Julia Exklusiv Band 379

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SKANDAL AUF SARDINIEN von LYNNE GRAHAM

Auf den ersten Blick verliebt sich der mächtige Unternehmer Angelo Riccardi in die blonde Unbekannte. Er brennt vor Verlangen, sie zu erobern – aber wie? Da erfährt er, dass sie die Tochter seines Erzfeindes ist. Er macht Gwenna einen schockierenden Vorschlag und fliegt mit ihr nach Sardinien ...

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  • Erscheinungstag 17.08.2024
  • Bandnummer 379
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525824
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Charlotte Phillips, Janette Kenny

JULIA EXKLUSIV BAND 379

1. KAPITEL

Angelo Riccardi stieg aus der gepanzerten Limousine. Die erbarmungslose Hitze der Sonne Venezuelas umfing ihn. Eine dunkle Sonnenbrille schützte seine Augen vor dem grellen Licht. Er wusste nicht genau, was ihn erwartete, doch er verspürte keine Frucht.

Seit seiner Kindheit hatte er keine Angst mehr empfunden. Hass, Wut und Bitterkeit waren ihm nicht fremd, aber das demütigende Gefühl von Furcht hatte er vor langer Zeit abgestreift. Als er achtzehn Jahre alt war, hatte er die Wahrheit über seine Familie erfahren. An diesem Tag waren seine Ideale gestorben. Mit jedem folgenden Jahr war er härter, kälter und rücksichtsloser geworden. Dank seines brillanten Intellekts und seiner scharfen Instinkte hatte er ein riesiges Geschäftsimperium aufgebaut. Es erfüllte ihn mit Stolz, Milliardär geworden zu sein, ohne gegen das Gesetz verstoßen zu haben.

Auf dem gesamten Gelände des einsam gelegenen Ranchgebäudes standen bewaffnete Männer Wache. Ohne weiter auf sie zu achten, machte Angelo sich auf den Weg in das angenehm klimatisierte Innere des großzügigen Hauses. Ein älterer Mann mit eingefallenen Wangen empfing ihn. Er musterte Angelo mit respektvoller, an Ehrfurcht grenzender Neugier.

„Mr Riccardi, es ist mir eine Ehre, Sie zu treffen“, sagte der Mann auf Italienisch. „Don Carmelo erwartet Sie.“

„Wie geht es ihm?“

Lenzi verzog das Gesicht. „Im Moment ist sein Zustand stabil. Aber es ist unwahrscheinlich, dass ihm mehr als ein paar Monate bleiben.“

Angelo nickte. Er hatte lange darüber nachgedacht, ob er diesem Besuch zustimmen sollte. Der schlechte Gesundheitszustand des Dons hatte schließlich den Ausschlag gegeben. Carmelo Zanetti, Kopf einer der berüchtigtsten Mafiafamilien der Welt, war ein Fremder für ihn. Und doch floss in ihren Adern dasselbe Blut.

Der alte Mann lag in einem Krankenbett, umgeben von medizinischen Geräten. Mit einem tiefen Atemzug richtete er seinen Blick auf Angelo und seufzte. „Du siehst deiner Mutter überhaupt nicht ähnlich. Fiorella, meine geliebte Tochter, war so zierlich.“

Der Gedanke an seine Mutter ließ Angelos Gesichtszüge fast unmerklich weicher werden. „Si …“

„Dein Aussehen hast du von deinem Vater geerbt. Deine Eltern waren wie Romeo und Julia“, fuhr Don Carmelo sarkastisch fort. „Ein Sorello und eine Zanetti. Keine der beiden Familien war davon begeistert. Wenige Wochen nach der Hochzeit stritten die beiden schon nur noch.“

„Musste meine Mutter deshalb als Putzfrau arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen?“

Der alte Mann reagierte gelassen auf den Vorwurf. „Nein, sondern weil sie ihren Ehemann verlassen und ihre Familie verleugnet hat. Dabei habe ich sie so sehr geliebt.“

„Also war meine mamma eine echte Mafia-Prinzessin?“, warf Angelo unbeeindruckt ein.

„Spotte nicht über etwas, wovon du keine Ahnung hast.“ Carmelo Zanettis Blick wurde ungeduldig. „Die ganze Welt stand deiner mamma offen. Und was hat sie getan? Sie hat ihrer guten Erziehung den Rücken gekehrt und deinen Vater geheiratet. Verglichen mit uns, sind die Sorellos cafoni … eine ungehobelte Bande. Gino Sorello war ein gut aussehender Hitzkopf, immer auf der Suche nach Streit.“

„Was hast du in dieser Situation gemacht?“

„In dieser Familie mischen wir uns nicht in die Ehen unserer Angehörigen ein. Als Gino zum zweiten Mal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, hat deine Mutter ihn verlassen. Wie ein kleines Kind ist sie von ihrem Zuhause und ihrer Verantwortung davongelaufen.“

„Vielleicht glaubte sie, dafür einen guten Grund zu haben.“

Der schwer kranke Don sank gegen die Kissen zurück. Jedoch funkelten seine Augen jetzt amüsiert. „Fiorella war meine Tochter, und ich habe sie sehr geliebt. Aber sie hat mich enttäuscht und beschämt. In meiner Welt ist Loyalität nicht verhandelbar. Als Fiorella verschwand, haben sich einige Leute sehr nervös gefragt, was sie über bestimmte Aktivitäten wissen mochte. Letztendlich haben ihre eigene Ignoranz und ihr Verrat sie zugrunde gerichtet.“

Angelos Aufmerksamkeit war fest auf den alten Mann gerichtet. „Offensichtlich hast du meine Mutter nicht aus den Augen verloren und weißt, was nach ihrer Ankunft in England passiert ist.“

„Was ich dir zu sagen habe, wird dir nicht gefallen.“

„Ich kann damit umgehen“, entgegnete Angelo trocken.

Carmelo drückte auf einen Knopf neben seinem Bett. „Du wirst dich setzen und ein Glas Wein trinken, während wir reden. Dieses eine Mal wirst du dich wie mein Enkelsohn verhalten.“

Angelo wollte nichts lieber als diese Verwandtschaft leugnen, aber das war unmöglich. Ein gewisses Maß an Höflichkeit war der Preis, den er für die lange gesuchten Informationen über seine Herkunft bezahlen musste. Er straffte seine breiten Schultern, ließ sich mit einer geschmeidigen Bewegung auf dem angewiesenen Sessel nieder und nahm einen Schluck von dem Rotwein, der auf einem Tablett bereitstand.

„Wie fühlt es sich an, jeden lebenden Verwandten verleugnet zu haben?“, begann der alte Mafioso.

Ein spöttisches Lächeln erschien auf Angelos sinnlichen Lippen. „Es hat mich vor dem Gefängnis bewahrt, vielleicht sogar am Leben erhalten. In unserer Familiengeschichte gibt es beunruhigend viele frühe Tode und fragwürdige Unfälle.“

Nach einem Moment des Nachdenkens stieß der Don ein anerkennendes Lachen aus, das fast sofort in ein heiseres Röcheln überging. Hastig stand Angelo auf, um Hilfe zu holen, nur um mit einem ärgerlichen Winken wieder auf seinen Platz zurückbeordert zu werden.

„Erzähl mir von meiner Mutter“, drängte er.

„Als sie Sardinien verließ, verfügte sie über ein kleines Vermögen, musst du wissen. Meine verstorbene Frau hat sie mit reichlich Geld bedacht. Das Unglück deiner Mutter bestand in ihrem schlechten Männergeschmack.“

Angelo erstarrte.

Sein Großvater streifte ihn mit einem zynischen Blick. „Ich habe dich gewarnt, dass es dir nicht gefallen wird. Natürlich war ein anderer Mann im Spiel. Ein Engländer, den sie am Strand kennengelernt hatte, kurz nachdem dein Vater ins Gefängnis gekommen ist. Warum glaubst du, ist sie sonst nach London gegangen, obwohl sie kaum ein Wort Englisch sprach? Ihr Geliebter hat versprochen, sie zu heiraten, sobald sie frei wäre. Unmittelbar nach ihrer Ankunft hat sie ihren Namen geändert und die Scheidung eingereicht.“

„Woher weißt du das alles?“

„Ich besitze einige Briefe, die ihr Geliebter ihr geschrieben hat. Er hatte keine Ahnung von ihrer Familie. Kaum hatte sie sich in England niedergelassen, bot er ihr an, sich um ihr Geld zu kümmern. Er hat sich so gut darum gekümmert, dass sie es nie wiedergesehen hat. Er hat sie ausgenommen und dann behauptet, er habe alles an der Börse verloren.“

Äußerlich war Angelo vollkommen ruhig, doch seine Augen funkelten wie schwarze Diamanten. „Geht die Geschichte noch weiter?“

„Als sie schwanger wurde, hat er sie verlassen. Zu diesem Zeitpunkt hat sie auch herausgefunden, dass er bereits verheiratet war. Sie verlor das Baby und ist nie wieder ganz gesund geworden.“

„Wenn du all das weißt, warum hast du ihr nicht geholfen?“

„Sie hätte mich jederzeit um Hilfe bitten können, aber das hat sie nicht getan. Ich will ganz offen zu dir sein. Die ganze Angelegenheit hat mich in Verlegenheit gebracht. Und es gab noch mehr Probleme. Gino ist vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Er wollte dich, seinen Sohn, zurück und sich an seiner untreuen Ehefrau rächen. Der Aufenthaltsort deiner Mutter musste geheim bleiben, um zu verhindern, dass du in die Hände eines stets betrunkenen Tunichtgut gerätst. Mein Schweigen hat euch beide beschützt.“

„Es hat nicht verhindert, dass wir Hunger gelitten haben“, erwiderte Angelo tonlos.

„Du hast überlebt.“

„Aber sie nicht“, beharrte er.

Don Carmelo zeigte kein Bedauern. „Ich bin kein Mann, der verzeiht. Sie hat ihrer Familie den Rücken gekehrt. Doch die größte Beleidigung war ihr Glaube, sie müsse ihren Sohn meinem Einfluss entziehen.“

„Woher weißt du das alles?“

Der alte Mann verzog das Gesicht. „Sie hat mich angerufen, als es ihr gesundheitlich schlechter ging. Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Aber sie hat mich immer noch angefleht, ihre Wünsche zu respektieren und auch nach ihrem Tod keinen Anspruch auf dich zu erheben.“

Die Erschöpfung war dem kranken Mann jetzt deutlich anzumerken, und Angelo leitete das Ende des Treffens ein. „Ich danke dir für deine Offenheit. Ich wüsste gerne den Namen des Mannes, der das Geld meiner Mutter gestohlen hat.“

„Sein Name war Donald Hamilton.“ Don Carmelo reichte ihm einen großen Umschlag. „Darin sind seine Briefe.“

„Was ist aus ihm geworden?“

„Nichts.“

„Nichts?“, fragt Angelo bitter. „Meine Mutter starb, als ich sieben war.“

„Du bist doch so stolz darauf, weder ein Zanetti noch ein Sorello zu sein. Wenn du deiner Familie wirklich so unähnlich bist, warum interessierst du dich dann für Hamiltons Namen?“, entgegnete der alte Don.

Mit ausdruckslosen Augen blickte Angelo ihn an und zuckte fast unmerklich die Schultern.

„Tu nichts Unvernünftiges, Angelo.“

„Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet du mir das sagst.“

„Wer wäre besser dazu geeignet? Ich habe die letzten zehn Jahre im Exil gelebt. Die Hüter von Gesetz und Ordnung haben mich ebenso über diesen Planeten gejagt wie meine Feinde. Aber meine Zeit ist fast abgelaufen“, sagte Carmelo Zanetti. „Du bist mein nächster Verwandter, und ich habe dich dein ganzes Leben lang im Auge behalten.“

„Davon habe ich nichts gemerkt“, erwiderte Angelo unbeeindruckt.

„Vielleicht bin ich cleverer, als du denkst. Vielleicht kommst du auch noch zu dem Schluss, dass du tief in deinem Herzen mehr mit mir gemein hast, als du zugeben willst.“

Angelo schüttelte langsam den Kopf. „Nein, das glaube ich wirklich nicht.“

Gwenna verfolgte die beiden kleinen Jungen über den matschigen Feldweg. Die knurrenden Geräusche, die sie in ihrer Rolle als Bär von sich gab, brachten Freddy und Jake zum Kichern. Zusammen mit Gwennas Hund Piglet, einer kleinen rundlichen Promenadenmischung, bildeten sie ein recht lautes Quartett. Das Klingeln eines Mobiltelefons unterbrach ihr Gelächter. Nur zögernd zog Gwenna das Handy aus ihrer Tasche.

„Ich wette, es ist wieder die böse Hexe“, prophezeite Freddy düster.

„Pst!“, bat Gwenna den Jungen.

„Mummy hat zu Daddy gesagt, du wirst nie einen Mann bekommen, solange die böse Hexe da ist. Brauchst du denn einen?“, fragte Jake ernst.

„Natürlich braucht sie einen … um Babys zu bekommen und die Glühbirnen zu wechseln“, erklärte Freddy seinem Bruder in überlegenem Tonfall.

„Höre ich da etwa Kinder?“, fragte Eva Hamilton am anderen Ende der Leitung scharf. „Hast du dir wieder Joyce Millers Bengel aufhalsen lassen?“

Gwenna legte einen Finger auf die Lippen und warf den Zwillingen einen flehenden Blick zu. „In einer knappen Stunde bin ich bei dir“, wich sie der Frage aus.

„Weißt du überhaupt, wie viel noch getan werden muss?“

„Ich dachte, die Cateringfirma …“

„Ich spreche vom Putzen“, unterbrach ihre Stiefmutter sie säuerlich. „Auf den Möbeln setzt sich schon wieder Staub ab, und die Blumen im Salon verwelken“, erklärte Eva anklagend. „Ich will, dass morgen alles perfekt ist für deinen Vater. Also kümmere dich heute Abend darum.“

„Ja, natürlich“, seufzte Gwenna, aber die Leitung war bereits tot. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass die endlosen Vorbereitungen einem guten Zweck dienten. Morgen war der große Tag ihres Vaters. Unermüdlich hatte Donald Hamilton Spendengelder gesammelt für die Instandsetzung der überwucherten Gärten von Massey Manor. Die Gärten waren im Auftrag von Gwennas Vorfahren von einem berühmten Gartenbauer des neunzehnten Jahrhunderts angelegt worden und zusammen mit dem Anwesen das Zuhause ihrer Mutter gewesen. Die Renovierung würde hoffentlich zahlungskräftige Touristen anlocken, die der kleine Ort in Somerset, im Südwesten Englands, wirklich gut gebrauchen konnte, um die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Alle bedeutsamen Persönlichkeiten des Ortes sowie die Presse würden anwesend sein, wenn Donald Hamilton die lange verschlossenen Tore des alten Anwesens öffnen und damit symbolisch die erste Phase der Bauarbeiten einläuten würde.

„Die böse Hexe stiehlt immer dein Lächeln“, beschwerte Freddy sich.

„Ich bin ein Bär, und Bären lächeln nicht“, entgegnete Gwenna und schlüpfte erneut in ihre Rolle. Doch kaum hatten die Jungen wieder angefangen, über ihre Grimassen zu kichern, da ließ Piglets lautes Bellen sie aufschrecken.

„Oh, nein!“, stöhnte Gwenna und stürmte los. Ihr kleiner Hund hatte offensichtlich ein Opfer gefunden. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie ihn nicht angeleint hatte. Sein erster Besitzer hatte ihn auf einer Landstraße ausgesetzt, wo der kleine Hund von einem Auto angefahren worden war. Infolgedessen hatte Piglet eine enorme Antipathie gegenüber Autos entwickelt und begegnete vor allem männlichen Fremden sehr aggressiv. Zum Glück für ihn war er so klein, dass die meisten Menschen seinen Angriff als Scherz und nicht als Gefahr auffassten.

„Piglet … nein!“ Ihr Haustier umtanzte lauthals bellend einen sehr großen dunklen Mann, der neben dem Eingangstor zum Friedhof stand.

Trotz des Sonnenscheins und der unleugbar malerischen ländlichen Umgebung war Angelo nicht gerade guter Laune. Sein hochmodernes Satellitennavigationsgerät hatte in dieser Einöde völlig versagt. Sein Chauffeur war in einen Feldweg eingebogen, der kaum Platz für einen Radfahrer bot, und hatte schließlich zugeben müssen, dass er sich hoffnungslos verfahren hatte. Während Angelo ausgestiegen war, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, bemühte sich sein Sicherheitsteam, in der nahe gelegenen Ortschaft ein lebendes Wesen aufzutreiben, um es nach dem Weg zu fragen. Der Ort wirkte so verlassen, er hätte als Kulisse eines Horrorfilms dienen können. Und jetzt versuchte ihn auch noch dieser winzige Hund anzugreifen. Als die verantwortungslose Besitzerin vor ihm stehen blieb, lag ihm eine scharfe Rüge auf den Lippen.

„Piglet, hör sofort damit auf!“ Zu ihrem größten Entsetzen musste Gwenna feststellen, dass ihr Hund es auf einen Mann in einem maßgeschneiderten Geschäftsanzug abgesehen hatte. Ihrer Erfahrung nach besaßen diese Menschen am wenigsten Toleranz.

Angelo blickte in ein herzförmiges Gesicht mit Augen in einem so unglaublichen Blau, dass er zum ersten Mal in seinem Leben vergaß, was er sagen wollte. Doch schon war sein Gegenüber wieder abgetaucht, um ihrem kläffenden Hund hinterherzujagen.

„Es tut mir leid … bitte bewegen Sie sich nicht, Sie könnten sonst auf ihn treten“, bat Gwenna ihn. Als sie Piglet endlich eingefangen hatte, kam sie sich ziemlich albern vor.

Angelo blickte die Frau noch immer sprachlos an. In den Strahlen der Sonne funkelte ihr Haar wie pures Gold. Zwar waren die blonden Locken mit einem Band im Nacken zusammengefasst, aber sie reichten ihr immer noch bis über den Rücken. Warum übte sie nur eine solche Wirkung auf ihn aus?

„Es tut mir wirklich leid“, sagte Gwenna entschuldigend und hakte die Leine an das Halsband des Hundes. „Piglet hat Sie nicht gezwickt, oder?“

Während Angelo ihre wunderschönen Augen, die hohen Wangenknochen und ihren sinnlichen Mund bewunderte, stellte er zugleich fest, dass die Welt der Mode für sie unbekanntes Terrain zu sein schien. Das verblasste blaue Kleid gab nur einen leisen Hinweis auf die sanften Rundungen ihrer Brüste, um dann in unförmigen Falten bis zu ihren schmalen Fesseln zu reichen. „Gezwickt?“, fragte er und wartete darauf, dass sie begann mit ihm zu flirten, wie er es von Frauen gewohnt war.

„Gebissen. Das hat er doch nicht, oder?“ Ein wenig durch seine Größe eingeschüchtert – er musste über eins achtzig groß sein –, trat Gwenna einen Schritt zurück. Es war unmöglich zu übersehen, wie attraktiv er war. Der unheimliche Zwang, ihn anzustarren, ließ sie sich in seiner Gegenwart unbehaglich fühlen.

„Er hat mich nicht gebissen.“ Angelo wartete immer noch vergeblich auf die weiblichen erotischen Gesten. Stattdessen senkten sich ihre Lider über die ausdrucksstarken Augen, und sie entzog sich seinem prüfenden Blick.

„Jake! Freddy!“ Ängstlich sah Gwenna sich nach den Jungen um. Sie wollte nichts sehnlicher als der Aufmerksamkeit des Fremden entfliehen.

Zwei Köpfe mit roten Haaren tauchten hinter der Hecke auf, die den gesamten Friedhof umgab.

Angelo erstarrte. Kinder? Er betrachtete ihre Hand. Sie trug keinen Ring.

„Sind Sie das Kindermädchen?“, fragte Angelo.

Die unerwartete Frage überraschte Gwenna. „Nein, bin ich nicht. Ich passe nur auf sie auf. Bitte entschuldigen Sie mich“, fügte sie hinzu und schaute, ohne es zu wollen, auf. In seinen Augen funkelte etwas, das ein flaues Gefühl in ihren Bauch zauberte und ihre Kehle eng werden ließ. Hastig wandte sie den Blick wieder ab.

„Vielleicht könnten Sie mir sagen, wie weit es von hier zu Peveril House ist?“

„Ungefähr fünf Meilen. An der Abzweigung hinter der Kirche sehen Sie ein Hinweisschild auf das Hotel“, sagte sie.

„Essen Sie heute Abend mit mir?“

„Wie bitte? Ich kenne Sie überhaupt nicht.“

„Nutzen Sie die Gelegenheit.“

„Nein … vielen Dank. Ich kann nicht.“

„Warum nicht?“

Andere Männer gaben normalerweise bei dem ersten Anzeichen eines Misserfolgs auf. Seine Forderung nach einer Erklärung verwunderte sie. „Nun, ich …“

„Ein fester Freund?“

Gwenna schüttelte den Kopf und wünschte sich, es würde ihr leichter fallen zu lügen. „Nein, aber …“ Sie presste die Lippen zusammen, neigte den Kopf und verstummte.

Bevor er noch einmal nachhaken konnte, murmelte sie erneut: „Entschuldigen Sie mich“, wandte sich schnell ab und ging mit den beiden Jungs davon.

Ungläubig blickte Angelo ihr nach. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen. Er musste wissen, ob sie sich noch einmal nach ihm umdrehte. Sie tat es nicht.

Immer noch ein wenig aufgebracht dachte sie auf dem Rückweg über die Begegnung nach.

Es war schon einige Zeit her, dass jemand sie zu einem Rendezvous eingeladen hatte. Sie lernte nur selten neue Menschen kennen, aber sie verstand nicht, warum sie so durcheinander war. Oder warum sie das seltsame Verlangen verspürte, sich umzudrehen, um zu sehen, ob der attraktive Fremde noch da war. Was er natürlich nicht sein würde. Wahrscheinlich war er längst auf dem Weg zu dem unglaublich exklusiven Peveril House Hotel, in dem möglicherweise eine internationale Konferenz oder etwas in der Art stattfand. Seine Aussprache einiger Worte ließ sie vermuten, dass Englisch nicht seine Muttersprache war.

Doch was ging sie das an? Warum dachte sie überhaupt darüber nach? Mit einer ungeduldigen Geste strich sie einige der vorwitzigen blonden Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten. Vor ihrem geistigen Auge tauchte erneut das Gesicht des Fremden auf. Unwillkürlich musste sie lachen. Gut, sie war eine Frau und ein Mensch und hatte einem atemberaubend gut aussehenden Mann gegenübergestanden. Allerdings war er nicht ihr Typ. Auf sie hatte er zu arrogant und glatt gewirkt. Sie mochte offene, freundliche Männer mit einer kreativen Ader.

Knapp eine Stunde später lieferte Gwenna die Zwillinge bei deren Mutter und ihrer Freundin Joyce Miller ab und machte sich anschließend auf den Weg zu dem Haus, in dem ihr Vater mit ihrer Stiefmutter lebte.

Sie selbst war schon vor ein paar Jahren in die kleine Wohnung über dem Büro der Gärtnerei eingezogen, die sie auf dem Gelände von Massey Manor führte. Die Unterkunft war recht spartanisch, aber Unabhängigkeit und Frieden waren den Preis wert.

Der kommende Tag war von großer Bedeutung für ihren Vater, der mit seinen überzeugenden Worten und seinen fantastischen Geschäftsbeziehungen umfangreiche Spenden an Land gezogen hatte. Obwohl auch sie ihren Beitrag geleistet hatte, sah sie das Hauptverdienst bei ihrem Vater.

„Jetzt wird mir klar, warum du noch Single bist. Du vergötterst deinen Vater“, hatte Joyce kurz vorher ergeben geseufzt. „Ein anderer Mann wird ihm niemals das Wasser reichen können.“ Jetzt dachte Gwenna über Joyce’ Worte nach. Tatsächlich würde es ein Mann schwer haben, den Vergleich mit ihrem Vater zu bestehen. Donald Hamilton war in ihren Augen etwas ganz Besonderes. Er hatte sie, seine uneheliche Tochter, in sein Haus aufgenommen. Auch als seine erste Ehe darüber in die Brüche gegangen war, hatte er zu ihr gestanden.

Natürlich war ihr klar, dass ihr Vater nicht fehlerlos war. Als junger Mann hatte er eine ausgesprochene Schwäche für Frauen und hatte sich mehr als eine außereheliche Affäre geleistet. Ihre Mutter, Isabel Massey, war eine dieser Frauen gewesen.

Am nächsten Morgen beobachtete Gwenna, wie ihr Vater vor den Toren des vernachlässigten Massey-Anwesens für die Fotografen posierte. Er war sehr attraktiv und wirkte weit jünger als Mitte fünfzig. Silberblondes Haar fiel ihm in die gebräunte Stirn. Als Finanzchef und Repräsentant einer erfolgreichen regionalen Möbelfirma verfügte er über Erfahrung im Umgang mit den Medien. Seine kurze geistreiche Ansprache hatte dem perfekten öffentlichen Auftritt noch weiteren Glanz verliehen. Ein lokales Fernsehteam filmte das Öffnen der Tore und führte ein Interview mit Donald. Gwennas Stiefmutter und ihre beiden Stiefschwestern Penelope und Wanda genossen es, im Rampenlicht zu stehen. Gwenna hingegen unternahm keinen Versuch, sich zu der Familie zu gesellen. Sie wusste, dass ihre Gegenwart nicht willkommen sein würde, und wollte ihrem Vater die unterschwelligen Spannungen ersparen.

„Ich wusste gar nicht, dass die hohen Tiere der Polizei auch kommen“, bemerkte ein Mitglied des Gartenkomitees an Gwennas Seite. „Da ist Polizeichef Clarke.“

Gwenna blickte über ihre Schulter und sah zwei Männer in Uniform neben einem Polizeiwagen stehen. Ihre Mienen waren ernst. Ein weiterer Mann sprach mit ihrem Vater. Offensichtlich missfiel Donald Hamilton der Inhalt des Gesprächs, denn er wurde rot und erhob seine Stimme. Das Fernsehteam richtete seine Kameras auf die beiden. Lächelnd ging ihr Vater jetzt auf die beiden Männer neben dem Streifenwagen zu. Nach und nach verstummten die geladenen Gäste. So konnte Gwenna hören, dass der ältere der beiden Polizeibeamten von „sehr ernsten Anschuldigungen“ sprach. Fassungslos musste sie zusehen, wie ihr Vater vor den Augen seiner Familie und der Medien verhaftet wurde.

Später an diesem Nachmittag sah sich Angelo Riccardi in seiner luxuriösen Suite in Peveril House die Aufnahmen des Fernsehteams an. Das Team hatte einen anonymen Tipp bekommen, in dem von einem aufregenden Finale der Veranstaltung die Rede war. Und so war auf Film festgehalten worden, wie Hamilton von seinem Podest der Ehrbarkeit fiel.

Angelo konnte mehr als zufrieden sein. Sein Plan war aufgegangen: Zuerst hatte er die Möbelfirma gekauft, in der sein Opfer arbeitete, und dann seine Buchprüfer angewiesen, die Bilanzen durchzusehen. Tatsächlich war es fast zu einfach gewesen, Hamilton Betrügereien und unsaubere Abrechnungen nachzuweisen. Natürlich war eine öffentliche Bloßstellung erst der Anfang, überlegte Angelo. Hamilton musste einen angemessenen Preis für seine Sünden bezahlen. Er würde dem Mann, der seine Mutter im Stich gelassen hatte, Stück für Stück alles nehmen. Sein guter Name war nur der erste Schritt von vielen …

2. KAPITEL

Voller Verzweiflung blickte Gwenna sich in dem von Stimmen erfüllten Raum um. Sie versuchte die vielen Anschuldigungen, die an die zusammengesunkene Gestalt ihres Vaters gerichtet waren, auszublenden. Die Ereignisse der letzten Tage schienen ihm alle Lebenskraft geraubt zu haben.

Vor drei Tagen war die Welt, wie sie sie kannte, in tausend Scherben zersplittert.

Donald Hamilton war beschuldigt worden, sich des Betrugs, der falschen Buchführung und Urkundenfälschung schuldig gemacht zu haben. Man hatte sie informiert, dass möglicherweise noch weitere Verstöße zu dieser schrecklichen Liste hinzugefügt würden. Zunächst hatte das niemand glauben wollen. Nicht nur seine Familie, auch Freunde und Nachbarn hatten den beliebten Mann empört verteidigt. Lautstark hatte man sich darüber entrüstet, dass Donalds Arbeitgeber und seine Kollegen schwiegen und auf Distanz zu ihm gingen, hatte das jedoch auf die Sorge um deren Jobs geschoben. Schließlich war die Möbelfirma Furnridge Leather erst vor einer Woche von Rialto aufgekauft worden, dem weit verzweigten Geschäftsimperium, das Angelo Riccardi gehörte.

Noch größer war der Schock gewesen, als Donald Hamilton angesichts der erdrückenden Beweise seine Schuld eingestanden hatte. Gwenna war am Boden zerstört gewesen. Es entsetzte sie, dass der Vater, den sie liebte und bewunderte, ein Betrüger sein sollte. Gleichzeitig empfand sie Stolz, dass er zu seinen Fehlern stand. Als die Polizei ihn nach Hause entlassen hatte, hatte er Gwenna zu einem privaten Gespräch in die Bibliothek gebeten und versucht, ihr sein Handeln zu erklären.

„Irgendwann habe ich mir ein bisschen Geld von den Furnridge-Konten geliehen. Ich musste eine kleine Durststrecke überbrücken“, erklärte er. „Natürlich wollte ich es zurückzahlen. Doch dann kam Penelopes aufwendige und teure Hochzeit. Als die Ehe in die Brüche ging, hat ihre Mutter sie mit einem weiteren Vermögen getröstet. Letztes Jahr hat Wanda Startkapital für die Eröffnung ihrer Reitschule gebraucht. Und auch das war kein Erfolg. Das Geld war einfach unwiederbringlich verloren. Ich weiß, dass das keine Entschuldigung für den Diebstahl ist. Du darfst auch nicht glauben, dass ich irgendjemandem außer mir die Schuld gebe.“

Gwennas Kehle war wie zugeschnürt. Tröstend schloss sie ihren Vater in die Arme. Für die zweite Frau ihres Vaters und deren zwei Töchter war nur das Beste gerade gut genug. Und sie erwarteten, dass ihr Vater für all ihre Wünsche aufkam.

„Ich war nie sehr gut darin, den Menschen, die ich liebe, etwas abzuschlagen. Ich fürchte, wir haben sehr lange über unsere Verhältnisse gelebt. Aber ich liebe Eva so sehr. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn sie sich von mir scheiden lässt.“

Nach dieser Unterhaltung fiel es Gwenna jetzt sehr schwer, den Vorwürfen und Anschuldigungen der anderen zuzuhören.

Lautstark überlegten ihre Stiefschwestern gerade, wie sie jetzt ihre letzten luxuriösen Anschaffungen abzahlen sollten, wo doch die Konten gesperrt waren.

Insgeheim fragte Gwenna sich, was wohl passieren würde, wenn sie vorschlug, die beiden sollten sich eine regelmäßige Arbeit suchen. Penelope und Wanda wohnten beide noch zu Hause. Penelope war siebenundzwanzig und arbeitete hin und wieder als Model. Ihre Schwester Wanda war zwei Jahre jünger und hatte noch keinen Job länger als sechs Wochen behalten.

„Wenn du bloß nicht zugegeben hättest, das Geld genommen zu haben! Mit einem guten Anwalt hätten wir gegen die Anklage vorgehen können!“, klagte Penelope ihren Stiefvater an.

„Mit John Ridge als Eigentümer von Furnridge vielleicht. Aber jetzt … Rialto ist ein riesiges Imperium und Angelo Riccardi ein harter Mann. In einem Unternehmen dieser Größe sind die Regeln sehr strikt und die Mittel unerschöpflich. Sie werden mich für jeden Penny bis an den Rand meines Grabes verfolgen. Ich bin ruiniert“, bekannte Donald trübsinnig.

„Was zählt, ist doch, dass du zu dem stehst, was du getan hast. Bestimmt fühlst du dich jetzt viel besser, nicht wahr?“, meldete Gwenna sich endlich zu Wort.

„Ehrlichkeit ist die beste Politik? Hast du das in der Sonntagsschule gelernt?“, fuhr ihre Stiefmutter sie verächtlich an. „Von deiner Mutter hast du das jedenfalls nicht. Immerhin war sie jahrelang das kleine süße Geheimnis deines Vaters.“

Gwenna errötete vor Scham. „Ich bin nur hergekommen, um …“

„Um deine Nase in Angelegenheiten zu stecken, die dich nichts angehen?“, unterbrach Wanda sie schnippisch.

„Damit wir alle zusammen einen Ausweg aus dieser Situation finden können“, entgegnete Gwenna beharrlich. „Wenn wir das Geld zurückzahlen, wird man vielleicht die Anzeige gegen Dad zurückziehen. Wir können Massey Manor und die Gärtnerei verkaufen. Dann ist da noch das Apartment in London …“

Allein der Vorschlag, die Stadtwohnung, die überwiegend von Eva und ihren Töchtern genutzt wurde, zu verkaufen, löste bei ihrer Stieffamilie heftige Proteste aus. Doch zum ersten Mal seit seiner Verhaftung spiegelte sich auf Donalds Gesicht ein Hoffnungsschimmer. „Glaubst du, ein solches Angebot könnte etwas bewirken?“

Gwenna nickte.

„Aber wenn wir die Gärtnerei verkaufen, verlierst du deine Arbeit. Würdest du das wirklich für mich tun?“

„Natürlich.“ Sie räusperte sich unbehaglich. „Und dieses Haus …“

„Dieses Haus ist auf meinen Namen eingetragen“, unterbrach Eva Hamilton sie sofort. „Und ich werde es weder verkaufen noch eine Hypothek darauf aufnehmen.“

Davon hatte Gwenna nichts gewusst.

In diesem Moment klingelte das Telefon. Die Polizei bestellte Donald für einige weitere Fragen ins Präsidium. Unter Gwennas ängstlichen Blicken verwandelte sich die Gesichtsfarbe ihres Vaters in ein kränkliches Grau.

Mit einer resoluten Bewegung stand sie auf. „Ich werde zu Furnridge Leather fahren und mit demjenigen sprechen, der etwas zu deinen Gunsten tun kann.“

„Das ist Zeitverschwendung“, sagte Donald. „Ich bin erledigt, egal, was du tust.“

Angespannt stand Angelo am Fenster und blickte hinunter in den Empfangsbereich von Furnridge Leather. An dem Tisch hinter ihm diskutierten seine Führungskräfte mit dem früheren Eigentümer John Ridge verschiedene Ideen, wie die Firma saniert werden konnte. Hin und wieder griff er ein und verwarf einen allzu unrealistischen Vorschlag. Dies war die kleinste Firma, die er seit zehn Jahren gekauft hatte. Für seine Leute war es eine Herausforderung, in kleineren Kategorien als normalerweise zu denken.

Er sah, wie sich eine junge Frau der Rezeption näherte. Ihr langes blondes Haar wurde von einer einfachen Spange gehalten. Angelo erstarrte, die anmutige Neigung des Kopfes und das perfekte Profil der Frau erkannte er sofort. Was sagt man dazu? dachte er. Die Hundebesitzerin aus dem ausgestorbensten Nest in ganz Somerset hatte ihn wiedergefunden und ihm so den Umstand erspart, nach ihr zu suchen. Er war ein wenig enttäuscht. Ein einziges Mal hatte er geglaubt, sich wirklich anstrengen zu müssen, um eine Frau ins Bett zu bekommen. Das Telefon klingelte. Der Anruf galt John Ridge.

Als der ältere Mann den Hörer aufgelegt hatte, murmelte er unbehaglich: „Donald Hamiltons Tochter Gwenna ist unten und möchte mit einem Verantwortlichen sprechen. Möchte jemand der Anwesenden das übernehmen?“

Angelo runzelte die Stirn. In dem Dossier mit Hintergrundinformationen über Donald Hamilton hatte er keine Informationen über eine Tochter gefunden. „Hamiltons leibliche Tochter?“

„Sie ist sein einziges Kind. Ein ganz reizendes Mädchen. Aber ich würde es wirklich vorziehen, nicht mit ihr sprechen zu müssen. Schließlich gibt es nichts mehr zu sagen, oder?“

„In fünfzehn Minuten will ich sie in diesem Büro sehen“, ordnete Angelo an. Ein reizendes Mädchen? Si, das konnte er bezeugen. Er ignorierte die Überraschung seiner Mitarbeiter und öffnete die Datei mit dem Dossier über Donald Hamilton auf seinem Laptop. Und jetzt fand er den kurzen Hinweis auf eine Jennifer Gwendolen Massey Hamilton, sechsundzwanzig Jahre alt. Das einzige Kind musste selbst einem Betrüger kostbar sein.

Gwenna saß im Wartebereich und spürte deutlich die feindselige Atmosphäre um sich herum. Sie erntete, was ihr Vater gesät hatte. Die Minuten verstrichen in nervenaufreibender Langsamkeit. Man hatte ihr gesagt, dass der Milliardär Angelo Riccardi, der neue Besitzer von Rialto, sich im Gebäude aufhielt und persönlich mit ihr sprechen wollte. Als sie endlich in ein Büro geführt wurde, war sie angespannt und nervös.

„Miss Hamilton“, begrüßte Angelo sie tonlos und beobachtete, wie sich Wiedererkennen auf ihrem Gesicht abzeichnete. Es gelang ihr nicht, ihre Bestürzung und ihre Verlegenheit zu verbergen. In seiner Welt war eine solche Durchschaubarkeit selten. „Ich bin Angelo Riccardi.“

Ein zeitloser Moment verging, in dem sie ihn einfach nur anstarrte und seinen ausdrucksvollen Blick, die hohen Wangenknochen, die gerade Nase und die vollen sinnlichen Lippen auf sich wirken ließ. Ein Prickeln überlief ihren Körper.

„Warum sind Sie hier?“ Angelo genoss es, dass sie ihre Nervosität überhaupt nicht verstecken konnte.

„Um mit Ihnen über meinen Vater zu sprechen.“

„Es überrascht mich, dass Sie glauben, dass ich Interesse daran haben könnte.“

Gwenna versteifte sich. „Mein Vater hat hier sehr lange gearbeitet.“

„Und dabei systematisch Firmengelder unterschlagen.“

„Ich habe nicht die Absicht, irgendeine seiner Taten zu leugnen.“

„Was wollen Sie dann? John Ridge hat Ihren Vater mehr wie einen Freund als einen Angestellten behandelt. Obwohl er nie verstehen konnte, warum eine Produktivitätssteigerung kein Mehr an Gewinn mit sich brachte, hat er ihm vertraut. Aus diesem Grund musste er schließlich die Firma verkaufen.“ Angelo beobachtete, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich und sie den Kopf senkte. Ihre Empfindsamkeit amüsierte ihn – wusste er doch, dass er sie gegen sie verwenden würde.

„Jetzt, da er erkannt hat, wie sein Vertrauen missbraucht wurde, ist er am Boden zerstört.“

„Dad schämt sich sehr. Ich weiß, dass das nichts ändert …“

„Sie leben in einer Traumwelt, Miss Hamilton. Im Moment versuchen meine Experten einen Weg zu finden, die Firma zu retten, ohne dass allzu viele Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren.“

Gwenna fühlte sich mehr als unbehaglich. Die weiteren Auswirkungen der Veruntreuung hatte sie gar nicht bedacht. Sie hatte Angelo Riccardis Vorwürfe wirklich verdient.

„Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass es so schlecht um Furnridge steht.“

„Das hätten Sie sich doch denken können. Ihr Vater hat eine sehr große Summe unterschlagen.“ Angelos Wut verflüchtigte sich langsam zugunsten einer wachsenden Befriedigung. Sie war Hamiltons Tochter. Jetzt konnte er mit zwei Menschen spielen. Und sie war ein wunderschönes Spielzeug. „Kein Unternehmen dieser Größe kann einen Verlust an Kapital ohne Entlassungen auffangen.“

Ein Funke Optimismus huschte über ihr Gesicht, und sie hob den Kopf. „Aus diesem Grund bin ich ja hier … um darüber zu sprechen, wie das Geld zurückgezahlt werden kann.“

„Zurückgezahlt?“, fragte Angelo und musterte sie eingehend. Ihre mandelförmigen Augen und die Sommersprossen auf ihrer Nase übten einen Reiz auf ihn aus, den er sich nicht erklären konnte. Der triste Hosenanzug, den sie trug, schmeichelte ihrer Figur nicht gerade, konnte ihre strahlende Schönheit jedoch trotzdem nicht verbergen.

„Mein Vater besitzt Immobilien, die verkauft werden können. Mit dem Gewinn könnten die Gelder zurückgezahlt werden.“ Sie wich seinem Blick aus. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, warum sie sich in seiner Gegenwart so seltsam fühlte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, sämtliche Muskeln angespannt.

„Falls eine der Immobilien mit gestohlenem Geld gekauft wurde und Ihr Vater von einem Gericht für schuldig befunden wird, wird sein Eigentum sowieso zu Wiedergutmachungszwecken beschlagnahmt.“

Dieser Satz zerschnitt Gwennas Hoffnungen wie eine scharfe Klinge. Zunehmend wurde ihr ihre eigene Naivität bewusst. „Daran hatte ich nicht gedacht.“

„Allerdings braucht ein solcher Fall natürlich Zeit, die Furnridge eigentlich nicht hat“, versuchte Angelo, sie aus der Reserve zu locken.

„Dad hat doch bereits ein Geständnis abgelegt“, sagte Gwenna. „Er wäre glücklich, wenn er seine Immobilien zum Verkauf anbieten könnte, um seine Schulden zu bezahlen.“

„Er ist ein Dieb, kein Schuldner“, unterbrach Angelo sie trocken. „Hinzu kommt, dass es sehr lange dauern kann, einen Käufer zu finden.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. „Ja, ich weiß.“

Sein Blick aus dunklen Augen fand den ihren und hielt ihn mit eiserner Macht gefangen. „Falls ich bereit bin, auf dieses Angebot einzugehen, könnte natürlich einfach eine Bewertung der Immobilien stattfinden, und Ihr Vater könnte sie mir überschreiben. Damit könnten wir eine Menge Zeit sparen.“

Hastig nickte sie zu diesem Vorschlag. Unter seinem Blick begann sie innerlich zu beben. Sie errötete und wandte sich dem Fenster zu, um sich dem zu entziehen. Sie wollte nicht wahrhaben, dass er eine solche Wirkung auf sie ausübte. Er war ein Fremder. Wie konnte er dieses körperliche Bewusstsein wecken, das sie so lange unterdrückt hatte? Sie wollte es einfach nicht glauben. Vor langer Zeit hatte sie entschieden, ihren Körper nicht ohne ihr Herz zu verschenken, und doch konnte sie nichts gegen diese Reaktion tun.

In Angelos Augen schimmerte Triumph, weil es ihm endlich gelungen war, eine erotische Reaktion bei ihr auszulösen. Sie war also doch keine Eisprinzessin. „Sie wollen Ihren Vater anscheinend wirklich unbedingt vor einer drohenden Strafverfolgung retten.“

Mit hoch erhobenem Kinn drehte Gwenna sich wieder zu ihm um. „Ja.“

„Es tut mir leid, cara, aber ich bin der Ansicht, dass alle Verbrecher mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden sollten.“

„Aber wenn das Geld zurückgezahlt wird, wäre damit der Firma und allen Angestellten geholfen“, protestierte Gwenna verbissen. „Kümmert Sie das gar nicht?“

„Mir blutet nur selten das Herz, Miss Hamilton.“

Angelo sah zu, wie sie langsam eine goldblonde Haarsträhne hinter ihr Ohr schob. Sein sonst so disziplinierter Körper reagierte mit schon fast schmerzhafter Plötzlichkeit auf ihre erotische Ausstrahlung. Sie erschauerte fast unmerklich. Ihm gefiel die Vorstellung, dafür verantwortlich zu sein. Er verspürte das überwältigende Bedürfnis, ihr Haar in losen Wellen über ihre Schultern fallen zu sehen.

„Aber in diesem besonderen Fall …“, wagte sie einen neuerlichen Vorstoß.

„Beim Geschäft geht es allein um den Profit. Und mein Fazit lautet, dass Ihr Angebot nicht gut genug ist, um mich in Versuchung zu führen.“

Tiefe Enttäuschung über seine Weigerung stieg in ihr auf. Sie hatte keine Ahnung, wie sie mit einem solchen Mann umgehen sollte. Ihn umgab die kalte Härte eines geschliffenen Diamanten, und er zeigte keinerlei Emotionen. Diese Kombination ängstigte sie.

„Was würde Sie denn … in Versuchung führen?“

„Sie.“

Gwenna blinzelte. „Wie bitte?“

„Ich will Sie.“

„Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“ Ihre blauen Augen weiteten sich. Sie kam sich unglaublich dumm vor, denn natürlich meinte er nicht, woran sie zunächst gedacht hatte. Gut, er hatte sie zum Essen eingeladen, aber das war ja wohl etwas anderes, oder?

„Geben Sie sich immer so naiv?“

„Sie sprechen über … Sex?“ Gwenna ärgerte sich über sich selbst, weil sie das letzte Wort vor Verlegenheit nur als leises Murmeln herausbrachte.

Angelo gelang es, unendlich gelangweilt auszusehen. „Wovon sonst?“

„Ist das eine Art Scherz?“

„Ich mache nie Scherze.“

„Bieten Sie wirklich an, dass Sie, wenn ich mit Ihnen schlafe, die Anzeige gegen meinen Vater zurückziehen?“

„Ja.“

Seine sofortige Zustimmung verblüffte Gwenna. „Aber das ist vollkommen unmoralisch.“

„Wir sind erwachsene Menschen. Und ich lasse Ihnen die Wahl.“

Gwenna starb fast vor Verlegenheit, während er so tat, als würde gar nichts Außergewöhnliches passieren. „Bereitet es Ihnen Vergnügen, mich zu beleidigen?“

„Was für die eine Frau eine Beleidigung ist, sieht eine andere als Kompliment.“ Er lächelte herausfordernd. „Es ist eine Tatsache, dass viele Frauen einen Mord begehen würden, um eine solche Gelegenheit zu bekommen.“

„Nun, ich gehöre nicht dazu! Ich verfüge über entschieden höhere Selbstachtung!“

„Was Sie nur noch begehrenswerter macht.“

„Dann gehören Sie also zu den Männern, die immer haben wollen, was sie nicht bekommen können?“

Angelo hielt ihrem zornigen Blick stand. Ihr Widerstand und die Wut, die so unerwartet ihre ruhige Oberfläche durchbrochen hatten, faszinierten ihn noch mehr. „Ein ‚nicht bekommen können‘ ist mir noch nicht begegnet“, gestand er aufrichtig.

„Jetzt schon“, erwiderte Gwenna und wandte sich zum Gehen. „Ich bin nicht bereit, meinen Körper zu verkaufen, Mr Riccardi.“

„Dann wird Ihr Vater den Preis bezahlen müssen und ins Gefängnis gehen“, erinnerte er sie leise.

Auf dem halben Weg zur Tür blieb sie unschlüssig stehen und sah sich zu ihm um, der Schmerz deutlich in ihren Augen sichtbar. Die bloße Vorstellung, dass ihr Vater ins Gefängnis kam, entsetzte sie. Er hatte schon so viel verloren. Seinen Job, seinen Ruf, seine Freunde, seine finanzielle Sicherheit, vielleicht auch bald seine Familie. Ihr war klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Doch sie verdankte ihm so viel.

Als ihre Mutter Isabel mit ihr schwanger geworden war, hatte sie zwar erkennen müssen, dass sie nicht seine einzige Affäre gewesen war und er seine Frau Marisa nicht verlassen würde, doch als Gwenna ihre Mutter mit acht Jahren durch einen Autounfall verloren hatte, hatte Donald sie sofort zu sich genommen. Und obwohl er ein Fremder für sie gewesen war, hatte er ihr stets das Gefühl gegeben, dass er immer für sie da sein würde. Selbst als Marisa ihn gezwungen hatte, zwischen seiner Tochter und seiner Ehe zu wählen, hatte er sich geweigert, Gwenna zur Adoption freizugeben. Kurze Zeit später hatte Marisa die Scheidung gefordert. Obwohl ihr Vater nicht lange danach Eva geheiratet hatte, hatte Gwenna sich stets für die Opfer, die er erbringen musste, schuldig gefühlt.

„Hören Sie mich an, bevor Sie gehen“, sagte Angelo sanft, Gwennas Zögern geschickt ausnutzend. „Wenn durch die Überschreibung der Immobilien genug Geld in die leeren Kassen von Furnridge kommt und Sie zustimmen, meine Geliebte zu werden, werde ich die Anzeige gegen Ihren Vater zurückziehen“, versicherte er ihr noch einmal.

Ein Zittern durchlief ihren schlanken Körper. Seine Geliebte? Was bedeutete dieses seltsame Wort? Ein One-Night-Stand?

„Was muss ich als Ihre Geliebte tun?“, stieß sie hervor, ohne ihn anzusehen.

„Mir Vergnügen bereiten …“

Sie biss die Zähne zusammen. „Sie können es einfach nicht ertragen, abgewiesen zu werden!“

„Ich glaube nicht, dass Sie mich ein zweites Mal abweisen werden.“

Gwennas Atem ging ungleichmäßig. Sie konnte sich noch nicht einmal vorstellen, sich vor diesem Mann auszuziehen. Eilig blendete sie alle Details an tatsächliche Intimität aus. „Ich denke, es ist vollkommen verrückt, aber wenn ich meiner Familie helfen kann, indem ich einmal mit Ihnen schlafe …“

„Eine Nacht wird nicht genügen.“

Gwenna fühlte sich, als würde sie endgültig den Boden unter den Füßen verlieren. Er wollte mehr als eine Nacht? Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Wiedergefundener Trotz ließ sie das Kinn heben. Sein Blick aus funkelnden dunklen Augen war fest auf sie gerichtet. Wenn Augen tatsächlich das Fenster zur Seele waren, dachte sie hilflos, dann besaß er keine.

„Vergessen Sie nicht: In der Hölle gibt es kein Zeitempfinden“, teilte sie ihm spitz mit.

Verwirrt über diesen Kommentar musterte Angelo sie aufmerksam. Dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte. „Ich mag Ihren Sinn für Humor, cara.“

„Ich wollte nicht lustig sein. Wie lange müsste ich die seltsame Rolle einer Geliebten in Ihrem Leben spielen?“

In einer flüssigen Bewegung zuckte er die Schultern. Plötzlich verwandelte sich seine Faszination in ein Gefühl von Wut. Er war ein stolzer Mann und empfand ihren Widerstand allmählich als Beleidigung. Lange bevor wir getrennte Wege gehen, schwor er sich, wird sie ein anderes Lied singen.

„Ich möchte Sie so lange an meiner Seite, wie Sie mich unterhalten können.“

„Sie finden es unterhaltsam, wenn eine Frau Sie hasst?“, fragte Gwenna finster.

Flüssiges Gold schimmerte in Angelos Blick, und es war, als würde auf einmal die Luft zwischen ihnen brennen. „Ich verspreche Ihnen, dass es nicht Hass sein wird, was Sie fühlen.“

Abscheu stieg in ihr auf. Doch Angelo Riccardi bot ihr die Chance, ihren Vater, den sie über alles liebte, vor einem Prozess und einer Gefängnisstrafe zu retten. Wie konnte sie da Nein sagen?

„Und ich will die Antwort sofort“, drängte er.

„Sie haben mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen kann“, erwiderte sie mit schwacher Stimme.

Angelo streckte die Hand aus.

„Allerdings werde ich nicht vortäuschen, dass es ein anständiges Angebot wäre“, hörte Gwenna sich sagen, als sie einen Schritt vor ihm zurückwich.

Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, stand Angelo vor ihr, umfasste mit einer Hand ihren Nacken und presste seinen Mund auf ihre Lippen. Für die ersten Sekunden war sie wie gelähmt vor Schock, dann flackerte wilde Hitze in ihrem Innern auf. Es war entsetzlich und unendlich erregend zugleich. Schließlich hob er den Kopf wieder und betrachtete ihre verwirrte Miene.

„Anständig zu sein wird manchmal überschätzt, cara. Meine Anwälte werden sich um die Verträge kümmern. Sobald alles vorbereitet ist, melde ich mich bei dir.“

3. KAPITEL

Langsam schüttelte Donald Hamilton den Kopf. „Mir bleibt gar nichts, nicht einmal meine Unabhängigkeit.“

„Ist die Bewertung der Immobilien so schlecht ausgefallen?“, fragte Gwenna. „Wie haben Massey und die Gärten abgeschnitten?“

„Das Grundstück steht unter Denkmalschutz“, erinnerte ihr Vater sie. „Das senkt den Preis, weil zu viele Auflagen beachtet werden müssen. Und die Gärtnerei ist nur ein kleines Unternehmen. Doch wenn ein Verkauf verhindert, dass ich vor Gericht erscheinen muss, wie kann ich mich da beschweren?“, fragte Donald. „Erstaunlich, was du mir über dich und den Besitzer von Rialto erzählt hast. Andererseits bist du eine wunderschöne Frau geworden.“ Donald Hamilton blickte seine Tochter bewundernd an. „Eigentlich überrascht es mich gar nicht, dass ein Mann wie Angelo Riccardi ein Auge auf dich geworfen hat.“

„So ist es nicht gerade“, murmelte Gwenna und erkannte, dass Donald die Art Liaison, die ihr angeboten worden war, ganz und gar nicht begriffen hatte. Zweifellos sollte sie dafür dankbar sein. Sie hatte sich große Sorgen um seine Reaktion gemacht. Deshalb hatte sie die unschöne Wahrheit dadurch verschleiert, dass sie behauptet hatte, ebenso beeindruckt von Angelo Riccardi zu sein wie er von ihr.

„Vielleicht könntest du mit ihm über meine Zukunft sprechen?“, sagte Donald leichthin. „Natürlich nicht sofort, aber in ein oder zwei Wochen.“

„Was soll das heißen?“

„Du weißt genau, was ich meine“, entgegnete er grinsend. „Offensichtlich hast du Einfluss auf ihn.“

„Ich glaube nicht, dass man das so nennen kann.“

„Jetzt ist nicht die Zeit für falsche Bescheidenheit“, erklärte Donald, einen Hauch Gereiztheit in seiner Stimme. „Warte auf den richtigen Moment, um mit ihm darüber zu sprechen, wie unglücklich dich das Schicksal deiner Familie macht. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie mein Leben aussehen wird, wenn ich keinen einzigen Penny zur Verfügung habe? Wenn ich gezwungen bin, von Evas Geld zu leben wie ein alternder Gigolo?“

Es bestürzte und entsetzte Gwenna gleichermaßen, dass ihr eigener Vater annahm, sie könne Angelo Riccardi zu irgendetwas überreden. Sie war blass geworden. „Es tut mir leid … ich habe nicht an alle Folgen gedacht. Mir war nur wichtig, dass du nicht ins Gefängnis musst.“

Donald Hamilton zuckte zusammen, als hätte sie eine besonders taktlose Bemerkung gemacht. „Ich denke, das Risiko besteht nicht mehr. Das Leben geht weiter“, sagte er. „Aber es wird sehr schwer für mich sein, einen neuen Job zu finden.“

„Ja, vermutlich wird es das. Aber welche Hilfe erwartest du, wenn ich mit Angelo Riccardi spreche?“

Ihr Vater verzog das Gesicht. „Manchmal bist du wirklich naiv, Gwenna. Solange du Riccardis Interesse an dir wachhältst, liegt dir die Welt zu Füßen. Idealerweise verschafft er mir meinen alten Job bei Furnridge.“

„Deinen alten Job?“, wiederholte sie erstaunt. „Ich glaube nicht, dass das möglich ist.“

„Nun, dann eben etwas Vergleichbares bei einer anderen Firma. Warum schockiert dich das so?“, fragte er unzufrieden. „Für Riccardi ist es doch keine große Sache, dir einen kleinen Gefallen zu tun.“

Zu Gwennas Erleichterung betraten in diesem Moment ihre Stiefmutter und deren Töchter das Zimmer. Sie wusste nicht, wie sie ihrem Vater sagen sollte, dass sie mitnichten über den Einfluss verfügte, den er sich vorstellte. Außerdem fand sie seine Erwartungen unrealistisch. Aber das lag wahrscheinlich an dem enormen Druck, unter den ihn seine Frau setzte.

„Wie erstaunlich, dich noch in der alten Jacke und Jeans zu sehen“, begrüßte Penelope sie säuerlich. „Wann schwingt Angelo Riccardi seinen Zauberstab und verwandelt dich in einen Vamp? Oder machen ihn Schlamm und Erde an?“

Gwenna verspürte nicht den Wunsch, darüber nachzudenken, was Angelo Riccardi anmachte. Seit dem überraschenden Kuss hatte sie jeden Gedanken an ihn aus ihrem Kopf verbannt. Die Entdeckung, dass er so überwältigende körperliche Reaktionen in ihr hervorrufen konnte, hatte ihr ganz und gar nicht gefallen. Es hatte sie zutiefst erschüttert, dass sie nicht immun gegen seine sexuelle Ausstrahlung war.

„Du Glückliche“, ließ Wanda sich mit unverhohlenem Neid vernehmen. „Wenn ich an den Aufwand denke, den ich auf mich nehme, um gut auszusehen! Es ist deprimierend, dass du dich wie ein schäbiges Landmädchen anziehen kannst und trotzdem einen Milliardär an Land ziehst.“

„Es wird nicht lange halten“, prophezeite Eva mit schneidender Stimme.

Gwenna versuchte, gelassen zu bleiben. „Ich muss jetzt gehen und Bestellungen zur Post bringen!“ Sie war froh, dank ihrer Ausrede den kalten kritischen Blicken des Trios zu entkommen.

„Vergiss nicht, was ich durchleiden muss“, flüsterte ihr Vater ihr zu, während er sie zur Tür begleitete.

„Natürlich nicht.“ Seine liebevolle Umarmung berührte sie sehr.

Unglücklich fuhr Gwenna in ihrem Jeep zurück zur Gärtnerei. Im Moment konnte sie nichts für ihn tun. Er würde mit der Tatsache zurechtkommen müssen, dass sein Leben nie wieder so sein würde wie früher, aber das würde Zeit brauchen.

Doch auch ihr selbst fiel es schwer zu akzeptieren, dass sich ihr ganzes Leben binnen zehn Tagen völlig verändert hatte. Die Zukunft, die sie immer für gesichert gehalten hatte, stand in den Sternen. Man würde ihr die Gärten, in denen sie aufgewachsen war und in jeder freien Minute glücklich gearbeitet hatte, wegnehmen. Die Gärtnerei würde in die Hände eines Fremden gegeben. Vielleicht würde ihre kleine Firma nicht einmal überleben, schließlich warf sie keine hohen Gewinne ab.

Gerade als sie fertig war, im Hinterzimmer der Gärtnerei die Bestellungen in Kartons zu verpacken, klingelte ihr Handy. Es war Toby, ein guter Freund. Gwenna entspannte sich und ging nach vorne in den Laden. Toby James hatte sich als Landschaftsarchitekt einen Namen gemacht und nahm häufig Aufträge aus dem Ausland an, im Moment war er in Deutschland beschäftigt. Gwenna hatte ihn auf dem College kennengelernt und sah ihn viel seltener, als ihr lieb war.

„Der Freund eines Freundes hat in der Zeitung einen Artikel über deinen Vater gelesen und mir gegeben“, setzte Toby an. „Warum hast du es mir nicht selbst erzählt?“

„Die Gärtnerei und die Gärten von Massey werden verkauft“, platzte sie heraus, anstatt auf seine Frage zu antworten.

„Das ist ja furchtbar! Ich kann es nicht glauben!“

Vor ihrem geistigen Auge sah Gwenna, wie sich Toby ungeduldig mit einer Hand durch sein braunes Haar fuhr. Er war sehr attraktiv, und man konnte eine Menge Spaß mit ihm haben. Es hatte lange gedauert, bis sie akzeptierte, dass er ihre Freundschaft rein platonisch sah. Denn Toby war schwul. Doch als sie es erfahren hatte, war sie bereits Hals über Kopf in ihn verliebt gewesen.

Während Gwenna mit Toby plauderte, stieg Angelo aus seiner Limousine, die fast lautlos vor der Gärtnerei angehalten hatte, und sah sich um. Was er erblickte, entsetzte ihn: baufällige Schuppen, jede Menge alte Handwerksgegenstände und ein antiquiertes Gewächshaus. Langsam schlenderte er auf die offene Tür des Ladens zu. Der betörende Duft, der die Luft erfüllte, ließ ihn die Stirn runzeln. In diesem Moment entdeckte er Gwenna. Endlos lange Beine in eng anliegenden Jeans, das goldblonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, lehnte sie an der Theke und lächelte glücklich. Sie telefonierte mit jemandem und hatte seine Anwesenheit noch nicht bemerkt. Sofort wusste er, dass er erst zufrieden sein würde, wenn sie auch ihn mit diesem Lächeln ansah.

„Es scheint hundert Jahre her zu sein, dass ich dich gesehen habe … ich vermisse dich.“

Angelo blieb auf der Schwelle stehen und begann zu lauschen. Er war nur ein paar Meter von ihr entfernt, doch sie registrierte ihn immer noch nicht. Gwenna umklammerte ihr Handy, als würde sie mit ihrem Geliebten sprechen. Ihre Stimme klang ein wenig tiefer, ihre ganze Haltung sandte flirtende Signale aus. Angelos Blick verwandelte sich in Eis.

„Im Moment ist alles in der Schwebe“, erklärte Gwenna gerade. Sie hatte Toby nur das Notwendigste erzählt, und das war nicht viel. „Wir besprechen alles, wenn du zurückkommst.“

Sie war sich nicht sicher, was sie veranlasste, den Kopf zu heben, aber als sie es tat, ließ sie beinahe das Telefon fallen. Angelo Riccardi stand im Eingang. Er trug einen dunklen Nadelstreifenanzug, ein schwarzer Kaschmirmantel lag locker über seinen Schultern. Er sah unglaublich elegant aus, unglaublich attraktiv.

„Toby … ich muss Schluss machen. Jemand ist in den Laden gekommen“, sagte sie hektisch und legte auf. Das Lächeln war von ihren Lippen verschwunden.

„Wer ist Toby?“, fragte Angelo.

„Ein Freund.“ Sie steckte das Handy in die Tasche. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wirst du mich das auch im Bett fragen?“, murmelte er. „Ich bin kein Kunde.“

Hitze strömte in ihre Wangen, weil er sie daran erinnert hatte, was sie seit Tagen verdrängte. Sie sah ihn an, wandte dann hastig den Blick wieder ab. Ihr Herz begann, heftiger zu schlagen. Die Atmosphäre zwischen ihnen war spannungsgeladen. Das versetzte ihren Körper in einen merkwürdigen Erwartungszustand. Ihre Muskeln waren angespannt, ihr Atem ging ungleichmäßig, ihre Brüste fühlten sich schwer an, und ihre Brustwarzen richteten sich auf.

„Ich möchte, dass du mir das Grundstück zeigst“, sagte Angelo.

„Da gibt es nicht viel zu zeigen.“

„Trotzdem. Ich brauche frische Luft. Hier drin kann man ja kaum atmen.“

Zögernd öffnete sie die Tür zum Lagerraum, um Piglet hinauszulassen. Der kleine Hund stürmte auf Angelo zu, blieb kurz vor ihm stehen und wartete auf ein Zeichen des Wiedererkennens. Als das ausblieb, stürzte er sich bellend auf die vielen Fremden, die draußen vor dem Laden standen.

„Wer sind all diese Leute?“, fragte Gwenna stirnrunzelnd.

„Sicherheitskräfte.“

Sie war versucht, eine spitze Bemerkung zu machen. Sein Blick traf den ihren. „Besser nicht“, meinte er sanft. „Es ist nie eine gute Idee, meine Laune zu verschlechtern.“

Kurz schloss sie die Augen, verdutzt, weil er ihre Gedanken gelesen hatte. Gleichzeitig irritierte sie ihr Wunsch, weiter mit ihm zu streiten.

Sie verließen das Gebäude durch die rückwärtige Tür, die zu den Gärten hinausführte.

„Nur ein winziger Teil der Gärten ist bislang restauriert worden. Ich verwende einen Teil des alten Küchengartens, um die Pflanzen, die ich züchte, in ihrer natürlichen Umgebung auszustellen.“

„Ich hätte nie geglaubt, dass du damit so viel Zeit verbringst.“

„Nun, dann liegen Sie eben falsch.“

„Das passiert mir nur sehr selten.“

Es fiel ihr immer schwerer, ihr Temperament zu zügeln. Er war stehen geblieben. Sein Körper warf einen langen dunklen Schatten auf den Boden.

Schweigend griff Angelo nach ihrer Hand; sie widerstand dem Drang, sie ihm gleich wieder zu entziehen. Lässig umkreiste er mit seinen langen Fingern ihr Handgelenk, ertastete die raue Haut ihrer Handflächen und die eingerissenen Nägel. „Als ich erfuhr, dass du die Gärtnerei leitest, war mir nicht klar, dass du auch die Erde umgräbst.“

„Das mach ich am liebsten.“

„Du führst ein sehr einfaches Leben.“

„Das sehe ich anders.“

„Und du bist sehr stur.“ Angelo sah ihr in die Augen. Plötzlich war es, als würde die Umgebung verschwinden, bis nur er allein übrig blieb. Er hob ihre Hand an seinen Mund und presste seine Lippen ganz zart darauf. „Mir gefällt das. In einer Welt von willenlosen Frauen funkelst du wie ein leuchtender Stern, gioia.“

Zitternd entzog sie ihm ihre Hand, doch die Berührung seiner Lippen konnte sie immer noch spüren – wie ein brennendes Mal. Ein harter heißer Knoten bildete sich tief in ihrem Innern. Seine Dreistigkeit war unglaublich. Dass sie das erkannte und trotzdem körperlich auf ihn reagierte, beschämte Gwenna zutiefst. Er küsste ihre Hand, und das Kribbeln in der Luft raubte ihr jeden rationalen Gedanken. Was sagte das über sie aus? Sie zwang sich, weiter zu atmen, und erzählte ihm von den geplanten Details der Restaurierung und von den Spenden, die bereits gesammelt worden waren.

Kommentarlos und ohne jedes Interesse hörte Angelo ihr zu. Er hatte nicht die Absicht, in ein Projekt zu investieren, das keinerlei Profit versprach. Er besaß weder die Zeit noch die Geduld, stehen zu bleiben und den Duft einer Rose oder die Aussicht zu bewundern. Was ihn viel mehr beschäftigte, war, wie diese Frau so fantastisch aussehen konnte, obwohl sie wie ein Landstreicher gekleidet war. Wie würde sie erst strahlen, wenn sie sich für ihn schick machte? Er erinnerte sich an den schwachen Duft von Parfüm, den er auf ihrer Haut wahrgenommen hatte, und hegte die Vermutung, dass es lediglich Seife war. Immer wieder fiel ihm auf – und es ärgerte ihn zunehmend –, dass sie jedes Mal hastig vor ihm zurückwich, wenn er sich ihr auf zwei Schritte näherte.

„Hör damit auf.“

„Womit denn?“, rief sie.

Angelo ergriff erneut ihre Hand und zog Gwenna an seine Seite.

„Mr Riccardi!“

Es war diese formale Anrede, die ihn mit so wilder Frustration erfüllte, dass er seine übliche Zurückhaltung vergaß, sie an sich zog und ihre sinnlichen rosa Lippen voller Verlangen küsste.

Ein ersticktes Keuchen entrang sich ihrer Kehle, bis sein weicher Mund sie zum Schweigen brachte. Er stahl ihre Worte, ihren Atem, ihre Fähigkeit zu denken. Ihre Beine drohten sie nicht länger zu tragen. Wie ein Mahlstrom schlug Erregung über Gwenna zusammen. Der sinnliche Ansturm seiner Zunge entzündete eine lodernde Flamme in ihrem Innern. Angelo drückte sie gegen die alte Steinwand hinter ihr. Mit den Händen umfasste er ihren Po, hob sie hoch und presste sie gegen seinen Unterleib. Die Berührung sandte ein Prickeln über ihren ganzen Körper. Seine Leidenschaft war stürmisch und aufregend und für sie etwas völlig Neues.

Plötzlich hob Angelo den Kopf und stieß Worte aus, die wie ein italienischer Fluch klangen. „Dein Hund hat mich gebissen …“

Vollkommen sprachlos versuchte Gwenna sich auf den Anblick, der sich ihr bot, zu konzentrieren. Piglet knurrte wie verrückt und hatte sich in Angelos maßgeschneiderte Hose verbissen. „Oh, er mag dich wirklich nicht.“ Sie ging in die Hocke und hob ihren kleinen Hund in die Arme.

Inferno! Ist das alles? Kein ‚Bist du verletzt? Blutest du? Brauchst du eine Tetanusspritze?‘“, fragte Angelo mit eisigem Sarkasmus.

„Es tut mir leid. Alles okay?“

„Ich glaube kaum, dass ich verblute. Und meine Tetanusimpfungen habe ich alle eingehalten“, erwiderte er trocken und musste mit ansehen, wie zärtlich sie den Hund streichelte.

Was hatte Gwenna nur an sich, dass er, Angelo, dem Verlangen in seinem Blut einfach so gehorchte? Er sehnte sich nach dem Tag, an dem er sie erobert hatte und nicht länger begehrte.

Innerlich dankte Gwenna ihrem Hund für sein strategisches Eingreifen und entfernte sich ein wenig von Angelo. Sie setzte Piglet wieder ab und richtete sich zögernd auf. Angelo tat, was ihm gefiel und wann es ihm gefiel. Wie ein Wikinger auf einem Feldzug hatte er sie in seine Arme gerissen. Ihre Lippen fühlten sich heiß und weich an. Sie wagte nicht, ihn anzusehen. „Hinter der Mauer gibt es nur noch ödes Brachland. Es gibt wirklich nichts mehr, was ich dir zeigen könnte.“

„Was ist mit dem Haus deiner Vorfahren?“

Ein paar Minuten später blieben sie in einiger Entfernung vor dem heruntergekommenen Herrenhaus stehen, in dem Gwennas Mutter geboren worden war.

„Wie sieht da...

Autor

Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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Janette Kenny
Solange Janette sich erinnern kann, prägten fiktive Geschichten und Charaktere ihre Welt. Die Liebe zur Literatur entdeckte sie bereits als kleines Mädchen, da ihre Eltern ihr rund um die Uhr vorlasen. Ermutigt durch ihre Mutter, begann Janette schon früh zu schreiben. Anfänglich begnügte sie sich damit, ihren Lieblingssendungen neue, nach...
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