Julia Exklusiv Band 340

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HAPPY END FÜR ROSE? von CATHERINE GEORGE
Rose und ihre Freundinnen haben einen Schlachtplan ausgearbeitet: Es geht um James Sinclair, den Rose unbedingt erobern will! Alles funktioniert perfekt – schon nach wenigen Monaten sind sie verheiratet. Rose könnte glücklich sein, wenn sie nicht eins bedrücken würde: Sie muss James erzählen, wie alles begann, bevor es jemand anderes tut!

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  • Erscheinungstag 13.08.2021
  • Bandnummer 340
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501309
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine George, Jessica Steele, Kate Walker

JULIA EXKLUSIV BAND 340

1. KAPITEL

Als Rose den knallroten Briefumschlag unter dem Stapel Eingangspost entdeckte, musste sie zunächst lächeln. Doch ihr Lächeln verschwand sofort, als sie die Valentinstag-Grußkarte mit der einzelnen Rose aus dem Umschlag zog. Mit gerunzelter Stirn untersuchte sie den Umschlag, aber der Stempel auf der Briefmarke war so unleserlich, dass sich daraus kein Hinweis auf den Absender erkennen ließ.

Sie beschloss, sich keine weiteren Gedanken über diesen seltsamen Brief zu machen. Die anderen Briefe in der Hand, ging sie in ihr kleines Büro am hinteren Ende des Buchladens und heftete die Grußkarte gut sichtbar an die Pinnwand. Bestimmt handelte es sich um einen Scherz. Etwas anderes war kaum denkbar.

Noch ganz in Gedanken versunken schaltete sie die Lichter im Laden ein, legte leise Hintergrundmusik auf und schloss die Ladentür auf, um die ersten Kunden des Tages zu empfangen.

Meist handelte es sich bei ihren Kunden um Mütter, die, nachdem sie ihre Kinder in die Schule gebracht hatten, in dem Buchladen vorbeischauten, um Schulbücher zu besorgen. Die erste Stunde des Tages war Rose damit beschäftigt, Bücher herauszusuchen oder zu bestellen. Sie achtete darauf, guten und freundlichen Service zu bieten, ließ sich gern auf eine kleine Plauderei ein und gab auch bereitwillig ihre Meinung zu den neuesten Veröffentlichungen ab, wenn sie danach gefragt wurde. Zwar gab es in Chastlecombe außer einem Supermarkt und einem Immobilienmakler keine Geschäftskonkurrenz, aber es war ihr wichtig, guten Umgang mit ihren Kunden zu pflegen.

Als Roses Freundin an diesem Morgen ihren Halbtagsjob antrat und die Karte an der Wand sah, lachte sie auf.

„Du Glückliche! Ich bin richtig neidisch, Boss. Meine bessere Hälfte käme nie auf solch romantische Gedanken.“ Bel Cummings Augen funkelten vergnügt, während sie frischen Kaffee aufsetzte – eine gemeinsame Tasse Kaffee am Vormittag war bei den beiden Tradition. „Sicher von Anthony, oder?“

„Wenn man denn tatsächlich annimmt, dass er solch kindische Bräuche noch pflegt, in seinem Alter“, erwiderte Rose trocken.

Bel lächelte verschmitzt. „Also, wer ist dann der heimliche Verehrer?“

„Keine Ahnung.“

„Dann wird es wohl Anthony sein.“ Bel seufzte enttäuscht. „Du wirst die Daumenschrauben anlegen und ihn zu einem Geständnis zwingen müssen. Geht ihr am Wochenende zusammen aus?“

„Ausnahmsweise mal heute. Samstag und Sonntag hat er für Marcus reserviert.“ Rose trank ihre Tasse leer. „Tja, ich mache mich wohl besser an die Post, bevor die Bücherlieferung eintrifft.“

Bel ging in den Verkaufsraum, um sich um die Kunden zu kümmern, und Rose sortierte die Eingangspost. Doch heute war sie mit ihren Gedanken nicht recht bei der Sache. Was zum großen Teil auf diese anonyme Karte zurückzuführen war, aber auch darauf, dass ihre Routine gestört worden war. Sie freute sich immer auf einen ruhigen Freitagabend. Sie nahm ein Bad, sah zur Entspannung ein wenig fern und ging dann mit einer Neuerscheinung ins Bett. Doch da an diesem Wochenende Anthonys Sohn Marcus bei seinem Vater sein würde, war ihr Rendezvous eben auf Freitagabend vorgezogen worden. Zwar lebte der Teenager nach der Scheidung der Eltern bei der Mutter, aber an diesem Wochenende hatte Liz Garrett etwas vor, und deshalb kümmerte Anthony sich um den Jungen.

Rose mochte Marcus, und sie glaubte auch nicht, dass der Teenager etwas gegen sie hatte. Zwar wunderte es sie, dass der Junge nicht lieber allein zu Hause bleiben und mit seinen Freunden ausgehen wollte, aber es machte ihr auch nichts aus, zu dritt in das beste Restaurant in Chastlecombe auszugehen.

Vom Sehen her kannte Rose Anthony schon eine halbe Ewigkeit, aber näher hatte sie ihn erst nach seiner Scheidung kennengelernt. Er hatte in der Chastlecomber Zweigstelle einer großen Londoner Firma als Buchhalter gearbeitet und war dann im Zuge seiner Beförderung in die Zentrale berufen worden, doch er kam oft am Wochenende zurück und übernachtete im „King’s Head Hotel“, um seinen Sohn zu besuchen und sich samstagabends mit Rose in den Restaurants von Chastlecombe sehen zu lassen. Der Kontakt zu Freunden und Bekannten war immer noch sehr gut, und Anthony wusste, dass seiner Exfrau alle Neuigkeiten zugetragen werden würden, vor allem seine Beziehung zu der jungen, gut aussehenden Geschäftsführerin von „Dryden Books“. Auch wenn Rose sich manchmal wie eine Trophäe vorkam, so amüsierte es sie doch mehr, als dass es sie verärgerte.

Rose blätterte gerade in einem neuen Kinderbuch, als Bel den Kopf zur Bürotür hereinsteckte.

„Eine Lieferung für dich, Boss.“

„Aber die Bücher sind doch schon hier. Ich erwarte nichts mehr.“ Rose starrte verdutzt auf das schmale, lange Päckchen mit imposanter Schleife, das Bel ihr hinhielt. Noch größer wurden ihre Augen, als sie die langstielige rote Rose herausnahm.

„Wow!“, entfuhr es Bel. „Von wem ist sie?“

Rose suchte ergebnislos nach einer Karte, sah Bel dann achselzuckend an und griff zum Telefonhörer. „Das werden wir gleich wissen.“

Doch der Anruf beim einzigen Blumengeschäft in Chastlecombe brachte auch keine Klärung. „Tut mir leid“, kam es durch den Hörer, „aber heute Morgen lag nur ein Briefumschlag unter der Ladentür. Mit dem Auftrag und dem abgezählten Betrag. Ein Name war nicht dabei.“

Mit einer argwöhnischen Falte auf der Stirn legte Rose den Hörer zurück auf die Gabel. „Also, wenn dieser ganze Valentinstag-Unsinn von Anthony stammt, dann werde ich heute Abend ein Wörtchen mit ihm reden. Ich mag diese Geheimnistuerei nämlich überhaupt nicht.“

„Warum regst du dich denn so auf?“ Bel seufzte. „Also, ich finde das Ganze sehr romantisch.“ Damit drehte sie sich um und ging in den Laden zurück, gefolgt von einer fest entschlossenen Rose, sich durch solch alberne Kindereien nicht die Laune verderben zu lassen.

Als Rose am Abend die Treppe zu ihrer Wohnung, die über dem Laden lag, hinaufstieg, hörte sie bereits das Telefon klingeln. Sie sprintete die restlichen Stufen hinauf, schloss hastig auf und hob ab, doch am anderen Ende war nur das schwere Atmen eines Menschen zu hören.

„Wer ist da?“, verlangte sie ärgerlich zu wissen. Eine Stimme flüsterte ihren Namen, dann wurde aufgelegt.

Ein unangenehmes Kribbeln machte sich in ihrem Nacken bemerkbar, dann wurde sie wütend. Irgendein dummer Streich, dachte sie böse und marschierte energisch in die Küche, um sich einen anständigen Kaffee zu machen.

Sie ließ Wasser in eine schmale Vase laufen und stellte die Rose hinein. Mit düsterem Blick starrte sie auf die perfekte Blüte. Eine Rose für Rose, hörte sie eine Stimme aus der Erinnerung. Eine männliche Stimme, mit der leisen Andeutung eines schottischen Akzents. Seltsam, aber die Stimme war so deutlich, als würde ihr Besitzer hier mit ihr im Raum stehen.

Normalerweise verbot sie es sich, an den Besitzer dieser Stimme zu denken. Dass sie es jetzt nicht tat, lag nur an dieser vermaledeiten Grußkarte. Und an diesem dummen Anruf. Erinnerungen stiegen auf, die besser begraben bleiben sollten.

Doch während Rose sich für das Ausgehen mit Anthony fertigmachte, erlaubte sie es sich, an jene Zeit zurückzudenken …

Rose Dryden war gerade achtzehn geworden, als sie ihr Studium begann. Zuerst war sie ein wenig beunruhigt gewesen, weil sie ein Apartment auf dem Campus mit zwei anderen Mädchen teilen sollte. Cornelia Langford und Fabia Dennison waren ein Jahr älter als Rose und verfügten beide über ein Selbstbewusstsein, um das Rose sie beneidete. Aber die beiden waren auch nett und freundlich und hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die jüngere Kommilitonin unter ihre Fittiche zu nehmen und sie mit den angenehmeren Seiten des Studentenlebens bekannt zu machen.

So verbrachte Rose – dankbar dafür, in das Trio aufgenommen worden zu sein – schon bald häufig ihre Abende im Gemeinschaftsraum der Mensa, in dem eine kleine Bar eingerichtet worden war, in feuchtfröhlicher Gesellschaft. Anfangs noch ein wenig neidisch auf Cons klassisch-elegantes Aussehen und auf Fabias messerscharfe Intelligenz, die hinter deren flippigem Benehmen schlummerte, blühte Rose bald selbst in der Gesellschaft ihrer neuen Freundinnen auf. Als das Semester sich dem Ende zuneigte, war Rose ein anerkanntes Mitglied in der Studentenschaft, fehlte auf keiner Veranstaltung und beteiligte sich an den hitzigen Diskussionen, auf welche Art die Welt denn nun am ehesten zu retten sei.

Sie hatte nicht nur Pauken gelernt und gute Noten eingeheimst, sie hatte auch gelernt, wie man sich mit einem einzigen Glas Bier den ganzen Abend amüsierte, wie man einen harmlosen Flirt genoss, wie man mögliche Gefahren erkannte und einen würdevollen Rückzug antreten konnte, sollte einer der jungen Kommilitonen die Signale verkehrt verstanden haben.

„Das ist reine Logik“, hielt Con weise ihre Vorlesung. „Wenn du wirklich an einem Typen interessiert bist, gehst du allein mit ihm aus. Wenn du nur Spaß haben willst, bleib in der Gruppe.“

Rose verriet natürlich nicht, dass die einzigen männlichen Wesen, die sie näher kannte, die Freunde ihrer unverheirateten Tante waren und der Bruder einer alten Schulfreundin. Allerdings besaß sie genügend gesunden Menschenverstand, um zu wissen, dass es bei einem Date zu zweit nicht unbedingt bei einer Pizza und einem Kinobesuch bleiben würde. Und da sie außerdem kein spezielles Interesse an irgendeinem bestimmten Vertreter des männlichen Geschlechts aus der Gruppe zeigte, stellte sie natürlich eine immense Herausforderung dar, denn die Herren hielten sich in ihrem jugendlichen Übermut durch die Reihe weg für unwiderstehlich.

„Idioten“, zischte Rose verärgert, als sie nach den Weihnachtsferien wieder zurück auf dem Campus war. „Sie verstehen einfach nicht, dass ich an keinem von ihnen interessiert bin.“

„Oh, warts nur ab“, mahnte Fabia mit erhobenem Zeigefinger. „Irgendwann sind wir alle dran. Ein Blick, und bumm!, das wars! Du liegst am Boden und schmachtest.“

Rose kicherte. „Nie, bei mir nicht!“

„Fabia hat schon recht.“ Con sah von ihren Büchern auf. „Aber im Moment geht es ihnen eigentlich nur um einen lustigen Abend. Und natürlich spekulieren sie darauf, dass am Ende noch ein wenig geknutscht werden darf.“ Sie kaute nachdenklich an ihrem Bleistift. „Es müsste doch interessant sein, wenn … Man müsste sie dazu bringen, sich so in dich zu verknallen, dass sie sich überschlagen und zu deinem Sklaven werden.“

„Man kann doch niemanden dazu bringen, sich zu verlieben, Con“, meinte Rose zweifelnd.

„Woher willst du das wissen? Hast du es schon mal versucht?“

„Nein, aber …“

„Na also, dann halt den Mund und hör zu.“ Con lächelte so verschlagen, dass Rose regelrecht unheimlich wurde. „Kommt mal her, ich lasse euch jetzt an meinem unermesslichen Wissen teilhaben. Immerhin bin ich der Neurobiologe, und das ist eine rein wissenschaftliche Angelegenheit. Hier geht es nicht um Magie, sondern um Chemie. Was ist, macht ihr mit?“

Fabia nickte so begeistert, dass Rose nicht als Außenseiter dastehen wollte und ebenfalls nickte, wenn auch zögerlich.

„Nun sieh doch nicht so besorgt drein, Rosie“, bemerkte Con, „das wird ein Heidenspaß.“

Nach Cons Anleitung schrieben sie je vier Namen von männlichen Studenten auf einen Zettel, warfen diese in eine Mütze und zogen dann jede einen Zettel.

„Will Hargreaves.“ Fabia grinste, als sie ihren Zettel vorlas. „Ehrlich, ich habe nicht geschummelt“, versicherte sie den anderen beiden mit großen Augen. „Das war reiner Zufall!“

Con stöhnte, als sie ihren Zettel auseinanderfaltete. „Joe Kidd.“

„Aber der ist doch sowieso schon seit Monaten hinter dir her. Das ist doch keine Kunst, wenn er …“ Rose hielt entsetzt inne, als sie auf ihren Zettel blickte, und wurde puterrot.

„Los, sag schon, wen hast du gezogen?“ Con riss ihr ungeduldig das Stück Papier aus der Hand. „Ist ja irre – James Sinclair.“ Sie warf Fabia einen scharfen Blick zu, die daraufhin schmollend die Lippen schürzte.

„Warum denn nicht? Du hast gesagt, vier Typen, die wir sympathisch finden.“

„Ja, warum nicht?“, meinte Rose ironisch. „James Sinclair ist ja auch nur der verklärte Halbgott der Uni. Captain des Rugby-Teams, hyperintelligent, macht als Jahrgangsbester sein Endexamen, sieht traumhaft aus und ist Schwarm aller weiblichen Wesen. Ist doch ein Kinderspiel. Den habe ich, das kleine Erstsemester, in null Komma nichts so weit, dass er mir wie ein Schoßhündchen hinterherhechelt.“ Sie fuhr sich entnervt mit den Fingern durchs Haar.

Con tätschelte ihr beruhigend die Schulter. „Reg dich wieder ab, du musst ja nicht, wenn du nicht willst. Komm, zieh einen anderen Namen.“

„Ja, es war nur ein dummer Scherz von mir“, gestand Fabia reuig.

„Wieso?“ Rose war beleidigt. „Glaubt ihr, ich sei nicht sexy genug, um so einen Mann zu interessieren?“

„Nein, darum geht es überhaupt nicht, Liebes.“ Fabia zögerte. „Nun, es geht das Gerücht, dass er … dass er schwul ist.“

„Unsinn!“, mischte Con sich ein. „Das kommt nur daher, weil er nicht jedem Rock hinterherrennt, der ihm in die Quere kommt.“

„So wie ich gehört habe, nimmt er Röcke noch nicht einmal zur Kenntnis“, fügte Rose düster an.

„Woher weißt du das?“

„Ally Farmer hats mir gesagt. Ich war mit ihr beim Rugby-Match. Sie ist doch mit dem Fullback zusammen.“

„Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dass du Rugby magst“, meinte Con nachdenklich.

„Ich bin zu ein paar von den Spielen gegangen, als ihr beide bummeln wart …“ Rose wurde unbehaglich zu Mute, als zwei lauernde Augenpaare sich auf sie richteten. „Was? Was ist denn?“

„Sinclair hat dich bestimmt gesehen“, vermutete Fabia.

„Klar, unwiderstehlich von meinen blauen Augen in der Zuschauermenge angezogen, während er über das Spielfeld hechtet und die Hälfte der gegnerischen Mannschaft von sich abschüttelt“, spottete Rose.

Con nahm Roses Kinn in die Hand und drehte ihren Kopf hin und her. „Das ist gut möglich.“ Sie begutachtete Roses Augen kritisch. „Groß genug sind sie ja. Und außergewöhnlich. Irgendwie dunkelblau.“

„Ja, sehr hübsch“, bestätigte Fabia jetzt auch. „Aber, wie ich schon immer gesagt habe, du vernachlässigst das, was die Natur dir mitgegeben hat. Du brauchst mehr Farbe …“

Als Rose am Abend in ihr Bett kroch, schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Wie hatte sie überhaupt zustimmen können, bei diesem Unfug mitzumachen? Da James Sinclair ein so anspruchsvolles Objekt war, hatten Con und Fabia Abstand davon genommen, die Herren Hargreaves und Kidd zu bezaubern, und sich stattdessen als Back-up-Team für Rose verpflichtet. Immerhin konnte keiner verlangen, dass Rose die Herausforderung James Sinclair allein anging. Als Erstes würden Con und Fabia alles über James Sinclair in Erfahrung bringen, was sich irgendwie auftreiben ließ, ohne Verdacht zu erwecken. Ausgestattet mit diesem Wissen, könnte Rose dann, wenn sie in seiner Begleitung war – eine Aussicht, bei der ihr regelrecht übel vor Angst wurde – gezielt kleine Bemerkungen fallen lassen, die sein Interesse auf sie richten und ihm klar machen würden, dass sie ähnliche Vorlieben und Abneigungen hätten, kurzum, dass James Sinclair und Rose Dryden seelenverwandt waren.

Allerdings musste Rose, so Cons Plan, Sinclair erst einmal zufällig über den Weg laufen.

„Und wo soll das passieren?“, fragte Rose.

„Wenn ich ‚laufen‘ sage, meine ich auch laufen.“ Con hatte offensichtlich schon alles generalstabsmäßig geplant. „Im Stadion. Joe Kidd hat mir erzählt, dass Sinclair dort jeden Morgen um sieben ein paar Runden dreht.“

„Ich soll laufen?“ Rose schnappte entsetzt nach Luft.

Fabia fühlte mit ihr. „Um sieben Uhr morgens?“

„Nein, früher.“ Con kannte keine Skrupel. „Rose muss eher da sein als er, damit es nach Zufall aussieht.“

„Oh, mein Gott! Dann bin ich ja schon tot, bevor er überhaupt ankommt!“

Niemand war im Stadion, als Rose am nächsten Morgen dort ankam. Sie atmete auf. Eine Hoffnung blieb ihr noch: vielleicht war er ja schon wieder weg. Oder er würde gar nicht kommen, schließlich war es ein grauer, wolkenverhangener Morgen.

Sie lief auf der Stelle, lockerte ihre müden Muskeln und nahm die erste Runde in Angriff. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Drei Runden, dann ist Schluss, schwor sie sich. Und sofort zurück ins Bett, komme, was wolle.

Als sie eine halbe Runde hinter sich hatte, protestierte ihr geschundener Körper dermaßen, dass Rose ernstlich bezweifelte, überhaupt eine Runde zu überleben. Beim zweiten Rundlauf gewann sie jedoch langsam Einblick in das Geheimnis des Zusammenspiels von Atmung und Bewegung. Ihre Laune stieg minimal, aber immerhin.

Und dann hörte sie Schritte hinter sich, und der körperliche Lichtstreifen am Horizont verdunkelte sich schlagartig. Ihr Herz schlug einen unregelmäßigen Rhythmus, und ihre Lungen schienen endgültig den Dienst zu verweigern. Rose hielt den Blick starr geradeaus gerichtet, als eine Gestalt an ihr vorbeizog. Mit dem knappesten aller Nicken nahm James Sinclair ihre Anwesenheit zur Kenntnis, um dann mit perfekter Körperkoordination und unerhörtem Tempo weiterzurennen.

Rose raffte die letzten Überreste ihrer Selbstbeherrschung zusammen und lief eine weitere Runde. Als Sinclair diesmal an ihr vorbeizog, lächelte er ihr freundlich zu. Damit war die Sache für Rose beendet. Sie hatte alle Erwartungen übertroffen, sowohl, was ihre körperliche Leistung anging, als auch mit Hinsicht auf Sinclairs Reaktion. Beim nächsten Ausgang schwenkte sie von der Bahn und schleppte sich mit letzter Kraft nach Hause.

„Auftrag ausgeführt“, verkündete sie immer noch keuchend, als sie im Apartment stand.

Con und Fabia wollten natürlich einen genauen Bericht, erst dann ließen sie Rose unter die Dusche.

„Wir wollen doch nicht, dass du Muskelkater bekommst. Sonst bist du nächstes Mal völlig steif.“

„Nächstes Mal?“ Rose riss die Augen auf. „Du meinst, ich muss das noch mal machen?“

„Sicher“, erklärte Con streng. „Aber nicht morgen. Lass ihm einen Tag, um dich zu vermissen.“

„So ein Quatsch! Er hat mich doch kaum bemerkt!“

„Vertrau auf die Erfahrung von älteren Frauen.“ Fabia grinste zufrieden. „Sinclair wird morgen nach dir Ausschau halten.“

Und so weckte Con Rose am übernächsten Morgen um halb sieben, überwachte wie eine treu sorgende Glucke Roses Vorbereitungen und schickte sie aus dem Haus, wie eine Mutter ihr Kind zur Schule schicken würde.

Obwohl Rose diesmal früher beim Stadion ankam, war Sinclair bereits da. So blieb ihr nichts anderes übrig, als vier Runden zu rennen, um das Gesicht zu wahren. Während sie keuchte und jeder Atemzug wie ein Messer durch ihre Rippen schnitt, überholte Sinclair sie mehrere Male mit scheinbar müheloser Leichtigkeit. Immerhin lächelte er ihr zur Begrüßung wieder zu, und sobald Rose die magische Zahl vier erreicht hatte, beendete sie die Folter und machte sich auf den Heimweg.

Als sie sich mit hochrotem Kopf und nass geschwitzt auf Cons Bett fallen ließ, waren ihre Freundinnen doch ein wenig besorgt.

„Du musst dich ja nicht gleich umbringen, Herzchen“, murmelte Fabia, während sie Rose die Turnschuhe von den Füßen zog.

„War er da?“, wollte Con wissen.

„Natürlich war er da“, keuchte Rose. „Vor mir. Also musste ich vier Runden rennen, um nicht wie ein Idiot auszusehen.“

„Überleg doch nur, wie fit du bald sein wirst“, frohlockte Fabia. „Und diesmal hat er dich ganz bestimmt gesehen.“

„Das war nicht zu vermeiden. Er hat mich ja oft genug überholt.“

Da der nächste Tag ein Samstag war, wurde Rose gnädig erlaubt, das Laufen ausfallen zu lassen, dafür würde man aber mit der gesamten Clique am Nachmittag zum Rugby-Match gehen.

Es war ein Erlebnis, James Sinclair spielen zu sehen. Aber inmitten der jubelnden Gruppe wurde Roses Stimmung immer düsterer, wenn Sinclair – mal wieder – den Ball nach Hause brachte. Wenn die Wahl doch nur auf einen Normalsterblichen gefallen wäre, dann hätte sie vielleicht noch eine Chance gehabt. Aber bei James Sinclair bestand nicht die geringste Hoffnung. Sie konnte dieses ganze irrwitzige Unternehmen natürlich immer noch abblasen, aber allein bei der Vorstellung meldete sich der Dryden-Stolz. Als der Schiedsrichter das Spiel abpfiff und der siegreiche und schlammbedeckte Held unter Jubelrufen und dem anerkennenden Schulterklopfen seiner Teamkameraden das Spielfeld verließ, legte Rose still einen feierlichen Eid ab. Sie würde es schaffen. Irgendwie würde sie es schaffen.

Als das Trio nach dem Spiel zu Hause angekommen war und mit einer Tasse Kaffee zusammensaß, rief Will Hargreaves mit der Neuigkeit an, dass das Rugby-Team heute Abend im „Sceptre“ den Sieg feiern würde.

Con drehte sich mit einem triumphierenden Lächeln zu Rose um. „Also dann, an die Arbeit. Wenn wir mit dir fertig sind, wird der große Sinclair dich unter Garantie bemerken.“

Ungeachtet allen Protestes wickelten Con und Fabia Roses lange Haare auf dicke Lockenwickler, schminkten ihre Augen und Lippen mit erstaunlicher Professionalität, zwängten Rose in ein eng anliegende Oberteil von Con und gruben eine Jeans aus der hintersten Ecke des Kleiderschrankes wieder aus, die Rose mit dem Prädikat „zu eng“ dorthin verbannt hatte.

Als Rose sich schließlich im Spiegel begutachten durfte, war sie ehrfürchtig erstaunt. „Ich sehe so … so anders aus.“

Beide Freundinnen waren mehr als zufrieden mit dem Resultat ihrer Bemühungen. „Du siehst umwerfend aus!“

„Meint ihr nicht, das ist etwas übertrieben?“ Rose war völlig verunsichert.

„Nein“, kam es unisono zurück. „Das Grundmaterial war da, wir haben nur ein paar Highlights gesetzt.“

Das „Sceptre“ war bereits voll, als das Trio ankam, aber Will und Joe hatten ihnen Plätze freigehalten. Rose sah Sinclair schon beim Eintreten, das dichte dunkle Haar und das markante Gesicht waren nicht zu übersehen. Selbst jetzt, da er lachend mit einer Gruppe von Freunden an der Bar stand, stach er aus der Menge heraus. Er schien so reif und erwachsen im Vergleich zu den anderen, und Rose war froh, als sie sich endlich am Tisch niederlassen konnte, mit dem Rücken zum Raum.

„Dreh dich bloß nicht um, wir sagen dir schon, was du tun sollst“, flüsterte Con ihr zu.

„Auf dem Tisch tanzen?“, schlug Rose bissig vor.

„Später vielleicht. Aber erst einmal gehst du an die Bar und bestellst eine Runde für uns.“

„Aber wir haben doch schon Getränke …“

„Dann geh dir eben eine Tüte Erdnüsse holen oder so was.“ Con stieß sie unsanft an. „Nun geh schon, Sinclair bestellt gerade was.“

Rose erhob sich mechanisch und bahnte sich einen Weg zur Theke. Sich dessen bewusst, dass ihre beiden Mentoren sie mit Argusaugen beobachteten, schaffte sie es sogar, sich einen Platz direkt neben Sinclair an der Theke zu ergattern. Während sie mit klopfendem Herzen neben ihm stand und darauf wartete, die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf sich zu lenken, spürte sie plötzlich eine Hand an ihrem Arm. Mit rasendem Puls drehte sie den Kopf und sah in ein lächelndes Gesicht mit grauen Augen.

„Hallo“, sagte James Sinclair, „kennen wir uns nicht?“

2. KAPITEL

Der unmerkliche schottische Akzent in seiner tiefen Stimme stellten die unglaublichsten Dinge mit Rose an. Mit jagendem Puls versuchte sie sich an Cons Anweisungen zu erinnern. Ach ja, Stirn runzeln und so tun, als müsse sie angestrengt überlegen. Aber da schnippte er schon mit den Fingern.

„Jetzt hab ich’s! Die Bahn!“ Sinclair lächelte auf eine Art, sodass ihr jegliche Flausen über ein mögliches Aufgeben dieses eigentlich unsinnigen Plans sofort ausgetrieben waren. „Wir sind uns im Stadion beim Laufen begegnet.“

„Ach ja.“ Rose war erleichtert, dass er keinen Tipp von ihr gebraucht hatte, um sich an sie zu erinnern. „Ich fürchte allerdings, ich trainiere nicht häufig genug.“ Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. „Ich habe heute Nachmittag das Spiel gesehen. Herzlichen Glückwunsch.“

„Ja, ein gutes Spiel, nicht wahr? Interessierst du dich für Rugby?“

Rose nickte und deutete dann mit dem Kopf zum Barmann, der auf seine Bezahlung wartete. Während Sinclair einen Geldschein über die Theke schob, fragte er Rose: „Darf ich dir einen Drink ausgeben?“

„Nein, danke, ich habe schon etwas zu trinken. Ich wollte mir nur ein paar Erdnüsse holen.“ Sie sah zu ihrem Tisch hinüber, wo die anderen mit andächtiger Bewunderung die Szene an der Bar verfolgten. Immerhin bestand Sinclair darauf, für die Tüte Erdnüsse zu zahlen.

„Wie heißt du eigentlich?“

„Rose. Rose Dryden.“

„Hallo, Rose. Ich bin James Sinclair.“

Mit einem höflichen Lächeln bedankte Rose sich bei ihm und ging dann zum Tisch zurück, wo Con sich sofort zu ihr herüberlehnte.

„Das lief ja hervorragend.“

„Ja, er hat sich an mich erinnert, vom Laufen.“

„Ich wusste es!“, triumphierte Con.

Normalerweise hatte Rose bei diesen Abenden mit der Clique immer viel Spaß gehabt, aber plötzlich schienen ihr alle unreif und viel zu laut. Auch die mehr als großzügige Dosis an männlichen Interessensbekundungen aufgrund ihres veränderten Aussehens verfehlte die beabsichtigte Wirkung – es war ihr einfach nur lästig. Nach einer weiteren Stunde hatte sie genug.

„Ich gehe nach Hause“, flüsterte sie Con zu. „Ich habe Kopfschmerzen und brauche ein bisschen frische Luft.“

Als Rose allein die ansteigende Straße zum Campus entlangging, hörte sie plötzlich Schritte hinter sich. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie. Sie beschleunigte ihre Schritte, und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich, als hinter ihr die Schritte auch schneller wurden. Gehetzt wirbelte sie herum, als ihr Name gerufen wurde. Doch dann erkannte sie die Stimme und auch die Gestalt.

„Oh, hallo.“ Sie mühte sich ein Lächeln ab. „Ich wusste nicht, dass du es bist.“

„Ich kam dir nach, als ich sah, dass du den Pub verlässt.“ James Sinclair lächelte sie schelmisch an. „Man sollte so spät abends nie allein nach Hause gehen.“

„Wieso? Es ist nur ein kurzes Stück, und hier passiert doch nichts.“

„Und weshalb bist du dann fast gerannt, als ich dir folgte?“

Rose zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich ein Reflex.“

„Komm, ich begleite dich, und du kannst mir etwas über dich erzählen. Wie alt bist du?“, fragte Sinclair, während sie Seite an Seite den Hügel hinanstiegen.

Erst wollte sie sich älter machen, aber dann beschloss sie, ehrlich zu sein. „Achtzehn.“ Sie war überzeugt, dass so ein erwachsener Mann wie James Sinclair mit seinen zweiundzwanzig Jahren jetzt sofort das Interesse verlieren würde. Aber sie erinnerte sich auch an das, was sie mit Con geprobt hatte. „Und wenn du meinen Lebenslauf hören willst … Ich bin für englische Literatur eingeschrieben, sehe gerne ausländische Filme und laufe ab und zu ein paar Runden, um mich fit zu halten. So, sicher tut es dir jetzt leid, dass du überhaupt gefragt hast, oder?“

„Nein, ganz und gar nicht.“ Er lächelte sie an, während sie vor dem Eingang des Studentenwohnheims stehen blieben.

„Und was ist mit dir?“, fragte sie scheinbar gleichgültig.

Sinclair zögerte, doch dann erzählte er ihr knapp, was sie sowieso schon wusste: Er studierte Betriebswirtschaft.

Es war besser, das hier abzubrechen, bevor es ihn langweilte. Rose streckte ihm lächelnd die Hand hin. „Danke fürs Nachhausebringen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Rose Dryden.“ Er lächelte zurück. „Wir sehen uns bestimmt mal wieder auf der Bahn.“

Phase zwei.

Cons Plan folgend, hielt Rose sich am nächsten Tag vom Stadion fern. Als sie dann aber am übernächsten Morgen nach drei Runden schon meinte, dass alle Anstrengungen – sie schnaufte, als würde sie kurz vor dem Kollaps stehen – umsonst gewesen wären, erschien endlich die athletische Figur auf dem Platz. Mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, erwiderte sie das Lächeln, das Sinclair ihr zur Begrüßung zuwarf, beendete die vierte Runde und schleppte sich zum Ausgang, bevor er sie entweder überholte oder sie endgültig zusammenbrach.

Natürlich hätte sie es vor den anderen nie zugegeben, aber es kostete sie tatsächlich einiges an Selbstbeherrschung, am folgenden Morgen nicht zum Stadion zu gehen. Und als dann einen Tag darauf der Wecker um sechs Uhr klingelte, brauchte niemand sie mehr anzutreiben, damit sie aufstand.

Um halb sieben erkannte sie im fahlen Licht des grauen Morgens, dass Sinclair bereits im Stadion war und sein Training absolvierte. Sie stöhnte innerlich. Jetzt würde sie noch mehr Runden rennen müssen, um den Schwindel nicht auffliegen zu lassen. Angeblich rannte sie ja gerne.

Sie machte ein paar Lockerungsübungen auf der Stelle, um ihre Muskeln vor der kommenden Quälerei zu warnen, dann setzte sie zur ersten Runde an, mit einem Tempo, von dem sie hoffte, dabei länger durchhalten zu können.

Als Sinclair sie überholte, wurde zu dem knappen Lächeln heute sogar ein „Hi!“ hinzugefügt.

„Hi“, schnaufte Rose zurück, dachte aber gar nicht daran, ihr Tempo zu beschleunigen. Was auch nicht nötig war, denn als er sie das nächste Mal überrundete, verlangsamte er seines, um neben ihr herzutrotten.

„Versuchs doch mal ein bisschen schneller“, schlug er freundlich vor. Er war kein bisschen außer Atem.

Rose gab ihr Bestes, aber nach drei Runden in einem für sie unvorstellbaren Tempo musste sie aufgeben. Sie ließ sich auf das Gras am Rand fallen und versuchte verzweifelt, ihre schmerzenden Lungen zu beruhigen.

Sinclair hockte neben ihr und sah reuig aus. „Tut mir leid, Rose, es war nicht meine Absicht, dich völlig fertigzumachen.“

Mit hochrotem, verschwitztem Gesicht sah sie ihn an. „Mit – deinem Level – kann ich – einfach nicht – mithalten.“

„Könntest du aber. Komm doch jeden Morgen, dann bist du bald in Form. Ich meine“, er schenkte ihr ein Lächeln, das ihr keineswegs dabei half, wieder normal zu atmen, „nicht dass etwas mit deiner Form nicht stimmt.“

Sie raffte sich auf die Füße, in dem erleichternden Bewusstsein, dass ihr Gesicht unmöglich noch röter anlaufen konnte. „Ich muss nach Hause. Ich brauche dringend eine Dusche.“

„Aha, auf solche Bemerkungen gehst du also nicht ein.“

Dabei hatte ihr sein Kompliment äußerst gut gefallen. Rose lächelte nur unverbindlich, als er neben ihr herging. Allerdings fragte sie sich, ob er sie wohl wieder nach Hause bringen würde.

„Wenn ich Vorlesungen habe, bringe ich mein Duschzeug mit her und ziehe mich hier um“, sagte er. „Das kannst du morgen ja auch machen, dann könnten wir unten in der Fernfahrerkneipe zusammen frühstücken.“

Roses Puls begann wieder zu rasen. Ob das wohl Cons Vorstellung von Fortschritt und Erfolg war? Aber das war ihr mittlerweile gleichgültig. Denn jetzt war es nicht mehr Cons Plan, sondern Rose Drydens höchst eigene Mission, James Sinclair in sich verliebt zu machen.

„Du musst natürlich nicht, wenn du nicht willst“, sagte er rau, als sie nicht reagierte.

Die Worte rissen sie aus ihren Gedanken. „Doch, hört sich gut an. Einverstanden.“

„Gut.“ Er wandte sich brüsk ab. „Bis morgen also.“

Rose sah nichts und niemanden auf ihrem Weg nach Hause, sie schwebte auf Wolken. Das Empfangskomitee wartete natürlich schon ungeduldig und wollte sofort sämtliche Details berichtet bekommen.

„Wow!“, kommentierte Fabia zutiefst beeindruckt. „Du hast es geschafft, Rose.“

„Es handelt sich hier um ein Frühstück in einer Truckerkneipe, nicht um ein romantisches Dinner bei Kerzenlicht“, gab Rose zu bedenken.

Con lachte. „Bei Sinclair ist das wahrscheinlich noch besser.“

Am nächsten Morgen war es dann so weit. Sinclair war schon im Stadion, als Rose ankam, aber er verlangsamte sein Tempo und lief neben ihr her, erklärte ihr die Technik wie ein professioneller Trainer. Tatsächlich war Rose immer noch in der Lage, gerade zu stehen und nicht einfach umzufallen, als er beschloss, es sei genug für heute.

„Ab unter die Dusche“, kommandierte er gutmütig. „Und beeil dich ein bisschen.“

Der Duschraum für die Frauen war völlig leer, und das heiße Wasser tat ihrem gequälten Körper unendlich gut, aber sie hielt sich an Sinclairs Aufforderung, nicht zu trödeln. Hastig trocknete sie sich ab, zog das gelbe Sweatshirt mit Kapuze, das Con ihr zur Verfügung gestellt hatte, und die enge Jeans an und band das lange Haar zu einem lockeren Zopf. Sie verzichtete auf Make-up und Mascara, zu denen Con ihr geraten hatte, einfach weil sie aufgeregt war, schnell wieder nach draußen zu kommen.

Als sie an die frische Luft trat, glühte ihr ganzen Körper vor freudiger Erwartung, und als ihr Sinclairs anerkennender Blick auffiel, wurde ihr noch wärmer.

„Wenn du dich so gut fühlst, wie du aussiehst, war das Laufen heute ein Erfolg.“

„Ich fühle mich großartig. Und ich habe Riesenhunger.“ Es war die Wahrheit, vor lauter Übermut hätte sie am liebsten getanzt.

Das Truckercafé war gemütlich und gut besetzt, es roch nach deftiger Hausmannskost und frischem Kaffee. Sinclair führte sie zu einer Nische an einen freien Tisch und ging dann an die Theke, um wenig später mit einem Tablett mit zwei Bacon-Sandwiches und zwei Tassen Tee zurückzukommen.

„Gebratener Speck“, verkündete er mit Professorenmiene, „macht das Leben erst lebenswert.“

Rose, die eigentlich nie frühstückte, fiel heißhungrig über ihr Sandwich her. „Oh, war das gut“, seufzte sie wohlig und trank dann von ihrem Tee. „Aber was ich auf der Bahn an Kalorien verloren habe, habe ich jetzt direkt wieder draufgefuttert.“

„Läufst du deshalb? Um abzunehmen?“ Die grauen Augen musterten Rose zweifelnd von Kopf bis Fuß.

„Nein.“ So weit konnte sie ehrlich antworten. „Ich wollte nur ein paar Endorphine freisetzen. Angeblich soll das ja beim Laufen passieren, und das ist gut fürs Gehirn, nicht wahr?“

„Bei mir funktionierts auf jeden Fall“, bestätigte er. „Aber es gehört auch zu meinem Training. Obwohl ich mich eigentlich jetzt im letzten Jahr auf mein Examen und nicht aufs Rugby konzentrieren sollte. Aber die Saison ist ja bald vorbei.“

„Und dann läufst du nicht mehr?“ Die Frage war herausgerutscht, ohne dass sie darüber nachgedacht hatte.

Er betrachtete sie nachdenklich. „Ich denke“, sagte er schließlich, „wenn ich mit dem Laufen aufhören würde, würde es mir fehlen. Jetzt.“

Rose trank hastig den letzten Schluck Tee und stand auf. Wenn sie noch eine Sekunde länger hier mit ihm sitzen würde, würde er bestimmt bemerken, wie aufgeregt sie war. „Wie viel bin ich dir für das Frühstück schuldig?“

„Nichts.“ Sinclair stand ebenfalls auf und lächelte befangen. „Du kannst das nächste Mal zahlen.“

Das nächste Mal! Sie hätte jubeln mögen, als sie zusammen zum Campus zurückgingen. Erstaunte, ja ungläubige Blicke von den Kommilitonen begegneten ihnen, als man den viel bewunderten Sinclair erkannte, der mit einem Erstsemester gesehen wurde. Am Eingang zum Studentenheim bedankte Rose sich für das Frühstück und wollte hastig ins Haus verschwinden, damit Sinclair nicht merkte, wie gern sie noch länger mit ihm zusammen gewesen wäre.

„Rose! Warte!“, rief er hinter ihr her. Sie drehte sich zu ihm um. „Wir haben übermorgen ein Spiel. Wirst du es dir wieder ansehen?“

„Ich weiß noch nicht“, wich sie aus und freute sich maßlos, weil er tatsächlich leicht enttäuscht aussah.

„Na ja, wenn du es nicht schaffst, sehen wir uns am Sonntag auf der Bahn, wie üblich. Versuch doch mal eine Runde mehr. Wenn du es schaffst, bezahle ich dir ein Extra-Sandwich.“

Con war sehr stolz auf ihren Zögling, als Rose am Samstag verkündete, sie würde weder zum Spiel gehen noch in den Pub.

„Großartiger Schachzug! Fabia trifft sich nach dem Spiel mit Hargreaves im ‚Sceptre‘. Wir zwei könnten zusammen ins Kino gehen“, bot sie großzügig an.

„Im ‚Cameo‘ läuft einer von diesen französischen Filmen, die ich ja angeblich so mag. Wenn ich Sinclair beeindrucken will, sollte ich mir wohl irgendwann mal einen ansehen. Aber wenn du keine Lust hast …“ Roses Augen leuchteten, als sie grinste. „Ich werde wohl besser hierblieben und ein bisschen arbeiten.“

„Ah, du lernst wirklich schnell!“ Con lachte. „Du brauchst überhaupt keine Hilfe mehr.“

Es war unendlich schwer, sich am Samstagnachmittag in dem völlig verlassenen Studentenwohnheim an den Schreibtisch zu setzen und die Bücher hervorzuholen, und es war praktisch unmöglich, sich auf das Schreiben des Shakespeare-Essays für ihr Seminar zu konzentrieren. Trotzdem schaffte Rose es irgendwie. Aber als ihre Zimmergenossinnen spätabends zurückkamen, gab es kein Halten mehr.

„Ja, Sinclair war da“, beantwortete Con lachend die hastig ausgesprochene Frage. „Als wir hereinkamen, hat er sofort nach dir Ausschau gehalten, ob du nicht bei uns bist. Und den ganzen Abend über hat er sich immer wieder den Hals verrenkt und zu unserem Tisch geschaut, ob du nicht vielleicht später noch nachkommen würdest.“

„Es funktioniert!“ Fabia klatschte begeistert in die Hände. „Ach, ich wünschte, ich hätte Sinclair gezogen!“

Con prustete los. „Komm schon, Fabia, ich kann mir dich kaum morgens um halb sieben auf der Bahn vorstellen.“

Fabia lachte gut gelaunt. „Nein, du hast recht, kein Mann ist diese Mühe wert.“

„Übrigens“, merkte Con an, „wir haben Unmassen an Informationen herausgefunden.“ Sie zählte an den Fingern ab. „Also … er kommt aus der Nähe von Edinburgh, wohnt in der Stadt zur Untermiete, hat ein Faible für ausländische Filme, ist Sportfanatiker – als wenn wir das nicht wüssten! – geht aber auch gern angeln. Die Ferien verbringt er am liebsten auf der Isle of Skye, und ‚Ehrgeiz‘ ist sein zweiter Vorname.“

Rose war perplex. „Von wem habt ihr das alles?“

„Oh, Will und Joe werden immer sehr gesprächig, wenn das Thema sich um ihren angebeteten Helden dreht“, kam es von Fabia. „Außerdem musste ich mich gefährlich nah an Hargreaves heranmachen, um das über die schottische Herkunft herauszufinden.“ Fabia klimperte mit den Wimpern. „Ich hätte fast meinen Ruf als anständiges Mädchen verloren. Aber nur fast.“

„Tu doch nicht so“, schnaubte Con lachend. „Jeder weiß, was du für Hargreaves übrig hast. Aber halt ihn warm. Vielleicht brauchen wir ihn noch.“

Und in dieser übermütigen, albernen Stimmung verspürte Rose urplötzlich ein ganz anderes Gefühl: Gewissensbisse. Sie konnte nur hoffen, dass Sinclair nie etwas von dieser ganzen Geschichte erfahren würde.

3. KAPITEL

Als Rose am nächsten Morgen noch vor dem Weckerklingeln erwachte, regnete es in Strömen. Deprimiert machte sie sich fertig, leise, um die anderen nicht zu wecken, stieg in ihren Trainingsanzug, nahm ihre Tasche und trottete im Regen den Hügel hinunter zum Stadion, fest davon überzeugt, dass Sinclair bei diesem Wetter nicht auftauchen würde.

Doch als sie ankam, erkannte sie die schon vertraute Gestalt in einem weißen Blouson mit Kapuze.

„Hallo“, begrüßte er sie. „Ich hätte nicht erwartet, dass du kommen würdest.“

„Um ehrlich zu sein, ich hatte da so meine Bedenken.“ Sie lächelte ihn strahlend an, dann sah sie mit gerunzelter Stirn auf die Bahn, auf der schon vereinzelt Pfützen standen. „Und da drauf wollen wir laufen?“

„Aufgrund des Wetters habe ich einen anderen Vorschlag.“ Er nahm ihr die Sporttasche ab.

„Wir gehen direkt zu den Bacon-Sandwiches über?“, spekulierte sie hoffnungsvoll.

Er grinste. „So was in der Art. Allerdings ist das Café sonntags so früh noch nicht geöffnet.“

„Oh.“ Rose schluckte die Enttäuschung herunter. „Na ja, vielleicht ein andermal.“

„Ich wohne zur Untermiete.“ Er sprach jetzt schnell, und der leichte schottische Akzent ließ sich deutlicher hören. „Und meine Vermieterin ist übers Wochenende weggefahren, sie spielt Babysitter bei ihrer Tochter. Sie erlaubt mir, ihre Küche zu benutzen … Ich mache auch großartige Sandwiches.“ Er hielt kurz inne. „Willst du zusammen mit mir frühstücken, Rose?“

Aufregung schwappte über sie wie eine Flutwelle. „Ja, gern. Danke für die Einladung.“

Er lächelte erleichtert. „Gut. Dann komm, lass uns laufen. Es ist eine ziemliche Strecke, bevor du etwas zu essen kriegst.“

„Und ich hatte schon gehofft, ich könnte mich heute endlich mal drücken!“

Als sie vor dem großen Haus aus solidem Backstein ankamen, waren sie nass bis auf die Haut. Sinclair schloss die Haustür auf und schob Rose in die große Eingangshalle. „Zieh deine Schuhe aus“, ordnete er an und reichte ihr die Tasche. „Und dann sieh zu, dass du nach oben ins Bad kommst und dir trockene Sachen anziehst.“

„Was ist mit dir?“, fragte sie, immer noch außer Atem.

„Ich benutze Mrs. Bradleys Bad hier unten. Ich werde mich umziehen und dann schon mal den Speck braten. Mein Zimmer ist übrigens oben das erste auf der rechten Seite. Warte dort auf mich.“

Sie wünschte sich von Herzen, sie würde endlich nicht mehr ständig rot anlaufen, wenn sie in seiner Gegenwart war. Also machte sie sich hastig auf, um sich in dem Badezimmer umzuziehen. Als sie dann über den Gang ging und Sinclairs Zimmertür öffnete, kam sie sich fast wie ein Einbrecher vor.

Überall stapelten sich die Bücher, neben dem breiten Sofa, vor den Bücherregalen, die überflossen, in einer Zimmerecke. Der große Tisch, den er als Schreibtisch benutzte, war ebenfalls mit Papieren und Büchern übersät, aber ein Teil war bereits freigeräumt, offensichtlich, um Platz für das gemeinsame Frühstück zu schaffen. Rose war irgendwie froh, dass in diesem Zimmer kein Bett zu sehen war. Sie beneidete ihn ein bisschen um diese Studentenbude, ihr Zimmer im Wohnheim war kaum halb so groß.

Ihre Tante behauptete immer, dass man einen Menschen nach den Büchern beurteilen konnte, die er las, aber in Sinclairs Fall griff diese Weisheit nicht. Jeder Buchrücken, den sie neugierig betrachtete, trug einen rein akademisch-wissenschaftlichen Titel, mit Ausnahme einiger Bücher, die sich mit dem Angeln beschäftigten.

Rose fuhr erschreckt herum, als sie die Tür hinter sich gehen hörte und Sinclair mit einem großen Tablett in der Hand ins Zimmer trat. „Das ging aber schnell!“ Sie konnte nur hoffen, dass er nicht aus ihrer Stimme heraushörte, wie nervös sie war.

Sinclair stellte das Tablett ab und schaltete dann den Wasserkocher ein. „Ich hatte schon alles bereitgestellt, bevor ich heute Morgen aus dem Haus ging. Ich brauchte nur noch den Speck zu braten.“ Er reichte ihr einen Teller mit zwei Sandwiches und machte sich dann daran, Tee aufzubrühen. Mit einer großen Kanne kam er an den Tisch zurück und setzte sich.

„Was ist los, Rose?“, fragte er schließlich, als Rose nur stumm an ihrem – übrigens sehr guten – Sandwich kaute.

Dass sie einfach nur überlegte, was sie Brillantes sagen könnte, um nicht als völliger Hohlkopf dazustehen, gestand sie ihm natürlich nicht. „Ich dachte nur gerade daran, dass ich das eigentlich nicht erwartet hatte, als ich heute Morgen aus dem Haus ging.“

Er zog fragend eine Augenbraue hoch. „Gefällt dir das Truckercafé besser?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Dann sieh gefälligst nicht so verschreckt drein. Ich bin wirklich ganz harmlos.“

Sie musste unwillkürlich grinsen. „Ja, ich habe schon so was läuten gehört.“

Sein Blick wurde plötzlich eisig. „Ach ja? Und was genau hast du gehört?“

Das Blut schoss ihr ins Gesicht. „Nur, dass du mehr an guten Noten als an Mädchen interessiert bist.“

Der eisige Ausdruck wich einem leichten Lächeln. „Stimmt. Sieh dich doch mal um.“ Er deutete mit einer ausholenden Bewegung auf die Bücherstapel. „Und übrigens – das Gerücht über meine sexuelle Orientierung ist absoluter Blödsinn. Von einem Mädchen in meinem ersten Jahr verbreitet, weil ich sie hatte abblitzen lassen.“

Rose sah ihm direkt ins Gesicht. „Deine sexuelle Orientierung geht mich nichts an. Ich verstehe nicht, warum das, Rasse oder Religion überhaupt eine Rolle spielen, wenn es um Freundschaft geht.“

Sinclair goss ihr noch einen Tee ein. „Das meinst du ganz ernst, was?“

„Ja.“ Rose lächelte schief. „Vielleicht bin ich in deinen Augen noch grün hinter den Ohren, aber ich habe durchaus meine Überzeugungen.“

„Haben deine Eltern dir diese Überzeugungen eingegeben?“

Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. „Sie haben zumindest den Grundstock angelegt, aber sie starben, als ich vierzehn war. Ich bin bei meiner Tante groß geworden. Minerva hat ziemlich ausgeprägte Ansichten, wahrscheinlich habe ich ein paar davon übernommen, ohne dass es mir überhaupt klar ist.“

Sinclair stand plötzlich auf und schien Rose auf einmal viel größer als sonst. Er kam um den Tisch herum, setzte sich neben sie auf das Sofa und nahm zu ihrem Erstaunen ihre Hand in seine.

„Willst du mir von deinen Eltern erzählen?“, fragte er mit tiefer, mitfühlender Stimme.

Rose warf ihm einen argwöhnischen Seitenblick zu, begann dann aber zögernd von dem verantwortungslosen Raser zu erzählen, der dem Leben ihrer Eltern auf einer schmalen Landstraße ein Ende bereitet hatte.

„Sie wollten mich von der Schule abholen. Lange Zeit konnte ich einfach nicht akzeptieren, dass sie tot waren, selbst als ich schon bei meiner Tante lebte. Minerva gehört ein kleiner Buchladen, wir haben über dem Laden in der Wohnung gewohnt.“

„Es muss schwer für dich gewesen sein“, sagte James leise.

„Etwas anderes zu behaupten, wäre falsch. Aber ich habe sehr gute Erinnerung an meine Kindheit, an die Urlaube, die Mom und Dad und ich miteinander hatten. Einmal sind wir auch nach Schottland gefahren, auf Skye.“ Das war die erste echte Lüge, die über ihre Lippen gekommen war, und rasch griff sie nach ihrer Teetasse, um das schlechte Gewissen zu verdrängen.

„Skye!“, rief Sinclair prompt aus. „Als mein Vater noch lebte, sind wir jedes Jahr hingefahren.“ Dann wurde er still. „Er starb, als ich zwölf war.“

Rose saß regungslos, wagte kaum zu atmen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass James im Gegenzug so freimütig von sich erzählen würde.

„Im Schlaf. Eines Morgens wachte meine Mutter neben ihm auf, und er war tot. Herzinfarkt. Dad war ein Workaholic und hatte ein schwaches Herz. Eine tödliche Kombination. Als ich achtzehn war, heiratete meine Mutter wieder. Er ist ein guter Mann, und sie sind glücklich zusammen, aber …“

Rose, deren Hand immer noch in seiner lag, drückte seine Finger. „Aber du hast dich irgendwie ausgeschlossen gefühlt.“

Er runzelte nachdenklich die Stirn. „So habe ich das noch nie gesehen, aber ja, wahrscheinlich ist es so. Deshalb habe ich mich auch auf dieser Uni eingeschrieben. Ich hätte auch in Edinborough zur Uni gehen können, aber ich wollte die Frischvermählten nicht stören. Vorher bin ich noch ein Jahr mit dem Rucksack durch Australien getrampt.“

„So etwas würde ich auch gern mal machen“, meinte Rose ein wenig neidisch. Dann griff sie das Thema wieder auf. „Stört es dich, dass deine Mutter wieder geheiratet hat?“

„Nein, überhaupt nicht. Meine Mutter war noch keine vierzig, als sie Witwe wurde, und sie hat gewartet, bis ich aus dem Haus war. Donald ist wirklich ein netter Kerl, ein erfolgreicher Anwalt, und er ist völlig verrückt nach meiner Mutter.“ Jetzt grinste er. „Ist auch verständlich. Sie ist immer noch verdammt attraktiv.“ Er wurde wieder ernster. „Sie hat unser Haus verkauft und ist bei ihm eingezogen. Sie haben für mich ein eigenes Zimmer eingerichtet, aber ich kann mir nicht helfen. Jedes Mal, wenn ich dort bin, fühle ich mich wie ein Gast …“ Plötzlich schüttelte er den Kopf. „Warum erzähle ich dir das eigentlich alles? Du bist wirklich eine verdammt gute Zuhörerin.“

Jetzt, dachte sie. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um zu gehen. Sie löste ihre Hand aus seiner. „Ich sollte dich jetzt wohl besser wieder deinen Büchern überlassen. Danke für das Frühstück und … und für das Gespräch.“

James stand auf und streckte sich. „Man muss einen normalen Mann nicht lange bitten, über sich selbst zu reden“, meinte er ironisch.

„Normaler Mann“ waren sicherlich nicht die Worte, die Rose gewählt hätte, um ihn zu beschreiben, aber sie wusste auch nicht, welche sie benutzt hätte. „Also dann …“

„Ja, wir sehen uns morgen auf der Bahn. Und … diese Sache mit dem Frühstück sollten wir wiederholen.“

Sie winkte ihm nicht einmal zu, während er in der Tür stand, und sie hatte ernsthaft Mühe, sich den Triumphschrei zu verkneifen. Morgen würde sie ihn auf der Bahn wiedersehen, und er hatte gesagt, dass es ein weiteres gemeinsames Frühstück geben würde. Con hatte also recht! Zwar bezweifelte Rose, dass ein Mann wie James Sinclair jemals zum Sklaven einer Frau werden würde, aber es war ihr gelungen, sein Interesse zu wecken.

Als sie im Wohnheim ankam, warteten Con und Fabia bereits ungeduldig auf sie.

„Wo, um alles in der Welt, warst du so lange?“, verlangte Con zu wissen.

Fabia musterte mit argwöhnischer Miene Roses leuchtendes Gesicht. „Du wirst doch bei diesem Wetter nicht die ganze Zeit gerannt sein, oder?“

„Nein, James meinte, die Bahn sei wegen der Nässe zu gefährlich. Wir sind in seiner Bude frühstücken gegangen.“

„Seine Bude?“, wiederholte Con. „Du meinst, bei ihm zu Hause?“

Rose lachte lauthals los, als sie die beiden baff erstaunten Gesichter ihrer Freundinnen sah. „Ja, genau das meine ich.“ Und dann gab sie einen detaillierten Bericht über den Ablauf des Morgens, wobei sich bei Con und Fabia immer mehr Bewunderung in den Augen zeigte.

Fabia ließ sich wie erschöpft in einen Sessel fallen. „Wow!“ war alles, was sie hervorbrachte.

Con war mehr als beeindruckt. „Du hast es geschafft!“

„Es ist nicht so, dass James in mich verliebt ist“, wehrte Rose ab.

„Noch nicht“, widersprach Con bestimmt. „Aber er will wieder mit dir frühstücken, das allein ist schon ein kleines Wunder. Du hast viel erreicht, Rose, alle Achtung. Und wenn er morgen mit dir laufen will, wirst du da sein.“

„Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?“

„Nein, Herzchen, das ist Phase drei! Es wird Zeit, die Dinge ein bisschen anzuheizen.“

„Ich hoffe nur, das endet nicht mit Tränen.“

Fabia runzelte die Stirn. „Warum sollte es? Es ist doch nur ein Spiel!“

Als Rose später in ihrem Bett lag, dachte sie lange über diesen Satz von Fabia nach. Seit James und sie einander von sich erzählt hatten, war es für sie kein Spiel mehr; etwas hatte sich geändert. Die Gewissensbisse ließen sie nicht zur Ruhe kommen, trotzdem stand sie am nächsten Morgen auf und machte sich auf den Weg zum Stadion. James’ Begrüßungslächeln war so warm, dass sie die Kälte des trockenen Morgens glatt vergaß.

Sie liefen nebeneinander her, und unter seiner Anleitung bemerkte Rose, dass sie besser atmen, schneller laufen und länger durchhalten konnte.

Sie war bereits vier Runden gelaufen, und sie fühlte ein euphorisches Glücksgefühl in sich aufsteigen, als ein stechender Schmerz sie durchzuckte. Ihr Fuß gab nach, und sie stürzte schwer. James war sofort bei ihr.

„Rose! Was ist passiert? Ist alles in Ordnung?“

Sie nickte benommen und keuchte. „Ich muss auf etwas getreten sein. In meinem Schuh …“

James zog ihr vorsichtig den Schuh aus und begann laut zu fluchen, als er einen kleinen Nagel in der Sohle stecken sah. Auf Roses Socken sah man den Blutfleck, der langsam größer wurde. Auch den Socken zog er ihr behutsam aus und begutachtete die Wunde an ihrer Fußsohle. „Wie, zum Teufel, kommt ein Nagel auf die Rennbahn?“

„Wahrscheinlich hat der gestrige Regen ihn hierher geschwemmt.“

„Dann könnten hier noch mehr herumliegen. Ich werde dem Stadionwart Bescheid sagen, aber vorher brauchst du einen Verband.“

James rannte in die Umkleidekabinen, um den Erste-Hilfe-Kasten zu holen. Sobald er zurück war, verarztete er Roses Fuß, zog ihr Socken und Schuh wieder an. Vor Verlegenheit wäre Rose am liebsten im Boden versunken, aber all ihre Proteste verpufften wirkungslos. James half ihr aufzustehen, und sobald sie feststellte, dass sie zwar nicht richtig laufen, aber durchaus sehr gut humpeln konnte, bestand sie darauf, allein nach Hause zu gehen.

Die anderen schliefen noch, als sie im Apartment ankam. Der Morgen war ihr gründlich verdorben worden. Sie unterdrückte ein Schluchzen, als sie unter die Dusche stieg. So hatte es also doch noch in Tränen geendet. Vorerst kein Laufen mehr mit James, und auch kein Wort darüber, ob oder wann sie sich wiedersehen würden.

Als sie sich abtrocknete, stürzte Fabia plötzlich in das Bad.

„Telefon! Los, renn!“

Zu Tode erschrocken, humpelte Rose zum Telefon im Wohnzimmer. Hoffentlich war ihrer Tante nichts passiert! Atemlos meldete sie sich.

„Rose? Hier ist James.“

Roses verblüfftes Gesicht bestätigte den anderen beiden, was sie bereits vermutet hatten. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht und den Daumen in die Höhe gerichtet, verließen Con und Fabia den Raum.

Rose musste sich erst räuspern, bevor sie überhaupt ein kleines „Hallo“ hervorbringen konnte.

„Ich wollte nur wissen, ob du es heil nach Hause geschafft hast. Wie gehts deinem Fuß?“

„Ist schon fast wieder in Ordnung. Der Nagel war glücklicherweise nicht groß.“

„Trotzdem solltest du den Fuß eine Weile nicht belasten.“

„Ja, sicher.“

Schweigen.

„Rose?“

„Ja?“

„Du warst so schnell verschwunden, dass ich dich nicht fragen konnte …“

Schweigen.

„Rose, hast du heute Abend schon etwas vor?“

Roses Finger umklammerte den Telefonhörer. „Nein.“

„Wir könnten vielleicht zusammen ins Kino gehen. Natürlich nur, wenn du Lust hast …“

„Ja, warum nicht?“ Sie konnte nur hoffen, dass die Antwort lässig klang.

„Fein. Ich komme dich um sieben mit dem Auto abholen. Mit deinem Fuß kannst du ja nicht richtig laufen.“

Auto? Das konnte alles nur ein Traum sein. „Danke. Bis später dann.“ Rose legte langsam den Hörer auf. Nein, das war besser als ein Traum.

„Was wollte er?“ Con stand schon auf der Türschwelle.

Rose wandte sich im Zeitlupentempo zu ihrer Freundin um. „Er holt mich heute Abend mit dem Auto ab. Wir gehen zusammen ins Kino.“

„Fabia!“, rief Con triumphierend. „Phase drei ist angelaufen!“

4. KAPITEL

Rose kam abrupt in die Gegenwart zurück. Das Badewasser war kalt geworden, und sie war ärgerlich über sich selbst. Sie hatte so lange vor sich hin geträumt, dass ihr jetzt keine Zeit mehr bleiben würde, das Kleid, das sie heute Abend hatte tragen wollen, zu bügeln. Also entschied sie sich für das schwarze Jerseykleid mit dem Seitenschlitz, kämmte ihr dichtes Haar, das ihr heute nur noch bis auf die Schultern reichte, und legte geschickt und rasch dezentes Make-up auf – Fabia Hargreaves wäre stolz auf sie, wenn sie sie sehen könnte.

Normalerweise holte Anthony sie samstagabends immer um Punkt acht Uhr ab, er legte viel Wert auf Pünktlichkeit. Aber heute war Freitag, und er klingelte mit fast einer Stunde Verspätung an ihrer Wohnungstür.

„Der Verkehr am Freitag ist immer schlimm. Komm, stärke dich erst einmal mit einem Drink“, begrüßte sie ihn.

„Danke. Das ist genau, was ich jetzt brauche. Du bist ein Engel.“ In der Wohnung stellte er den kleinen Koffer ab und ließ sich mit einem Seufzer auf das Sofa fallen. „Ein Stau nach dem anderen, und dann auch noch ein Unfall.“ Er wirkte müde und abgespannt, und jetzt sah man ihm auch im Gegensatz zu sonst sein wahres Alter an. Dankbar nahm er den Whisky an, den Rose ihm reichte, und stürzte ihn in einem Schluck herunter. „Ah, das tut gut.“ Dann betrachtete er Rose lächelnd. „Du siehst sehr hübsch aus, Rose.“

„Danke. Ich habe übrigens im Restaurant angerufen und Bescheid gesagt, dass wir später kommen. Sie waren nicht begeistert, aber sie werden den Tisch für uns halten.“

Anthony runzelte die Stirn. „Das kann man doch wohl auch erwarten. Wir essen schließlich oft genug dort.“

„Aber heute ist Valentinstag.“

Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Ich habs vergessen! Oh Rose, ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“

Rose zog die Augen zusammen. „Dann ist die Karte also wohl nicht von dir?“ Sie reichte ihm den roten Umschlag mit der Grußkarte. „Und die einzelne Rose?“

„Nein, weder noch.“ Anthony war ganz offensichtlich wenig begeistert. „Von wem kommen diese Sachen?“

„Ich habe keine Ahnung, wirklich nicht“, versicherte sie ihm. „Aber wir sollten uns jetzt besser auf den Weg machen.“

„Ja, natürlich, du hast recht. Kann ich mich bei dir umziehen? Da ich so spät dran war, habe ich noch nicht im Hotel eingecheckt.“

„Ja, natürlich.“ Sie hatte sich schon gefragt, wieso er den Koffer bei sich hatte. Sie zeigte ihm das Bad und ging wieder ins Wohnzimmer zurück.

Mit düsterem Blick starrte sie auf die Karte und die Rose. Wenn Anthony ihr diese Dinge nicht geschickt hatte – wer war dann der heimliche Verehrer?

Diese Frage beschäftigte sie so sehr, dass sie Mühe hatte, den Abend zu genießen. Dabei hatte das Restaurant alle Register gezogen, um den Valentinstag gebührend zu ehren, und auch Anthony zeigte sich von seiner besten Seite. Aber nach dem Essen stürzte er den Kaffee und den Cognac uncharakteristisch schnell herunter und beugte sich dann geradezu verschwörerisch zu Rose vor.

„Rose, ich möchte dich etwas sehr Wichtiges fragen.“ Er sah sie so durchdringend an, dass Rose eine ungute Ahnung überkam. Aber sie gab sich bewusst unbefangen.

„Nun, in diesem Fall sollten wir vielleicht zu mir zurückgehen. Hier ist es zu laut, um in Ruhe zu reden.“

Es war nur ein kurzes Stück bis zu ihrer Wohnung über dem Buchladen, aber da Anthony beharrlich schwieg, kam ihr der Weg endlos vor.

In der Wohnung angekommen, wollte Rose Kaffee machen, doch Anthony hielt sie an der Hand zurück.

„Nein, ich möchte im Moment keinen Kaffee. Komm her und setz dich zu mir.“ Er zog sie auf das Sofa und hielt ihre Hand weiter fest. „Rose, wir gehen jetzt schon eine ganze Zeit regelmäßig miteinander aus“, setzte er an.

„Ab und zu, an Samstagen, ja“, verbesserte sie. Sie hatte eine Ahnung, worauf das Ganze hinauszulaufen schien, und das gefiel ihr überhaupt nicht.

„Es sind jetzt mehr als drei Monate, Rose“, stellte Anthony richtig, „und es ist lange genug für mich, um mir über meine Wünsche im Klaren zu sein. Und ich hoffe sehr stark, dass es auch deine Wünsche sind.“

Rose betrachtete ihn argwöhnisch. „Anthony, was willst du sagen?“

„Du erkennst doch sicher einen Antrag, wenn man ihn dir macht, oder? Rose, ich frage dich, ob du mich heiraten willst.“ Er versuchte sie zu küssen, doch Rose stand abrupt auf und ließ sich im gegenüberstehenden Sessel nieder.

„Warum?“, fragte sie leise.

„Warum?“ Anthony war fassungslos und offensichtlich beleidigt. „Weil du mir etwas bedeutest, und weil ich überzeugt bin, dass wir beide zufrieden miteinander leben können. Genießt du unsere gemeinsame Zeit denn nicht?“

„Doch, natürlich. Aber ich hatte keine Ahnung, dass du an Heirat denkst.“ Rose hob zweifelnd eine Augenbraue. „Jetzt mal ehrlich, Anthony. Ist dein Heiratsantrag vielleicht nur ein tief verwurzeltes Bedürfnis, deiner Exfrau zu zeigen, dass eine jüngere Frau sich für dich interessiert?“

„Das ist nicht fair!“, fuhr er verlegen auf, dann fasste er sich wieder. „Am Anfang war es vielleicht so etwas in der Art“, gestand er schließlich leise, und Rose respektierte ihn dafür. „Aber das hat sich sehr bald geändert. Und als ich heute diese dumme Karte und die Rose sah, hat mich so die Eifersucht gepackt, dass ich unsere Beziehung gern offiziell machen möchte.“ Er sah bittend zu ihr hin. „Wirst du dir deine Antwort wenigstens überlegen?“

„Ich denke, das wird unmöglich sein, Anthony“, erwiderte sie sanft.

Anthony sprang auf, verlegen, verwirrt und erbost. „Warum nicht? Gibt es da einen anderen?“

Rose seufzte. „Nicht so, wie du denkst.“

„Sondern?“ Unruhig begann er im Zimmer auf und ab zu marschieren. „Falls Marcus ein Problem für dich sein sollte, so sehe ich da keines. Marcus würde ja gar nicht bei uns leben, und außerdem mag er dich.“

„Das freut mich zu hören.“ Sie folgte ihm mit Blicken, während er weiter auf und ab ging. „Wo, stellst du dir vor, würde ich nach unserer Hochzeit leben?“

Die Frage verwirrte ihn nur noch mehr. „Na, bei mir natürlich.“

„In London?“

„Ja, sicher. Ist das ein Problem?“

„Es könnte eines werden. Mein ganzes Leben ist hier auf Chastlecombe konzentriert. Hier habe ich meine Freunde und Familie, hier verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Und hier habe ich meine Unabhängigkeit.“ Sie zögerte, aber dann beschloss sie, ihm die Wahrheit zu sagen. „Es gibt da etwas aus meiner Vergangenheit, das du nicht weißt.“

Anthony kniff die Augen zusammen. „Aus deiner Vergangenheit? Hast du etwa ein Kind?“

„Nein, das nicht.“

„Ja, was um Himmels willen dann?!“

Beklommen drehte sie das Gesicht zum Fenster. „Ich kann jetzt niemanden heiraten, Anthony, weil ich immer noch verheiratet bin.“

„Wie bitte?!“ Er schwang zu ihr herum, sein Gesicht dunkel vor Ärger. „Und du hast es nicht für nötig gehalten, mir das zu sagen?“

Rose hob würdevoll das Kinn. „Ich habe es noch nie jemandem gesagt. Selbst Minerva weiß es nicht. Und dir hätte ich es ganz bestimmt nicht gesagt, wenn du nicht angefangen hättest, von Heirat zu reden.“

„Was glaubst du denn, hat ein Mann in meinem Alter für Vorstellungen?“ Anthony war außer sich. „Ich bin wohl ein bisschen zu alt, um als dein ‚Freund‘ durchzugehen.“

„‚Partner‘ sagt man heute wohl …“

„Das Wort Partner beinhaltet aber eine ganze Reihe von Privilegien, derer ich mich bisher nicht erfreuen durfte“, meinte er bissig. „Und jetzt finde ich heraus, dass es da einen immensen Teil in deinem Leben gibt, von dem ich überhaupt nichts weiß.“

„Warum solltest du auch, Anthony? Das geht nur mich etwas an.“

„Ach ja? Und was ist mit deinem geheimnisvollen Ehemann? Geht es den etwas an?“

Sie presste die Lippen aufeinander. „Ja, ihn natürlich auch.“

Anthony breitete fragend die Arme aus. „Wo liegt das Problem? Weigert er sich, sich scheiden zu lassen?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nie um die Scheidung gebeten.“

Es kostete Anthony übermenschliche Anstrengung, die Beherrschung zu wahren. „Rose“, fragte er sehr sachlich, „wie alt warst du, als ihr geheiratet habt?“

„Achtzehn.“

Die Fassungslosigkeit konnte er allerdings nicht verheimlichen. „Vor zehn Jahren? Und warum hast du bisher die Scheidung noch nicht beantragt?“

„Unsere Trennung verlief so feindselig, dass ich mir geschworen habe, er müsste als Erster den Schritt machen und die Scheidung einreichen.“

„Und warum hat er das noch nicht?“

„Ich weiß es nicht. Finanziell hätte er bestimmt keinen Schaden erlitten. Ich will keinen Penny von ihm.“

Anthony betrachtete sie nachdenklich. „Ich glaube, Rose“, setzte er schließlich an, „du solltest dich von diesem Mann befreien – deine Absichten mir gegenüber mal ganz außer Acht gelassen.“ Er lächelte zerknirscht. „Ich kenne mich aus mit Scheidungen, aus eigener Erfahrung. Wegen Marcus und wegen des Hauses war meine etwas komplizierter, aber ich kann dir versichern, dass jedes Gericht nach zehn Jahren Trennungszeit die Scheidung aussprechen wird, ganz gleich, ob der Ehepartner zustimmt oder nicht.“

„Tatsächlich?“ Sie war wirklich überrascht. „Dann frage ich mich nur, warum er sich nicht von mir hat scheiden lassen. Oder vielleicht hat er auch nur vergessen, dass wir überhaupt je verheiratet waren.“

Anthony schüttelte deprimiert den Kopf. „Kein Mann würde es je vergessen, wenn er mit dir verheiratet wäre.“

Anthony verließ sie gegen zwölf Uhr, um sein Zimmer im „King’s Head“ zu beziehen. Wie jedes Wochenende. Anthony Garrett war ein konservativer Mann, und bis zum heutigen Abend hatte er nie versucht, ihre Beziehung auf eine intimere Ebene zu führen. Wofür sie ihm dankbar war. Sie mochte ihn, aber was das Sexuelle anbelangte, so verspürte sie Anthony gegenüber keinerlei Intentionen.

Es musste gegen zwei Uhr nachts sein, als das Telefon neben ihrem Bett klingelte. Rose, die nach den aufreibenden letzten Stunden keinen Schlaf fand, nahm den Hörer auf, ließ ihn aber sofort wieder fallen, als am anderen Ende nur ihr Name geflüstert wurde.

Mehr verängstigt, als sie sich eingestehen wollte, warf sie ihren Morgenmantel über und ging in die Küche, um sich einen heißen Tee zu machen. Sich jetzt Gedanken über diesen geheimnisvollen Anrufer zu machen, würde ihr nur Albträume bescheren.

Es gab einen unfehlbaren Weg, um sich abzulenken.

Vielleicht hatte Anthony ja sogar recht. Vielleicht sollte sie sich noch einmal jedes Detail aus der Vergangenheit ins Gedächtnis rufen. Vielleicht würde ihr das helfen, endlich mit der Gegenwart klarzukommen.

5. KAPITEL

Für ihr erstes richtiges Date hatte Rose alle Hilfe von Con und Fabia abgelehnt. Sie hatte allein ausgewählt, was sie heute Abend tragen würde, hatte ihr Make-up selbst aufgetragen und sich das lange Haar nur mit einem Schal zum Pferdeschwanz gebunden. Allerdings kostete das alles kaum Zeitaufwand, und so war sie lange vor der verabredeten Zeit fertig. Als James dann endlich pünktlich um sieben unten an der Haustür klingelte, war sie fast krank vor Aufregung.

Die Freundinnen verabschiedeten sie wie eine Braut, die auf Hochzeitsreise ging, und dann stand sie vor James, der, lässig an den Kühler eines alten Sportwagens gelehnt, draußen auf sie wartete.

„Hallo“, grüßte sie ihn atemlos. „Tolle Felgen.“

James tätschelte zärtlich die Kühlerhaube. „Sie ist eine Zeit lang nicht benutzt worden, es hat so lange gedauert, die Ersatzteile zu besorgen. Aber ich habe sie gerade aus der Werkstatt abgeholt.“ Er hielt die Tür für Rose auf. „Ich habe das Verdeck verschlossen gelassen, damit du wenigstens heute Abend trocken bleibst.“

Genau wissend, dass Con und Fabia sich oben am Fenster die Nasen platt drückten, schlüpfte Rose hastig auf den Sitz.

„Was macht der Fuß?“, erkundigte sich James. „Keine Entzündung?“

„Nein, alles in Ordnung. Es ziept noch ein bisschen, aber ich werds überleben.“

Als sie im „Cameo“ ankamen, waren die Lichter bereits heruntergedreht worden. Sie fanden ihre Plätze und saßen Seite an Seite im Dunkeln. Rose konnte immer noch nicht so recht glauben, dass dies hier wirklich passierte, aber langsam entspannte sie sich so weit, dass sie zumindest die Untertitel entziffern und den Sinn des Filmes verstehen konnte. Falls James hinterher über den Film sprechen wollte, sollte die angeblich glühende Anhängerin des französischen Films wenigstens ein paar zusammenhängende Kommentare abgeben können.

Als sie nach dem Film das Kino verließen, regnete es mal wieder in Strömen. Hand in Hand rannten sie zum Wagen.

„Es ist noch früh“, meinte James, als er anfuhr. „Hast du Lust auf ein Sandwich oder einen Drink?“

Und ob! „Ja, gern.“

„Wir können in den Pub gehen, oder wir können auch zu mir fahren, wenn du möchtest.“

„Zu dir“, antwortete sie sofort. Wie durch ein Wunder war ihnen niemand von der Uni begegnet, aber im Pub könnte das durchaus anders sein. Und Rose hatte absolut keine Lust, die neugierigen Blicke auf sich zu fühlen und das Gewisper zu hören, wie weit diese Beziehung zwischen Rose Dryden und James Sinclair wohl gehen mochte. Falls man überhaupt von Beziehung reden konnte!

Sobald sie bei dem großen alten Haus ankamen, wurde die Haustür aufgezogen, und eine ältere, grauhaarige Dame winkte die beiden jungen Leute lächelnd herein.

„Ich habe den Wagen gehört“, erklärte sie. „Kommt schnell ins Haus, damit ihr nicht völlig nass werdet. James, wollen Sie uns nicht vorstellen?“

James machte die beiden miteinander bekannt, und Mrs. Bradley strahlte übers ganze Gesicht. „Ich freue mich so, Sie kennenzulernen, meine Liebe. Lassen Sie mich Ihren Mantel nehmen.“

Rose murmelte leicht verlegen eine höfliche Bemerkung, während James lächelnd erklärte: „Wir haben uns entschieden, hier einen Kaffee zu trinken und uns noch ein Sandwich zu machen, anstatt in den Pub zu gehen, Mrs. Bradley.“

„Aber natürlich, mein Junge. Bei den Preisen, die heute verlangt werden. Da ist noch Schinken im Kühlschrank und Käse, und ein Salatkopf ist auch noch da.“ Die Vermieterin lächelte den beiden mütterlich zu. „Macht euch etwas zurecht. Ich werde meine Lieblingsserie im Fernsehen weiterverfolgen.“

Offensichtlich hat Mrs. Bradley nichts gegen weibliche Besucher, dachte Rose, als sie James, der das Tablett mit den Sandwiches trug, die sie zusammen zubereitet hatten, die Treppe hinauf zu seinem Zimmer folgte.

James musterte sie forschend, als er in seinem Zimmer das Licht einschaltete. „Was ist, Rose? Möchtest du lieber unten in der Küche essen?“

„Isst du denn normalerweise in der Küche?“

„Nein, nur sonntags, dann verwöhnt Mrs. Bradley mich mit einem richtigen Sonntagsessen. Ansonsten hole ich mir immer alles auf dem Tablett nach oben.“ Er schüttelte belustigt den Kopf. „Schau doch nicht so verschüchtert drein, Rose. Du siehst zwar zum Anbeißen aus, aber ich verspreche, mich nur an die Sandwiches zu halten. Großes Ehrenwort! Wenn du solche Angst hast, hätten wir besser in den Pub gehen sollen.“

Rose brachte immerhin ein Lächeln zustande, auch wenn sie vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken wäre. „Entschuldigung. Ich habe mich nur gefragt, was deine Vermieterin davon hält, wenn du weiblichen Besuch auf deinem Zimmer empfängst.“

„Oh, sie war ganz begeistert, als ich sie vorwarnte, dass ich heute Abend eventuell Besuch mitbringe. Sie meint, es wird Zeit, dass ich mir eine ‚nette junge Dame‘ suche.“ Er reichte ihr ihren Sandwichteller. „Bestimmt warst du doch auch schon mal auf dem Campus im Zimmer eines männlichen Wohnheimbewohners?“

„Schon, aber nie allein.“

Er ließ sich neben ihr auf dem Sofa nieder und biss herzhaft in sein Sandwich. „Ich verstehe nicht, dass noch keiner von diesen heißblütigen Typen, die immer um dich herumschwirren, dich gefragt hat, ob du mit ihm ausgehen willst.“

Rose nickte mit vollem Mund. „Doch.“

„Aber du bist nicht mit ihnen ausgegangen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

Rose funkelte ihn an. „Du stellst ganz schön viele Fragen.“

James grinste entschuldigend. „Tut mir leid, ich bin einfach nur neugierig.“

„Nervös“, verbesserte sie ihn. „Du fragst dich, warum ich bei ihnen Nein und bei dir Ja gesagt habe.“

Er lachte auf. „Touché!“ gab er zu.

Sie biss von dem Brot ab und warf ihm einen Seitenblick zu. „Diesmal sollte ich dir wohl versprechen, dass du ganz beruhigt sein kannst.“

„Ich bin gar nicht beunruhigt, ich frage mich nur, warum ich es geschafft habe und die anderen nicht.“

Rose stieß die Luft durch die Zähne aus. „Wahrscheinlich einfach, weil die anderen meinen Geschmack bei Filmen nicht teilen.“ Sie beschloss, alle Vorsicht aufzugeben. „Da wir gerade bei dem Thema sind … Dein Desinteresse am anderen Geschlecht ist so legendär, dass ich mich wohl fragen sollte, warum ausgerechnet ich es ‚geschafft‘ habe, wie du es so charmant nennst.“

„Autsch, die Rose hat Dornen!“ Doch dann sah er ihr direkt ins Gesicht. „Weil du anders bist. Keine Tricks, keine Spielchen, das ist so gar nicht wie die anderen Mädchen.“

Keine Tricks! Das schlechte Gewissen meldete sich so laut, dass er es eigentlich hätte hören müssen. Sie schluckte. „Glaub mir, ich passe durchaus in die Kategorie ‚Mädchen‘.“

„Das ist mir nicht entgangen“, meinte er trocken. Dann lenkte er ab: „Möchtest du Tee, Kaffee oder ein Bier?“

„Tee, bitte. Ich trinke zwar Bier, wenn wir mit der Clique ausgehen, aber eigentlich mag ich es gar nicht.“

Autor

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Jessica Steele stammt aus der eleganten Stadt Royal Leamington Spa in England. Sie war ein zerbrechliches Kind und verließ die Schule bereits mit 14 Jahren als man Tuberkulose bei ihr diagnostizierte. 1967 zog sie mit ihrem Mann Peter auf jenen bezaubernden Flecken Erde, wo sie bis heute mit ihrer Hündin...
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