Julia Extra Band 260

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Die Liebe trifft Vanessa wie der Blitz, als sie in Paris dem umwerfend attraktiven Millionär Markos begegnet. Aber wird sie für ihn jemals mehr sein als nur die perfekte Geliebte?


  • Erscheinungstag 05.12.2006
  • Bandnummer 260
  • ISBN / Artikelnummer 9783863490775
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

image

Julia James

Eine Liebe in Paris

Der attraktive Millionär Markos ist Vanessas große Liebe. Doch schon bald muss sie entdecken, dass er in ihr nicht mehr zu sehen scheint als eine perfekte Geliebte …

Miranda Lee

Sehnsucht nach deinen Küssen

Zwischen Leah und Jason liegt vom ersten Moment an erotisches Prickeln in der Luft. Aber auch wenn sie ihn heiß begehrt, bleibt er immer noch ihr Chef. Und Liebe im Büro ist für sie tabu …

Susan Stephens

Nur ein kurzer Traum vom Glück?

Mirandas sehnlichster Traum geht in Erfüllung, als sie den faszinierenden griechischen Milliardär Theo Savakis heiratet. Doch schon bald ziehen dunkle Wolken am Liebeshimmel herauf …

Trish Wylie

Die irische Braut

Je stärker Maggie den aufregenden Iren Sean begehrt, desto mehr fürchtet sie plötzlich, nicht die Richtige für ihn zu sein …

image
 

Julia James

Eine Liebe in Paris

1. KAPITEL

Gemächlich schlenderte Markos Makarios über den Vorplatz von Notre Dame. Die vielen Touristen, die die berühmte Kathedrale am südlichen Ende des Platzes besuchten, störten ihn nicht. Manchmal war es gut, sich unter Menschen zu begeben. Nicht, dass seine Leibwächter sonderlich glücklich darüber waren. Taki und Stelios folgten ihm in diskretem Abstand und würden sich erst entspannen, wenn er wieder sicher in der Limousine saß.

Aber der warme Septembertag war viel zu schön, um in einer Limousine zu sitzen, Paris durch getönte Scheiben zu betrachten und dabei die aktuellen Kommuniqués seiner Manager aus ganz Europa zu lesen. Es war richtig gewesen, auf der Île de la Cité auszusteigen. Außerdem war der Verkehr so dicht, dass er sein Ziel, die Île St Louis, zu Fuß wahrscheinlich schneller erreichte.

Allerdings hatte er es auch nicht eilig, seinen Termin einzuhalten. Der Lunch mit dem Generaldirektor der französischen Firma, mit dem er im Moment in Verhandlungen stand, würde eine weitschweifige und ermüdende Angelegenheit werden.

Ein Gefühl von Langeweile stieg in ihm auf. Dieses Gefühl verspürte er in letzter Zeit immer häufiger, was ihn ebenso ärgerte wie das bevorstehende Essen. Gab es doch keinen Grund, sich zu langweilen. Überhaupt keinen. Er stand in der Blüte seines Lebens, war bei bester Gesundheit und führte mit seinen dreiunddreißig Jahren ein Leben, um das ihn jeder andere Mann beneidet hätte.

Markos besaß alles, was er sich wünschen konnte: Geld, Immobilien in allen Teilen der Welt, eine Yacht im Mittelmeer, eine weitere in der Karibik, einen eigenen Jet, Luxuswagen und natürlich so viele wunderschöne Frauen, wie er wollte. Nur auf eine Sache in seinem Leben hatte er frustrierenderweise keinen Einfluss: auf die konstanten Aufforderungen seines Vaters, endlich zu heiraten, Kinder zu zeugen und die Makarios-Dynastie fortzusetzen.

Trotzdem langweilte er sich.

Dieses Gefühl musste er vertreiben. Mit welchen Mitteln auch immer. Und sei es mit einem Spaziergang über einen der berühmtesten Plätze von Paris – wie ein ganz gewöhnlicher Tourist. Vor ihm erhoben sich die beiden Kirchtürme, darunter das Fenster mit der Rosette und die gotischen Bögen der Eingänge. Um ihn herum unterhielten sich Menschen in den verschiedensten Sprachen, Kameras blitzten, und Reiseführer machten die Runde.

„Lassen Sie mich jetzt endlich in Ruhe?!“

Die zornige Stimme rechts von ihm erweckte seine Aufmerksamkeit. Während er den Kopf wandte, bemerkte er zwei Dinge. Die Sprecherin hatte englisch gesprochen und nicht französisch, und sie war die atemberaubendste Frau, die er seit langem gesehen hatte.

Zuerst fielen ihm ihre Haare auf. Wunderbare lange rotgoldene Locken – fast bis zur Hüfte. Einen Moment war er wie geblendet. Dann wanderte sein Blick zu ihrem Gesicht.

Sie hätte einem Gemälde von Raffael entstiegen sein können. Ein ovales Gesicht, helle Haut, glänzende Augen und ein sinnlicher Mund. Aber in ihren Zügen lag nicht die ruhige Gelassenheit eines Gemäldes. Markos’ Mundwinkel zuckten amüsiert – ruhig und gelassen waren die letzten Worte, die im Augenblick zu ihr passten.

Sie bebte vor Zorn, und ihre braunen Augen blitzten.

Und er wusste auch, warum.

Zwei junge Männer blockierten ihren Weg und blinzelten einander verschwörerisch zu. Einer von ihnen sprach in gebrochenem Englisch auf sie ein und versuchte, sie zu einem Drink zu überreden.

„Nein!“, entgegnete die Rothaarige wütend. „Lassen Sie mich in Ruhe.“

Stattdessen ergriff der andere Mann ihr Handgelenk. Als sie sich befreien wollte, lachte er nur und wiederholte die ungebetene Einladung.

Ganz automatisch ging Markos auf die Gruppe zu. Hart und autoritär stieß er einige Sätze auf Französisch aus, woraufhin die beiden jungen Männer erstarrten. Markos fügte ein weiteres einsilbiges Wort hinzu und lächelte. Ein völlig humorloses Lächeln.

Augenblicklich ließ der Mann das Handgelenk der Frau los. Ohne weitere Umstände verschwanden die zwei in der Menschenmenge.

Merci, monsieur.“

„Gern geschehen“, erwiderte Markos auf Englisch. Dank seiner britischen Mutter sprach er ohne Akzent, ein Umstand, der überhaupt nicht zu seinem südländischen Äußeren passte.

Dass die Frau diese Unstimmigkeit registrierte, war nicht zu übersehen.

Und er sah, dass sie noch etwas anderes wahrnahm. Etwas, bei dem er tiefe Befriedigung empfand. Er wartete einen Moment, dann murmelte er: „Ich fürchte, das waren nicht die Letzten, die Sie behelligen werden.“

„Warum können die mich nicht in Ruhe lassen?“, rief sie verärgert.

Markos lachte. Diesmal aufrichtig. „Weil dies Paris ist. Und hier verfolgen Männer wunderschöne Frauen nun einmal.“

„Das ist so lästig“, sagte sie. „Und dumm. Welcher Mann glaubt ernsthaft, eine Frau würde sich auf so ein Angebot einlassen?“

„Was Sie brauchen“, erwiderte er sanft, „ist ein Leibwächter.“

Ihr Blick ruhte auf ihm. In ihren Augen lag Unsicherheit, nicht Verärgerung. Und noch etwas anderes.

Die Unsicherheit gewann die Oberhand.

„Guten Tag, monsieur. Ich danke Ihnen für das, was Sie für mich getan haben.“ Damit wandte sie sich um und ging.

Markos sah ihr nach. Sie kam ungefähr zwanzig Meter weit, bevor ein hagerer Skandinavier mit einem Reiseführer in der Hand sie aufhielt, etwas fragte und dann einladend auf die Kathedrale deutete. Kopfschüttelnd ging sie um den Skandinavier herum und kreuzte den Weg eines Nordafrikaners, der nun seinerseits die Richtung änderte, neben ihr herging und ihre ablehnenden Gesten komplett ignorierte.

Ohne seinen gemächlichen Gang zu beschleunigen, schlenderte Markos ihr hinterher. Das Gefühl der Langeweile war verschwunden. Komplett.

Es war einfach unerträglich! Gleich an ihrem ersten Tag in Paris wurde sie ununterbrochen belästigt. Dabei wollte sie sich lediglich einen seit Jahren gehegten Traum erfüllen: die schönste Stadt Europas besichtigen.

„Verschwinden Sie“, fauchte sie denjenigen an, der sie gerade ansprach.

„Eenglische?“, fragte der Mann und grinste. „Ich zeige dir gute Zeit.“

Hinter ihr erklang eine neue Stimme. Auch wenn sie die Sprache nicht kannte, die Stimme erkannte sie sofort.

Es war wieder dieser Mann. Der die beiden Franzosen vertrieben hatte. Der gesagt hatte, dass sie in Paris sei und damit rechnen müsste, belästigt zu werden. Und dass sie einen Leibwächter bräuchte.

Groß und muskulös, bewegte er sich mit einer Eleganz, die etwas Sinnliches an sich hatte. Seine Haare waren dunkel, die Haut gebräunt. Welcher Nationalität er angehörte, konnte sie nicht sagen. Mit ihr hatte er englisch gesprochen, französisch mit den beiden Kerlen von vorhin und gerade wieder eine andere Sprache.

Wo auch immer er herkam, er raubte ihr den Atem. Nie zuvor hatte sie einen attraktiveren Mann gesehen.

Doch sie durfte nicht etwas so Dummes tun wie auf sein Äußeres reagieren. Einen Mann, selbst einen gut aussehenden Mann, auf irgendeine Art zu ermutigen, hätte fatale Folgen.

Der Nordafrikaner war mittlerweile verschwunden.

„Vielen Dank“, sagte sie so steif sie konnte zu ihrem Retter.

Aber ihre Reserviertheit beeindruckte ihn nicht im Geringsten. „Sie brauchen wirklich einen Leibwächter“, stellte er fest. „Diese ausländischen Strolche sind wahre Teufel.“ Dabei funkelten seine Augen belustigt.

Sie lächelte. „Möchten Sie damit sagen, Sie wären kein ‚ausländischer Strolch‘?“

„Ich bin wahrscheinlich mehr Engländer als Sie“, erwiderte er.

„Wie bitte?“, fragte sie überrascht.

„Nur Kelten haben rote Haare.“

„Meine Großmutter stammt aus Schottland“, gestand Vanessa.

Irgendetwas an ihrer Stimme war falsch. Sie klang atemlos, mit einem höheren Tonfall als sonst. Selbst wenn der Fremde sie zweimal vor ungewollten Bewunderern gerettet hatte, durfte sie nicht hier stehen und sich mit ihm unterhalten.

„Wissen Sie“, fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen, „es gibt keinen Grund, misstrauisch zu sein. Ich bin wirklich sehr anständig. Und falls Sie es mir erlauben“, in seine Stimme hatte sich wieder diese sanfte Note geschlichen, die ein seltsames Kribbeln in ihrem Magen auslöste, „wäre ich mehr als glücklich, mit Ihnen Notre Dame zu besichtigen und Sie zu beschützen.“

In seinem Lächeln konnte Vanessa außer Höflichkeit nichts entdecken. Einen Augenblick war sie enttäuscht.

Sie biss sich auf die Lippen und wandte den Blick ab. Deshalb sah sie nicht, wie seine grauen Augen aufblitzten. Als sie ihn wieder ansah, war seine Miene gleichmütig.

Er ist ein Geschäftsmann, dachte sie. Er trägt einen Anzug. Sehr elegant. Sehr formell. Sehr anständig.

Er hat mir nur einen Spaziergang angeboten. Das ist alles. Er hat nicht um eine leidenschaftliche Nacht gebeten! Und er hat bewiesen, dass er zudringliche Kerle von dir fernhalten kann …

Nach einem tiefen Luftzug hob sie das Kinn.

„Vielen Dank“, sagte sie. „Das wäre sehr freundlich.“

Markos beobachtete, wie sich die Rothaarige von ihm abwandte und auf das konzentrierte, was die Stimme aus dem Kopfhörer ihr beschrieb. Mit etwas anderem um die Aufmerksamkeit einer Frau konkurrieren zu müssen, war neu für ihn. Doch andererseits erlaubte ihm ihre Versunkenheit, sich auf ihre Schönheit zu konzentrieren.

Und die war bemerkenswert.

Alles an ihr – von den fantastischen roten Haaren über ihren zierlichen Hals, die hohen Wangenknochen und die helle Haut, bis zu der Anmut ihres schlanken, aber wohlproportionierten Körpers – war außergewöhnlich. Und dass sie sich ihrer Attraktivität nicht bewusst zu sein schien, machte sie noch verführerischer. Ein kleines Lächeln umspielte Markos’ Lippen.

Bewundernd betrachtete er ihren schlanken Körper, die Rundungen ihrer Brüste, die schmale Taille und die langen Beine. Selbst in dem nichtssagenden Kleid, das sie trug, sah sie hervorragend aus. Markos ließ seiner Fantasie freien Lauf und stellte sich vor, wie ihre Schönheit durch Haute-Couture-Mode erst richtig zur Geltung käme.

Und natürlich Schmuck. In Paris gab es einige der besten Juweliere der Welt. Doch wenn er etwas wirklich Besonderes für sie haben wollte, wusste er, an wen er sich wenden musste. Seinem Cousin Leo Makarios war es gerade gelungen, die berühmte, aber lange verschollene Levantsky-Kollektion der russischen Zarenfamilie zu erwerben.

Was ihr wohl besser stehen würde? Saphire oder Smaragde? Oder beides?

So oder so wäre es ein großes Vergnügen, das herauszufinden.

Von dem Vergnügen, ihre Schönheit in seinem Bett zu erforschen, gar nicht erst zu sprechen.

Befriedigung und Vorfreude durchströmten ihn. Plötzlich war das Leben viel interessanter geworden.

Damit sie das in allen Regenbogenfarben schillernde Licht, das durch die Zwischenräume des Rosenfensters in die Kathedrale drang, besser sehen konnte, legte Vanessa den Kopf zurück. Die Stimme aus dem Kopfhörer informierte sie über Daten, Könige und die Techniken, mit denen im Mittelalter Glas hergestellt wurde. Trotz all seiner interessanten Details musste der Audioführer mit einer sehr ernstzunehmenden Ablenkung konkurrieren.

Einer Ablenkung, die ihre Blicke wie magisch anzog. Doch so groß die Versuchung auch war, sie zwang sich zu widerstehen. Sie war hier, um Paris zu sehen, und nichts anderes.

Als ihr Großvater im Frühling gestorben war, hatte sie sich diese Reise geradezu verordnet. Drei Jahre zuvor war seine Frau ganz unerwartet verstorben, und seitdem war es mit seiner Gesundheit bergab gegangen.

Nach dem tödlichen Verkehrsunfall ihrer Eltern hatten ihre Großeltern sie großgezogen. An ihre richtigen Eltern hatte sie keine Erinnerungen mehr. Ihre Großeltern hatten sich liebevoll, jedoch auch überfürsorglich um sie gekümmert. Als Kind hatten ihre Großeltern ihr Leben und ihre Sicherheit bedeutet. Doch als sie älter geworden war, hatte sich das Verhältnis umgekehrt und sie plötzlich für ihre Großeltern gesorgt.

Deshalb hatte sie auch leichten Herzens auf das verzichtet, was die meisten Mädchen in ihrem Alter sich wünschten. Sie war zufrieden damit, am örtlichen College Bibliothekswissenschaften zu studieren, anstatt Kunst oder Sprachen an einer Universität im Ausland. So konnte sie zusammen mit ihren Großeltern in dem gemütlichen viktorianischen Haus in der netten Kleinstadt im Süden Englands wohnen bleiben. Und anstatt in den Ferien die Welt mit Zelt und Rucksack zu erkunden, arbeitete sie in der öffentlichen Bibliothek und las in Büchern von fernen Ländern. Statt auf Partys zu gehen und sich zu verlieben, besuchte sie mit ihren Großeltern Theater und Konzerte für klassische Musik.

Lange führte sie ein Leben, das nicht unbedingt zu ihrem Alter passte, ruhig und eingeschränkt, aber sie hatte es nie bedauert. War sie sich doch immer schmerzhaft bewusst, dass es nicht von Dauer sein würde.

Und nun waren ihre Großeltern tot. Vanessa hatte alle Zeit der Welt für sich. Sie empfand ein Gefühl von Freiheit, gemischt mit Traurigkeit, weil sie keine Familie mehr hatte und niemand irgendwo auf sie wartete.

Aber trotz aller Traurigkeit war sie seit ihrer Ankunft am Pariser Flughafen vor wenigen Stunden auch aufgeregt. Alles erschien ihr wunderbar, bezaubernd und spannend – mit der Metro zu fahren, ihre Französischkenntnisse an echten Franzosen auszuprobieren, mit vor Staunen offenem Mund und dem Koffer in der Hand durch die Straßen zu der kleinen Pension, in der sie ein Zimmer reserviert hatte, zu schlendern. Sie wollte sich so viel wie nur möglich ansehen.

Notre Dame war ihr erstes Ziel. Schon aus der Ferne hatte sie die große Kathedrale, die wie ein Schiff auf der Île de la Cité in der Seine lag, gesehen und sich auf dem kürzesten Weg dorthin gemacht.

So wie jeder Mann in Paris sich offensichtlich auf dem kürzesten Weg zu ihr gemacht hatte.

Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen, dachte sie verärgert. Auch wenn sie nicht im Geringsten interessiert war, ließen sich die Männer nicht abschütteln!

Ihr Blick löste sich von den Deckenschnitzereien, über die der Audioführer gerade sprach.

Jetzt wurde sie nicht belästigt. Der Mann an ihrer Seite kümmerte sich darum. Und er selbst belästigte sie glücklicherweise auch nicht.

Und wenn er es täte, wäre es dann eine Belästigung?

Frech wanderte dieser Gedanke in ihrem Kopf herum. Vanessa drängte ihn zurück, aber der Schaden war bereits angerichtet.

Aus welchem Land mag er wohl kommen?

Verstohlen sah sie noch einmal zu ihm hinüber. Gerade betrachtete er die Kanzel vor dem Altar und bemerkte nicht, dass sie ihn ansah.

Ihr heimlicher Blick gab ihr keine weiteren Informationen als den Mittelmeerraum preis. Nun, seine Herkunft ging sie aber auch gar nichts an, denn bald wäre die Führung beendet, sie würde sich höflich bei ihm bedanken, und er würde gehen, da seine gute Tat des Tages getan war.

Sie würde ihn nie wiedersehen.

„Fertig?“

Vanessa nahm die Kopfhörer ab, schaltete den Audioführer aus und nickte.

„Ja. Ist Notre Dame nicht ein fantastisches Bauwerk?“ Ihre Stimme klang atemlos, und ihre Augen funkelten. Wie zwei goldene Seen, dachte er.

„Dabei hatte ich Angst, es wäre gar nicht so wundervoll, wie alle behaupten“, fuhr Vanessa fort, „aber das ist es! Das Rosenfenster ist einfach unglaublich! Und die Deckengemälde! Aber bestimmt haben Sie das schon oft gesehen …“

Beschämt über ihren Redeschwall, hielt sie inne.

„Seit vielen Jahren nicht mehr. Und was ich noch nie getan habe“, meinte er, und sein Tonfall bekam einen nachdenklichen Klang, „ist, die Türme zu besichtigen. Ich hatte es immer vor.“ Ganz kurz trafen sich ihre Blicke, auf ihrem Gesicht zeichnete sich Überraschung ab. Markos lächelte. „Hatten Sie vor hinaufzusteigen?“

„Ja“, erwiderte sie zögernd.

Wieder durchströmte Markos Befriedigung. Mochte sie auch die letzte halbe Stunde in ihren Audioführer vertieft gewesen sein, jetzt galt ihre Aufmerksamkeit allein ihm.

„Gut“, sagte er sanft. „Worauf warten wir noch? Der Eingang zu den Türmen ist draußen, auf der anderen Seite, glaube ich.“

Kaum waren sie wieder im warmen Sonnenschein, blieb sie stehen und wandte sich zu ihm um. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, würde sie jetzt gleich etwas sehr Britisches sagen, sehr höflich, sehr ablehnend.

Also gab er ihr gar nicht erst die Chance dazu.

„Hier entlang“, meinte er und lächelte. Das höfliche Lächeln, das er für ältere Damen reserviert hatte.

Es hatte den beabsichtigten Effekt. Ihr Widerstand schmolz.

Vor dem Eingang zu den Türmen auf der Nordseite der Kathedrale stand bereits eine kleine Schlange. Markos führte Vanessa auf den letzten Platz und stellte sich hinter sie.

„Das sollte nicht allzu lange dauern“, sagte er und schenkte ihr ein weiteres höfliches Lächeln. „Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment.“

Aus den Augenwinkeln sah er Taki und Stelios, die ihm in der Kathedrale wie Schatten gefolgt waren. Er holte sein Mobiltelefon aus der Jacketttasche, wählte Takis Nummer und befahl ihm auf Griechisch, seinen Lunchtermin mit einer mustergültigen Entschuldigung abzusagen. Dann unterbrach er die Verbindung und steckte das Telefon wieder ein.

Neugierig sah Vanessa ihn an.

„Griechisch“, erklärte Markos.

„Ich habe mich schon gefragt, was Ihre andere Hälfte ist.“

Er lächelte. Diesmal war es nicht das Lächeln für ältere Damen.

„Griechischer Vater, englische Mutter“, verkündete er.

„Sie sehen überhaupt nicht britisch aus. Aus welchem Teil Griechenlands kommen Sie?“

Markos dachte an die vielen Orte, an denen er als Kind gelebt hatte. Die Hälfte davon in England und die andere über das restliche Europa verstreut. Bis er neun Jahre geworden war, hatte er bei seiner Mutter gelebt, danach, als der hässliche Scheidungskrieg seiner Eltern beendet war, in Griechenland und der Schweiz. Zu Hause hatte er sich nirgends gefühlt.

Deshalb gab er die Antwort, die er immer gab.

„Ursprünglich stammt meine Familie aus der Türkei, aus einer der vielen griechischen Siedlungen dort. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich mein Großvater in Athen niedergelassen. Aber ich bin heimatlos. Ah, die Schlange bewegt sich.“

Er war froh, das Thema wechseln zu können. Zu Hause war kein Wort, das eine Bedeutung für ihn hatte.

„Noch einen Kaffee?“

Vanessa schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank. Ich sollte jetzt wirklich gehen.“

In der Nähe von Notre Dame saß sie unter einem Sonnenschirm auf der Terrasse eines Restaurants. Wie sie hier hergekommen war, wusste sie immer noch nicht genau. Es scheint einfach passiert zu sein, dachte sie verwirrt.

Markos Makarios. So lautete sein Name. Auf der Spitze des Turms, Paris zu ihren Füßen, hatte er sich vorgestellt.

„Jetzt werden Sie mich immer mit dem Glöckner von Notre Dame assoziieren“, hatte er lächelnd gesagt, und in seinen grauen Augen war ein heller Schimmer erschienen. Diese Augen … in denen sie so gern versinken wollte, aber genau wusste, dass sie es nicht durfte.

Genauso wenig, wie sie ihm ihren Namen hätte verraten oder seine Hand mit spöttischer Feierlichkeit auf dem Dach von Notre Dame, im warmen Sonnenschein des Septembertags, hätte schütteln sollen.

Und ganz bestimmt hätte sie nicht zulassen dürfen, dass er auf dem Weg nach unten ihren Ellenbogen ergriff, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Vor der Kathedrale hatte er sie über den Platz geführt und verkündet, es sei Zeit für den Lunch.

Doch irgendwie hatte sie all das zugelassen.

„Auf Paris und darauf, dass Ihnen die Stadt gefällt!“ Markos hob sein Glas, und sie erwiderte sein Lächeln. Einen Augenblick funkelte etwas in seinen Augen, und ein Schauer durchlief sie, der nichts mit dem Wunder zu tun hatte, dass sie tatsächlich endlich in Paris war.

Aber dann war das Funkeln verschwunden, und ihr Erschauern entsprang nur noch dem Wunder, in Paris zu sein.

Es hatte nichts mit dem Mann zu tun, der aus irgendeinem Grund, den sie sich nicht erklären konnte, mit ihr zu Mittag aß.

Es ist nur Lunch. Er ist nur höflich. Nett. Freundlich. Und hat Mitleid mit einer englischen Touristin, die zum ersten Mal in Paris ist.

Und die noch einen vollen Tagesplan vor sich hat, dachte sie energisch, nahm ihren Rucksack auf den Schoß und kramte nach ihrem Portemonnaie.

„Könnten Sie um getrennte Rechnungen bitten?“, fragte sie.

Markos starrte sie an. Hatte er sich nicht etwas Neues, Unbekanntes gewünscht? Jetzt hatte er es bekommen. Bisher hatte keine Frau jemals auch nur die geringsten Einwände erhoben, wenn er ihr Essen bezahlt hatte … oder andere Dinge.

„Ich werde mich darum kümmern“, sagte er und winkte dem Kellner. Normalerweise hätte er so weltliche Dinge wie Restaurantrechnungen Taki oder Stelios überlassen, aber die waren in ihre Zeitungen vertieft. Vanessa hatte die beiden noch gar nicht bemerkt.

Vanessa. Insgeheim flüsterte er ihren Namen. Sie hatte ihn nennen müssen, nachdem er sich vorgestellt hatte. Auch das war etwas Neues. Normalerweise waren Frauen stets sehr darauf bedacht, ihm so schnell wie möglich ihre Vornamen zu nennen – in der Hoffnung auf mehr. Aber die Schönheit ihm gegenüber hatte gezögert, ihm ihren Namen zu sagen.

Und doch war sie mit ihm in dieses Restaurant gegangen. Ihre Miene spiegelte die ganze Zeit über eine gewisse Verwirrung wider, als sei sie nicht sicher, wie es dazu hatte kommen können. Das amüsierte ihn und gefiel ihm gleichermaßen.

Vanessa Ovington war in der Tat eine Rarität.

Eine, die er genießen würde.

Als der Kellner an ihren Tisch trat, reichte Markos ihm eine seiner Kreditkarten. Hastig zog Vanessa einige Geldscheine hervor und legte sie auf den Tisch.

„Ich denke, das sollte für meinen Anteil reichen“, meinte sie.

Verblüfft sah Markos sie an. Ein Funkeln lag in ihren goldenen Augen. Er musste lächeln.

„Vielen Dank“, sagte er und nahm die Geldscheine. „Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um besser springen zu können.“

Jetzt war es an ihr, ihn verdutzt anzusehen. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung, warum er das gesagt hatte.

Aber das störte Markos nicht. Ganz und gar nicht.

Er hatte ein klares Ziel vor Augen, und dass die rothaarige Schönheit noch nichts davon mitbekommen hatte, gab der Angelegenheit eine pikante Note, die ebenso vergnüglich wie neu war.

„Und“, sagte er im Plauderton, „wohin gehen wir jetzt? Zum Invalidendom oder ins Rodinmuseum?“

Und Vanessa ging mit ihm – fand aber nie wirklich heraus, warum, obwohl sie später wieder und wieder darüber nachdachte.

2. KAPITEL

Erst nach einer Woche schaffte Markos es, sie in sein Bett zu locken. Allerdings war er auch nicht in Eile. Tatsächlich genoss er das Neue an ihrer Gesellschaft so sehr, dass er eine langsameVerführung bevorzugte. Nicht, dass sie sich dessen bewusst war –, und das verlieh seinem Vorhaben einen besonderen Reiz.

An jenem ersten Nachmittag hatte er sie zum Rodinmuseum geführt. Auf dem Museumsvorplatz stand Rodins berühmte Statue – Der Denker. Voller Bewunderung betrachtete Vanessa das Meisterwerk und war ganz in diesen Anblick versunken.

Das Sonnenlicht brachte ihre rotgoldenen Haare zum Leuchten. Kein Bildhauer kann diesen Anblick einfangen, dachte er. Und selbst ein Gemälde würde daneben steif und tot wirken. Ihr Haar wirkte so lebendig; er wollte mit den Fingern durch die Locken streichen, ihren Kopf neigen, ihren Mund an seinen ziehen, ihre geöffneten Lippen schmecken …

Von einem der umstehenden Bäume segelte ein Blatt herunter und verfing sich in ihren Haaren.

„Halten Sie still“, befahl er sanft.

Bewegungslos blieb sie stehen, ihm den Kopf halb zugewandt. Geschickt befreite er das Blatt, ließ sie aber noch nicht los. Eine Hand ruhte auf ihrer Schulter, die andere berührte immer noch ihr Haar. Einen endlosen Moment genoss er die Art und Weise, wie sie zu ihm aufschaute.

In ihren goldenen Augen spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle – Angst, Faszination, Erstaunen. Die Zeit setzte plötzlich aus. Am Rande von Markos’ Bewusstsein regte sich etwas. Etwas Fremdes.

Von dem er nicht wusste, was es war.

Was er aber wusste, war, dass er kurz davor stand, eine Affäre zu beginnen, die seine Langeweile sehr, sehr effektiv vertreiben würde.

Je weiter der Tag fortschritt, desto klarer wurde dieses Wissen. Vanessa war anders als alle Frauen, die er jemals verführt hatte. Nicht nur, weil sie überhaupt nicht bemerkte, dass sie verführt wurde, nicht nur, weil sie sich tatsächlich für die Sehenswürdigkeiten von Paris interessierte, zu denen er sie begleitete – vom Eiffelturm über den Arc de Triomphe, von Versailles bis zu Sacré-Cœur und allem, was dazwischen lag. Auch nicht, weil sie weiterhin darauf bestand, ihre Tickets und Restaurantrechnungen selbst zu bezahlen, was ihn so sehr amüsierte, dass er Taki und Stelios weiterhin verbannte und anstatt seiner Limousine Taxen benutzte. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit führte er sie nicht zu den bekannten Pariser Haute-Couture- Geschäften, um dort seinen Reichtum zur Schau zu stellen, den sie offenbar weder bemerkte noch interessant fand. Sie war anders, weil … weil …

Es war etwas, das er nicht in Worte fassen konnte. Vanessa war anders, das war alles – und das faszinierte ihn so sehr, wie ihn ihre Schönheit berauschte.

Und in der Nacht, in der er endlich den unvermeidlichen Triumph seiner Verführung feiern konnte, entdeckte er noch etwas an ihr, was sie zu einer einzigartigen Frau machte.

Bereitwillig war sie seiner Einladung in sein Apartment gefolgt und hatte voller Erstaunen die kostbare Einrichtung bewundert. Doch sie sagte nichts, was Markos nicht überraschte. In der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, hatte sie nicht den leisesten Versuch unternommen, etwas über seinen Reichtum herauszufinden. Für sie war er einfach ein Geschäftsmann – wie sein Geschäft aussah und ob es lukrativ war, hatte sie nie gefragt. Ihre einzige Frage bei ihrem ersten Dinner hatte sie eher aus Höflichkeit denn Interesse gestellt. Und als er „Import und Export“ murmelte, nickte sie bloß und beließ es dabei. Von der milliardenschweren Makarios Corporation hatte sie offensichtlich noch nie gehört.

Ihre Augen weiteten sich, als sie das impressionistische Gemälde an der Wand entdeckte – und offensichtlich annahm, wie Markos amüsiert feststellte, es handele sich um eine Kopie und nicht um das unbezahlbare Original, das es tatsächlich war. Er schlenderte zu dem Schrank aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Innenleben zu einer Bar umfunktioniert worden war, und nahm eine Flasche eisgekühlten Champagner heraus.

„Oh“, hauchte sie, als er mit zwei perlenden Gläsern auf sie zuging. Zögernd nahm sie ein Glas in die Hand.

„Ich habe bereits Wein zum Abendessen getrunken“, meinte sie unsicher.

„Von Champagner wird man nicht betrunken.“ Markos lächelte.

Immer noch unsicher sah sie ihn an. In diesem Moment stieß er mit seinem Glas sanft gegen ihres, dann hob er den Kelch an seine Lippen.

„Auf uns, Vanessa!“

Aber sie trank nicht, sondern stand einfach nur da. Wie lodernde Flammen fielen die wundervollen Haare über ihre nackten Schultern, die das hellgrüne Abendkleid nicht bedeckte.

Sie sagte auch nichts. Doch ihre Augen teilten ihm viel wortreicher, als ihre Stimme es gekonnt hätte, mit, dass sie heute Nacht ihm gehörte.

„Genießen Sie den Champagner, Vanessa“, forderte er sie auf.

Erst jetzt hob sie gehorsam das Glas an die Lippen und trank einen winzigen Schluck.

„Und jetzt, genieß mich“, flüsterte er, senkte den Kopf, und endlich, nach so vielen Tagen, tat er das, was er schon seit dem ersten Moment hatte tun wollen.

Ihre Lippen erzitterten unter seinem zärtlichen Ansturm, dann erwiderte sie seinen Kuss voller Hingabe. Als er mit der Zungenspitze in ihren Mund eindrang, erbebte ihr gesamter Körper, und ein leises Stöhnen entrang sich ihrer Kehle.

„Vanessa“, wisperte er, und während er die Lippen öffnete, um ihren Namen zu flüstern, öffnete auch sie ihren Mund.

Lang und tief und erfahren küsste er sie. Ließ die Zunge in ihren Mund gleiten und erforschte die seidige Höhle.

Widerstandslos überließ sie ihm ihr Champagnerglas, das er zusammen mit seinem auf dem kleinen Beistelltisch abstellte, bevor er Vanessa an sich zog.

Als ihre Brüste sich gegen seinen Körper drängten, schüttelte ein lustvoller Schauer seinen Körper.

Er vertiefte den Kuss noch weiter, wandelte Liebkosung inVerlangen.

Zärtlich streichelte er ihren Rücken. Wieder stöhnte sie leise und schmiegte sich enger an ihn.

Längst war er für sie bereit. Aber sie war es noch nicht für ihn, das wusste er intuitiv. An der Verwirrung, die sich in ihren Augen spiegelte, sah er, dass sie nicht genau verstand, was mit ihr geschah, was er mit ihr tat.

Markos löste sich ein wenig von ihr und sah sie an. Ihre Lippen, süß und reif wie Erdbeeren, waren leicht geöffnet, ihre Pupillen geweitet.

Mit einem Finger streichelte er über ihre Wange, fühlte, wie sie erzitterte. Dass sie seinen Berührungen so hilflos ausgeliefert war, erfüllte ihn mit tiefer Freude.

Er streifte mit dem Finger über ihren Mund, ihren Hals, ihre Brust und zog dabei den Ausschnitt ihres Kleides nach unten. Als er ihre wohlgerundeten Brüste entblößte, lauschte er verzückt ihrem scharfen Atem.

Griechische Worte für Vollendung, Perfektion und Schönheit entrangen sich seiner Kehle. Einen Moment betrachtete er einfach nur ihre wundervollen Brüste, dann schloss er die Augen und neigte den Kopf.

In seinem Mund verhärtete sich die Knospe. Noch während Vanessa wieder das tiefe, verwirrte, hilflose Stöhnen ausstieß, fühlte er, wie sie die Hand hob und mit zitternden Fingern durch sein Haar strich. Auf zärtliche Küsse ließ er ein ebenso zärtliches Knabbern mit den Zähnen folgen, was Wogen der Lust durch ihren Körper sandte und sie wieder und wieder aufstöhnen ließ.

Schließlich gab er sie frei und hob sie in seine Arme.

„Markos …“ Ihre Stimme klang tief, atemlos, und immer noch lag Verwirrung in ihren Augen. Aber da war noch etwas anderes … eine Sehnsucht, die sie nicht länger verbergen konnte.

Er trug sie in sein Schlafzimmer, legte sie behutsam auf die seidenen Laken seines Bettes, zog sich mit geübten Bewegungen aus und legte sich neben sie. Ihre Brüste waren entblößt, ihr Kleid über die Beine hochgeschoben.

Ihm stockte der Atem. Sie war so wunderschön – und das personifizierte Verlangen.

Aber nicht in einem anrüchigen Sinne, sondern unschuldig und sinnlich.

„Ist das ein Traum?“, fragte sie ungläubig.

Er lächelte.

„Kein Traum“, versicherte er.

Noch einmal kostete er die Süße ihres Mundes, und dann, mit unendlicher Geduld, mit unendlichem Vergnügen küsste er den Rest ihres Körpers, ihre fast weißen Brüste, die steil aufgerichteten Knospen, die er mit Lippen, Zunge und Zähnen liebkoste, die zarte Haut an ihrem Bauch. Vorsichtig glitt er zwischen ihre Schenkel, streichelte sie aufreizend, bis Vanessa sich stöhnend unter ihm wand und ihr Körper erbebte. Jetzt, jetzt hieß sie ihn mit ihrem ganzen Körper willkommen, jetzt würde sich sein lang ersehntes Verlangen erfüllen, und er schob seinen Körper auf ihren.

Und noch einen letzten kostbaren Moment versagte er sich die Erfüllung.

Langsam drang er in sie ein.

Und entdeckte erst jetzt, da es viel zu spät war, zu spät für etwas anderes, als die Ekstase zu genießen, die ihm diese betörende Frau verhieß, dass er der Erste war, der dieses Geheimnis ergründen durfte.

„Bist … bist du wütend auf mich?“

Wie schüchtern ihre Stimme klang, während ihre Miene sich verdüsterte. „Ich hätte es dir sagen sollen“, meinte sie leise.

Etwas in ihrer Stimme, der Ausdruck in ihren Augen, versetzte ihm einen kleinen Stich. Wenn ihn vor zehn Minuten jemand gefragt hätte, ob er eine Jungfrau mit in sein Bett nehmen wolle, hätte er eine kurze einsilbige Antwort gegeben. Nein.

Aber jetzt …

Er schaute sie an. Sie war so wunderschön.

Doch da war mehr an ihr als nur Schönheit. In den großen Augen schimmerte etwas, das eine Wirkung auf ihn ausübte. Und plötzlich wusste er mit absoluter Sicherheit, dass es ihm gleichgültig war, ob sie Jungfrau war. Es war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass sie sich von den anderen Frauen, mit denen er geschlafen hatte, so sehr unterschied wie glitzernde Diamanten von einer verborgenen Perle. Das war ihr Zauber: dass sie anders war als alle anderen Frauen.

Denn als sich ihre Körper nach dem Schock über ihre Unberührtheit in einem gemeinsamen Rhythmus bewegt hatten und endlich die letzte Festung des Bewusstseins in den Wogen der Ekstase fortgespült worden war, als er die plötzliche Anspannung ihres Körpers gespürt, ihren lauten Aufschrei gehört hatte, empfand er eine so intensive, so außergewöhnliche Verzückung wie noch nie in seinem Leben.

Und jetzt, da sie erschöpft nebeneinanderlagen, verspürte er wieder dieses seltsame Gefühl. Er zog sie enger an sich und küsste sie zärtlich auf Mund und Augen.

„Du bist perfekt“, sagte er mit einer tiefen und rauen Stimme. „Absolut perfekt.“

Als er den Kopf hob, um ihr in die Augen zu schauen, sah er, wie ihre Miene sich aufhellte und ihre Augen leuchteten, als schiene die Sonne in ihnen.

Das gefiel ihm.

Gefiel ihm sehr.

3. KAPITEL

Der Schnee knirschte unter Vanessas Winterschuhen, die Bergluft schmerzte in ihren Lungen. Vom Fuß der Piste aus blickte sie ängstlich den steilen Berghang hinauf, während die ersten Schatten das Ende des Wintertages in den Alpen ankündigten. Ein kleiner Punkt bewegte sich in dramatischen Kurven den Berg hinunter.

Vor Furcht fast gelähmt, musste sie sich zwingen, ruhig zu bleiben. Markos war ein hervorragender Skifahrer, das wusste sie, und er kam auch mit gefährlichen Abfahrten bestens zurecht. Aber mit den Augen der Anfängerin sah sie nur die tiefen Spalten, die herausstehenden Felsen und die schwierigen Wendungen.

Wenn Markos irgendetwas zustieße, würde sie sterben.

Während sie mit angehaltenem Atem beobachtete, wie er näher kam, überlegte sie wieder einmal, wie es eigentlich zu diesem Wunder hatte kommen können.

Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass sich von ihrem ersten Tag in Paris an ihr Leben für immer ändern würde. Und tatsächlich hatte sie es nicht gleich am ersten Tag gemerkt, auch nicht an den folgenden Tagen, sondern erst nach der unglaublich märchenhaften Nacht, in der sie sich geliebt hatten.

Aber seitdem wusste sie es, sicher und absolut.

Sie war verliebt.

Verliebt in den wunderbarsten Mann der Welt.

Noch nie zuvor war sie verliebt gewesen. Wie auch? Sie hatte ein ruhiges und beschauliches Leben geführt, war hin und wieder mit einem ihrer Arbeitskollegen oder mit Freunden ausgegangen – mit Männern, bei denen ihre Großeltern keine Angst um ihre Enkelin hatten haben müssen. Natürlich hatte sie ein paar Küsse ausgetauscht, aber mehr nicht. Nichts, um sich nach mehr zu sehnen, nichts, um sie wie Eis in der Hitze schmelzen zu lassen, wie Markos’ Küsse und Berührungen es getan und ein Feuer in ihrem Inneren entzündet hatten, wie seine Blicke sie liebkost, seine Arme sie gehalten, sein Körper sie in Besitz genommen hatte.

Er hat mich gewählt – von allen Frauen hat er sich für mich entschieden!

Warum, verstand sie immer noch nicht genau. Und jetzt, da sie seinen Lebensstil kannte und wusste, dass er alles und jeden haben konnte, wenn er wollte, wunderte sie es noch mehr, dass er mit ihr glücklich war.

Aber sie war glücklich, mit ihm zusammen sein zu dürfen. Mehr wollte sie nicht. Die Vergangenheit hatte aufgehört zu existieren, genau wie die Zukunft.

Nichts anderes existierte mehr.

Nur Markos – und sein Verlangen nach ihr und ihre Liebe zu ihm.

Er war ihre Welt. Und das war genug – mehr als genug.

Jetzt kam er Schnee aufspritzend vor ihr zum Stehen, stemmte seine Skistöcke tief in den Boden und schob das Visier seines Helms hoch.

„Dachtest du, ich würde mich umbringen?“, fragte er grinsend.

Sie nickte, unendlich erleichtert, dass er die Schwarze Piste sicher gemeistert hatte.

„Bald wirst du selbst die Schwarze Piste fahren“, meinte er lachend und nahm den Helm ab.

Vanessa wurde blass.

„Oh nein, das kann ich nicht.“

Immer noch lachend reichte er Taki seinen Helm.

„Wie war deine Unterrichtsstunde?“

Leicht gequält verzog sie das Gesicht. „Der arme Christian war sehr höflich, aber er weiß, dass ich unfähig bin.“

„Möchtest du einen anderen Lehrer?“

„Es liegt nicht am Lehrer, ich fürchte, die Schülerin ist das Problem“, erwiderte sie bedauernd.

Wieder lachte er, während er sich bückte, um die Bindungen zu lösen. Er ließ die Skier liegen, damit Taki sich darum kümmerte, ging zu Vanessa und umarmte sie.

„Vielleicht sollte ich dich unterrichten. Immerhin war ich in anderen Fächern ein sehr guter Lehrer, nicht wahr?“

Bei seinem verführerischen Tonfall errötete sie. Und dieser Anblick begeisterte Markos noch immer. Obwohl sie seit fünf Monaten zusammen waren, war sie immer noch erstaunlich zurückhaltend. Selbst ein harmloser Kommentar wie, sie daran zu erinnern, wie viel er sie über sexuelles Vergnügen gelehrt hatte, brachte ihre Schüchternheit zumVorschein. Nicht, dass er etwas dagegen einzuwenden hätte. Es war einer der Gründe, warum ihr Reiz noch nicht erloschen war.

Und es gab auch keine Anzeichen, dass es bald so weit wäre.

Mit Vanessa in seinem Arm ging er auf den wartenden Jeep zu. Wegen der dicken Skijacken war ihr Körper frustrierend weit weg von seinem. Die gefährliche Abfahrt hatte Spaß gemacht, und er wusste genau, was er als Nächstes wollte. Die zwanzigminütige Rückfahrt zum Schloss Herzogstein würde schmerzhaft lange dauern.

Dort angekommen, würde er Vanessa in seine Suite führen, ihr die verdammte Skijacke vom Leib reißen und dem großen Himmelbett zu seiner Existenzberechtigung verhelfen.

Als er hinter Vanessa in den Jeep stieg, schüttelte er den Kopf. Sein Cousin Leo musste verrückt gewesen sein, dieses Schloss zu kaufen! Er hatte ein Vermögen in die Renovierung investiert, aber anstatt das alte Gemäuer in ein Hotel zu verwandeln, erklärte er es zu seiner Privatresidenz. Doch das entsprach genau Leos Stil – er liebte große Gesten, so wie die, die Schönen, Reichen und Berühmten zur exklusiven Juwelenpräsentation auf ein mittelalterliches Schloss einzuladen.

Wieder wanderten Markos Blicke zuVanessa. Sie hatte die Kapuze ihrer Skijacke zurückgeschlagen und den Reißverschluss geöffnet. Ihre Schönheit raubte ihm immer noch den Atem.

Perfekt hatte er sie genannt – und das war sie. Absolut perfekt für ihn. Ohne die geringsten Einwände, ohne zu zögern, hatte sie mit ihm geschlafen, war in seiner Umarmung weich geworden und hatte sich seinen Liebkosungen und Küssen atemlos hingegeben.

Selbst jetzt, nach fünf Monaten, leuchteten ihre Augen, wenn er zu ihr kam. Jedes Mal. Mochte Leo so zynische Bemerkungen machen, wie er wollte, was bedeutete das schon? Ein spöttisches Lächeln umspielte Markos Lippen, als er Vanessa mit der schwarzhaarigen Schönheit verglich, auf die Leo gerade ein Auge geworfen hatte, die sich aber partout nicht von ihm verführen lassen wollte. Doch das war Leos Problem. In seinem eigenen Leben lief momentan alles großartig. Und dass Vanessa bewundernd zu ihm aufsah, gab ihm ein sehr, sehr gutes Gefühl.

Mittlerweile hatte Taki die Skier auf dem Dachgepäckträger verstaut und neben Stelios auf dem Fahrersitz Platz genommen. Er ließ den Motor an und steuerte den Wagen langsam über die verschneite Straße.

„Ist das Fotoshooting endlich zu Ende?“, fragte Markos Vanessa.

„Ja, Gott sei Dank.“

„Hat es dir keinen Spaß gemacht?“

In seinem Tonfall schwang eine wachsame Note mit, und Vanessa biss sich auf die Lippen. Schließlich war das Ganze Markos’ Idee gewesen. Sie sollte die Rolle des vierten Models für die Präsentation der Juwelenkollektion seines Cousins übernehmen. Ihren Einwand, dass sie noch nie in ihrem Leben gemodelt hatte, ließ Markos nicht gelten. Ebenso wenig wie ihre Bedenken, dass der Fotograf vielleicht lieber mit einem Profi statt einer Amateurin arbeitete.

Bei dem Gespräch hatten die beiden Cousins sie mit derselben verständnislosen Miene angesehen. Mittlerweile wusste sie, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Die bloße Idee, die persönlichen Vorlieben von jemand, der für die Makarios Corporation arbeitete, zu berücksichtigen, war für beide Cousins vollkommen absurd. Diese Einstellung hatte sie zunächst verwundert.

Aber dann war ihr wieder eingefallen, in wen sie sich verliebt hatte. Wann ihr das klar geworden war, wusste sie noch ganz genau. Am Nachmittag nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Nachdem sie fast den ganzen Tag im Bett verbracht hatten, hatte Markos ihr am Nachmittag gesagt, sie solle sich anziehen, da sie in die Oper gehen würden.

„Ist es Wagner?“, fragte sie, denn Richard Wagner hatte ihres Wissens die einzigen Opern geschrieben, die so lang waren, dass sie bereits nachmittags anfingen.

Doch er schüttelte nur lachend den Kopf.

„Viel romantischer“, beruhigte er sie.

Und es war romantisch gewesen, allerdings hatte ihr der Opernbesuch gleichzeitig auf verstörende Weise die Augen geöffnet.

Als sie aus dem Badezimmer kam, standen unzählige Menschen im Schlafzimmer, die munter auf Französisch miteinander plauderten. Man schnitt ihre Haare, manikürte ihre Nägel, schminkte ihr Gesicht, nahm ihre Körpermaße und steckte sie in ein unglaubliches Abendkleid nach dem anderen. Als sie endlich fertig war, verwirrt und attraktiver als je zuvor, in einem goldenen Kleid mit einem einfachen goldenen Reifen um den Hals, kam Markos ins Zimmer geschlendert. Er trug einen Anzug, und als er lächelte, stockte ihr der Atem.

„Komm“, sagte er. „Deine Kutsche wartet auf dich, Cinderella.“

Die Kutsche war ein Privatjet, der sie nach Mailand brachte, um La Bohème in der Scala zu sehen. In dem Moment hatte Vanessa erkannt, dass sie sich nicht in einen gewöhnlichen Geschäftsmann verliebt hatte.

Markos war einer der reichsten Männer Europas.

Aber das brachte auch Probleme mit sich. Denn die Reichen waren wirklich anders, wie sie schnell herausfand. Markos war niemals unhöflich, strahlte aber trotzdem eine gewisse Härte aus. Was er wollte, bekam er auch. Nicht durch Forderungen oder Launen oder schlechtes Benehmen. Er bekam es, weil … nun, weil er Markos Makarios war. Menschen taten, was er wollte. Mitarbeiter, Bedienstete – jeder.

Sogar sie.

Plötzlich war ihr unbehaglich zumute. Nein, dachte sie, ich tue, was Markos will, weil ich es will. Wie könnte ich etwas anderes wollen? Ich liebe ihn.

Und jetzt, da er mit zusammengezogenen Brauen seine Verärgerung darüber ausdrückte, dass es ihr offenbar nicht gefallen hatte, Model zu sein, wusste sie, dass er sie nie zu etwas zwingen würde, was sie nicht wollte. Ganz im Gegenteil! Er hatte sie reich beschenkt. Aber er hatte ihr viel, viel mehr gegeben als seinen Reichtum.

Sich selbst.

Das war es, was ihr Herz so glühend erwärmte. Dass er seine Zeit mit ihr verbrachte, sie mitnahm, wohin auch immer er ging, ihr all die Orte auf der Welt zeigte, von denen sie bislang nur geträumt hatte, und sie Tag und Nacht an seiner Seite behielt, außer wenn er arbeiten musste, was unweigerlich hin und wieder vorkam; schließlich leitete er die eine Hälfte der Makarios Corporation.

„Wir haben die Firma aufgeteilt“, erklärte er ihr. „Leos Vater ist gestorben, und mein Vater hat sich aus dem Geschäft zurückgezogen.“

„Gibt es nie Streit?“, hatte sie interessiert gefragt.

Aber Markos hatte nur mit den Schultern gezuckt und gelächelt. „Leo gefällt sich bei dem Gedanken, er würde seinen Willen durchsetzen, aber wenn es sein muss, weise ich ihn in seine Schranken.“

Als Vanessa Leo kennenlernte, erkannte sie, dass die Beziehung der beiden Cousins ausgezeichnet funktionierte. Markos war der kühlere Kopf, Leo besaß das aufbrausendere Temperament. Markos war berechnender, Leo impulsiver. Und obwohl Leo seinen Cousin gern darauf hinwies, dass er älter war, herrschte Respekt und Zuneigung zwischen ihnen.

Sie runzelte die Stirn. Gestern Abend, auf der Galaparty zur Präsentation der Juwelen, hatte Leo Anna, eines der Models, nicht von seiner Seite gelassen. Darüber schien Anna nicht gerade glücklich gewesen zu sein, allerdings hatte sie während des gesamten Shootings nicht sonderlich glücklich gewirkt. Vorher, während der Fotoaufnahmen war sie mit dem furchtbaren Fotografen aneinandergeraten, der den ganzen Tag über nichts anderes getan hatte, als die Models anzuschreien.

Jetzt, da das Shooting endlich vorüber war, konnte sie Markos die Wahrheit sagen.

„Nein, es hat mir keinen Spaß gemacht“, gestand sie. „Ich glaube nicht, dass Modeln etwas für mich ist.“

„Aber du hast fantastisch ausgesehen.“

„Es ist härtere Arbeit, als du denkst“, erwiderte sie. „In fabelhaften Kleidern posieren und großartigen Schmuck präsentieren, ist unendlich anstrengend. Und Signor Embrutti hat sehr viel von uns verlangt, um nicht zu sagen, er war sehr unhöflich.“

Sofort verfinsterte sich Markos Miene. „Zu dir? Du hättest sofort gehen sollen.“

„Nein! Zu mir war er weit weniger unhöflich als zu den anderen Mädchen. Schließlich weiß jeder, dass du und ich …“

„Das ist auch gut so“, meinte er wütend und ergriff ihre Hand.

„Wann hast du Skifahren gelernt?“, fragte sie in dem Versuch, die Atmosphäre zwischen ihnen wieder etwas aufzulockern.

„Das ist lange her“, sagte er und lehnte sich zurück. „Meine Mutter hat mich immer in die Berge mitgenommen.“

„Hat sie es dir beigebracht?“ Bei dem Gedanken, wie seine liebende Mutter Markos als Kind beigebracht hatte, wie man Ski fährt, musste Vanessa lächeln. Nur selten erhaschte sie einen Blick auf den Mann hinter dem Liebhaber.

„Nein, sie hat einen Lehrer angestellt.“

Ihm Skifahren beizubringen, wäre wirklich das Letzte gewesen, worum sich seine Mutter gekümmert hätte. Zum einen war sie viel zu beschäftigt mit ihrem jeweils aktuellen Liebhaber. Zum anderen hatte sie ihren Sohn nur mitgenommen, weil er ihr Kapital im Kampf um das Geld ihres Ehemannes war.

Als Vanessa seine verschlossene Miene sah, wechselte sie noch einmal das Thema. Sie wusste, dass sie nicht gekränkt sein durfte. Markos sprach nie über seine Familie – außer mit Leo –, und sie respektierte seine Privatsphäre. Schließlich sprach er auch nicht über ihre Familie. Von ihr wusste er nur, dass ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen waren, als sie noch sehr jung gewesen war, und dass ihre Großeltern, bei denen sie aufgewachsen war, mittlerweile ebenfalls verstorben waren. Also war sie ganz allein auf der Welt. „Nicht mehr, Vanessa“, hatte er mit einem zärtlichen Lächeln gesagt, sie lange geküsst und damit ihre Gedanken sehr nachhaltig von allem anderen abgelenkt.

„Ist das da vorn ein Dorf?“, fragte sie auf der Suche nach einem unverfänglichen Thema. „Ich kann Lichter durch die Bäume sehen.“

Auch Markos sah aus dem Fenster. „Vielleicht. Gott allein weiß, welcher Teufel Leo geritten hat, dieses Schloss zu kaufen! Nur gut, dass er es nicht mit Firmengeldern finanziert hat, sonst hätte ich ihm eine ordentliche Tracht Prügel verpasst!“

„Es ist sehr groß“, gab Vanessa zu.

Ein Funkeln erhellte Markos’ Augen, dessen Bedeutung sie nur zu gut kannte. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund.

„Noch besser ist, dass die Betten auch groß sind, hmm?“

Seine Stimme war weich und rau zugleich. Plötzlich hatte sie es genauso eilig wie er, ins Schloss zurückzukehren.

Behaglich rekelte Vanessa sich unter der weichen Decke. Vor dem Bett stand Markos und zog sich an. Sie setzte sich auf, lehnte sich gegen einige Kissen und schob ihre Haare zurück. Dabei geriet die Decke ins Rutschen und entblößte eine ihrer Brüste. Automatisch verhüllte sie sich gleich wieder.

„Das ist zwar schade, aber vielleicht auch besser so“, sagte Markos, und seine grauen Augen funkelten. „So leid es mir tut, heute habe ich keine Zeit zum Spielen.“

„Fliegen wir zurück nach London?“, fragte Vanessa schläfrig. Die Party auf dem Schloss war vorüber, die Gäste abgereist, und selbst Leo war bereits aufgebrochen. Offensichtlich hatte sein Charme schlussendlich doch noch auf die zögernde Anna gewirkt, denn die beiden waren gemeinsam in die Karibik geflogen. Vanessa wünschte ihr alles Gute. Tatsächlich wünschte sie der ganzen Welt alles Gute. Das war es, was ihre Liebe zu Markos bewirkte – sie war beschwingt von Freude und Großzügigkeit, die sie mit der ganzen Welt teilen wollte.

Wie habe ich mir ein Leben ohne Markos nur jemals vorstellen können?

Ursprünglich hatte sie geplant, eine Woche in Paris zu bleiben, dann nach England zurückzukehren, ihre letzten Angelegenheiten zu klären und das Haus ihrer Großeltern zu verkaufen. Von dem Geld wollte sie sich ihren Traum erfüllen und durch Europa reisen.

Jetzt schien das alles einem anderen Universum zu entstammen. Alles, was für sie noch existierte, war Markos. Markos, Markos, Markos.

Wohin er auch ging, sie würde ihm folgen. Bis ans Ende der Welt.

Was die Zukunft ihr bringen würde, wusste sie nicht – und sie brachte es einfach nicht über sich, daran zu denken. Sie war mit Markos zusammen, das war genug.

Wie sehr sie es liebte, ihn anzusehen! Selbst jetzt, während er sich anzog, im Licht der Lampen an einem dunklen Wintermorgen, sein Körper groß und schlank, während er sein Hemd zuknöpfte, nach der Krawatte griff und sie mit geschickten Bewegungen zu einem Knoten band, stockte ihr der Atem, und ihr Herz schlug schneller.

„London für dich, ja“, beantwortete er ihre Frage. „Aber ich …“, missbilligend verzog er das Gesicht, „… ich muss nach Athen. Es tut mir leid, aber ich kann die Reise nicht aufschieben.“

Am liebsten hätte sie ihn gebeten, sie mitzunehmen, aber sie wusste, dass sie das nicht durfte. Wenn Markos geschäftlich nach Athen musste, hätte er keine Zeit für sie. Deshalb würde sie in seinem großen luxuriösen Apartment in London geduldig auf ihn warten und die Stunden bis zu seiner Rückkehr zählen.

„Natürlich“, sagte sie tapfer. „Wie … wie lange wirst du in Athen bleiben?“

Hoffentlich klang das nicht quengelig. Kein Mann mochte quengelige Frauen. Vor allem ein Mann wie Markos Makarios nicht.

Schulterzuckend griff er nach seinem Jackett. „Ein paar Tage, vielleicht eine Woche. Ich weiß es nicht.“

Sie nickte. „Ich wünsche dir alles Gute bei deinen Geschäften.“

Jetzt war es an Markos zu nicken. Nicht die Geschäfte riefen ihn nach Athen, sondern sein Vater. Weihnachten und Silvester hatte er mit Vanessa auf Mauritius verbracht, was viel vergnüglicher gewesen war, als seinen ewig nörgelnden Vater zu besuchen. Natürlich hatte sein Vater es herausgefunden – nichts, was der Sohn tat, blieb dem alten Mann verborgen –, aber der Tadel würde persönlich, nicht per Telefon erfolgen. Aus diesem Grund musste er nach Athen.

Markos wusste genau, was passieren würde. Sein Vater war alt, sein einziger Sohn schwach, respektlos und selbstsüchtig und hielt nichts von seiner Verpflichtung gegenüber dem Namen Makarios. Hatte sein Vater nicht genug Leid durch seine Ehefrau ertragen müssen? Hatte er es nicht verdient, die letzten Jahre seines Lebens ohne Ängste und Sorgen zu verbringen? Endlich seine Enkelkinder um sich zu scharen, statt die dummen Ausflüchte seines Sohnes zu hören? Und wusste sein sturer Sohn denn nicht, dass er eine griechische Frau heiraten musste, um eben jene Enkelkinder zu zeugen? Eine gute Frau, eine loyale Frau, eine griechische Frau, die treu und aufrichtig sein würde, und nicht untreu und falsch. Eine Frau, die ihre Pflicht kannte: ihrem Ehemann Söhne und dem Schwiegervater Enkel zu schenken.

Aber nein, Markos war selbstsüchtig und respektlos. Er verschwendete seine Zeit mit Flittchen und Huren wie derjenigen, mit der er Weihnachten in der Karibik verbracht hatte, anstatt nach Hause zu kommen und sich eine Frau zu nehmen. Eine aus dem Dutzend, das sein Vater bereits für ihn ausgesucht hatte …

In seinem Kopf ließ Markos die Eisentür zufallen, die die endlose Litanei seines Vaters zum Verstummen brachte. Thee mou, er wollte nicht nach Athen! Er wollte nicht mit zusammengebissenen Zähnen die Tiraden seines Vaters über sich ergehen lassen. Aber er musste es tun. Und nachdem es getan war, konnte er wieder flüchten – zurück in das Leben, das er für sich gewählt hatte. Ein Leben, in dem es wunderschöne Frauen gab – wie die, mit der er gerade das Bett teilte, die ihm alles gab, was er wollte. Alles, was er brauchte.

Frauen, die in einer Million Jahren nicht ans Heiraten dachten.

Oder an Kinder.

Oder daran, sich zu verlieben.

4. KAPITEL

Trübsinnig sah Vanessa hinaus in die Nacht. Zwanzig Stockwerke unter ihr schimmerte dunkel die Themse. Sie fröstelte, und das lag nicht am britischen Winter. Die Kälte saß in ihr.

Weil Markos nicht bei ihr war.

Er war länger fort, als sie gedacht hatte – schon über eine Woche.

Sie vermisste ihn. In ihr herrschte eine Leere, die sie rastlos machte und sie trotz der Kälte und der späten Stunde auf die Dachterrasse des Apartments in Chelsea trieb. Denn mit einem Mal war ihr die wohlige Wärme des Penthouses viel zu heiß und das flaue Gefühl, das sie seit der Rückkehr aus Österreich und der Trennung von Markos verspürte, noch stärker.

Lange blieb sie draußen stehen, die Arme eng um den Körper geschlungen. Oh Markos, warum bist du so lange fort? Bitte komm bald zurück! Bitte. Ich vermisse dich so sehr!

Wieder und wieder gingen ihr die Worte durch den Kopf.

Sie konnte ihn noch nicht einmal anrufen. Denn mit dem Handy, das er ihr gegeben hatte, konnte man nur Anrufe empfangen, aber nicht selbst anrufen. Außerdem hätte er sich gemeldet, wenn er mit ihr sprechen wollte. Doch seit sie in London angekommen war, hatte sie nichts von ihm gehört.

Quälend langsam vergingen die Tage. Tagsüber ging sie einkaufen oder besichtigte Museen. Abends besuchte sie Konzerte, ging ins Kino oder ins Theater. Heute hatte sie einen Film im Kino gesehen, eine traurige Liebesgeschichte, die sie nur deprimiert hatte. Dazu kam, dass es keinen Spaß machte, allein auszugehen, und sie kannte niemanden in London.

Natürlich hatte sie in den letzten Monaten einige von Markos’ Bekannten kennengelernt, aber die kamen nicht auf die Idee, sie ohne Markos einzuladen. Was Vanessa allerdings nicht störte, denn sie fühlte sich bei diesen Menschen, die einfach einer anderen sozialen Schicht entstammten, nicht richtig wohl.

Unentwegt starrte sie auf den kalten dunklen Fluss hinunter und wartete auf den Mann, den sie liebte.

Damit sie wieder anfangen konnte zu leben.

Auch Markos war in einer grässlichen Stimmung. Der Flug hatte Verspätung, und die zehn Tage in Athen hatten einem Fegefeuer geglichen. Mit jeder Rüge, die man sich nur vorstellen konnte, hatte sein Vater ihn bedacht. Aber damit nicht genug. Der alte Mann hatte zudem eine Dinnerparty inszeniert, zu der er die aktuelle Favoritin der guten griechischen Frau für seinen Herumtreiber von Sohn einlud.

Apollonia Dimistris entsprach genau der Art Frau, die sein Vater für ihn wählen würde. Sie war teuer gekleidet, allerdings ohne sich dabei zu bemühen, attraktiv zu sein. Und sie war so sittsam, dass sie fast gar nichts sagte. Dafür war ihre Mutter umso glücklicher, die Lücken in dem Gespräch füllen zu dürfen. Insgeheim verfluchte Markos seinen Vater, vor allem, als der einige unerträglich plumpe Bemerkungen über sein Alter, seinen Gesundheitszustand und seine Sehnsucht nach der nächsten Makariosgeneration äußerte. Dabei sah ihn Apollonias Mutter Constantia verständnisvoll lächelnd an, was Markos vollends zur Weißglut trieb.

Jetzt besserte sich seine Laune zum ersten Mal seit zehn Tagen.

Zum Glück war er Athen entkommen. Zum Glück war er weit weg von seinem Vater. Und zu seinem größten Glück unterschied sich die Frau, die ihn in seinem Apartment erwartete, von Apollonia wie ein saftiger Pfirsich von einer unreifen Pflaume!

Als er sich das Bild der Frau in Erinnerung rief, die sich als ein so hervorragendes Mittel erwiesen hatte, um die Langweile zu vertreiben, die ihn in Paris überfallen hatte, spürte er, wie sich sein Körper regte.

Während der Wagen durch die Straßen von London fuhr, lehnte er sich in den weichen Ledersitz, entspannte seine Muskeln und lockerte die Krawatte.

Denn er wollte keine weiteren Verzögerungen, sobald er das Apartment betrat.

„Markos!“, rief Vanessa ungläubig. Einen endlosen Moment blieb sie reglos auf der Terrasse stehen und starrte auf die Silhouette, die sich hinter der Schiebetür abzeichnete.

„Oh, Markos!“

Dann erst lief sie auf ihn zu und schloss in fest in ihre Arme.

„Hast du mich vermisst?“, fragte er sanft, umfasste mit den Händen ihr Gesicht und zwang sie, ihn anzusehen.

„Die Zeit ohne dich war schrecklich!“, platzte sie wahrheitsgemäß heraus.

Erfreut über ihre Antwort, lachte er leise und zog sie enger an sich.

Dann küsste er sie, hungrig, sinnlich und fordernd. Sofort öffnete Vanessa ihre Lippen, um mit ihrer Zungenspitze seine Sinne aufs Herrlichste noch weiter zu reizen.

Zehn lange qualvolle Tage war er fort gewesen, und jetzt war er so unerwartet zurückgekommen und erfüllte die bitterkalte Winternacht mit pulsierender Hitze.

Thee mou, ich will dich.“

Seine Stimme klang rau, und er streichelte mit einer Hand über ihren Rücken, umfasste ihren wunderbar gerundeten Po, presste sie fest an sich, so dass Vanessa genau spürte, wie sehr er sie begehrte.

Ohne den Kuss zu unterbrechen, dirigierte er sie ins Schlafzimmer. Sie fühlte, wie sie auf das Bett sank, spürte sein Gewicht auf sich.

In Sekunden und ohne dass sie wusste, wie, landete ihre Kleidung auf dem Boden. Aber das war unwichtig; wichtig war allein ihr Hunger und ihre Sehnsucht nach ihm. Mit seinen Beinen spreizte er ihre, fand die richtige Position für seine Hüften, ergriff mit einer Hand ihre Handgelenke und zog ihre Arme hinter ihren Kopf zurück, während er mit der anderen ihre bebende Brust umfasste.

Einladend bog sie sich ihm entgegen, hob ihre Hüften leicht an, fühlte seine Männlichkeit zwischen ihren Beinen. Noch einmal stemmte er sich von ihr ab, nur um dann, in einer einzigen gleitenden Bewegung, in sie einzudringen.

Vanessa schrie auf, bog ihren Rücken noch weiter durch und spannte die Arme hinter ihrem Kopf an.

Er zog sich zurück, drang wieder in sie ein, wieder und wieder, und jedes Mal schrie sie auf, immer atemloser, während die wildesten Empfindungen, die seine Stöße in ihr auslösten, durch ihren Körper jagten.

Woge um Woge brach über ihr zusammen, unaufhaltsam, und mit jeder seiner rhythmischen Bewegungen breitete sich ein hell loderndes Feuer weiter in ihr aus.

„Oh Gott, Markos … Markos!“

Und endlich, endlich bäumte sich ihr Körper auf, und die Wellen unendlicher Lust rissen sie mit sich.

Markos folgte ihr im selben Moment, als ob er nur darauf gewartet hätte, dass sie das Paradies erreichte, bevor er seinem eigenen Verlangen nachgab.

Zusammen erklommen sie den Gipfel der Lust, keuchend, die Körper in gemeinsamer Ekstase vereint.

Dann, als die unvermeidlich folgende Erschöpfung ihren Tribut forderte, sank er auf sie, sein Körper mit Schweiß bedeckt.

Auch Vanessa wurde von der Mattigkeit eingeholt. Unfähig, etwas anderes zu tun, als mit geschlossenen Augen still liegen zu bleiben, lauschte sie ihren sich langsam beruhigenden Atemzügen.

„Dafür“, murmelte er und streifte ihre Lippen mit den seinen, „hat es sich gelohnt zurückzukommen.“

Er gab ihren Mund frei und bettete seinen Kopf auf das Kissen. Sie fühlte die Schwere seines Körpers auf sich, hörte, wie seine Atmung sich verlangsamte, spürte, wie seine Muskeln sich entspannten.

Markos war eingeschlafen.

Unter ihm lag Vanessa, die Beine noch immer leicht gespreizt, die Hände auf seinem Rücken und mit Trägheit, Zufriedenheit und tiefer, tiefer Dankbarkeit erfüllt.

Unter der Dusche genoss Markos, wie die Wasserstrahlen auf seinen Körper prasselten. Er fühlte sich fantastisch. Nach diesem unglaublichen Sex war seine gute Laune komplett wiederhergestellt. Er versuchte sich an eine Frau zu erinnern, die ihm ebensolche Freude bereitet hatte, und scheiterte. Wen kümmerte es, ob eine seiner früheren Geliebten genauso gut gewesen war? Die, die jetzt in seinem Bett lag, war genau, was er wollte.

Außerdem war Vanessa die einfachste Geliebte, die er je gehabt hatte. Sie stellte keine Ansprüche, forderte keine Kleider, keine Juwelen, keine Geschenke. Mehr noch: Sie machte keine Anspielungen, belästigte ihn nicht, rief ihn nicht an, fragte ihn nicht, wohin er ging und was er tat. Und was andere Männer anging – nun, die existierten für sie einfach nicht. Selbst Leo, dessen Charme legendär war, hatte keine Wirkung auf sie. Eines Abends hatte er sie gefragt, ob sie seinen Cousin attraktiv fand, und sie hatte ihn angesehen, als wäre er verrückt geworden.

Als ihm die Unterhaltung, die er mit Leo auf Schloss Herzogstein geführt hatte, einfiel, verfinsterte sich seine Miene.

„Pass auf dich auf, kleiner Cousin“, hatte Leo ihn spöttisch gewarnt. „Eine verliebte Frau kann gefährlich werden. Besser, du bleibst bei den Frauen, von denen du von vornherein weißt, dass sie nur auf dein Geld aus sind – dann weißt du zumindest, woran du bist.“

Damals hatte er die Warnung lachend in den Wind geschlagen. Vanessa in ihn verliebt? Wo lag da die Gefahr? Vanessa tat alles, was er wollte, im Bett und auch außerhalb, sie beschwerte sich nie, schmollte nie und flirtete nicht mit anderen Männern.

Und am allerwenigsten versuchte sie, ihn zu manipulieren. In dieser Hinsicht war sie nach den zehn Tagen bei seinem Vater, der unablässig versucht hatte, bei seinem Sohn Schuldgefühle wegen der nicht vorhandenen Erben zu wecken, Balsam für seine Seele.

Das Letzte, was Markos wollte, waren Kinder! Hatte er nicht am eigenen Leib erfahren, wie es war, aus keinem anderen Grund auf der Welt zu sein, als dass seine Mutter von seinem Vater Geld erpressen und sein Vater lediglich den Fortbestand der Makarios-DNA gesichert wissen wollte?

Nein, er würde jetzt nicht über seine Eltern nachdenken. Seit Jahren führte er sein eigenes Leben. Sein Leben bestand darin, die Hälfte der Makarios Corporation zu leiten und die Früchte, die diese Aufgabe mit sich brachte, zu genießen. Und gerade als die Früchte anfingen, langweilig zu werden, war Vanessa erschienen und hatte diese Gefahr gebannt.

Sein Vater wollte ein anderes Leben für ihn? Nun, derselbe Vater hatte sich nie darum gekümmert, ob sein Sohn glücklich war oder nicht. Warum sollte er sich jetzt um das Glück seines Vaters sorgen?

Markos Miene verhärtete sich. Nach einem erbitterten Kampf um das Sorgerecht hatte sein Vater den neunjährigen Markos endlich bekommen. Und, war er ihm dann so wichtig gewesen, dass er ihn bei sich behalten hätte? Nein, er hatte ihn in ein Internat in die Schweiz abgeschoben. Auch seine Mutter hatte fortan kein Interesse mehr an ihm, hatte er doch nur als Druckmittel für ihre beständigen Geldforderungen gedient. Nur Leo hatte sich um ihn gekümmert.

Markos streckte die Hand aus und schaltete zusammen mit dem Wasser auch seine Erinnerungen ab.

Er trocknete sich ab, wickelte das Handtuch um seine Hüften und kehrte ins Schlafzimmer zurück.

Das Bett war leer. Als er aufgewacht war, hatte Vanessa noch geschlafen, und weil er heute wegen geschäftlicher Angelegenheiten in sein Londoner Büro musste, hatte er sie nicht geweckt.

Ob sie ihm Frühstück machte?

Das tat sie gern. Ein weiteres Zeichen ihrer Verliebtheit, vermutete er. Es schien ihr zu gefallen, für ihn zu kochen, anstatt das Essen aus dem Restaurant, das alle Wohnungen des Hauses versorgte, kommen zu lassen.

Doch sie war nicht in der Küche. Leicht genervt ging Markos weiter ins Wohnzimmer. Das war ebenfalls verlassen. Dann fiel es ihm ein – selbst nach fünf Monaten benutzte sie nur ungern dasselbe Badezimmer, wenn er gerade duschte.

Tatsächlich hörte er aus einem der anderen Badezimmer Geräusche.

Sie übergab sich.

Markos erstarrte. Warum in aller Welt übergab sie sich?

Plötzlich wurde ihm eiskalt. Auch wenn er kaum etwas über den weiblichen Zyklus wusste, der Grund für morgendliche Übelkeit war ihm wohl bekannt.

Nein. Das konnte nicht sein. Es konnte einfach nicht sein.

Oder doch?

Dann fiel es ihm wieder ein. Nein, dachte er erleichtert. Sie hatte ihre Periode, als wir nach Österreich gefahren sind.

Leise zog er sich zurück. Mit ihrer angeborenen Zurückhaltung würde Vanessa seine Anwesenheit nicht gefallen. Stattdessen ging er in die Küche und kochte ihr einen Kaffee.

Zitternd spülte Vanessa sich den Mund und zog ein letztes Mal die Toilettenspülung.

Wo in aller Welt war das auf einmal hergekommen? Sie war aufgestanden, zum Badezimmer gegangen, und kaum hatte sie die Schwelle erreicht, war die Übelkeit in ihr aufgestiegen.

Sie strich ihre Haare zurück und blickte ihr Spiegelbild über dem Waschbecken an. Weiß wie ein Gespenst.

Ich kann nicht schwanger sein!

Während sie sich in die Augen sah, dachte sie das Undenkbare. Dann durchströmte sie Erleichterung. Nein, natürlich war sie nicht schwanger. Schließlich hatte sie in Österreich ihre Periode gehabt. Gut, die war ein bisschen seltsam gewesen, kürzer, aber sie hatte gelesen, dass große Höhen, wie Berge, den weiblichen Zyklus beeinflussen konnten. Also war alles in Ordnung.

Folglich musste sie sich einen Virus eingefangen haben und war einfach krank.

Vielleicht, dachte sie mit einem schiefen Lächeln, habe ich mich in den letzten Tagen nicht nur so schlecht gefühlt, weil ich Markos vermisst habe. Ihr Lächeln schwand. Sie wollte nicht krank sein, wenn Markos bei ihr war. Er hasste Krankheiten, und sie hatte bereits nach Weihnachten eine heftige Erkältung gehabt. Damals hatte sie sogar Antibiotika schlucken müssen.

Andererseits fühlte sie sich bereits viel besser. Vielleicht hatte sie das Schlimmste schon überstanden.

Entschlossen zog sie den Gürtel ihres Bademantels fester und machte sich auf die Suche nach Markos.

Er war in der Küche und schüttete Kaffeebohnen in die Kaffeemühle.

„Lass mich das machen“, sagte sie sofort.

Bereitwillig machte Markos ihr Platz.

„Wie geht es dir?“, fragte er, und sein Blick wanderte beunruhigt über ihr Gesicht.

Du darfst ihm nicht sagen, dass du krank bist. Er ist doch gerade erst zurückgekommen. Schlechte Nachrichten will er jetzt nicht hören.

„Gut“, erwiderte sie fröhlich und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Ich bin froh, dass du wieder zu Hause bist! Ich habe dich so vermisst!“

Einen Moment glaubte sie, Zurückhaltung in seinen Augen zu sehen, aber dann war es auch schon wieder vorbei. Zärtlich streifte er mit einem Finger ihre Wange.

„Ja, das hast du mir letzte Nacht gezeigt“, meinte er sanft und beobachtete, wie ihre Wangen sich schamhaft röteten.

Sie ist blass, dachte er. Blasser als sonst. Warum hat sie mir nicht gesagt, dass sie krank ist? Doch schon im nächsten Moment zuckte er innerlich mit den Schultern. Der britische Teil in ihm wusste, warum. Über solche Kleinigkeiten kein Aufhebens zu machen, war eine nationale Eigenschaft.

Sein Blick wanderte zur Küchenuhr, und er stieß einen Fluch auf Griechisch aus. In fünfzig Minuten hatte er ein Meeting mit seinem Steuerberater. Natürlich würde der Mann auf ihn warten, aber es war keine gute Angewohnheit, zu spät zu kommen. Das führte nur dazu, dass Angestellte sich solche Nachlässigkeiten ebenfalls herausnahmen.

„Keinen Kaffee … ich frühstücke im Büro“, sagte er brüsk. Doch als er aus der Küche eilte, um sich anzuziehen, rief er ihr über die Schulter zu: „Heute Abend lade ich dich zum Dinner ein. Kauf dir ein neues Kleid. Sei sexy für mich. Andererseits“, fügte er mit einem tiefen Lachen hinzu, „wenn du zu sexy bist, essen wir wohl besser hier.“

Vanessa sah ihm nach und wandte sich dann zögernd wieder der Kaffeemühle zu.

Das köstliche Aroma der frisch gemahlenen Bohnen drang an ihre Nase. Gleichzeitig verspürte sie einen neuerlichen Anfall von Übelkeit.

Mit fest zusammengepressten Lippen atmete sie langsam durch die Nase. Nein, sie würde nicht krank werden. Stattdessen wollte sie sich den Morgen über ausruhen und später ein neues Kleid kaufen.

Das war es, worum er sie gebeten hatte – und seine Wünsche zu erfüllen, war alles, was sie wollte.

Sie liebte ihn so sehr.

Enttäuscht beugte Vanessa sich vor und blies die Kerzen auf dem Tisch aus. Es war bereits nach zehn.

Der Tisch war gedeckt, das Essen wartete zusammen mit dem Champagner im Kühlschrank. Alles war vorbereitet, nur Markos kam nicht.

Ihr neues Kleid, das ihr in weichen Falten bis zu den Knöcheln reichte, glänzte in einem warmen Zinnoberrot. Bis zu dem Shooting in Österreich, bei dem der Stylist ihr ein ähnliches Kleid angezogen hatte, hätte sie nie diese Farbe gewählt. Doch dort hatte sie erkannt, dass der Ton die Farbe ihrer Haare besonders gut zur Geltung brachte.

Mit prüfendem Blick betrachtete sie sich in dem großen Wandspiegel. Ein Lächeln erhellte ihre Miene. Noch nie in ihrem Leben war sie so dankbar gewesen, gut auszusehen. Schließlich war ihre Schönheit alles, was sie Markos schenken konnte. Sie besaß nichts anderes. Wohingegen ihm unermessliche Reichtümer gehörten und er unglaublich großzügig war. Er machte ihr mehr Geschenke, als ihr lieb war. Aber sie sagte nichts. Wenn sie seine Geschenke zurückwies, wäre er beleidigt. Außerdem diente alles dazu, sie noch schöner zu machen. Wie dieses Kleid, das sie zum Preis eines kleinenVermögens in einem der Dutzend Geschäfte, in denen er Konten für sie eingerichtet hatte, für ihn ausgesucht hatte.

Halb elf. Natürlich arbeitete er sehr hart. Ein internationales Unternehmen zu leiten, war kein Kinderspiel. Quer durch die Welt zu reisen, war sein Leben – er hatte keine geregelte Arbeit, die um neun Uhr begann und um fünf endete, sondern eher einen Vierundzwanzigstundenjob, sieben Tage die Woche.

Kritik an seiner Arbeit war das Letzte, was Markos brauchte. Eine der wenigen Sachen, die sie für ihn tun konnte, war, seine Freizeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Wie konnte es sie stören, hier zu sitzen und bis halb elf auf ihn zu warten?

Stattdessen würde sie sich auf das Sofa setzen, die Schuhe ausziehen und sich ausruhen. Markos war ein anspruchsvoller Liebhaber, und in ihren Nächten kamen sie kaum zum Schlafen. Zudem fühlte sie sich heute besonders müde – das musste vom Infekt kommen. Also würde sie die Füße hochlegen und sich ein wenig entspannen.

Bald käme Markos nach Hause. Er verspätete sich nur ein wenig, das war alles.

Kurz darauf schloss Markos die Tür zu seinem Apartment auf, zog seinen Kaschmirmantel aus und legte ihn über einen Stuhl im Flur. Auf das verdammte Geschäftsessen war er nicht vorbereitet gewesen. Zwar hatte er seiner Sekretärin gehörig die Leviten gelesen, aber ihm war keine Wahl geblieben, als zu dem Dinner zu gehen. Mochte es noch so langweilig sein, es waren Gäste dabei, die sich als nützlich für die Makarios Corporation erweisen konnten. Deshalb hatte er in seiner Privatwohnung, die unmittelbar neben dem Büro lag, einen Anzug angezogen und sich von Stelios in der Firmenlimousine in die Stadt fahren lassen.

Aber jetzt war er endlich wieder zu Hause.

Müde ging er ins Wohnzimmer. Als er die Gestalt in Rot auf dem weißen Sofa erblickte, erhellte ein Lächeln sein Gesicht.

Das schlafende Dornröschen in Person.

Vanessas Brüste hoben und senkten sich unter ihren gleichmäßigen Atemzügen. Sehnsucht erfasste Markos und ließ sein Blut schneller pulsieren.

Zeit, Dornröschen mit der klassischen Methode aufzuwecken. Nur würde er es nicht bei einem Kuss belassen.

Er kniete sich neben sie und presste seinen Mund auf den ihren. Wie Samt waren ihre Lippen.

5. KAPITEL

Vorsichtig stieg Vanessa aus der Limousine. Sie fröstelte trotz des Mantels aus Kunstpelz, den sie über dem dünnen Abendkleid trug. Allerdings war sie den Elementen der kalten Winternacht nur so lange ausgesetzt, wie Markos brauchte, um ebenfalls auszusteigen, seinen Arm um ihre Schultern zu legen und sie in das berühmte West End Hotel zu führen, dessen Eingangstüren aufmerksame Portiers bereits für sie geöffnet hatten.

Heute Abend gab es hier eine extravagante Privatparty, deshalb hatte Markos auch dieses Kleid für sie ausgewählt. Ein goldenes Etuikleid mit einem viel tieferen Ausschnitt, als ihr angenehm war, was ihn aber nicht im Geringsten zu stören schien. Im Gegenteil, seine Augen hatten anerkennend geleuchtet, als sie nach zwei Stunden den Bemühungen des Stylisten und Friseurs entkommen war.

„Du siehst atemberaubend aus!“, hatte er gesagt. „Es fehlt nur noch eine Kleinigkeit.“

Während Vanessa jetzt durch das Hotelfoyer ging, spürte sie die „Kleinigkeit“, die zwischen ihren Brüsten ruhte – ein einzelner Diamant, der in allen Farben des Regenbogens funkelte.

„Markos!“

Ein Mann kam auf sie zu, und Markos versteifte sich augenblicklich.

„Cosmo“, begrüßte er den Fremden schließlich.

Der Mann war in Markos’ Alter, sah aber nicht annähernd so gut aus. Er hatte dunkle Haut und weichliche Gesichtszüge.

Obwohl er sich mit Markos unterhielt, ruhte sein Blick auf Vanessa. Und das gefiel ihr überhaupt nicht. An männliche Aufmerksamkeit war sie gewöhnt. Allerdings gab es sie in zwei Varianten: bewundernd und höflich oder unangenehm. So unverhohlen, wie dieser Mann sie anstarrte, gehörte er definitiv in die zweite Kategorie.

„Komm schon, Markos, sei nicht so egoistisch – stell mich der Dame vor!“, forderte er jetzt auf Englisch.

„Vanessa, das ist Cosmo Dimistris. Cosmo …“

Aber Cosmo wartete die offizielle Vorstellung gar nicht erst ab, sondern ergriff Vanessas Hände.

„Heiß, Markos, ganz heiß – du weißt, worauf es ankommt!“

Angewidert entzog Vanessa ihre Hände seinem Griff. Lachend sagte Cosmo noch etwas zu Markos, aber was auch immer es war, Markos fand es offensichtlich nicht lustig. Doch das störte Cosmo nicht; schnell wechselte er wieder ins Englische und meinte: „Wie wäre es mit einem Drink?“

„Nein danke“, erwiderte Markos gleichgültig, verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken und führte Vanessa zu den Aufzügen ans andere Ende der Lobby. Wer auch immer Cosmo Dimistris war, er war ein Ekel, und Vanessa war froh, ihn wieder los zu sein.

„Wer war das?“, fragte sie.

„Niemand, über den du dir Gedanken machen musst“, entgegnete Markos gepresst. Er hatte nicht erwartet, Cosmo Dimistris hier zu treffen, und es hatte ihm überhaupt nicht gefallen, wie dieser Vanessa angestarrt hatte. Nicht, dass Vanessa sein Interesse auch nur ansatzweise erwidert hätte! Verstohlen warf er ihr einen Seitenblick zu. Sie war immer wunderschön, aber heute Abend hatte sie sich selbst übertroffen und sah so atemberaubend gut aus, dass ihn Cosmos begierige Blicke nicht überraschten. Es war fast, als wäre sie von einer leuchtenden Aura umgeben.

Kaum waren sie bei den Aufzügen angekommen, öffneten sich die Türen des Fahrstuhls links von ihnen, und zwei Frauen traten heraus. Die eine war mittleren Alters, die andere sehr jung.

Markos erstarrte.

Verdammt! Warum in Gottes Namen hat Cosmo mich nicht gewarnt?

Constantia Dimistris überblickte die Situation sofort. Beeindruckt sah Markos, wie sie ihn erkannte, aber ohne diese Tatsache mit einem Blick oder Wort zu verraten an ihm vorbeiging.

Ihre Tochter hingegen war nicht so souverän. Apollonia blieb wie angewurzelt stehen, starrte ihn an und errötete.

„Apollonia!“

Mit scharfer Stimme rief die Mutter nach ihrer Tochter und hielt den Blick dabei fest auf Apollonia gerichtet. Einen Moment sah diese verwirrt aus, als verstünde sie nicht, warum ihre Mutter den Mann, von dem sie hoffte, er würde ihr zukünftiger Schwiegersohn, nicht begrüßte.

Zu seiner Erleichterung rief Constantia noch einmal nach ihrer Tochter. Dieses Mal reagierte das Mädchen und eilte, immer noch hochrot, hinter ihrer Mutter her. Mit sanfter Bestimmtheit drängte Markos Vanessa in den Aufzug.

Verdammt, dachte er. Darauf hätte ich wirklich verzichten können. Er hatte noch nicht einmal gewusst, dass die beiden überhaupt in London waren.

War Constantia mit ihrer Tochter absichtlich nach London gereist, weil sein Vater ihr gesagt hatte, dass er noch in der Stadt war? Nun, wenn dem so war, erfüllte die unglückliche Begegnung vielleicht einen sinnvollen Zweck. Bis die weiblichen Dimistris wieder abreisten, würde er darauf achten, Vanessa immer an seiner Seite zu haben. Nichts war besser geeignet als eine Geliebte, um potenzielle Ehefrauen fernzuhalten …

Wieder sah er Vanessa an. Welcher Mann mit Verstand würde eine Ehefrau wollen, wenn er eine so wundervolle Geliebte hatte? Langsam streichelte er über den tief dekolletierten Ausschnitt ihres Kleides. Und sie reagierte genauso, wie er es vorhergesehen hatte.

Danach war er wieder bestens gelaunt.

Die Suite, in der die Party stattfand, war üppig dekoriert und voller Menschen. Überall schwirrten Gesprächsfetzen in vielen unterschiedlichen Sprachen durch die Luft. Vanessa wusste nicht, wer eigentlich der Gastgeber war, aber das störte sie nicht. Sie war an Markos’ Seite, das war das Wichtigste. Da er sich in mindestens vier verschiedenen Sprachen unterhielt, sie hingegen nur englisch konnte, schwieg sie die meiste Zeit, lächelte und nippte an ihrem Champagner. Allerdings richteten auch nicht viele Gäste das Wort an sie – und wenn, dann waren es Männer.

Männer wie Cosmo Dimistris. Als eine Bewegung in der Gästeschar kurz den Blick auf ihn freigab, wandte Vanessa sich instinktiv ab. Glücklicherweise kam er nicht zu ihr und Markos. Im Moment unterhielt Markos sich auf Französisch mit einem Mann mittleren Alters. Da sie kein Wort verstand, tat sie, was sie immer tat, wenn Markos’ Aufmerksamkeit nicht ihr galt.

Sie sah ihn an. Sie liebte es, ihn einfach nur anzusehen. Den Bogen seiner Augenbrauen, die kleinen Linien um seinen Mund, wenn er lachte, die Art, wie sein dunkles Haar ein ganz klein wenig zerzaust war, seine breiten Schultern … Jedes Detail seines perfekten Körpers nahm sie in sich auf.

„Vanessa?“

Blinzelnd kehrte sie zurück in die Wirklichkeit. Markos hatte sein Gespräch mit dem Franzosen unterbrochen und sah sie an.

„Entschuldigst du mich einen Moment?“

Sofort nickte sie. „Natürlich.“

Nach einem kurzen Lächeln gesellte Markos sich mit dem anderen Mann zu einem Paar, das einige Meter entfernt stand. Ein weiterer Mann mittleren Alters und eine sehr exklusiv gekleidete ältere Frau, die eine gewisse vornehme Würde ausstrahlte. Andere Menschen gingen umher, und Vanessa konnte Markos nicht mehr sehen. Einen Moment stand sie ganz still und fühlte sich sehr hilflos.

Dann erklang eine Stimme neben ihr.

„Wie dumm von Markos, dich allein zu lassen!“

Zu ihrem Leidwesen stand Cosmo Dimistris plötzlich an ihrer Seite.

„Ja“, fuhr Cosmo fort, „Markos weiß, wie man die süßesten Früchte pflückt. Wie lange bist du schon bei ihm?“

Vanessa setzte ein knappes Lächeln auf, kaum mehr, als zivilisierte Höflichkeit gebot. „Wir haben uns im September kennengelernt.“

Erstaunt zog Cosmo eine Augenbraue hoch. „Du hast dich lange gehalten. Aber du bist auch wirklich außergewöhnlich.“ Er beugte sich vor. „Und nur die Besten sind gut genug für Markos Makarios.“ Er stieß ein Lachen aus, das Vanessa nicht gefiel. Beunruhigt schaute sie sich um. Markos plauderte immer noch mit der französischen Gruppe. Beinahe wäre sie losgelaufen, zwang sich dann aber doch, stehen zu bleiben. Wenn er sie nicht an seiner Seite behielt, musste es ein geschäftliches Gespräch sein.

„Also“, meinte Cosmo in diesem Augenblick, „ich nehme an, du machst das Beste aus der Zeit, die dir bleibt?“ Dabei streckte er die Hand aus und berührte den Diamantanhänger mit einem seiner dicklichen Finger. „Sehr hübsch.“ Als er seine Hand zurückzog, berührte er kurz ihre nackte Haut. Vanessa musste all ihren Stolz aufbringen, um nicht zurückzuzucken. „Aber ich würde dir Smaragde schenken. Die hätten den dramatischeren Effekt bei deiner Haarfarbe. Sag mir, welche Pläne hast du für die Zukunft? Das würde mich wirklich interessieren.“ Vielsagend glitt sein lüsterner Blicke über ihren Körper.

„Wäre es nicht lustig“, fuhr er fort, ohne eine Antwort abzuwarten, „wenn alles sozusagen in der Familie bliebe? Ich wäre glücklich, mehr als glücklich, dir eine angemessene Lösung für deine missliche Lage anzubieten.“

Über was in aller Welt sprach dieser Mann?

„Ich kann mir vorstellen, dass Markos eine so erlesene Geliebte wie dich nur sehr ungern aufgibt, aber sein Verlust wird mein Gewinn sein.“ Vertraulich beugte er sich noch ein Stückchen weiter zu ihr. „Ich werde genauso großzügig sein wie er, das versichere ich dir – es wäre also nicht zu deinem Nachteil, wenn du zu mir kommst.“ Zu seinem lüsternen Blick gesellte sich jetzt noch ein anzügliches Grinsen.

„Entschuldigen Sie mich.“ Abrupt drehte sie sich um. Hatte dieser Widerling wirklich gesagt, was sie zu hören geglaubt hatte? Hastig ging sie auf die Gruppe zu, mit der Markos immer noch auf Französisch sprach.

„Markos …“, sagte sie erleichtert, als sie bei ihm angekommen war und eine Hand auf seinen Arm legte.

Der Franzose, der gerade noch gesprochen hatte, verstummte abrupt. Als Vanessa erkannte, dass sie ihn unterbrochen hatte, setzte sie ein zaghaftes Lächeln auf. „Ich bitte um Entschuldigung“, murmelte sie.

Doch der Franzose schwieg weiterhin. Auch von den anderen Anwesenden sagte niemand mehr ein Wort. Unvermittelt wandten sich die ältere Frau und der dritte Mann ab und gingen. In diesem Moment fiel Vanessa auf, wie angespannt Markos aussah. Jetzt sagte der ursprüngliche Sprecher einige schnelle Worte auf Französisch zu Markos. Der nickte, drehte sich um und zog Vanessa mit sich fort.

„Ich … es tut mir leid“, stotterte sie. „Ich wollte nicht stören. Es war nur so, dass …“

„Ich habe dir gesagt, ich würde dich ein paar Minuten allein lassen“, fiel Markos ihr ins Wort.

Mit einem flauen Gefühl im Magen sah Vanessa ihn an. „Was … was ist los?“

„Das war die Duchesse de Nerailles-Courcy“, erwiderte er gepresst.

„Es tut mir leid“, wiederholte sie. „Ich weiß nicht, wer sie ist.“

„Offensichtlich nicht.“ Sein Tonfall war ungeduldig, dann seufzte er. „Ist schon gut. Vergiss es einfach, in Ordnung? Jetzt ist es sowieso zu spät. Aber wenn ich dich das nächste Mal bitte, auf mich zu warten, würde ich es sehr begrüßen, wenn du genau das tust.“

In seiner Stimme lag eine Schärfe, die Vanessa noch nie zuvor bei ihm gehört hatte. Langsam, ohne es überhaupt zu bemerken, ließ sie seinen Arm los.

„Es tut mir leid, Markos.“

Wieder seufzte er. „Vanessa, manche Menschen habe eine sehr offene Einstellung, andere – wie die Duchesse – nicht. Ich kann dich ihr nicht so einfach vorstellen.“

„Sie ist sich wohl zu vornehm?“ Vanessa versuchte, ihrer Stimme einen leichten Klang zu verleihen, doch es gelang ihr nur leidlich. „Mit gewöhnlichen Bürgerlichen wie mir spricht sie wohl nicht?“

Daraufhin sah Markos sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Wahrscheinlich, dachte sie, ist es ihm peinlich zuzugeben, dass ich recht habe und die Französin einfach arrogant ist.

Zum Glück winkte ihm jemand zu, und der Moment ging vorüber. Markos legte eine Hand um Vanessas Ellenbogen und führte sie zu dem Mann.

„Giovanni, wie schön, Sie zu sehen.“ Er wechselte ins Italienische.

Dankbar nahm Vanessa ihre vertraute Rolle wieder ein – die Frau an Markos Makarios’ Seite. Energisch verdrängte sie die beiden seltsamen Ereignisse. Sie hatten nichts zu bedeuten. Nicht einen Gedanken musste sie mehr daran verschwenden.

Das war alles, was zählte.

Der Rest des Abends verlief ohne weitere Zwischenfälle. Doch während sie an Markos’ Seite von einer Gruppe zur nächsten schlenderte, drängten zwei Worte immer wieder in ihr Bewusstsein: Zukunft und Pläne. Der widerliche Mann hatte sie nach ihren Plänen für die Zukunft gefragt. Sie hatte keine Pläne. Sie war mit Markos zusammen.

Aber wie lange noch?

Auch diese Frage verdrängte sie. Weder über ihre Zukunft noch darüber, wie lange sie mit Markos zusammen wäre, wollte sie sich Gedanken machen. Solange sie nicht darüber nachdachte, existierten die Fragen auch nicht. Sie war zu glücklich, zu zufrieden auf ihrer eigenen persönlichen Wolke sieben, um über so etwas nachzudenken!

Ihr Blick wanderte zu ihm, und er spürte, dass sie ihn ansah. Denn für einen flüchtigen intensiven Moment hielt er ihren Blick mit seinen Augen gefangen. Auch ohne dass er die Worte laut aussprach, konnte sie die Botschaft in seinen dunklen Augen lesen. Nach einem Blinzeln nahm er das Gespräch mit seinem Gegenüber wieder auf.

Aber auf ihrem Rücken streichelten seine Finger über die Seide ihres Kleides und wiederholten noch einmal die Botschaft seiner Augen.

Kurze Zeit später verließen sie die Party.

Vanessa streifte das eisblaue Cocktailkleid über ihren Kopf, schob ihre Haare zurück und legte einen Arm auf den Rücken, um den Reißverschluss zu schließen.

Dabei runzelte sie erstaunt die Stirn. Hatte sie zugenommen? Das Kleid saß an Hüften und Bauch ein wenig eng. Noch vor einigen Wochen hatte es perfekt gepasst. Sie atmete tief ein und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie sah aus wie immer. Vielleicht bildete sie sich das nur ein. Vielleicht war das Kleid in der Wäsche eingelaufen.

Autor

Trish Wylie
<p>Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, davon ist Trish Wylie überzeugt. So war ein Reitunfall innerhalb ihrer beruflichen Karriere als Pferdedresseurin der Auslöser dafür, dass sie wieder zu schreiben begann, obwohl sie diese Leidenschaft im Laufe der Jahre erfolgreich in den Hintergrund gedrängt hatte. Dabei sammelte Trish schon in der...
Mehr erfahren
Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
Mehr erfahren
Miranda Lee
Miranda Lee und ihre drei älteren Geschwister wuchsen in Port Macquarie auf, einem beliebten Badeort in New South Wales, Australien. Ihr Vater war Dorfschullehrer und ihre Mutter eine sehr talentierte Schneiderin. Als Miranda zehn war, zog die Familie nach Gosford, in die Nähe von Sydney. Miranda ging auf eine Klosterschule....
Mehr erfahren