Julia Exklusiv Band 381

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VERTRAUE NIEMALS EINEM FREMDEN! von CATHY WILLIAMS

Attraktiv und verboten charmant! Niemals hätte Brianna gedacht, dass sie in ihrem kleinen Bed & Breakfast je einen Mann wie Leo Spencer als Gast begrüßen dürfte! Dabei scheint er von ihr genauso fasziniert zu sein … aber was verbirgt der aufregende Fremde?

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  • Erscheinungstag 12.10.2024
  • Bandnummer 381
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525848
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Williams

1. KAPITEL

Mit Einsetzen der Dämmerung fragte Leo Spencer sich, ob diese Reise wirklich eine gute Entscheidung gewesen war. Die Straßen waren nach den neuen Schneefällen kaum passierbar, und ein Unfall war das Letzte, was er im Moment gebrauchen konnte. Der Flug nach Dublin war noch unkompliziert verlaufen, aber von da an hatte sich sein Trip in einen der hintersten Winkel Irlands zu einem Albtraum aus Staus und endlosen Umleitungen entwickelt.

Leo blickte von seinem Laptop auf, starrte aus dem Wagenfenster und ließ die trostlose Umgebung an sich vorbeiziehen. Er hatte lange gezögert, diesen Ort aufzusuchen, doch nun gab es keine Gründe mehr, sein Vorhaben noch länger zu verschieben. Vor einem dreiviertel Jahr waren kurz hintereinander seine Adoptiveltern gestorben. Solange sie noch lebten, wäre es Leo wie eine Respektlosigkeit erschienen, sich auf die Suche nach seinen biologischen Erzeugern zu machen. Aber jetzt war die Zeit gekommen.

Er schloss die Augen, und sein Leben zog an ihm vorbei wie zusammengeschnittene Filmsequenzen: Adoption direkt nach der Geburt durch ein wohlhabendes Ehepaar mittleren Alters. Sorglose, behütete Kindheit. Privatschule und Ferien im Ausland. Danach eine brillante akademische Karriere, gefolgt von einer mehrjährigen Tätigkeit bei einer Investmentbank, die als Sprungbrett für einen kometenhaften Aufstieg in der Finanzwelt diente.

Jetzt, im reifen Alter von zweiunddreißig, besaß Leo mehr Geld, als er je ausgeben konnte. Keine seiner geschäftlichen Unternehmungen war bisher fehlgeschlagen, darüber hinaus hatte er von seinen Eltern ein beträchtliches Vermögen geerbt. Er konnte sich jeden erdenklichen Luxus leisten und genoss ein abwechslungsreiches Liebesleben mit einigen der schönsten und begehrtesten Frauen der Londoner Gesellschaft. Der einzige Makel in seiner ansonsten so perfekten Welt war die Frage seiner wahren Herkunft. Es nagte an ihm, ließ sich nie ganz verdrängen, und Leo wusste, dass er aktiv werden musste, um endlich zur Ruhe zu kommen.

Über seinen leiblichen Vater hatte er nichts herausfinden können, aber die Adresse seiner Mutter war ihm schon seit mehreren Jahren bekannt. Jetzt hatte er sich für eine Woche von seinem weitverzweigten Unternehmen losgeeist, um sie zu treffen und sich mit eigenen Augen ein Bild von ihr zu machen. Danach würde er nach London zurückkehren und sein gewohntes Leben wieder aufnehmen – für immer befreit von der Ungewissheit, die ihn so lange gequält hatte. Zwar hatte er bereits eine ziemlich genaue Vorstellung von dem, was ihn erwartete, aber er brauchte eine endgültige Bestätigung seiner Vermutungen. Dabei suchte er weder nach Erklärungen noch nach einer rührenden Versöhnung. Alles, was er wollte, war ein sauberer Abschluss.

Natürlich hatte Leo nicht vor, dieser Frau seine volle Identität preiszugeben. Am Ende hätte er noch eine verantwortungslose Schmarotzerin am Hals, die sich urplötzlich auf ihre mütterlichen Gefühle besann. Von einer möglichen Horde gieriger Halbgeschwister ganz zu schweigen. Bei dem Gedanken verzog er verächtlich den Mund.

„Können Sie nicht ein bisschen schneller fahren, Harry?“

Die buschigen Brauen seines Fahrers hoben sich. „Genießen Sie denn nicht die herrliche Landschaft, Sir?“

Leo seufzte. „Sie arbeiten jetzt seit acht Jahren für mich, Harry. Habe ich je den Eindruck erweckt, dass ich für das Ländliche schwärme?“

Seltsamerweise war der alte Chauffeur der einzige Mensch, mit dem Leo von Zeit zu Zeit vertrauliche Gespräche führte. Er hätte Harry sein Leben anvertraut und teilte Gedanken mit ihm, die er nie vor jemand anderem ausgesprochen hätte.

„Es gibt immer ein erstes Mal“, meinte Harry gelassen. „Und nein, Sir, ich kann auf keinen Fall schneller fahren. Die Straßen hier sind unberechenbar, und außerdem wurde ein weiterer Schneesturm angesagt.“

„Der soll sich gefälligst Zeit lassen, bis ich hier alles erledigt habe.“

„Ich fürchte, das Wetter lässt sich keine Befehle erteilen, Sir. Nicht einmal von einem so wichtigen Mann wie Ihnen.“

Leo grinste. „Sie reden zu viel, Harry.“

„Das sagt meine bessere Hälfte auch immer. Sind Sie sicher, dass Sie mich nicht mehr brauchen, wenn wir in Ballybay angekommen sind?“

„Ganz sicher. Sie übergeben den Wagen wie besprochen einem Taxifahrer, der ihn nach London zurückfährt. Dann holt der Firmenjet Sie ab und fliegt Sie nach Hause. Susan hat schon alles arrangiert und schickt Ihnen eine SMS mit den Details. Wenn ich hier fertig bin, komme ich auf demselben Weg nach. Ich habe nicht die Absicht, diese Höllentour mit dem Auto in absehbarer Zeit zu wiederholen.“

Leo wandte sich wieder seinem Laptop zu und versuchte ohne viel Erfolg, sich auf die E-Mails zu konzentrieren, die seine Sekretärin Susan an ihn weitergeleitet hatte. Wahrscheinlich war Februar der schlimmste Monat, den er sich für seine Vergangenheitsbewältigung hatte aussuchen können, aber nun gab es kein Zurück mehr.

Zwei Stunden später erreichten sie Ballybay, das aus nicht viel mehr als einer Handvoll Häusern und einigen Geschäften inmitten von weiß verschneitem Niemandsland zu bestehen schien.

„Ist das alles?“, erkundigte Leo sich ausdruckslos.

Harry nickte. „Hatten Sie die Oxford Street erwartet, Sir?“

„Etwas mehr Leben auf jeden Fall. Gibt es hier überhaupt ein Hotel?“ Leo kam zu dem Schluss, dass er für sein Vorhaben statt der geplanten Woche höchstens zwei bis drei Tage benötigen würde.

„Da hinten ist ein Pub, Sir.“

Leo blickte in die Richtung, in die Harry deutete, und entdeckte einen Gasthof, dessen altmodisches Leuchtschild verkündete, dass noch Zimmer frei seien. Unwillkürlich fragte er sich, ob sich wohl je ein Tourist in diese Einöde verirrte.

„Sie können mich hier herauslassen und dann gleich weiterfahren, Harry.“ Er klappte seinen Laptop zu und verstaute ihn in seiner Reisetasche, die sein einziges Gepäckstück war.

Angesichts des eisigen Windes, der ihm beim Aussteigen entgegenschlug, wirkte der alte Pub regelrecht anheimelnd auf Leo. Er winkte Harry kurz zum Abschied zu, schulterte seine Reisetasche und stapfte zielstrebig durch den Schnee dem Eingang entgegen.

Brianna Sullivan spürte, dass sich Kopfschmerzen anbahnten. Selbst mitten im Winter war es hier wie an jedem Freitagabend brechend voll, und obwohl sie ihren Gästen für ihre Treue dankbar war, sehnte sie sich nach Ruhe und Frieden.

Sie hatte den Pub vor fast sechs Jahren von ihrem Vater geerbt und seitdem praktisch keine Zeit mehr für sich gehabt. Wie auch? Es gab nur sie, und der Pub war ihre Existenzgrundlage. Für persönliche Wünsche bestand da kein Raum.

„Sag Pat, dass er sich wie alle anderen seine Getränke selbst an der Bar abholen soll“, raunte sie Shannon zu, die sich gerade mit einem voll beladenen Tablett an ihr vorbeiquetschte. „Er soll sich bloß nicht einbilden, dass du ihn und seine Kumpane bis in alle Ewigkeit bedienst, nur weil er sich vor sechs Monaten das Bein gebrochen hat.“

Am anderen Ende der Bar stimmten Aiden und zwei seiner Freunde ein schwülstiges Liebeslied an, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

„Ich schmeiß euch gleich wegen Randaliererei raus!“, warnte sie die drei, als sie ihnen eine neue Ladung Bier über den Tresen zuschob.

Aidan warf ihr eine Kusshand zu. „Du liebst mich, Baby, und du weißt es!“

Brianna verdrehte die Augen und teilte ihm mit, dass dies sein letztes Glas gewesen sei, falls er nicht auf der Stelle seine offene Rechnung beglich.

Sie brauchte dringend Verstärkung hinter der Bar, aber was sollte sie mit dem zusätzlichen Personal während der Woche machen, wenn hier nicht so viel los war? Und wie sollte sie die Kosten dafür aufbringen? Andererseits musste sie neben dem allabendlichen Tresendienst auch noch die Buchhaltung machen, Bestellungen aufgeben, das Lager in Ordnung halten und tausend andere Dinge erledigen, während die Jahre nur so dahinrasten. Sie war jetzt siebenundzwanzig. Ehe sie sich versah, war sie dreißig, vierzig, fünfzig. Würde sie dann immer noch hier stehen und verzweifelt versuchen, mal auszuspannen? Sie war noch jung, aber es war schon lange her, dass sie sich auch so gefühlt hatte.

Aidan machte mit seinen Kaspereien weiter, doch Brianna blendete ihn aus ihrer Wahrnehmung aus. Sie hatte nicht studiert, um für den Rest ihrer Tage als Kneipenwirtin zu schuften. Sie liebte ihre Freunde, die eng verbundene Gemeinschaft, in der sie lebte. Aber hatte sie nicht auch das Recht auf ein bisschen Spaß? Nur sechs Monate nach ihrem Abschluss an der Uni war sie wieder hierher zurückgekehrt, um sich um ihren Vater zu kümmern, der ganz unerwartet an einem schweren Lungenemphysem erkrankt war.

Nicht ein Tag verging, an dem er Brianna nicht fehlte. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter hatte es zwölf Jahre lang nur sie beide gegeben. Was würde er dazu sagen, dass sie immer noch hier war? Er hatte stets gewollt, dass sie in die Welt hinausging und sich als Künstlerin einen Namen machte. Da war es schon bitter, dass ausgerechnet er es dann war, der das verhinderte.

Plötzlich fiel Brianna auf, dass es im Lokal seltsam still geworden war. Sie hob den Kopf und sah im Türrahmen den umwerfendsten Mann stehen, der ihr je untergekommen war: groß, leicht verwegen, mit windzerzaustem dunklem Haar und einem geradezu unverschämt schönen Gesicht. Es schien ihn nicht im Mindesten zu verunsichern, dass sämtliche Anwesenden ihn offen anstarrten. Langsam schweifte der Blick seiner schwarzen Augen durch den Raum und blieb endlich an Brianna hängen.

Sekundenlang stand sie da wie gebannt und spürte, dass ihre Wangen unter der beiläufigen Musterung heiß wurden. Dann kehrte sie hastig zu dem zurück, was sie gerade getan hatte, und alle anderen folgten ihrem Beispiel. Der Geräuschpegel stieg wieder, die Witzeleien begannen erneut. Der alte Connor fing an, eine italienische Opernarie zu schmettern, bis er von der Menge niedergelacht wurde.

Brianna tat ihr Bestes, den Fremden zu ignorieren, war sich jedoch seiner Anwesenheit überdeutlich bewusst. Als sie das nächste Mal den Kopf hob, stand er direkt vor ihr.

„Auf dem Schild draußen steht, dass Sie noch freie Zimmer haben. Ist das richtig?“

Leo musste regelrecht schreien, um sich über den Lärm hinweg Gehör zu verschaffen. Offenbar hatte sich hier die gesamte Einwohnerschaft von Ballybay versammelt. Hinter der Bar arbeiteten zwei junge Frauen auf Hochtouren, um den Bestellungen nachzukommen. Eine kleine, vollbusige Brünette und die, mit der er gerade sprach. Sie war groß, sehr schlank und hatte kupferrotes, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar. Außerdem besaß sie die grünsten Augen, die Leo je gesehen hatte.

„Warum fragen Sie?“, wollte Brianna wissen.

„Was glauben Sie wohl? Weil ich ein Zimmer brauche und den Eindruck habe, dass man hier nirgendwo sonst eins bekommen kann.“

Seine tiefe Stimme löste ein unerwünschtes Flattern in Briannas Magen aus. „Ist es denn hier nicht gut genug für Sie?“, erkundigte sie sich spitz und hob das Kinn.

„Ich würde gern mit dem Besitzer sprechen.“

„Der steht vor Ihnen.“

Leo musterte sie erneut, diesmal etwas gründlicher. Ihr Teint war zart, blass und so makellos wie Porzellan. Keine Sommersprossen, trotz der roten Haare. Die Kleidung war unspektakulär: verwaschene Jeans und ein schlichter langärmeliger Pullover, was ihre natürliche Schönheit noch unterstrich.

„Ich verstehe“, sagte er langsam. „Also, wie gesagt, ich brauche ein Zimmer.“

„Ich bringe Sie nach oben, sobald ich eine freie Minute habe. Möchten Sie in der Zwischenzeit etwas trinken?“

Was in aller Welt tat dieser Mann hier? Er kam nicht aus der Gegend und schien auch niemanden der Gäste zu kennen.

„Was ich jetzt brauche, sind eine heiße Dusche und ein paar Stunden Schlaf.“

„Beides wird noch warten müssen, Mr …?“

„Ich heiße Leo, und wenn Sie mir den Schlüssel geben und den Weg erklären, gehe ich allein nach oben. Ach übrigens, wo bekommt man hier etwas Anständiges zu essen?“

„Dazu werden Sie zu Monaghan’s gehen müssen“, informierte Brianna ihn kühl. „Ich könnte Ihnen ein Sandwich machen, aber …“

„… darauf werde ich ebenfalls warten müssen, bis Sie die Zeit dazu finden.“ Er winkte mit einer ungeduldigen Geste ab. „Vergessen Sie das Essen. Wenn Sie eine Kaution brauchen, sagen Sie mir, wie viel, und dann geben Sie mir den Schlüssel.“

Was für ein arroganter Typ! Brianna spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten, als ungebetene Erinnerungen an einen anderen attraktiven, weltgewandten Mann in ihr aufstiegen. Sie bedachte den Fremden mit einem verärgerten Blick und rief dann Aidan zu: „Halt hier für einen Moment die Stellung, ich bin in fünf Minuten zurück. Aber keine Freigetränke! Wenn ich feststelle, dass du dich an dem Bier bedient hast, gibt’s eine Woche Hausverbot.“

Aidans Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen. „Ich liebe dich auch, Brianna!“

„Für wie lange brauchen Sie das Zimmer?“, erkundigte sich Brianna, als sie dicht gefolgt von Leo die enge Treppe zum Gästetrakt hinaufstieg. Seine physische Nähe bewirkte, dass ihre Körpertemperatur dramatisch anstieg. Wieder stellten sich die feinen Härchen in ihrem Nacken auf. Verflixt! Lebte sie schon so lange allein, dass der bloße Anblick eines gut aussehenden Mannes genügte, um ihr den Schweiß ausbrechen zu lassen?

„Einige Tage.“ Sie bewegte sich so anmutig wie eine Tänzerin. Leo war versucht, sie zu fragen, warum ein Mädchen wie sie mitten im Nirgendwo einen Pub betrieb. Sicher nicht wegen der Ruhe. Sie sah erschöpft und abgehetzt aus, was er gut verstehen konnte, wenn hier jeden Abend so viel los war.

„Und darf ich fragen, was Sie an diesen schönen Fleck von Irland geführt hat?“ Sie öffnete die Tür zu einem der vier Gästezimmer und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Eintreten auf.

Leo nahm sich die Zeit, in aller Ruhe seine Umgebung zu inspizieren. Schließlich zog er seinen Mantel aus und warf ihn über einen Stuhl. Das Zimmer war klein, aber sauber. Er musste aufpassen, sich nicht an den Deckenbalken den Kopf zu stoßen, doch es würde gehen.

„Sie dürfen fragen“, erwiderte er und beließ es dabei. Was hätte er auch sonst sagen sollen? Ihr mitzuteilen, dass er ein Millionär auf der Suche nach einem verschollenen Elternteil war, kam wohl kaum infrage. Ein Hinweis in diese Richtung, und es wäre am nächsten Tag in ganz Ballybay herum. Das Aufspüren seiner Mutter musste in aller Diskretion vonstatten gehen, da würde er sich nicht von einer neugierigen Pubbesitzerin ausfragen lassen. So hübsch sie auch sein mochte.

Als er sich vom Fenster abwandte und zu Brianna umdrehte, wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück. Er schien den ganzen Raum mit seiner Präsenz zu dominieren, und nachdem er sich seines Mantels entledigt hatte, war sie nun auch noch dem Anblick seines fantastisch gebauten Körpers ausgesetzt. Er trug einen schwarzen Pulli zu einer ebenfalls schwarzen Jeans und besaß genau die Art von olivfarbener Haut, die einen Schuss exotisches Blut verriet.

„Aber Sie werden es mir nicht erzählen. Das ist okay.“ Brianna zuckte mit den Schultern. „Frühstück gibt es zwischen sieben und acht. Ich bin hier allein und habe nicht viel Zeit, um Logiergäste zu bedienen.“

„Was für ein herzliches Willkommen.“

Brianna wurde rot und besann sich etwas verspätet darauf, dass er ein zahlender Gast war und nicht einer von den Typen unten, mit denen sie reden konnte, wie ihr der Schnabel gewachsen war. „Es tut mir leid, wenn ich unhöflich war, Mr …“

„Leo.“

„… aber ich weiß im Moment kaum, wo mir der Kopf steht.“ Sie deutete auf eine weiß gebeizte Tür. „Da ist das Bad, und auf dem Tisch dort finden Sie alles, um sich einen Tee oder Kaffee zu machen.“

Sie wandte sich zum Gehen, obwohl es ihr schwerfiel, sich von seinem Anblick loszureißen. Vieles an ihm erinnerte sie an Daniel Fluke, allerdings handelte es sich bei diesem Leo um eine entschieden bedrohlichere Version. Er war größer, maskuliner und setzte nicht auf diesen aalglatten Charme – allein das hatte schon eine gefährlichere Wirkung. Und sie wusste immer noch nicht, was ihn in diesen Winkel der Welt verschlagen hatte.

Als sie schon halb zur Tür hinaus war, blieb sie noch einmal stehen und räusperte sich. „Wenn Sie jetzt bitte die Kaution für Ihr Zimmer bezahlen würden …“ Sie beobachtete schweigend, wie er einige Banknoten aus seiner Brieftasche zog, und nahm dann den geforderten Betrag entgegen.

„Was kann man denn hier unternehmen?“ Leo schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und neigte leicht den Kopf zur Seite. „Ich vermute, Sie kennen hier alles und jeden?“

„Sie haben sich eine schlechte Zeit für Ihren Urlaub ausgesucht, Mr … äh … Leo. Man kann hier ganz wunderbare Wanderungen machen, und es gibt auch viele Möglichkeiten zum Angeln, aber ich fürchte, das Wetter lässt weder das eine noch das andere zu.“

„Das sehe ich auch so“, pflichtete Leo ihr bei. „Aber ich will einfach nur ein wenig die Stadt erkunden.“ Wirklich bemerkenswerte Augen. Und dazu diese dichten, dunklen Wimpern! Ein toller Kontrast zu der hellen Haut. „Ich hoffe, ich mache Sie nicht nervös, Miss … Tut mir leid, Sie nannten mir Ihren Namen nicht, aber ich nehme an, er lautet Brianna …?“

Brianna ignorierte seine Frage. „Hier kommen nicht oft Fremde her, ganz besonders nicht im Winter.“

„Und jetzt vermieten Sie ein Zimmer an jemanden, von dem Sie weder wissen, was er macht, noch wer er ist. Verständlich, dass Sie das etwas beunruhigt.“

Leo schenkte ihr ein Lächeln und wartete den Effekt ab. Wartete darauf, dass sie sich entspannte. Sein Lächeln erwiderte. Ihn verstohlen von oben bis unten musterte. Normalerweise hatte er diese Wirkung auf Frauen, aber Brianna tat nichts dergleichen. Sie zog nur leicht die Stirn kraus und erwiderte kühl seinen Blick. Versuchte klar, ihn einzuschätzen.

„Stimmt, es macht mich unruhig.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen.

Leo stellte fest, dass er mit einer solchen Situation nicht gerechnet hatte. Vor allem hatte er nicht erwartet, dass Ballybay so klein sein würde. Natürlich war ihm klar gewesen, dass es nicht reichen würde, einfach bei seiner Mutter vorbeizugehen, um seine Charaktereinschätzung vornehmen zu können. Aber einer Horde von Trunkenbolden in einer überfüllten Dorfkneipe Informationen über sie aus der Nase zu ziehen, schien ihm genauso unmöglich. „Ich …“, hob er an und verstummte gleich darauf wieder.

„Ja?“ Brianna sah ihn weiter abwartend an. Sie war zwar dankbar für das Geld, schließlich standen um diese Jahreszeit Übernachtungsgäste nicht gerade Schlange. Andererseits war sie hier ganz allein. Woher sollte sie wissen, dass er kein wahnsinniger Massenmörder war?

Es war zwar unwahrscheinlich, dass so jemand seine Absichten offen kundtat, nur weil sie danach fragte, aber falls dieser Leo sich als zu suspekt herausstellen sollte, würde sie ihn wieder wegschicken, Geld hin oder her.

„Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, aber …“ Leos Blick blieb kurz an dem hervorragend gemalten Aquarell über dem Bett hängen und wanderte dann weiter zu dem Regalbrett voller ordentlich aufgereihter Bücher. „… ich habe vor vierzehn Tagen einen echten Topjob aufgegeben.“

„Und was für ein Job war das?“ Brianna wusste, dass es sich nicht gehörte, ihn so scharf ins Kreuzverhör zu nehmen. Er war ihr in keiner Weise Rechenschaft schuldig, und außerdem hatte Aidan inzwischen sicher schon einige Runden Whisky auf ihre Kosten geschmissen. Trotzdem stand sie immer noch da wie am Boden festgenagelt, unfähig, etwas anderes zu tun, als Leos schönes markantes Gesicht anzusehen und dieser tiefen, faszinierenden Stimme zu lauschen.

„Ich habe in London für eine dieser großen, seelenlosen Firmen gearbeitet“, antwortete er vage. Genau genommen stimmte das sogar, auch wenn sein Unternehmen weniger seelenlos war als die meisten. „Aber dann habe ich beschlossen, mein Glück mit etwas anderem zu versuchen. Ich wollte immer schreiben, also habe ich mir eine kleine Auszeit genommen, um ein wenig in Übung zu kommen und zu sehen, wohin mich das führt.“

Er ging wieder ans Fenster und blickte in das dunkle Nichts hinaus. „Ich dachte, Irland könnte ein guter Ort sein, um einen Anfang zu machen. Es ist bekannt für seine inspirierende Umgebung, und das brachte mich auf den Gedanken, meine Geschichte hier anzusiedeln …“ Über die Schulter hinweg warf er Brianna einen raschen Blick zu. „Das Wetter spielt nicht gerade mit, aber was soll’s?“ Er hob leicht die breiten Schultern. „Hier bin ich nun.“

Ein angehender Schriftsteller? Brianna fand, dass er überhaupt nicht danach aussah, aber warum sollte er so etwas erfinden? Seinen eigenen Worten zufolge war er bis vor Kurzem noch einem Topjob nachgegangen. Vermutlich hatte er als Führungskraft in einem dieser riesigen Glaspaläste gearbeitet, was sein urbanes Auftreten und die Aura unübersehbarer Autorität erklären würde, die von ihm ausging.

Brianna spürte, wie sich ihr Misstrauen ein wenig legte. „Gegen Ende des Abends wird es etwas ruhiger“, sagte sie. „Wenn Sie dann noch nicht schlafen, kann ich Ihnen etwas zu essen machen.“

„Das ist sehr nett von Ihnen“, murmelte Leo und verdrängte den Anflug von schlechtem Gewissen. Warum sollte er auch Schuldgefühle haben? Er hatte nur kreativ auf eine unerwartete Entwicklung reagiert.

Seine nächste Überlegung war, dass es durchaus von Vorteil für ihn sein könnte, sich gut mit Brianna zu stellen. Gastwirte wussten immer alles über jeden. Bestimmt würde er ihr die eine oder andere Hintergrundinformation über seine Mutter entlocken können.

„Okay, dann …“, murmelte Brianna befangen. „Müssen Sie noch etwas wissen über … das Zimmer? Wie der Fernseher funktioniert? Oder das Telefon?“

„Ich denke, das finde ich schon allein heraus“, versicherte Leo trocken. „Sie können ruhig wieder zu Ihrer Rowdytruppe hinuntergehen.“

„Es sind Rowdys, oder?“ Brianna lachte leise und hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen ihrer Jeans.

Leo registrierte, wie sein Körper mit jäher Erregung auf die Bewegung reagierte. Dabei war diese Frau mit ihrer knabenhaften Figur überhaupt nicht sein Typ. Normalerweise fühlte er sich von kurvigen Schönheiten angezogen, die kein Problem damit hatten, ihre Reize offen zu zeigen.

Entschlossen brachte er seine Libido wieder unter Kontrolle. „Sie sollten ein paar Aushilfen einstellen“, schlug er brüsk vor.

„Vielleicht sollte ich das.“ Brianna spürte sofort, dass sich die Atmosphäre zwischen ihnen verändert hatte, und rief sich ins Bewusstsein, dass allzu anziehende Männer – Schriftsteller oder nicht – Probleme verhießen. Es ging so schnell, dass man auf das glänzende Äußere hereinfiel und all das Hässliche übersah, das sich darunter verbarg.

Sie verabschiedete sich kühl und ging wieder nach unten. Wie erwartet, genehmigte sich Aidan gerade einen kräftigen Schluck Whisky. Als er Brianna entdeckte, stellte er das Glas hastig auf dem Tresen ab.

Shannon schien den Tränen nahe und schleppte entgegen Briannas Anweisungen eine Ladung Drinks zu der Gruppe schwer angesäuselter Männer am Ecktisch. Mit den meisten war Brianna zur Schule gegangen, aber das war kein Grund, ihnen ständig eine Extrawurst zu braten. Der alte Connor versuchte sich erneut als Startenor, aber er bekam kaum noch eine klare Silbe heraus.

Mit anderen Worten, es war genauso wie immer. Erneut packte Brianna die Schwermut. Sie war noch keine achtundzwanzig und fühlte sich wie mindestens zweiundachtzig. Zu allem Überfluss hatte es wieder angefangen zu schneien.

Shannon ging als Letzte, wobei Brianna sie förmlich wegjagen musste. Für ein junges Mädchen von neunzehn hatte sie einen ungewöhnlich stark entwickelten Mutterinstinkt und machte sich ständig Sorgen um ihre Freundin, die ganz allein über dem Pub wohnte.

„Na, wenigstens hast du heute ein echtes Sahnestück von einem Mann im Haus!“ Sie wickelte sich mit einem vielsagenden Augenzwinkern ihren dicken Schal um den Hals und winkte Brianna zum Abschied zu.

„Nach meiner Erfahrung geht das sogenannte starke Geschlecht schon beim ersten Anzeichen von Gefahr in Deckung“, rief Brianna ihr nach. „Und das gilt auch für die Sahnestücke!“

„Dann haben Sie wohl immer die falschen Männer getroffen.“

Sie wirbelte herum und sah Leo mit verschränkten Armen an der Bar stehen. In seinen dunklen Augen funkelte es amüsiert. Er hatte geduscht und sich umgezogen. Jetzt trug er Jeans und einen dicken cremefarbenen Wollpulli, der seinen südländischen Teint viel zu vorteilhaft betonte.

„Sie sind sicher wegen Ihres Sandwichs gekommen.“ Brianna riss den Blick von ihm los und begann rasch und effizient, die Tische abzuräumen. Wenn sie morgen um spätestens halb sieben Uhr wieder aufstand, wollte sie das Gröbste schon erledigt haben.

„Als das Singen aufhörte, nahm ich an, dass sich der Großteil der Gäste verzogen hat.“ Wie selbstverständlich begann Leo, ihr zu helfen. Einen Tisch abzuräumen war eine ganz neue Erfahrung für ihn, aber war das ein Wunder? Er leitete ein millionenschweres Firmenimperium, das sich über die ganze Welt erstreckte. Da blieb nicht viel Raum für alltägliche Verrichtungen wie diese.

„Sie müssen das wirklich nicht tun“, sagte Brianna. „Sie sind ein zahlender Gast.“

„Und noch dazu ein sehr neugieriger. Erzählen Sie mir von dem verhinderten Opernsänger.“

Sie machte ihm ein Sandwich zurecht, das für vier gereicht hätte. Während Leo aß, räumte sie die schmutzigen Gläser in die große Spülmaschine und skizzierte kurz die Lebensgeschichte des alten Connor. Nachdem sie ihre anfängliche Befangenheit überwunden hatte, beschrieb sie treffend seine Eigenarten und gab einige urkomische Anekdoten zum Besten.

„Das Sandwich war erstklassig, vielen Dank.“ Leo hob seinen leeren Teller an, als sie begann, den Tresen abzuwischen. „Ich vermute, dass Sie so ziemlich jeden kennen, der hier lebt?“

„Da vermuten Sie ganz richtig.“

„Das ist einer der Vorteile, wenn man in einer kleinen Stadt lebt.“ Er selbst konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen. Er schätzte die Anonymität des Großstadtlebens, die seinem Naturell deutlich mehr entsprach.

„Es ist schön, seine Nachbarn so lange zu kennen. Natürlich zieht immer mal wieder jemand weg, aber im großen Ganzen sind wir ausgesprochen sesshaft und wissen viel voneinander.“

Brianna begegnete Leos Blick und spürte wieder, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. „Fast alle, die sie heute Abend hier gesehen haben, waren schon Stammgäste, als mein Dad den Pub noch führte.“

„Und Ihr Vater ist …?“

„… gestorben“, ergänzte Brianna knapp. „Und jetzt gehört der Pub mir.“

„Es tut mir leid“, murmelte Leo. „Das ist sicher sehr harte Arbeit.“

Sie nahm ihm den Teller ab und stellte ihn in die Spüle. „Ich komme damit klar.“

„Haben Sie auch Geschwister? Was ist mit Ihrer Mutter?“

„Das ist ja ein regelrechtes Verhör.“ Brianna lachte nervös. „Warum wollen Sie das alles wissen?“

„Sind wir nicht alle neugierig auf Menschen und Orte, die wir nicht kennen? Und ich als angehender Schriftsteller bin noch neugieriger als die meisten.“ Er stand auf und machte Anstalten, den Schankraum zu verlassen. „Wenn ich Sie mit meinen Fragen nerve, sagen Sie es mir einfach, okay?“

Brianna wollte etwas Kühles erwidern. Etwas, um die nötige Distanz zwischen Gast und Wirtin wiederherzustellen. Aber die Versuchung, mit jemandem zu plaudern, den sie nicht seit einer Ewigkeit kannte, war zu groß.

Ein Schriftsteller! Wie wunderbar, jemandem zu begegnen, der mit ihr auf einer Wellenlänge war! Was konnte es schon schaden, ihm einen kleinen Vertrauensvorschuss zu gewähren? Er sah viel zu gut aus, keine Frage, aber er war nicht Danny Fluke.

„Sie nerven mich nicht“, erklärte sie mit einem zögernden Lächeln. „Mich wundert nur Ihr starkes Interesse. Wir sind hier alle ganz normale, durchschnittliche Menschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir brauchbares Material für Ihr Buch abgeben.“

Er lehnte lässig an der Wand, und seine undurchschaubare Miene weckte das unbehagliche Gefühl in Brianna, dass sich mehr hinter ihm verbarg, als man auf den ersten Blick erkannte.

„Mich interessieren die Geschichten der Leute.“ Er stieß sich von der Wand ab und ging zur Tür. „Sie wären überrascht, was man alles als Material für einen Roman verwerten kann.“ Es war etwas Trotziges und zugleich Verletzliches an ihr. Eine sehr anziehende Mischung und eine erfrischende Abwechslung zu den Frauen, mit denen er sich sonst traf.

„Morgen“, verkündete er. „Sie sagen mir, was zu tun ist, und erzählen mir weiter von den Menschen, die hier leben, während ich die Aufgaben erledige.“

„Nein, das geht wirklich nicht.“ Brianna schüttelte entschieden den Kopf. „So gern ich auch Ihre Arbeit als Bezahlung für Ihr Zimmer und die Verköstigung akzeptieren würde, kann ich es mir einfach nicht leisten …“

„Sie haben mich falsch verstanden“, stellte Leo richtig. „Es würde mir nicht im Traum einfallen, Sie um so etwas zu bitten.“ Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie wüsste, dass er den Kaufpreis für diesen Pub locker aus seiner Portokasse bezahlen könnte, und dass ihn von all den Geschichten, die sie auf Lager hatte, nur eine einzige interessierte? „Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie mir zu der einen oder anderen Idee verhelfen. Außerdem sehen Sie aus, als könnten Sie gut einen freien Tag gebrauchen.“

Der Gedanke, für ein paar Stunden die Füße hochlegen zu können, erschien Brianna wie die Verheißung des Paradieses. „Ich kann gleichzeitig arbeiten und reden“, erklärte sie. „Und es wird nett sein, wenn mir jemand dabei zur Hand geht.“

2. KAPITEL

Als Brianna am nächsten Morgen um sechs aufwachte, herrschte heftiges Schneetreiben. Draußen war es so still wie in einem Grab. An Tagen wie diesem wurde die freudige Aussicht auf Ruhe und Beschaulichkeit durch die schnöde Tatsache getrübt, dass Brianna für eine Weile keine Einnahmen haben würde. Doch dann dachte sie an den schönen Fremden, der in dem Zimmer unter ihrem schlief.

Leo.

Er hatte sich nicht über den Zimmerpreis beklagt, sondern auf einem großzügigen Aufschlag für ein tägliches Abendessen bestanden. Das würde einen Teil ihres wetterbedingten Verdienstausfalls wieder abdecken. Außerdem würde sie sich für eine Weile mit jemandem austauschen können, der sich ebenfalls künstlerisch betätigte. Die Männer ihres Alters, die hier lebten, waren diesbezüglich leider völlig unbedarft.

Sie schloss die Augen und gönnte sich für einige Minuten den Luxus, einfach nur an Leo zu denken. Bei der Erinnerung an die Art, wie sein Blick ihr gefolgt war, während sie aufgeräumt und geplappert hatte, breitete sich Hitze in Brianna aus, bis sie das Gefühl hatte, ihr ganzer Körper stünde in Flammen.

Sie hatte seit Jahren keinen Lover mehr gehabt!

Die Ankunft des geheimnisvollen Besuchers hatte ihr schmerzlich bewusst gemacht, dass ihr Gefühlsleben seit dem Desaster mit Daniel Fluke vollkommen eingeschlafen war. All die vergangenen Jahre hatte sie davon geträumt, sich wieder zu verlieben.

Daniel hatte alles gehabt. Mit seinen kastanienbraunen Locken, den lachenden blauen Augen und seinem geballten Charme war er der begehrteste Junge an der Uni gewesen, aber er hatte sich nur für sie interessiert.

Fast zwei Jahre lang waren sie das Traumpaar des Campus. Danny studierte Jura und besaß das Selbstbewusstsein jener, die von Anfang an wussten, wo ihr Platz im Leben war. Sein Vater war Richter im Ruhestand, seine Mutter eine erfolgreiche Anwältin in London. Ursprünglich stammte er aus Dublin. Seine Familie gehörte zu einem dieser uralten Adelsgeschlechter mit ellenlangem Stammbaum und umfangreicher Familienchronik. Die Flukes besaßen immer noch eine prunkvolle Stadtvilla in Dublin, aber Danny lebte seit seiner Kindheit in London.

Im Rückblick erschien es Brianna offensichtlich, dass er nie vorgehabt hatte, sich dauerhaft an sie zu binden. Doch damals hatte sie auf Wolken geschwebt und fest geglaubt, ihre Beziehung sei für die Ewigkeit gemacht. Selbst jetzt stieß es Brianna immer noch bitter auf, wenn sie daran dachte, wie alles geendet hatte.

Er hatte sie zur Feier ihres Examens zu einer luxuriösen Reise nach Neuseeland eingeladen – unfassbar, wie unbekümmert sie seine Großzügigkeit akzeptiert hatte! Als Brianna bei ihrer Rückkehr nach Irland ihren Vater schwer erkrankt vorfand, war sie fest davon überzeugt, dass Danny ihr in dieser schlimmen Situation zur Seite stehen würde.

Natürlich hatte sie eingesehen, dass er sein Volontariat in London antreten musste, und auf die Wochenenden gehofft. Trotz der eindeutigen Prognosen der Ärzte redete sie sich ein, dass ihr Vater wieder gesund werden und sie dann mit Danny eine Wohnung in London suchen würde. Später könnten sie etwas kaufen, aber das hatte Zeit, bis sie heirateten. Sie würde endlich seine Familie kennenlernen – seinen Bruder, der ein erfolgreicher Banker war, und seine kleine Schwester, die ein Internat in Gloucester besuchte. Und natürlich seine Eltern, die nie für lange Zeit an einem Ort zu bleiben schienen.

Als sie mit Danny darüber sprach, räumte er ein, dass sie an der Uni eine Superzeit miteinander gehabt hätten. Dass sie das bei Weitem interessanteste Mädchen auf dem ganzen Campus gewesen sei, aber eine gemeinsame Zukunft …

Seine betretene Miene und der leicht panische Ausdruck in seinen Augen sagten eigentlich alles, aber noch immer war Brianna nicht bereit, ihre Träume aufzugeben. Sie verlangte Erklärungen, und je hartnäckiger sie nachhakte, desto kühler wurde Dannys Stimme. Sie lebten in völlig verschiedenen Welten, wie hatte sie da ernsthaft annehmen können, sie würden eines Tages heiraten? Er habe ihr zum Dank für die schöne Zeit einen Luxusurlaub mit allen Schikanen spendiert, aber mehr sei nicht drin. Schließlich erwarte man von ihm, dass er einen ganz bestimmten Typ Frau heirate – so sei es nun einmal. Sie solle endlich aufhören zu klammern und sich neu orientieren.

Das hatte Brianna getan, doch ein Teil von ihr hing anscheinend immer noch in diesem schrecklichen Moment vor fast sechs Jahren fest. Warum sonst hatte sie bisher noch keinen ernsthaften Versuch unternommen, ihr Liebesleben wieder in Schwung zu bringen?

Es war acht Uhr, als Brianna endlich in den Gastraum hinunterging. Etwas verspätet erinnerte sie sich an die strikten Zeiten, die sie Leo fürs Frühstück gesetzt hatte.

An der Küchentür blieb sie abrupt stehen, als sie feststellte, dass er bereits am Tisch saß. Vor ihm standen eine Tasse Kaffee und sein Laptop, den er rasch zuklappte, als er sie erblickte.

„Es ist hoffentlich okay, dass ich mich selbst bedient habe.“ Er schob seinen Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich bin Frühaufsteher, müssen Sie wissen.“ Tatsächlich war er seit sechs Uhr auf den Beinen und hatte bereits ein gutes Stück Arbeit erledigt, wenn auch nicht so viel, wie er gehofft hatte.

Zum größten Teil lag es daran, dass seine Gedanken immer wieder zu der Frau abgeschweift waren, die jetzt etwas verdattert vor ihm stand. Ihre erstaunlichen grünen Augen hatten ihn bis in den Schlaf begleitet, und wenige Stunden später war er mit einer schmerzhaften Erektion erwacht.

Was zur Hölle war bloß los mit ihm? Er mochte bereit sein, alles aus ihr herauszuholen, was sie über seine Mutter wusste, aber er war definitiv nicht daran interessiert, darüber hinauszugehen.

„Sie haben gearbeitet?“ Brianna lächelte zögernd und stellte fest, dass seine Wirkung auf sie auch bei vollem Tageslicht noch dieselbe war wie am vorangegangenen Abend. Sie riss sich von seinem Anblick los und machte sich an die Arbeit. Als Erstes räumte sie die Geschirrspülmaschine aus und stapelte die Gläser auf, die in die Bar zurück mussten. Dann ging sie zum Kühlschrank und nahm die Zutaten für Leos Frühstück heraus.

„Ja, habe ich“, bestätigte Leo. „Ich kann morgens am besten arbeiten.“

„Ich hoffe, Sie sind gut vorangekommen. Bestimmt ist es sehr schwierig, seine Fantasien in eine klare Form zu bringen.“ Sie zögerte kurz. „Darf ich fragen, wovon Ihr Buch handelt, oder möchten Sie das lieber für sich behalten?“

„Es dreht sich um Menschen und die Art, wie sie miteinander umgehen“, antwortete Leo unbestimmt. Das letzte Mal, als er etwas geschrieben hatte, was dem Begriff freies Schreiben nahekam, war in der Grundschule gewesen. „Stehen Sie immer so früh auf?“, wechselte er unauffällig das Thema.

Brianna nickte. „Normalerweise noch früher.“

Sie schenkte ihm Kaffee nach und schlug ein paar Eier auf, doch Leo bat sie, sich zu ihm zu setzen und ein bisschen mit ihm zu plaudern, bevor sie mit dem Frühstück weitermachte.

Brianna wurde rot und gehorchte, doch es machte sie zunehmend nervös. Sie warf Leo einen schnellen Blick zu, und sein gutes Aussehen und die starke Ausstrahlung machten sie erneut atemlos. „Es gibt viel zu tun, wenn man einen Pub führt.“ Hastig, um ja kein peinliches Schweigen aufkommen zu lassen, fügte sie hinzu: „Und wie gesagt, ich habe niemanden, der sich die Verantwortung mit mir teilt.“

Leo war wider Willen fasziniert. „Ein seltsames Leben haben Sie sich da ausgesucht“, murmelte er.

„Es war eher so, dass dieses Leben mich ausgesucht hat.“

„Erklären Sie mir das näher.“

„Interessiert Sie das wirklich?

„Sonst würde ich nicht fragen.“ Er war gespannt gewesen, ob sie wirklich so hübsch war, wie es ihm gestern erschienen war. Vielleicht hatte ihr ja die schummrige Beleuchtung des Pubs geschmeichelt, und in Wirklichkeit sah sie ganz durchschnittlich aus. Nun stellte Leo jedoch fest, dass sein erster Eindruck nicht getrogen hatte. Ganz im Gegenteil. Sie war von einer ätherischen, engelhaften Schönheit, die ihn dazu brachte, sie bei jeder Gelegenheit mehr oder weniger unverhohlen anzustarren. Sein Blick löste sich von ihrem Gesicht und wanderte zu ihren Brüsten. Sie waren klein und hoch und zeichneten sich kaum unter dem weiten Männerpullover ab, der, wie Leo annahm, einmal ihrem Vater gehört hatte.

„Mein Dad ist ganz unerwartet krank geworden und kurz darauf gestorben. Vielleicht gab es auch Anzeichen, und ich habe sie nicht bemerkt. Ich war zu der Zeit an der Uni und nicht so oft zu Hause, wie ich es hätte sein sollen. Außerdem hat er nie viel Aufhebens um seine Gesundheit gemacht.“

Brianna war erstaunt, wie leicht ihr die Worte über die Lippen kamen, wo sie doch seit dem Tod ihres Vaters von Schuldgefühlen geplagt wurde. Sie konnte Leos Aufmerksamkeit fast körperlich spüren, was ebenso schmeichelhaft wie beunruhigend war.

„Er hat eine Menge Schulden hinterlassen …“ Sie räusperte sich und blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an. „Ich vermute, dass er schon seit Längerem nicht mehr die Kraft hatte, das Geschäft richtig zu führen und es mir verschwiegen hat, weil er mich nicht belasten wollte. Bei der Bank waren sie sehr verständnisvoll, doch um die Schulden zurückzahlen zu können, musste ich den Pub an seiner Stelle übernehmen. Ich habe eine Zeit lang versucht, ihn zu verkaufen, aber es hat sich kein Interessent gefunden. Im Sommer läuft das Geschäft gut, doch außerhalb der Saison ist hier wirtschaftlich der Hund begraben. Naja, ich nehme an, Sie müssen jetzt auch jeden Cent zweimal umdrehen, nachdem Sie Ihren Job aufgegeben haben.“

Leo verzichtete darauf, ihre letzte Bemerkung zu kommentieren. „Also sitzen Sie seitdem hier fest“, fasste er zusammen. „Gibt es denn keinen Partner, der Sie unterstützen könnte?“

„Nein.“ Brianna wich seinem Blick aus und stand auf. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt weitermachen. Bei dem Schnee ist zwar kaum mit Gästen zu rechnen, aber falls doch einer auftaucht, soll es hier nicht völlig verwahrlost aussehen.“

Es hat also einen Mann gegeben, dachte Leo. Und es war nicht gut ausgegangen. Wahrscheinlich hat er die Zeit mit ihr genossen, solange es keine Probleme gab, und war beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten in der Versenkung verschwunden. Er verspürte einen Anflug von Zorn und Verachtung gegenüber dem Versager, der diese zauberhafte Frau zu einem freudlosen Leben voller Plackerei verurteilt hatte. Dann erinnerte er sich daran, dass Briannas Schicksal ihn nichts anging. Er war lediglich hier, um Informationen zu sammeln.

„Ich will Sie wirklich nicht ausnutzen“, unterbrach sie seine Überlegungen. „Aber wenn Ihr Hilfsangebot von gestern ernst gemeint war, könnten Sie vielleicht versuchen, einen Durchgang durch den Schnee zu schaufeln. Natürlich nur, falls es zu schneien aufhört. Dann können meine Gäste wenigstens bis zur Tür kommen.“ Sie ging zu einem der Fenster und runzelte die Stirn. „Sieht nicht sehr vielversprechend aus. Was werden Sie tun, wenn sich das Wetter nicht beruhigt?“ Brianna drehte sich zu ihm und sah ihn fragend an.

„Es muss sich beruhigen“, meinte Leo trocken. „Ich kann es mir nicht leisten, sehr viel länger als geplant zu bleiben.“

„Sie könnten auf jeden Fall einen Schneesturm in Ihren Roman einbauen“, schlug sie vor.

„Gute Idee.“ Leo ging zu ihr und nahm den blumigen Duft ihres Haares wahr, das sie wieder zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Es juckte ihn in allen Fingern, die Spange zu lösen … nur um zu sehen, wie lang es war. Als er bemerkte, dass sie unruhig vor ihm zurückwich, sagte er: „Ich werde mal sehen, was ich gegen den Schnee tun kann. Sie müssen mir allerdings zeigen, wo ich das nötige Werkzeug finde.“

Brianna grinste. „Das Werkzeug besteht aus einer Schaufel und einem Sack Streusand.“ Unauffällig vergrößerte sie den Abstand zwischen ihnen noch ein wenig. Seine unmittelbare Nähe machte sie unglaublich nervös.

„Machen Sie das sonst immer selbst?“, fragte Leo, als er kurz darauf mit einer Schaufel bewaffnet die Tür öffnete.

„Nur wenn ich denke, dass es etwas bringt. Manchmal habe ich zwei Stunden gebraucht, einen Pfad freizuschaufeln, nur um zusehen zu müssen, wie er innerhalb von fünf Minuten wieder zuschneite.“ Sie musterte kritisch seine Jeans. „Mit der Hose können sie unmöglich hinausgehen, die wird ja völlig durchweicht. Sie haben vermutlich keine wasserdichte Kleidung dabei?“

Leo lachte, als hätte sie einen besonders guten Witz gemacht. „Leider hatte ich nicht genügend Weitblick, mich für einen Schneesturm auszurüsten, also werde ich wohl so hinaus müssen.“

Er machte sich an die Arbeit und stellte fest, dass der Kampf mit den Elementen eine ganz neue Art von körperlicher Herausforderung war. Hier gab es nicht den gepflegten Komfort seines teuren Fitnesscenters mit den perfekt geschmierten Geräten. Dies war unverfälschte, raue Natur. Als er nach eineinhalb Stunden das Ergebnis seiner Anstrengungen begutachtete, breitete sich auf dem schmalen Pfad bereits wieder eine dichte Schneedecke aus.

Seine Hände schmerzten und seine Finger waren vor Kälte schon ganz taub, aber verdammt, es war ein unglaublich belebendes Gefühl! Ja, er hatte sogar vergessen, warum er überhaupt in dieses gottverlassene Nest gekommen war. All seine Gedanken waren ausschließlich auf das Schneeschieben fokussiert.

Um ihn herum herrschte endloses Weiß. Der Pub stand etwas außerhalb von Ballybay und war von offenen Feldern umgeben. Den Arm auf die Schaufel gestützt, blickte Leo sich um und empfand ein seltsames Gefühl von Frieden und Ehrfurcht.

Er machte noch eine Stunde weiter, wild entschlossen, sich nicht in die Knie zwingen zu lassen. Doch schließlich gab er auf und kehrte ins warme Haus zurück, wo ein gemütliches Feuer brannte und ihm ein verlockender Duft aus der Küche entgegenwehte.

„Ich habe gegen den Schnee gekämpft …“, verkündete er beim Eintreten und fühlte sich dabei wie ein Höhlenmensch, der von einer aufreibenden Jagd zurückkehrte. „Und der Schnee hat gewonnen. Rechnen Sie heute besser nicht mit weiteren Gästen. Irgendetwas riecht hier gut.“

„Normalerweise mache ich kein Mittagessen für Gäste“, informierte Brianna ihn.

„Ich werde Sie fürstlich für Ihre Anstrengungen bezahlen.“ Leo unterdrückte einen Anflug von Ärger. Es gab eine Menge Frauen, die sich darum reißen würden, etwas für ihn zu kochen, während Brianna es offenbar nur tat, weil sie keine Wahl hatte. Sie saß hier mit ihm fest und konnte ihn wohl kaum verhungern lassen, nur weil kein Mittagessen im Zimmerpreis inbegriffen war.

„Es ist nichts Besonderes.“ Sie sah ihn an, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Sie müssen sich dringend umziehen“, stellte sie fest. „Sie sind ja völlig durchgeweicht. Wenn Sie mir Ihre nassen Sachen geben, kann ich sie in meinem Privatbereich vor dem Kaminfeuer trocknen.“

Leo zog die Brauen hoch. „Privatbereich?“

Sie lehnte sich mit den Händen hinter dem Rücken gegen die Arbeitsplatte. „Ich weiß, das klingt etwas hochtrabend. Eigentlich sind es nur drei kleine Zimmer, Küche, Bad und ein Alkoven, in dem mein Vater immer die Buchhaltung gemacht hat. Dort bin ich aufgewachsen. Ich habe es geliebt, wenn es hier voll war und ich durch die Fremdenzimmer stromern und den Gästen Tee und Kaffee bringen konnte. Damals hatten alle mehr Geld, und das Geschäft lief viel besser.“

Sie wirkte fröhlich, als sie sich an diese Zeit erinnerte, aber Leo hätte ein so beschränktes Leben in den Wahnsinn getrieben.

Dennoch hätte es sein Schicksal sein können, ebenfalls hier aufzuwachsen, wobei er nicht einmal den relativen Komfort eines gemütlichen Gasthauses gehabt hätte. Wahrscheinlich wäre er in irgendeiner verwahrlosten Bruchbude von einer Säuferin oder Fixerin aufgezogen worden, wenn sie nicht beschlossen hätte, ihn gleich nach der Geburt wieder loszuwerden. Wer sonst, wenn nicht eine durch und durch kaputte Existenz wäre fähig, sein neugeborenes Kind bedenkenlos in fremde Hände zu geben? Kein sehr erbaulicher Gedanke.

„Ich könnte Ihnen ein paar von Dads alten Hemden anbieten“, schlug Brianna vor. „Ich lege sie vor Ihre Zimmertür, und Sie können mir Ihre Jeans zum Waschen geben.“

Sie hatte nie wahrgenommen, wie einsam es war, ganz allein über dem Pub zu wohnen. Bis sie vor ihrem Kleiderschrank stand, Hemden heraussuchte und den Gedanken genoss, sie jemandem geben zu können. Jemanden zu haben, der mit ihr hier wohnte, auch wenn es nur ein Durchreisender war, den das schlechte Wetter hierher verschlagen hatte.

Zehn Minuten später stand sie mit einem Bündel Flanellhemden und einer langärmeligen Thermoweste vor Leos Tür und klopfte leise an. Als darauf keine Reaktion erfolgte, bückte sie sich, um die Sachen auf der Schwelle abzulegen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Brianna erblickte kräftige, mit einem Flaum dunkler Haare bedeckte Waden. Ihr Blick wanderte aufwärts, und sie sah die dazugehörigen Oberschenkel. Lang, muskulös und nackt! Ihr Mund wurde trocken, als sie sich langsam erhob, die Hemden fest gegen die Brust gepresst, als wollte sie ihre Sinne gegen den überwältigenden visuellen Eindruck schützen.

„Sind die für mich?“

Brianna stand da wie in Trance und starrte ihn wortlos an.

„Die Sachen …“ Leo hob amüsiert eine Braue, während er ihre glühend roten Wangen und die halb geöffneten Lippen betrachtete. „Die kommen mir jetzt sehr gelegen. Natürlich können Sie alles auf die Rechnung setzen.“

Er trug Boxershorts und sonst nichts, sodass Brianna reichlich Gelegenheit hatte, seinen atemberaubenden Körper zu bewundern. Die breiten Schultern, die kräftigen Arme, den flachen, durchtrainierten Bauch … Er hatte gerade geduscht, und eins der billigen weißen Gästehandtücher hing um seinen Nacken.

Brianna spürte, wie ihr die Knie weich wurden.

„Ich dachte, ich gebe Ihnen auch gleich mein Hemd“, sagte er und ließ dabei lässig den Wäschesack von seinem Zeigefinger baumeln. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, es ebenfalls zu waschen, wäre ich überaus dankbar. Ich bin, wie gesagt, leider nicht fürs Schneeräumen ausgerüstet.“

Brianna blinzelte verwirrt wie ein Teenager, während er sie lächelnd betrachtete.

Bestimmt amüsiert er sich gerade königlich auf meine Kosten, dachte Brianna verärgert. Und sie spielte ihm noch in die Hände, indem sie ihn angaffte, als hätte sie noch nie einen nackten Mann gesehen. Wahrscheinlich hielt er sich jetzt für das interessanteste Wesen, das jemals hier aufgetaucht war.

„Vielleicht hätten Sie daran denken sollen“, erwiderte sie schnippisch. „Nur ein Dummkopf würde mitten im Winter hierher kommen und sich nicht auf heftigen Schnee vorbereiten!“ Mit einer brüsken Bewegung nahm sie ihm den Wäschebeutel ab und drückte ihm im Gegenzug das Kleiderbündel in den Arm.

Wie bitte? Hat sie mich wirklich gerade als Dummkopf bezeichnet?

„Ich habe weder die Zeit noch die Energie, ständig Ihre Wäsche zu waschen, nur weil Sie nicht auf schlechtes Wetter vorbereitet waren“, schimpfte sie weiter und riss sich entnervt vom Anblick seiner provozierend breiten Brust los. „Im Übrigen schlage ich vor, dass Sie sich etwas überziehen. Ich habe nämlich erst recht nicht die Muße, Sie zu pflegen, wenn Sie eine Grippe bekommen.“

Leo versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal so von einer Frau abgekanzelt wurde, und kam zu dem Schluss, dass es noch nie vorgekommen war. Er wusste nicht recht, ob er verärgert, gekränkt oder belustigt sein sollte.

Schließlich entschied er sich für Letzteres.

„Die Botschaft ist klar und deutlich angekommen“, teilte er Brianna mit einem breiten Grinsen mit, dann lehnte er sich lässig gegen den Türrahmen. So ernsthaft die Gründe für seine Stippvisite auch waren – er konnte nicht leugnen, dass die Situation ihm Spaß machte.

„Und was die Grippe angeht, kann ich Sie beruhigen. Ich verfüge zum Glück über eine stählerne Gesundheit und hatte noch nie Fieber. Sie werden sich also nicht in Ihre Krankenschwesterntracht schwingen und mich umsorgen müssen.“ Leider, hätte er fast gesagt, denn die Vorstellung war nicht ohne Reiz.

Eine Weile ließ er den Blick seiner dunklen Augen auf ihr ruhen. „Ich bin gleich unten“, murmelte er schließlich. „Und nochmals danke für die Sachen.“

Brianna fühlte sich immer noch erhitzt und nervös, als Leo eine halbe Stunde später die Küche betrat. In der Zwischenzeit hatte sie einen der Tische im Gastraum sorgfältig für eine Person gedeckt, jetzt schmeckte sie gerade die Gemüsesuppe ab, die sie für ihn gekocht hatte.

„Sie erwarten doch nicht, dass ich allein esse!“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, machte Leo sich auf die Suche nach dem Geschirr und gab einen zufriedenen Laut von sich, als er auf Anhieb den richtigen Schrank fand. „Sie haben doch nicht vergessen, dass wir reden wollten, oder? Ich will so viel wie möglich über die Bewohner von Ballybay erfahren. Da sind sicher diverse Anregungen für mein Buch dabei.“

Er stellte den Teller auf den Tisch, legte den Löffel daneben und setzte sich wieder. Es war hochgradig unwahrscheinlich, dass sich ein ernsthaft ambitionierter Autor in der vagen Hoffnung auf Inspiration auf eine planlose Reise nach Irland begab. Aber bisher hatte es als Ausrede funktioniert, und nur das zählte. „Danach tue ich alles, was Sie von mir verlangen“, versprach er.

„Da gibt es nicht viel zu tun“, meinte Brianna. „Wie es aussieht, wird es noch eine Weile weiterschneien. Ich habe gerade Aidan angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Pub geschlossen bleibt, bis das Wetter besser wird.“

Leo zog die dunklen Brauen hoch. „Aidan …?“

„Einer meiner Stammgäste. Er ist ein großes Plappermaul, daher kann ich mich darauf verlassen, dass die Botschaft überall die Runde macht.“

„Ist er der alte Möchtegern-Opernsänger?“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Nein, das ist Connor. Aidan ist so alt wie ich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.“ Sie füllte eine Kelle Suppe in seinen Teller, gab etwas Brot dazu und bot ihm ein Glas Wein an, aber er wollte lieber Wasser.

„Dann ist er vielleicht der Typ, der Ihnen das Herz gebrochen hat?“, hakte Leo nach. „Nein“, korrigierte er sich gleich darauf selbst, „das kann nicht sein. Der Missetäter ist schon lange verschwunden, stimmt’s?“

Brianna rief sich ins Bewusstsein, dass dies keine gemütliche Plauderei mit einem alten Freund war. Leo war Gast in ihrem Pub, ein Fremder auf der Durchreise, mehr nicht. Ihm Details über ihr Privatleben anzuvertrauen, wäre unangebracht. Es war okay, ihm von den witzigen kleinen Begebenheiten zu erzählen, die sich in einer Kleinstadt wie dieser zutrugen, aber ihre Privatsphäre war tabu. Schließlich wollte sie sich nicht irgendwann in einem Roman über irische Hinterwäldler wiedererkennen.

„Ich erinnere mich nicht, Ihnen etwas von einem gebrochenen Herzen erzählt zu haben“, stellte sie fest. „Und ich glaube auch nicht, dass mein Privatleben Sie etwas angeht. Ich hoffe, die Suppe schmeckt Ihnen.“

Dieses Thema ist also ein wunder Punkt, vermerkte Leo im Stillen, doch er verzichtete darauf, weiter nachzubohren. Es hatte nichts mit dem zu tun, weswegen er hier war. Wenn er dennoch neugierig geworden war, lag es einfach daran, dass er hier aufgrund des Schnees festsaß und Brianna seine einzige Gesellschaft war. Da war sein Interesse an ihr nur natürlich.

„Warum servieren Sie hier eigentlich kein Essen? Das würde Ihre Einnahmen beträchtlich erhöhen. Sie wären überrascht, wie viele Leute selbst weite Wege in Kauf nehmen, wenn …“

„Warum erzählen Sie nicht etwas von sich?“, unterbrach Brianna ihn. „Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?“

„In dem Fall wäre ich nicht hier.“ Heirat und Kinder? Bisher hatte Leo weder das eine noch das andere auch nur erwogen. Er schob den leeren Suppenteller von sich, lehnte sich zurück und ließ seinen Stuhl leicht nach hinten kippen, damit er die langen Beine ausstrecken konnte.

„Was hat Sie dazu gebracht, plötzlich Ihren Job hinzuschmeißen und mit dem Schreiben anzufangen?“ Brianna brannte darauf, mehr über ihn zu erfahren. „Es muss doch eine schwere Entscheidung gewesen sein, ein sicheres Einkommen zugunsten eines Vabanquespiels aufzugeben, das sich vielleicht nie auszahlt.“

Leo verdrängte eine erneute Anwandlung von Gewissensbissen und sagte sich, dass in diesem Fall der Zweck die Mittel heiligte. Außerdem würde Brianna sowieso nie hinter seine kleine Notlüge kommen. Für sie würde er immer der geheimnisvolle Fremde bleiben, der kurz dagewesen und mit ein paar lustigen Anekdoten im Gepäck wieder seiner Wege gezogen war.

„Manchmal geht es im Leben gerade darum, etwas zu riskieren“, murmelte er.

Das letzte Mal, dass Brianna ein Risiko eingegangen war, lag schon so lange zurück, dass sie gar nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte. Danny hatte ihr den Mut dazu verliehen, und das Ergebnis war eine Katastrophe gewesen. Seitdem verlief ihr Leben in einer gleichmäßigen Routine, und sie hatte sich davon überzeugt, dass es ihr so gefiel.

„Manche Menschen sind mutiger als andere, wenn es um so etwas geht“, bemerkte sie ausweichend.

Leo kannte diese Taktik zur Genüge. Eine Frau streute ein paar halbe Informationen ein und hoffte, auf diese Weise sein Interesse zu wecken. Normalerweise reagierte er mit Zynismus darauf, aber dieses Mal war es anders. Brianna wusste nichts über ihn. Für sie war er nicht der reiche, begehrenswerte Junggeselle, sondern ein Schriftsteller ohne Job, der sich gerade so durchkämpfte. Zum ersten Mal erlebte er, wie es war, mit einer Frau Zeit zu verbringen, die nicht in erster Linie an seinem dicken Bankkonto interessiert war.

In diesem Fall war es sogar eine sehr schöne und unleugbar erotische Frau.

Leo lächelte und genoss das seltene Gefühl, ganz er selbst sein zu können. Verrückt, dass er dazu eine andere Identität hatte annehmen müssen! „Und Sie gehören nicht zu den Mutigen?“

Brianna begann, den Tisch abzuräumen. Sie hatte keine Ahnung, woher ihr plötzlicher Bekennerdrang kam. Fühlte sie sich mit Leo verbunden, weil auch er eine Künstlerseele besaß, die sich nach Verwirklichung sehnte? Oder war sie nur eine dieser vereinsamten Frauen, die bereit waren, jedem ihr Herz auszuschütten, der auch nur einen Funken Interesse an ihr zeigte?

In ihrem Kopf drehte sich alles, und sie war vollkommen durcheinander. Als Leo unvermittelt ihr Handgelenk umfasste, erstarrte Brianna förmlich. Das Gefühl seiner warmen, kräftigen Finger auf ihrer Haut wirkte elektrisierend. Es war, als würde sie auf einen Schlag zu neuem Leben erwachen. Sie wollte ihm ihre Hand entreißen und hoffte gleichzeitig, dass er sie noch eine Weile festhielt. Sie musste sich hinsetzen, da ihre Knie weich wurden.

Leo gab ihr Handgelenk frei, doch seine dunklen Augen ruhten weiter aufmerksam auf ihr.

„Es ist schwierig, ein Risiko einzugehen, wenn man Verpflichtungen hat …“ Brianna stellte fest, dass ihre Stimme alles andere als sicher klang. Leos markantes, ausdrucksvolles Gesicht nahm sie so gefangen, dass es ihr schwerfiel, ihre Gedanken in klare Worte zu fassen.

„Sie sind nur sich selbst gegenüber verantwortlich“, hielt sie Leo nach längerem Überlegen vor Augen. „Vermutlich haben Sie genug Geld gespart, um sich eine Auszeit zu gönnen und zu tun, wonach Ihnen ist. Ich dagegen fange erst gerade an, finanziell ein wenig Land zu sehen. Ich kann hier nicht einfach alles stehen und liegen lassen.“ Mit einer unbewussten Bewegung beugte sie sich zu ihm vor, als wäre er die Quelle ihrer Kraft … „Ich sollte jetzt wirklich weitermachen“, sagte sie schließlich leise.

„Warum?“, wollte Leo wissen. „Ich dachte, der Pub bliebe bis auf Weiteres geschlossen.“

„Ja, aber …“

„Sie müssen sich hier ziemlich einsam fühlen, so ganz allein.“

Brianna presste die vollen Lippen zusammen. „Ich bin nicht allein! Ich habe zahllose Freunde.“

„Aber ich nehme nicht an, dass Sie viel Zeit haben, um auch mit ihnen auszugehen.“

Brennende Röte schoss ihr ins Gesicht. Nein, dazu hatte sie in der Tat keine Zeit. Sie kam ja nicht einmal dazu, ihre Kunst als Hobby zu betreiben. Sie war in einer Art schlafwandlerischer Existenz gefangen, in der jeder Tag exakt dem vorangegangenen glich. Was für ein hassenswertes Bild von ihrem Leben!

Bevor sie irgendetwas davon aussprechen konnte, rief Brianna sich in Erinnerung, dass dieser Mann nur auf der Jagd nach spannendem Material für sein Buch war. An ihr als Person war er nicht im Geringsten interessiert.

„Werde ich in Ihrem Roman die traurige alte Jungfer sein?“ Sie hörte, wie unecht ihr Lachen klang, und riss sich zusammen. „Halten Sie sich lieber an die anderen, die hier leben“, riet sie ihm. „Davon haben Sie bestimmt mehr.“ Der Drang, wieder eine gesunde Distanz zu ihm herzustellen, verlieh Brianna die Kraft, sich resolut von ihrem Stuhl zu erheben.

Wie konnte sie es zulassen, dass dieser Fremde mit solch atemberaubendem Tem...

Autor

Leah Ashton

Anders als viele unserer Autorinnen hat Leah Ashton nicht immer vorgehabt, selbst zu schreiben. Sie hat zwar schon als Kind alles gelesen, das ihr in die Finger kam – von Büchern bis hin zur Rückseite der Cornflakes-Verpackung beim Frühstück –, doch ans Schreiben dachte sie erst nicht. Eines Tages entdeckte...

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Julia James
Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills & Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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