Julia Exklusiv Band 315

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  • Erscheinungstag 13.09.2019
  • Bandnummer 315
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713270
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lindsay Armstrong, Jayne Bauling, Jacqueline Baird

JULIA EXKLUSIV BAND 315

PROLOG

Eines Tages teilte Rhianna Fairfax sich mit einem umwerfenden Mann ein Taxi. Zu dieser Zeit war sie gerade einundzwanzig Jahre alt.

Es geschah während eines für Sydney so typischen Unwetters. Und jene Fahrt sollte Rhianna nie mehr vergessen …

Mitten in der Stadt hatten die beiden sich im strömenden Regen auf einem Gehweg gegenübergestanden. Der Mann hielt einen Schirm in der Hand, während sie in einen dünnen hellgelben Plastikregenmantel gehüllt war. Eigentlich war der Fremde zuerst da gewesen. Als das Taxi, das er herbeigewinkt hatte, aber am Bordstein hielt, kam Rhianna fast gleichzeitig angerannt. Kurz entschlossen wischte sie sich die Tropfen aus dem Gesicht und fragte den Mann über das Tosen des Regens hinweg, ob sie es sich teilen könnten. Eindrucksvoll schilderte sie ihm, wie sie andernfalls fortgeschwemmt werden würde, und erklärte ihm, dass sie es sehr eilig hatte und spät dran war. Und es gelang ihr tatsächlich, ihn zu überzeugen. Der Unbekannte war einverstanden und klappte seinen Schirm zusammen, damit sie einsteigen konnten. Nass, wie sie waren, kletterten sie auf die Rückbank – missmutig beäugt vom Taxifahrer, der Angst um seine Sitze hatte.

„Puh!“ Rhianna schob die Regenhaube zurück, sodass ihre dunkelblaue Baskenmütze zum Vorschein kam, unter der sie ihr langes Haar verborgen hatte. Für gewöhnlich trug sie die Mütze nicht so tief ins Gesicht gezogen, doch ihr war kalt, und außerdem hatte sie nur so die Kapuze ihres Regenmantels überziehen können. „Was für ein Tag!“

Prüfend musterte ihr Begleiter sie. „Sie sind für das Wetter wenigstens richtig angezogen.“

Rhianna zupfte sich die Mütze zurecht und verzog verlegen das Gesicht. „Im Moment liegt mir nur daran, warm und trocken zu bleiben. Also? Wohin fahren Sie?“

Er sagte es ihr. Nachdem sie sich mit dem Fahrer besprochen hatten, entschieden sie, dass der Fremde als Erster abgesetzt werden sollte.

Rhianna lehnte sich zurück, während die Scheibenwischer auf Hochtouren arbeiteten. Das Taxi fädelte sich in den Verkehr auf der regennassen grauen Straße ein. Zum ersten Mal sah Rhianna sich ihren Begleiter genauer an.

Augenblicklich erwachte ihr Interesse. Er war groß und dunkelhaarig und sah unverschämt gut aus. Das dichte dunkle Haar, die tiefblauen Augen und das markante Gesicht – er hatte etwas Raubtierhaftes an sich. Unter dem Jackett des elegant geschnittenen anthrazitfarbenen Anzugs, der völlig durchnässt war, zeichneten sich seine breiten Schultern ab.

Auf Anfang dreißig schätzte sie ihn. Beinahe wirkte er etwas arrogant – ein Mann, der offenbar im Geschäftsleben Macht ausübte. Gleichzeitig sah er so aus, als wäre er auch in anderen Dingen teuflisch gut …

Unwillkürlich dachte Rhianna darüber nach, welche Dinge das sein mochten, und ein Schauer überlief sie.

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass der Fremde sie ebenfalls anblickte.

„Verzeihung.“ Sie lächelte entschuldigend. „Aber Sie dürften es gewohnt sein, angesehen zu werden.“

Er lächelte leicht. „Das Gleiche könnte ich zu Ihnen sagen – obwohl man im Moment nicht viel von Ihnen sieht.“ Er ließ den Blick über ihren bauschigen Regenmantel schweifen, der ihr im Sitzen fast bis zu den Füßen reichte.

Rhianna hätte selbst nicht sagen können, warum sie so einen Drang verspürte, mit einem völlig Fremden zu plaudern. Aber das mochte daran liegen, dass ihr Leben vor einer halben Stunde eine unerwartete positive Wendung genommen hatte. „Sicher sind Sie bei den Damen sehr gefragt?“

Ihr Begleiter lehnte sich zurück. Verstohlen betrachtete Rhianna ihn und schluckte. „Das kann ich im Moment wirklich nicht behaupten. Ich habe den Damen abgeschworen … möglicherweise für sehr lange Zeit.“

„Tatsächlich? Schade!“ Versonnen sah Rhianna ihn an. „Ist das Ihr Ernst?“

Der Unbekannte presste kurz die Lippen zusammen, dann zuckte er die Schultern und antwortete mit einer Gegenfrage: „Und wie steht’s mit Ihnen?“

„Ich?“ Unbehaglich senkte sie den Blick und strich sich den gelben Regenmantel glatt. „Ich habe von den Männern für den Rest meines Lebens genug.“

Er musterte sie. „Wieso das?“

„Das wird Sie kaum interessieren.“ Sie wollte sich nicht aus der Reserve locken lassen. „Worüber sprachen wir vorher?“

Nun blickte er in ihre leuchtenden braunen Augen. „Ich wollte Ihr Kompliment nett erwidern.“

„Tja, ich glaube kaum, dass ich – was Schönheit betrifft – auf einer Punkteskala von eins bis zehn unbedingt mit der Höchstzahl abschneiden würde“, erwiderte Rhianna. „Aber ich habe auch meine Vorzüge. Meine Figur ist zum Beispiel nicht übel. Und unter dem Ding hier“, sie deutete auf ihre Mütze, „bin ich naturblond, falls Sie auf so etwas stehen. Aber auf eines bin ich wirklich stolz – auch wenn es unmoralisch ist: meine Beine.“

Der Fremde zog die Augenbrauen hoch. „Wieso unmoralisch?“

„Beine sind nur Äußerlichkeiten. Was zählt, sind die inneren Werte.“

„Lassen Sie mich raten“, sagte er schmunzelnd. „Hat man Ihnen das in der Klosterschule beigebracht?“

Rhianna lachte auf. „In meinem letzten Jahr auf der Klosterschule war Mutter Oberin davon überzeugt, meine Beine würden mich direkt an den Abgrund bringen – und noch einen Schritt weiter. Auf der nächsten Schule herrschte dann eine komplett andere Meinung. Dort glaubte man, dass meine Beine mein Kapital wären.“

„Der nächsten Schule?“

„Ich bin auf ziemlich viele Schulen gegangen“, entgegnete sie schnell.

„Wenn Sie mir Ihre Beine zeigen würden, könnte ich diese Meinungsverschiedenheit beenden.“ Der Fremde machte eine ernste Miene, doch seine tiefblauen Augen funkelten vergnügt. „Dann könnte ich Ihnen sagen, ob es unmoralisch ist, stolz auf sie zu sein, oder nicht.“

„Also, ich finde, wir sollten den Fahrer nicht länger in Verlegenheit bringen“, wehrte Rhianna ab.

Inzwischen hatten sie die Innenstadt verlassen und fuhren eine noble Allee in Woollahra entlang, die vollkommen überflutet war. Der Fremde hatte diese Adresse als Ziel angegeben.

Dass der Taxifahrer nicht auf Rhiannas Bemerkung reagierte, lag daran, dass er in diesem Moment durch eine tiefe Wasserlache fuhr. Und obwohl er sich konzentrierte und das Steuer fest umklammert hielt, kam er auf der überschwemmten Fahrbahn ins Schlingern.

Dann ging alles ganz schnell.

Plötzlich verlor der Fahrer die Kontrolle über den Wagen. Das Taxi geriet auf den Gehweg, knallte gegen einen Baum und prallte daran ab. Mit einem Krachen durchbrach der Wagen einen Zaun und kam schließlich beängstigend nah an einer Felskante zum Stehen. Eines der Vorderräder hing in der Luft – und unterhalb des Taxis klaffte ein gähnender Abgrund …

In den nächsten Minuten herrschte das totale Chaos. Rhianna und der Fremde waren unverletzt, doch der Taxifahrer hatte bei dem Aufprall das Bewusstsein verloren. Wie lange der Wagen so nah am Abgrund noch im Gleichgewicht bleiben würde, wusste niemand. Sicher war, dass sie das Fahrzeug so schnell wie möglich verlassen mussten.

Vorsichtig kletterten Rhianna und ihr Begleiter aus dem Taxi in den Regen hinaus. Per Handy forderten sie Hilfe an und versuchten dann gemeinsam, den Fahrer aus dem Auto zu ziehen.

Es war alles andere als leicht. Durch den Aufprall hatte die Fahrertür sich verzogen. Und wenn Rhiannas Begleiter nicht so kräftig gewesen wäre und so schnell und einfallsreich reagiert hätte, wäre das Taxi ganz sicher mitsamt dem Fahrer den Felshang hinuntergestürzt.

Rhianna und der Fremde betteten den bewusstlosen Mann im Gras auf eine wasserdichte Plane, die sie im Kofferraum gefunden hatten. Atemlos schlüpfte Rhianna aus ihrem Regenmantel und deckte den Fahrer damit zu.

Inzwischen waren sie bis auf die Haut durchnässt, völlig verschmutzt und zerkratzt.

Unversehens rollte das Taxi den Felshang hinunter und grub sich mit der Kühlerhaube in die Rasenfläche, die sich am Fuße des Abhangs erstreckte.

„Gott sei Dank, dass wir ihn rausholen konnten!“, stieß Rhianna geschockt hervor. Sie starrte auf das zerstörte Taxi. Dann sah sie den Fremden an. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“ Ihr Blick fiel auf seine blutende Hand. „Sie haben sich verletzt. Und Ihr Jackett dürfte nicht mehr zu retten sein.“

„Mir geht es gut.“

In dem Moment ertönte Sirenengeheul, und die beiden drehten sich um. Ein Polizeiauto und ein Krankenwagen kamen die Straße entlang.

Wenig später konnte der Notarzt sie beruhigen: Der Taxifahrer war nicht ernstlich verletzt.

Die Polizisten baten Rhianna und den Fremden, ihnen den Unfallhergang zu schildern.

Die Beamtin, mit der Rhianna sprechen sollte, bot ihr an, das Protokoll im trockenen und warmen Polizeiwagen aufzunehmen. Dankbar nahm Rhianna den Vorschlag an.

Nachdem kurz darauf endlich alle Formalitäten erledigt waren, warf Rhianna einen Blick auf die Uhr. Erschrocken stellte sie fest, wie spät sie dran war. Sie erklärte der Beamtin ihre Situation und bat sie, ihr ein anderes Taxi zu rufen.

Und wenige Augenblicke später kam ein Wagen – ein Wunder an einem Tag wie diesem. Möglicherweise hatte die Tatsache, dass die Polizei es bestellt hatte, die Angelegenheit beschleunigt.

Rhianna stieg aus dem Polizeiauto. Der Fremde, dessen Aussage der zweite Beamte aufgenommen hatte, wandte sich ihr zu.

„Möchten Sie mitfahren?“, fragte sie. „Leider bin ich inzwischen sehr spät dran …“ Sie zögerte und sah ihn unsicher an.

„Nein, danke. Ich bin fast am Ziel und laufe den Rest.“

„Dann lassen Sie mich meinen Anteil an unserer Fahrt bezahlen. Ich weiß nicht, wie viel es ist …“ Sie öffnete ihr Portemonnaie.

Doch der Mann legte seine unverletzte Hand auf ihre. „Das geht auf mich. Keine Widerrede.“

Rhianna betrachtete seine schlanken, kraftvollen Finger und erschauerte unwillkürlich.

„Und was Ihre Beine betrifft, haben Sie recht“, fuhr er fort und ließ den Blick von ihrem kurzen engen Rock bis zu den Füßen schweifen. „Sie sind sensationell.“

„Das habe ich nicht gesagt“, widersprach sie verlegen.

„Nein, das haben Sie nicht. Sie haben mich nur darauf aufmerksam gemacht.“ Er zuckte die Schultern und lächelte auf eine Art, die sie völlig durcheinanderbrachte. „Und das war gut.“

Rhianna schoss das Blut in die Wangen. „Dann … leben Sie wohl“, brachte sie stockend hervor. „Ich muss los.“ Dennoch blieb sie stehen.

Abwartend blickte er sie an, bevor sie sich endlich losriss und in das zweite Taxi stieg.

Als Rhianna zu Hause ankam, eilte sie sofort zu ihrem Vater. Er saß noch immer da, wo sie ihn vor Stunden zurückgelassen hatte, und sah friedlich fern.

Erleichtert atmete sie auf, küsste ihn auf die Stirn und verschwand, um zu duschen und sich umzuziehen.

Beim Anblick ihres Spiegelbilds schloss sie entsetzt die Augen. Sie trug die verflixte Mütze immer noch bis über die Ohren gezogen und hätte sich fast selbst nicht erkannt. Weniger schmeichelhaft hätte sie sich kaum aufmachen können!

Ärgerlich riss Rhianna sich die Mütze vom Kopf. Seidiges blondes Haar umrahmte ihr Gesicht.

Rhianna seufzte. Ein Jammer, dass sie ihrem Traummann ausgerechnet in diesem Aufzug begegnen musste!

Die Ironie des Schicksals wurde ihr bewusst. Wenn jemand Grund hatte, den Männern abzuschwören, dann sie.

Was also war gerade in diesem Taxi mit ihr geschehen?

1. KAPITEL

Vier Jahre später erwischte sich eine reifere und klügere Rhianna dabei, wie sie am Flughafen mit großen Augen einen Mann anblickte …

Ihr Abflug hatte Verspätung, und sie langweilte sich und war ungeduldig.

Der Fremde war ein unerhört gut aussehender Vertreter des starken Geschlechts – groß und dunkelhaarig, markante Züge …

Rhianna musterte ihn genauer. Er war breitschultrig, hatte schmale Hüften, trug Jeans und ein weißes Hemd unter einer exquisiten Lederjacke.

Und plötzlich war Rhianna sich sicher.

Er war der Mann, mit dem sie sich vor vier Jahren ein Taxi geteilt hatte!

Eine elegante, schlanke große Frau, die ebenso auffiel wie er, war bei ihm. Offenbar gab er ihr gerade einige Anweisungen, die sie mit einem seltsam unterwürfig wirkenden Nicken entgegennahm.

Er hatte seine Erklärungen beendet und drehte sich um, sodass Rhianna ihn besser sehen konnte. Unvermittelt lächelte er der Frau zu. Wie verzaubert stand sie vor ihm und erwiderte sein Lächeln leicht verlegen, ehe sie schließlich davonging.

Falls Rhianna noch irgendwelche Zweifel gehabt hatte – das Lächeln des Mannes räumte sie aus.

Der Fremde hob den Kopf und ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Sein Lächeln war wieder erloschen.

Ihr stockte der Atem. Wie gut sie sich an diese tiefblauen Augen, diesen leicht distanzierten Ausdruck erinnerte! Doch heute bemerkte sie noch etwas anderes: Dieser Mann wirkte wie jemand, der sich nahm, was er wollte – ohne sich über die Konsequenzen den Kopf zu zerbrechen …

Ein Lächeln huschte über Rhiannas Gesicht, als sie an die aufregende Fahrt im Taxi zurückdenken musste.

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass der Fremde sie ansah. Unbewegt erwiderte sie seinen Blick, das Lächeln umspielte noch immer ihre Mundwinkel.

Seelenruhig betrachtete er ihr kinnlanges blondes Haar, ihre schlanke Gestalt in dem strengen grauen Hosenanzug und der schwarzen Bluse. Er musterte sie so eingehend, fast intim, dass ihr eine Gänsehaut den Rücken hinabrieselte.

Dann blickte er ihr in die Augen, zuckte kurz die Schultern und wandte sich ab.

Rhianna spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.

Offensichtlich hatte er sie nicht wiedererkannt. Aber ohne die schreckliche Mütze war das wahrscheinlich kein Wunder!

Wirkte sie etwa wie eine junge Frau, die hemmungslos mit fremden Männern flirtete? Rhianna biss sich auf die Unterlippe. Mit diesem Mann hatte sie sich damals im Taxi jedenfalls ziemlich gewagt unterhalten …

Noch während sie grübelte, wurde ihr Flug aufgerufen. Sie ging an Bord der Economyclass, während der Unbekannte in der Businessclass verschwand.

Rhianna versuchte, sich mit der Überlegung zu trösten, dass er sicher irgendwelche Macken hatte. Vielleicht war er eitel, was sie bei einem Mann nicht ausstehen konnte. Doch es half nichts. Sie musste sich eingestehen, dass die Begegnung sie durcheinandergebracht hatte …

Als die Maschine schließlich an der Gold Coast landete, war Rhiannas seelisches Gleichgewicht weitgehend wiederhergestellt.

Während der letzten halben Flugstunde hatte sie sich bemüht, ihre Gedanken auf ihre neue Stellung zu fokussieren.

Einfach ausgedrückt, war sie eine Haushälterin. Genauer gesagt, war sie jedoch eine Art Managerin, die über vertraglich festgelegte Zeiten die Haushalte von Reichen, gelegentlich auch Berühmten, neu strukturierte und durchorganisierte. Ab und an wurde sie engagiert, um das Haus für ein anspruchsvolles Fest vorzubereiten.

Ihre Pläne und Träume hatten anders ausgesehen.

Als Kind hatte sie alle Vorzüge des Reichtums genossen. Ihre Eltern waren berühmt gewesen. Doch von einem auf den anderen Tag war für sie eine Welt zusammengebrochen. Ihre Mutter war gestorben, das Unternehmen bankrottgegangen, und Rhianna hatte sich ihren Lebensunterhalt irgendwie selbst verdienen müssen.

In der Situation war sie auf die Idee gekommen, ihre Erziehung in dem teuren Internat, wo sie den letzten gesellschaftlichen Schliff erhalten hatte, nutzbringend anzuwenden.

So war sie jetzt, mit fünfundzwanzig, eine „Einfrauagentur“ und darauf spezialisiert, anderen Menschen die Geheimnisse stilvoller Haushaltsführung und anspruchsvoller Kochkunst zu vermitteln. Ihr kam dabei zugute, dass sie leidenschaftlich gern kochte.

Selten übernahm sie Aufträge, die länger als vier Wochen dauerten. Auch diesmal war sie nur für einen Monat gebucht, und die Bezahlung war ausgezeichnet. Sie hatte gelernt, sich nicht unter Wert zu verkaufen.

Außerdem war dieser Auftrag besonders interessant. Southall, der Familiensitz der Richardsons, war ein weitläufiges Anwesen an der malerischen Gold Coast. Darüber hinaus besaß die Familie riesige Weideländereien in Queensland sowie Viehranches in West- und Nordaustralien.

Die Richardsons waren eine alteingesessene Familie und schwerreich. Und während sie ihr Imperium durch den Kauf immer neuer Ländereien stetig vergrößerten, hatten sie Southall zum Familienhauptsitz erkoren. Das Anwesen lag zwar inmitten der Ländereien, doch trotzdem günstig in der Nähe der Küste.

Das alles war noch zu Lebzeiten von Ross und Margaret Richardson geschehen.

Vor fünf Jahren war Margaret gestorben. Ross hatte ziemlich schnell wieder geheiratet – eine junge Frau, die seine Tochter hätte sein können. Die Klatschspalten waren voll von Berichten darüber gewesen. Nach der Hochzeit war Ross mit seiner zweiten Frau Andrea Comero, einem Model, nach Südfrankreich gezogen und hatte Southall seinem unverheirateten älteren Sohn Lee übergeben. Vor einem Jahr war auch Ross verstorben.

Bei seiner zweiten Heirat waren Ross’ Söhne ledig gewesen. Inzwischen war jedoch Matthew, der jüngere der beiden, mit dem schönen Fernsehstarlet Mary Wiseman vor den Traualtar getreten. Nachdem das Paar eine sechsmonatige Hochzeitsreise um die Welt gemacht hatte, war er mit seiner jungen Frau auf Southall eingezogen.

Auch das wusste Rhianna aus der Yellow Press. Doch während Matt Richardsons Hochzeit in den Medien für viel Wirbel gesorgt hatte und Andrea Comero ein bekanntes Gesicht war, wusste Rhianna über den älteren Sohn Lee überhaupt nichts.

Lees persönlicher Assistent hatte Rhiannas Dienste angefordert. Sehr diplomatisch hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass Mary Richardson mit Anfang zwanzig keine Erfahrung habe, wie ein großer Haushalt zu führen sei. Dennoch war sie gewillt, Southalls legendären Ruf für exklusive Küche und Gastlichkeit wieder aufleben zu lassen, den das Haus zu Lebzeiten Margaret Richardsons genossen hatte.

Welche Rolle Lee Richardson dabei spielte, wusste Rhianna nicht. Aber das ging sie auch nichts an.

Für sie war dieser Auftrag vor allem eines: ein unverhoffter Glücksfall.

Nachdem Rhianna ihr Gepäck geholt hatte, ging sie wie vereinbart zum Informationsschalter.

Gerade wollte sie dort einer Angestellten ihren Namen nennen, als eine tiefe männliche Stimme sich bei einer anderen Dame an der Auskunft erkundigte, ob eine Rhianna Fairfax sich gemeldet habe.

Verblüfft wandte Rhianna sich dem Sprecher zu. Und sie brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Neben ihr stand der Fremde aus dem Taxi, der Mann, dem sie vor dem Abflug in der Flughafenhalle zugelächelt hatte!

Ihre rasche Bewegung machte ihn auf sie aufmerksam, und er drehte sich zu ihr um. Ihre Blicke begegneten sich.

„Schau mal einer an“, sagte er bedächtig. „Wenn das nicht die Lady ist, die in Sydney versucht hat, mit mir anzubändeln. Aber ‚Lady‘ dürfte vielleicht nicht ganz zutreffend sein.“ Er musterte sie von Kopf bis Fuß.

Einen Moment lang war Rhianna sprachlos, dann erwiderte sie eisig: „Ich habe keineswegs versucht, mit Ihnen anzubändeln.“ Empört funkelte sie ihn an. „So etwas würde mir nicht einmal im Traum einfallen.“

„Na, dann habe ich mich wohl geirrt, Ma’am.“ Der Fremde hob die Augenbrauen.

„Und übrigens“, fuhr sie mühsam beherrscht fort, „ich bin Rhianna Fairfax.“

Der Mann kniff seine unerhört blauen Augen zusammen. „Also das dürfte wirklich interessant werden, Miss Fairfax.“

„Im Gegenteil …“

Sanft unterbrach er sie. „Zufällig bin ich nämlich Lee Richardson, Ihr …“, er machte eine kleine bedeutungsschwere Pause, „… Auftraggeber.“

„Oh.“ Mehr brachte Rhianna nicht hervor.

„Hm.“ Er lächelte amüsiert. „Das Leben ist voller Zufälle, und Sie …“

„Sprechen Sie nicht weiter“, fiel sie ihm ins Wort. „Es sei denn, Sie möchten, dass ich postwendend nach Sydney zurückfliege.“

„Das können Sie leider nicht, Ma’am“, mischte eine der Damen an der Auskunft sich ein. Die beiden Angestellten hatten dem Wortwechsel gebannt gelauscht. Sie räusperte sich. „Die letzte Maschine ging vor einer halben Stunde.“

„Dann werde ich im Hotel übernachten.“

„Nein, das können Sie nicht“, erklärte Lee Richardson, „weil …“

„Würden Sie beide bitte aufhören, mir zu sagen, was ich nicht tun kann?“ Aufgebracht blickte Rhianna zwischen ihm und der Angestellten hin und her.

„Ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, dass Sie mit mir nach Southall fahren werden“, erklärte Lee. „Als der Flug Verspätung hatte und man auf der Ranch erfuhr, dass wir beide mit derselben Maschine fliegen, hat man mich gebeten, Sie mitzunehmen.“

„Und was hat das mit alldem hier zu tun?“, fragte Rhianna irritiert.

„Nichts. Aber wir brauchen Sie wirklich dringend, Miss Fairfax. Meine Schwägerin gibt übermorgen Abend eine Party, die sich sonst zu einer Katastrophe entwickeln könnte.“

Befremdet sah Rhianna ihn an. „Wieso das?“

„Sie hat dem Partyservice den falschen Tag angegeben, und für den tatsächlichen Termin, also Sonntag, ist die Firma bereits ausgebucht. Wie sich dann herausstellte, sieht es bei den anderen gehobenen Partydiensten an der Küste ähnlich aus. Aber natürlich wäre es verständlich, wenn Sie sich so kurzfristig außerstande sehen würden, für dreißig Gäste ein Büfett mit einer entsprechenden Getränkeauswahl auszurichten.“ Mit undurchdringlicher Miene sah er sie an.

„Solange die Geschäfte offen sind, sodass ich überall einkaufen kann, schaffe ich das im Schlaf“, versicherte Rhianna ihm.

Erneut musterte Lee sie von Kopf bis Fuß. Sie war mittelgroß, etwa eins fünfundsechzig, und hatte eine tolle Figur. Sie trug ihr glattes blondes Haar kinnlang und seitlich gescheitelt, sodass es ihr auf einer Seite etwas länger ins Gesicht fiel. Ihre Augen waren von einem ungewöhnlichen Braun und wurden von langen dunklen Wimpern gerahmt. Für ihre makellose Haut brauchte sie kein Make-up. Der korallrote Lippenstift ließ ihren vollen Mund geheimnisvoll schimmern …

Täuschte er sich, oder war er ihr schon irgendwo begegnet? Etwas in ihrer Stimme und die leuchtenden braunen Augen kamen ihm bekannt vor. Aber er konnte sie nicht einordnen.

Jedenfalls war diese Rhianna Fairfax ganz anders, als er sich eine Haushälterin vorgestellt hatte. Möglicherweise war sie interessanter, als der erste Eindruck verriet. Und wie sie ihn in der Abflughalle angelächelt hatte – als würde er sie als Mann interessieren …

Um sie herauszufordern, erwiderte er trocken: „Warten wir’s ab.“

„Ich werde es Ihnen beweisen, Mr. Richardson“, entgegnete Rhianna, und mit ihren hellbraunen Augen funkelte sie ihn entschlossen an.

Lee unterdrückte ein Lächeln.

„Aber glauben Sie nicht, dass Sie mich eingewickelt oder umgestimmt hätten“, warnte sie ihn.

Belustigt zog er eine Augenbraue hoch. „Nein?“

„Nein. Ihre Schwägerin tut mir leid, also helfe ich ihr aus der Patsche. Am nächsten Tag steht es mir frei, meine Sachen zu packen und zu gehen.“

„Jawohl!“, sagte Lee. „Verstehen Sie das bitte nicht falsch, Miss Fairfax. Ich will damit nur andeuten, dass ich möglicherweise meine Meinung revidieren muss. Vielleicht sind Sie genau das, was wir auf Southall brauchen. Gehen wir.“

Während der Fahrt die Küste hinauf ins Hinterland saß Rhianna schweigend neben Lee Richardson im Wagen.

Nachdem der Mann ihre Fähigkeiten offen angezweifelt hatte, war sie drauf und dran gewesen, den Auftrag einfach abzulehnen. Warum hatte sie es bloß nicht getan? Sie wusste die Antwort: Sie brauchte das Geld – gerade jetzt …

Es war dunkel, und Rhianna konnte die Landschaft nicht erkennen. Doch die Straße, die sie entlangfuhren, wand sich offensichtlich eine recht steile Anhöhe hinauf.

Rhianna seufzte lautlos. In der engen Fahrerkabine empfand sie Lees Nähe als noch beunruhigender.

Aus dem Augenwinkel betrachtete sie seine starken Hände, mit denen er das Lenkrad umfasste. Wie müsste es sein, von diesen Händen berührt zu werden? Wie fühlte es sich an, sie auf ihrer nackten Haut zu spüren? Markante Züge hatte er, breite Schultern, und wie er beim Fahren schaltete, ließ vermuten, dass er auch im Bett genau wusste, was er wollte …

Bei der Vorstellung überlief es Rhianna heiß und kalt, und sie schloss die Augen.

Glücklicherweise bogen sie kurz darauf von der Hauptstraße ab. Sie fuhren einige von Bäumen gesäumte Seitenwege entlang, bis sie zu einem eindrucksvollen schmiedeeisernen Doppeltor in einer hohen Steinmauer kamen.

Lee betätigte einen Knopf im Wagen, und die Flügel des Tores glitten geräuschlos auseinander.

„Wir sind da, Miss Fairfax“, sagte er, während sie in eine Garage für vier Wagen einfuhren. „Sie sind so still.“ Er öffnete die Fahrertür, und die Beleuchtung schaltete sich ein.

„Ehrlich gesagt, frage ich mich, auf was ich mich hier eingelassen habe“, gestand Rhianna.

Er lächelte leicht. „Ihr Beruf – Haushalte vor dem Chaos zu retten – dürfte häufig mit Überraschungen verbunden sein.“

Rhianna blickte ihm in die Augen. „Das schon. Aber der Eindruck“, sie wählte ihre Worte mit Bedacht, „den ich bisher von Ihnen gewonnen habe, ist … nicht der beste, Mr. Richardson.“

„Hören Sie, Miss Fairfax, Sie haben mich auf ziemlich eindeutige Weise angelächelt“, entgegnete er. „Und der Eindruck, den Sie von mir gewonnen haben, beruht auf meiner Reaktion auf Ihre Blicke.“

„Na gut. Ich habe Sie angelächelt. Aber es war nicht so, wie Sie denken. Das habe ich nur getan, weil wir uns schon einmal begegnet sind.“

Stirnrunzelnd betrachtete er ihr Gesicht, dann lächelte er überrascht. Sein Blick fiel auf ihre Beine. „Schade, dass Sie keinen kurzen Rock tragen“, sagte er und schaute ihr in die Augen, „sonst hätte ich Sie garantiert sofort erkannt.“

Ihm war anzumerken, dass er die Szene von vor vier Jahren wieder deutlich vor sich sah.

„Ich weigere mich, als ein Paar Beine betrachtet zu werden“, widersprach Rhianna entrüstet.

Sie waren es doch, die mich im Taxi auf Ihre Beine aufmerksam gemacht hat.“

Sie zuckte die Schultern. „Inzwischen bin ich eine andere geworden.“

„Das merkt man“, pflichtete Lee ihr bei. „Sie sind nicht mehr so gesprächig und übersprudelnd.“

„Ich bin vier Jahre älter.“

„So lange ist es her?“

Sie nickte. „An dem Tag war ich so aufgedreht, weil ich gerade eine tolle Stellung ergattert hatte.“ Sie verzog das Gesicht. „Heute weiß ich nicht mehr, wieso ich mich so habe hinreißen lassen“, setzte sie hinzu.

„Sie fühlten sich spontan zu mir hingezogen?“, schlug er vor. „Obwohl Sie von Männern eigentlich die Nase voll hatten …“

Einen Moment lang sah sie Lee schweigend an. Sein dichtes dunkles Haar, die feinen Lachfältchen um seine Augen. Er musste umwerfend aussehen, wenn er unrasiert war: gefährlich, sexy und unglaublich begehrenswert …

„Ach …“ Rhianna riss sich zusammen. „Nein … ja … ich meine, ich habe den Männern noch immer abgeschworen, Mr. Richardson. Und wie steht’s mit Ihnen? Ich schließe aus Ihren Worten, dass Sie noch immer ungebunden sind?“

„Sie vermuten richtig“, erwiderte er locker. „Und warum wollen Sie von Männern nichts mehr wissen?“

Rhianna starrte auf ihre Hände und zuckte die Schultern. „Nur eine der üblichen Geschichten. Hören Sie …“ Sie strich sich mit dem Zeigefinger das Haar aus dem Gesicht und ahnte nicht, dass diese kleine Geste ihn seltsam berührte. „Darf ich Sie um etwas bitten?“

Er kniff die Augen leicht zusammen und zögerte kurz. „Klar.“

„Können wir das Ganze vergessen? Ich möchte nicht mehr darüber reden. Es ist vorbei. Und wenn Sie wollen, dass ich mich mit dem Chaos in Ihrem Haushalt auseinandersetze, sollten wir beide ganz von vorn anfangen.“

Eine Weile überlegte Lee. Ihm fiel auf, dass die Art, wie sie das Kinn ganz leicht angehoben hatte, beinahe königlich wirkte. Und dass ihre kleine gerade Nase arrogant gewirkt hätte, wenn ihr Mund nicht genau das Gegenteil signalisiert hätte.

Aber er hatte Rhianna Fairfax für eine sehr anspruchsvolle und durchaus komplizierte Aufgabe engagiert – und er musste verrückt sein, wenn er weitere Verwicklungen und Schwierigkeiten heraufbeschwor.

„Na gut“, erwiderte er knapp und stieg aus dem Wagen.

Rhianna atmete scharf ein, als er die Autotür ins Schloss warf. Es kam ihr vor, als hätte er nicht nur diese Tür geschlossen, sondern sie mit dieser Geste auch ein Stück weit aus seinem Leben ausgesperrt … Oder täuschte sie sich?

Eine Überraschung erwartete sie.

Das Haus war dunkel und verschlossen.

Stirnrunzelnd holte Lee seine Schlüssel aus der Tasche und öffnete die schwere Eingangstür. Während er Rhianna durch die Diele in die Küche führte, schaltete er überall die Beleuchtung ein.

Nachdem er seine Schlüssel auf die Ablage neben dem Telefon gelegt hatte, drückte er auf den blinkenden Knopf des Anrufbeantworters.

Eine Nachricht lief ab. Der Anrufer klang aufgeregt.

„Lee, hier ist Matt. Mary ist abgehauen. Sie war ziemlich aufgelöst, weil sie den Termin mit dem Partyservice verbockt hat, und ist bei ihrer Mutter. Sie meinte, du und deine Super-Haushaltsmanagerin würdet das Ganze bestimmt besser in den Griff bekommen als sie. Deshalb überlässt sie alles euch. Ich komme erst am Sonntagnachmittag aus Perth zurück, dann hole ich sie bei ihrer Mutter ab und bringe sie mit …“

Es folgte eine Pause, bevor Matt Richardson fortfuhr: „Geh nicht zu hart mit ihr ins Gericht, Bruderherz. Sie ist schwanger, und das macht ihr offenbar Angst. Und ich weiß, dass du die Vorbereitungen zu dieser verflixten Party schon irgendwie bewältigst. Mach’s gut. Ach, übrigens – es ist möglich, dass noch einige Gäste mehr kommen.“ Klick.

Lee fluchte unterdrückt.

„Oje“, sagte Rhianna. „Hoffentlich hat sie eine Gästeliste dagelassen.“

„An etwas so Vernünftiges, Normales würde Mary nie denken“, bemerkte Lee grimmig. „Tja, möchten Sie etwas trinken?“

Rhianna zog einen Stuhl zu sich heran und ließ sich darauf sinken. „Ein Glas Wein wäre nicht schlecht, falls Sie welchen haben.“

„Sogar einen ganzen Keller voll. Aber ich denke, im Kühlschrank müsste auch welcher sein.“

So war es. Lee schenkte ihr ein Glas Weißwein ein und mixte sich einen Scotch mit Wasser.

Nachdem er sich Rhianna gegenüber an den Tisch gesetzt hatte, fragte er: „Ist Ihnen so etwas schon mal passiert, Miss Fairfax?“

Sie kräuselte die Nase. „Nein. Aber ich schaffe es schon.“ Versonnen blickte sie in ihr Glas. „In der Schwangerschaft kann es zu schweren Stimmungsschwankungen kommen“, sagte sie mehr zu sich selbst. Unvermittelt räusperte sie sich und sah Lee an. „Sie ist doch Schauspielerin, nicht wahr?“, fuhr sie schnell fort.

Durchdringend blickte Lee sie an. „Ja.“ Er lehnte sich zurück und schob die Hände in die Taschen. „Am liebsten würde ich die Party absagen.“

„Halten Sie das für klug? Dann würde Ihre Schwägerin sich in dem Eindruck bestätigt fühlen, dass Sie sie nicht mögen.“

Er warf ihr einen finsteren Blick zu, dann lächelte er widerstrebend. „Merkt man das so deutlich?“

„Leider ja.“

„Jetzt ist mir klar, warum Sie in Ihrem Beruf gut sein müssen. Sie sind kühl und logisch. Komisch“, fuhr er amüsiert fort, „vor vier Jahren hätte ich Sie nicht so eingeschätzt.“

Rhianna empfand leichtes Unbehagen.

„Aber ich fand Sie sehr charmant“, gestand er. „Und umwerfend direkt.“

„Das werde ich wohl nie mehr los“, erwiderte sie trocken. „Doch in unserem Fall steht ‚nie‘ ja auch nicht zur Debatte.“ Sie trank einen Schluck Wein. „Ich bleibe nur so lange, bis mein Auftrag erledigt ist.“

Er straffte die Schultern und betrachtete sie so eindringlich, dass sie erschauerte. „Meinen Sie?“

Rhianna gab sich einen Ruck. „Ich weiß es.“ Sie trank ihr Glas aus und fragte kühl: „Also? Geben Sie die Party oder nicht?“

Einen Moment lang dachte er nach. „Ja.“

„Dann würde ich mich gern einmal umsehen, um mir einen Überblick zu verschaffen.“

„Sicher. Aber erst zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.“

Am nächsten Morgen erwachte Rhianna schon um fünf. Die Sonne ging gerade auf. Rhianna brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln und zu orientieren.

Southall war ein wunderschönes Anwesen, das hatte sie trotz der Dunkelheit bereits am Abend feststellen können.

Und das Zimmer, das Lee Richardson ihr zugewiesen hatte, war zauberhaft.

Nachdenklich klopfte sie nun die Kissen zurecht. Bei näherer Betrachtung wirkte alles im Haus ein wenig vernachlässigt. Aber das war wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich. Ein riesiges Anwesen wie Southall erforderte laufend Arbeit und Pflege, und es war jahrelang ohne Hausherrin gewesen.

Unwillkürlich schweiften Rhiannas Gedanken wieder zu Lee Richardson.

Seit ihrer Begegnung vor vier Jahren hatte sie ihn nicht vergessen können … Nachdem ihr Verlobter festgestellt hatte, dass sie kein Vermögen erben würde, hatte er sie verlassen. Damals war Rhianna zutiefst verletzt gewesen und hatte nichts mehr von den Männern wissen wollen. Sie hatte wie eine Nonne gelebt. Doch dann hatte sie sich mit Lee Richardson, diesem unerhört attraktiven Mann, ein Taxi geteilt. Und nun war er ihr auf wundersame Weise erneut über den Weg gelaufen …

Rhianna seufzte. Entschlossen straffte sie die Schultern, zog die Tagesdecke glatt und stand auf. Sie war hier, um einen Auftrag zu erledigen – und kein Mann, wie fantastisch er auch aussehen mochte, würde sie davon ablenken.

Damit ging sie ins Bad, nahm eine ausgiebige Dusche und schlüpfte in Jeans und eine dunkelblaue Bluse.

Die Küche war verlassen, und auch im restlichen Haus schien noch niemand wach zu sein.

Also brühte Rhianna sich einen Becher Tee auf und nahm ihn mit ins Freie, um sich den Garten anzusehen.

Was sie hinter dem Haus entdeckte, verschlug ihr schier den Atem.

Saftiger grüner Rasen erstreckte sich bis zu einem herrlichen Rosengarten, der zu einem schimmernden Swimmingpool mit Poolhaus führte. Dahinter fiel das Gelände ab. In der Ferne zog sich wie ein blaues Band der Pazifische Ozean hin. Am Horizont konnte Rhianna drei Heißluftballons ausmachen.

Sie stand noch immer ganz im Bann des atemberaubenden Panoramas, als jemand hinter ihr sagte: „Guten Morgen, Ma’am.“

Rhianna drehte sich um und erblickte einen Mann in Overall, Stiefeln und einer verblichenen Baseballkappe, der ein paar Körbe und Gartenwerkzeuge trug. Er stellte sich ihr als Chefgärtner Cliff Reinhardt vor.

Rhianna begrüßte ihn und begann sofort, von seinen herrlichen Rosen zu schwärmen. Prompt erbot er sich, ihr einige der Rosen fürs Haus zu schneiden. Danach führte er sie durch die Anlagen, die sein ganzer Stolz waren.

Eine halbe Stunde später hatte Rhianna nicht nur zwei Körbe mit frischem Obst und Gemüse, sondern auch genügend Rosen für mehrere große Vasen.

Von Cliff hatte Rhianna erfahren, dass er das Obst und Gemüse größtenteils im Ort verkaufte, da auf Southall in letzter Zeit kaum jemand lebte, der versorgt werden musste. Doch das würde sich nun vielleicht ändern, hoffte der Gärtner.

Er hatte ihr auch erzählt, dass er seine Frau verloren hatte, als seine inzwischen elfjährige Tochter Christy noch ein Baby war.

Es war nicht zu überhören – Cliff Reinhardt war der Familie Richardson sehr ergeben.

Gemeinsam wollten sie die reiche Ausbeute durch den Stallhof in die Küche tragen, als Hufgeklapper verriet, dass jemand von einem Morgenausritt zurückkehrte.

Auf einem großen, temperamentvollen braunen Pferd näherte sich Lee Richardson. Ihm folgte Christy, Cliffs Tochter, auf einem weißen Pony namens Poppy.

Sie zügelten die Tiere und stiegen ab. Prompt tauchte ein Pferdeknecht aus den Stallungen auf und rief die bellenden Hunde zur Ordnung.

Beide Pferde waren verschwitzt, während ihre Reiter frisch und unternehmungslustig wirkten. Christy kam mit Poppy zu Rhianna, um sich mit ihr bekannt zu machen.

Lächelnd tätschelte Rhianna das Pony, das sie aufmerksam ansah. „Weißt du, Poppy“, sagte sie zu dem Tier, „du magst aussehen, als könntest du nicht bis drei zählen, aber es würde mich nicht wundern, wenn du sprechen kannst.“

Christy lachte auf. Poppy, die harmlos wie ein Engel dreinblickte, nutzte diesen Moment der Unaufmerksamkeit und versuchte, Rhianna ins Handgelenk zu beißen. Gerade noch rechtzeitig zog sie den Arm fort. Christy schalt das Pony so liebevoll, dass es eher wie ein Lob klang. Es war nicht zu übersehen, dass die mutterlose Christy ihr Pony vergötterte.

Rhianna beobachtete sie und seufzte lautlos. Nur zu gut wusste sie, was es bedeutete, ohne Mutter aufzuwachsen, obwohl sie ihre längst nicht so früh verloren hatte.

Erst jetzt sah sie Lee Richardson an, dessen Augen amüsiert funkelten. „Sie sind früh wach“, bemerkte er.

Er trug Jeans, kurze Stiefel und einen dunkelblauen Pullover. Den Hut hatte er abgenommen und fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs dunkle Haar. Rhianna schluckte. Unrasiert wirkte er noch männlicher … einfach unwiderstehlich!

Und sie hatte den Verdacht, dass er genau wusste, welche Wirkung er auf sie hatte.

Entschlossen verbannte sie die Empfindungen und riss sich zusammen. „Ich habe zwei harte Tage vor mir“, sagte sie und wandte sich dann dem Gärtner zu. „Danke für die reiche Ernte. Ich verspreche Ihnen, etwas Besonderes daraus zu machen.“

„Gern geschehen. Morgen bekommen Sie noch mehr Rosen. Und jetzt helfe ich Ihnen, alles ins Haus zu tragen …“

„Schon gut“, unterbrach Lee den Gärtner. „Das übernehme ich.“ Er nahm die Körbe mit Obst und Gemüse auf und überließ es Rhianna, die Rosen zu tragen.

Die Fenster der geräumigen Küche gingen auf die blühenden Gartenanlagen hinaus. Hier macht es bestimmt Spaß zu arbeiten, dachte Rhianna.

Sie stellten die Körbe auf den Kiefernholztisch. Von den Angestellten war immer noch niemand erschienen. Während Lee den Wasserkessel aufsetzte, sah Rhianna sich um.

„Wann fängt das Personal an?“, erkundigte sie sich stirnrunzelnd.

„So um acht.“ Lee blickte auf die Uhr. „Also erst in einer Stunde. Sharon, die Küchenchefin, hat eine schulpflichtige Tochter, deshalb kommen sie und die anderen Angestellten erst später. Sie haben sich untereinander arrangiert.“ Lee brühte sich einen Becher Pulverkaffee auf und setzte sich damit an den Tisch. „Sind Sie nicht damit einverstanden?“

„Vielleicht können wir eine andere Arbeitsordnung absprechen“, erwiderte Rhianna schlicht. Ihr Blick fiel auf die farbenfrohen Obst- und Gemüseberge auf dem Tisch. „Aber eines nach dem anderen. Zuerst einmal müssen die Rosen ins Wasser. Wissen Sie, wo die Vasen stehen?“

Lee rieb sich das Kinn. „Bedaure, nein.“

„Na ja, irgendwo müssen welche sein.“ Rhianna durchsuchte einige der mit edlem Geschirr und Gläsern bestückten Schränke – aber Vasen fand sie keine.

„Vielleicht sind sie in den Büfetts im Esszimmer?“, schlug Lee vor.

Rhianna nickte.

„Sie scheinen sich ein wenig mit Pferden auszukennen“, bemerkte er unvermittelt.

„Ich hatte als Kind auch zwei eigenwillige Ponys.“ Lächelnd ging sie ins Esszimmer, wo sie in einer der Anrichten tatsächlich fündig wurde. Mit vier Vasen kehrte sie zurück und begann, die Blumen anzuschneiden und zu arrangieren.

Eine Weile sah er ihr zu, beobachtete, wie sie zurücktrat, um die Wirkung ihres Werks zu begutachten. Wie geschickt sie die Rosen zusammenstellte. Und noch etwas fiel ihm auf: Wenn sie sich konzentrierte, strich sie sich die Haare hinters Ohr, die jedoch einfach nicht dort bleiben wollten. Lee schmunzelte. Anfangs hatte er sie für eine Art „Männerjägerin“ gehalten und auf Abstand gehen wollen. Doch stattdessen fühlte er sich nun immer stärker zu ihr hingezogen …

Rhianna trug die Vasen zu einer Ablagefläche. „So, das wär’s fürs Erste. Ich überlege mir noch, wohin ich sie stelle. Jetzt sollte ich mir erst einmal die Speisenfolge für morgen vornehmen.“ Sie blickte Lee an. „Mögen Sie Frühstück?“

Er nickte.

„Ich auch. Und ich sterbe vor Hunger. Was halten Sie von einem Kräuteromelett?“

„Klingt … fantastisch“, erwiderte er.

„Und was halten Sie von frisch aufgebrühtem Kaffee?“ Missbilligend blickte sie auf seinen Becher mit Pulverkaffee.

„Miss Fairfax, wollen Sie mich heiraten?“

Sie lachte. „Danke, Sir, aber ich muss leider ablehnen.“

„Eines verstehe ich nicht, Mr. Richardson“, bemerkte Rhianna eine halbe Stunde später. Sie hatten ein köstliches Omelett genossen, und Rhianna schenkte Kaffee nach. „Ihre Familie ist so reich …“

„Sie wollen wissen, warum ich die Situation hier so in Kauf nehme? Das tue ich nicht. Eigentlich verbringe ich kaum noch Zeit auf Southall. Nachdem mein Vater nach Südfrankreich gezogen war, hat keiner von uns hier gewohnt. Aber jetzt hat die Lage sich geändert. Es wäre traurig, wenn das Anwesen leer stehen würde, obwohl Matt und Mary hier leben könnten.“

Rhianna nickte nur.

„Sicher möchte Mary lernen, diesen Haushalt zu führen“, sagte Lee.

„Ich werde mich bemühen“, versprach Rhianna und stand auf. „Und jetzt muss ich mich an die Arbeit machen, Mr. Richardson.“

„Einen Moment noch.“ Nachdenklich sah er sie an. „Ich würde gern mehr über Sie erfahren.“

Sie zuckte die Schultern. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„Wo haben Sie zum Beispiel all das gelernt?“

„Ach, ein bisschen überall“, erwiderte sie ausweichend. „Ich bin mir sicher, dass Ihr persönlicher Assistent mich gründlich überprüft hat, um sicherzugehen, dass ich nicht etwa dazu neige, fremdes Eigentum an mich zu nehmen.“

„Das meinte ich nicht.“ Lee stand nun ebenfalls auf. „Warum so geheimnisvoll?“

„Hören Sie, ich komme, wenn man mich braucht, und gehe dann wieder. Und ich gebe mein Bestes – aber dennoch bevorzuge ich eine gewisse professionelle … Distanz.“

„Aber Sie sind doch Luke Fairfax’ Tochter – oder etwa nicht?“

2. KAPITEL

Rhianna erstarrte. „Woher wissen Sie …“

„Woher? Ich habe es erst gestern Abend herausgefunden. Etwas an Ihrem Namen ließ mir keine Ruhe, da habe ich im Internet nachgeforscht. Und dort stieß ich unter anderem auf Luke und Reese Fairfax.“

Da Rhianna schwieg, zuckte Lee die Schultern und fuhr fort: „Vor einigen Jahren kannte sie jeder: zwei berühmte Musiker, die auf die unternehmerische Seite des Musikgeschäfts gewechselt waren. Die Country- und Rockkonzerte, die die beiden organisierten, waren legendär und machten sie reich. Ihre Tochter, Rhianna, dürfte jetzt fünfundzwanzig sein.“

Einen Moment lang schwieg Lee und betrachtete Rhianna. Sie war blass geworden. „Tut mir leid, wenn das schmerzlich für Sie ist. Soweit ich weiß, lebt Ihr Vater noch, während Ihre Mutter etwa zu der Zeit starb, als das Firmenimperium zusammenbrach.“

Rhianna atmete tief ein. „Ja. Aber wieso interessiert Sie das?“

Er sah sie an. „Ich möchte nun einmal gern wissen, woran ich bin. Natürlich hat das nichts mit Ihnen persönlich zu tun, doch als Gläubiger hat die Familie Richardson beim Zusammenbruch der Firma Ihres Vaters sehr viel Geld verloren.“

Immer noch stand Rhianna starr da. „Na, vielen Dank! Sie machen sich also Gedanken über meine Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit? Dann ist es vielleicht besser, wenn ich gehe.“

„Nein, das dürfen Sie nicht …“

„Sie können mich nicht aufhalten!“, erwiderte sie scharf.

„Ich könnte es, aber ich werde es nicht tun“, erklärte er kühl. „Setzen Sie sich, und hören Sie mich an.“

Widerstrebend sah sie ihn an und konnte nicht verhindern, leicht zu erschauern. Lee Richardson war ein Mann, der sich durchsetzte. Das hatte sie schon am Tag zuvor in der Flughafenhalle gespürt. Und selbst in Jeans und unrasiert war er eine beeindruckende Persönlichkeit.

Schließlich gab sie nach. „Na gut. Ich bleibe und höre mir an, was Sie zu sagen haben.“

Er zuckte die Schultern. „Ich stelle Ihre Ehrlichkeit nicht infrage. Die Firma Ihres Vaters ist nicht durch unlauteren Wettbewerb oder dergleichen zusammengebrochen – für den Ruin gab es mehrere Faktoren. Ihr Vater hat ein paar falsche oder voreilige Entscheidungen getroffen, und besonders im Showgeschäft kann man vieles nicht voraussehen.“ Lee setzte sich wieder und schob die Hände in die Hosentaschen. „Und natürlich sind nicht alle Einzelheiten des Zusammenbruchs bekannt geworden.“ Prüfend sah er Rhianna an.

Instinktiv wollte sie fliehen, doch er stand auf und schob sie zu ihrem Stuhl zurück. Als sie sich zögernd niederließ, schenkte Lee ihnen Kaffee nach und nahm ebenfalls wieder Platz.

„Sicher hat die Erbin eines einstmals großen Vermögens nicht erwartet, sich in so einer Situation wiederzufinden“, bemerkte er.

Rhianna blickte sich um. „Nein. Aber komischerweise gefällt sie mir im Großen und Ganzen.“

„Was war der eigentliche Grund für den Verlust Ihres Familienvermögens?“

Sie spielte mit ihrem Teelöffel und zuckte die Schultern. „Als Gläubiger haben Sie wohl ein Recht darauf, mehr darüber zu erfahren.“ Einen Moment lang dachte sie nach. „Wie kam es überhaupt dazu, dass mein Vater Ihnen Geld schuldete?“

Lee rührte seinen Kaffee um. „Unter anderem besitzen wir ein Speditionsunternehmen, das mit einheimischen Viehtransporten begann und dann ausgebaut wurde. Über uns hat Ihr Vater die Ausrüstungen für die Auftritte von Ort zu Ort transportiert: Tonsysteme, Montagebühnen und so weiter.“

„Ich verstehe.“ Rhianna schloss kurz die Augen. „Mit der Firma ging es rapide bergab, nachdem festgestellt wurde, dass meine Mutter todkrank war. Mein Vater machte sich große Sorgen und traf falsche Entscheidungen.“ Verloren blickte sie auf ihre Hände. „Und er begann, an der Börse zu spekulieren, um die Verluste wiedergutzumachen. Doch dadurch verlor er noch mehr Geld. Als meine Mutter dann starb, verfiel er in schwere Depressionen.“

Langsam atmete Lee aus. „Das dürfte alles erklären.“

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Ja. Zu dem Zeitpunkt gab es nur eine Lösung: Vater musste Insolvenz anmelden.“

„Wie geht es ihm jetzt?“

„Besser, sehr viel besser, obwohl er manchmal Rückfälle hat. Aber wenigstens hat er wieder zu seiner Musik zurückgefunden. Er und meine Tante Di – sie ist seine verwitwete Schwester und lebt bei uns – sind besessene Musiker. Er spielt Gitarre, sie Klavier, und sie bauen Bands auf … Schulbands, Vereinsgruppen und so weiter. Leider …“ Sie verstummte.

„Sprechen Sie weiter.“

„Er muss möglichst bald ein neues Hüftgelenk bekommen. Aber wir sind nicht privat versichert, und bei den gesetzlichen Kassen gibt es lange Wartelisten. Also spare ich jeden Cent, um ihn, so schnell es geht, privat operieren zu lassen.“

„Tut mir leid“, entgegnete Lee. „Da haben Sie eine ganz schöne Bürde zu tragen.“

Einen Augenblick lang gab Rhianna ihren Empfindungen nach, dann straffte sie die Schultern. „Ich schaffe das schon.“

„Und wie steht’s um Ihre Finanzen? Sind Sie jetzt der Alleinverdiener in der Familie?“

„Mehr oder weniger. Dad bekommt eine Pension, und Tante Di gibt Klavierunterricht, aber das ist …“ Sie unterbrach sich und begann erneut. „Meine Agentur ist inzwischen gut angelaufen, und allmählich wird alles einfacher. Komisch, aber genau an dem Tag damals …“ Sie verstummte.

„Erzählen Sie es mir“, forderte Lee sie sanft auf.

„An dem Tag, als wir uns das Taxi teilten, hatte ich meinen ersten Agenturauftrag erhalten – keinen großen, doch es war immerhin ein Anfang. Ich war so in Eile, weil ich dringend nach Hause zu meinem Vater musste. Wegen des Vorstellungstermins hatte ich ihn allein lassen müssen. Vor vier Jahren war ich noch in größter Sorge um ihn.“

Lee betrachtete ihr Gesicht. Sie wirkte nachdenklich.

Doch unvermittelt erhob sie sich. „Aber ich bin hier, um einen Auftrag zu erfüllen, und sollte mich lieber an die Arbeit machen.“ Sie sah Lee an. „Es sei denn … Sie möchten mir wegen dieser Sache den Auftrag wieder entziehen. Das könnte ich verstehen.“

Lässig streckte er seine langen Beine von sich. „Sehe ich wie ein Ungeheuer aus?“

Rhianna schoss das Blut ins Gesicht. „Nein. Doch ich bin in einer schwierigen Lage. Da dachte ich …“

„Tun Sie’s nicht.“

„Na gut“, erwiderte sie langsam. „Danke. Ehe ich beginnen kann, habe ich aber noch ein paar Fragen. Wo sind die nächsten Geschäfte, und wie komme ich dorthin? Lassen Sie anschreiben, oder brauche ich Bargeld? Ach, und was ist mit den Getränken für den morgigen Abend? Soll ich Wein, Champagner, Whisky und so weiter kaufen?“

„Die Bar übernehme ich. Vieles haben wir ohnehin reichlich vorrätig.“ Lee stand auf. „Die alkoholfreien Getränke zu besorgen, überlasse ich Ihnen.“ Er holte Wagenschlüssel aus der Tasche und reichte sie Rhianna. „Sie können den blauen Mercedes-Kombi benutzen, der in der Garage steht. Das nächste Dorf ist Mount Tamborine. Und Sie können alles auf Southall anschreiben lassen. Ich gebe Ihnen eine entsprechende Ermächtigung mit und skizziere Ihnen den Weg dorthin.“

Als sie nach dem Einkauf in Mount Tamborine nach Southall zurückkehrte, bemerkte Rhianna auf der Auffahrt einen gelben Lamborghini.

Sie runzelte die Stirn. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, kam Sharon, die Küchenchefin, ihr entgegen. Sie hatte inzwischen mit der Arbeit begonnen.

Die große freundliche Frau Mitte dreißig war Rhianna auf Anhieb sympathisch. „Gott sei Dank, dass jemand hier ist, der …“ Sie sprach nicht weiter und blickte Rhianna verlegen an. „Na ja, nach dem gestrigen Aufruhr war ich nicht sicher, ob die Party überhaupt noch stattfinden würde. Erst recht nicht nach dem Auftritt heute Morgen. Ach, verflixt! Davon wollte ich eigentlich nicht reden“, murmelte sie und wurde rot.

„Schon gut, ich weiß Bescheid“, versicherte Rhianna ihr. „Und die Party findet statt.“ Ihr kam ein Gedanke. „Sie wissen nicht zufällig, wer alles kommt?“

„Die Namen weiß ich nicht, doch bei den Gästen handelt es sich um Marys Freunde. Alle sind bei Film und Fernsehen tätig. Anscheinend fliegen sie aus allen Teilen Australiens ein – aber keine Sorge: Sie übernachten nicht hier, sondern an der Küste.“

Rhianna sah sie an. „Mary muss völlig die Nerven verloren haben … so einfach davonzulaufen …“

„Das kann man wohl sagen. Sie will hier nicht leben, und Matt ist nun schon eine Woche geschäftlich unterwegs. Da fühlte sie sich einsam und hat …“ Sharon verzog das Gesicht. „Verstehen Sie mich nicht falsch, sie ist wirklich nett, aber ziemlich verwöhnt und bekommt meist ihren Willen.“

„Ich verstehe.“

„Übrigens hat sie mir gesagt, sie hätte einen Discjockey organisiert – hoffentlich für den richtigen Tag. Ich bin mir nicht sicher, ob Lee davon weiß. Und es könnten dreißig Leute kommen, vielleicht aber auch vierzig oder fünfzig. Sie meinte, dass sie den Überblick verloren hätte, weil sie so viele Freunde hat.“

Rhianna seufzte. „Ich glaube, ich sage Lee besser Bescheid.“

Auf dem Weg zu Lee erwartete Rhianna eine weitere Überraschung.

Um ein Haar wäre sie in der Diele mit einer Fremden zusammengestoßen – der schönsten Frau, die ihr je begegnet war.

Im ersten Moment fragte sie sich, ob das Mary Richardson war. Doch bei näherer Betrachtung wurde ihr klar, dass sie es nicht sein konnte. Die Frau war Anfang dreißig und kam Rhianna irgendwie bekannt vor. Ihre dunklen Augen funkelten empört, sie presste die Lippen zusammen, und auch ihr Gang verriet, dass sie wütend war.

„Entschuldigung“, sagte Rhianna und stellte sich vor.

„Aha, die Wirtschafterin! Hallo. Ich bin Andrea Richardson.“

Verblüfft sah Rhianna sie an. „Sie meinen …“ Sie verstummte.

Andrea Richardson war groß und schlank und hatte herrliches dunkles Haar, das ihr schimmernd bis zur Taille fiel. Ihre Haut war makellos, der Mund leuchtend rot geschminkt. Ihre königliche Haltung verriet, dass sie auf dem Laufsteg zu Hause war.

„Ja, ich bin’s“, erwiderte Andrea. „Die böse Schwiegermutter.“

„Das … meinte ich nicht“, wehrte Rhianna ab. „Ich weiß, dass Sie Ross Richardson geheiratet haben. Aber das ist vermutlich allgemein bekannt.“

„Dann sind Sie entweder noch nicht lange genug hier, oder man war ungewöhnlich diskret.“ Andrea Richardson strich ihr Haar zurück. „Die Familie, vor allem Lee, betrachtet mich als Mitgiftjägerin, die sich ihren Vater geangelt und die geheiligte Erinnerung an ihre Mutter mit Füßen getreten hat.“

Befremdet sah Rhianna sie an. „Ich … davon weiß ich nichts. Außerdem geht mich das nichts an. Ich bin nur hier, um meine Arbeit zu erledigen.“

„Tja, dann seien Sie nicht überrascht, wenn Sie Ihre Anweisungen ab sofort von mir erhalten, Miss Fairfax. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“

Aufreizend mit den Hüften schwingend, ging Andrea davon.

Rhianna fand Lee in der Bibliothek.

Einen Moment lang ließ sie den Blick sehnsüchtig über die vollen Bücherregale schweifen, dann ging sie zum Schreibtisch. Offene Terrassentüren führten auf eine Seitenveranda hinaus, von der Jasminduft hereinströmte. Auf einer Seite des Raumes gab es eine bequeme Sitzgruppe aus mintgrünem Samt und einen Couchtisch. Am anderen Ende saß Lee an einem mächtigen Schreibtisch und arbeitete.

Rhianna blieb vor dem Schreibtisch stehen und atmete tief ein. In der Luft lag ein Parfüm, das den Jasminduft überlagerte. Sie erkannte es, weil sie es früher selbst benutzt hatte. Diesen Duft hatte sie kurz zuvor an Andrea Richardson wahrgenommen.

Blitzschnell zählte Rhianna eins und eins zusammen. Hier in der Bibliothek musste soeben eine Auseinandersetzung stattgefunden haben. Nun fiel ihr auch Sharons Bemerkung über die Streitigkeiten vom Vortag und von diesem Morgen wieder ein …

Lee blickte auf. Er schien nicht bester Laune zu sein – sein Gesichtsausdruck wirkte hart und kompromisslos.

„Mr. Richardson, ich störe Sie nur ungern …“

„Nennen Sie mich Lee, Rhianna, und setzen Sie sich. Sie sehen aus, als hätten Sie schlechte Neuigkeiten für mich. Sagen Sie bloß nicht, Sie haben Ihr Selbstvertrauen verloren, das Sie am Flughafen noch mehr als reichlich verströmt haben.“

Wieder geschah es. Eben noch fühlte sie mit dem Mann – und im nächsten Augenblick sagte oder tat er etwas, das sie wie ein Schlag ins Gesicht traf.

Zögernd setzte sie sich. „Wie ich höre, scheine ich hier zwischen die Fronten geraten zu sein“, berichtete sie sachlich.

Lee runzelte die Stirn. „Wovon reden Sie?“

„Ich habe gerade Ihre … Stiefmutter kennengelernt. Sie hat mir klargemacht, dass sie hier die Entscheidungen trifft.“

Er presste die Lippen zusammen, und in seinen Augen erschien ein gereizter Ausdruck. „Nein, das tut sie nicht“, erklärte er eisig.

„Aber …“

Schroff unterbrach er sie: „Rhianna, was ich sage, gilt. Punkt.“

„Aber wenn sie hier wohnt, könnte das für mich zu peinlichen …“

„Sie wohnt hier nicht.“

„Tja, wenn Sie sich da sicher sind …“ Taktvoll schwieg sie und wechselte das Thema. „Also gut. Sie wollen ein raffiniertes Büfett für dreißig Leute. Das Problem ist allerdings, dass wir nicht einmal genau wissen, wie viele Gäste überhaupt kommen.“ Sie erzählte Lee, was sie von Sharon erfahren hatte, und teilte ihm auch mit, dass Mary einen Discjockey bestellt hatte.

„Verdammt!“, rief Lee aufgebracht.

„Das ist doch vielleicht nicht die schlechteste Idee – so langweilen sich die Gäste wenigstens nicht“, bemerkte Rhianna ironisch.

Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

„Soweit ich weiß, ist Ihre Schwägerin erst zweiundzwanzig, nicht wahr?“, sagte sie.

„Na und? Damit ist sie drei Jahre jünger als Sie.“

Gelassen zuckte Rhianna die Schultern. „Mary kann doch nichts dafür, dass sie in ihrem Leben bisher nur Glück hatte und keine Schwierigkeiten meistern musste.“ Vorsichtig setzte sie hinzu: „Im Übrigen scheint es ihr hier nicht zu gefallen.“

„Sprechen Sie weiter.“

„Nein. Schließlich geht mich das alles nichts an. Hören Sie, ich habe wirklich viel zu tun …“

„Sie fragen sich, wieso Mary dann überhaupt hier ist?“

„Ja“, gestand Rhianna.

„Ich finde es sinnvoll und gut, wenn einer von uns Söhnen auf Southall wohnt“, erklärte Lee nachdenklich. „Und da Sie es sowieso merken werden – Mary und mein Bruder brauchen ein stabiles Element in ihrer Ehe, einen ruhenden Pol … nicht das unbeständige Leben, das Mary vorschwebt.“

„Unbeständig?“

„Sie wollte in Brisbane oder an der Küste wohnen, um ihre Karriere vorantreiben zu können.“

„Ich wage kaum, es auszusprechen, aber heutzutage ist es nichts Außergewöhnliches, dass Frauen auch an ihre Karriere denken.“

Ihre Blicke trafen sich. Rhianna funkelte ihn angriffslustig an, während Lee mit einem Mal amüsiert wirkte.

Endlich sagte er: „Ehe Sie mich als hoffnungslosen Chauvi abstempeln, gebe ich zu, dass es heute meist so ist. Aber …“

„Sie wollen sagen, dass es Ihnen nicht gefällt?“, unterbrach Rhianna ihn trocken. „Das kommt aufs Gleiche raus.“

„Versuchen Sie nicht, mir irgendwelche Worte in den Mund zu legen“, riet er ihr wieder kühl. „Ich wollte sagen: Wenn Mary ihre Karriere und ihr bisheriges Leben unbedingt hätte beibehalten wollen, wäre es nur fair gewesen, auch an Matt, an seine Situation und seine Pläne zu denken, bevor sie ihn heiratet. Sie hätte sich seine Sicht der Dinge anhören sollen.“

Rhianna zog eine Augenbraue hoch. „Und wie ist Matts Sicht der Dinge?“

„Er trägt große Verantwortung und muss viel arbeiten.“

„Könnte er das nicht auch von einem Ort aus tun, wo sie sich eher zu Hause fühlt?“, gab Rhianna zu bedenken.

„Ja. Sicher. Aber er hat sechs Monate Urlaub genommen und viel Geld ausgegeben, um mit ihr um die Welt zu reisen. Da sollte sie doch auch etwas Rücksicht darauf nehmen, wo er leben möchte, und sich für seine Arbeit und seine Verpflichtungen interessieren.“ Er stockte. „Außerdem ist sie schwanger“, sagte er leise.

Rhianna seufzte. „Vielleicht haben Sie recht. Jedenfalls theoretisch. Doch mit Theorien kann man lebenshungrigen Menschen nicht immer beikommen.“ Sie lächelte schief. „Ich bin froh, dass das nicht mein Problem ist.“

„Sie hätten kein Problem damit?“

„Womit?“, fragte Rhianna vorsichtig.

„Für Sie wäre es keine Strafe, auf Southall zu leben?“

„Strafe?“ Verständnislos sah sie Lee an. „Eher im Gegenteil.“ Sie stand auf und ermahnte sich stumm, dass es hier nur um einen Job ging. „Wie dem auch sei … zurück zur Party. Das Büfett habe ich im Griff“, berichtete sie sachlich. „Das meiste kann heute Nachmittag vorbereitet werden, sodass es morgen nur noch erhitzt werden muss. Aber ich schlage vor, die Speisen statt im Esszimmer auf der Veranda zu servieren. Dort ist auch genug Platz zum Tanzen und für den Discjockey.“

„Da haben Sie recht. Wir haben einige Terrassenheizer, die wir notfalls aufstellen können, wenn es zu kühl wird.“

„Wunderbar! Sharon sagte, sie hätte für morgen zwei zusätzliche Küchenhilfen bestellt. Falls tatsächlich so viele Gäste kommen, könnte es allerdings sein, dass wir nicht genug Bedienungen haben. Dazu muss ich mir noch etwas einfallen lassen.“

„Hm … als meine Mutter noch lebte, hat Cliff manchmal gekellnert. Auch bei den Vorbereitungen für Partys hat er mit angepackt. Sicher ist er bereit, Ihnen zu helfen. Ein Freund von ihm ist ebenfalls ab und an eingesprungen. Ich organisiere das – aber unter einer Bedingung, Rhianna.“

„Und die wäre?“ Geistesabwesend sah sie Lee an, denn in Gedanken war sie längst bei den vielen Dingen, die es noch zu tun gab.

„Dass Sie als Gast an der Party teilnehmen und nicht hinter den Kulissen.“

Sie blickte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Das ist völlig unmöglich!“

Er schüttelte den Kopf.

„Dafür wird mir keine Sekunde Zeit bleiben!“

„Die Angestellten sind schließlich auch noch da“, gab er zu bedenken. „Gerade haben Sie mir von Sharons Planung erzählt – und dass das meiste schon am Vortag gekocht wird.“

„Mr. Richardson … Lee, ich möchte das nicht!“

Er zuckte die Schultern. „Dann sagen wir das Ganze ab.“

„Die Party?“

„Was sonst?“, fragte er trocken.

Hilflos sah Rhianna ihn an. Bei ihm schien sie gegen eine Mauer zu rennen. „Aber ich habe nichts anzuziehen“, versuchte sie, sich herauszureden.

„Typisch Frau“, murmelte Lee. „Ich bin sicher, Mary kann Ihnen mit etwas Passendem aushelfen.“

„Nein, bitte nicht! Ich … Warum wollen Sie unbedingt, dass ich mitfeiere?“

„Weil Sie an der Front sehr viel wirksamer als hinter den Kulissen agieren können.“

„Sie reden von mir wie von einem Feldmarschall“, hielt Rhianna ihm vor.

„Ach was! Sie sehen viel besser aus“, widersprach Lee. „Nein, verstehen Sie mich nicht falsch. Das gehört zu Ihrem Auftrag.“ Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß. In Jeans und Bluse wirkte sie jung und tatkräftig. Sie würde die Party zu einem Erfolg machen, selbst wenn sie hinter den Kulissen blieb. Warum wollte er sie also unbedingt dabeihaben? „Haben Sie Angst, Rhianna?“

„Angst?“, wiederholte sie verblüfft. „Wie meinen Sie das?“

„Dass Sie mir gegenüber nicht gleichgültig bleiben könnten?“

Ihr schoss das Blut in die Wangen. Mit einer heftigen Handbewegung strich sie sich das Haar hinters Ohr. Was sollte sie darauf antworten?

„Ich habe nämlich das Gefühl, dass heute Morgen zwischen uns mehr war.“ Lee lächelte leicht. „Zumindest bei mir.“

Rhianna wurde heiß und kalt. Sie schluckte. Niemals hätte sie zugegeben, dass auch sie dieses Knistern gespürt hatte.

Sollte sie es abstreiten? Würde Lee ihr glauben? Hatte sie sich durch ihr Zögern nicht bereits verraten?

„Rhianna?“, riss er sie aus ihren Gedanken.

Sie nahm sich zusammen und bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. Bloß nicht auf irgendwelche Wortgefechte oder Katz-und-Maus-Spiele mit ihm einlassen! Am besten, sie überging das Ganze einfach.

„Wie Sie meinen“, erwiderte sie schulterzuckend. „Sie sind der Chef. Und jetzt muss ich weiterarbeiten.“ Entschlossen drehte sie sich um und ging zur Tür.

„Finden Sie Ihre Antwort nicht etwas unehrlich und feige, Rhianna?“, fragte Lee.

Sie blieb stehen, wandte sich ihm langsam wieder zu. „Mr. Richardson, es ist mir gleichgültig, was Männer von mir denken – und zwar aus gutem Grund, glauben Sie mir. Falls Sie Ihre Worte also noch einmal überdenken wollen, können Sie das tun. Oder nicht. Wie auch immer – mir ist es egal.“

Einen Augenblick lang sahen sie einander schweigend an.

„Nein, ich stehe zu dem, was ich gesagt habe.“ Er ließ den Blick über ihren Körper schweifen. „Hm. Im Allgemeinen habe ich nichts gegen Frauen in Jeans, aber bei Ihnen finde ich es sträflich, solche Beine zu verstecken.“

Rhianna atmete tief durch. „Sie verschwenden nur Ihre Zeit“, warnte sie ihn.

„Das entscheide ich. Und nun lassen Sie sich von mir nicht von der Arbeit abhalten.“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Wenn Blicke töten könnten, läge ich jetzt zwei Meter unter der Erde.“

„Interessante Vorstellung“, erwiderte sie ironisch und verließ hoch erhobenen Hauptes den Raum.

3. KAPITEL

Sharon war wirklich nett.

Wehmütig hatte sie Rhianna während der Vorbereitungen für die Party von ihrem großen Vorbild Margaret Richardson erzählt. Sie wünschte sich, dass auf Southall der alte Geist einkehrte, nachdem die Familie das Anwesen jetzt wieder bewohnte.

„Margaret Richardson wusste immer genau, welche Speisen wann und wie zu servieren waren. Sie hat die Blumen selbst geschnitten und arrangiert, die Tische stilvoll gedeckt. Solange sie da war, haben die Hausangestellten fantastisch gearbeitet. Ich scheine nicht annähernd denselben Einfluss auf sie zu haben – und Mary erst recht nicht“, gestand sie Rhianna und wirkte geknickt.

Warmherzig lobte Rhianna ihre großartige Arbeit. Sie war kurz versucht, Sharon auf Andrea Richardson anzusprechen, die zusammen mit dem gelben Lamborghini verschwunden war. Doch schließlich entschied sie sich dagegen.

Stattdessen unterhielten sich die beiden Frauen über ihre Lieblingsrezepte, stellten fest, dass sie den gleichen Geschmack hatten, und arbeiteten einträchtig Hand in Hand.

Und endlich waren sie mit der Arbeit fertig. Eine verlockende Auswahl von Speisen stand auf den Anrichten und dem Küchentisch bereit. Das Essen musste nur noch über Nacht in die Kühlschränke gestellt und am nächsten Abend erhitzt werden.

„So.“ Zufrieden trat Rhianna einen Schritt zurück und schob sich das Haar hinters Ohr. „Das meiste muss vor dem Auftragen nur heiß gemacht und in den Servierbehältern warm gehalten werden.“ Stolz lächelte sie Sharon zu. „Das haben wir wirklich gut hinbekommen!“

„Ja, das finde ich auch“, gab diese ihr recht.

Kurz zuvor hatte Rhianna ihr bereits erklärt, dass sie selbst am nächsten Tag nicht viel in der Küche helfen könne, jedoch, sooft es ginge, hereinschauen würde.

„Und jetzt machen wir Feierabend.“ Rhianna nahm sich die Schürze ab und blickte auf die Uhr. Punkt fünf. „Danke, Sharon. Sie können gehen. Einen schönen Abend und bis morgen. Da haben wir einen langen, anstrengenden Tag vor uns. Wer passt eigentlich auf Ihr Kind auf, während Sie arbeiten?“

„Meine Mutter. Das ist kein Problem. Übrigens, ein Tipp für Lees Abendessen: Er ist ein großer Steakfan und …“

„Nein“, erklang in dem Moment eine Stimme. „Für heute Abend hat Lee sich etwas anderes ausgedacht.“ Lässig schlenderte Lee in die Küche. „Ich möchte Ihnen das hier geben, Sharon. Es ist eine kleine Anerkennung für Ihre Mühe.“ Er drückte ihr einen Umschlag in die Hand. „Darin ist auch etwas für Ihre Mutter.“

„Oh … das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen“, bedankte Sharon sich leicht verlegen.

„Oh doch.“ Sanft, aber bestimmt schob Lee sie zur Tür.

Als sie gegangen war, sah Rhianna Lee an. „Das war sehr nett von Ihnen, Lee. Sharon ist eine unglaublich tüchtige Frau, die Sie unbedingt halten sollten.“ Sie räusperte sich. „Wenn ich Sie recht verstanden habe, gehen Sie heute Abend auswärts essen?“

„Wir gehen essen.“

„Wir? Wen meinen Sie?“

Suchend blickte Lee sich um. „Hier sind nur Sie und ich, Rhianna. Also dürfte es sich um uns beide handeln.“

„Aber ich möchte nicht ausgehen“, begehrte sie auf. „Und Sie haben mich auch nicht eingeladen.“

„Dann lade ich Sie jetzt ein. Und ein Nein gibt es bei mir nicht, Miss Fairfax. Wir gehen in ein Restaurant im Ort. Jemand, der so viel gekocht hat wie Sie heute, hat bestimmt keine Lust mehr, noch weiter am Herd zu stehen. Außerdem möchte ich durch die Einladung erreichen, dass Sie endlich aufhören, sich zu wünschen, ich wäre tot.“

Rhianna biss die Zähne zusammen. „Das habe ich nicht gesagt.“

„Mich zwei Meter unter die Erde zu wünschen läuft auf das Gleiche hinaus“, brummte Lee.

„Sie waren es, der …“ Sie verstummte. „Na gut. Ich habe vielleicht …“

„Ja, Sie haben.“

„So habe ich es nicht gemeint. Sind Sie nun zufrieden?“ Resigniert sah sie Lee an.

„Nur wenn Sie mit mir essen gehen.“ Er lehnte sich an die Küchenanrichte und verschränkte die Arme vor der Brust.

Als Rhianna seufzte, ging er zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Wein heraus, schenkte ein Glas ein und reichte es ihr.

„Gönnen Sie sich ein heißes Bad, waschen Sie sich die Haare, machen Sie einfach das, was Frauen so tun. In dem Restaurant, das wir besuchen, geht es ungezwungen zu. Das Essen ist ausgezeichnet. Wir fahren um halb sieben los. Und sagen Sie nicht Nein, sonst komme ich ins Bad und helfe Ihnen.“

Rhianna warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

Lee lachte leise und hob beschwichtigend die Hände. „Andererseits habe ich schon geduscht und mich umgezogen.“

„Ich wusste, dass Sie das nicht ernst meinen.“

Er lächelte. „Darauf würde ich es lieber nicht ankommen lassen, Rhianna. Ich wette, dass Sie es auch genießen würden.“

Ihre Blicke begegneten sich, und sie stellte sich vor, wie es wäre, mit Lee unter der Dusche zu stehen, während er sie einseifte und …

Sie rief sich zur Ordnung und verbannte das Bild. Wortlos drehte sie sich um und verließ die Küche.

„War doch keine so schlechte Idee, essen zu gehen, finden Sie nicht auch, Rhianna?“, fragte Lee. Gelöst saßen die beiden sich auf der Veranda des Restaurants an einem Tisch gegenüber. Eine Öllampe verströmte ihr weiches Licht.

„Nein“, musste Rhianna zugeben. Nun musste sie doch lächeln. „Offen gestanden, war ich inzwischen richtig hungrig.“

„Das wundert mich, denn eine leidenschaftliche Köchin wie Sie kommt doch ständig in Versuchung, von den Speisen zu kosten.“

„Ja, das ist wahr.“ Sie ergriff ihr Weinglas. „Es gehört ein starker Wille dazu, der Versuchung zu widerstehen.“

„Den haben Sie, Rhianna – und nicht nur, wenn es ums Kochen geht.“

„Mag sein. Das Gleiche könnte ich aber auch von Ihnen sagen.“

Lee zog eine Augenbraue hoch. „Tauschen wir gerade wieder ‚Nettigkeiten‘ aus?“, fragte er ironisch.

Sie trank einen Schluck Wein und sah ihn unschuldig an. „Keine Ahnung. Tun wir das?“

Unvermittelt lächelte er auf jene Weise, die sie völlig durcheinanderbrachte. „Ich denke schon. Und ich glaube, wir genießen es sogar. Aber: Vorsicht. So ein Krieg kann leicht gefährlich werden …“

Sie erwischte sich dabei, wie sie versonnen sein Gesicht, seine gebräunte Haut musterte. Abrupt wandte sie den Blick ab. „Könnten wir über etwas anderes reden?“

„Sicher.“ Er zuckte die Schultern. „Was schlagen Sie vor?“

Einen Moment lang zögerte sie. „Erzählen Sie mir aus Ihrem Leben.“

„Tja … das hat sich seit dem Tod meines Vaters radikal geändert. Früher verbrachte ich die meiste Zeit im Outback, während ich heutzutage hauptsächlich im Büro der Firmenzentrale arbeite.“ Lee schwieg und runzelte kurz die Stirn. „Haben Sie eine Vorstellung vom Leben im Landesinneren?“

Nachdenklich sah Rhianna ihn an. „Dazu fallen mir spontan die zahlreichen Viehranches ein. Ich habe mal herrliche Ferien auf Beaufort verbracht, einer Ranch in Kimberley. Sie gehört der Familie Constantin. Dort hatte ich viel Spaß.“

„Das glaube ich gern. Tatiana und Alex Constantin sind Freunde von mir. Er besitzt nicht nur riesige Viehherden, sondern ist auch groß im Perlengeschäft.“

„Oh ja. Zu meinem achtzehnten Geburtstag haben meine Eltern mir eine Kette aus Südseeperlen geschenkt, die sie bei ihm bestellt hatten. Sie war wunderschön. Später musste ich sie leider verkaufen. Das ist mir sehr schwergefallen“, gestand sie. Dann lächelte sie wieder. „Aber ich fand es einfach toll im Outback, besonders weil ich dort reiten konnte … Was ist?“, fragte sie, als sie bemerkte, dass Lee sie gebannt ansah.

„Sie finden Viehranches also nicht staubig und langweilig?“

„Du meine Güte, nein! Warum fragen Sie?“

„Nur so.“ Ihre leuchtenden Augen sagten ihm alles. „Mary hasst das Leben im Outback.“

Rhianna lächelte amüsiert. „Ehrlich gesagt, tut Mary mir leid, obwohl ich sie gar nicht kenne. Sie scheint ziemliche Probleme zu haben.“

„Oh, ich würde schon sagen, Mary kann auf ihre Art sehr gut auf sich selbst aufpassen. Ach, übrigens – was hat denn meine Stiefmutter heute Nachmittag eigentlich zu Ihnen gesagt?“

Rhianna zögerte. Sie wollte in diese Angelegenheiten nicht mit hineingezogen werden. Doch ihre Antwort schien Lee sehr wichtig zu sein. „Sie … na ja, offenbar war sie wütend. Vermutlich weil vor allem Sie in ihr die böse Stiefmutter sehen, die sich ganz raffiniert und mit jeder Menge Hintergedanken Ihren Vater geangelt hat“, erklärte Rhianna unbehaglich.

„Aber das ist noch nicht alles?“ Abwartend sah Lee sie an.

„Ich glaube, sie hat …“ Sie hob abwehrend die Hände. „Hören Sie, das geht mich alles gar nichts an.“ Als sie bemerkte, dass er sie noch immer erwartungsvoll anblickte, seufzte sie und fuhr fort: „Offenbar glaubt sie, dass sie auch ein Recht auf einen Platz auf Southall hat.“

Schweigend starrte Lee ins Leere.

Rhianna trank ihren Wein aus. Sie kämpfte mit sich, doch schließlich trug die Neugier den Sieg davon. „Was … macht Andrea zurzeit?“

Endlich sah Lee sie wieder an. „Wenn sie nicht gerade wieder Ärger macht, meinen Sie? Nicht viel. Sie pendelt zwischen Südfrankreich und Australien hin und her. Aber sie ist der Meinung, dass Southall ihr Zuhause sein sollte.“

Befremdet fragte Rhianna: „Was für Ärger? Und warum verhält sie sich so?“

„Sie spannt Mary geschickt für ihre Zwecke ein. Außerdem gibt es im Testament meines Vaters eine Klausel, nach der ihr unter bestimmten Bedingungen ein Wohnrecht auf Southall zusteht.“

Autor

Lindsay Armstrong

Lindsay Armstrong wurde in Südafrika geboren, und bis heute fasziniert sie der Kontinent sehr. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später machen wollte: Sie war entschlossen, Schriftstellerin zu werden, viel zu reisen und als Wildhüterin zu arbeiten.

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