Julia Exklusiv Band 343

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  • Erscheinungstag 05.11.2021
  • Bandnummer 343
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501330
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sally Wentworth, Miranda Lee, Jessica Steele

JULIA EXKLUSIV BAND 343

PROLOG

ZWEIHUNDERTJAHRFEIER DER FIRMA BRODEY

Das herrliche Barockpalais der Brodeys am Douro-Ufer in Portugal wird in Kürze Mittelpunkt einer Woche festlicher Veranstaltungen sein. Anlass dazu ist die bevorstehende Zweihundertjahrfeier des Familienunternehmens.

Der Name Brodey steht heutzutage nicht nur für erlesene Weine, insbesondere Madeiras und Portweine, sondern auch für eine Vielzahl anderer Produkte. Die Firma wurde vor zweihundert Jahren auf der schönen Insel Madeira gegründet und später nach Porto verlegt, als Calum Lennox Brodey der Erste riesige Ländereien im malerischen Douro-Tal erwarb.

EINE TRAGISCHE VERGANGENHEIT

Die bevorstehende Feier ist zweifellos ein glückliches Ereignis für die Brodeys, doch sind ihnen im Lauf der Jahre auch Tragödien nicht erspart geblieben. Bei einem tragischen Autounfall vor zweiundzwanzig Jahren in Spanien verlor Calum Lennox Brodey, das Oberhaupt der Familie, seine beiden ältesten Söhne und deren Gemahlinnen. Beide Ehepaare hinterließen je einen Sohn, und die zwei ungefähr gleichaltrigen Jungen wurden nach dem Tod der Eltern von ihrem Großvater in seinem palácio großgezogen. Mittlerweile sind beide in seine Fußstapfen getreten und haben sich dem Familienunternehmen angeschlossen.

Nach der Tragödie, so sagt man, hoffte der alte Herr, sein dritter Sohn Paul werde einmal die Führung des Unternehmens übernehmen. Doch Paul Brodey entschied sich für die Kunst und ist heute ein gefeierter Maler. Er lebt mit seiner Frau Maria in der Nähe von Lissabon. Der einzige Sohn des Künstlerpaares, Christopher, hat sich dem Familienunternehmen angeschlossen und ist hauptsächlich im New Yorker Firmenbüro im Verkauf tätig.

Nur einer seiner Enkel leistet dem alten Calum – wie er in Winzerkreisen allgemein genannt wird – in dem prunkvollen Renaissancepalais Gesellschaft: Calum, Nachfahre seines ältesten Sohnes. Calum Brodey – man nennt ihn bereits den jungen Calum – ist einer der begehrtesten Junggesellen in ganz Europa. Mittlerweile hat er die Leitung der Firma übernommen, er wird allerdings während der Feierlichkeiten taktvoll seinem Großvater den Vortritt überlassen.

HEIRATSGERÜCHTE

Einer weiteren Familientradition zufolge heiraten die Söhne blonde Engländerinnen und halten somit die Bande zum Land ihrer Herkunft aufrecht. Schon seit mehreren Generationen hat jeder der jungen Brodeys eine „englische Rose“ aus Großbritannien heimgeführt. Man fragt sich, ob auch Calum und Christopher dieser Tradition treu bleiben werden.

Lennox, der dritte Enkel des alten Brodey, und seine schöne junge Frau Stella leben in Madeira und werden bei den Feierlichkeiten ebenfalls anwesend sein. Stella – natürlich ist auch sie eine blonde englische Schönheit – erwartet gerade ihr erstes Kind.

Adele, die einzige und äußerst elegante Tochter des alten Brodey, ist mit Guy de Charenton verheiratet, dem bekannten Mäzen und immer noch sehr gut aussehenden französischen Aristokraten und Millionär.

Obwohl die Brodeys vor allem in England zahlreiche Verbindungen zu den oberen Zehntausend unterhalten, verdanken sie letztendlich ihren Einstieg in die Kreise des europäischen Adels der auffallend schönen Francesca, Adeles einziger Tochter, die vor ein paar Jahren Prinz Paolo de Vieira in seinem märchenhaften Schloss in Italien heiratete. Alles deutete auf eine glückliche Zukunft hin, doch bereits nach zwei Jahren wurde das junge Paar geschieden. Seitdem sind die Gerüchte über eine erneute Heirat der schönen Prinzessin nicht abgerissen. Auf ihren zahlreichen Einkaufstouren in Paris und Rom sieht man sie neuerdings in Begleitung des französischen Grafen Michel de la Fontaine.

Allen Mitgliedern der Familie Brodey möchten wir an dieser Stelle herzlich zu der bevorstehenden Zweihundertjahrfeier gratulieren. Wir sind überzeugt, dass ihnen und ihren erlesenen Gästen eine unvergessliche Woche bevorsteht.

1. KAPITEL

Alle Brodeys waren gekommen und erwarteten hier, in den herrlichen Gärten des prunkvollen Barockpalais außerhalb von Porto, ihre Gäste, um den zweihundertsten Geburtstag des Familienunternehmens zu feiern. Das heutige Mittagessen im Freien war der Beginn einer ganzen Woche von Festlichkeiten. Einhundertfünfzig geladene Gäste waren erschienen – und ein uneingeladener.

Zwanglos mischten sich die Familienmitglieder unter ihre Gäste – Einkäufer aus Europa und Übersee, Spediteure und Weinexperten aus Portugal. Jeder wollte ein paar Worte mit einem der Brodeys wechseln, besonders mit dem Familienoberhaupt Calum Lennox Brodey oder Old Calum, wie er allgemein genannt wurde. Der alte Herr war mittlerweile über achtzig, doch seine Augen strahlten wie eh und je vor Intelligenz und Lebensfreude. Sein Enkel und Erbe, der junge Calum, der jetzt an der Spitze des riesigen Unternehmens mit seinen weit verzweigten Geschäftsinteressen stand, war fast ebenso gefragt.

Eine junge Frau – groß, schlank und blond – in einem leuchtend roten Hosenanzug ließ sich gerade von einem Kellner ein Glas eisgekühlten weißen Portwein reichen und wandte sich charmant lächelnd ein paar neuen Gästen zu. Es war Prinzessin Francesca de Vieira, die Enkelin des alten Brodey, in Begleitung eines gut aussehenden französischen Grafen, von dem man munkelte, dass er ihr nächster Ehemann werden würde.

Von ihrem Standort am Rande der riesigen Terrasse beobachtete Tiffany Dean diese drei Mitglieder der Familie Brodey, Old Calum und seine beiden Enkelkinder, mit ganz besonderem Interesse. Seitdem sie beschlossen hatte, uneingeladen zu der Party zu kommen, hatte sie sich mithilfe zahlreicher Artikel in portugiesischen und internationalen Zeitschriften über die Brodeys informiert, besonders über Francesca, ihre Aufsehen erregende Hochzeit mit einem italienischen Prinz und die nicht weniger aufregende Scheidung.

Neidisch beobachtete Tiffany die junge Frau in dem todschicken Outfit. Ihr Auftreten besagte deutlich, dass sie daran gewohnt war, stets das Beste zu bekommen: die beste Ausbildung, die besten Kleider – und die besten Männer.

Der junge Calum Brodey legte die gleiche Selbstsicherheit an den Tag. Wie fast alle Brodeys war er groß und blond, denn einer Familientradition zufolge heirateten die männlichen Nachkommen stets blonde Britinnen – „englische Rosen“, wie sich ein poetisch gesinnter Journalist ausgedrückt hatte.

Tiffany schluckte. Sie war hier, um mehr über das Privatleben des Erben dieser portugiesischen Dynastie ausfindig zu machen und danach einen Artikel über ihn zu schreiben. Ihr Auftraggeber, eine Frauenzeitschrift, für die sie bereits ein paarmal gearbeitet hatte, war der Meinung, dass sie bessere Aussichten auf Erfolg haben würde als einheimische Reporter – schließlich war sie blond und Engländerin.

Unter anderen Umständen hätte sie den Auftrag empört abgelehnt: Das Privatleben berühmter Persönlichkeiten auszukundschaften gehörte nicht zu ihrem Repertoire. Doch die Tatsache, dass sie kein Geld mehr hatte und keinerlei Aussicht auf eine Stelle, gestattete ihr nicht, wählerisch zu sein. Trotzdem hätte sie den Auftrag und das gute Honorar dafür abgelehnt, wenn sie nicht aus privaten Gründen ein Hühnchen mit den Brodeys zu rupfen gehabt hätte. Ihnen verdankte sie den Verlust ihres Jobs in einem Golfclub, wegen dem sie ursprünglich nach Portugal gekommen war, und zwar nur, weil die Familie, als einer der Hauptinvestoren, sich plötzlich von dem Projekt zurückzogen hatte und es damit zu Fall brachte. Tiffany, zusammen mit Hunderten von Angestellten, verlor ihre Arbeit. Die scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal so vieler Menschen konnte sie nicht vergessen – ebenso wenig wie ihr leeres Bankkonto. Und so hatte sie ihre Skrupel überwunden und den Auftrag angenommen. Sorgfältig geschminkt und in einem schicken, geliehenen Seidenkostüm stand sie nun tatsächlich hier inmitten der illustren Gäste.

Tiffany schüttelte ungläubig den Kopf. Es war erstaunlich leicht gewesen, sich einzuschleichen. Sie hatte sich einfach einer Gruppe ankommender Gäste angeschlossen und war mit ihnen, ohne weitere Kontrolle, durch den aufwendig dekorierten Empfangsbereich geleitet worden. Als Nächstes musste sie einen Weg finden, Calum Brodey vorgestellt zu werden. Hoffentlich hatte sie Glück. Resolut machte sie sich auf den Weg in seine Richtung.

Ein Kellner mit einem Tablett voller Getränke blieb vor ihr stehen. Sie griff nach einem Glas. Im selben Augenblick streckte jemand den Arm über ihre Schulter, um das Gleiche zu tun. Als sie sich umwandte, erblickte sie einen hochgewachsenen und breitschultrigen jungen Mann. „Hallo“, sagte er. „Sie sehen aus, als würden Sie englisch sprechen.“ Seinem Akzent nach war er Amerikaner.

Tiffany zögerte, dann nickte sie. „Ja, ich spreche englisch. Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Er zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Nur, ich kann kein Portugiesisch und kenne hier keine Seele. Und ich hatte den Eindruck, dass es Ihnen auch nicht besser geht.“ Mit einem freundlichen Grinsen streckte er ihr die freie Hand hin. „Ich heiße Sam. Sam Gallagher.“

Wieder zögerte Tiffany. Sie wollte nicht mit diesem Amerikaner ihre Zeit verschwenden, aber es war vielleicht nicht schlecht, für eine Weile einen Begleiter zu haben. So lächelte sie ebenfalls und schüttelte die angebotene Hand. „Tiffany Dean.“

Sams Augen glitten bewundernd über ihre zierliche Figur. Dann fragte er: „Was trinken wir eigentlich?“

„Weißen Portwein. Kennt man den nicht in den Staaten? Sie sind doch Amerikaner, oder?“

Er grinste erneut. „Ja, aus Wyoming.“

„Sind Sie Weinhändler?“

„Sehe ich so aus?“

„Jeder hier hat anscheinend irgendetwas mit Wein zu tun.“ Während Tiffany mit ihm sprach, hielt sie Ausschau nach Calum Brodey. Er stand nicht weit von ihr entfernt, und sie begann, langsam in seine Richtung zu gehen.

Sam folgte ihr und redete munter weiter. „Ein Freund von mir arbeitet bei einer Speditionsfirma hier in Portugal. Er erhielt eine Einladung, und weil er nicht kommen konnte, gab er sie mir.“ Er sah sich um. „Das ist schon eine tolle Party. Kennen Sie die Brodeys?“

Lässig zuckte sie mit den Schultern. „Hier kennt sie jeder. Sie gehören zu den wichtigsten Familien in Porto. Der alte Herr da drüben ist das Familienoberhaupt. Er spricht gerade mit einem seiner Enkel, Lennox Brodey, und dessen Frau – das ist die schwangere Blondine in dem roten Kleid.“

Mit einem Anflug von Neid betrachtete sie das junge Paar, das ganz offensichtlich sehr ineinander verliebt war. Der Frau sah man an, wie sehr sie sich auf ihr Baby freute.

„Und die Große dort in dem roten Hosenanzug …“, mit dem Kopf wies Tiffany auf Francesca, „… ist seine Enkelin.“

Sam folgte ihrem Blick, dann pfiff er bewundernd. So reagieren sie wahrscheinlich alle, wenn sie die Prinzessin sehen, dachte Tiffany bekümmert und wünschte, sie wäre zwanzig Zentimeter größer. Dann schob sie den Gedanken beiseite. Selbstmitleid würde sie nicht größer machen; es war entschieden besser, ihre eigenen Trümpfe geschickt auszuspielen. Und das Schönste an ihr war, wie sie wohl wusste, ihr dichtes, blondes Haar und ihr Gesicht mit den großen blauen Augen, der niedlichen Stupsnase und dem vollen Mund. Es war ein Gesicht, nach dem man sich umsah, besonders, wenn sie lächelte oder lachte. Und obwohl sie ihrer Meinung nach zu klein war, gab es an ihrer zierlichen, wohlproportionierten Figur nichts auszusetzen.

„Leben Sie hier in Portugal?“, fragte Sam, als sie weitergingen.

„Nur vorübergehend.“ Langsam wurde sie seiner müde. Sie wünschte, er würde sich nach einer anderen Begleiterin umsehen. Doch er sagte nur: „Ich bin auch nur zu Besuch. Vielleicht sollten wir uns ein wenig Gesellschaft leisten.“

Tiffany wäre viel lieber allein gewesen. Sie konnte ihn nicht brauchen und wollte keine Zeit mehr mit ihm verschwenden. Also leerte sie ihr Glas und hielt es ihm entgegen. „Könnten Sie mir wohl noch einen weißen Portwein besorgen? Mit recht viel Eis, bitte.“

„Aber gern. Ich bin gleich wieder da.“

Der Amerikaner verschwand in der Menge, um nach einem Kellner Ausschau zu halten. Sobald er außer Sicht war, ging Tiffany schnell auf den Rasen zu, wo sie Calum zuletzt gesehen hatte. Eine Gruppe lachender, schwatzender Männer kam ihr entgegen. Einer von ihnen drehte sich grinsend zu einem seiner Freunde um und stieß dabei mit Tiffany zusammen.

„Perdao!“, rief er und streckte eine Hand aus, um sie am Hinfallen zu hindern.

„Äh … Keine Ursache“, erwiderte sie mühsam auf Portugiesisch.

Er lachte und antwortete auf Englisch: „Sie sind bestimmt nicht von hier.“

„Ist das so deutlich zu hören?“

Lächelnd sagte er: „Ihr Akzent ist entzückend.“

Sie sah zu ihm auf. Er war groß, gut aussehend und hatte dunkelbraunes, nicht zu kurzes Haar. Sein Gesicht kam ihr bekannt vor. „Sie hören sich aber auch nicht wie ein Portugiese an.“

„Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Meine Mutter ist halb Portugiesin.“ Er hielt ihr die Hand entgegen. „Darf ich mich vorstellen – Christopher Brodey.“

Natürlich! Bei ihren Nachforschungen hatte sie sein Bild in einer der Zeitschriften gesehen und gelesen, dass er den Ruf eines Playboys genoss. Er war noch nicht alt; sie schätzte ihn auf höchstens Ende zwanzig. Vielleicht konnte er ihr helfen, Calum Brodey kennenzulernen.

Also nahm sie seine Hand und lächelte ihn kokett an. „Angenehm. Ich bin Tiffany Dean.“

„Tiffany. Das klingt aber hübsch.“ Sein Blick sagte ihr, dass er nicht nur ihren Namen hübsch fand. „Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind, denn ich würde mich bestimmt daran erinnern. Allerdings bin ich zurzeit auch viel unterwegs.“ Auf ihren fragenden Blick fügte er hinzu: „Ich bin im Verkauf tätig.“

„Wirklich? Das hört sich interessant an.“

„Zumindest komme ich viel herum.“

Sein Lächeln war charmant und jungenhaft. Kein Wunder, dass die Frauen ihn mochten.

„Und wo sind Sie zu Hause?“

„Schwer zu sagen. Meine Eltern wohnen in Lissabon und auf Madeira. Aber ich bin viel in New York, weil dort die Geschäfte wirklich gut gehen.“

„Da finden Sie Porto bestimmt langweilig.“

Chris schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich mag New York sehr gern, aber Portugal ist meine Heimat. Jedes Mal, wenn ich herkomme, wohne ich hier bei meinem Großvater.“ Er machte eine Bewegung in Richtung des palácio.

Bewundernd betrachtete Tiffany das schöne Bauwerk. Zwei ausladende Seitenflügel umrahmten das Hauptgebäude mit seinem prachtvollen Eingang, zu dem man über eine reich geschmückte Treppe hinaufstieg. Die Mauern waren blendend weiß gestrichen und von zahlreichen, kunstvoll verzierten Fenstern durchbrochen. Statuen zierten die Giebelecken und geschwungene Kamine das Dach. Zur linken Seite stand eine kleine Kapelle mit vielen Säulen und Ornamenten. Alles war in perfektem Zustand; kein einziges Unkraut wuchs auf der breiten Auffahrt, und die Hecken waren sauber gestutzt. Im Vorhof befand sich ein schöner Springbrunnen mit vergoldeten Amoretten, die in der Sonne glänzten.

„Es ist großartig“, sagte Tiffany beeindruckt. „Genau das Richtige für eine Zweihundertjahrfeier. Ist das ‚House of Brodey‘ eigentlich der älteste Portweinhersteller im Land?“ Sie kannte die Antwort bereits, aber sie wollte, dass er weitersprach.

„Nein. Andere Firmen sind bedeutend älter. Wir gehören eher zu den Neulingen. Aber Sie haben ja nichts zu trinken.“ Er gab einem Kellner ein Zeichen, und dieser brachte ihnen sofort zwei frische Gläser. „Wie kommt es, dass Sie eingeladen wurden?“

Tiffany schenkte Chris ein schelmisches Lachen und legte ihre kleine Hand auf seinen Arm. „Das … Das sage ich Ihnen nur, wenn Sie versprechen, mich nicht zu verraten.“

In seinen grauen Augen blitzte es vergnügt. „Ich bin die Verschwiegenheit in Person.“

Tiffany tat, als glaube sie ihm, und erklärte: „Eine Arbeitskollegin gab mir ihre Einladung, weil sie selbst nicht kommen konnte. Ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Gelegenheit, Leute zu treffen, die Englisch sprechen.“ Wieder lächelte sie. „Wie Sie sehen, hat es auch geklappt.“

„Ich freue mich jedenfalls sehr, dass Sie gekommen sind. Wo in Porto arbeiten Sie denn?“

„In der Innenstadt“, erwiderte Tiffany leichthin und fuhr schnell fort: „Wollen Sie mich nicht mit ein paar Leuten, die meine Sprache sprechen, bekannt machen? Zum Beispiel mit Ihrer Familie?“

Chris warf ihr einen ironischen Blick zu, als habe er sie durchschaut. „Gern“, sagte er und sah sich um. „Kommen Sie.“ Er nahm sie beim Arm und führte sie durch die Menschenmenge.

„Com licença.“

Verärgert stellte Tiffany fest, dass er sie – vielleicht absichtlich – zu Francesca und nicht zu Calum geführt hatte. Sie lächelte der jungen Frau und deren Begleiter zu, als Chris die Vorstellung übernahm. Dann sagte sie bewundernd: „Wie sehr ich Sie um Ihre Größe beneide, Prinzessin.“

„Bitte nennen Sie mich doch Francesca“, antwortete die junge Frau. Sie grinste schelmisch. „Übrigens hat es nicht nur Vorteile, andere ständig zu überragen. Denken Sie nur an die Auswahl an Männern, die Sie im Vergleich zu mir haben.“

Beide lachten und betrachteten sich prüfend. Nach Tiffanys Schätzung waren sie etwa gleich alt – fünfundzwanzig –, und sie waren beide blond. Allerdings endete damit ihre Ähnlichkeit. Francesca war gertenschlank und trug ihr kostspieliges Designermodell mit der Eleganz eines Models. Ihr langes Haar war hochgesteckt; nur ein paar Strähnen fielen ihr wie zufällig ins Gesicht. An Armen und Hals trug sie auffallenden Modeschmuck und an den Händen hochkarätige Ringe. Sie war gepflegt, verwöhnt – und sehr schön.

Im Gegensatz zu ihr musste Tiffany mit ihrer kleinen zierlichen Figur darauf achten, stets sanfte Farbtöne zu tragen – wie heute das geliehene, graue Seidenkostüm. Kräftige Farben standen ihr überhaupt nicht. Alles an ihr war einfach: das kinnlange blonde Haar und die paar Schmuckstücke, die sie noch nicht verkauft hatte. Und was die Männer anging – nun, in der Richtung war zurzeit nicht sehr viel los.

Ich sollte sie eigentlich hassen, dachte Tiffany, während sie Francesca weiterhin begutachtete. Aber sie macht so einen netten Eindruck.

„Tiffany spricht kaum Portugiesisch und kennt hier niemand“, erklärte Chris. „Deshalb habe ich sie unter meine Fittiche genommen.“

Seine Cousine sah ihn spöttisch an. „Ach? Ich dachte, du hättest sie mitgebracht.“

„Nein, meine Liebe, ich bin allein gekommen.“ Er warf einen kurzen Blick auf Francescas aristokratischen Begleiter. „Tiffany und ich haben uns ganz zufällig getroffen.“

„Wie schön für dich.“

Der kleine Wortwechsel war dem Franzosen nicht entgangen. Er legte den Arm um Francesca und sagte: „Chérie, das Mittagessen beginnt in ein paar Minuten. Wo möchtest du sitzen?“

Francesca schüttelte ihn ab. „Geh ruhig voraus, wenn du hungrig bist. Ich komme, wenn ich so weit bin.“

Da liegt der größte Unterschied zwischen ihr und mir, dachte Tiffany zynisch. Sie kann es sich leisten, einen Mann, der in sie vernarrt ist, abzuweisen. Wogegen ich mit List und Schmeichelei versuchen muss, einem Mann, der mich vielleicht nicht einmal mag, vorgestellt zu werden.

Jetzt ist aber Schluss mit dem Selbstmitleid, ermahnte sie sich streng. Sie musste ihr Ziel unter allen Umständen erreichen. Während der nächsten zehn Minuten zeigte sie sich von ihrer charmantesten und unterhaltsamsten Seite. Sie brachte die anderen mit Anekdoten zum Lachen und benahm sich, als verkehre sie täglich mit Prinzessinnen, Grafen und Industriellen. Die Umstehenden sahen sich nach ihnen um, als sie sie lachen hörten, und Tiffany hoffte, auch Calum würde auf sie aufmerksam werden.

Francesca hatte Mitleid mit ihrem Begleiter und nahm seinen Arm. „Wahrscheinlich sollten wir essen gehen. Tiffany, Sie kommen doch an unseren Tisch, nicht wahr?“ Sie sah sich um. „Wo ist Calum?“

Tiffany dankte ihrem guten Stern; es sah so aus, als ob es tatsächlich einmal nach ihren Wünschen gehen würde. Gemeinsam mit den anderen ging sie langsam zum Buffet. Calum Brodey kam auf sie zu. Sein Blick streifte Tiffany, dann wandte er sich an Francesca. „Du weißt, dass Großvater gesagt hat, wir sollen nicht alle am selben Tisch sitzen.“

Schmollend verzog seine Cousine den Mund. „Warum nicht? Wir haben uns schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

„Wir können uns später beim Abendessen unterhalten“, sagte Calum.

„Aber mit Großvater am Tisch ist das unmöglich. Er ist ein Schatz, aber er regt sich immer gleich auf, wenn man die Wahrheit sagt.“

„Du solltest eben nicht immer so aufregende Dinge unternehmen“, erwiderte ihr Cousin nachsichtig.

„Also gut, wenn es sein muss.“ Sie wandte sich an Tiffany. „Jetzt müssen Sie mit Chris vorliebnehmen. Hoffentlich langweilt er Sie nicht zu sehr.“

„Na hör mal“, widersprach dieser.

Calum lachte und sah Tiffany an. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“

Endlich! Mit ihrem schönsten Lächeln wollte sie sich gerade vorstellen, als zu ihrem Entsetzen Sam auf sie zugerannt kam.

„Wo waren Sie denn? Ich habe Sie überall gesucht.“ Er sah ihre Gefährten und sagte freundlich „Guten Tag allerseits“.

Tiffany hätte den jungen Amerikaner am liebsten erwürgt. Konnte er denn nicht sehen, wie unerwünscht er war? Anscheinend nicht, denn er grinste nur erwartungsvoll. Sie sah, wie Calum unwillkürlich einen Schritt zurücktrat und versuchte krampfhaft, die Lage zu retten. „Oh, das ist – äh … Wie war doch gleich Ihr Name?“, fragte sie Sam, als kenne sie ihn nicht.

Verblüfft sah dieser sie an, dann reichte er den anderen die Hand und stellte sich vor.

„Haben Sie Tiffany gesucht?“, fragte Francesca.

„Ja. Ich ging ihr etwas zu trinken zu holen, und als ich zurückkam, war sie weg.“

Chris warf Tiffany einen ironischen Blick zu. „Tut mir leid. Ich hatte nicht die Absicht, jemandem in die Quere zu kommen.“

Tapfer antwortete die junge Frau: „Das sind Sie auch nicht. Sie haben mich nur beinahe über den Haufen gerannt.“ Sie lachte.

Doch er ließ sich von ihrem Manöver nicht täuschen. Mit einem anerkennenden Zwinkern wandte er sich ab und schlug seinem Cousin auf die Schulter. „Gehen wir, Calum.“

Tiffany hätte sich am liebsten aus Verzweiflung in den Douro gestürzt. Warum gelang ihr aber auch gar nichts? Für jeden Schritt nach vorn musste sie mindestens zwei rückwärts gehen. Womit hatte sie das verdient? Ausgerechnet ihr lief dieser Idiot von Sam über den Weg.

Doch sie verstand es, ihre Gefühle zu verbergen und weiterhin ein sorgloses Gesicht zu machen. Wer war schon an ihren Problemen interessiert?

Francesca übernahm das Wort. „Dann essen wir vier eben zusammen. Kommen Sie. Suchen wir uns einen Tisch.“

Als Sam Tiffanys Arm nehmen wollte, schüttelte sie ihn ab und funkelte ihn wütend an. Sam zuckte die Schultern und sagte nichts.

Sie fanden einen runden Tisch mit vier freien Plätzen, die allerdings nicht nebeneinander lagen. Und während die letzten Gäste Platz nahmen, bemerkte Tiffany, wie an einem der Nebentische auf Calums Anweisung hin ein zusätzliches Gedeck aufgelegt wurde. Das hatte noch gefehlt! Jetzt wussten die Brodeys auch noch, dass sie einen ungebetenen Gast hatten.

Das Essen war ausgezeichnet, und ein Trio sorgte für dezente Musik. Doch in Tiffanys Mund schmeckte jeder Bissen nach Sägemehl. Sam hatte ihr den Appetit gründlich verdorben.

Francesca und der Graf saßen auf der anderen Seite des großen Tisches. Sam hatte anfangs versucht, Tiffany in ein Gespräch zu verwickeln. Als sie ihm nicht antwortete, gab er es auf und widmete sich ganz dem Inhalt seines Tellers.

Der Wein floss, und nach dem zweiten Glas gelang es ihr schließlich, sich ein wenig zu entspannen und sich mit ihrem Schicksal abzufinden. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Sie wandte sich ihrem Nachbar zu. „Es tut mir leid, dass ich so unfreundlich war.“

„Habe ich etwas vermasselt?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte sie mutlos und seufzte. „Erzählen Sie mir lieber ein bisschen von Amerika.“

„Waren Sie schon einmal dort?“

„Nur in Disneyland, als Kind. Warum beschreiben Sie mir nicht Ihr Zuhause?“

Er begann, über Wyoming zu sprechen. Zunächst hörte sie ihm nur aus Höflichkeit, aber bald schon mit echtem Interesse zu. Sam war ein guter Erzähler. Nach einer Weile vergaß Tiffany ihre Sorgen und lauschte gespannt der Beschreibung eines Rodeos. Als sie einmal aufsah, bemerkte sie, dass Francesca sie von der anderen Tischseite aus beobachtete. Ihre Augen trafen sich; die Prinzessin wies mit dem Kopf auf Sam und hob fragend die Brauen. Es war nicht schwer zu erraten, was sie damit meinte.

Diskret schüttelte Tiffany den Kopf. Sam bedeutete ihr nichts. Er hatte ihre Bekanntschaft mit Calum verhindert und somit jede Chance, den Artikel zu schreiben. Das konnte sie ihm nicht verzeihen, auch wenn er gut aussah und nett war.

Nachdem das Dessert abgeräumt war, erhoben die Gäste sich nach und nach und standen noch eine Weile beisammen, um ein letztes Glas Portwein zu trinken. Das Fest war vorbei – und damit für Tiffany jede Möglichkeit, mit Calum ins Gespräch zu kommen. Es hatte wieder einmal nicht geklappt.

Mit einer Entschuldigung stand sie auf, um sich die Hände zu waschen. Für die weiblichen Gäste waren die Toiletten im Erdgeschoss des Palais reserviert. Selbst hier, an diesem nüchternen Ort, erschien ihr alles von atemberaubender Eleganz: kunstvoll drapierte Vorhänge, handbemalte Keramikwaschbecken und vergoldete Wasserhähne. Dazu eine Anzahl teurer Parfums und Handcremes für die Gäste. Zynisch dachte Tiffany an das schäbige Badezimmer, das sie in ihrer heruntergekommenen Pension mit den anderen Mietern teilen musste. Noch dazu heimlich, denn sie wohnte ohne Wissen des Hauswirts im Zimmer einer portugiesischen Freundin.

Sie wusch sich die Hände, zog die Lippen nach und besprühte sich großzügig mit Parfum. Als sie wieder ins Freie trat, erblickte sie in einiger Entfernung Francesca und Chris und etwas weiter Calum, der den Ausschank des Jahrgangsportweins überwachte. Gerade hatte er Sam ein Glas gereicht. Der junge Amerikaner bedankte sich, dann sah er Tiffany in den Garten zurückkommen und ging ihr entgegen. Als er vor ihr stand, stieg ihm der Duft ihres Parfums in die Nase, und er neigte sich lächelnd zu ihr hinab. „Mmm, du riechst aber gut“, flüsterte er.

Eine verwegene Idee durchfuhr Tiffany wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie nahm sich nicht die Zeit, um zu überlegen, ob ihr Einfall etwas taugte oder nicht – sie wusste nur, dass er ihre allerletzte Chance war. Ohne weiter nachzudenken, hob sie die Hand und versetzte Sam eine schallende Ohrfeige.

Völlig verblüfft fuhr er hoch und riss instinktiv die Hand mit dem Glas schützend vors Gesicht, wobei er den Inhalt verschüttete. Bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr Tiffany ihn mit gut gespielter Wut heftig an: „Was fällt Ihnen ein? Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe mit Ihrer … Ihrer Unverschämtheit!“ Dann stieß sie ihn zurück.

Wie sie erwartet hatte, drehte sich jeder nach ihnen um. Ein paar Sekunden herrschte verstörtes Schweigen, dann sprachen plötzlich alle auf einmal.

„Was zum Teufel …“, rief Sam. Tiffany ließ ihn stehen und lief Calum, der unwillkürlich auf sie zukam, entgegen. Der junge Firmenchef gab Chris ein Zeichen, dann wandte er sich mit eisiger Stimme an Sam: „Mein Cousin wird Sie zum Ausgang begleiten.“

„Einen Augenblick mal, ich …“, begann Sam wütend.

Ohne zu zögern, ergriff Chris ihn beim Arm. „Kommen Sie.“

Sam war größer und stärker, er hätte den jungen Brodey mühelos beiseitestoßen können. Er sah zu Tiffany hin, die jetzt neben Calum stand. Eine Sekunde lang kreuzten sich ihre Blicke; er sah die Angst in ihren Augen und durchschaute ihr Spiel. Einen Moment zögerte er noch, dann ließ er sich mit einem resignierten Schulterzucken von Chris wegführen.

Francesca sah ihm mit gerunzelter Stirn nach. Dann drehte sie sich zu Tiffany und sagte: „Wir gehen am besten ins Haus.“

„Vielen Dank, aber das ist bestimmt nicht nötig. Ich kann auch hier warten, bis er gegangen ist.“

„Aber Ihr Kostüm!“

Tiffany sah an sich herab und stieß einen echten Entsetzensschrei aus. Große Portweinflecken breiteten sich auf ihrem Kostümrock aus.

„Kommen Sie. Ich bin sicher, das lässt sich reinigen.“

Calum mischte sich ein. „Bitte gehen Sie mit meiner Cousine, Miss – äh –?“

„Tiffany Dean“, sagte Tiffany automatisch. Wie um alles in der Welt konnte sie das geliehene Kleidungsstück in diesem Zustand zurückgeben? Verstört folgte sie Francesca ins Haus.

In einem Gästezimmer im ersten Stock zog sie das Kostüm aus und übergab es einer Hausangestellten. Die Prinzessin brachte ihr einen Frotteemantel aus dem angrenzenden Badezimmer und sagte: „Ich kann jetzt leider nicht bleiben, Tiffany; ich muss beim Verabschieden der Gäste helfen. Aber danach komme ich wieder.“

„Es tut mir so leid, dass ich Ihnen so viel Umstände mache.“

„Unsinn. Es war ja nicht Ihre Schuld.“

Während Tiffany in dem viel zu großen Bademantel auf dem Bett saß, überlegte sie, dass es ihr zwar gelungen war, Calums Bekanntschaft zu machen, jedoch ohne die Aussicht, ihn auch näher kennenzulernen. Sie hatte den armen Sam für nichts und wieder nichts geohrfeigt und zu allem Überfluss das geliehene Kostüm ruiniert.

Sie stand auf und betrachtete sich in einem großen, goldgerahmten Spiegel. Wie lächerlich sie in dem riesigen Bademantel und ihren hochhackigen Pumps aussah! Sie streifte die Schuhe ab und zog den Gürtel enger um ihre Taille. Dann setzte sie sich wieder auf das Bett, um abzuwarten. Ihr war zum Heulen zumute.

Nach einer Weile klopfte es, und Francesca trat ein. „So. Jetzt sind die Gäste alle gegangen. Mein Großvater hat sich etwas hingelegt. Wir haben ihm von dem Vorfall nichts erzählt. Die letzten Tage waren etwas anstrengend für ihn, und es geht ihm nicht so gut.“

„Das tut mir sehr leid“, sagte Tiffany.

„Ja. Es wäre schade, wenn … wenn diese Geschichte ihm gleich am ersten Tag das Fest verderben würde.“

„Es tut mir wirklich sehr leid.“ Schuldbewusst senkte Tiffany den Kopf.

„So war es natürlich nicht gemeint. Bitte verzeihen Sie mir“, sagte Francesca reuevoll. „Ihnen ist wahrscheinlich schon elend genug. Die Männer sind wirklich schwachsinnig. Kaum lächelt man sie an und ist ein bisschen nett, da meinen sie gleich, man wolle mit ihnen ins Bett gehen. Dabei machte Sam so einen netten Eindruck. Das zeigt wieder einmal, wie sehr der Schein trügen kann.“

Mit einem gezwungenen Lächeln wechselte Tiffany das Thema. „Meinen Sie, ich kann hier warten, bis mein Kostüm wieder trocken ist? So kann ich schlecht nach Hause gehen.“

„Das versteht sich. Aber Sie können doch nicht den ganzen Nachmittag hier sitzen bleiben.“ Francesca stand auf. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich um Sie. Übrigens wartet Calum unten. Er will mit Ihnen sprechen.“ Sie ging zur Tür.

Tiffany starrte sie an. „Worüber?“

„Keine Ahnung. Calum sagt nie, was er will. Kommen Sie.“

„So, wie ich bin?“

„Natürlich. Das macht doch nichts.“

Seufzend stand Tiffany auf. Ihre erste Unterhaltung mit dem Erben der Brodeys hatte sie sich anders vorgestellt.

Calum und Chris saßen im Erdgeschoss in einem Salon. Beim Eintreten der beiden Frauen erhoben sie sich höflich, aber als sie Tiffany in dem viel zu großen Bademantel erblickten, unter dem ihre nackten Füße hervorschauten, konnten sie sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Sie sah es, hob die Arme und wirbelte herum. „Der letzte Schrei aus Paris.“

Calum trat auf sie zu. „Miss Dean, im Namen meiner Familie möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Was geschehen ist, tut uns allen sehr leid.“

Echtes Bedauern klang aus seinen Worten, und Tiffany errötete. Aus den Augenwinkeln sah sie Chris mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen und wusste, dass sie ihn nicht getäuscht hatte. Sie ließ sich nichts anmerken und erwiderte nur leichthin: „Ich bitte Sie, das ist wirklich nicht nötig. Wahrscheinlich war ich zu impulsiv. Schließlich saß ich ja beim Mittagessen neben Mr. Gallagher, und … und … Vielleicht war ich wegen Ihres ausgezeichneten Weins auch besonders freundlich.“

Alle lachten, sogar Chris.

„Das ist sehr nett von Ihnen, Miss Dean“, sagte Calum mit einem freundlichen Lächeln. „Trotzdem. Sie müssen uns gestatten, das Geschehene wiedergutzumachen. Vielleicht können wir …“

„Ich hab’s!“, unterbrach Francesca. „Wir laden sie zum Abendessen ein.“

Calum zögerte einen Moment, dann stimmte er lächelnd zu. „Wollen Sie mit uns zu Abend essen, Miss Dean?“

Tiffany protestierte – obwohl es genau das war, worauf sie insgeheim gehofft hatte. „Vielen Dank, aber das ist wirklich nicht nötig …“

„Bleiben Sie“, unterbrach Francesca erneut. „Wir können einen Gast gut gebrauchen. Chris, warum redest du ihr nicht zu?“

Doch er sagte: „Sie wird sich langweilen. Schließlich ist es ein Familienessen.“

„Eben deswegen muss sie bleiben. Damit es nicht so langweilig ist. Tiffany, bitte sagen Sie Ja.“

Tiffany beschloss, Chris zu ignorieren. Sie zeigte auf den Bademantel. „Ich kann doch damit nicht zu Tisch gehen.“

„Kein Problem. Ich rufe meine Boutique in Porto an, ein paar Cocktailkleider zur Auswahl zu schicken“, sagte Francesca mit der größten Selbstverständlichkeit. „Sie bleiben doch, nicht wahr?“

Tiffany wandte sich an Calum. „Nur, wenn Sie ganz sicher sind, dass ich bei einem Familienessen nicht störe.“

„Es ist kein reines Familienessen. Und wir würden uns freuen, wenn Sie daran teilnehmen könnten, Miss Dean.“

Mit ihrem charmantesten Lächeln gab Tiffany nach. „Dann bleibe ich sehr gern. Vorausgesetzt …“, sie zwinkerte, „… Sie versprechen, mich Tiffany zu nennen und nicht Miss Dean.“ Die letzten Worte sagte sie in seiner tiefen Stimme, und Calum lachte.

„Gut. Dann gebe ich Bescheid, ein weiteres Gedeck auflegen zu lassen.“

„Und ich rufe die Boutique an.“ Francesca und Calum verließen den Raum.

Auch Tiffany machte Anstalten zu gehen; sie hatte nicht die Absicht, mit Chris allein zu bleiben.

„Die Mühe können Sie sich sparen, Tiffany. Calum wird Ihnen nicht auf den Leim gehen.“

Sie blieb stehen und drehte sich um. „Was wollen Sie damit sagen?“

Mit einem unangenehmen Lachen erwiderte Chris: „Das wissen Sie ganz genau. Er ist auf Ihren Trick mit Sam reingefallen, aber nicht für lange. Dazu ist er viel zu intelligent.“

Er meint, ich bin hinter seinem Cousin her, dachte Tiffany bestürzt. Aber den wahren Grund, warum ich bleibe, darf er erst recht nicht herausfinden.

„Soll … Soll das eine Drohung sein?“ Ihre Stimme klang unsicher.

„Ganz und gar nicht. Lediglich ein Hinweis, dass Sie Ihre Zeit verschwenden.“

Sie wusste, dass sie mit einem Bluff bei ihm nicht weiterkommen würde, und beschloss, ihm nicht zu widersprechen. Stattdessen sagte sie: „W…Wollen Sie mir nicht meine Chance lassen? Ich … Ich habe in letzter Zeit viel Pech gehabt.“ Mit großen blauen Augen sah sie ihn bittend an.

Sardonisch verzog er den Mund. „Ich will Sie bei Ihrem Versuch, meinen Cousin zu angeln, nicht hindern.“

„Sie werden ihn nicht warnen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Das ist nicht nötig.“ Er ging auf sie zu, legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es an. „Außerdem wird es mir Spaß machen, Ihnen dabei zuzusehen.“

Tiffany starrte ihn an. Schließlich erwiderte sie herausfordernd: „Bitte sehr. Mir macht es nichts aus.“ Sie drehte sich um und verließ den Raum so würdevoll wie möglich, trotz Bademantel und nackter Füße.

2. KAPITEL

Die Boutique in Porto lieferte mehrere Cocktailkleider und ein paar Sachen für tagsüber zur Auswahl. Alles saß wie angegossen – Francesca hatte nicht versäumt, die Größe ihres Gastes anzugeben.

Obwohl keines der Modelle ein Preisschild trug, bezweifelte Tiffany nicht, dass jedes einzelne ein kleines Vermögen kostete. Sie hoffte, dass man nicht von ihr erwartete, die Rechnung zu bezahlen, und entschied sich mutig für einen Anzug aus Shorts und Oberteil und ein elegantes schwarzes Samtkleid mit passenden Schuhen und einem Handtäschchen.

Francesca kam ins Zimmer und beglückwünschte sie zu ihrer Auswahl. „Ich wünschte nur, ich könnte auch solche Shorts tragen.“ Sie wandte sich an die Verkäuferin. „Die Rechnung geht auf mein Konto.“

„Wirklich, Francesca?“

„Kein Wort mehr. Kommen Sie, die anderen erwarten uns.“

Während sie die Treppe hinuntergingen, fragte Tiffany: „Leben Sie eigentlich in Portugal, Francesca?“

„Nein, ich habe eine Wohnung in Rom, aber im Moment bin ich in Paris. Und Sie?“

„Ich wohne bei Freunden in Porto.“ Tiffany überlegte, was Francesca wohl beim Anblick des Zimmers sagen würde, das sie heimlich mit vier Portugiesinnen teilte.

Der Salon im Erdgeschoss war leer. Durch die Terrassentür gingen sie auf den Rasen hinaus, wo Calum an einem kleinen Tisch saß. Lächelnd setzten sie sich zu ihm. Er wandte sich an seine Cousine. „Wenn du wegen des Empfangs auf der quinta noch Anweisungen hast, Francesca …“

„Die habe ich. Würden Sie mich bitte entschuldigen, Tiffany?“ Sie entfernte sich, um mit der Haushälterin über den Partyservice zu sprechen.

Calum sah Tiffany lächelnd an. „Wie ich sehe, haben Sie etwas in Ihrer Größe gefunden. Mir gefielen Sie im Bademantel allerdings auch sehr gut.“

„Das ist sehr nett von Ihnen.“ Sie senkte die Augen. Dann sagte sie: „Was ist das eigentlich, eine quinta?“

Sie wusste, was das Wort bedeutete; aber die Frage eignete sich gut, ein Gespräch in Gang zu bringen.

Quinta bedeutet Weingut auf Portugiesisch. Wie seltsam, dass Sie das Wort nicht kennen.“

Voller Unschuld sah sie ihm ins Gesicht. „Mein Wörterbuch gibt leider nur die Übersetzungen vom Englischen ins Portugiesische. Andersherum sitze ich fest.“

Calum lachte. „Beabsichtigen Sie, länger in Portugal zu bleiben?“

„Ich glaube schon. Hat Ihre quinta auch einen Namen?“

„Natürlich. Die größte heißt ‚Quinta dos Colinas‘ – das Gut in den Bergen. Sie liegt im ‚Alto Douro‘. So nennt man hier das obere Douro-Tal. Dort besitzen wir auch noch andere Weingüter.“

„Und wird dort der Wein hergestellt?“

„Ja, nach den modernsten Methoden. Nicht mehr so wie früher, als man die Trauben noch mit den Füßen presste.“

Tiffany zog die Nase kraus. „Und warum nicht?“

Er beugte sich zu ihr und berührte ihre Nasenspitze. „Aus dem Grund, aus dem Sie gerade Ihr Näschen gerümpft haben. Heutzutage legt man größten Wert auf Hygiene.“

Sein leicht abschätziger Ton entging ihr nicht. „Wie schade. Die Trauben mit den Füßen zu pressen, klingt viel romantischer. Haben Sie es selbst auch getan?“

„Ja, aber es ist schon lange her.“

„Wie wird das gemacht? Presst man sie in einem Bottich? Und wie hoch kommen die Trauben?“

„Eher in einem Becken. Und meistens reichen sie bis zum Knie. Bei Ihnen kämen sie allerdings etwas höher.“ Er sah auf ihre Beine.

„Das ist aber nicht nett von Ihnen.“

„Stört es Sie, dass Sie klein sind?“

„Ich empfinde es oft als Nachteil.“

„Ich bin sicher, dass Sie sich wegen Ihrer Größe keine Sorgen zu machen brauchen.“

Seine Antwort war ein nettes Kompliment. Auch Calum schien gut mit Frauen umgehen zu können, obwohl er nicht im Ruf stand, ein Playboy zu sein. Er galt als ernsthaft und reserviert und war einer der begehrtesten Junggesellen: reich, sehr gut aussehend und aus bester Familie – der Wunschtraum jeder Frau. Und er war über dreißig, also im besten Heiratsalter. Natürlich glaubte man, dass auch er eine Blondine heiraten würde, um die Tradition der Brodeys fortzusetzen.

Er begann, ihr von seinem ersten Traubenpressen zu erzählen. „Ich war noch ein Baby, und meine Mutter hielt mich im Arm. Es ist ein Brauch, der unser Interesse, später einmal Winzer zu werden, wecken soll.“

Chris, der sich bei diesen Worten zu ihnen gesellt hatte, bemerkte: „Mir hat er nur eine Vorliebe für guten Wein gegeben.“

Tiffany ließ sich nicht anmerken, dass sie lieber mit Calum allein geblieben wäre. Ein wenig spitz konterte sie: „Bei Ihrem Vater hat es anscheinend auch nicht funktioniert.“

„Und woher wissen Sie das?“

Aus meinen Nachforschungen, dachte sie. Aber das kann ich dir nicht sagen. „Ich hörte beim Mittagessen, dass er ein berühmter Maler ist.“

Um ihm keine Gelegenheit zu geben, ihr weitere Fragen zu stellen, wandte sie sich an Calum. „Interessieren Sie sich auch für Malerei? Ich sah vor Kurzem eine Ausstellung portugiesischer Künstler in Porto. Haben Sie sie auch gesehen?“

„Unsere Firma war einer der Sponsoren. Ich persönlich bin allerdings kein großer Anhänger moderner Kunst.“

Sie unterhielten sich weiterhin über die Ausstellung. Tiffany hatte sie tatsächlich besucht – aber erst, nachdem sie gelesen hatte, dass Calum Brodey einer der Sponsoren war.

Chris beobachtete sie schweigend mit spöttischem Interesse. Dann gesellte sich auch Francesca wieder zu ihnen, und bald wandte sich die Unterhaltung Familienangelegenheiten der Brodeys zu. Tiffany erhob sich. „Um wie viel Uhr beginnt das Abendessen?“

„Wie rücksichtslos von uns!“, rief die Prinzessin. „Bitte verzeihen Sie uns, Tiffany. Wir wollten Sie nicht langweilen. Chris, warum zeigst du ihr nicht den Garten?“

Er stand sofort auf. „Mit dem größten Vergnügen. Kommen Sie, Tiffany.“

Es war ihr gar nicht recht, mit ihm allein zu sein. Sobald sie außer Sicht waren, versuchte sie, mit einer Ausrede auf ihr Zimmer zu gehen. Doch Chris machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Er bestand darauf, ihr den Obstgarten zu zeigen.

„Aber ich möchte vor dem Abendessen noch ein Bad nehmen.“

„Dafür haben Sie noch genug Zeit. Kommen Sie.“ Er nahm sie beim Arm, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Beim Anblick des Obstgartens entfuhr ihr jedoch ein Ausruf des Entzückens. Wie ein riesiger Teppich erstreckte sich vor ihren Augen ein sanfter Abhang, der mit Obstbäumen und Sträuchern bepflanzt war. Die Spätnachmittagssonne stand bereits tief am Horizont und verlieh der Landschaft einen rosigen Glanz.

„All das gehört Ihnen?“

Er nickte. „Ja. Wir bauen das Obst zur Herstellung von Marmeladen und Konserven an.“ Von einem der Bäume pflückte er eine Hand voll Kirschen und reichte sie ihr. „Hier, probieren Sie.“

Sie steckte eine dicke, tiefrote Kirsche in den Mund und biss darauf. Süßer, heißer Saft rann in ihre Kehle, und sie schloss die Augen, um das Aroma der sonnenwarmen Frucht voll zu genießen.

„Mmm, das schmeckt!“ Sie öffnete die Augen und nahm den Kirschkern aus ihrem Mund. Chris beobachtete sie mit einem sinnlichen Ausdruck in seinen Augen. Sie kannte diesen Blick, denn sie hatte ihn schon oft gesehen und wusste ihn zu ihrem Vorteil zu nutzen. Doch jetzt hatte sie dafür nicht die geringste Verwendung.

Sie wandte sich zum Gehen, aber er ergriff sie beim Handgelenk.

„Warten Sie. Sie haben Saft am Mund.“ Er beugte sich zu ihr, um den Saft von ihren Lippen zu küssen. Sofort stieß sie ihn von sich. Ihre Augen funkelten. „Unterstehen Sie sich!“

„Sie sehen zum Anbeißen aus.“

„Wie ich aussehe, geht Sie nichts an.“

Er trat zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen. „So ist das also. Dergleichen ist für Calum reserviert, nicht wahr? Meinen Sie nicht, dass Sie ihr Ziel etwas hochgesteckt haben, Tiffany?“

Sie warf den Kopf zurück. „Das ist meine Sache.“

„Wie Sie möchten. Aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie nicht Calums Typ sind –, trotz Ihrer blonden Haare. Sie haben anscheinend auch von unserer Tradition gehört. Stimmt’s?“

Betroffen schwieg sie: Sie hatte tatsächlich gehofft, ihre Haarfarbe würde ihr die Bekanntschaft mit Calum erleichtern. Dass Chris sie durchschaute, ärgerte sie.

Wütend blitzte sie ihn an, und er lachte. „Ja, das dachte ich mir. Seit dem dämlichen Zeitungsartikel über unsere ‚englischen Rosen‘ kann Calum sich vor echten oder falschen Blondinen kaum noch retten, die immer ganz zufällig seine Bekanntschaft machen. Es ist zum Totlachen.“

Tiffany biss sich auf die Lippen. Dann erinnerte sie sich daran, wie nett Calum zu ihr gewesen war. Herausfordernd hob sie das Kinn. „Vielleicht täuschen Sie sich.“

„Kaum. Calum hasst Lügen. Wenn er erfährt, dass Sie ohne Einladung gekommen sind und den armen Amerikaner nur zur Schau geohrfeigt haben …“ Vielsagend sah er sie an.

„Was wollen Sie eigentlich von mir?“

„Warum sollte ich etwas von Ihnen wollen?“

„Weil Männer niemals etwas umsonst tun“, erwiderte sie verächtlich. „Sie haben gerade versucht, mich zu küssen, und ich habe Sie weggestoßen. Jetzt versuchen Sie, mich zu erpressen. Um sich zu rächen und damit ich mit Ihnen schlafe.“ Höhnisch sah sie ihn an.

„Und wenn es so wäre?“

„Dann würde ich Nein sagen. Von mir aus können Sie Ihrem Cousin erzählen, was Sie wollen. Lieber lasse ich mich hinauswerfen.“ Energisch reckte sie ihr Kinn.

Chris starrte sie immer noch an. Er hatte die Hände aus den Hosentaschen genommen und zu Fäusten geballt. Auf seinem Gesicht spiegelten sich die widersprüchlichsten Gefühle. „Sie müssen aber bisher merkwürdige Männerbekanntschaften gemacht haben“, sagte er.

„Was meinen Sie?“

„Ich meine, dass ich ein gegebenes Versprechen nicht zurücknehme. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich Calum von Ihren Tricks erzählen werde.“

„Ist … Ist das die Wahrheit?“

„Ja. Und damit Sie es wissen: Ich habe es nicht nötig, Frauen zu erpressen, damit sie mit mir schlafen. Außerdem werde ich auch mit einer Absage fertig, ob Sie es mir nun glauben oder nicht.“ Erregt wandte er sich ab.

Tiffany biss sich auf die Lippen, dann brachte sie mühsam hervor: „Es tut mir sehr leid. Bitte verzeihen Sie mir.“

Nach einer Weile sagte er: „Kommen Sie.“ Schweigend gingen sie nebeneinander her. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und der Abendhimmel leuchtete in roter Pracht. Schließlich blieb er stehen.

„Warum sagen Sie mir nicht die Wahrheit?“

„Sie meinen über mich? Ich glaube nicht, dass ich das kann.“

„Versuchen Sie es.“

Zweifelnd sah sie zu ihm auf. Dann, während sie langsam zum Palais zurückgingen, gab sie ihm eine entschärfte Version dessen, was ihr seit ihrer Ankunft in Portugal widerfahren war.

„Ich bekam ein Angebot, an der Algarve in einem Golfclub als Hostess zu arbeiten. Die Besucher waren meistens Geschäftsleute aus England und den Staaten. Als dann die Rezession begann, machte das Unternehmen, dem er gehörte, Bankrott, und alle Angestellten wurden entlassen.“ Dass die Firma Brodey daran mitschuldig war, schien ihm nicht aufzugehen. Vielleicht ist es ihm auch gleichgültig, dachte Tiffany bitter. „Später fand ich eine Stelle bei einer Immobilienfirma. Ich verkaufte Anteile an Ferienwohnungen, auf Kommissionsbasis. Aber dann wurde ich krank und musste die Arbeit aufgeben.“

„Was fehlte Ihnen?“

„Ich bekam Drüsenfieber. Und wegen der Ansteckungsgefahr konnte ich nicht heimfliegen. Meine Ersparnisse verbrauchte ich dann für Miete und Medikamente. Und als ich wieder gesund war, hatte die Immobilienfirma auch den Konkurs angemeldet.“

„Wie kamen Sie nach Porto?“

„Durch eine ehemalige Kollegin, eine Portugiesin. Sie versuchte, mir eine Stelle als Begleiterin bei einem Reiseveranstalter zu vermitteln. Aber es wurde nichts daraus. Mein Portugiesisch war nicht gut genug. Danach habe ich hier und da aushilfsweise gearbeitet. Es reichte gerade so.“

„Und dann kamen Sie auf die Idee, sich einen reichen Mann zu suchen“, meinte Chris ironisch.

Seine Schlussfolgerung ist ganz natürlich, dachte Tiffany. Und sie musste gestehen, dass auch sie die Idee plötzlich ziemlich verlockend fand. Aber das würde Chris oder irgendein anderer Mann nie verstehen. Frauen auf der Suche nach einem reichen Mann hatten von vornherein einen schlechten Ruf. Dass sie manchmal in einem fremden Land ohne Geld und ohne Arbeit keinen anderen Ausweg sahen, daran dachte niemand. Und die einzige Möglichkeit, die einem gut aussehenden Mädchen sonst noch blieb …

„Mir ist Heirat lieber als Prostitution“, erwiderte sie schroff.

„Und wenn ich Ihnen den Flug nach England zahle? Würden Sie dann gehen?“

Tiffany lachte freudlos. „Dort ist es jetzt auch nicht besser.“

„Haben Sie denn keine Angehörigen?“

„Nein.“ Sie drehte sich um und ging weiter. Warum sollte sie sich noch länger von ihm ausfragen lassen?

Den Rest des Weges schwiegen sie. Als sie am Palais ankamen und die Marmortreppe hinaufstiegen, sagte Chris: „Wir treffen uns vor dem Essen im Salon zum Aperitif. So gegen halb acht.“ Dann ließ er sie stehen.

Tiffany nahm sich Zeit bei ihren Vorbereitungen. Sie badete ausgiebig, wusch ihr Haar und schminkte sich sorgfältig. Dann schlüpfte sie in das elegante schwarze Samtkleid und betrachtete sich eingehend in dem langen Spiegel. So attraktiv hatte sie schon lange nicht mehr ausgesehen. Hoffnung und die Vorfreude auf den Abend regten sich in ihr, und trotz aller Enttäuschungen der letzten Monate gewann ihr natürlicher Optimismus wieder die Oberhand. Diesmal würde es klappen.

Kurz vor acht verließ sie ihr Zimmer, um zu den anderen hinunterzugehen. An der Treppe blieb sie stehen und sah hinab in die prächtige Eingangshalle, in der Calum und sein Großvater die Gäste empfingen. Männer und Frauen in teurer, eleganter Kleidung gingen lachend und plaudernd umher. Es war wie in einem Film. Und sie, Tiffany, gehörte zu den Akteuren.

Chris und Francesca kamen ebenfalls herein. Lachend ging die Prinzessin auf einen der Gäste zu, und Chris folgte ihr langsam. Dann hob er den Kopf und erblickte Tiffany. Im gleichen Moment sah auch Calum zu ihr auf, und einen wundervollen Augenblick lang sonnte sie sich in der unverfälschten Bewunderung der beiden Cousins. Sie lächelte ihnen zu und ging leichten Schritts die Treppe hinab.

Calum gab ihr die Hand zur Begrüßung. „Sie sehen entzückend aus.“

„Ja, das Kleid steht Ihnen“, meinte Francesca, die ebenfalls hinzukam. „Großvater fragt nach Ihnen. Er möchte wissen, wer Sie denn nun eigentlich sind. Was sollen wir ihm sagen, Tiffany?“

Francescas Stimme hatte einen schneidenden Tonfall angenommen. Und obwohl sie sich nach außen hin so liebenswürdig wie zuvor zeigte, merkte Tiffany sofort, dass sie über irgendetwas verärgert war. Was war geschehen? Eifersucht konnte es nicht sein, denn in ihrem hautengen Kleid aus Silberlamee zog die junge Prinzessin alle Blicke auf sich. Und dennoch … Nach einer Weile gab Tiffany es auf, weiter darüber nachzugrübeln, und beschloss, sich den Abend nicht verderben zu lassen.

Calum nahm ihren Arm und stellte sie seinem Großvater als eine gute Bekannte vor. Im Salon reichte er ihr einen Aperitif, danach machte er sie mit seinem Cousin Lennox und dessen Frau Stella bekannt. Die junge Frau war in ihrem roten Umstandskleid die Personifizierung der glücklichen zukünftigen Mutter.

Francesca gesellte sich zu ihnen. „Kommen Sie“, sagte sie zu Tiffany. „Ich will Sie Chris’ Eltern vorstellen.“ Als sie außer Hörweite waren, meinte sie: „Sieht Stella nicht fantastisch aus? Man bekommt fast Lust, selbst schwanger zu werden.“ Sie schwieg einen Moment, dann bemerkte sie wie nebenbei: „Ich frage mich, ob Chris und Calum auch Blondinen heiraten werden. Ich glaube, sie haben den ganzen Unsinn langsam satt. Meiner Meinung nach sollte man sowieso damit aufhören.“

„Das finde ich auch“, stimmte Tiffany zu und sah Francesca unschuldig an. „Müssen die Frauen Ihrer Familie beim Heiraten eigentlich auch irgendwelche Vorschriften beachten?“

„Nein. Wir können uns aussuchen, wen wir wollen.“

„Gott sei Dank. Ich dachte schon, Sie dürften nur Aristokraten heiraten. Vom Prinzen angefangen bis hinunter zum Baron.“

Francescas Augen blitzten, und sie warf Tiffany einen unfreundlichen Blick zu, sagte aber nichts. Sowie sie Paul Brodey und seine Frau entdeckte, stellte sie ihnen Tiffany vor und entfernte sich.

Die beiden Künstler unterhielten sich eine Weile mit der Freundin ihres Sohnes. Dann wurde das Abendessen angekündigt, und sie trennten sich von ihr.

Einen Augenblick stand Tiffany unschlüssig da. Aber im nächsten Moment kam Chris auf sie zu, reichte ihr den Arm und sagte mit komischer Übertreibung: „Wollen wir uns den Horden anschließen?“

Im Speisezimmer stellte sich heraus, dass Tiffany am unteren Tischende neben Michel, Francescas Begleiter, platziert war. Chris runzelte die Stirn, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie sich selbst zu überlassen und am anderen Ende des Tisches neben seiner Cousine Platz zu nehmen. Michel gefiel dieses Arrangement ebenso wenig, und beiden Männern war klar, dass Francesca die Platzkarten vertauscht hatte.

Tiffany fragte sich immer noch, was den Gesinnungswandel der Prinzessin herbeigeführt haben konnte. Plötzlich ging ihr ein Licht auf: Chris musste sie verraten haben. Wie niederträchtig von ihm, nach allem, was er gesagt hatte! Jetzt war sie froh, nicht neben ihm zu sitzen. Um ihn und Francesca zu ärgern, wandte sie sich mit einem charmanten Lächeln an den Grafen und begann, sich auf Französisch mit ihm zu unterhalten.

Michel, der anscheinend auch auf seine Verlobte wütend war, ging auf ihr Spiel ein, und sie unterhielten sich angeregt während des ganzen Abends.

Die Speisen waren vorzüglich, doch das Abendessen zog sich endlos lange hin. Mehrmals hob man die Gläser, um anzustoßen, dann hielt der alte Mr. Brodey eine Rede. Endlich war es vorbei, und Michel begleitete Tiffany zurück in den Salon.

Calum brachte ihr eine Tasse Kaffee. „Ich hoffe, Sie haben sich nicht allzu sehr gelangweilt.“

„Überhaupt nicht. Michel hat sich ausgezeichnet um mich gekümmert.“

Der Graf verbeugte sich mit gallischer Höflichkeit. „Und ich hatte eine bezaubernde Tischnachbarin.“ Er verbeugte sich nochmals und entfernte sich.

„Es tut mir sehr leid, dass Sie am Tischende sitzen mussten, Tiffany“, sagte Calum.

Mit einem Achselzucken tat sie seinen Einwand ab. „Das macht doch nichts. Ich finde es sehr nett von Ihnen, dass Sie mich so kurzfristig überhaupt eingeladen haben.“

Sie unterhielten sich noch ein Weilchen. Tiffany, die bei Tisch einige Gläser Wein getrunken hatte, zeigte sich von ihrer besten Seite, und Calum schien ihre Gesellschaft zu genießen. Als ein anderer Gast auf ihn zukam und ihn entführte, konnte er sein Bedauern nicht ganz verbergen.

Schließlich war der Abend zu Ende, und man begann sich zu verabschieden. Wieder war Tiffany sich nicht schlüssig, was sie jetzt tun sollte, denn zu ihrem Unglück hatte sie kein Geld für ein Taxi.

Francesca sah es und kam auf sie zu. „Michel fährt nach Porto zurück, Tiffany. Er kann Sie doch nach Hause begleiten. Ich bin ganz sicher, Sie werden sich unterwegs gut mit ihm unterhalten.“

Michel sah wütend aus, doch er verbeugte sich höflich. „Mit dem größten Vergnügen.“

Plötzlich mischte Calum sich ein. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Graf. Aber Tiffany ist unser Gast, und ich kümmere mich um sie.“

„Aber du kannst doch jetzt nicht fahren“, protestierte Francesca. „Du hast getrunken. Chris soll sie heimfahren.“

„Chris hat genauso viel getrunken wie ich“, erwiderte Calum ruhig. „Aber mein Chauffeur ist nüchtern.“ Er lächelte Tiffany an. „Kommen Sie.“

Sie konnte ihre Freude nur mit größter Mühe verbergen. „Ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände machen.“

„Davon kann nicht die Rede sein.“

Charmant führte er sie zu seiner Limousine.

Als sie ein Weilchen gefahren waren, sagte sie: „Ich glaube, Ihre Cousine mag mich nicht.“

Er lachte ein wenig. „Die Arme ist im Moment nicht sehr glücklich. Sie hat die Scheidung noch nicht überwunden und ist sich selbst nicht gut. Machen Sie sich deshalb keine Gedanken.“ Dann fügte er hinzu: „Wo wohnen Sie, Tiffany?“

Diese Frage hatte sie erwartet und nannte die Adresse eines gediegenen Apartmenthauses in der Nähe der Pension.

„Wie sind Sie eigentlich nach Porto gekommen?“

„Das war reiner Zufall“, erwiderte sie leichthin. „Ich reise sehr gern, und als mir eine Stelle als Event-Koordinator in einem Golfclub angeboten wurde, sagte ich nicht Nein. Leider wurde ich krank und kam deshalb zu Freunden nach Porto.“ Es klang alles sehr glaubwürdig.

„Und jetzt arbeiten Sie hier in der Stadt?“

Tiffany nickte. „Eine richtige Stelle ist es eigentlich nicht. Ich begleite Geschäftsleute, die nur Englisch sprechen, bei ihrem Aufenthalt in Porto.“

Auf all diese Fragen hatte sie sich vorbereitet. Es war ganz natürlich, dass Calum mehr über sie wissen wollte. Im Auto war es dunkel, und sie konnte nicht erkennen, ob die Antworten ihn zufrieden stellten. Sie hoffte nur, dass er sie hübsch und unterhaltsam genug fand, um nicht zu genau hinzuhören. Er hatte während der ganzen Fahrt keinen Versuch unternommen, sich ihr zu nähern. Aber das war wohl eher auf seine gute Erziehung als auf mangelndes Interesse zurückzuführen.

„Sind für morgen weitere Festlichkeiten geplant?“, fragte sie.

„Ja. Morgen Abend wird ein Fass mit einem fünfzig Jahre alten Portwein angestochen.“

„Wie groß ist es denn?“

Bevor er weiterreden konnte, klingelte sein Handy. Er entschuldigte sich bei ihr und nahm den Anruf entgegen. Als das Gespräch beendet war, sagte er: „Francesca lässt Ihnen ausrichten, dass Sie Ihr Kostüm vergessen haben. Sie können es morgen Nachmittag, so gegen drei, abholen kommen.“

„Wie dumm von mir“, rief Tiffany.

Er beruhigte sie. „Das macht doch nichts.“

Dann hielt der Wagen vor dem Apartmenthaus. Calum half ihr beim Aussteigen und begleitete sie zur Eingangstür. „Dann darf ich mich jetzt wohl von Ihnen verabschieden.“

„Vielen Dank, dass Sie mich begleitet haben.“

„Das habe ich sehr gern getan. Gute Nacht.“ Er ging zur Limousine zurück, drehte sich aber noch einmal nach ihr um. „Wegen morgen Nachmittag machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich lasse Sie abholen. Gute Nacht, Tiffany.“

Nachdem der Wagen verschwunden war, wartete sie noch ein paar Minuten und machte sich dann auf den Weg zur Pension. Im Zimmer ihrer Freundinnen brannte noch Licht. Sie warf einen Kieselstein gegen die Fensterscheibe, und eines der Mädchen ließ den Schlüssel zu ihr hinabfallen. Vorsichtig öffnete sie die Haustür und schlich die Treppe hinauf. Im Zimmer angekommen, hängte sie das schöne Kleid auf einen Bügel und schlüpfte in ihren Schlafsack. Es sah fast danach aus, als sei ihre Pechsträhne endlich zu Ende.

Unten auf der Straße wartete ein Beobachter, bis das Licht im Zimmer erlosch. Dann stieg er in einen Wagen und fuhr zum palácio zurück.

3. KAPITEL

Als Tiffany am nächsten Tag im palácio eintraf, war sie immer noch voller Optimismus. Der Fahrer hatte sie wie vereinbart um drei Uhr abgeholt. Alles schien nach Plan zu laufen.

Eine Bedienstete öffnete und führte sie in ein Arbeitszimmer im hinteren Teil des Hauses. Chris und Calum saßen an einem Schreibtisch, und Francesca lag mit einer Zeitschrift auf der Couch. Bei Tiffanys Ankunft stand Calum auf und ging ihr entgegen. Chris hingegen sah sie erstaunt an, und Francesca hob nur den Kopf, dann las sie weiter.

„Hallo, Tiffany. Wie schön, Sie wiederzusehen. Möchten Sie etwas trinken?“, erkundigte sich Calum.

„Vielen Dank. Vielleicht eine Tasse Kaffee.“ Dann wandte sie sich den beiden anderen zu. „Hallo Chris. Guten Tag, Francesca.“

Chris, der sich jetzt auf einer Ecke des Schreibtisches niedergelassen hatte, sagte mit leicht gerunzelter Stirn: „Hallo, Tiffany. Soll das ein kleiner Überraschungsbesuch sein?“

„Nein, ich habe sie gebeten herzukommen“, erklärte Francesca und erhob sich. „Sie vergaß ihre Sachen gestern Abend.“ Dann wandte sie sich an Tiffany. „Maria hat die Weinflecken aus Ihrem Kostüm entfernt.“

„Gott sei Dank“, erwiderte Tiffany erleichtert. „Bitte danken Sie ihr ganz herzlich in meinem Namen. Vielleicht kann ich …“ Sie griff nach ihrer Handtasche.

Doch Francesca wehrte ab. „Das ist nicht nötig. Schließlich waren Sie unser Gast.“ Sie lächelte, doch ihre Augen blieben kalt, und Tiffany war sich immer sicherer, dass etwas nicht stimmte. Die Prinzessin plapperte ununterbrochen, wirkte unruhig und schien die ganze Zeit auf etwas Bestimmtes zu warten.

Die Hausangestellte kam zurück und stellte ein Tablett mit Kaffee auf ein Tischchen, und Calum machte sich daran, ein paar Tassen einzuschenken. Er brach überrascht ab, als sich die Tür erneut öffnete und die Angestellte „Senhor Sam Gallagher“ ankündete.

Mit der Kaffeekanne in der Hand, starrte Calum den Amerikaner verblüfft an. Auch Chris sah überrascht drein. Francesca ging seelenruhig auf Sam zu und sagte: „Hallo Mr. Gallagher. Danke, dass Sie gekommen sind. Wir wollten Ihnen …“

Sam, der Tiffany erblickt hatte, unterbrach sie. „Was geht hier vor?“

„Das möchte ich auch gern wissen.“ Calum stellte die Kanne auf den Tisch und wandte sich an seine Cousine. „Kannst du mir bitte erklären, was Mr. Gallagher hier will, Francesca?“

„Ich bat ihn herzukommen. Wir haben ihm unrecht getan und sollten uns bei ihm entschuldigen.“

Sam begann: „Deswegen bin ich nicht …“

Doch Calum unterbrach ihn. „Und warum sollten wir das? An ihm wäre es, sich bei unserem Gast für sein empörendes Benehmen zu entschuldigen.“

Tiffany schloss die Augen. Wie angewurzelt stand sie da und wartete darauf, dass die Bombe explodieren und die Wahrheit ans Tageslicht kommen würde. Bei seinen Worten bat sie mit schwacher Stimme: „Bitte, Calum …“

Er hörte nicht auf sie. „Also, Francesca? Was ist?“

„Tatsache ist …“, erwiderte diese, „… dass Tiffany gar nicht unser Gast war. Sie kam ohne eine Einladung. Und ich glaube, dass sie lügt, wenn sie behauptet …“

Chris unterbrach sie scharf: „Sei still, Francesca. Hör auf damit.“

„Das wäre aber nicht richtig. Wir haben Mr. Gallagher unrecht getan. Ich hatte gestern noch einmal die Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten, und er hat zugegeben, dass der ganze Vorfall eine Erfindung war und er sie nicht belästigt hat. Aber er wollte ihr keine Schwierigkeiten machen und hat deshalb den Mund gehalten.“

„Was mich betrifft …“, fiel Sam ihr ins Wort, „… so ist das Ganze aus und vorbei. Und, mit Verlaub, Sie, Prinzessin, geht das gar nichts an.“

Er wandte sich zum Gehen. „Einen Augenblick, bitte“, sagte Calum eisig. „Ich möchte dieser Sache auf den Grund gehen.“ Er wandte sich an Tiffany. „Ich muss Sie bitten, mir die …“

Sie ließ ihn nicht weiterreden. Blass und entschlossen sagte sie: „Bemühen Sie sich nicht. Ihre Cousine sagt die Wahrheit. Ich streite es auch gar nicht ab. Ich kam uneingeladen und habe Sam ohne Grund geohrfeigt. Und das tut mir leid. Das andere nicht.“ Herausfordernd hob sie das Kinn. „Ich habe mich eingeschlichen, weil …“, sie lächelte kläglich, „… weil ich Sie kennenlernen wollte.“

„Den Grund kann ich mir denken“, erwiderte Calum schneidend. „Sie sind also auch nur eine von denen, die hinter einem reichen Mann her sind.“

Rote Flecken erschienen auf Tiffanys blassen Wangen. „Ja, das bin ich wohl in Ihren Augen. Nur – Sie sind voreingenommen und arrogant. Alles, was ich wollte, war die Möglichkeit, Sie kennenzulernen. Wie soll jemand wie ich jemandem wie Ihnen denn begegnen?“

„Niemals, hoffe ich. Wenn das Ihre Methoden sind.“

Mit dem Ausdruck größter Verachtung wandte er sich von ihr ab, aber Tiffany packte ihn heftig am Ärmel. „Was wissen Sie schon von mir und meinen Methoden? Sie hocken hier in Ihrem Traumschloss mit Ihrer ganzen Ahnengalerie an den Wänden und wollen über mich urteilen. Was wissen Sie schon von Armut und Kummer? Waren Sie schon jemals in Ihrem Leben hungrig? Bestimmt nicht.“ Mit brennenden Augen musterte sie die drei jungen Brodeys. „Sie sind nichts weiter als reiche, verwöhnte Schmarotzer. Und Sie ganz besonders!“ Sie zeigte auf Francesca. „Ich hoffe nur, Ihr Graf lässt Sie sitzen. Er ist viel zu gut für Sie.“ Stolz und voller Verachtung fügte sie, an Calum gewandt, hinzu: „Und ich für Sie.“

Sie verstummte. Einen Augenblick lang herrschte unangenehmes Schweigen. Dann begann Francesca empört: „Da hört sich doch alles auf! Sie waren es, die …“

Mit großer Anstrengung wandte sich Calum an Sam. „Mr. Gallagher, ich hoffe, Sie verzeihen mir. Ich habe mich von einer hübschen Visage täuschen lassen. Das hätte nicht geschehen dürfen, und ich bin Francesca aufrichtig dankbar, dass sie mir Gelegenheit gab, die Dinge richtigzustellen.“

„Ich verlange keine Entschuldigung“, erwiderte Sam kurz angebunden. „Tiffany, warten Sie draußen auf mich. Ich nehme Sie mit nach Porto.“ Dann wandte er sich an Francesca. „Aber zuerst möchte ich mit Ihnen ein Wörtchen reden.“ Er packte sie beim Handgelenk und zog sie auf die Terrasse.

Calum warf einen eisigen Blick auf Tiffany: „Mein Chauffeur wird Sie nach Hause bringen.“

Wie gern hätte sie sein Angebot abgewiesen! Doch ein Taxi konnte sie sich nicht leisten, und der Gedanke, mit Sam zurückzufahren, war ihr unerträglich. So biss sie die Zähne zusammen und erwiderte: „Danke. Wo sind meine Sachen?“

„In dem Gästezimmer, das Sie gestern benützt haben. Ich lasse sie holen.“

„Das ist nicht nötig.“ Ohne zu warten, lief Tiffany aus dem Raum und die Treppe hinauf.

Ihr Kostüm, die Shorts und das Oberteil lagen sorgfältig in Seidenpapier gewickelt in einer Kleiderschachtel. Mit zitternden Händen und tränenblinden Augen zerrte sie die neuen Kleidungsstücke heraus und warf sie aufs Bett, während sie mit aller Kraft versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. Keiner von denen sollte sie weinen sehen!

Die Tür öffnete sich, und Chris trat ein. „Tiffany, es tut mir sehr leid, dass alles so ausging. Ich …“

„Lügen Sie nicht!“, fuhr sie ihn an. „Meinen Sie etwa, ich hätte Sie nicht durchschaut? Francesca ist viel zu dumm, sich das alles allein auszudenken. Sie haben es ihr erzählt! Weil ich Sie abgewiesen habe und Sie mich demütigen wollten!“

„Das stimmt nicht. Ich …“

„Lügen Sie nicht!“, schrie sie erneut. „Sie haben als Letzter mit Sam gesprochen. Und dann mit Ihrer Cousine alles genau geplant. Ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht, Sie …“

„Tiffany, ich hatte nichts damit zu tun.“ Mit langen Schritten ging Chris auf sie zu und packte sie bei den Schultern. „Ich schwöre es Ihnen.“

Höhnisch lachte sie ihm ins Gesicht, und er wurde wütend. „Sagte ich nicht, dass Calum Ihnen auf die Schliche kommen würde? Er ist nicht dumm.“

Sie versuchte, ihn wegzustoßen, aber er hielt sie fest.

„Ich habe Sie gewarnt, und Sie wussten, was auf dem Spiel stand. Glaubten Sie wirklich, meinen Cousin an einem einzigen Tag so bezirzen zu können, dass er Ihnen alles verzeihen würde?“

Tiffanys Gesicht versteifte sich. „Er wäre nicht der Erste.“

Mit seltsamer Stimme erwiderte er: „Vielleicht haben Sie recht.“

Sie riss sich los, und mit der Kleiderschachtel unter dem Arm ging sie zur Tür.

„Und wenn ich Ihnen nun sagen würde, dass nicht alles verloren ist?“

Verständnislos drehte sie sich nach ihm um.

„Wie wäre es mit mir?“

„Mit Ihnen?“

Er hörte die Verachtung und versteifte sich. Dann sagte er mit ihren eigenen Worten: „Es wäre nicht das erste Mal.“

Sie starrte ihn an. „Soll das ein Heiratsantrag sein?“

„Natürlich nicht.“

„Das dachte ich mir.“ Sie musterte ihn voller Geringschätzung.

„Was haben Sie schon zu verlieren?“, fragte er.

„Eine ganze Menge. Aber das können Sie nicht verstehen.“

Sein Gesicht verhärtete sich, doch er erwiderte ruhig: „Überlegen Sie es sich.“

„Das ist nicht nötig. Lieber sterbe ich.“ Dann drehte sie sich um und ging.

Autor

Jessica Steele
Jessica Steele stammt aus der eleganten Stadt Royal Leamington Spa in England. Sie war ein zerbrechliches Kind und verließ die Schule bereits mit 14 Jahren als man Tuberkulose bei ihr diagnostizierte. 1967 zog sie mit ihrem Mann Peter auf jenen bezaubernden Flecken Erde, wo sie bis heute mit ihrer Hündin...
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