Julia Exklusiv Band 318

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COCKTAILS UND HEISSE KÜSSE von NATALIE ANDERSON
An meinem Geburtstag allein an einer Hotelbar - wie typisch für mich! denkt Isabella traurig. Doch dann entdeckt sie in dem schummrigen Raum einen umwerfenden Fremden, der sie mit Blicken auszieht. Und noch bevor es Mitternacht schlägt, lädt dieser Traummann sie in seine Suite ein …

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Bei einem Autounfall wurde seine Verlobte Holly getötet und der reiche Rinderbaron Finn McLeod schwer verletzt. Jetzt vollbringt die junge Physiotherapeutin Sienna ein Wunder: Sie heilt nicht nur seinen Körper, sondern auch sein geschundenes Herz! Aber hat ihre Liebe eine Zukunft?

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  • Erscheinungstag 06.12.2019
  • Bandnummer 318
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713300
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natalie Anderson, Lindsay Armstrong, Hannah Bernard

JULIA EXKLUSIV BAND 318

1. KAPITEL

Sexmaschine oder El Diablo? Schwierige Entscheidung … und ausgerechnet heute haderte Bella mit Entscheidungen. Die Namen waren so zweideutig, sie war sich nicht sicher, ob sie eine Bestellung ohne zu erröten zustande bringen würde. Vor allem, weil sie alleine in dieser Bar saß – an einem Freitagabend.

Der Barkeeper würde bestimmt glauben, sie wolle ihn anmachen. Doch der Anblick der vielen hinter der Theke aufgereihten Flaschen mit ihren bunten Flüssigkeiten kitzelte ihre Geschmacksknospen. Es war eine Weile her, dass sie etwas anderes genossen hatte als den billigsten Rotwein, den es im Supermarkt gab. Zur Feier dieses Tages durfte sie doch etwas Außergewöhnliches trinken, oder? Und da dieses Wochenende bereits ein ordentliches Loch in ihre Ersparnisse gebrannt hatte, konnte sie daraus genauso gut einen Krater machen.

Sie senkte den Blick auf die Cocktailkarte, las jedoch nicht weiter. Den ganzen Tag hatte sie darauf gewartet, dass jemand die Worte sagte. Irgendjemand! Sie erwartete ja keine Party. Vitas Hochzeit zu organisieren, beanspruchte halt alle voll und ganz. Aber wenigstens einer hätte doch daran denken können!

Aber weit gefehlt. Sie war einfach nur da, wie immer im Hintergrund. Jederzeit abrufbereit. Doch wenn sie nicht gebraucht wurde, beachtete man sie auch nicht. Erst wenn sie die nächste Katastrophe auslöste, erinnerte man sich an sie.

Für das Wochenende hatte Bella sich indes fest vorgenommen, jede Katastrophe zu vermeiden. Morgen war Vitas Tag. Ihre kleine Schwester sollte eine tolle Zeit haben.

Sich um die Dekorationen zu kümmern, schien ihr die beste Idee zu sein. Auf diese Weise würde sie mit den anderen nicht viel zu tun haben. Ehrlich gesagt, fühlte Bella sich bei den Kellnerinnen und Angestellten des exklusiven Resorts wohler als bei ihrer eigenen Familie und deren Freunden.

Als sie sich um die Mittagszeit eine Pause gegönnt hatte, entdeckte sie ihre Angehörigen den Strand entlangschlendern. Es schien, als würde auf der kleinen Insel Waiheke eine Versammlung von Buchhaltern stattfinden – was der Wahrheit sehr nahe kam.

Sie wirkten alle wie Klone. Alle bevorzugten dieselbe legere Freizeitkleidung. Die Männer beige Hosen und hellblaue Pullover. Auch morgen würden sie wieder Beige tragen, nur diesmal mit weißen Hemden kombiniert. Anschließend würden sie in ihre dreiviertellangen Strandhosen schlüpfen, dazu farbenfrohe Hawaiihemden wählen und die bleichen Füße in braune Männersandalen stecken. Alle trugen kurz geschnittene Haare und sehr teure Sonnenbrillen.

Die Frauen benutzten ihre noch teureren Sonnenbrillen, um ihre langen glänzenden Haare zurückzuschieben. Ihre schlanken glamourösen Cousinen, ihre Schwester. Sie glichen wie ein Ei dem anderen. Alle waren unglaublich erfolgreich – wenn man Geld, Karriere und das Finden eines unglaublich passenden Partners als Erfolg bezeichnen wollte.

Ein einziges Mal hatte Bella versucht diesen Lebensstil zu kopieren. Sie war mit einem Mann ausgegangen, den ihre Familie weit höher schätzte als sie. Es war ein Desaster geworden. Trotzdem mochte niemand glauben, dass Bella die Beziehung beendet hatte.

Irgendwann am frühen Abend, nachdem alle Stühle von ihr liebevoll mit filigranen Bändern verziert worden waren, hatte Bella beschlossen, in die Hotelbar zu gehen. Sie würde feiern. Auf ein weiteres Jahr anstoßen. Das Glas auf die Erfolge im letzten erheben. Auch wenn niemand ihr dabei Gesellschaft leistete. Selbst wenn es gar nicht viele Erfolge gab.

Während sie darauf wartete, ihre Bestellung aufzugeben, vermied sie es, sich umzusehen. Stattdessen tat sie so, als sei sie sehr zufrieden damit, alleine zu sein. Sie würde eine Frau von Welt spielen, die das Leben in vollen Zügen genoss. Eine gute Übung für morgen, wenn sie auf Rex und Celia stieß. Das war das Gute am Beruf einer Schauspielerin: Man lernte, andere zu täuschen.

Murmelnd las Bella in der Cocktailkarte. „Will ich einen Sex on the Beach oder einen Screaming Orgasm?“

„Musst du da wirklich überlegen?“

Abrupt wandte sie den Kopf. Ein Mann stand neben ihr. Ein unglaublich gut aussehender Mann, den sie noch nie vorher gesehen hatte – an jemanden wie ihn würde sie sich erinnern. Groß und dunkel und mit ganz erstaunlich blauen Augen.

„Ich dachte, eine Frau wie du würde immer beides wollen.“

Sex on the Beach und einen Screaming Orgasm?“

Er musste der einzige Mensch auf der Insel sein, der nichts mit der Hochzeit zu tun hatte. Oder vielleicht doch? Vielleicht war er der Begleiter einer ihrer Cousinen. Einen Sekundenbruchteil empfand sie Enttäuschung. Dann musterte sie ihn noch einmal. Kein Armanianzug – und als Begleiter einer ihrer Cousinen hätte er definitiv in einem Designeranzug gesteckt. Und er würde sich jetzt im Schlepptau seiner Verabredung befinden, nicht alleine in einer Bar.

Nein, er trug Jeans. Um die Knöchel herum waren die Hosenbeine nass, als sei er durchs Wasser geschlendert. An den Füßen sah sie ein wenig verschlissene Segeltuchschuhe. Ein hellgraues T-Shirt mit langen Ärmeln verbarg seinen Oberkörper. Der angedeutete V-Ausschnitt offenbarte ein sonnengebräuntes Dreieck am Hals. Wie erleichternd, endlich jemand in einem richtigen Freizeitoutfit zu sehen, nicht jemanden, der nur die Höhe seines Bankkontos zur Show stellen wollte!

Er lächelte. Dann ließ er seinen Blick ungeniert über ihren Körper wandern.

Plötzlich war ihr unbehaglich zumute. Nicht zum ersten Mal wünschte sie, sie hätte das Gen für Glamour geerbt, auf das ihre restliche Familie sich in puncto Stilsicherheit verlassen konnte. Wohingegen sie von der Arbeit verschwitzt war, Moskitostiche aufwies sowie einen auffälligen Streifen Sonnenbrand, der sich über ihre Schulter zog. Die weit ausgeschnittene Bluse besaß einen leichten Grauschleier, und der feuerwehrrote Saum ihres Rockes löste sich allmählich. Aber so war das nun mal, wenn man Secondhandklamotten trug.

Dabei gehörte das Ensemble noch zu ihren besseren Stücken. Sogar das Hotelbügeleisen hatte sie ausgeliehen – ein echtes Zugeständnis an ihre Familie. Sie schaffte es immer, sich zu verbrennen, sobald sie dem heißen Eisen zu nahe kam. Der heutige Tag bildete keine Ausnahme. Da gab es eine kleine, sehr rote, sehr schmerzhafte Wunde an ihrem Ellenbogen.

Bellas Blick glitt zu dem markanten Kinn des Fremden. Plötzlich wünschte sie, sie hätte die Mühe auf sich genommen, sich in ihrem Bungalow ein bisschen zurechtzumachen. Heute Morgen hatte sie die Wimpern getuscht, die Lippen mit einem Hauch Gloss geschminkt. Beides hatte sich zweifellos längst verflüchtigt. Und trotzdem hatte der Fremde gerade sie angesprochen?

Unauffällig schaute sie sich um. Außer ihr befand sich keine andere Frau im Raum.

Er machte also nur Small Talk mit der einzigen anwesenden Frau.

Der Barkeeper näherte sich ihnen, und Bella stellte sich der Herausforderung. Eine Frau von Welt würde das tun. Sie nahm all ihren Mut zusammen, befahl ihren Wangen, nicht zu erröten, und sagte: „Einen Sex on the Beach und einen Screaming Orgasm bitte.“

Sie schaute den Mann neben sich nicht an, spürte jedoch sein anerkennendes Lächeln – hörte es in seiner Stimme, als er seine Bestellung aufgab.

„Ich nehme zwei Screaming Orgasms und einen Sex on the Beach.“

Interessiert beobachtete Bella, wie der Barkeeper fünf kleine Gläser auf der Theke aufbaute. Cocktails in Schnapsgläsern war die Spezialität des Hotels: Kein überflüssiger Schnickschnack, das Alkoholgemisch wurde auf das Wesentliche reduziert.

Auf keinen Fall wollte sie in die Augen des Fremden schauen, weil sie fürchtete, in ihnen zu ertrinken. Ein Blick aus den Augenwinkeln erwies sich in dieser Situation als hilfreich. Anscheinend bewegungslos den Barkeeper beobachtend, war ihre gesamte Aufmerksamkeit in Wirklichkeit auf den Mann neben sich gerichtet, der gerade einen Barhocker zurechtschob und sich darauf niederließ. Die feine Berührung reichte aus, um Bella eine Ahnung von den Muskeln zu verschaffen, die sich unter der Jeans verbargen.

Schweigend hob sie ihr erstes Glas. Doch der Fremde legte eine Hand über ihre und zwang sie, das Glas wieder abzustellen. Ob er bemerkt hatte, dass ihre Hände zitterten? Sie erlaubte sich einen Moment, sich zu sammeln, bevor sie ihn mit – wie sie hoffte – dezenter Neugier musterte.

Etwas funkelte in seinen blauen Augen auf. „Erst den Screaming Orgasm.“

Sie errötete bis in die Haarspitzen.

Das Funkeln wurde strahlender. „Schließlich kannst du später immer noch einen zweiten bekommen.“

Sie starrte ihn an, worauf er ihr das verführerischste Lächeln schenkte, das sie je gesehen hatte. Beinahe ohne zu denken umfasste sie das nächste Glas.

„Was ist mit dir?“ Warum klang ihre Stimme auf einmal ganz rau?

„Ein Gentleman lässt einer Dame immer den Vortritt.“

Also hob sie ihr Glas, überrascht, dass ihre Hände jetzt ganz ruhig waren. In einer raschen Bewegung warf sie den Kopf in den Nacken und leerte den Cocktail in einem Zug.

Eine schelmische Note trat in das Lächeln des Fremden. Er erhob sein Glas und wartete, bis sie es ihm gleichtat. Bella schaute ihm in die Augen und setzte ihren Drink an die Lippen. Gleichzeitig warfen sie den Kopf zurück und tranken.

Der Mann knallte sein Glas auf den Tresen und griff nach dem nächsten. Dann deutete er mit einem Nicken auf den letzten Cocktail.

„Du weißt, dass der für dich ist.“

Sie konnte nicht ablehnen. Tatsächlich konnte sie nicht einmal sprechen, so sehr brannte der Alkohol in ihrer Kehle. Also ergriff sie auch dieses Glas, schaute den Fremden an und trank.

Diesmal dauerte es viel länger, bis sie wieder normal atmen konnte. Einen Moment starrte sie die fünf nun leeren Gläser an.

Der Mann lächelte nicht mehr. Doch sein Blick suchte den ihren. Und die Wärme in seinen Augen empfand sie als wohltuend und anziehend. Wieder durchfuhr sie jenes seltsame Prickeln, das sie schon am Anfang ihrer Begegnung verspürt hatte.

Wow. Sein Blick streifte ihren Mund, als wüsste er um ihre sinnlichen Empfindungen.

Blinzelnd presste sie die Lippen zusammen, damit das leise Wispern der Verführung endlich aufhörte, und widmete sich wieder der nachdenklichen Betrachtung der leeren Gläser vor sich. Sie hätte den Mann nicht anschauen dürfen!

„Danke“, stieß sie hervor, während sie ihn erneut aus den Augenwinkeln beobachtete.

Er zuckte bloß die Schultern. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Plötzlich war die Atmosphäre nicht mehr ganz so angespannt. Bella fragte sich schon, ob sie nicht dem Augenblick zu viel Bedeutung beigemessen hatte.

Doch dann beschloss sie, dass heute alles möglich war. Alles, was sie wollte, konnte ihr gehören. Immerhin spielte sie nur die Frau von Welt, oder?

„Feierst du, oder ertränkst du einen Kummer?“ Wieder blitzte dieses sorglose Lächeln auf. Und das gab ihr das Selbstverstrauen, das sie bislang nur vortäuschte.

„Ich feiere.“ Sie wandte sich zu ihm um.

Der Mann zog die Augenbrauen hoch. Bella verstand seine Überraschung nur zu gut. Menschen feierten normalerweise nicht ganz allein.

„Ich habe heute Geburtstag.“

„Oh? Welchen?“

Wusste dieser attraktive Fremde nicht, dass es unhöflich war, eine Frau nach ihrem Alter zu fragen? Beinahe hätte sie laut gekichert. Doch er sah so gut aus, dass sie ihm sofort verzieh. „Meinen Flirzigsten.“

„Wie bitte?“ Wieder zuckten seine Mundwinkel.

„Meinen Flirzigsten.“ Dann machte sie sich eben zum Trottel. Was kümmerte es sie? Diese Nacht gehörte ihr, und sie konnte mit ihr tun, was sie wollte – sogar mit fremden Männern flirten!

„Entweder lügst du, oder du lispelst. Ich denke, beides.“ Noch ein Lächeln.

Was Bella jedoch als ganz und gar nicht beleidigend empfand. Dann lachte er eben über sie. Zu sehen, wie das Lachen seine Augen erreichte, machte jede Dummheit wett.

„Wie viele hattest du schon?“, fragte er. „Deine Sprachfähigkeit scheint ein wenig gelitten zu haben.“

Bella zwang sich zu blinzeln. Es fiel ihr sehr schwer, ihn nicht anzusehen. Sein Gesicht schien ihre Aufmerksamkeit wie magisch anzuziehen und für immer zu fesseln. „Das waren meine ersten.“

„Und deine letzten.“ Er winkte dem Barkeeper. „Eine Weißweinschorle, bitte.“

„Wieso denn eine Schorle?“, protestierte sie, ohne auf seine weitere Bestellung zu achten. Unvermittelt überkam sie das Bedürfnis nach etwas Stärkerem, etwas, das ihr wirklich den Atem raubte. Sie sehnte sich nach dem Geschmack von Feuer, um die Bitterkeit der Enttäuschung auszulöschen.

„Das ist nicht wahr. Und jetzt sag mir, warum du hier ganz alleine feierst.“

Er wäre durchaus geeignet. Die blauen Augen konnten hell wie Feuer brennen.

„Ich bin nicht allein. Meine Familie ist auch hier. Morgen heiratet meine Schwester.“

Der Fremde zog die Brauen hoch. „Warum feiern sie dann nicht deinen Geburtstag mit dir?“

Bella zögerte. Gestand sie ihm die Wahrheit, würde ihm schnell klar werden, dass er es nicht wirklich mit einer Frau von Welt zu tun hatte. Trotzdem entschied sie sich dafür. „Sie haben es vergessen.“

„Aha.“ Ein halbes Lächeln erschien um seine Mundwinkel.

„Alle sind mit der Hochzeit beschäftigt“, erwiderte sie schulterzuckend.

Die Schorle wurde gebracht, dazu eine Flasche Wein für ihn und zwei Gläser mit Wasser.

„Erzähl mir von der Hochzeit.“ Er sprach Hochzeit so aus, als sei es ein schlimmes Wort.

„Was gibt es da zu erzählen? Sie ist hinreißend. Er ist hinreißend. Ein erfolgreicher, wohlhabender, netter Kerl.“

Der Fremde beugte sich ein wenig vor. „Höre ich da einen Hauch Eifersucht?“

„Nein!“ Vehement schüttelte sie den Kopf. Sie war nicht eifersüchtig auf Vita, ganz bestimmt nicht. Sie freute sich für ihre Schwester. Und Hamish wollte sie nicht einmal geschenkt haben. „Er ist solide und verlässlich“, sprudelte es aus ihr heraus. „Anständig.“

„Magst du anständig nicht?“

Sie dachte darüber nach. Hamish war ein netter Mensch. Und er vergötterte Vita. Aber … „Ich mag einen Mann, der mich zum Lachen bringt.“

„Ist das so?“ Doch er war der Einzige, der lachte. Ein tiefes samtiges Lachen, in das sie gerne eingestimmt hätte, wäre sie nicht gerade in Selbstmitleid versunken. Er wurde wieder ernst. „Was ist deine Rolle bei der Hochzeit?“

„Erste Brautjungfer“, erklärte sie unglücklich.

Wieder ließ er sein warmes Lachen erklingen.

„Du hast gut lachen“, empörte sie sich. „Du warst noch nie Brautjungfer.“

„Und du?“

Bella nickte. „Ich weiß alles darüber. Morgen wird mein viertes Mal sein.“

Und, ja, sie kannte auch das Sprichwort. Immer Brautjungfer, niemals … und so weiter. Ihre Tanten würden sie morgen garantiert daran erinnern. Ihre vier Brüder hatten schon vor Jahren die passende Partnerin gefunden, morgen trat ihre kleine Schwester vor den Traualter. Sie war der einzige Single der Familie.

„Was ist mit dem Trauzeugen?“

Unweigerlich zuckte sie zusammen. Rex. Wie unglückselig, dass Hamishs bester Freund ausgerechnet der Mann war, den Bella sich damals in einem schwachen Moment ausgesucht hatte, um ihrer Familie eine Freude zu machen.

„So schlimm, ja?“

„Schlimmer.“ Denn nachdem sie die Beziehung beendet hatte, war er mit Celia ausgegangen, der perfektesten aller Cousinen. Auch deshalb glaubte niemand, dass sie einen Traummann wie Rex verlassen hatte, was ihr nur noch mehr Mitleid, noch mehr Kopfschütteln einbrachte.

Nicht nur schaffte sie es nicht, sich eine anständige Arbeit zu suchen, jetzt gelang es ihr nicht einmal, einen anständigen Mann zu halten. So war es kein Wunder, dass ihr Vater sie noch immer wie ein Kind behandelte. Insgeheim vermutete sie, dass sie genau das trotz ihres Universitätsabschlusses und der breiten Palette an Teilzeitjobs auch war. Sie wohnte immer noch bei ihren Eltern und war, was die alltäglichen Dinge des Lebens, wie Essen, anging, von ihnen abhängig.

„Also.“ Ihr charmanter Trinkgenosse lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Lade mich ein.“

„Wie bitte?“

„Du bist die erste Brautjungfer. Du kannst nicht ohne Verabredung zu einer Hochzeit gehen.“

„Ich werde noch nicht einen völligen Fremden zur Hochzeit meiner Schwester mitbringen.“

„Warum nicht? Das macht die Sache doch sehr interessant.“

„Wieso? Weil du in Wirklichkeit ein Verrückter bist, der Chaos und Schrecken verbreitet?“

Er lachte. „Es ist ziemlich offensichtlich, dass du dich nicht auf morgen freust. Deine Familie hat deinen Geburtstag vergessen. Hier geht es nicht um sie, sondern darum, was du willst. Tu etwas, das du für verlockend hältst.“

„So, so. Du hältst dich also für verlockend?“ Okay, das war er definitiv. Allerdings brauchte sie ihm das ja nicht auf die Nase zu binden.

Fast verschwörerisch raunte er ihr zu: „Ich glaube, dir gefällt der Gedanke, etwas Unerwartetes zu tun.“

Er forderte sie heraus! Beinahe hätte Bella gelächelt. Die Idee sagte ihr tatsächlich zu. Das Unerwartete zu tun war das Motto dieses Abends – ihres Lebens, um genau zu sein. Wie wundervoll wäre es, zur Hochzeit ihrer Schwester am Arm des attraktivsten Mannes zu kommen, den sie je gesehen hatte! Was für eine großartige Vorstellung.

Unvermittelt überkam sie ein Anflug vom Konservatismus ihres Vaters … oder Realismus. „Ich kann dich nicht einladen. Ich weiß doch gar nicht, wer du bist.“

Er lehnte sich noch einen Zentimeter vor. „Dir bleibt die ganze Nacht, mich kennenzulernen.“

2. KAPITEL

Die ganze Nacht? Nun waren es Bella, die laut lachte.

„Komm schon. Frag mich etwas.“

Allmählich fiel es ihr immer schwerer, seinem eindringlichen Blick standzuhalten. Verunsichert senkte sie den Kopf und konzentrierte sich auf das Gespräch.

„Na gut. Bist du verheiratet?“ Besser, gleich die Grundlagen zu klären.

„Bin ich nicht, werde ich nie sein.“

Aha. „Lebensgefährtin?“

„Um Himmels willen, nein.“

Bella hielt inne. Er ließ sie ganz genau wissen, was er von Beziehungen hielt. Ein übermütiger Funke tanzte in seinen Augen. Sie wusste, dass er sie herausforderte, ihn auf die Probe zu stellen.

„Schwul?“, fragte sie fröhlich.

Er schaute sie auf selbstgefällige Weise belustigt an. „Verlässt du dich auf mein Wort, oder brauchst du Beweise?“

Na, wenn das keine Herausforderung war! Noch war sie dafür allerdings nicht bereit.

„Krankheiten?“

„Ich glaube, väterlicherseits gibt es Diabetes in der Familie, die jedoch erst im Alter ausbricht.“

Immer noch weigerte sie sich zu lächeln, fest entschlossen, seine Schwachstelle zu finden. Irgendwie musste sie doch die Oberhand gewinnen. „Womit verdienst du deinen Lebensunterhalt?“

„Ich arbeite mit Computern.“

Herrje, beinahe hätte sie entrüstet geschnaubt. Das konnte ja alles bedeuten. „Computer? Wie Programmieren?“

Zum ersten Mal glitt sein Blick von ihr ab. „Etwas in der Art.“

„Aha, aha, aha.“ Sie nickte, als ergebe alles nun einen Sinn. Dann zog sie die Nase kraus.

„Was, aha?“ Er straffte den Rücken. „Warum die Empörung?“

Das war ihr Stichwort. „Wusstest du, dass die meisten Menschen, die Pornos aus dem Internet laden, männliche Computerfanatiker zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig sind, die noch nie eine Freundin hatten? Ich wette, du stehst auf Computerspiele, in denen die Heldinnen mit riesiger Oberweite und martialischen Waffen unterwegs sind und dank ihrer unglaublich schlanken Taille fünf Auftragskiller in unter drei Sekunden ausschalten können.“ Bella hielt inne, um Atem zu schöpfen und zu sehen, wie er nun auf ihre Herausforderung reagierte.

„Aha“, erwiderte er gedehnt. Sein Lächeln wurde breiter, seine Augen versprachen grauenhafte Rache. „Ich muss dich enttäuschen, das bin ich nicht.“

„Meinst du?“, fragte sie unschuldig.

„Ich bin Single, ich bin ein Mann, ich arbeite mit Computern, und ich bin zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig. Aber ich brauche keine Pornos aus dem Internet zu laden, weil …“, er beugte sich vor und flüsterte, „… ich durchaus schon Freundinnen hatte.“

Auch Bella rückte ein Stückchen näher und flüsterte zurück: „Und das soll ich dir glauben?“ Zugegeben, er sah tatsächlich nicht aus wie ein Computerfreak, der noch nie geküsst hatte, aber sie konnte ganz gut bluffen.

Lachend drehte er den Spieß um. „Sollte ich dann nicht eine Brille tragen und lange fettige Haare haben?“

Sein Haar war kurz geschnitten und vom Wind zerzaust, seine Augen funkelten hell und strahlend. Plötzlich blitzten sie auf, als sei ihm eine Idee gekommen.

„Besitzen Computerfreaks solche Muskeln?“ Mit einer Hand klopfte er auf seinen Bizeps. „Na los, fühl mal.“

Weigern konnte sie sich wohl schlecht, schließlich hatte sie ihn zuerst provoziert. Also streckte sie zögernd die Hand aus und stupste mit einem Finger gegen seinen Oberarm. Er fühlte sich hart wie Stein an. Fasziniert unternahm sie einen zweiten Versuch. Diesmal spreizte sie die Finger und presste sie gegen den hellgrauen Ärmelstoff. Darunter waren ebenfalls echte Muskeln zu spüren. Und was für welche! Unvermittelt überkam sie der Drang zu erkunden …

Doch sie zog die Hand zurück, denn auf einmal flammte ein Feuer tief in ihrem Inneren auf. Bestimmt war sie rot bis in die Haarspitzen. Hastig trank Bella einen Schluck von ihrer Weinschorle.

Sein Habe-ich-es-dir-doch-gesagt-Blick folgte ihr.

Bella rümpfte die Nase. „Wahrscheinlich trägst du einen Ganzkörperanzug unter deinem Shirt.“ Ja, klar … sie klammerte sich an jeden Strohhalm.

„Okay“, erwiderte er ruhig. „Fühl die mal.“ Er griff nach Bellas Hand, hob den Bund des Shirts hoch, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er ihre Handfläche auf seine Bauchmuskeln gelegt.

Okay? Verdammt ja, okay!

Bella erstarrte. In ihrem Kopf herrschte absolute Leere. Ihr Körper versteifte sich, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Nur in ihrer Hand schien noch Leben zu pulsieren.

Die Haut an seinem Bauch fühlte sich warm an. Die weichen Härchen drückten gegen ihre Handfläche. Und darunter spürte Bella wundervoll harte Muskeln. Dieser Körper gehörte keinem verweichlichten Computerkind, das Stunden vor dem Monitor verbrachte. Es war auch nicht irgendein Männerkörper. Das war ein fitter, superfitter Männerkörper.

Es kribbelte ihr in den Fingerspitzen, auf Entdeckungstour zu gehen. Wenn sie den Daumen nur einen Zentimeter bewegte, könnte sie die Stelle gleich unterhalb seines Nabels erreichen. Abrupt zog Bella ihre Hand zurück – solange sie sich noch halbwegs unter Kontrolle hatte.

Sein Lächeln wurde noch schelmischer, während die Hitze in ihren Wangen allmählich unerträglich brannte. „Und was ist mit meiner Bräune, hm?“ Er schob den Ärmel zurück und enthüllte einen bronzefarbenen Unterarm.

Bella starrte auf den Arm, auf die feinen Härchen, auf die Bewegungen der Muskeln, wenn er die Hand zur Faust ballte, auf die bläulich schimmernde Ader, die über seinen Handrücken verlief. Sehr real, sehr lebendig … und stark. Es dauerte einige Zeit, bis es ihr gelang, den Blick von seiner Hand zu lösen.

„Ist das eine Ganzkörperbräune?“, stieß sie schließlich hervor.

„Wenn du Glück hast, findest du es vielleicht heraus.“

Der Mann besaß Nerven! Aber er lachte, während er es sagte.

„Warum bist du dann Single?“, setzte Bella die Befragung fort. „Ich meine, wenn du so ein Fang bist, weshalb hat sich dich noch niemand geangelt?“

„Du missverstehst das Spiel, meine Süße“, entgegnete er sanft. „Ich bin nicht die Beute. Ich bin der Jäger.“

Und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn er jetzt gleich über sie hergefallen wäre. Aber noch hielt ihre Fassade. „Tja, so gut bist du ja wohl nicht, oder? Wo ist denn deine Beute für heute?“

Seine Antwort bestand darin, dass er eine Augenbraue hochzog und ihr zuzwinkerte.

Bella presste die Lippen zusammen, konnte sich jedoch ein winziges Lächeln nicht verkneifen. „Jagst du oft?“

Jetzt lachte er laut auf und schüttelte den Kopf. Sie war sich nicht sicher, ob er sich damit auf ihre Frage bezog oder die Absurdität dieses Gesprächs meinte.

„Ich bin wie ein großes Raubtier. Wenn ich jage, reicht mir die Beute einige Zeit.“ Ihre Blicke trafen sich. „Und ich jage nur, wenn ich etwas sehr, sehr Leckeres erspähe.“

Lecker, ja? O verflixt, wie sollte sie nur die Stimme in ihrem Kopf zum Schweigen bringen, die beständig „Nimm mich“, schrie?

Wieder lachte er auf, und Bella wurde klar, dass er ihre Gedanken gelesen haben musste.

Allerdings weigerte sie sich immer noch, in sein Lachen einzustimmen. „Aber du behältst deine Trophäe nicht.“

„Nein. Fangen und freilassen. So lautet die Regel.“

Hmm. Bella war sich nicht sicher, was sie von dieser Strategie halten sollte. „Was, wenn sie nicht freigelassen werden will?“

„Aber das will sie ja“, berichtigte er sie. „Weil sie die Regeln des Spiels versteht. Und falls nicht, dauert es nicht lange, bis sie fortwill.“

Was sollte sie darauf antworten? Sie konnte sich keine Frau vorstellen, die dem Netz dieses Mannes entkommen wollte.

„Man hat mir oft bestätigt, dass ich sehr egoistisch bin.“

„Aha, aha.“ Bella war fasziniert. Das klang nach der bitteren Erkenntnis von Exfreundinnen. Ob er nur mit ihr flirtete, um sich über eine Enttäuschung hinwegzutrösten? „Warst du wirklich noch nie versucht, einen Fang behalten?“

Er verzog das Gesicht. „Nein.“

„Warum nicht?“

Zum ersten Mal huschte ein ernster Ausdruck über sein Gesicht. „Nichts hält ewig. Die Dinge verändern sich.“ Er schwieg einen Moment. „Das Motto lautet: Nimm dir, was du willst, wann du es willst.“

„Und danach?“

Er antwortete nicht, zuckte nur kaum merklich die Schultern.

Bella trank noch einen Schluck und überdachte, was sie über ihn wusste. War denn das, was nach der Nacht kam, so wichtig? Er besaß einen großartigen Körper und einen mitreißenden Sinn für Humor. Was könnte eine selbstbewusste Frau von Welt an einem Abend mehr verlangen?

„Jetzt weißt du etwas über mich“, sagte er. „Erzähl mir etwas von dir.“

Vielleicht hatte er ihr ein paar Dinge verraten, allerdings wurde sie den Eindruck nicht los, weniger als zuvor zu wissen. Denn das, was sie wirklich interessierte, ließ sich nicht so einfach in Worte fassen. Erstreckte seine Sonnenbräune sich tatsächlich nahtlos über seinen ganzen Körper? Wie hart und stark fühlten sich seine Armmuskeln an, wenn er sie anspannte? Wie fühlte sich der Rest von ihm unter ihren Fingerspitzen an?

„Ich bin Schauspielerin“, sagte sie, das Kinn nach oben gereckt.

Eine kleine Pause folgte. „Aha, aha.“

„Aha, was?“ Sein übertrieben wissendes Nicken gefiel ihr gar nicht.

„Ich wette, du bist sehr gut“, wich er aus.

Ihr Selbstbewusstsein geriet in eine Flaute. „Ich könnte es sein.“

„Könnte?“

„Sicher.“ Mit ein bisschen Glück.

Ein viel zu belustigtes Funkeln schlich sich in seine Augen. „Was arbeitest du sonst noch?“

„Was meinst du mit sonst noch?“, fuhr sie ihn an. „Ich bin Schauspielerin.“

„Ich kenne nicht viele Schauspieler, die nicht noch irgendeinen Nebenjob haben.“

Bella seufzte – sehr melodramatisch und gab dann auf. „Ich kann wirklich guten Kaffee kochen und servieren.“

Er lachte. „Natürlich.“

Natürlich. Sie war ein wandelndes Klischee. Der ewige Pechvogel. Und unter absolut gar keinen Umständen würde sie diesem atemberaubenden Mann erzählen, was sie sonst noch im Leben tat. Alleinunterhalterin bei Kindergeburtstagen rangierte auf der Skala der niedrigen Berufe ganz unten.

„Und wie ist das Leben als Schauspielerin heutzutage?“ Seine Augen schimmerten immer noch eine Idee zu amüsiert für ihren Geschmack.

Wieder seufzte sie übertrieben auf. „Ich habe ‚Die Nase‘!“

„Die Nase?“

Sie wandte sich zur Seite, damit er ihr Profil bewundern konnte.

Er musterte sie einige Sekunden, dann fragte er: „Was stimmt denn damit nicht?“

„Ein bisschen zu lang, ein bisschen zu gerade.“

„Ich würde sagen aristokratisch.“

Sie zuckte zusammen, als er mit einem Finger über den Nasenrücken fuhr. Die Spitze kribbelte, als er sanft dagegen stupste.

„Genau“, erwiderte sie und brachte sich in Sicherheit. „Sie verleiht mir Charakter. Und deshalb bin ich Charakterdarstellerin.“

„Ich bin nicht überzeugt, dass allein deine Nase für deinen Charakter verantwortlich ist.“

Fast hätte sie nun doch gelacht. „Ich besitze nicht das Aussehen einer Heldin. Ich bin die klassische Nebenrolle.“

Dafür gab es noch eine zweite Erklärung, die sie allerdings unter den Tisch fallen ließ. Heldinnen mit Rundungen waren einfach nicht gefragt. Für Hollywood war sie definitiv ein bisschen zu klein, ein bisschen zu kurvig. Aber für Wellywood, wie Wellington, die Filmstadt Neuseelands, heimlich genannt wurde? Vielleicht nicht. Sie musste nur den Mut aufbringen, endlich das elterliche Nest verlassen und dorthin ziehen.

„Oh, ich würde nicht sagen …“

„Nicht!“ Sie hob eine Hand und brachte ihn mitten im Satz zum Schweigen. „Es stimmt. Zur Heldin bin ich nicht geboren. Aber ich finde das gar nicht schlimm. Die coole Nebenrolle bekommt nämlich die besten Sätze.“

„Aber nicht den Kerl.“

Bella runzelte die Stirn. Wo er recht hatte, hatte er recht. Und meistens bekam sie auch die coole Nebenrolle nicht. Sie erhielt die Kurzer-Auftritt-rascher-Abgang-Rollen. Rollen, die nicht einmal einen Namen besaßen. Rollen, mit denen man kein Geld verdiente, ganz zu schweigen von Ruhm oder Berühmtheit.

Wahrscheinlich ging sie bei Castings deshalb so oft leer aus, weil sie nicht an einer der angesagten Schauspielschulen studiert hatte. Schuld daran war ihr Vater. Sie durfte ihre Intelligenz nicht an diesen Unsinn verschwenden. Also hatte er sie, wie all ihre Geschwister zuvor, zur Universität geschickt. Nur hatte sie anstatt Betriebswirtschaft oder Jura Kurse in englischer Literatur und – zum allergrößten Entsetzen ihres Vaters – Filmwissenschaften belegt. Irgendwann hatte er sich damit getröstet, dass sie damit ja Lehrerin werden könnte.

Pech gehabt. An der örtlichen Abendschule hatte sie sich für die Schauspielklasse eingeschrieben. Dazu jedes Buch über Theater und Schauspielkunst gelesen, das in der Bibliothek aufzutreiben war.

Das Problem war nur, dass bei jedem Vorsprechen immer dieselben Gesichter auftauchten. Die professionellen Schauspieler und die Naturtalente, die seit ihrem dritten Lebensjahr auf der Bühne standen, stachen Bella mit ihrem schier unerschöpflichen Selbstvertrauen schlichtweg aus.

Bella glaubte durchaus an sich. Schließlich hatte sie sich in langen harten Kämpfen gegen ihre Familie durchgesetzt. Nur anscheinend reichte das nicht.

„Wann wirst du dir endlich eine richtige Arbeit suchen?“, lautete die immergleiche Frage. „Diese Theatergeschichte ist doch nur ein Hobby. Du willst doch nicht für den Rest deines Lebens Kaffee kochen oder Luftballons für verwöhnte Kinder aufblasen …“ Und so weiter und so weiter.

„Wer will denn schon den Kerl?“, schoss Bella nun missmutig zurück. „Ich bin nicht scharf auf eine süße Liebesgeschichte. Ich will Abenteuer und intellektuelle Herausforderungen, Wortgefechte und Diskussionen.“

„Wirklich?“, fragte er ungläubig. „Bist du sicher, dass du keine Lust auf den rosafarbenen, zuckersüßen Prinzessinnenteil hast?“

„Nein. Märchenprinzen sind Langweiler.“

Der Fremde beugte sich vor, umfasste ihr Kinn mit einer Hand und drehte ihr Gesicht ihm zu. „Ich kann nicht glauben, dass du schon immer so zynisch gewesen bist.“

Die Worte versetzten ihr einen Stich, der umso schmerzhafter wurde, als sie erkannte, dass er es absolut ernst gemeint hatte.

„Nein“, gestand sie. „Nur wenn alle vergessen haben, dass heute mein Geburtstag ist und ich dafür in der ‚Hochzeit des Jahrhunderts‘-Hölle festsitze.“

„Alle Hochzeiten sind die Hölle.“ Er ließ ihr Kinn los, sah sie jedoch weiterhin unverwandt an.

„Anfangs war ich so naiv zu glauben, es wäre eine dieser Barfuß-am-Strand-Hochzeiten, bei denen kaum jemand kommt. Aber das Resort wird zu neunundneunzig Prozent von Hochzeitsgästen belegt!“

„Hmm.“ Er schwieg einen Moment, dann warf er ihr einen verschwörerischen Seitenblick zu. „Was für ein Glück für dich, dass ich zu dem restlichen einen Prozent gehöre.“

Bella starrte ihn an und versuchte seine Worte einzuordnen. Erst jetzt bemerkte sie das schelmische Funkeln in seinen Augen. Länger konnte sie sich nicht zurückhalten. Das Lachen, dass er schon vorher in ihr geweckt hatte, bahnte sich seinen Weg. Sie lachte hell auf.

„Endlich!“, übertönte er ihr Kichern. „Sie lacht. Und wenn sie einmal lacht …“

Er stimmte in ihr Gelächter ein. Leicht und frisch, samtig und süß. Plötzlich war sie bester Laune.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich kopfschüttelnd.

„Schon okay. Dein Tag war bestimmt schrecklich.“

„Das kann man so sagen.“

„Sollen wir noch einmal von vorne anfangen?“ Wieder funkelten seine Augen fröhlich und warm, und diesmal verkniff sie sich das Lächeln nicht.

„Bitte, das wäre sehr gut.“ Tatsächlich freute sie sich darauf, ihn wirklich kennenzulernen. Denn bereits jetzt war ihr klar, dass sich unter der verführerischen Oberfläche ein sehr netter Mensch verbergen musste.

„Ich bin Owen Hughes. Keine Krankheiten, Single und hetero.“

„Und ich bin Bella Cotton. Ebenfalls keine Krankheiten, Single und hetero.“

„Bella“, wiederholte er, verzichtete aber auf die übliche „Die Schöne“-Übersetzung. Er brauchte die Worte auch nicht zu sagen, der Klang seiner Stimme machte klar, dass er sie dachte. „Brauchst du zufällig noch ein Lachen?“

Sie nickte. „Unbedingt. Ich sehne mich nach ein bisschen Ablenkung.“

„Damit kann ich dienen.“ Er grinste. Unvermittelt fühlte Bella sich besser als die ganze vergangene Woche. Er beugte sich zu ihr. „Mein Magen ist ein einziges großes Loch. Darf ich dich zum Essen einladen … oder ist bereits ein Probedinner für die Hochzeit anberaumt?“

Bella schüttelte den Kopf. „Wunderbarerweise nicht. Ich glaube, einige der jüngeren Gäste treffen sich später auf ein paar Drinks in der Bar.“

„Vielleicht organisieren sie eine Überraschungsparty für dich?“

„So schön die Idee klingt …“, und sie hörte sich wirklich gut an, „… haben sie das bestimmt nicht. Vertrau mir.“

„Okay, dann lass uns gehen.“

Und einfach so stand sie auf und schlenderte an seiner Seite ins angrenzende Restaurant hinüber. Ohne zu zögern, ohne eine Sekunde nachzudenken. Manchmal machte es einem das Leben wirklich leicht.

„Ich bin am Verhungern“, verkündete Owen, während sie Platz nahmen.

„Dann hast du wohl schon länger nichts mehr gejagt, du großer Tiger, du“, bemerkte sie spöttisch.

Er lachte. „Ich bin zuversichtlich, dass sich mein Jagdglück bald ändert.“

Bella las die Botschaft in seinen Augen. Und auf einmal war auch sie sich sicher, dass er seine Beute erlegen würde.

3. KAPITEL

Ein unerwartetes Glücksgefühl durchströmte Owen, als es ihm endlich gelang, Bella ein Lachen zu entlocken. Und, genau wie er vermutet hatte, besaß sie ein umwerfendes Lächeln und konnte unglaublich süß kichern. Ihre vollen Lippen wirkten einladend, und die kleinen Lachfältchen um ihre Augen machten sie nur noch sympathischer. Er vermochte nicht zu entscheiden, ob sie hellblau oder grau schimmerten, doch es gefiel ihm, sie anzusehen, während er darüber nachdachte. Und noch mehr mochte er es, wie sie sich weiteten, je länger er sie anschaute.

Er hatte ein wenig geflunkert – wäre er wirklich ein Tiger in einem Dschungel, wäre er schon vor Monaten verhungert. Sex empfand er als ein entspannendes Hobby. Sehr entspannend, zugegeben. Aber das letzte Mal war eben schon eine Weile her. Vielleicht hatte er deshalb diese unwiderstehliche Anziehungskraft verspürt, als Bella die Bar betreten hatte.

Er war von seinem Tisch in einer Ecke des Raumes aufgestanden und fast willenlos zu ihr an die Theke gegangen. Nur um einen besseren Blick auf ihre kurvige Figur zu erhaschen. Unter dem Rock blitzten wohlproportionierte Beine hervor. Ihre, offen gestanden, wundervoll sinnlichen Brüste sprachen seine animalischen Instinkte an.

Dann jedoch bemerkte er das zarte Zittern ihrer Unterlippe. Und da hatte ihn der Wunsch überkommen, sie zum Lachen zu bringen.

Der Tisch in dem Restaurant, zu dem er sie jetzt führte, lag in dem verstecktesten Winkel, den er finden konnte. Er wollte nicht, dass ihre Familie sie früher als unbedingt nötig störte. Wollte weiter mit ihr flirten und scherzen. Wollte noch viel mehr und brauchte Zeit, es geschehen zu lassen.

„Also“, fragte sie, plötzlich kess geworden, „was genau treibst du am Computer? Arbeitest du für einen Softwareriesen?“

„Ich bin selbstständig.“ In den letzten Jahren hatte es außer seiner Arbeit nicht viel gegeben: Konzepte mussten entwickelt, Projekte durchdacht und das Team immer wieder neu organisiert werden.

„Was programmierst du denn? Spiele? Software für Banken?“

„Sicherheit ist mein Spezialgebiet.“

„Oje.“ Sie rollte mit den Augen. „Ich wette, du bist einer dieser Computercracks, die schon mit vierzehn in den Rechner des FBIs eingebrochen sind, oder du hast einen besonders fiesen Virus erfunden. Ein böser Hacker, der jetzt auf die Seite der Guten gewechselt ist. Habe ich recht?“

„Nein.“ Owen lachte. In Wahrheit kannte er sich mit der eigentlichen Programmierung gar nicht bis ins kleinste Detail aus – dafür waren die echten PC-Freaks zuständig, die er tatsächlich beschäftigte. Er war der Mann mit den Ideen. Der sich einen Weg ausdachte, wie Online-Überweisungen noch sicherer gestaltet oder wie die eigene Identität im Netz besser geschützt werden konnten. „Ich bin noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.“

„Oh. Also …“ Sie schwieg einen Moment, um – so viel war offensichtlich – ihren nächsten großen Angriff vorzubereiten. „Läuft das Geschäft gut?“

„Das könnte man sagen.“ Innerlich musste er lächeln. Seine Mitarbeiter saßen über den gesamten Erdball verteilt. Ein wahrlich internationales Unternehmen, das er aber am liebsten direkt von seinem Schlupfloch in Wellington aus dirigierte. Doch über seine Arbeit wollte er im Moment nicht sprechen, die nahm schon genug von seiner Zeit in Anspruch. Deshalb war er ja auch nach Waiheke gekommen und hatte sich in seinem Ferienhaus einquartiert, das nur wenige Meter vom Hotelstrand entfernt lag. Er war hier, um ein wenig zu entspannen und sich abzulenken. Und so wie es schien, hatte er die perfekte Ablenkung soeben gefunden.

Nicht alles während des Geplänkels an der Theke war gelogen gewesen. Es entsprach wirklich seiner Philosophie, sich zu nehmen, was er wollte, und dann weiterzuziehen. Diese hübsche Lady war genau der richtige Zeitvertreib für sein freies Wochenende. Deshalb hatte er dafür gesorgt, dass sie die Regeln des Spiels ganz genau verstand. Jetzt rang sie mit sich, wie sie sich entscheiden sollte. Alles, was er noch zu tun brauchte, war, ihr einen winzigen Schubs in die richtige Richtung zu geben.

Als der Kellner kam, bestellte Bella mit hemmungsloser Begeisterung; er tat es ihr nach. Er verspürte wirklich großen Hunger. Bis vor einer Stunde war er am Strand entlangspaziert. Und weil er keine Lust hatte, selbst zu kochen, hatte er sich entschlossen, einen Drink zu nehmen, bevor er sich etwas aus dem Restaurant einpacken lassen wollen. Nur hatte er eben jetzt etwas viel Besseres gefunden, das sich mitzunehmen lohnte.

„Oh, nein.“ Sie verzog das Gesicht.

„Was?“, fragte er.

„Meine Leute sind eingetroffen.“

Innerlich fluchend, wandte er den Kopf in die Richtung, in die Bella starrte. Verflixt. Gerade als sie begonnen hatte aufzutauen.

Owen erspähte eine Blondine, die argwöhnisch zu ihnen hinüberblickte. Als sie sah, dass er sie bemerkt hatte, kam sie an ihren Tisch.

„Bella, tut mir ja so leid“, flötete sie. „Heute ist dein Geburtstag, und du sitzt hier ganz alleine.“

Was? dachte Owen. Bin ich plötzlich unsichtbar geworden?

„Ich kann nicht fassen, dass du uns nicht daran erinnert hast“, fuhr die Blondine, ihn immer noch ignorierend, fort.

„Ich wollte auch nichts sagen.“

Der Schmerz, der kurz in Bellas Augen aufflackerte, machte ihn wütend. Plötzlich wurde ihm klar, was Bella getan hatte. Sie hatte ihre Familie auf die Probe gestellt – und ihre Familie hatte versagt.

„Machen Sie sich keine Sorgen“, mischte Owen sich ein. „Bella ist nicht allein. Wir haben uns nur für eine private Feier entschieden.“

Die Blondine wandte sich ihm mit frostigem Gesichtsausdruck zu. „Und Sie sind?“

„Owen“, erwiderte er, als würde das alles erklären.

„Owen.“ Die Frau ließ ihren Blick zu Bella wandern, dann abschätzend zurück zu ihm. Ihre Kälte wandelte sich zu einem zuckersüßen Lächeln, als sie seine Schuhe und die Armbanduhr musterte. Sie erkannte die Marken. Ja, genau, dachte er, ich besitze Geld. Genau diese Tatsache war Bella entgangen. Noch etwas, das ihm an ihr gefiel.

„Es scheint, als hättest du in letzter Zeit ein paar Dinge für dich behalten, Isabella.“

Owen schaute Bella an. In ihren Augen schimmerte eine Bitte, die er ihr unmöglich abschlagen konnte.

Das Schweigen lastete immer unbehaglicher auf ihnen, während er seine Aufmerksamkeit weiterhin auf Bella gerichtet hielt. Erst als die Blondine wieder sprach, diesmal mit einem gewissen Befremden in der Stimme, umspielte ein feines Lächeln Bellas Mundwinkel. „Ich lasse euch dann euer Essen genießen.“

„Danke“, sagte Owen ohne aufzusehen.

Normalerweise verhielt er sich nicht so unhöflich, doch wenn es nötig war, konnte er durchaus mit Arroganz aufwarten. Und der Schmerz in Bellas Augen machte es notwendig. Unvermittelt war ihn das irrationale Bedürfnis überkommen, ihr zu helfen, sie zu unterstützen. Wie dumm. Denn Owen gehörte nicht zu der Sorte Männern, die andere aufgrund eines flehentlichen Blicks unterstützten. Wenn irgend möglich vermied er es, ein über bloße körperlich Bedürfnisse hinausgehendes Interesse zu zeigen.

Einmal nämlich hatte er diesen Fehler begangen und sich als Ergebnis in einer Beziehung wiedergefunden, die ihm gar nicht gut tat. Seine Exfreundin hatte alles gewollt: den Ring, die Zeremonie und den ganzen Rest. Er nicht. Doch dann hatte sie auf eine Weise versucht, Druck auf ihn auszuüben, die er absolut nicht akzeptieren konnte. Dank dieser Erfahrung hatte er sich geschworen, dafür zu sorgen, es nie wieder zu einer solchen Situation kommen zu lassen.

Seither hatte er keine Beziehungen mehr, nur noch Affären.

Jetzt allerdings hoffte Owen, die Blondine übermittelte den anderen Familienmitgliedern seine rüde Abfuhr, sodass sich alle von ihm und Bella fernhielten.

Der Kellner brachte ihre Vorspeisen, die unangenehme Anspannung verflüchtigte sich. Sofort griff Bella nach dem Besteck, doch er konnte sehen, dass sie ein Lächeln unterdrückte.

„Bin ich jetzt eingeladen?“

„Wenn ich Ja sage, fällt dir die Aufgabe zu, mich zu unterhalten, richtig?“ Endlich lächelte sie wieder. „Und nicht meine wunderschönen Cousinen anzuhimmeln.“

Die Cousinen interessierten ihn nicht. Und wenn es sein musste, würde er sie die ganze Nacht und noch länger unterhalten. Aber er dehnte das Spielchen noch ein bisschen aus. „Wie wunderschön sind sie denn?“

Die aristokratische Nase gerümpfte, schaute Bella ihn missbilligend an. „Eine von ihnen hast du gerade kennengelernt.“

„Sie?“, fragte er mit wohldosierter Überraschung. „Sie ist nicht schön.“

Ihre ungläubige Miene war pure Magie.

Owen lachte. „Ist sie wirklich nicht. Sie ist groß und blond, na und? Solche gibt es wie Sand am Meer. Ich verbringe meine Zeit lieber mit jemand Interessantem.“

Bella ging nicht darauf ein. „Kein wildes Betrinken. Kein mich in Verlegenheit bringen. Das ist doch nicht der Grund, weshalb du mitkommen willst, oder? Der kostenlose Alkohol?“

„Nein.“

„Warum dann?“

Bevor er es sich noch anders überlegen konnte, entschlüpfte ihm die Wahrheit. „Ich möchte, dass du einen schönen Geburtstag hast.“

Und er wusste auch genau, wie er dafür sorgen konnte. Zwischen ihnen vibrierte eine intensive und unleugbare Spannung. Er hatte das Erkennen in ihren Augen gesehen, als ihre Blicke sich das erste Mal trafen. Er spürte, was sie brauchte. Und wenn er dafür das Wochenende mit ihrer langweiligen Familie verbringen musste, dann würde er das eben tun.

Abgesehen von der eindeutigen körperlichen Anziehung war Bella auch noch lustig. Intelligent. Definitiv ein bisschen verbittert. Er mochte ihr Lächeln. Und er mochte es sehr, sie zum Lachen zu bringen.

Während des Essens konzentrierte sich Owen ausschließlich auf Bella, mit dem Erfolg, dass er allmählich alles um sich herum vergaß. Immerhin war er ja auf die Insel gekommen, um ein paar Stunden auszuspannen. Ungefähr achtundvierzig.

Langsam füllte sich das Restaurant, und Bella schaute sich immer häufiger um. Er hatte seinen Platz im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit verloren. Der morgige Tag war wieder an die erste Stelle gerückt.

„Die Hochzeit wird riesig“, sagte sie finster. „Die ganze Familie wird kommen, dazu jede Menge Verwandte, Freunde und überhaupt alle.“

„Viel Aufwand um nichts.“ Er verstand einfach nicht, warum es für sie ein so großes Problem darstellte.

„Unglaublich, wie viel Geld man für einen Tag ausgeben kann“, meinte sie kopfschüttelnd. „Weißt du, wie viel allein das Kleid gekostet hat?“

Also ging es um Geld. „Daran will ich gar nicht denken.“ Doch der Witz verfehlte sein Ziel.

„Und ich muss das grässlichste Brautjungfernkleid der Welt tragen. Absolut grässlich.“

„Du wirst toll darin aussehen.“

„Du verstehst das nicht“, erwiderte sie unglücklich. „Die anderen ja, ich nicht.“

Jede ihrer Emotionen zeigte sich so offen auf ihrem Gesicht. Wenn sie lernte, ihre Mimik zu kontrollieren, lernte, sie im richtigen Moment einzusetzen, würde sie eine sehr gute Schauspielerin werden.

„Die anderen sind alle mindestens einsfünfundsiebzig groß und gertenschlank.“

Wohingegen sie ungefähr zehn Zentimeter kleiner war und atemberaubende Kurven besaß. Owen würde sie jederzeit fünf dieser Cousinen vorziehen.

„Haben sie eine Geschenkeliste ausgegeben?“, ging er auf ihr Lamento ein.

„Ja“, stieß sie missmutig hervor. „Der preiswerteste Gegenstand kostete immer noch knapp unter hundert Dollar – und davon musste man zwei kaufen.“

Geld spielte definitiv eine Rolle. Als Schauspielerin und Kellnerin in einem Café verdiente man nicht gerade viel. Und diese Ferienanlage zählte zu den exklusivsten und teuersten des Landes. Hier eine Hochzeit zu feiern, bedeutete, jemand in der Familie besaß ein ansehnliches Vermögen. Machte sie sich Sorgen, nicht mit ihrer erfolgreichen Familie mithalten zu können?

„Diese Listen sind doch reine Zeitverschwendung. Viel mehr Spaß würde es machen, die Geschenke dem Zufall zu überlassen und dafür in Kauf zu nehmen, zwei Kaffeemaschinen zu bekommen. Na ja, das vereinfacht dann auch vieles bei der Scheidung.“

Ein überraschter Ausdruck flackerte über ihr Gesicht. „Oh! Und mich nennst du zynisch!“

„Eine Heirat ist nicht das Papier wert, auf dem sie besiegelt wird.“

„Denkst du das wirklich?“

„Wie viele Paare kennst du, die länger als zehn Jahre zusammenbleiben?“ Alles endete – immer. Für sich hatte Owen beschlossen, rechtzeitig zu gehen, bevor unweigerlich Langeweile und Verbitterung eine Beziehung zerstörten. Die Gefühle hielten nie. Wie oft hatte er das gesehen? Es selbst erlebt?

Jetzt wusste er, dass es besser war, sich nicht zu tief in etwas hineinziehen zu lassen – und auf keinen Fall sollte man Unschuldige in die Sache verwickeln. Das Risiko würde er nie wieder eingehen. Keine Lebensgefährtin, keine Ehefrau, keine Kinder.

Bella lehnte sich auf dem Stuhl zurück und dachte nach. Erst letzten Monat hatte sich eine ihrer Cousinen von ihrem Mann getrennt, nachdem sie immerhin dreieinhalb Jahre verheiratet waren. Aber andere Ehen funktionierten, oder? Zumindest für Vita und Hamish hegte sie große Hoffnungen.

Stirnrunzelnd schaute sie Owen an. „Wir wissen bereits, dass das nicht auf deiner Tagesordnung steht.“ Er würde sich nie zur Ehe bekennen – der Teil mit der Monogamie würde ihn zu sehr stören. Er war einfach zu sehr ein Jäger, um sich auf eine Frau festzulegen. Auch gut. Denn Bella befand sich im Augenblick nicht gerade an dem Punkt, sich für die Ewigkeit festzulegen; sie versuchte immer noch, erwachsen zu werden.

„Stimmt. Aber ich habe nichts dagegen, anderen dabei zu helfen, ihre Dummheit zu feiern.“

„Weil du mit allen Brautjungfern flirten kannst?“

„Nicht mit allen, nur mit einer.“

Mit der kleinen, dunkelhaarigen, pummeligen? Die mit der langen geraden Nase? Er war nur nett zu ihr, weil er die anderen noch nicht gesehen hatte.

Bella schaute von ihrem nun leeren Teller auf. Sofort nahm sein Blick sie gefangen. Das schelmische Funkeln war in seine Augen zurückgekehrt und brachte ihren Widerstand Stück für Stück zum Schmelzen.

Ganz unverwandt sah er sie an – immer klarer wurde die Botschaft.

Pures Verlangen.

Sie umfasste den Stil ihres Weinglases fester. Ihr war heiß, und ihr einziger Gedanke war, sie musste sich irgendwie Abkühlung verschaffen. Dann legte er seine Hand über ihre.

„Ich glaube, du hast genug Wein getrunken.“

Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Bella war sich nicht sicher, was er damit meinte.

„Ich will damit nicht sagen, dass du betrunken bist“, erklärte er und ließ sein gefährliches Lächeln aufblitzen. „Aber je mehr du trinkst, desto träger werden deine Sinne. Und ich will nicht, dass dir auch nur die kleinste Kleinigkeit entgeht. Nicht heute Nacht.“

„Ich werde meine Sinne brauchen?“

„Alle.“

Okay.

Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Flügeltür an der Rückseite des Restaurants, die auf eine große Veranda hinausführte. Eine kleine Jazzband spielte leise Musik.

„Tanz mit mir.“ Owen stand auf. „Wir können herausfinden, wie gut wir uns zusammen bewegen. Können sichergehen, dass morgen alles perfekt wird.“

Warum nur vermutete sie hinter allem, was er sagte, eine Doppeldeutigkeit?

Er grinste, als verstände er ihr Dilemma – und signalisierte gleichzeitig, dass sie mit ihrer Vermutung recht hatte. Er hielt ihr die ausgestreckte Hand hin.

Eine Sekunde zögerte sie. Studierte die breite Handfläche, die langen Finger, die Einladung hinter der Geste. Kaum dass sie ihre Hand in seine gelegt hatte, schlossen sich seine Finger um ihre. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Gemeinsam traten sie durch die Tür und schlenderten zu dem Teil der Terrasse, wo bereits andere Paare tanzten. Ein sanftes Wellenrauschen vom Strand her vermischte sich mit der Musik. Die Abendluft war noch nicht abgekühlt. Bella war es, als verströme diese Nacht eine ganz besondere Magie.

„Ich mag diese alte Musik“, murmelte Owen, legte einen Arm um ihre Taille und presste ihre Hand gegen seine Brust. „Wie geschaffen für meine Art des Tanzens.“

„Deine Art?“

„Bei der man sich tatsächlich berührt.“

Seine Hand auf ihrem Rücken fühlte sich warm und kräftig an. Und als er Bella an sich zog, folgte sie willig dem leichten Druck. Wie hätte sie sich weigern können? In Wirklichkeit hätte sie sich am liebsten noch enger an ihn geschmiegt.

Federleicht streiften seine Finger über ihren Rücken, Haut auf Haut. Die Empfindung ließ sie erschauern. Beinahe wäre sie gestolpert, so heftig flammte die Sehnsucht nach mehr in ihr auf. Rasch verschleierte sie die Reaktion mit verwegenem Sarkasmus. „Mein Ja bezog sich aufs Tanzen, nicht auf deine Hände unter meiner Bluse.“

„Ich dachte, unter deiner Bluse wäre gut.“ Der samtige Klang seiner Stimme steigerte ihr Verlangen zu fast schmerzlicher Intensität.

Gut war definitiv eine Untertreibung. Er zog sie noch ein bisschen dichter an sich. Noch berührten sie einander nicht, doch Bella vermeinte schon jetzt seinen muskulösen Oberkörper an ihren empfindsam aufgerichteten Knospen zu spüren.

Sie atmete scharf ein. „Owen, ich …“

„Shh“, sagte er. „Deine Familie beobachtet uns.“

Tanzend erreichten sie die entfernteste und dunkelste Ecke der Terrasse. Sie bewegten sich im Takt der Musik, Owens Stimme streichelte sie wie ein lauer Luftzug. Er bat sie, bei ihm zu bleiben, mit ihm zu tanzen. War es ein Lied? Drei oder fünf? Die Zeit schien aufgehoben zu sein. Er murmelte ihren Namen, sein Atem streifte ihr Haar, dann nichts mehr.

Und während sie sich von ihm führen ließ, verfing sie sich immer tiefer in dem Netz, das er ausgeworfen hatte.

Als die Band eine Pause einlegte, zog Bella sich unter einem Vorwand in den Waschraum zurück und versuchte verzweifelt, sich auf ihren Anstand zurückzubesinnen. Sie hätte die Cocktails nicht trinken sollen. Obwohl seither einige Zeit vergangen war, fühlte sie sich ein wenig schwindelig.

Sie betrachtete ihr Spiegelbild, die großen Augen, die geröteten Wangen, die leicht geöffneten Lippen. Und plötzlich wollte sie gar nicht mehr anständig sein. Es war nicht wichtig. Alles, was zählte, war Owen. Für eine kleine Weile wollte sie ganz in diese Märchenwelt eintauchen.

Bella verließ die Toilette und ging zu Owen hinüber, der an eine Wand gelehnt auf sie wartete. Unvermittelt wurde ihr Weg von ihrer Schwester Vita blockiert.

„Bella, wo warst du denn die ganze Nacht? Und viel wichtiger, wer ist der Mann, mit dem du getanzt hast?“

„Owen ist ein alter Freund.“

„Wie alt?“ Der ungläubige Gesichtsausdruck ihrer Schwester kränkte Bella zutiefst.

„Nun, so alt nun auch wieder nicht.“ Sie schaute zu Owen hinüber, der hinter Vita stand. Nur mühsam unterdrückte sie ein hysterisches Kichern, als sie ihn fragte: „Hast du nicht vor ungefähr dreißig Jahren das Licht der Welt erblickt?“

„So ungefähr, ja.“ Er trat an Bellas Seite und legte einen Arm um ihre Hüften, als hätte er das schon tausend Mal getan.

Dann schenkte er ihr ein unglaublich liebevolles Lächeln, das Bella ebenso verwirrt blinzeln ließ wie Vita. Er zog sie noch enger an sich.

Als er sich an Vita wandte, war die Innigkeit aus seinem Lächeln verschwunden, hatte jedoch nichts von seiner umwerfenden Wirkung verloren. „Sie müssen Bellas Schwester sein, die wunderschöne Braut. Meinen Glückwunsch.“

Vita blinzelte noch einmal, erst dann erinnerte sie sich an ihre Manieren. „Danke … Owen. Werden wir Sie morgen auf der Hochzeit sehen? Sie sind uns herzlich willkommen.“

„Nun …“ Er schaut Bella mit wieder schelmisch funkelnden Augen an. „Ich würde gerne kommen, aber Bella war sich nicht sicher …“

„Oh, wenn Sie ein Freund von Bella sind, sind Sie herzlich eingeladen.“

Abrupt wandte Bella sich ihrer Schwester zu. Hatte Vita wirklich das „Wenn“ betont?

„Vielen Dank“, beendete Owen das Gespräch. Mit einem verabschiedenden Nicken zog er Bella mit sich und führte sie durch die tanzenden Paare zum Strand hinunter.

Bella ließ es geschehen. Ein Gefühl der Traurigkeit überkam sie. War es wirklich so ungewöhnlich, dass sie mit einem Mann zusammen war? Vita hatte so erstaunt gewirkt, fast ungläubig. Wahrscheinlich beobachtete ihre Familie sie gerade neugierig – und verwundert über die unerwartete Entwicklung. Oh, warum musste sie auch mit ihrer perfekten Schwester und ihrer perfekten Familie hier sein?

Owen schien ihre Gedanken gelesen zu haben. „So perfekt ist sie gar nicht“, meinte er leise.

Sie glaubte ihm kein Wort. Ihre ein Jahr jüngere Schwester war schon immer diejenige gewesen, die alles richtig machte – richtig im Sinne ihres Vaters.

„Sie hat dir nicht zum Geburtstag gratuliert.“

Bella seufzte. „Sie ist auch sehr beschäftigt, schließlich heiratet sie morgen.“

Owens Stirnrunzeln zeigte ihr, dass er das nicht für eine ausreichende Entschuldigung hielt. Wärme durchflutete sie.

„Also, wie viele Kerzen musst du heute ausblasen, Bella?“

„Vierundzwanzig.“ Ihr fehlte die Energie zum scherzen, so versunken war sie in die seltsamen Gefühle, die er in ihr wachrief. Plötzlich überwältigte sie der Schwindel, den sie schon vorhin gespürt hatte. Sie stolperte.

Sofort verstärkte er seinen Griff um ihren Arm. „Du bist müde.“

Müde gehörte nun wirklich nicht zu den Empfindungen, die sie durchströmten.

Dennoch trat er einen Schritt zurück und löste den Körperkontakt. „Ich begleite dich zu deinem Apartment.“

Ein herbes Gefühl von Enttäuschung breitete sich in ihr aus. Sie wollte nicht, dass dieser wundervolle Abend endete. Doch dank Vitas Einmischung war die Magie des Augenblicks verschwunden. Und Owen geleitete sie bereits den Strand entlang zu den Bungalows des Hotels.

Hoffend, auf seinem Gesicht den vertrauten schelmischen Ausdruck zu finden, blickte sie auf. Doch seine Miene war verschlossen. Unlesbar. Die Enttäuschung wuchs.

Plötzlich stellte Celia sich ihnen in den Weg.

„Ihr wollt doch nicht schon gehen?“, fragte sie fröhlich.

„Morgen ist ein großer Tag. Bella muss sich jetzt hinlegen“, erwiderte Owen, bevor sie etwas sagen konnte.

Celias verwunderter Blick bekam etwas Stechendes, während sie abwechselnd Bella und Owen anschaute. „Du solltest besser deinen Sonnenbrand eincremen, sonst siehst du morgen wie ein Zebra aus.“

Klar, eine letzte Stichelei konnte ihre Cousine sich einfach nicht verkneifen!

Owen drehte sich ein wenig zu ihr um. Langsam und sehr eindringlich musterte er Be...

Autor

Hannah Bernard
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Natalie Anderson
<p>Natalie Anderson nahm die endgültigen Korrekturen ihres ersten Buches ans Bett gefesselt im Krankenhaus vor. Direkt nach einem Notfall-Kaiserschnitt, bei dem gesunde Zwillinge das Licht der Welt erblickten, brachte ihr ihr Ehemann die E-Mail von ihrem Redakteur. Dem Verleger gefielen ihre früheren Korrekturen und da es gerade einen Mangel an...
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Lindsay Armstrong
Lindsay Armstrong wurde in Südafrika geboren, und bis heute fasziniert sie der Kontinent sehr. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später machen wollte: Sie war entschlossen, Schriftstellerin zu werden, viel zu reisen und als Wildhüterin zu arbeiten. Letzteres ist ihr zwar nicht gelungen, aber noch immer ist sie...
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