind sehr nett, aber ich möchte dich heute Abend ganz für mich allein haben.“

Prompt errötete sie.

Die Bar und das Restaurant waren nur spärlich besucht, und die Tanzfläche war ganz leer.

„Es wird erst später voll. Wir können also in Ruhe essen und dann tanzen.“

Allein bei der Vorstellung, in Rafes Armen zu liegen, wurde Madeleine noch heißer.

Als sie an einem Tisch saßen und die Speisekarte überflogen, fragte Rafe: „Hast du Lust auf etwas Bestimmtes?“

Madeleine schüttelte den Kopf. „Bestell du für mich.“

Nachdem sie bestellt hatten, nahm Rafe unvermittelt ihre Hand und betrachtete sie. „Hast du auch heilende Hände?“

„Leider nicht“, gestand Madeleine. „Und mir fehlt auch das leidenschaftliche Engagement meines Vaters.“

„Dann bist du also keine Karrierefrau?“ Er sah sie an.

„Eigentlich nicht. Als Ehefrau und Mutter wäre ich bestimmt genauso glücklich.“

„Das finde ich gut, auch wenn es vielleicht machohaft klingt. Die meisten Frauen, die ich bisher kennengelernt habe, wollten sich unbedingt ihre Unabhängigkeit bewahren. Kein Wunder, dass sich so viele Männer bedroht fühlen …“ Nun lächelte er gewinnend. „Versteh mich nicht falsch. Ich möchte auf keinen Fall ein hirnloses Püppchen oder eine Klette …“

„Was dann?“, meinte sie lachend.

„Eine intelligente, eigenständige Frau als gleichberechtigte Partnerin. Aber die Familie und das Zuhause müssen ihr wichtiger sein als ihr Beruf.“

Madeleine fragte sich, ob Rafe noch Single war, weil er bisher nicht die Richtige gefunden hatte. Oder war es nur ein Vorwand, damit er eine Affäre nach der anderen beginnen konnte?

Offenbar hatte Rafe ihre Gedanken gelesen, denn er fuhr fort: „Eine Frau mit diesen Eigenschaften ist nicht leicht zu finden. Deswegen habe ich es mit dem Heiraten auch nicht so eilig.“

„Du hast es also vor?“ Sofort bereute sie ihre Frage und errötete leicht.

„Und ob“, erwiderte er mit einem amüsierten Unterton.

Zu ihrer Erleichterung servierte der Ober im nächsten Moment den ersten Gang. Und während des Essens, das hervorragend schmeckte, plauderte Rafe lediglich über unverfängliche Dinge.

Erst beim Kaffee kam er wieder auf persönlichere Dinge zu sprechen. „Macht deine Arbeit in der Klinik dir Spaß?“, erkundigte er sich.

„Ja. Allerdings ist es nur eine befristete Teilzeitstelle.“

„Hast du auch Privatpatienten?“

„Einige. Aber ich hoffe, es werden mehr, bis mein Vertrag ausläuft“, antwortete Madeleine, bevor sie einen Schluck Kaffee trank.

„Behandelst du auch Kinder?“

„O ja. Momentan habe ich zum Beispiel einen kleinen Jungen, der sich beim Fußball verletzt hat. Warum fragst du?“

„Meine Schwester Diane und ihr Mann Stuart haben ein Problem. Vor ein paar Monaten ist ihre Tochter Katie, meine Nichte, vom Pferd gefallen und hat sich dabei schwer verletzt. Seit ihrem Krankenhausaufenthalt wird sie zu Hause behandelt, aber inzwischen weigert sie sich, weil sie ihre Physiotherapeutin nicht mag. Würdest du sie dir einmal ansehen?“

„Natürlich“, erwiderte Madeleine ein wenig verlegen. „Wenn du glaubst, dass ich ihr helfen kann.“

„Falls sie dich mag – und das wird sie bestimmt –, könntest du unsere Rettung sein … Möchtest du noch Kaffee?“

„Nein, danke.“

Rafe lächelte strahlend. „Wollen wir tanzen?“

Inzwischen hatte der Club sich gefüllt, und auf der Tanzfläche befanden sich bereits einige Paare.

Madeleines Augen funkelten. „Gern.“ Sie merkte selbst, wie atemlos sie klang, und als Rafe sie auf die Tanzfläche führte, fragte sie sich, warum sie sich so untypisch verhielt.

Rafe war ein sehr guter Tänzer, und Madeleine schwebte wie auf Wolken, als sie sich Song um Song weiterdrehten und einfach nur die Musik und die Nähe genossen.

„Wollen wir gehen?“, flüsterte er ihr schließlich ins Ohr, als es langsam eng wurde.

Sie nickte und erschauerte leicht bei der Vorstellung, was nun, da der Abend zu Ende war, passieren würde.

Im Wagen drehte Rafe sich zu ihr um. „Gestern habe ich bei dir geschlafen. Kommst du heute Nacht mit zum Denver Court?“

„Keine schlechte Idee“, erwiderte Madeleine atemlos.

Kurz darauf hielt er vor einem imposanten Hochhauskomplex. Nachdem er ihr aus dem Wagen geholfen hatte, eilte einer der Nachtwächter auf sie zu.

„Guten Abend, Mr. Lombard … Kann ich etwas für Sie tun?“

„Könnten Sie bitte den Porsche parken, Jim?“ Rafe reichte ihm einen gefalteten Geldschein.

Dann legte er Madeleine den Arm um die Taille und führte sie durch das elegante Foyer mit dem Marmorfußboden zum Aufzug. Im Obergeschoss betraten sie einen großzügig geschnittenen Empfangsbereich mit weißem und goldfarbenem Dekor und extravaganten Blumenarrangements.

Als Rafe sie in sein Apartment führte und das Licht einschaltete, stellte Madeleine fest, dass er eine der Penthousesuiten bewohnte. Von dem geräumigen und sehr geschmackvoll möblierten L-förmigen Wohnzimmer führten Balkontüren auf einen Dachgarten.

Fasziniert blickte sie sich um. Rafe lächelte und küsste sie auf den Hals, bevor er fragte: „Wie wär’s mit einem Schlummertrunk?“

Madeleine erschauerte leicht und schüttelte den Kopf.

Daraufhin nahm er ihre Hand und führte sie in ein Schlafzimmer mit angrenzendem Bad, das helle Wände hatte und mit einem grauen Teppich ausgelegt war. Dieser harmonierte farblich mit den Gardinen.

Rafe öffnete eine Tür zu einem ähnlichen Raum, der allerdings in Cremetönen gehalten war. „Dies ist das Gästezimmer. Es hat ein eigenes Bad, das du benutzen kannst.“

Im Bad fand Madeleine alles vor, was das Herz begehrte, sogar einen weißen Bademantel und dazu passende Hausschuhe. Unwillkürlich fragte sie sich, wie oft Rafe wohl Frauen mit hierhernahm.

Schnell verdrängte sie diesen Gedanken wieder. Für Rafe mochte es eine von vielen Affären sein, für sie hingegen war es etwas ganz Besonderes, egal, wie lange es dauerte.

Nachdem sie geduscht und sich die Zähne geputzt hatte, bürstete sie sich das Haar und zog den Bademantel über. Schließlich kehrte sie in Rafes Schlafzimmer zurück. Er kam gerade aus dem Bad und war nackt. Mit einem Handtuch, das er sich um den Hals gelegt hatte, rubbelte er sich das Haar trocken.

Als sie auf der Schwelle stehen blieb, warf er das Handtuch weg und streckte ihr die Hände entgegen. „Komm her.“

Sie gehorchte und wurde mit einem leidenschaftlichen Kuss belohnt.

Rafe hatte sich rasiert, und der Duft seines würzigen Aftershaves stieg ihr in die Nase. Mit geschlossenen Augen strich sie ihm über die Wange.

„Ich will dich überall küssen, und mit Bartstoppeln tut es bestimmt weh“, sagte er leise.

Dann öffnete er den Gürtel ihres Bademantels und begann sie zu liebkosen. Es war seltsam erotisch, und als er dann schließlich ihre Brüste umfasste und die Knospen reizte, atmete Madeleine scharf ein. Nach einer Weile war sie so erregt, dass sie ihm die Hüften entgegendrängte.

„Wir haben die ganze Nacht Zeit“, erklärte er, und sie fragte sich, wie er so geduldig sein konnte. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fügte er hinzu: „Mich erregt schon deine Reaktion auf meine Berührungen.“

Er neigte den Kopf, um eine Knospe mit den Lippen zu umschließen. „Das gefällt dir, oder?“

Heftig erschauerte sie. „Ja, aber ich glaube nicht, dass ich es noch lange aushalte …“

„O doch, das kannst du.“

Als er sie wenige Minuten später aufs Bett hob und sich neben sie legte, war sie fast besinnungslos vor Verlangen.

Aufreizend langsam ließ Rafe eine Hand über ihren flachen Bauch zwischen ihre Schenkel gleiten, um ihre intimste Stelle zu liebkosen. Sofort erreichte Madeleine einen intensiven Höhepunkt und erschauerte ein ums andere Mal. Hilflos und immer noch am ganzen Körper bebend, lag sie da, bis die exquisiten Empfindungen abebbten.

Sie war ein wenig enttäuscht, denn eigentlich hatte sie mit Rafe schlafen und dieses Erlebnis mit ihm teilen wollen.

Als sie benommen die Augen öffnete, betrachtete er sie lächelnd. „Schon gut“, meinte er, bevor er sie erneut zu verwöhnen begann und sofort wieder heiße Begierde in ihr entfachte.

Anschließend liebte er sie ganz langsam, als wollte er ihr die größtmögliche Lust verschaffen, bis die unerträgliche Spannung sich entlud und sie gemeinsam den Gipfel der Ekstase erklommen.

Erst viel später kehrte Madeleine in die Wirklichkeit zurück. Rafe hielt ihre Hand, und sein Kopf lag auf ihrer Brust. Noch nie hatte sie so empfunden. Voller Liebe und Dankbarkeit lag sie regungslos da und genoss die intime Nähe, bis er sich von ihr hinunterrollte und sie an sich zog.

3. KAPITEL

Sie liebten sich die ganze Nacht, sodass Madeleine am nächsten Morgen erst um zehn aufwachte. Als sie merkte, dass sie allein in dem großen Bett lag, wurde die Tür geöffnet, und Rafe kam mit einem Tablett herein.

Sein dunkles Haar war noch feucht vom Duschen, und er trug einen kurzen marinefarbenen Bademantel. „Guten Morgen.“ Er lächelte lässig, während sie sich aufsetzte. „Ich dachte, wir sind so dekadent und frühstücken im Bett.“

Nachdem er das Tablett auf den Nachttisch gestellt hatte, beugte er sich zu ihr herunter, um sie zu küssen. „Wie kannst du nach dieser Nacht nur so ausgeruht aussehen?“

„Ich bin glücklich“, erwiderte sie nur. Nie hätte sie angenommen, dass sie diese Worte noch einmal sagen würde.

„Das steht dir“, meinte er lächelnd.

Dann setzte er sich zu ihr aufs Bett und reichte ihr einen Teller mit Toast und Rührei und eine Tasse Kaffee. „Erzähl mir mehr über dich“, forderte er sie auf.

Sofort fühlte sie sich unbehaglich. „Da gibt es nicht viel zu berichten.“

Rafe bemerkte Madeleines Beklommenheit sofort und beschloss einmal mehr, nichts zu überstürzen. „Leben deine Eltern noch in London?“

„Sie haben sich scheiden lassen, als ich zwölf war.“

„Wahrscheinlich ist die Ehe gescheitert, weil dein Vater so ein Workaholic war.“

„Ja. Meine Mutter hat ihn zwar über alles geliebt, aber irgendwann hatte sie es satt, dass er nie für uns da war.“ Madeleine wandte sich ab.

„Haben sie sich in aller Freundschaft getrennt?“

„Schon, ja.“

„Vermisst du deinen Vater nicht?“

„Doch. Und ich glaube, meine Mutter hat die Trennung nie richtig verwunden.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber sie lächelte, als sie sich zu Rafe umdrehte.

„Hat sie nicht wieder geheiratet?“

„Nein. Sie liebt ihn wohl immer noch. Jedenfalls hat es nie einen anderen Mann gegeben.“

„Hast du noch Kontakt zu deinem Vater?“

Madeleine schüttelte den Kopf. „Irgendwann hat er wieder geheiratet und ist nach Los Angeles gezogen. Ich habe schon seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Aber jetzt erzähl mir etwas von dir“, bat sie ihn.

„Ich habe meinen Vater verloren, als ich zwölf war. Ein Jahr nach seinem Tod hat meine Mutter wieder geheiratet, einen ehemaligen Offizier.“

„Habt ihr euch gut verstanden?“

„Diane, die sieben Jahre älter ist als ich, hat zu der Zeit schon studiert, sodass wir nur zu dritt waren. Mein Stiefvater und ich sind überhaupt nicht miteinander klargekommen. Ich habe ihn abgelehnt und es ihm auch deutlich gezeigt. Jetzt ist mir natürlich bewusst, dass ich meiner Mutter das Leben damit sehr schwer gemacht habe. Mein Stiefvater hat großen Wert auf Disziplin gelegt, und nachdem er mich ein paarmal geschlagen hatte, habe ich ihn richtig zu hassen begonnen.“ Rafe machte eine kurze Pause. „Es wurde immer schlimmer, und irgendwann fing er an, mich zu verprügeln. Einmal ist meine Mutter dazwischengegangen. Da hat er sie so brutal weggestoßen, dass sie gestürzt ist. Und ich habe rotgesehen und bin auf ihn losgegangen. Damals war ich nicht einmal vierzehn.“

Mitfühlend betrachtete Madeleine ihn. „Und was ist dann passiert?“

„Ich habe ihm eine Platzwunde an der Lippe beigebracht, bevor ich auf der Unfallstation gelandet bin.“ Als sie zusammenzuckte, fügte er hinzu: „Wahrscheinlich hat es ihm sogar leidgetan. Aber es war offensichtlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Deswegen bin zu meiner Patentante und meinem Patenonkel gekommen.“

Spontan berührte sie seinen Arm. „War es schlimm für dich?“

„Eine Zeit lang war ich richtig verbittert“, gestand Rafe. „Obwohl die beiden mich mit offenen Armen aufgenommen haben.“

„Hatten sie auch Kinder?“

„Eine Tochter, Fiona. Aber sie waren überglücklich, weil sie sich immer einen Sohn gewünscht hatten.“

„War Fiona denn überhaupt nicht eifersüchtig?“

Seine Züge wurden weicher. „Nein. Eine Weile hat sie mich sogar wie einen Helden verehrt. Sie war fast drei Jahre jünger als ich, und ich habe sie immer als meine kleine Schwester bezeichnet. Ich war sehr glücklich dort, bis ich nach Oxford gegangen bin. Mein Patenonkel ist vor anderthalb Jahren gestorben, und für mich war es, als hätte ich noch einen Vater verloren … Aber jetzt lass uns über etwas anderes reden. Hast du Lust …?“

„Ich kann nicht“, fiel Madeleine ihm ins Wort. Sonntags aß sie immer im Pflegeheim zu Mittag und verbrachte anschließend den Nachmittag und den Abend dort. „Ich meine, ich habe schon etwas vor.“

„Und wann musst du los?“

„In ungefähr einer Stunde.“

„Dann bringe ich dich nach Hause, sobald du geduscht und dich angezogen hast.“

Obwohl seine Stimme ruhig klang, merkte Madeleine, dass Rafe verärgert war. Trotzdem brachte sie es nicht über sich, ihm von ihrer Mutter zu erzählen, weil er ihr sicher viele unbequeme Fragen stellen würde.

Auf der Fahrt wirkte er sehr distanziert. Am liebsten hätte sie das Schweigen gebrochen, doch sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Als er schließlich vor ihrer Wohnung vorfuhr und ihr aus dem Wagen half, verspürte sie plötzlich Panik. War dies womöglich das Ende?

Doch nachdem er die Tür für sie aufgeschlossen und ihr den Schlüssel gegeben hatte, fragte er sie: „Hast du morgen Abend Zeit?“

„Ja“, erwiderte sie erleichtert.

„Dann fahren wir zu Katie und ihren Eltern, wenn du nichts dagegen hast. Ich habe ihnen doch schon von dir erzählt.“

„Ich habe eine Bitte …“, begann Madeleine ein wenig verlegen.

„Du möchtest Privates und Berufliches voneinander trennen?“

„Ja.“

„Das ist mir recht. Ich habe ihnen nur gesagt, dass ich bei dir in Behandlung bin, und wir können es gern dabei belassen. Ich hole dich um halb sieben ab, und danach können wir essen gehen.“

Rafes Schwester und Schwager waren Madeleine auf Anhieb sympathisch. Bei einem Drink auf der sonnigen Terrasse des Hauses in Surrey erfuhr sie, dass Diane, die genau wie Rafe dunkles Haar und grüne Augen hatte, Anwältin war und Stuart, ein netter, unkomplizierter Typ, Architekt.

Die beiden waren überglücklich, als ihre Tochter Katie Madeleine sofort ins Herz schloss und sich bereit erklärte, sich weiterbehandeln zu lassen. Und die Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Madeleine mochte das stille, sensible Kind mit dem langen dunklen Haar, den großen braunen Augen und dem schüchternen Lächeln sehr.

In den nächsten Wochen verbesserte sich Katies Zustand durch die regelmäßigen Behandlungen enorm, und zwischen ihr und Madeleine entstand eine enge Bindung.

Rafe freute sich für seine Familie, hielt sich jedoch zurück und respektierte Madeleines Wunsch, nichts über ihre Beziehung zu verraten, die sich ebenfalls weiterentwickelte. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, gingen oft aus oder redeten miteinander und genossen es einfach, zusammen zu sein.

Da das schöne Wetter anhielt, grillten sie einige Male auf seiner Dachterrasse. Anschließend liebten sie sich dort in der Sonne, von allen Seiten gegen neugierige Blicke geschützt.

Madeleine schwebte im siebten Himmel. Rafe war nicht nur ein umwerfend attraktiver Mann und ein toller Liebhaber, sondern ausgeglichen und großzügig, ein intelligenter, amüsanter und überaus aufmerksamer Begleiter. Immer wieder dankte sie dem Schicksal, weil es sie zusammengeführt hatte.

Lediglich ihre Besuche im Pflegeheim überschatteten ihr Glück. Obwohl Rafe nichts sagte, merkte sie ihm an, dass ihre häufige Abwesenheit ihn beschäftigte. Wahrscheinlich fragte er sich sogar, mit wem sie sich traf, und war eifersüchtig.

Immer wenn sie im Begriff war, ihm alles zu erzählen, wurde sie von ihren Schuldgefühlen übermannt und überlegte es sich im letzten Moment doch anders. Eines Tages würde sie allerdings den Mut aufbringen, ihm die Wahrheit zu sagen.

Die meisten Sonntage verbrachte sie nach wie vor bei ihrer Mutter, aber den Besuch am Samstag hatte sie auf den Vormittag verlegt, sodass sie den restlichen Tag freihatte.

Für diesen Samstagnachmittag hatten sie etwas ganz Besonderes geplant. Zu ihren Lieblingskünstlern gehörte Jonathan Cass, und Rafe war zu einer privaten eintägigen Vernissage seiner neuesten Werke eingeladen.

Er wollte sie um halb eins abholen und dann mit ihr essen gehen, bevor sie die Galerie am Piccadilly Circus besuchten. Um rechtzeitig fertig zu sein, verabschiedete Madeleine sich diesmal früher von ihrer Mutter.

Kaum hatte sie ihre Wohnung betreten, klingelte das Telefon.

„Mir ist eine dringende geschäftliche Angelegenheit dazwischengekommen“, teilte Rafe ihr ungewohnt angespannt mit. „Macht es dir etwas aus, wenn ich dich erst am frühen Nachmittag abhole?“

„Natürlich nicht.“

„Dann komme ich gegen zwei.“ Er klang erleichtert.

Am Vormittag war der Himmel grau und verhangen gewesen, und um zwei goss es in Strömen.

Rafe war noch nie unpünktlich gewesen, doch diesmal ließ er sie warten. Als er um Viertel vor drei immer noch nicht erschienen war, wurde Madeleine allmählich nervös. Durch das regennasse Fenster blickte sie hinaus auf die Straße. Dabei sah sie sein Gesicht wie eine Vision in der Scheibe. Prompt beschlich sie eine dunkle Vorahnung.

Hoffentlich war ihm nichts passiert! Panik erfasste sie und ließ ihr Herz schneller schlagen.

Sei nicht albern, schalt Madeleine sich dann. Wahrscheinlich war Rafe nur aufgehalten worden. Aber warum hatte er dann nicht angerufen?

Als er sich bis halb vier immer noch nicht gemeldet hatte, versuchte sie, ihn über sein Handy zu erreichen, doch es war ausgeschaltet. Verzweifelt wählte sie die Nummer seiner Wohnung im Denver Court, wo sich nur der Anrufbeantworter einschaltete.

Um fünf war sie ein einziges Nervenbündel und befürchtete das Schlimmste. Aufgewühlt überlegte sie gerade, mit wem sie sich in Verbindung setzen konnte, als sie seinen Wagen draußen vorfahren sah. Vor Erleichterung wurde ihr ganz schwindelig.

Da Rafe inzwischen einen eigenen Schlüssel hatte, wartete sie mit weichen Knien, bis er hereinkam. Am liebsten wäre sie auf ihn zugelaufen, konnte sich allerdings weder bewegen noch etwas sagen.

„Tut mir leid, dass ich es nicht früher geschafft habe.“ Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn auf.

Als er sich umwandte, stellte Madeleine fest, dass sein Gesicht ganz zerkratzt war.

„Was hast du denn gemacht?“

„Ach, das sind nur ein paar Schrammen“, meinte er wegwerfend.

Sie atmete tief durch. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

„Ich wurde aufgehalten.“

Dass er sich nicht weiter dazu äußerte, traf sie an einem wunden Punkt. Ärgerlich presste sie die Lippen zusammen, was ihm offenbar nicht entging.

„Wir können heute Abend zu der Ausstellung gehen“, schlug er vor.

„Darum geht es nicht“, sagte sie steif. „Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht. Du hättest mich wenigstens anrufen können.“

„Mein Handy ist kaputt.“

Das entschuldigte sein Verhalten auch nicht.

„Verzeihst du mir?“ Als Rafe ihre Miene sah, lächelte er. „Anscheinend nicht.“ Ohne den Blick von ihren Lippen abzuwenden, neigte er den Kopf, um sie zu küssen.

Daraufhin wich Madeleine einen Schritt zurück.

Er seufzte. „Und ich habe den ganzen Tag darauf gewartet, dich zu berühren und mit dir zu schlafen. Dann muss ich wohl zu anderen Mitteln greifen.“

Im nächsten Moment umfasste er das Revers ihrer Kostümjacke und zog sie an sich. Erst als seine Lippen ihre berührten, wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich nach seinem Kuss sehnte. Da sie es ihm allerdings auf keinen Fall zeigen wollte, verspannte sie sich demonstrativ in seinen Armen. Seine Nähe und seine Körperwärme machten es ihr sehr schwer, ihm zu widerstehen.

Beinah drängend ließ Rafe die Hand ihren Rücken hinauf- und hinuntergleiten, während er offenbar auf ein Zeichen von ihr wartete.

„Und?“, fragte er nach einer Weile.

„Noch nicht“, erwiderte Madeleine, deren Zorn nun verraucht war. „Versuch es weiter.“

Er lächelte, bevor er sie erneut an sich zog und küsste.

Jetzt konnte sie ihm nicht mehr widerstehen. Langsam streckte sie die Hand aus und strich vorsichtig über die Schrammen. Sie hörte, wie er scharf einatmete. Dann legte er die Hand auf ihre und führte sie an die Lippen, um die Innenfläche zu küssen.

Ihre Gefühle für ihn überwältigten sie, und Madeleine fragte sich, wie sie vorher nur ohne ihn hatte leben können.

Als sie ihm ihre Hand entzog, runzelte er die Stirn. Sobald sie jedoch sein Hemd aufzuknöpfen begann, funkelten seine Augen. Kurzerhand hob er sie hoch, um sie ins Schlafzimmer zu tragen. Nachdem er sie in Windeseile ausgezogen hatte, entledigte er sich auch seiner Sachen.

Meistens nahm Rafe sich alle Zeit der Welt, um sie ausgiebig zu verwöhnen und langsam zum Höhepunkt zu bringen. Diesmal verzichtete er jedoch auf das Vorspiel, und sie bebte am ganzen Körper, als er in sie eindrang. Sie hörte, wie er heftiger atmete, und spürte seinen schnellen Herzschlag. Dann verfiel er in einen mitreißenden Rhythmus, und kurz darauf erklommen sie beide den Gipfel der Lust.

Madeleine hatte jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren. Es dauerte eine Weile, bis sich ihr Herzschlag beruhigte und sie wieder normal atmen konnte.

Schließlich löste Rafe sich von ihr und beugte sich über sie, um ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht zu pusten.

„Alles okay?“ Seine Miene verriet große Zärtlichkeit und Besorgnis.

„Ja, natürlich. Warum nicht?“

„Na ja, ich war nicht gerade sanft.“

Irgendetwas hatte ihn offenbar aus dem Gleichgewicht gebracht. War es jene kleine Unstimmigkeit gewesen?

„Du musst mich nicht wie eine Porzellanpuppe behandeln“, erwiderte Madeleine etwas schärfer als beabsichtigt. „Ich bin nicht zerbrechlich.“

Nun lachte Rafe. „Willst du mir damit sagen, dass es dir so besser gefällt? Na dann …“

„Nein, das will ich nicht. Ich mag …“ Errötend verstummte sie und versuchte, sich wegzudrehen, doch er hinderte sie daran, indem er die Hände links und rechts von ihr aufstützte.

„Sprich weiter. Was gefällt dir? Ich tue, was du willst.“

Er ist in einer seltsamen Stimmung, ging es ihr durch den Kopf. „Du versuchst, mich in Verlegenheit zu bringen.“

„Und es ist mir auch gelungen, wie man sieht“, verkündete Rafe harsch. „Du bist ganz rot geworden.“

Daraufhin versuchte Madeleine, sich aufzurichten, aber er drückte sie aufs Bett zurück.

„Nicht so schüchtern. Sag es mir.“

„Rafe, bitte …“

Nun seufzte er. „Na gut, wenn du es mir nicht erzählen willst, muss ich es eben ausprobieren …“

„Nicht jetzt.“

„Doch.“

„Du vergeudest nur deine Zeit“, erklärte Madeleine, fest davon überzeugt, dass ihr Verlangen gestillt war.

„Ich glaube nicht.“

Sofort begann sie zu erzittern, als Rafe innerhalb kürzester Zeit erneut heiße Begierde in ihr entfachte. Seine Berührungen und seine forschenden Lippen berauschten sie und entführten sie in eine andere Welt.

Als sie schließlich völlig erschöpft dalag, zog er sie an sich und küsste sie. „Und nun schlaf.“

Kurze Zeit später wachte Madeleine wieder auf. Rafe war bereits aufgestanden und hatte sich angezogen.

„Wenn wir im Xanadu schnell etwas essen, können wir anschließend immer noch in die Galerie gehen.“

„Wir müssen nicht hin.“

„Du möchtest es aber gern.“ Er beugte sich über sie, um sie zu küssen. „Und du sollst nichts verpassen, was dir Spaß macht.“

Madeleine geriet ins Träumen und ertappte sich immer öfter dabei, dass sie sich auf den Tag freute, an dem Rafe ihr seine Liebe gestand und sie bat, seine Frau zu werden.

An einem wunderschönen Abend Ende September kam eine Frau in die Klinik, die Madeleine in einer dringenden Angelegenheit sprechen wollte.

Madeleine nahm an, dass es sich um etwas Geschäftliches handelte. Als eine große, attraktive Brünette ihren Behandlungsraum betrat, streckte sie ihr lächelnd die Hand entgegen. „Hallo. Ich bin Madeleine Knight.“

Die Fremde, die sehr schick angezogen und superschlank war, funkelte sie feindselig an. „Und ich bin Fiona Charn, Rafes Verlobte …“ Unaufgefordert nahm sie auf dem Besucherstuhl Platz und schlug die Beine übereinander. „Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich war gerade mal wieder weg und habe erfahren, dass er offenbar ein Verhältnis mit Ihnen hat.“ Sie beobachtete, wie Madeleine errötete, und fügte hinzu: „Aber ich trage seinen Ring.“ Demonstrativ streckte sie die Hand aus, an der ein großer Smaragd funkelte.

Irgendwie schaffte Madeleine es, sich zusammenzureißen. „Ich hatte keine Ahnung, dass er verlobt ist“, brachte sie hervor.

„Ihnen mache ich ja auch keinen Vorwurf daraus. Rafe war schon immer sehr heißblütig, und wären Sie es nicht gewesen, dann eine andere. Die Frauen liegen ihm zu Füßen. Deswegen kann ich es ihm in gewisser Weise nicht verdenken, dass er die Situation ausnutzt. Aber jetzt ist Schluss. Rafe gehört mir.“

„Wenn er so ist, überrascht es mich, dass Sie ihn noch haben wollen“, erwiderte Madeleine angespannt.

„Oh, das tue ich. Falls Sie also andeuten wollen, dass ich ihn freigebe, vergessen Sie es. Erstens möchte er es nicht, und zweitens haben wir eine Vereinbarung getroffen …“

„Wie bitte?“

„Als meine Eltern erfahren haben, dass ich ihr einziges Kind bleiben würde, war Dad sehr enttäuscht. Er war der Meinung, dass keine Frau ein großes Unternehmen erfolgreich leiten kann. Dann ist Rafe zu uns gekommen, und für ihn ist ein Traum wahr geworden. Rafe war für Dad der Sohn, den er sich immer gewünscht hatte. Dad war ein wohlhabender Mann, aber der größte Teil seines Vermögens steckte in der Firma. Deswegen hat er sich Sorgen um meine Zukunft gemacht.“ Fiona machte eine Pause und warf ihr seidiges Haar zurück.

„Nach seinem ersten Herzinfarkt hat er mit Rafe gesprochen und mit ihm vereinbart, ihm Charn Industries zu hinterlassen, wenn er mich heiratet und für mich sorgt …“

Nun erinnerte Madeleine sich daran, dass Eve ihr erzählt hatte, Rafe habe Charn Industries von seinem Patenonkel geerbt.

„Da wir zu dem Zeitpunkt schon eine Weile miteinander geschlafen hatten, war Rafe damit einverstanden. Wir hätten schon längst geheiratet, wenn bei mir nicht eine seltene Blutkrankheit diagnostiziert worden wäre. Ich musste mich immer wieder für einige Wochen in einer Privatklinik behandeln lassen, was bedeutete, dass Rafe allein war. Und wie ich bereits sagte, braucht er eine Frau.“ Ihre Stimme bebte ein wenig, als Fiona fortfuhr: „Dann habe ich festgestellt, dass ich schwanger bin, sodass die letzte Behandlung noch länger gedauert hat. Schließlich habe ich das Baby verloren …“

Entsetzt angesichts der Vorstellung, dass sie mit Rafe geschlafen hatte, während seine Verlobte durch die Hölle ging, stand Madeleine nur regungslos da und betrachtete Fiona starr.

„Aber jetzt ist alles überstanden, und wir werden bald heiraten. Deswegen schlage ich vor, dass Sie sich einen anderen Mann suchen, vorzugsweise einen, der ungebunden ist.“ Dann stand Fiona auf und verließ den Raum.

Völlig am Boden zerstört blickte Madeleine ihr nach.

Madeleine stand immer noch wie erstarrt da, als Eve mit der Akte des nächsten Patienten hereinkam. „Du meine Güte!“, rief sie. „Du bist ganz blass. Was ist los?“

Es dauerte einen Moment, bis Madeleine sich gefangen hatte. „Fiona Charn, die Frau, die gerade bei mir war, ist Rafes Verlobte“, stammelte sie.

„Was?“

„Sie ist Rafes Verlobte“, wiederholte Madeleine.

Als sie schwankte, führte Eve sie schnell zu einem Stuhl und half ihr darauf.

„Bist du sicher? Hast du sie vielleicht falsch verstanden?“

„Sie hat einen Ring von ihm getragen.“

„Nein, das kann nicht sein! Er liebt dich … Ich war mir ganz sicher“, erklärte Eve wütend. „Aber wenn er wirklich so ein Kerl ist, bist du ohne ihn womöglich besser dran …“ Spontan umarmte sie sie. „Warum fährst du nicht nach Hause? Ich sage Mrs. Bond, dass du krank bist, und bitte sie, eine Vertretung für dich zu suchen.“

„Nein … Es geht schon. Ich arbeite lieber weiter. Ich brauche nur ein paar Minuten.“

Als Madeleine an diesem Tag Feierabend machte, bestand Eve darauf, sie nach Hause zu begleiten. „Noel ist bestimmt unterwegs, und ich möchte dich nicht allein lassen“, sagte sie ernst.

Noel, der gerade aus dem Mittleren Osten zurückgekehrt war und vorübergehend auf Madeleines Schlafcouch übernachtete, war jedoch da.

Als er die Neuigkeiten erfuhr, reagierte er mitfühlend und noch aufgebrachter als seine Schwester. „Am liebsten würde ich diesem Mistkerl den Hals umdrehen“, war noch eine seiner gemäßigten Bemerkungen.

Allerdings wies Madeleine ihn traurig darauf hin, dass Rafe ihr nie irgendwelche Versprechungen gemacht hatte. Er hatte nie gesagt, er würde sie lieben, oder erwartet, dass sie so für ihn empfand. Sie hatte ihm ihre Liebe freiwillig geschenkt und angenommen, er sei frei und sie würde ihm etwas bedeuten.

Aber vielleicht verdiente sie es in Anbetracht dessen, was Colin und ihrer Mutter zugestoßen war, nicht, glücklich zu sein. Vielleicht war es ausgleichende Gerechtigkeit, dass Rafe sie genauso wenig liebte, wie sie ihren Mann geliebt hatte.

„Versuch nicht, sein Verhalten zu rechtfertigen“, riss Noel sie im nächsten Moment aus ihren Gedanken. „Er benutzt dich nur … Du besuchst ihn also nicht in Paris?“

„Nein!“, erwiderte Madeleine energisch.

Rafe war gerade geschäftlich in Paris und hatte einen Flug für sie gebucht, damit sie dort gemeinsam ein verlängertes Wochenende verbringen konnten. Sie hatte sich sehr darauf gefreut, einige Tage in der Stadt der Liebenden mit ihm zu verbringen …

„Stell ihn zur Rede, wenn er zurückkommt, und sag ihm, wie du über ihn denkst“, fuhr Noel fort.

„Das kann ich nicht“, flüsterte sie.

Auf keinen Fall wollte sie sich erniedrigen, indem sie Rafe zeigte, wie verzweifelt sie war. Zumindest ihre Selbstachtung wollte sie sich bewahren.

Eve verstand sie offenbar, denn sie pflichtete ihr bei. „Es ist wohl das Beste, wenn du ihn in dem Glauben lässt, dass er dir nichts bedeutet. Dann betrachtet er dich wenigstens nicht als weitere Trophäe …“

„Und wie willst du die Reise absagen, ohne dass er die Wahrheit errät?“, fragte Noel.

„Ich weiß es nicht“, meinte Madeleine hilflos.

Nachdem sie eine Weile darüber gesprochen hatten, rief Eve plötzlich: „Ich hab’s! Schick dem Mistkerl eine E-Mail, in der du ihm mitteilst, du würdest mit ihm Schluss machen, weil du einen anderen kennengelernt hast.“

„Das wird er mir wohl kaum abnehmen“, sagte Madeleine. „Wie soll ich mich in zwei Tagen in einen anderen Mann verliebt haben?“

„Dann nimm jemanden, den du schon kennst“, schlug Eve vor.

Madeleine zuckte die Schultern. „Mir fällt aber niemand Passendes ein …“

„Wie wär’s mit mir?“, erkundigte sich Noel. Als sie ihn verblüfft ansah, fuhr er fort: „Nun sieh mich nicht so an. Bin ich nicht attraktiv genug, um als dein neuer Lover durchzugehen?“

„Doch, natürlich. Aber …“

„Dann musst du diesem Typen nur begreiflich machen, dass ich der Mann bin, der dir wirklich etwas bedeutet. Schreib ihm, nun, da ich wieder zurück bin, bräuchtest du ihn nicht mehr.“

„Das könnte klappen“, räumte sie ein. „Er hat mal dein Foto gesehen und wollte wissen, wer du bist. Dann hat er mich gefragt, ob ich mal mit dir zusammen gewesen sei. Ich habe geantwortet, du seist nur ein guter Freund.“

„Das passt ja. Schließlich hättest du deinem Lover kaum gestanden, dass ich mehr bin als nur das, oder? Also gut …“ Noel holte seinen Laptop und schaltete ihn ein. „Lass es so klingen, dass er tief getroffen ist. Dann wirst du ihn garantiert nie wieder zu Gesicht bekommen.“

Nachdem Eve und Noel ihr einige Vorschläge gemacht hatten, schrieb Madeleine:

Noel ist früher als erwartet aus dem Mittleren Osten zurückgekommen. Deswegen kann ich Dich leider doch nicht in Paris besuchen.

Entschuldige, es ist ein bisschen kurzfristig, aber Du findest bestimmt schnell Ersatz für mich.

Danke für die schöne Zeit.

Madeleine

„Das müsste klappen“, bemerkte Noel beifällig.

Eve stimmte ihm zu, und so schickte Madeleine die Nachricht ab.

Allerdings wurde ihr erst nach dem Abendessen, als Eve gegangen war und Noel bereits auf der Schlafcouch lag, richtig bewusst, was sie getan hatte. Traurig legte sie sich ins Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf, bevor sie erschöpft einschlief.

Autor

Heidi Rice
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