Julia Exklusiv Band 347

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TRAUMFRAU – WO BIST DU? von MIRANDA LEE
Warum hat Rachel ihn nur am nächsten Morgen verlassen? Für Luke St. Clair, den berühmten Starfotografen, war die Nacht mit ihr einzigartig. Als er wenig später etwas über sie in der Zeitung liest, glaubt er, den Grund zu kennen ...

BEIM BLICK IN DEINE AUGEN von SHARON KENDICK
Fassungslos starrt Constantine die Fremde an: Sie behauptet, sie hätte einen Sohn mit ihm! Aber das wüsste er doch! Aber als sie gemeinsam nach Athen reisen, wird seine Erinnerung wach – und seine Sehnsucht, jene zärtliche Liebesnacht zu wiederholen …

ZU SCHÖN FÜR DIE LIEBE? von CAROLE MORTIMER
Darf ein Mann so schön sein? Bryn kann sich an Gabriel D’Angelo nicht sattsehen. Doch sollte die Malerin sich dem reichen Galeristen hingeben, der ihre Familie einst ins Unglück stürzte?


  • Erscheinungstag 04.03.2022
  • Bandnummer 347
  • ISBN / Artikelnummer 9783751511926
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Miranda Lee, Sharon Kendrick, Carole Mortimer

JULIA EXKLUSIV BAND 347

PROLOG

Sie nahm die Kleidungsstücke aus der Reisetasche und breitete sie auf dem Hotelbett aus: das schulterfreie Minikleid im Leopardenmuster, sexy goldfarbene Sandaletten mit halsbrecherisch hohen Absätzen sowie den obligatorischen Fesselriemchen und einen cremefarbenen Stringtanga aus Stretchsatin, der allen Betrachtern die Illusion vermitteln sollte, sie wäre unter dem hautengen Kleid völlig nackt.

Sonst nichts. Kein BH. Keine Strümpfe. Kein Unterrock.

Ein Schauer durchrann sie, als sie sich vorstellte, wie sie in dieser Aufmachung wirken musste, das lange goldblonde Haar zu einer wilden Lockenmähne um Gesicht und Schultern frisiert, die wohlgeformten Lippen sorgfältig mit Konturenstift umrahmt und dann mit kussfestem Lippenstift zu einem aufreizenden Schmollmund ausgemalt.

Nicht gerade dezent.

Doch genau so wollte sie aussehen. Sie hatte keine Zeit für ihr übliches damenhaftes Outfit. Keine Zeit für Scheu oder Zurückhaltung. Sie hatte nur diese eine Nacht. Nur ein paar kostbare Stunden.

Der Gedanke an ihren Plan erfüllte sie mit Abscheu, doch ihr blieb nichts anderes übrig, wenn sie ihr Ziel schnell und sicher erreichen wollte. Gütiger Himmel, was war im vergangenen Jahr mit ihr passiert? Was war nur aus ihr geworden?

Für den Bruchteil einer Sekunde erwog sie, die Idee aufzugeben, aber Verzweiflung und tiefe Frustration verliehen ihr neue Kraft. Sie musste am Morgen nach Hause fahren – nach Hause zu ihrem sterbenden Ehemann, nach Hause, wo sie weitere Wochen voller Enttäuschungen, Kummer und nie gekannter Einsamkeit erwarteten.

Sie konnte diese Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie musste ihr Glück versuchen. Sie musste es einfach!

Erneut griff sie nach der zusammengefalteten Zeitung auf dem Kopfkissen und suchte die Adresse der Fotoausstellung – der einzigen Eröffnung, die an diesem Mittwochabend stattfand. Die Straße und die Galerie waren ihr fremd, allerdings war es auch schon Jahre her, dass sie in Sydney gelebt und gearbeitet hatte.

Sie notierte sich die Anschrift und hoffte überflüssigerweise, dass diese Vernissage wie alle anderen sein würde – voll von prominenten, reichen, gelangweilten Singles. Zugegeben, ein Teil der anwesenden Junggesellen – und leider meist auch die bestaussehenden – würde homosexuell sein, aber trotzdem gab es dort bestimmt noch etliche männliche Wesen, die eher Macho als Moralist waren.

Und was ist mit deiner Moral, Rachel?, fragte eine leise innere Stimme.

„Ich habe sie zu Hause gelassen“, sagte sie laut und warf die Zeitung in den Papierkorb. „Zusammen mit allem, was mir einmal lieb und teuer war. Das Leben verläuft heute nach anderen Regeln. Es ist auch nur ein Spiel“, fügte sie bitter hinzu und eilte ins Badezimmer. Auf dem Weg dorthin streifte sie den Ehering vom Finger.

Dieser Abend war nicht der richtige Zeitpunkt für Schuldzuweisungen. Oder Gewissensbisse. Oder, Gott behüte, Scham. Dafür war in ihrem Leben momentan kein Platz. Nicht der geringste!

1. KAPITEL

„Du musst zum Zahnarzt.“

Luke nahm zwei Schmerztabletten und schluckte sie mit einem großen Glas Wasser hinunter. „Ich werde gehen, wenn ich wieder in Los Angeles bin.“ Er wandte sich von der Spüle ab und lächelte seine Mutter an. „So schlimm ist es nicht.“

Grace ließ sich in ihrer mütterlichen Sorge nicht beirren, obwohl ihr klar war, dass das Lächeln ihres Sohnes die meisten anderen Frauen abgelenkt hätte. Abgelenkt, entwaffnet und völlig verwirrt.

Mit zweiunddreißig war Luke einfach umwerfend, was sein Aussehen betraf. Das Alter und die Erfahrungen hatten seinem früher zu makellosen Gesicht endlich markante Züge gegeben. Die feinen Linien um Augen und Mund verliehen ihm mehr Sex-Appeal denn je.

Seine zwei älteren Brüder waren zwar auch attraktive Männer, doch Luke war aus dem Holz geschnitzt, aus dem man Filmstars machte. Er hatte die besten Gene seiner Eltern geerbt: von seinem Vater den großen, wohl proportionierten Körper, den leicht getönten Teint und die funkelnden dunklen Augen, von seiner Mutter hingegen die hohen Wangenknochen und die sinnlich geschwungenen Lippen. Alles in allem eine gefährliche Kombination.

Als Teenager war Grace’ jüngster Sohn der Schwarm aller Mädchen gewesen. Zweifellos war er auch heute noch bei Frauen sehr beliebt. Schade, dass er noch nicht die Richtige gefunden hat, dachte Grace betrübt.

Nicht etwa dass er sich für den Frauentyp interessierte, den sie sich als Schwiegertochter ausgesucht hätte … Lukes Arbeit als begehrter Fotograf der Schönen und Reichen in Hollywood brachte es mit sich, dass sein Bekanntenkreis fast nur aus Berühmtheiten des Film- und Unterhaltungsgewerbes bestand. Also kaum Menschen, denen man lang anhaltende Bindungen oder Respekt vor traditionellen Werten nachsagen konnte.

Grace wünschte sich, dass Luke eines Tages wieder nach Australien zurückkommen und sich hier niederlassen würde, statt nur einmal im Jahr für eine kurze Stippvisite in Sydney aufzutauchen. Er war mit Leib und Seele Australier, und sie spürte, dass er hier glücklicher sein würde.

In letzter Zeit hatte er keineswegs glücklich gewirkt. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, und der bittere Zug um seinen Mund stimmte sie traurig. Der junge Mann, der vor zehn Jahren sein Elternhaus verlassen hatte, um die Welt zu erobern und ein Vermögen zu verdienen, war kein Zyniker gewesen – im Gegensatz zu dem Mann, der am Vortag gelandet war. Luke war schon lange nicht mehr glücklich.

Natürlich fiel es jedem schwer, fröhlich und munter auszusehen, wenn einem die Zeitverschiebung und ein schmerzender Zahn zu schaffen machten. Da Grace wusste, wie gereizt Männer auf die geringsten körperlichen Beschwerden reagieren konnten, würde sie nicht dulden, dass er sich vor einem Zahnarztbesuch drückte.

„Du fliegst frühestens Sonntag in einer Woche zurück“, erklärte sie energisch. „Bis dahin sind es noch vierzehn Tage. Du kannst es nicht so lange mit Zahnschmerzen aushalten. Sei also nicht kindisch, Luke. Ich weiß, dass du es schon als Junge gehasst hast, zum Zahnarzt zu gehen, aber inzwischen bist du ein erwachsener Mann. Gütiger Himmel“, fügte sie hinzu, wohl wissend, dass nichts einen Mann so sehr anspornte wie ein Angriff auf sein Ego, „zweiunddreißig und immer noch Angst vor dem Zahnarzt.“

„Ich habe keine Angst“, behauptete er prompt. „Mir ist lediglich dieser verdammte Stuhl zuwider. Ich hasse dieses Gefühl, das man darin hat. Man fühlt sich so völlig der Gnade eines anderen ausgeliefert.“

Grace betrachtete versonnen ihren jüngsten Sohn. Ja, das kann ich mir gut vorstellen, dachte sie. Du gibst die Zügel nur ungern aus der Hand und magst es überhaupt nicht, wenn man dich in die Ecke drängt. Niemandem ist es je gelungen, dich zu Dingen zu zwingen, die du nicht tun wolltest. Genauso wenig kann man dir etwas ausreden, wenn du es dir erst einmal in den Kopf gesetzt hast.

Insgeheim bewunderte sie die Zielstrebigkeit und die Beharrlichkeit ihres Sohnes. Er packte Probleme an, vor denen andere zurückschreckten. Er folgte seinen Träumen und verwirklichte sie. Zumindest im beruflichen Bereich. Privat war sein Leben nicht ganz so erfolgreich verlaufen. Was mochte aus der jungen Schauspielerin geworden sein, mit der er vor ein paar Jahren zusammengelebt hatte? In seinen Briefen hatte Luke angedeutet, dass eine Hochzeit bevorstehe, und kurz darauf hatte er das Mädchen mit keiner Silbe mehr erwähnt.

Grace würde nie seinen grimmigen Gesichtsausdruck vergessen, als er einige Monate später zu Besuch gekommen war. Er war bitter geworden, was Frauen betraf. Natürlich hatte er mit ihr nicht darüber gesprochen. Söhne vertrauten sich ihren Müttern nicht mehr an, sobald sie das andere Geschlecht entdeckt hatten. Bei Luke war das vor gut zwanzig Jahren passiert.

Seine Selbstständigkeit hinderte sie jedoch nicht daran, ihn weiter zu bemuttern und unter ihre Fittiche zu nehmen, wenn er in ihrer Nähe war.

„Beim Zahnarzt ist es längst nicht mehr so schlimm wie früher“, versicherte sie. „Die modernen Bohrer verursachen praktisch keine Schmerzen, und falls du zu nervös bist, gibt man dir eine Betäubungsspritze.“

„Trotzdem stopfen sie dir immer noch so viele Wattebäusche in den Rachen, bis du nur noch nuscheln kannst“, konterte er. „Und dann dieses verdammte Gerät zum Speichelabsaugen. Nicht genug damit, dass es die widerlichsten Geräusche macht, du siehst damit auch aus, als wärst du ein Mutant vom Mars.“

Grace lachte leise. „Das ist also dein Problem. Du willst dich Dr. Evans’ niedlicher Assistentin von deiner besten Seite präsentieren.“

Interessiert zog Luke die Brauen hoch. „Dr. Evans hat eine niedliche Assistentin?“

„Zumindest war das so, als ich das letzte Mal bei ihm war. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich sie dir gegenüber schon früher erwähnt. Demnach hast du immer noch eine Schwäche für hübsche Frauen.“

Sein verärgerter Blick verriet ihr, dass irgendwann einmal eine schöne Frau ihn tief verletzt haben musste. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es wohl die Schauspielerin gewesen war.

„Mein Geschmack hat von hübsch zu umwerfend schön gewechselt“, erwiderte er trocken.

„Gibt es in deinem Leben ein besonders umwerfend schönes Mädchen, das ich kennen sollte?“, erkundigte sie sich.

„Nein.“

Luke Informationen zu entlocken war schwieriger, als Grace erwartet hatte. „Was ist eigentlich aus dieser Tracy geworden, von der du mir geschrieben hast?“, hakte sie nach. „Es klang doch ganz so, als wolltest du sie heiraten.“

„Das wollte ich auch. Aber dann entschied sie sich für ihre Karriere und gegen die Ehe“, antwortete er sarkastisch.

„Warum musste sie sich überhaupt entscheiden? Ich dachte immer, die amerikanischen Mädchen wollen alles gleichzeitig haben – Ehe und Kinder und eine Karriere.“

Luke lachte verächtlich. „Glaub bloß nicht, was dir diese Filme im Fernsehen vorgaukeln, Mum. Das ist pure Phantasie. Tracy hatte nicht das Geringste gegen eine Hochzeit. Ihr gefiel die Vorstellung, Mrs. Luke St. Clair zu werden, sogar ausgezeichnet. Allerdings wollte sie um keinen Preis der Welt ein Baby. Immerhin war sie so fair, mir das rechtzeitig genug mitzuteilen. Da für mich eine Ehe ohne Kinder bedeutungslos ist, haben wir uns getrennt.“

„Und das war gut so. Eine Ehe ohne Kinder wäre für dich eine Katastrophe. Du wirst einmal ein fabelhafter Vater sein.“

Verwundert schaute er sie an. „Wie kommst du darauf?“

„Ach, Luke, ich bin deine Mutter. Ich kenne mich in solchen Dingen aus.“

„Weiblicher Instinkt, oder?“

„Mütterlicher Instinkt. Und dein Vater. Seine Söhne schlagen in dieser Hinsicht ganz nach ihm.“

„Das ist wirklich schade, denn momentan sieht es bei mir nicht so aus, als würde ich bald heiraten, ganz zu schweigen davon, eigene Kinder zu haben.“

„Hast du Tracy so sehr geliebt?“

„Du liebe Güte, nein! Ich habe diese ehrgeizige kleine Hexe längst vergessen.“

„Was ist es dann, Luke?“ Grace war sichtlich verwirrt. „Du bist erst zweiunddreißig und hast noch viel Zeit, um zu heiraten und eine Familie zu gründen.“

Betroffenes Schweigen breitete sich in der Küche aus, während Luke stirnrunzelnd aus dem Fenster blickte.

„Wer ist sie?“, fragte seine Mutter schließlich unverblümt. „Auch eine Schauspielerin?“

Ein gefährliches Funkeln trat in seine Augen. „Genau deshalb wollte ich nicht mit dir darüber reden, Mum“, sagte er finster. „Ehe ich weiß, wie mir geschieht, unterziehst du mich einem Verhör. Können wir das Thema Frauen nicht ein für alle Mal vergessen? Ich bin hier, um einen schönen, erholsamen Urlaub zu verbringen, und nicht, um eine Neuauflage der spanischen Inquisition zu erleben.“

„Ich habe doch nur dein Bestes im Sinn“, verteidigte sie sich. „Ich möchte, dass du glücklich bist – so wie Mark und Andy.“

Luke betrachtete sie einige Sekunden lang, dann wich sein Ärger einem reumütigen Ausdruck. Er ging zu seiner Mutter hinüber und schloss sie liebevoll in die Arme. „Ich bin nicht unglücklich, Mum. Dazu habe ich nicht den geringsten Grund, abgesehen von diesem verdammten Zahn“, fügte er seufzend hinzu.

Grace erkannte, dass sie nicht mehr über sein Liebesleben erfahren würde. Aber was den Zahnarzt betraf, so würde Luke ihr nicht so leicht davonkommen. „In diesem Punkt werde ich nicht nachgeben“, erklärte sie energisch. „Ich rufe gleich in der Praxis an und vereinbare einen Termin für dich. Wenn ich ihnen sage, dass es sich um einen Notfall handelt, werden sie dich bestimmt heute noch einschieben. Ich fahre dich selbst hin. Während du dich untersuchen lässt, kann ich ein bisschen einkaufen.“

„In Ordnung.“ Luke nickte. „Du hast es dir in den Kopf gesetzt. Und wenn ich eines über meine Mutter gelernt habe, dann dass niemand sie umstimmen kann, wenn sie sich etwas vorgenommen hat. Du bist stur wie ein Maultier.“

Das musst gerade du sagen, dachte Grace zufrieden, als sie die Küche verließ, um zu telefonieren.

Um zehn Uhr saß Luke mit ziemlich gemischten Gefühlen im ramponierten blauen Sedan seiner Mutter auf dem Beifahrersitz. Seine Behauptung, er habe keine Angst vor dem Zahnarzt, war eine glatte Lüge gewesen. In Wirklichkeit fürchtete er sich zu Tode.

Zweiunddreißigjährige Männer durften solche Schwächen jedoch nicht zugeben, wenn sie nicht riskieren wollten, dass man sich über sie lustig machte. Solche Geständnisse führten nur dazu, dass andere Männer diese Informationen gegen sie benutzten oder – noch schlimmer – Frauen auf sie herabblickten.

Ein echter Mann zu sein, ist manchmal ganz schön schwer und anstrengend, dachte Luke. Echte Männer stöhnten oder jammerten nicht. Oder unterzogen sich einer Therapie. Und ganz gewiss weinten sie sich nicht an der Schulter ihrer Mutter aus.

Nein, zum Teufel! Ein echter Mann stellte sich dem Leben und zuckte nicht einmal mit der Wimper, wenn Probleme auftauchten. Egal wie, er ging seinen Weg – stark, wortkarg und selbstbewusst.

Verdammt, mitunter hasste er es, ein echter Mann zu sein – besonders wenn es Zahnarztbesuche betraf.

„Ich begreife nicht, weshalb ich dir keinen neuen Wagen kaufen darf“, beschwerte er sich, während Grace das Auto aus der Garage fuhr. „Oder ein neues Haus“, ergänzte er und schaute zum Himmel hinauf, wo gerade ein Jumbo-Jet aufstieg. Der Lärm war einfach ohrenbetäubend.

„Mir gefällt es in Monterey“, erwiderte seine Mutter. „Ich lebe hier seit meiner Hochzeit. Dein Vater und ich waren in diesem Haus sehr glücklich. Ich habe dich und deine beiden Brüder hier großgezogen. Die meisten meiner Freunde wohnen in der Nachbarschaft. Außerdem ist dein Vater keine zwei Meilen von hier entfernt begraben, und ich …“

„Schon gut, schon gut. Ich hab’s kapiert“, unterbrach Luke sie frustriert. „Ich möchte nur so gern etwas für dich tun, Mum.“ Er bewunderte seine Mutter und betete sie förmlich an.

Sie hatte sich nach dem Tod ihres Mannes vor fast fünf Jahren tapfer gehalten und keinen ihrer Söhne darum gebeten, sie bei sich aufzunehmen. Nach vierzigjähriger glücklicher Ehe hatte sie stattdessen begonnen, die einsamen Stunden mit Wohltätigkeitsarbeit zu füllen und sich zu einer hinreißenden Persönlichkeit zu entwickeln.

Allerdings konnte sie auch eine wahre Plage sein, wenn sie sich in etwas verbissen hatte.

„Du könntest etwas für mich tun“, meinte sie plötzlich so munter, dass er ihr einen misstrauischen Blick zuwarf.

„Was?“

„Zieh zurück nach Australien. Wenn du erst wieder zu Hause bist, wirst du bestimmt bald ein nettes Mädchen kennen lernen, das dich mit Freuden heiraten und Kinder bekommen wird, davon bin ich überzeugt.“

Luke spürte, wie der alte Kummer in ihm erwachte. Er atmete tief durch, um seine Gefühle so gut wie möglich zu verbergen. Schließlich konnte er seiner Mutter unmöglich erzählen, dass er bei seinem letzten Besuch in Sydney ein Mädchen getroffen hatte.

Bedauerlicherweise war sie nicht nett gewesen. Und sie hatte auch nicht zu dem Typ gehört, der sich häuslich niederließ und Kinder bekam.

Trotzdem hatte Luke sie nicht vergessen können. Nicht eine einzige Minute lang. Die Erinnerung an sie verfolgte ihn bei Tag, schlich sich nachts in seine Träume und raubte ihm allmählich den Seelenfrieden.

Seiner Mutter war aufgefallen, dass er unglücklich wirkte. Wie sollte er auch glücklich sein, wenn er nicht mehr wusste, wer er war oder was er mit seinem Leben anfangen sollte? Seit jenem Morgen vor achtzehn Monaten, als er aufgewacht war und sie nicht mehr vorgefunden hatte, war er verloren. Er hatte gesucht und gesucht, aber keine Spur von ihr entdeckt. Es war, als hätte sie niemals existiert.

Aber sie hatte existiert. Er musste nur die Augen schließen, und schon stellten sich die Bilder wieder ein. Ihr Gesicht. Ihre Leidenschaft. Die alles verzehrende Glut ihres wundervollen Körpers.

Verflixt, wenn sie ihn nur freigeben würde! Wenn er doch endlich aufhören könnte, an sie zu denken.

„Luke?“ Grace’ Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien. „Rede mit mir. Ich kann es nicht ertragen, wenn einer meiner Söhne in dumpfes Brüten verfällt.“

Widerstrebend riss er sich zusammen und setzte eine gelangweilte Miene auf, in der Hoffnung, seine allzu scharfsichtige Mutter zu täuschen. „Ich denke, Andy und Mark haben deine großmütterlichen Ambitionen mehr als genug befriedigt, Mum“, sagte er trocken. „Sie haben dir inzwischen fünf süße Enkel geschenkt, drei Jungen und zwei Mädchen, sowie zwei perfekte Schwiegertöchter. Du brauchst mich wirklich nicht, um die St. Clair-Sippe zu vergrößern. Pass auf, dass aus dir nicht eine dieser ehestiftenden Mütter wird, sonst bin ich gezwungen, künftig in Los Angeles zu bleiben.“ Ihr gekränkter Gesichtsausdruck weckte sofort sein schlechtes Gewissen. Er seufzte reumütig. „Es war nur ein Scherz, Mum. Du weißt doch, dass du meine Beste bist. Ich könnte doch niemals lange von dir fortbleiben.“

„Schmeichler“, schalt sie ihn lächelnd.

Nachdem er seine Mutter besänftigt hatte, lehnte Luke sich schweigend zurück und konzentrierte sich ganz auf die schöne Umgebung. Rechts von der Straße schimmerte das blaue Wasser der Botany Bay. Über ihnen spannte sich der klare blaue Himmel. Nirgendwo auf der Welt gab es einen solchen Himmel wie in Australien. Sein Strahlen und Leuchten war einmalig, aber er schuf auch ein recht hartes Licht – nicht gerade die günstigsten Bedingungen für gute Fotos.

Man musste schon ein besonderes Talent und eine ausgezeichnete Ausrüstung haben, um die australische Landschaft wirklich naturgetreu einzufangen – es sei denn, man fotografierte bei Sonnenaufgang oder Nebel, Methoden, die er nie gebilligt hatte. Trotzdem wäre es eine interessante Herausforderung, überlegte er plötzlich.

Seit seiner Kindheit hatte er immer Menschen fotografiert. Mit seinen beeindruckenden Schwarzweißporträts hatte er ein Vermögen verdient. Früher hatte es ihm Spaß gemacht, seine Klienten mit besonders schmeichelhaften Aufnahmen zu überraschen. Models und Schauspielerinnen, die ein Portfolio von Luke St. Clair vorlegen konnten, waren in dieser Haifischbranche stets im Vorteil und ergatterten die besten Jobs. Seine Bilder waren heiß begehrt, und man bezahlte ihn gut dafür. Er konnte geradezu fürstliche Honorare verlangen.

Aber mittlerweile langweilte er sich dabei.

Außerdem hatte er es nicht mehr nötig, dem Geld hinterher zu jagen. Einem Geistesblitz folgend, hatte er vor einigen Jahren Geld in einen Film investiert, der sich auf der ganzen Welt als Kassenmagnet entpuppt hatte. Die Tantiemen daraus hatten dafür gesorgt, dass er nie wieder arbeiten musste, wenn er es nicht wollte. Möglicherweise war es an der Zeit, die Grenzen seines Talents auszuloten, einen neuen Stil zu finden, der seine Kreativität steigerte.

Vielleicht hat Mum recht, überlegte er. Vielleicht ist es Zeit, nach Hause zurückzukehren – wenn nicht, um zu heiraten, so doch zumindest, um ein neues Ziel zu finden. So wie im vergangenen Jahr konnte es jedenfalls nicht weitergehen.

„Ich lasse dich hier raus.“ Grace steuerte den Wagen an den Straßenrand. „Der Zahnarzt hat seine Praxis in der Fußgängerzone. Du gelangst über eine schmale Treppe in einen Korridor. Die Behandlungsräume sind hinter der zweiten Tür links. Ich treffe dich später im Café an der Ecke. Wer zuerst kommt, wartet auf den anderen.“

In Lukes Magen schienen tausend Schmetterlinge zu flattern, während er kurze Zeit später die Stufen hinaufstieg und die Glastür öffnete.

Eine sehr attraktive Brünette saß hinter dem Empfangstresen. Sie schaute auf und lächelte ihn verführerisch an. „Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sie sich hoffnungsvoll.

Luke bemühte sich nach Kräften, die stumme Einladung zu ignorieren, die aus ihren blauen Augen sprach. Unwillkürlich ließ er den Blick zu ihrer linken Hand schweifen. Er war fast erleichtert, als er einen Verlobungsring mit Diamanten daran funkeln sah. Seit ungefähr einem Jahr hatte er sich fatalerweise angewöhnt, mit hübschen jungen Frauen zu flirten, sie auszuführen, mit ihnen zu schlafen und sich dann nie wieder bei ihnen zu melden.

Er war auf sein Benehmen wahrlich nicht stolz, aber er konnte es verstehen. Wie es schien, wollte er diese Frauen für sie bestrafen.

Meist tröstete er sich damit, dass er sich nur mit den Willigen eingelassen hatte, denen, die ihm deutlich gezeigt hatten, was sie von ihm wollten. Wie sie es getan hatte. Stets hatte er gehofft, irgendwann einmal eine gewisse Genugtuung zu empfinden, weil er derjenige war, der erst verführte und dann verschwand. Stattdessen fühlte er sich am Morgen danach miserabel und hasste sich mit jeder Affäre mehr.

Seine Partnerinnen wussten es zwar nicht, aber sie waren ohne ihn besser dran. Seit jener Nacht war er ein echtes Scheusal geworden, was seine Beziehungen betraf. Die einzige Konzession an sein Gewissen bestand darin, dass er einen weiten Bogen um verheiratete oder verlobte Frauen machte. Es tröstete ihn ein wenig und beruhigte seine gelegentlichen Skrupel, dass er nicht vollends zum Schuft geworden war.

„Mein Name ist St. Clair“, erklärte er. „Ich habe einen Termin für zehn Uhr dreißig.“

„Oh ja, Mr. St. Clair. Dr. Evans hat sich leider ein wenig verspätet. Es wird wohl noch eine Viertelstunde dauern. Wünschen Sie eine Tasse Tee oder Kaffee, während Sie warten?“

Tee oder Kaffee für seine aufgewühlten Magennerven? Einen Whisky schon eher, aber Luke bezweifelte, dass sie ihm einen anbieten würde. „Nein, danke“, entgegnete er schroff. „Ich möchte nichts.“

„Wir haben die verschiedensten Zeitschriften“, sagte sie, während er es sich auf dem schwarzen Ledersofa bequem machte.

Luke versuchte sich zu entspannen. Er schlug die Beine übereinander, legte die rechte Wade auf sein linkes Knie und breitete die Arme auf der Rückenlehne aus. Schon bald begann er, mit den Fingern ungeduldig auf die Polster zu trommeln. Resigniert beugte er sich vor und ergriff eines der eselsohrigen Frauenmagazine, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Ein flüchtiger Blick auf die Titelseite verriet ihm, dass die Ausgabe vier Jahre alt war.

Gelangweilt blätterte er die Zeitschrift durch, nur um die Zeit totzuschlagen. Wahrscheinlich hätte er ihr Bild überhaupt nicht bemerkt, wenn die reißerische Schlagzeile nicht seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Model verzichtet auf viel versprechende Karriere, um berühmten Wissenschaftler zu heiraten.

Vor Jahren hatte Luke seinen Lebensunterhalt damit verdient, dass er das Layout für Modemagazine entworfen hatte. Damals war er mit vielen Models befreundet gewesen, und manche waren sogar mehr als Freundinnen gewesen. Daher schlug er aus reiner Neugier die im Inhaltsverzeichnis genannte Doppelseite auf, um nachzusehen, ob er diese Frau vielleicht kannte.

Das große Foto zeigte ein sich glücklich küssendes Paar, dessen Gesichter nicht deutlich zu erkennen waren. Luke fiel lediglich auf, dass der Bräutigam graue Schläfen hatte. Also überflog er die Bildunterschriften, in der Hoffnung, die Namen herauszufinden.

Ein zweiundzwanzigjähriges Model namens Rachel Manning hatte an jenem Samstagnachmittag vor vier Jahren in der St. Mary’s Cathedral in Sydney den renommierten Genforscher Patrick Cleary geheiratet. Diese Nachricht sagte Luke absolut nichts. Erst als sein Blick auf ein kleineres Bild fiel, das Rachel Manning allein zeigte, erkannte er sie.

War er weiß wie die Wand geworden?

Luke vermutete es.

Seine Finger umklammerten das Magazin so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er starrte wie hypnotisiert auf die strahlende Braut – die wunderschöne goldblonde Braut.

Wie unschuldig sie in ihrem weißen Hochzeitskleid aussieht, dachte er benommen. Die personifizierte Reinheit. Das Ideal weiblicher Unberührtheit.

Allmählich wich der Schock einer grenzenlosen Wut. Sie war verheiratet gewesen! Die Hexe war verheiratet gewesen!

Verdammt, das erklärte vieles. Verdammt vieles.

Es hatte in jener Nacht so viele Kleinigkeiten gegeben, die ihn stutzig gemacht hatten. So viele offene Fragen.

Nun kannte er die Antworten.

Oder etwa nicht?

Die Hochzeit vor vier Jahren bedeutete nicht, dass sie vor achtzehn Monaten noch verheiratet gewesen war. Schließlich gab es Scheidungen. Vielleicht erlaubte sie sich gelegentlich einen kleinen Seitensprung. Vielleicht hatte sie gute Gründe gehabt, sich so zu benehmen, wie sie es damals getan hatte – warum sie sich fortgeschlichen hatte und spurlos verschwunden war, während er geschlafen hatte.

Ja, und vielleicht können Schweine sogar fliegen, flüsterte eine boshafte innere Stimme Luke zu.

„Dr. Evans erwartet Sie, Mr. St. Clair.“

Luke erhob sich mit – wie er hoffte – undurchdringlicher Miene und legte die Zeitschrift zurück auf den Stapel.

Vergiss sie, riet die Stimme der Vernunft. Sie taugt nichts.

Er ging zu der geöffneten Tür hinüber, wo die Arzthelferin bereits auf ihn wartete. Dass sie eine zierliche kleine Schönheit war, fiel ihm nicht einmal auf. Er war auch nicht mehr nervös. Sie beherrschte seine Gedanken, die unwillkürlich in die Vergangenheit zurückschweiften.

Luke nahm auf dem Behandlungsstuhl Platz und schloss die Augen, ganz in seine Erinnerungen versunken. Wie sollte er sie jemals vergessen? Jetzt hatte sie einen Namen.

Rachel.

Er hatte ihren Namen nicht gekannt, als er sie vor achtzehn Monaten auf der Vernissage getroffen hatte. Er hatte ihn auch am folgenden Morgen nicht gekannt, als er allein aufgewacht war.

Rachel …

Er passte nicht zu ihr, fand er.

Gewiss, er passte zu der Braut auf dem Foto, aber nicht zu dem erotischen Katzenwesen, das ihm in jener Nacht begegnet war. Rachel … Das klang nach einer Lady – doch die Frau, die zielstrebig auf ihn zugegangen war, nachdem sie ihn entdeckt hatte, war nicht im Entferntesten eine Dame gewesen. Sie hatte ihm den Drink aus der Hand genommen, einen großen Schluck getrunken und ihn über den Rand des Glases verführerisch angelächelt, bevor sie ihm das unverblümteste Angebot unterbreitet hatte, das er jemals von einer Frau gehört hatte.

Und er hatte schon einiges erlebt.

Dr. Evans redete während der Untersuchung auf ihn ein, doch Luke achtete nicht auf seine Worte. Er befand sich wieder auf der Ausstellung, hörte erneut ihre Stimme und durchlebte noch einmal jede einzelne Minute jener unvergesslichen Nacht, die ihm den Seelenfrieden geraubt hatte.

2. KAPITEL

„Ich habe in einem Hotel in der Nähe ein Zimmer“, sagte sie mit leiser, verführerischer Stimme, den Blick ihrer unglaublich grünen Augen unverwandt auf Luke gerichtet. „Wenn du dich so langweilst, wie es scheint, möchtest du mich vielleicht dorthin begleiten.“

Luke richtete sich auf. Plötzlich war er froh, dass sein Glas mittlerweile von diesen langen, schmalen Fingern mit den sorgfältig lackierten Nägeln gehalten wurde. Ansonsten hätte er vermutlich seinen Drink verschüttet. Allerdings wäre das wahrscheinlich auch nicht schlecht gewesen, denn bei dem rasanten Tempo, das die Blondine vorlegte, brauchte er eine kleine Abkühlung.

Er sah ihr tief in die Augen, die tropischen Lagunen glichen – weil dies ungefährlicher war, als den Rest von ihr zu betrachten. Als sie lässig auf ihn zugeschlendert war, hatte er einen verdammt guten Eindruck davon bekommen, was ihn erwartete.

Sie hatte ein hinreißendes Gesicht – die exotischen Züge wurden von einer wilden honigblonden Mähne umrahmt – und einen noch hinreißenderen Körper. Groß und schlank, mit wohl geformten, festen Brüsten und endlos langen Beinen, die geradewegs bis zu ihrer schmalen Taille reichten. Oder zumindest schien es so.

Für Lukes Geschmack war sie allerdings ein wenig zu auffallend gekleidet. Der Mini im Leopardenmuster überließ wirklich nichts der Phantasie. Falls sie tatsächlich noch etwas unter dem Kleid trug, konnte er es jedenfalls nicht erkennen. Das seidige Material umschloss ihre Figur wie eine zweite Haut, der raffinierte Schnitt entblößte ihre makellosen Schultern und sonnengebräunten Schenkel.

Unwillkürlich fragte Luke sich, womit sie wohl ihren Lebensunterhalt verdiente … Nun, vielleicht war es besser, die Wahrheit nicht zu kennen.

Normalerweise bevorzugte er kühle, weltgewandte Karrierefrauen mit Format, deren unterschwellige Sinnlichkeit eine Herausforderung für ihn darstellte. Sie sandten stumme, aber nichtsdestotrotz eindeutige Botschaften aus und überließen ihm den Rest. Anders als dieses offenherzige Geschöpf, luden sie ihn nicht unverblümt zum Sex ein.

„Ist es deine Gewohnheit, dich völlig Fremden anzubieten?“ Luke bemühte sich, nicht so schockiert zu klingen, wie er sich fühlte. Oder so erregt.

Seit seiner Trennung von Tracy ein paar Monate zuvor hatte er keine Frau mehr gehabt. Die lange Enthaltsamkeit ist an meiner Reaktion schuld, redete er sich ein. Tief in seinem Herzen wusste er jedoch, dass dies nicht stimmte. Er hatte diese Wildkatze vom ersten Augenblick an begehrt.

Sie hob die perfekt geschwungenen Brauen. „Du bist Amerikaner“, stellte sie fest.

Er hätte ihr die Wahrheit sagen können, aber irgendetwas … irgendein undefinierbarer Instinkt warnte ihn, ihr nicht zu verraten, dass er gebürtiger Australier war. Man hatte ihm schon häufiger gesagt, dass er einen amerikanischen Akzent angenommen habe, aber bis zu diesem Moment hatte er es nicht geglaubt.

„Magst du keine Amerikaner?“, fragte er, nahm das Glas aus ihren Händen und leerte es in einem Zug. Er hatte die vage Ahnung, dass er den Abend mit einem kleinen Schwips besser überstehen würde.

„Das kommt darauf an“, meinte sie ausweichend. „Verbringst du deine Ferien hier, oder bleibst du länger?“

„Ich mache Urlaub“, erklärte Luke wahrheitsgemäß. Aber ich könnte auch länger bleiben, fügte er in Gedanken hinzu, falls ich jede Nacht mit dir verbringen kann.

Er spürte, wie das Blut schneller durch seine Adern strömte. Jetzt schon …

Seine wachsende Erregung hätte ein ebenso peinliches wie auch schmerzliches Verhängnis werden können, wenn er nicht ein langes weißes Sportsakko über einer lockeren dunklen Leinenhose getragen hätte. Die weite Kleidung verbarg glücklicherweise seinen Zustand.

Er hatte nicht die Absicht, dieser Katze in Menschengestalt zu verraten, dass er eine leichte Beute für sie und ihren animalischen Sex war. Obwohl ihn ihre Offenheit und ihr absolut umwerfender Körper reizten, verbot sein männliches Ego, dass er ihr sofort folgte.

Zumindest eine Minute sollte ich warten, sagte er sich selbstironisch.

„Habe ich mich damit disqualifiziert?“, erkundigte er sich scheinbar gelangweilt.

„Im Gegenteil.“ Ihre sinnliche Stimme jagte einen heißen Schauer über seinen Rücken. „Ich liebe Touristen. Besonders große, dunkelhaarige, attraktive mit schönen dunklen Augen. Du bist doch allein, oder? Kein kleines Frauchen oder eine Freundin, die im Hotel oder in den Staaten auf dich wartet?“

„Ich bin ganz allein“, versicherte er und fühlte sich keineswegs so cool, wie er klang. „Und das ist sehr bedauerlich.“

„Das finde ich überhaupt nicht, schöner Mann“, flüsterte sie. „Du bist absolut umwerfend und in jeder Hinsicht perfekt. Komm mit …“

Sie nahm ihm das Glas aus den Fingern und bückte sich, um es auf den Boden zu stellen. Damit erlaubte sie ihm einen ungehinderten Blick auf ihre wundervollen Brüste. Als sie sich wieder aufrichtete, lächelte sie betörend. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich fort, quer durch die Galerie und die breite Treppe hinunter.

Die kümmerlichen Reste von Lukes Verstand brauchten einige Zeit, bis sie wieder einen klaren Gedanken formen konnten. Dann jedoch blieb er so unvermittelt stehen, dass ihm ihre Finger entglitten.

„Du bist doch keine Prostituierte, oder?“ Misstrauisch sah er sie an.

Die plötzlich aufflammende Empörung in ihren wunderbaren grünen Augen war ebenso unmissverständlich wie seine eigene Erleichterung. Was um alles in der Welt hätte er getan, wenn sie seine Frage bejaht hätte?

Du wärst trotzdem mit ihr gegangen, raunte ihm eine innere Stimme zu.

„Entschuldige“, bat er. „Zeig mir den Weg, Schätzchen.“ Offenbar war sie lediglich auf ein Abenteuer aus. Sie suchte eine flüchtige Affäre ohne Komplikationen oder Bindungen.

Obwohl dies nicht Lukes Stil entsprach, wusste er, dass alles darauf hinauslaufen würde. Es ließ sich nicht leugnen, er war von ihr überwältigt. Mehr als überwältigt. Mit ihrer ebenso primitiven wie ansteckenden Sexualität hatte sie ihn geradezu verhext. Der Zauber schien in Wellen von ihr auszugehen und legte einen Bann über seine Sinne, brachte sein Blut in Wallung und beflügelte seine Phantasie. Wie mochte es wohl sein, die ganze Nacht mit ihr zu verbringen?

Sie warf ihm gelegentlich einen Blick über die Schulter zu, während sie ihn die letzten Stufen hinunterführte und sich einen Weg durch das überfüllte Foyer bahnte. Mal leuchteten ihre Augen einladend, dann wiederum lag ein verwunderter Ausdruck darin, ganz so, als könne sie es nicht fassen, dass Luke so bereitwillig mitkam.

Diese unvermutete Verletzlichkeit begann ihn zu interessieren. Allmählich wuchs in ihm der Verdacht, dass sie sich normalerweise nicht so benahm. Als sie endlich draußen auf der Straße standen, hatte sie ihn einmal zu oft so unsicher angesehen. Einer spontanen Eingebung folgend, drängte er sie in einen dunklen Hauseingang und presste sie fest an sich.

Ihr leiser Aufschrei und die schreckgeweiteten Augen bestätigten seine Vermutung, dass sie derart gefährliche Spielchen nicht gewöhnt war. Entweder das, oder sie war vorher nie ernsthaft in Schwierigkeiten geraten.

„Du kleine Närrin“, schimpfte er. „Ist dir denn nicht klar, welches Risiko du eingehst, wenn du dich mit einem völlig Fremden einlässt?“

Trotzig hob sie das Kinn. Ihre Augen funkelten gefährlich. „Hast du etwa deine Meinung geändert?“, konterte sie. „Falls ja, dann sag es, verdammt.“ Sie versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien. „Ich habe heute Nacht keine Zeit für Feiglinge.“

„Feiglinge? Wieso, du kleines …“ Wie feuerrote Blitze durchzuckte ihn der Zorn, und ehe er wusste, was er tat, hatte er auch schon ihre blonde Mähne gepackt. Er bog ihren Kopf so zurück, sodass sie ihr hübsches Kinn noch höher heben musste.

Bevor sie einen Schrei ausstoßen konnte, presste er die Lippen auf ihren Mund und küsste sie, wie er noch nie eine Frau geküsst hatte. Voller Wut, ohne Leidenschaft, nur von dem Wunsch beseelt, zu bestrafen und zu verletzen, nicht zu verführen.

Und trotzdem endete alles mit einer Verführung.

Seiner, nicht ihrer. Denn als seine Zunge in die Tiefen ihres Mundes vordrang, stöhnte sie auf. Dieser Laut berührte ihn mehr, als es jemals das Stöhnen einer anderen Frau vermocht hatte. Auf einmal sehnte er sich danach, sie zu beschützen und nicht zu bestrafen. Sie zu halten und nicht zu verletzen.

Es war ihm nicht länger möglich, sie so brutal zu küssen. Stattdessen begann er, mit seiner Zunge ihre zärtlich zu umschmeicheln, und streichelte sanft ihren festen, kleinen Po. Befriedigt registrierte er, dass sie sich entspannte und sich an ihn schmiegte. Und dann stöhnte sie erneut. Diesmal jedoch signalisierte sie damit, dass sie sich vollständig seiner männlichen Überlegenheit unterwarf. In Luke erwachte ein berauschendes Gefühl sexueller Macht. Er konnte es kaum erwarten, sie nackt und bebend unter sich zu spüren.

„Dein Hotel“, flüsterte er heiser „Ist es weit weg?“

Sie schüttelte stumm den Kopf und streifte dabei seine Lippen mit ihren.

Luke erschauerte. Er war kurz davor, vollends die Kontrolle über sich zu verlieren und etwas zu tun, was er seit seinem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr getan hatte. Schwer atmend, löste er sich von ihrem erhitzten Körper und schaute in ihre verhangenen grünen Augen. Sie wirkte … erstaunt? Erstaunt und ihm total ausgeliefert. Dieser Gedanke war aufputschend und faszinierend – die Verwirklichung eines männlichen Traums. Unwiderstehlich.

„Dann bring mich doch dorthin“, verlangte er. „Und zwar schnell.“

Der stechende Schmerz in seinem Zahn brachte Luke abrupt in die Realität zurück – zumindest körperlich, denn seine Gedanken beschäftigten sich noch immer mit den Erinnerungen.

Hatte sie ihn mit ihrer vermeintlichen Verletzlichkeit, mit ihrer scheinbar uneingeschränkten Hingabe getäuscht? War sie so teuflisch raffiniert, so erfahren im Verführen Fremder gewesen, dass es ihr gelungen war, ihm den Eindruck zu vermitteln, er sei Herr des Geschehens gewesen? Hatte sie in Wirklichkeit alle Fäden in der Hand gehabt?

Obwohl alles dagegen sprach, klammerte er sich verzweifelt an die Möglichkeit, dass sie damals nicht verheiratet oder es wenigstens ihr erster Seitensprung gewesen war.

Nichtsdestotrotz hatte sie die Vernissage mit dem festen Vorsatz besucht, sich einen Mann für ein flüchtiges Abenteuer zu suchen. Sie hatte sich mit allen Mitteln herausgeputzt, die erforderlich waren, um einen Narren wie ihn zum willigen Opfer ihrer Verführungskünste zu machen.

Rückblickend wurde ihm klar, dass sie sich große Mühe gegeben hatte, ihre wahre Identität zu verschleiern und das Risiko, erwischt zu werden, gering zu halten. Sie hatte eindeutig eine wilde Affäre gesucht und gleichzeitig sorgsam darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen. Es war Luke nach wie vor ein Rätsel, weshalb sie sich dafür mitten in der Nacht in eine solche Gefahr begeben hatte.

Sie kann es unmöglich freiwillig getan haben, überlegte er, es sei denn, sie wollte irgendeine verrückte Phantasie ausleben. Er zog es allerdings vor, sich auszumalen, dass sie sich einfach hatte mitreißen lassen – dass er sie mitgerissen hatte.

Das war einer der Gründe, weshalb sie ihn noch immer beschäftigte. Er war nämlich noch nie so berauscht gewesen. Weder vorher noch nachher …

„Ich kenne nicht einmal deinen Namen“, sagte Luke, als er endlich die Tür des Hotelzimmers hinter ihnen schloss.

Sie hatten den kurzen Weg schweigend zurückgelegt und das Foyer des kleinen, aber erstaunlich eleganten Hotels durchquert. Die exklusive Einrichtung passte überhaupt nicht in das Bild eines billigen Rendezvous.

Die Anwesenheit eines anderen Gastes hatte ein Gespräch oder gar eine Berührung auf der kurzen Fahrt mit dem Lift in den dritten Stock verhindert. Luke hatte ohnehin kaum etwas von seiner Umgebung wahrgenommen, als er ihr ungeduldig den Flur entlang gefolgt war. Lediglich der rot gemusterte Teppichboden und die Schwarzweißdrucke von Segelschiffen an den Wänden waren ihm aufgefallen.

„Meinen Namen?“, wiederholte sie verwundert.

Ihm gefielen ihre Verwirrung und die Art, wie sie aufseufzte, als er sie unvermittelt an sich zog. „Egal“, erwiderte er heiser. „Heute Nacht brauchen wir keine Namen. Wir werden sie uns morgen früh verraten.“

Verflixt, ihm gefiel die Frau, in die seine Küsse sie verwandelten, ihm gefielen die kleinen Laute, die sie dabei ausstieß, ihm gefiel es, wie ihre Lippen und ihr Körper weich und nachgiebig wurden. Nie zuvor war ihm eine Frau begegnet, die sich so vorbehaltlos an ihn schmiegte. Die Bereitwilligkeit, mit der sie auf seine Berührungen reagierte, vermittelte ihm das überwältigende Gefühl, alles mit ihr tun zu können, was er wollte.

Er wollte ihr die Kleidung vom Körper streifen. Es war wenig genug.

Er wollte sie zu dem überdimensionalen Bett hinübertragen und sie auf die weichen Kissen legen.

Und er wollte neben ihr sitzen, sie in ihrer Nacktheit betrachten und sie berühren. Überall … Immer wieder …

Sie hinderte ihn nicht daran, seine Träume in die Realität umzusetzen. Stattdessen schaute sie ihn mit großen grünen Augen an, die Lippen leicht geöffnet. Ihre Freude war ebenso unverkennbar wie ihr sonderbares Erstaunen. Hatte sie nicht damit gerechnet, es so sehr zu genießen? Oder war sie es nur nicht gewöhnt, dass ein Mann zuerst an ihr Vergnügen dachte?

Luke spürte, dass sie kurz vor dem Höhepunkt war. Ihre Schenkel zitterten leicht, und als sie begann, sich unruhig hin und her zu bewegen, zog er sich abrupt von ihr zurück. Sie stöhnte enttäuscht auf.

Erst als er aufstand, merkte er, dass sein Atem mindestens genauso schnell und heftig ging wie ihrer. So erregt war er seit Jahren nicht mehr gewesen – oder so von einer Frau fasziniert. Ohne dieses aufreizende Kleid war sie eine völlig andere Persönlichkeit. An ihr war absolut nichts Billiges mehr. Sie war eine makellose, klassische Schönheit. Und sie war sogar eine echte Blondine!

Er konnte es kaum erwarten, sich in diesen weichen goldenen Locken zu verlieren, von ihren langen Beinen umschlungen zu werden und zu sehen, wie ihre vollen Lippen sich im Moment höchster Verzückung zu einem O formten.

Sonderbarerweise verschwendete er nicht einen einzigen Gedanken an seine eigene Befriedigung – eine für ihn völlig neue Erfahrung. Bislang war ihm beim Zusammensein mit einer Frau nur wichtig gewesen, wie viel Spaß er dabei haben würde.

Diesmal war es jedoch anders. Diesmal wollte er mehr geben als nehmen.

Luke erkannte sich selbst kaum wieder, seit er diesen Raum betreten hatte. Er fühlte sich allmächtig, und doch wurde diese Empfindung von einer unerklärlichen Zärtlichkeit beinahe verdrängt. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er fast glauben können, dass er sich verliebt hatte. Auf jeden Fall war es ein Erlebnis, das seine bisherigen Erfahrungen weit in den Schatten stellte.

Er konnte sich längst nicht mehr an das erste Mal erinnern, als er mit Tracy geschlafen hatte, obwohl er sich damals eingebildet hatte, sie zu lieben. Bereits jetzt ahnte er, dass er die heutige Nacht niemals vergessen würde, egal, wie lange er lebte.

„Du hast so etwas noch nie getan, oder?“ Er begann sich auszuziehen und hängte sein Jackett über den Bettpfosten.

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. „Wie kommst du darauf?“ Ihre Stimme klang rau, als hätte das Verlangen ihren Mund und ihre Kehle ausgedörrt.

Aber nicht den Rest. Der Rest von ihr war keineswegs trocken … Bei dem bloßen Gedanken daran geriet Lukes Blut erneut in Wallung.

„Du wirkst nervös.“

„Ich bin keine Jungfrau mehr“, versicherte sie.

„Das habe ich auch nicht behauptet.“ Aber ihr Blick hatte etwas ungemein Unschuldiges, so wie sie seinen halb nackten Körper anschaute.

Luke fand die Mischung aus Faszination und Furcht, die sie umgab, überaus erregend. Er wusste, dass er eine gute Figur hatte, wusste, dass bei seinem Anblick schon manche Frau ins Träumen geraten war. Deshalb zögerte er auch nicht, sich seiner Unterwäsche zu entledigen. Es schmeichelte ihm ungemein, dass die geheimnisvolle Blondine trocken schluckte.

„Wo bewahrst du die Kondome auf?“, erkundigte er sich, nachdem er sich neben ihr ausgestreckt hatte.

Sie erschauerte und schloss die Augen.

„He“, drängte er sie leise. „Die Kondome.“

Die langen Wimpern flatterten, bevor sie die Lider aufschlug. Grenzenloser Schmerz spiegelte sich in ihren grünen Augen wider. „Oh Himmel.“ Sie schüttelte den Kopf. „Daran habe ich überhaupt nicht gedacht …“

Ihre Verlegenheit rührte ihn, obwohl er sich gleichzeitig ein wenig über ihre Naivität ärgerte. Er würde darauf achten müssen, dass sie nie wieder so unachtsam war. Denn nach dieser Nacht würde es keine anderen Liebhaber mehr für sie geben. Dafür wollte er sorgen. Am Morgen würde er diesem „Hallo, Fremder“-Unsinn für immer ein Ende machen.

„Ist schon gut“, versicherte er tröstend. „Ich habe eines in meiner Brieftasche.“

Verdammt. Eines. Nur eines. Sie würden mehr als eines brauchen, bevor die Nacht vorüber war. Er musste sich entscheiden, ob er sich gleich wieder anzog und einen Drugstore suchte, der vierundzwanzig Stunden geöffnet hatte, oder ob er diese Mühe auf später verschob.

Später, sagte sein brennendes Verlangen. Viel später.

Er konnte keine Minute länger warten. Nicht eine Sekunde.

„Nein!“, rief sie, als er Anstalten machte, aufzustehen.

Verwundert sah er sie an. „Nein … was?“

„Nein, ich kann es nicht“, erwiderte sie. „Ich kann nicht …“

Luke war nicht bereit, zu diesem Zeitpunkt einen Stimmungswechsel zu akzeptieren. Der bloße Gedanke daran war schon absurd.

„Ist schon gut.“ Er umfasste ihr Gesicht und schaute tief in ihre angsterfüllten grünen Augen. „Ich verstehe. Dir ist erst jetzt klar geworden, wie dumm du dich heute Abend benommen hast. Aber ich bin ein guter Junge. Ehrlich. Ich werde dir nicht wehtun, meine Schöne, sondern dich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen.“ Sanft drückte er sie zurück in die Kissen und küsste sie.

Er küsste sie so lange, bis sie sich an ihn klammerte und vor Lust erbebte. Doch selbst jetzt wagte er es nicht, sie allein zu lassen. Stattdessen kostete er seinen Triumph aus, indem er sie unablässig streichelte und jeden Zentimeter ihrer Haut küsste, bis sie fast die Kontrolle über sich verlor. Dann erst zog er sich von ihr zurück.

Als er zum Bett zurückkehrte, streckte sie die Arme nach ihm aus und schmiegte sich sehnsüchtig an ihn. Ohne ihm eine Fortsetzung des Vorspiels zu gestatten, drängte sie sich ihm entgegen. Zu diesem Zeitpunkt war Luke ohnehin aufs Äußerste erregt, und als sie sich ihm schließlich öffnete und die Beine um ihn schlang, war es endgültig um ihn geschehen.

Er drang tief in sie ein und erschauerte vor Wonne, während ihre Wärme ihn umschloss. Bereits nach wenigen Bewegungen spürte er, wie sie sich anspannte. Das war zu viel für ihn. Außerstande, sich noch länger zurückzuhalten, gab er sich ganz seiner Begierde hin. Wie auf einer sich immer schneller drehenden Spirale strebten sie in ungeahnter Harmonie dem Gipfel ihrer Lust entgegen. Der ekstatische Höhepunkt schien kein Ende nehmen zu wollen.

Doch irgendwann war es vorbei, und Luke sank erschöpft auf sie. Sogar die Minuten danach bereiteten ihm unbeschreibliche Freude. Zwischen ihnen hatte sich eine stumme Vertrautheit entwickelt. Zufrieden schloss sie die Arme um ihn und hielt ihn fest an sich gepresst. Er liebkoste ihr Ohrläppchen. Ihr leises Seufzen machte ihn glücklich. Luke fühlte sich geliebt und voller Liebe. Ein köstlicher Friede durchflutete ihn.

Er wollte sich nicht von ihr lösen, doch letztlich musste er es tun. So schnell wie möglich kehrte er aus dem Badezimmer zurück. Allmählich begriff er, was man unter Vereinigung und Einssein verstand. Ohne sie war er nur noch ein halber Mann, so sehr war er bereits von den Empfindungen abhängig, die sie in ihm weckte.

Sie lag auf der Seite und beobachtete ihn, als er ins Zimmer zurückkam. Diese Position betonte den sanften Schwung ihrer Hüften und die schmale Taille. Ihre Brüste waren fest und wohl geformt, die rosigen Knospen steil aufgerichtet. Unter halb gesenkten Lidern musterte sie ihn.

Sein Herz klopfte unwillkürlich schneller, als ihr Blick über seinen Nabel abwärts glitt. Sofort machte seine Erregung sich wieder bemerkbar. Flüchtig schoss es ihm durch den Kopf, dass er sich am besten sofort wieder anziehen und auf die Suche nach einem Drugstore machen sollte, aber dann lächelte sie ihn verführerisch an und streckte die Hand nach ihm aus. Wie in Trance sank er neben sie aufs Bett und ließ sich von ihr streicheln. Innerhalb kürzester Zeit war er erneut bereit für sie.

Durch diesen unvermuteten Rollentausch völlig überrumpelt, lag Luke regungslos da und genoss ihre Zärtlichkeiten. In diesem Moment wirkte sie nicht im Mindesten mehr unschuldig oder jungfräulich. Jede ihrer Berührungen zielte darauf ab, seine Lust ins Unermessliche zu steigern, bis es für ihn kein Zurück mehr gab.

Und dennoch verweigerte sie ihm die ersehnte Erfüllung. Ihr warmer Mund umhüllte ihn, ihre Zunge verursachte ihm die süßesten Qualen, und ihre geschickten Finger schienen genau zu wissen, wann sie die Liebkosungen unterbrechen mussten.

Er schloss die Augen, um sich von der wachsenden Spannung abzulenken, doch das war ein verhängnisvoller Fehler. Sie nutzte die wenigen Sekunden, in denen er von Dunkelheit umgeben war, und glitt leicht wie eine Feder über ihn, um ihn erneut in sich aufzunehmen. Erschrocken schlug er die Augen auf, aber sie saß bereits auf ihm. Ihre grünen Augen funkelten.

„Nein …“, protestierte er schwach. Und leise.

„Ja“, erwiderte sie. „Ja …“

Luke griff nach ihren Hüften. Statt sie jedoch von sich zu stoßen, packte er sie fester und drängte sie zu einem heftigeren, wilderen Rhythmus. Er passte sich ihren Bewegungen an. Es war einfach unbeschreiblich.

Gütiger Himmel, sie war so warm! So warm. Er spürte, wie sein Blut sich erhitzte und wie glühende Lava durch seine Adern strömte. Der Vulkan seines Verlangens ließ sich nicht länger zügeln. Oder gar kontrollieren. Mit jedem Schlag seines wie wild pochenden Herzens wurde seine Lust größer, und endlich brach sie sich mit aller Macht Bahn. Im gleichen Moment, als Luke keuchend aufstöhnte, sank sie mit einem leisen Aufschrei der Erlösung auf ihn herab.

Als die Wogen der Erregung abgeklungen waren, küsste er sie voller Leidenschaft, um nun auch die Hitze ihres Mundes zu kosten.

Verwundert bemerkte er, dass Tränen über ihre Wangen rannen. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Hilflos presste er sie an sich, streichelte beruhigend ihren Rücken und flüsterte ihr zu, was ihm gerade in den Sinn kam.

„Nicht weinen, Liebling. Bitte, nicht weinen. Das ertrage ich nicht. Scht, Liebes. Es besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen. Absolut nicht. Wie ich vorhin schon sagte, ich bin ein guter Junge. Wir sind beide gut. Schsch, meine Schöne. Sei ein braves Mädchen und schlaf jetzt. Ja, so ist es gut. Schlaf ein bisschen.“

Sie schliefen beide ein. Irgendwann. Luke brauchte einige Zeit, um sich über das klar zu werden, was gerade geschehen war. Er hoffte, dass er recht hatte. Hoffte, dass sie ein gutes Mädchen war. Falls nicht, dann hatte er soeben den größten Fehler seines Lebens begangen. Er hatte mit einer Fremden geschlafen. Ohne Schutz. Und darüber hinaus – um allem noch die Krone aufzusetzen – hatte er sich in sie verliebt.

„Fertig, Mr. St. Clair.“ Der Behandlungsstuhl wurde wieder aufgerichtet, und die Arzthelferin entfernte das Papiertuch von Lukes Brust.

Luke schlug die Augen auf und schaute verwirrt in ihr lächelndes Gesicht. Sein Blick fiel auf die Wanduhr. Elf Uhr fünfzehn. Er war über eine halbe Stunde beim Zahnarzt gewesen und hatte nicht das Geringste gespürt! Es sei denn, man zählte das mit, was sich in seiner Phantasie abgespielt hatte. Und in seinem Herzen.

Obwohl er innerlich vor Wut schäumte, gelang es ihm, sich kühl und gelassen von Dr. Evans und seiner Assistentin zu verabschieden. Dann ging er nach vorn zur Empfangsdame und bezahlte die Rechnung. Bar.

„Ich hoffe, Sie genießen den Aufenthalt in Australien, Mr. St. Clair“, sagte sie und erinnerte ihn daran, dass er noch immer wie ein Amerikaner klang.

„Ganz bestimmt“, erwiderte er kühl.

„Genießen“ war nicht unbedingt der richtige Ausdruck, aber er war sicher, dass dieser Urlaub ihm unvergesslich sein würde. Immerhin hatte seine blonde Verführerin jetzt einen Namen. Einen Namen und eine Vergangenheit. Luke beschloss, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um die Frau wiederzusehen, die ihn all die Monate in seinen Träumen verfolgt hatte.

Und dann?

Gott allein wusste, was dann passieren würde. Luke wusste es nämlich nicht.

„Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich eines dieser alten Magazine mitnehme?“, fragte er die Empfangsdame. „Ich habe das Bild einer alten Freundin darin entdeckt.“

„Sie können gern alle haben.“ Und mich dazu, wenn du willst, signalisierte ihm ihr Blick.

Treuloses Flittchen, dachte er, während er zum Tisch ging. Vermutlich waren alle schönen Frauen dieser Welt treulose Flittchen. Ohne das Mädchen eines weiteren Blickes zu würdigen, schnappte er sich die Zeitschrift, klemmte sie sich unter den Arm und verließ wütend die Praxis.

3. KAPITEL

Seine Mutter erwartete ihn bereits im Café. Vor ihr standen eine Tasse Cappuccino und ein Teller mit Doughnuts. Sie hatte die Plastiktüte mit ihren Einkäufen zu ihren Füßen abgestellt und las Zeitung. Als sie Luke bemerkte, schlug sie das Magazin zu und schaute ihn stirnrunzelnd an.

„Was ist jetzt wieder mit dir los?“, fragte sie, während er Platz nahm.

Luke beschloss, ihr fünf Minuten zu geben, dann würde er sich ein Taxi rufen und zum nahe gelegenen Flughafen fahren, um sich ein Auto zu mieten. Er brauchte einen eigenen Wagen. Und die Privatsphäre, die damit verbunden war.

„Mit mir ist alles in Ordnung“, erklärte er. „Mir geht es gut. Der Zahn ist gut. Das Wetter ist gut. Das Leben ist gut.“

„Und warum hast du dann so miserable Laune?“

„Verdammt, was willst du von mir? Hast du vielleicht eine besondere Antenne, die dir auf zwanzig Schritt Entfernung verrät, in welcher Stimmung ich bin? Ich bin einfach hereingekommen und habe mich hingesetzt. Woher willst du also wissen, wie ich gelaunt bin? Ich habe nicht einmal ein Wort gesagt, aus dem du dein Urteil ableiten könntest.“

„Du hast dich bewegt, als wäre dir ein Geist begegnet“, lautete ihre überaus zutreffende Antwort.

Luke konnte nicht anders. Er musste lachen. Es gab einfach nichts, was man vor seiner Mutter verbergen konnte. Das erinnerte ihn an etwas. Er legte das mitgebrachte Magazin unauffällig auf den freien Stuhl neben sich und überlegte fieberhaft, wie er sie ablenken könne.

„Verrate mir eines, Mum: Warst du Dad jemals untreu?“

„Gütiger Himmel, was für eine Frage!“

„Das ist keine Antwort, sondern eine Ausflucht.“

„Ich habe eine Atempause gebraucht, um meine Verwunderung zu überwinden. Wie kommst du denn darauf?“

„Nun, du bist eine gut aussehende Frau. Als Dad dich geheiratet hat, warst du eine hinreißende Schönheit. Hinreißende Frauen werden immer wieder mit Versuchungen konfrontiert, egal, ob sie verheiratet sind oder nicht.“

Grace fragte sich, mit welcher hinreißenden verheirateten Frau ihr Sohn sich wohl eingelassen haben mochte, verzichtete jedoch taktvollerweise darauf, sich danach zu erkundigen. Zumindest fürs Erste.

„Ich kann nicht behaupten, dass es mir an Gelegenheiten gemangelt hätte“, erwiderte sie ehrlich. „Und ich kann auch nicht behaupten, dass ich nicht ein- oder zweimal in Versuchung geraten wäre. Trotzdem ist es mir gelungen, deinem Vater treu zu bleiben. Im großen und ganzen jedenfalls.“

Luke sah sie verblüfft an. „Im Großen und Ganzen?“, wiederholte er ungläubig. „Was meinst du damit – im Großen und Ganzen?“

„Na ja, einmal habe ich einem Mann erlaubt, mich ein paar Sekunden länger zu küssen, als schicklich gewesen wäre.“

„Und das ist alles?“

„Damals hielt ich es für ziemlich verwerflich. Aber er war schrecklich attraktiv und sehr charmant. Es hat mir geschmeichelt, dass er mich umworben hat. Er war Anfang dreißig und ich einundvierzig. Ich kam mir schrecklich alt vor und sehnte mich nach ein wenig Aufmerksamkeit. Er hat sie mir gegeben.“

„Wenn du ihn gelassen hättest, hätte er dir noch viel mehr gegeben“, bemerkte Luke trocken. „Wer war dieser Casanova?“

„Niemand, den du kennst. Er war Däne und verbrachte in jenem Sommer die Ferien in Sydney. Dein Vater hat ihn im Pub kennen gelernt und war dumm genug, ihn eines Abends zum Dinner mitzubringen.“

„Und du hast dich gleich in dieser Nacht von ihm küssen lassen?“ Er konnte sein Erstaunen nicht verhehlen.

Grace errötete schuldbewusst. „Wie ich schon sagte“, flüsterte sie, „er war überaus charmant.“

„Wie ist es passiert? Und wo um alles in der Welt war Dad?“

„Er hat ferngesehen, wie immer. Eric bot an, mir beim Abwasch zu helfen, und dabei drängte er mich irgendwann gegen die Spüle. Zunächst war ich schockiert, doch als er mich dann küsste … Ich gebe zu, es gefiel mir. Natürlich habe ich ihn gestoppt, bevor die Dinge zu weit gediehen waren, aber als er dann fort war, habe ich viel über ihn nachgedacht. Ich wusste, in welchem Hotel er wohnte – er hatte es mir erzählt –, und eines Tages habe ich tatsächlich bei ihm angerufen. Als er sich meldete, geriet ich jedoch in Panik und legte auf.“

„Verstehe …“

„Wirklich, Luke? Das bezweifle ich. Ich habe deinen Vater geliebt, und er war ein guter Liebhaber, als er noch jünger war. Aber die Zeit und die Gewöhnung können im Schlafzimmer tödlich sein. Langeweile machte sich breit, und dein Vater hat immer sehr viel gearbeitet. Meist war er nachts viel zu müde. Unser Sexualleben beschränkte sich auf ein oder zwei schnelle Umarmungen im Monat, und ich war zu dumm, um etwas dagegen zu unternehmen. Daher war ich für einen Mann wie Eric natürlich eine leichte Beute. Er war ein Schürzenjäger der schlimmsten Sorte.“

„Du lügst mich doch nicht an, oder? Du hast dich doch nicht wirklich mit ihm getroffen, Mum.“

„Selbstverständlich nicht. Stattdessen bin ich losgegangen und habe mir ein verführerisches schwarzes Negligé gekauft. Danach habe ich all die Dinge ausprobiert, von denen ich vorher nur in Büchern gelesen habe. Und es hat gewirkt!“

„Mum, ich bin schockiert.“ Luke lächelte sie an. „Du bist ein Teufelsweib.“

Grace errötete noch tiefer, wirkte jedoch sehr selbstzufrieden. Er war in diesem Moment maßlos stolz auf sie. Die Gelegenheit zum Ehebruch war ihr praktisch auf einem silbernen Tablett präsentiert worden, als sein Dad sie sträflich vernachlässigt hatte, und trotzdem hatte am Ende ihre angeborene Ehrlichkeit gesiegt.

Luke presste die Lippen zusammen. Leider waren nicht alle Frauen so stark oder so klug. Manche waren schwache, selbstsüchtige Geschöpfe, die loszogen und sich nahmen, was sie wollten, egal, wem sie damit wehtaten.

Eine Kellnerin erschien am Tisch und erkundigte sich nach Lukes Wünschen. Kopfschüttelnd lehnte er ab, mit der Begründung, sein Mund sei von der Spritze betäubt – was auch stimmte –, aber in Wahrheit hielt er es nicht länger aus, hier herumzusitzen. Er musste los. Spuren suchen. Eine Frau finden.

„Bist du mir sehr böse, wenn ich dich jetzt allein lasse, Mum?“, fragte er, nachdem die Bedienung sich zurückgezogen hatte. „Während ich beim Zahnarzt war, ist mir eingefallen, dass ich Ray versprochen habe, ihn zu besuchen, wenn ich wieder zu Hause bin.“

„Ray? Ray – wer?“

„Ray Holland. Er ist Fotograf.“ Er wohnt und arbeitet hoffentlich noch immer in Sydney, fügte er in Gedanken hinzu.

„Nie von ihm gehört. Du sprichst immer nur von deinem Kollegen Theo – und das nicht gerade anerkennend. Ich weiß noch, wie lange der arme Theo das letzte Mal auf dich einreden musste, damit du zu dieser Fotoausstellung gingst. Und dann hat er am nächsten Morgen angerufen und sich beschwert, dass du schon nach zehn Minuten verschwunden bist.“

„Nun ja, in den vergangenen Jahren sind die Arbeiten vom armen Theo zu Massenware verkommen, die völlig überbewertet wird. Wenn ich an jenem Abend noch länger geblieben wäre, hätte ich ihm womöglich meine Meinung gesagt und ihn beleidigt.“

„Wo warst du eigentlich in dieser Nacht? Nach Hause bist du jedenfalls nicht gekommen.“

„Also wirklich, Mum. Erwartest du ernsthaft, dass ich dir das erzähle? Ich habe dir keine Rechenschaft mehr abgelegt, seit ich achtzehn wurde.“

„Unterschätz dich nicht, Luke. Du warst fünfzehn. Der schwierigste und rebellischste Junge, der je gelebt hat. Wie ich sehe, hast du dich kaum verändert. Du bist noch immer schwierig.“

„Und wie ist es mit ‚rebellisch‘?“

„‚Rebellisch‘ ist wohl kaum der passende Ausdruck für einen zweiunddreißigjährigen Junggesellen. Belassen wir es bei ‚schwierig‘.“

„Ja, das ist auch viel besser so.“ Luke stand auf, bevor seine Mutter einen ihrer berüchtigten moralischen Erpressungsversuche starten konnte. Das sonderbare Funkeln in ihren Augen zeigte, dass ihre weibliche Neugier noch längst nicht befriedigt war.

Frauen können ausgesprochen rücksichtslos sein, wenn sie etwas in Erfahrung bringen wollen, dachte er. Wenn es mit kühler Logik nicht funktionierte, griffen sie notfalls tief in ihre Trickkiste – angefangen von bohrenden Fragen, die einer chinesischen Wassertropfenfolter in nichts nachstanden, über schmollendes Schweigen bis hin zu Tränenausbrüchen.

Luke wurde mit jeder dieser Methoden fertig, außer mit Tränen. Sie warfen ihn regelmäßig aus dem Rennen.

„Ich muss jetzt gehen, Mum. Ich habe heute noch viel zu erledigen. Und ehe du fragst: Nein, ich möchte nicht, dass du mich fährst. Ich werde mir einen Wagen mieten.“

„Bist du zum Dinner wieder zu Hause?“, erkundigte Grace sich gekränkt.

„Was kochst du denn?“

Sie schnaufte verächtlich. „Ich habe nicht die Absicht, dir das zu verraten, wenn es das Einzige ist, was dich heimlockt.“

„Dann überraschst du mich eben. Wir sehen uns gegen sieben.“ Mit einem zärtlichen Kuss auf die Wange lenkte er sie ab, während er das Frauenmagazin vom Stuhl nahm.

Grace beobachtete, wie ihr Sohn das Café verließ. Dabei entgingen ihr keineswegs die sehnsüchtigen Blicke, die ihm die weiblichen Gäste nachwarfen. Sie seufzte resigniert. Mit dem Jungen wird es noch schlimm enden, dachte sie und betrachtete die Zeitschrift, die er in seiner rechten Hand hielt.

Ich wette, es hat etwas mit einer Frau zu tun. Mit einer Frau, die in dem Magazin abgebildet ist, das er so verzweifelt zu verbergen versucht. Zweifellos einer verheirateten Frau, die er bei seinem letzten Heimaturlaub kennen gelernt hat und die er jetzt heimlich wieder treffen will.

Oh Luke … Luke …

Unglücklich schüttelte Grace den Kopf. Wann würde er endlich begreifen, dass es keine Zukunft mit einer verheirateten Frau gab?

Ungeduldig wanderte Luke im Wohnzimmer von Theos Apartment auf und ab und wartete darauf, dass sein Freund endlich aus der Dunkelkammer kam.

Er konnte sein Glück immer noch nicht fassen – oder die Leichtigkeit, mit der er sein Ziel erreicht hatte. Eine Stunde nach seinem Abschied von Grace hatte er die Zeitschriftenredaktion mit der Adresse von Ray Holland verlassen. Eine halbe Stunde später hatte er das Studio des Kollegen in Randwick betreten, und erneut war das Glück auf seiner Seite gewesen. Er hatte den freiberuflichen Fotografen gerade noch erwischt, als dieser sich auf den Weg zu einem Termin machen wollte. Luke war sofort zur Sache gekommen.

Mr. Holland, ein modisch gekleideter Mann von Anfang vierzig, erinnerte sich noch genau an die Cleary-Hochzeit. Er hatte nämlich vorher schon mehrere Male mit der Braut zusammengearbeitet. Ihre Spezialität waren Bademoden und Wäsche gewesen – sowohl als Fotomodel als auch als Mannequin.

Gerüchten zufolge hatte „Rachel-Schätzchen“ – Luke sträubten sich die Haare, als Holland diesen Namen benutzte – kürzlich wieder angefangen zu arbeiten. Wie es hieß, war ihr intellektueller Ehemann kürzlich verstorben, und sie musste wegen finanzieller Schwierigkeiten wieder jobben.

Luke nahm diese letzte Information mit gemischten Gefühlen auf. Es ließ sich nicht leugnen, dass er eine gewisse Erleichterung bei der Nachricht empfand, das Objekt seiner Begierde sei inzwischen Witwe. Da ihr Mann jedoch erst kürzlich verstorben war, bedeutete das, dass sie in jener Nacht vor achtzehn Monaten noch rechtmäßig verheiratet gewesen war. Sogleich erwachte die Bitterkeit in ihm aufs Neue.

Treuloses Flittchen, schalt er sie im Stillen, während er die Anschrift der Modelagentur notierte, für die sie arbeitete.

Auf dem Weg zur Agentur kam ihm der Verdacht, dass ihr wesentlich älterer Ehemann damals vielleicht schon leidend gewesen war. Unter diesen Umständen wäre ihr Verhalten entschuldbar gewesen, wenn sie mit Stil und Diskretion eine Affäre gesucht hätte. Doch weder ihre Kleidung in jener Nacht noch die Art und Weise, wie sie ihn provoziert hatte, deuteten auf Stil und Diskretion hin. Ganz zu schweigen von ihrer Flucht, während er schlief.

Das war etwas, was er ihr nie verzeihen würde. Sie hatte sich stillschweigend davongeschlichen und ihn allein zurückgelassen. Er hatte sich wie ein Idiot gefühlt und die folgenden Monate Höllenqualen ausgestanden, bis ein zweiter Bluttest ergeben hatte, dass er seinen sträflichen Leichtsinn, mit einer völlig Fremden ins Bett zu gehen, nicht mit dem Leben bezahlen musste.

Luke hatte sich stets danach gesehnt, ihr noch einmal gegenüberzustehen und herauszufinden, was an ihr ihn so fasziniert hatte. Und um sie nach dem Warum zu fragen. Warum hatte sie ihn ausgesucht? Warum war sie ein solches Risiko eingegangen? Warum, warum, warum?

Und nun … Nun würde er endlich eine Gelegenheit dazu haben. In zwei Tagen. Verdammt, er konnte es kaum erwarten!

„Das ist ein Lächeln, Junge. Es jagt mir kalte Schauder über den Rücken. Was hast du vor?“

Luke hatte gar nicht bemerkt, dass Theo die Dunkelkammer verlassen hatte und ihn bereits seit einiger Zeit beobachtete. Vor vielen Jahren einmal war Theo Lukes Arbeitgeber gewesen. Inzwischen war er sein einziger enger Freund, den er noch in der australischen Fotobranche hatte. Theo war Ende dreißig, Junggeselle und wechselte seine Freundinnen so häufig wie seine Kameras oder seinen künstlerischen Stil.

Luke gefiel es nicht, wie Theo geradezu sklavisch jedem neuen Trend folgte. Er glaubte nicht daran, dass man auf diese Weise Erfolg haben oder persönliche Befriedigung finden konnte. Trotzdem schätzte er seinen Freund als guten Kameraden. Allerdings war Theo gelegentlich genauso scharfsichtig wie Grace, das hatte Luke leider vergessen. Seine Gedanken waren momentan mit anderen Dingen beschäftigt.

Luke blieb stehen. „Ich überlege gerade, wie du wohl reagieren würdest, wenn ich mir zwei von deinen Kameras leihen möchte.“

Theo sah ihn misstrauisch an. „Du möchtest meine Kameras leihen?“, fragte er skeptisch. „Das ist ja ganz was Neues.“

„Stimmt. In letzter Zeit langweilen mich Porträtaufnahmen, besonders in Schwarzweiß. Ich würde gern einmal etwas anderes ausprobieren.“

„Zum Beispiel?“ Theo durchquerte das Wohnzimmer in Richtung Küche. „Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee?“

Luke nickte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seit dem Frühstück nichts gegessen hatte. Und dabei war es bereits nach drei!

Ein Beweis mehr für die verheerende Wirkung, die diese Hexe auf mich ausübt, dachte er düster. Sie störte seinen Seelenfrieden, wie es noch keiner anderen Frau vor ihr gelungen war. Nach der Trennung von Tracy hatte er sich ein paar Wochen deprimiert und einsam gefühlt. Rachel nicht finden zu können, nachdem er nur eine kurze Nacht mit ihr verbracht hatte, hatte ihn monatelang in den Grundfesten erschüttert und ein weiteres Jahr gequält. Ihretwegen hatte er sich einen Lebensstil zugelegt, den er tief in seinem Inneren verabscheute.

Und trotzdem konnte er sie nicht vergessen.

Das Zusammensein mit anderen Frauen befreite ihn nicht von den Erinnerungen an jene Nacht. Im Gegenteil, es hielt sie wach und zwang ihn, Vergleiche anzustellen. Aber keine andere Frau konnte sich mit ihr messen – weder mit den physischen Empfindungen, die diese grünäugige Blondine in ihm geweckt hatte, noch mit der gefühlsmäßigen Reaktion, die sie in ihm hervorgerufen hatte, als sie allein im Hotel gewesen waren …

„Einen Penny für deine Gedanken.“ Theo stellte einen dampfenden Kaffeebecher auf den Küchentresen.

Wie in Trance setzte Luke sich auf einen der Barhocker. Er blinzelte ein paar Mal, bis er sich so weit unter Kontrolle hatte, dass er ruhig antworten konnte. „Sie sind viel mehr wert“, versicherte er und dachte an all die Jobs, die er in den letzten anderthalb Jahren abgelehnt hatte. Wenn er nicht zuvor ein Vermögen verdient hätte, wäre er inzwischen mit Sicherheit ruiniert gewesen.

„Du sprichst in Rätseln, Mann. Willst du deinem alten Freund nicht erzählen, was dich beschäftigt?“

„Nein, eigentlich nicht.“

Theo nickte verständnisvoll. „Auch gut.“

Luke war ihm für seine Zurückhaltung dankbar. Vielleicht würde er ihm eines Tages von Rachel erzählen, das hing ganz davon ab, was am Mittwoch passierte. Andererseits … Vielleicht auch nicht.

„Welche Kameras willst du dir denn leihen?“, fragte Theo.

Luke zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Ich gebe mich völlig in deine erfahrenen Hände.“

Theo grinste. „Mit Schmeicheleien erreichst du wohl alles, was? Zunächst das Wichtigste: Was willst du überhaupt fotografieren?“

„Jede Menge Strände und Bikinis.“

Theo zog verwundert die Brauen hoch. „Sprechen wir über künstlerische Aufnahmen oder Werbung für Australien?“

„Das kommt ganz darauf an“, erwiderte Luke geheimnisvoll.

„Aha. Ich glaube, ich weiß, was hinter diesem plötzlichen Stimmungsumschwung steckt. Und ich habe immer gedacht, du wärst der Einzige, der sich nicht einfangen lässt. Verrätst du mir ihren Namen?“

Luke gelangte zu dem Schluss, dass er nichts zu verlieren hatte. Wer weiß? Theo machte zwar kaum noch Modefotos, aber vielleicht kannte er sie ja. „Rachel Manning.“

Die Agentur hatte ihm bestätigt, dass sie weiterhin unter ihrem Mädchennamen arbeitete. Und sie hatten ihm versichert, dass sie überwiegend Bademoden vorführe und für diese Woche keine Termine habe.

Lukes Magen hatte sich vor Nervosität zusammengekrampft, als die Managerin sie auf der Stelle angerufen hatte, um sie für Aufnahmen am Mittwoch und Donnerstag zu buchen. Als Kulisse hatte er die Strände nahe Terrigal an der Central Coast ausgewählt und eine Übernachtung im Holiday Inn eingeplant.

Er hatte gewusst, dass sie nicht ablehnen würde – nicht wenn sie wirklich auf das Geld angewiesen war. Sicherheitshalber hatte er ein Spitzenhonorar geboten und gelassen mit angehört, wie die Angestellte der Agentur ihr berichtet hatte, der Name des Fotografen sei Luke St. Clair, ein Australier, der jedoch überwiegend in Übersee arbeite.

„Der Name sagt mir überhaupt nichts“, meinte Theo. „Allerdings habe ich ein lausiges Namengedächtnis.“

„Ist ja auch egal.“ Luke ärgerte sich darüber, dass sein Herzschlag sich bei der bloßen Erwähnung ihres Namens beschleunigte. Er griff nach dem Kaffeebecher und trank das inzwischen kalte Gebräu.

Theo warf seinem Freund einen frustrierten Blick zu. „Und du willst mir nichts über sie erzählen.“

„Nicht zu diesem Zeitpunkt.“

„Werde ich wenigstens hinterher all die schmutzigen Details erfahren?“

„Zum Teufel, hast du denn kein eigenes Sexualleben?“

„Schon seit über einer Woche nicht mehr.“

Luke lachte über Theos betrübte Miene. „Das ist ein echter Notstand.“

„Für mich auf jeden Fall.“

„Vielleicht solltest du endlich solide werden, Theo. Such dir ein nettes Mädchen und heirate.“

„Ein furchtbarer Gedanke.“

Als Luke nichts auf diese typische Junggesellenantwort erwiderte, schaute Theo ihn an. Eindringlich und prüfend.

„Du denkst doch nicht etwa daran, zu heiraten, oder?“, erkundigte er sich beinahe anklagend. „Verdammt, Luke, hast du dich vielleicht verliebt?“

Luke wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Beide Fragen verwirrten ihn. Vom Verstand her verwarf er beide – die erste als unmöglich, die zweite als höchst unwahrscheinlich. Und trotzdem klopfte sein Herz bei jeder schneller.

Sei kein Narr, sagte er sich. Die Wahrscheinlichkeit ist überwältigend, dass sie durch und durch verdorben ist. Verdorben und verrückt. Und du wirst weder dein Herz noch dein Leben an eine solche Frau verschwenden!

„Nein“, erklärte er energisch. „Ich werde nicht heiraten. Und ich habe mich nicht verliebt.“ Er war lediglich Hals über Kopf der Lust verfallen. Einer Lust, die keine Chance gehabt hatte, sich selbst zu verzehren. Eine Lust, die noch immer in ihm glomm und nur darauf wartete, aufs Neue entfacht zu werden.

Nun, er würde die Frau, die dafür verantwortlich war, am Mittwoch wiedersehen, und Luke war wild entschlossen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, nicht nur seine Neugier über sie zu befriedigen, sondern auch alles andere, was sie in den vergangenen achtzehn Monaten in ihm erregt hatte.

4. KAPITEL

Der Mittwoch hätte gar nicht besser beginnen können. Zumindest wettermäßig. Es war zwar ein wenig frisch – schließlich war es erst Anfang September –, aber klar und versprach, ein warmer Frühlingstag zu werden. Gegen sechs Uhr stieg die Sonne am Horizont über dem Ozean auf, vertrieb die Morgennebel und tauchte die Pinien am Strand sowie Lukes Hotel in goldenes Licht.

Das war vor fast einer Stunde gewesen. Luke hatte die Zeit genutzt, um zu duschen, sich zu rasieren und anzuziehen, bevor er sich dem Frühstück widmete, das ihm der Zimmerservice serviert hatte. Bei jedem Bissen hatte er an sie gedacht. Sie war bereits auf dem Weg zu ihm, ohne zu ahnen, wer sich hinter dem Namen Luke St. Clair verbarg.

Autor

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Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr.

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