Julia Extra Band 307

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SCHENK MIR DIESEN TANZ, CINDERELLA von HART, JESSICA
Wie Cinderella fühlt Miranda sich in dem geliehenen Ballkleid. Als ihr Traumprinz Rafe sie unter all den anderen Frauen schließlich zum Tanz auffordert, spinnt sie in Gedanken das Märchen weiter. Was wird geschehen, wenn die Uhr Mitternacht schlägt?

HEISSE KÜSSE UNTER GRIECHISCHER SONNE von SPENCER, CATHERINE
Glitzerndes Meer, prickelnder Champagner, ein heißer Kuss. Damit will Nikolaos die bildhübsche Emily auf seiner Jacht verführen - und gleichzeitig entlarven. Er ist sicher: die junge Frau, die sich so fürsorglich um seinen kranken Vater kümmert, hat nur eins im Sinn: sein Geld!

GLAUB AN DIESES WUNDER, FAITH! von MONROE, LUCY
Nur ein paar gestohlene Stunden der Leidenschaft sind Faith auf Dauer zu wenig. Längst empfindet sie für Valentino sehr viel mehr als körperliches Begehren. Aber im Leben des attraktiven Witwers scheint es für sie keinen Platz zu geben. Dazu muss erst ein Wunder geschehen

DIE RACHE DES SPANISCHEN MILLIONÄRS von HARRIS, LYNNE RAYE
Auf den Moment seiner Rache hat Alejandro lange gewartet. Er hat Rebeccas Firma übernommen - jetzt will er ihren Körper. Doch als er ihr in die Augen schaut überflutet ihn heißes Verlangen. Empfindet er keinen Hass mehr, nur pure Zärtlichkeit


  • Erscheinungstag 08.12.2009
  • Bandnummer 307
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952083
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine Spencer, Lucy Monroe, Lynn Raye Harris, Jessica Hart

JULIA EXTRA, Band 307

CATHERINE SPENCER

Heiße Küsse unter griechischer Sonne …

Hält Niko sie wirklich für eine Betrügerin? Seine heißen Küsse sprechen eine ganz andere Sprache. Doch plötzlich bekommt Emily Zweifel. Was, wenn alles doch nur ein falsches Spiel ist?

LUCY MONROE

Glaub an dieses Wunder, Faith!

Vor Jahren hat Valentino ein Versprechen gegeben. Und hält deshalb seine Gefühle für Faith streng unter Verschluss. Denn ein Sizilianer kann viele Herzen brechen – aber niemals sein Wort!

LYNN RAYE HARRIS

Die Rache des spanischen Millionärs

Nach fünf Jahren trifft Rebecca ihn wieder: Alejandro de Ramirez. Doch schon einmal hat der stolze Spanier ihr Herz gebrochen. Trotzdem wird sie in seinen Armen schwach. Ein Fehler?

JESSICA HART

Schenk mir diesen Tanz, Cinderella!

Ist das wirklich Miranda, die unscheinbare Büromaus, die immer mit dem Fotokopierer auf Kriegsfuß steht? Hingerissen bewundert Rafe auf dem Ball die strahlende Schönheit – die ihn auf ganz neue Ideen bringt …

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Catherine Spencer

Heiße Küsse unter griechischer Sonne …

1. KAPITEL

Emily erkannte ihn sofort. Nicht nur deshalb, weil sein Vater ihn so gut beschrieben hatte, sondern weil er deutlich aus der wartenden Menge am Venizelos-Flughafen von Athen herausstach. Kein Wunder bei einer Körpergröße von über einem Meter achtzig, einer auffallend männlichen Figur und einem Gesicht, das dem eines gefallenen Engels glich. Ein Blick genügte, um ihn als den Typ Mann zu identifizieren, der bei Frauen heiß begehrt war.

Wie auf Zuruf trafen sich ihre Blicke und hielten einander scheinbar eine Ewigkeit fest. Zumindest lange genug, um ihre Wangen zum Glühen zu bringen. Dann nickte er kurz, als wäre er sich seiner Wirkung auf sie deutlich bewusst, und kam auf sie zu.

Erst jetzt konnte sie seine gesamte Gestalt sehen: die schmalen Hüften, die in engen Jeans steckten, die schwarze Lederjacke über den breiten Schultern und den starken Kontrast zwischen seiner sonnengebräunten Haut und dem strahlend weißen Hemd. Während er näher kam, bemerkte sie auch seinen markanten Kiefer und den Dreitagebart.

Als er sie erreicht hatte, blieb er vor dem Rollstuhl ihres Begleiters stehen und sagte mit wohlklingend tiefer Stimme: „Entgegen aller Voraussicht hast du es also heil zurückgeschafft. Wie war der Flug?“

„Lang“, erwiderte Pavlos, der alte Mann an Emilys Seite, und klang genauso erschöpft, wie er sich fühlen musste. Nicht einmal die Schmerzmittel, die er sich in der komfortablen Ersten Klasse hatte geben lassen, konnten seine Leiden mindern. „Sehr lang. Aber wie du siehst, habe ich meinen Schutzengel dabei.“ Damit griff er nach ihrer Hand und drückte sie freundschaftlich. „Emily, meine Liebe, ich freue mich, dir meinen Sohn Nikolaos vorstellen zu können. Niko, dies ist meine Krankenschwester Emily Tyler. Ich mag mir nicht vorstellen, was ich ohne sie getan hätte.“

Erneut ruhte Nikolaos Leonidas’ Blick auf ihr, und auf seinem Gesicht spiegelten sich gleichermaßen Bewunderung und Arroganz wider. „Yiasu, Emily Tyler“, begrüßte er sie.

Obwohl ihre lange Hose und der Pullover Emilys Figur vollständig verdeckten, fühlte sie sich unter seiner interessierten Musterung fast nackt. Seine Augen waren nicht braun, wie die seines Vaters, sondern eher dunkelgrün und hatten einen ungeheuer intensiven Ausdruck.

Sie schluckte ein paarmal trocken. „Yiasu“, brachte sie mühsam heraus.

„Sie sprechen ein wenig Griechisch?“

„Ganz wenig“, bestätigte sie bescheiden. „Das gerade eben umfasst praktisch mein vollständiges Vokabular.“

„Habe ich mir fast gedacht.“

Dieser Kommentar hätte abwertend geklungen, wenn er nicht von einem breiten, charmanten Lächeln begleitet worden wäre, das Emilys Knie weich werden ließ.Was war bloß los mit ihr? Mit ihren siebenundzwanzig Jahren hielten sich ihre erotischen Erfahrungen zwar in Grenzen, dennoch würde sie sich nicht als völlig unschuldig bezeichnen. Für sie zählten keine Äußerlichkeiten, sondern die inneren Werte, und in dieser Hinsicht schien Nikolaos Leonidas nur wenig bieten zu können.

Das Verhalten seinem Vater gegenüber bestätigte diesen Eindruck nur noch. Er machte keinerlei Anstalten, den alten Mann zu umarmen oder auf irgendeine Art zu berühren, die einem Vater-Sohn-Verhältnis angemessen wäre. Stattdessen kommandierte er einen Flughafenangestellten herbei, der sich um den überladenen Gepäckwagen kümmern sollte.

„Nachdem wir die Formalitäten hinter uns gebracht haben, sollten wir uns auf den Weg machen“, schloss Nikolaos knapp und ging zielstrebig voran in Richtung Ausgang. Emily und Pavlos folgten ihm schweigend.

Erst als sie den bereitstehenden Mercedes erreicht hatten, zeigte Nikolaos die erste Spur von Mitgefühl. „Nicht!“, protestierte er und hielt Emily davon ab, dem alten Mann aus dem Rollstuhl zu helfen. Überraschend behutsam hob er seinen Vater auf den Arm, setzte ihn auf der Rückbank des Wagens ab und breitete eine Decke über seine Beine.

„Das hättest du nicht tun müssen“, blaffte Pavlos und versuchte, sich seine Schmerzen nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.

Ruhig betrachtete Nikolaos das verzerrte Gesicht seines Vaters. „Scheinbar doch. Oder hätte ich vielleicht daneben stehen sollen, wenn du einfach auf die Nase fällst?“

„Mir ist es lieber, ich stehe auf meinen eigenen Beinen – ohne fremde Hilfe.“

„Dann hättest du eben besser auf dich aufpassen müssen, als du fort warst“, antwortete Nikolaos ungerührt. „Oder besser gleich zu Hause bleiben sollen, anstatt vor deinem Ableben noch Alaska einen Besuch abzustatten.“

Am liebsten hätte Emily diesem unmöglichen Kerl einen Tritt vor das Schienenbein versetzt, aber sie begnügte sich mit einem vernichtenden Blick. „Unfälle geschehen eben, Mr. Leonidas“, sagte sie scharf.

„Ganz besonders, wenn ein Sechsundachtzigjähriger plötzlich auf Weltreise geht.“

„Es war wohl kaum seine Schuld, dass dieses Schiff auf Grund gelaufen ist. Außerdem war er nicht der einzige Passagier, der verletzt wurde. Unter den gegebenen Umständen und gerade hinsichtlich seines stolzen Alters hat Ihr Vater sich hervorragend gehalten. Und mit ein wenig Ruhe und der richtigen Physiotherapie wird er sich schon bald gut erholen.“

„Und wenn nicht?“

„Dann müssen Sie sich vermutlich zusammenreißen und sich endlich wie ein anständiger Sohn aufführen!“

Verwundert blinzelte er, und Emily fiel auf, wie lang und dicht seine dunklen Wimpern waren. „Krankenschwester und Familientherapeutin in einer Person“, spottete er. „Was haben wir für ein Glück!“

„Nun, Sie haben mir schließlich eine Frage gestellt.“

„Und Sie haben mir eine Antwort gegeben.“ Er gab dem Flughafenangestellten ein Trinkgeld, schlug die Kofferraumklappe zu und öffnete dann galant die Beifahrertür. „Steigen Sie ein! Wir können unsere Unterhaltung später fortsetzen.“

Wie erwartet, war sein Fahrstil sportlich. Dennoch fühlte sie sich sicher. Schon nach einer guten halben Stunde erreichten sie die von Grün umsäumten Straßen von Vouliagmeni, dem exklusiven Vorort von Athen direkt am Saronischen Golf. Pavlos hatte Emily die Ostküste der athenischen Halbinsel begeistert und in schillernden Farben beschrieben.

Nachdem sie eine Weile an der Küstenstraße entlanggefahren waren, lenkte Nikolaos den Wagen durch ein schmiedeeisernes Tor, das sich mithilfe einer Fernbedienung lautlos öffnete.

Zwar hatte Emily am Rande mitbekommen, dass Pavlos ein wohlhabender Mann war, aber auf diesen Luxus, der sich vor ihren Augen präsentierte, war sie nicht vorbereitet. Langsam fuhren sie mit dem riesigen Mercedes die Auffahrt entlang. Sie passierten einen kleinen Pinienwald, und bald wurde der Blick frei auf ein wahres Traumhaus.

Inmitten gepflegter Ländereien, erhob sich ein gigantisches, blendend weißes Gebäude mit Türmchen, Erkern und Balkonen. Vom blau gedeckten Dach bis hin zu den großzügigen Außenterrassen verfügte es über einen außerordentlich eleganten Baukörper. Es war strahlend schön und bildete einen herrlichen Kontrast zu dem ergrauten Septemberhimmel, der von einem bevorstehenden Sturm kündete.

Wilder Wein rankte schattenspendend um die hohen Fenster, und vor dem Eingangsportal zierte ein steinerner Springbrunnen den Platz. Mehrere Pfauen stolzierten über den Rasen, kreischten oder putzten sich das Gefieder.

Emily blieb keine Zeit zum Staunen, da auf dem Vorplatz bereits der treue Butler Georgios mit einem Rollstuhl auf den Hausherrn wartete. Pavlos hatte oft von ihm gesprochen und ihn in den höchsten Tönen gelobt. Hinter Georgios stand ein jüngerer Mann, fast noch ein Junge, der sich gleich daranmachte, das Gepäck auszuladen.

Nikolaos und der Butler trugen Pavlos vom Auto zum Rollstuhl. Der alte Mann war erschreckend fahl im Gesicht und hatte die Lippen fest aufeinandergepresst.

Selbst Nikolaos schien besorgt zu sein. „Können Sie etwas für ihn tun?“, murmelte er, ohne Emily dabei direkt anzusehen, während Georgios den Rollstuhl über eine seitliche Terrasse ins Haus schob.

„Ich werde ihm ein Schmerzmittel verabreichen, und anschließend muss er sich dringend ausruhen“, gab sie zurück. „Die Reise war äußerst anstrengend für ihn.“

„Auf mich macht er nicht den Eindruck, als wenn er überhaupt reisen dürfte!“

„Stimmt. Angesichts seines Alters und seiner fortschreitenden Osteoporose wäre es für ihn besser gewesen, noch eine Woche länger im Krankenhaus zu bleiben. Doch er bestand darauf, nach Hause zu kommen, und wenn Ihr Vater sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist er nicht mehr von seinem Vorhaben abzubringen.“

„Erzählen Sie mir etwas Neues“, brummte er voller Ironie und streifte sein Jackett ab. „Soll ich nach dem Arzt schicken lassen?“

„Morgen früh, ja. Er wird mehr Medikamente benötigen, als ich mitbringen konnte, aber für heute kommen wir gut zurecht.“ Es fiel Emily schwer, professionell zu bleiben, da Nikolaos so dicht vor ihr stand, dass sie fast seine Körperwärme spürte. Schnell drängte sie sich an ihm vorbei und ging zum Haus. Nikolaos folgte ihr. In der Eingangshalle nahm sie sich ihre Reisetasche vom Gepäckstapel, der sich auf dem Marmorboden türmte. „Wenn Sie mir jetzt sein Zimmer zeigen würden, kann ich mich gleich um ihn kümmern.“

Nikolaos führte sie zu einem großen Apartment im Erdgeschoss. Hohe Flügeltüren in Wohn- und Schlafzimmer führten auf eine Terrasse in Richtung Meerseite. Pavlos saß noch immer im Rollstuhl, den Georgios am Wohnzimmerfenster abgestellt hatte. Er starrte wie gebannt in den Himmel, an dem sich dunkle Wolken türmten.

„Vor einigen Jahren, als ihm die Treppen zu viel wurden, hat er hier seine Privaträume einrichten lassen“, erklärte Nikolaos leise.

Emily warf einen kurzen Blick ins Nebenzimmer. „Was ist mit diesem Krankenhausbett?“

„Ich habe es gestern herbringen lassen. Vermutlich wird er mir deswegen den Kopf abreißen und sein gewohntes Bett zurückverlangen, aber ich hielt es unter den gegebenen Umständen für eine gute Idee – wenigstens fürs Erste.“

„Sie haben das Richtige getan. Es wird bequemer für ihn sein, selbst wenn er nur seine Nächte darin verbringen sollte. Je mobiler er bleibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er bald wieder auf den Rollstuhl verzichten kann. Obwohl …“

Ihr Zögern verunsicherte Nikolaos. „Obwohl was? Sie sagten doch, sie erwarten einen guten Heilungsprozess? Haben Sie Ihre Meinung geändert?“

„Nein, nur …“ Wieder brach sie ab, denn schließlich unterlag sie der Schweigepflicht. Andererseits war Nikolaos der Sohn und hatte daher ein Recht auf gewisse Informationen. Sie durfte ihn nicht im Unklaren über den Gesundheitszustand ihres Vaters lassen. Pavlos’ Wohlergehen konnte davon abhängen. „Wie gut wissen Sie über den Gesundheitszustand Ihres Vaters Bescheid?“

„Ich weiß nur das, was er mir erzählt. Und das ist nicht allzu viel.“

So etwas hatte Emily schon erwartet. Es gibt kei nen Grund, meinen Sohn zu kontaktieren, hatte Pavlos gemeint. Ich kümmere mich um meine Angelegenheiten, und er sich um seine.

Mit durchdringendem Blick sah Nikolaos sie an. „Was wollen Sie mir mitteilen, Emily? Wird er sterben?“

„Tun wir das nicht alle, früher oder später?“

„Spielen Sie keine Spielchen mit mir! Ich habe Ihnen eine direkte Frage gestellt und erwarte eine klare Antwort darauf.“

„In Ordnung. Sein Alter wird ihm zum Verhängnis. Obwohl er es niemals zugeben würde, ist er ziemlich gebrechlich. Er könnte jederzeit einen Rückfall erleiden.“

„Das sehe ich selbst, also was verbergen Sie noch vor mir?“

Pavlos ersparte ihr eine Antwort darauf. „Was habt ihr beide da zu tuscheln?“, rief er gereizt.

Mit einem entschuldigenden Blick auf Nikolaos antwortete Emily: „Ihr Sohn erklärte mir gerade, dass Ihnen das Krankenhausbett möglicherweise missfallen könnte, das er gestern für Sie herbringen ließ. Er glaubt, Sie halten es für eine unnötige Einmischung in Ihre Angelegenheiten.“

„Recht hat er damit“, wetterte Pavlos. „Meine Hüfte ist verletzt, nicht mein Gehirn. Noch entscheide ich selbst, was ich brauche und was nicht.“

„Dafür bin ich jetzt da.“

„Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe, Mädchen. Das lasse ich mir nicht gefallen.“

„Natürlich tun Sie das“, entgegnete Emily ungerührt. „Schließlich haben Sie mich dafür eingestellt.“

„Genauso leicht kann ich Sie auch wieder entlassen und in das nächste Flugzeug nach Vancouver setzen.“

Sie ignorierte diese leere Drohung und unterdrückte ein Lächeln. Erschöpfung und Schmerzen hatten an Pavlos gezehrt, aber morgen früh würde er ganz sicher wieder besserer Stimmung sein. „Natürlich, Mr. Leonidas“, gab sie gleichmütig zurück und schob den Rollstuhl dann in Richtung Schlafzimmer. „Und bis dahin lassen Sie mich meine Arbeit machen!“

Nikolaos hatte die Gelegenheit genutzt, um lautlos zu verschwinden. Unerklärlicherweise war Emily enttäuscht darüber, und dieses Gefühl ärgerte sie zutiefst. Wenigstens war der treue Georgios geblieben und half, wo er konnte. Pavlos bekam noch ein leichtes Abendessen serviert und lag schon bald vorbereitet für die Nacht im Bett. Draußen war es in der Zwischenzeit stockfinster geworden.

Damaris, die Haushälterin, brachte Emily in das für sie vorgesehene Quartier im ersten Stock: eine traumhaft eingerichtete Suite, ganz in den Farben Blau und Elfenbein gehalten. Emily fühlte sich gleich heimisch, obwohl sie sich eine derart luxuriöse Ausstattung zu Hause natürlich nicht leisten konnte. Marmorböden, teure Teppiche und kostbare Antiquitäten verliehen den Räumen eine stilvolle Atmosphäre.

Zwischen zwei Türen, die auf einen Balkon führten, stand ein eleganter Schreibtisch, und vor dem offenen Kamin befand sich eine gemütliche, hell bezogene Sitzecke. Exklusive Lampen mit Milchglasschirmen spendeten warmes Licht, und frische Lilien in einer hohen Vase verbreiteten einen angenehmen Duft.

Am schönsten jedoch war das einladende riesige Himmelbett im Schlafzimmer, bezogen mit feinstem Leinen. Die lange, anstrengende Reise und die Sorge um ihren Patienten hatten Emily sehr viel Energie gekostet. Sie wünschte sich nichts mehr, als ihren Kopf auf die weichen Kissen zu betten, sich unter die große Decke zu kuscheln und endlich die Augen zu schließen.

Ein schneller Blick in den Schrank verriet ihr, dass man ihre Kleider bereits ausgepackt hatte. Im Badezimmer standen ihre Kosmetikartikel aufgereiht, daneben hing ein kuscheliger Bademantel, und auf dem Bett war ein Nachthemd ausgebreitet. Alles sah so verlockend aus, doch Emilys Wunsch nach einer baldigen Nachtruhe rückte durch Damaris’Worte in weite Ferne: „Ich habe ein Bad für Sie eingelassen, Despinis Tyler. Das Abendessen wird um neun Uhr im Gartensalon serviert.“

Ganz offensichtlich war das tägliche Tagesprogramm in der Leonidas-Residenz genauso elitär wie die Villa selbst. Am liebsten hätte Emily sich einfach ein Sandwich auf ihr Zimmer bestellt, aber das stand einfach nicht auf der Karte …

Kurz nach neun folgte Emily im Erdgeschoss dem Klang leiser Musik. Nur wenig später stand sie in einem zauberhaft ausgestatteten Raum, in dem eine Tafel für zwei gedeckt war. Kerzenlicht flackerte und brach sich in den Kristallgläsern, die neben einem mit Champagner bestückten Eiskübel standen.

Der eigentliche Glanzpunkt aber war Nikolaos’ Erscheinung. In legerer Kleidung, die vermutlich trotzdem teurer war als die Monatsmiete für Emilys Stadthaus, lehnte er lässig an einer antiken Anrichte.

Emily dagegen war ganz und gar nicht in ihrem Element. Sie hoffte inständig, ihre Unsicherheit würde ihm nicht auffallen. Immerhin war sie erleichtert, dass ihre unerwartete Abendbegleitung nicht im Maßanzug erschienen war.

„Ich wusste nicht, dass Sie mir beim Abendessen Gesellschaft leisten“, sagte sie unumwunden, trotz der inneren Unruhe, die Nikolaos’ Anblick in ihr auslöste.

Schweigend öffnete er den Champagner, schenkte ein und reichte ihr ein Glas. „Ich glaube nicht, dass ich eine Einladung brauche, um am Tisch meines Vaters zu sitzen.“

„Das wollte ich damit nicht sagen. Natürlich haben Sie jedes Recht …“

„Wie nett von Ihnen“, fiel er ihr ins Wort, und Emily seufzte hörbar.

„Ich wollte nicht unhöflich sein, Mr. Leonidas.“ Nach dem langen Tag hatte sie wirklich keine Lust mehr, sich um Nichtigkeiten zu streiten. „Ich bin nur überrascht, das ist alles. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass Sie in Athen leben.“

„Das tue ich auch. Übrigens, wir Griechen haben es nicht so mit Formalitäten, deshalb lass uns doch zum Du übergehen! Ich bin Niko, so nennt mich hier jeder.“

Emily wäre gerne per „Sie“ geblieben, trotzdem nickte sie zustimmend. Ohne die förmliche Anrede fehlte ihr der gewünschte Abstand. Wie sollte sie sich jetzt noch normal verhalten?

„Sprachlos, Emily?“, erkundigte er sich, und in seinen grünen Augen blitzte es spöttisch auf. „Oder hat es dich so verunsichert, dass wir zusammen essen werden?“

„Ich bin nicht verunsichert“, antwortete sie automatisch. „Ich habe mich lediglich gefragt, warum du nicht nach Hause gefahren bist. Ganz offensichtlich legen Pavlos und du keinen gesteigerten Wert darauf, Zeit miteinander zu verbringen.“

„Nichtsdestotrotz bin ich sein Sohn, und wenn ich eine Nacht unter seinem Dach verbringe, ist das meiner Ansicht nach kein Hausfriedensbruch. Außerdem will ich mich in dieser Situation zur Verfügung halten, das empfinde ich als meine Pflicht. Hast du ein Problem damit?“

Selbst wenn, hätte sie es niemals zugegeben. „Ganz und gar nicht, solange du mich nicht bei meiner Arbeit störst. Es gibt schließlich einen Grund für meine Anwesenheit hier.“

„Und der wäre genau?“

„Was soll die Frage? Du weißt sehr gut, warum ich hier bin.“

„Mein Vater scheint momentan praktisch abhängig von dir zu sein. Mir ist auch klar, dass er ein gebrechlicher alter Mann ist, der obendrein außerordentlich reich ist.“

Erschrocken schnappte sie nach Luft. „Willst du damit andeuten, ich wäre hinter seinem Geld her?“

„Ist dem so?“

„Selbstverständlich nicht“, zischte sie. „Aber scheinbar ist das der Grund, warum du dich hier zur Verfügung hältst.Es geht nicht um deinen Vater, sondern darum, mich im Auge zu behalten, damit ich mich nicht über seine Konten hermache.“

„Im Augenblick ist mein Vater nicht in der Lage, um auf sich selbst aufzupassen. Und wenn dir meine Art der Fürsorge nicht passt, tut es mir leid!“, sagte er schneidend. „Vielleicht betrachtest du es mal von meiner Warte aus? Mein Vater kommt mit einer bildhübschen Frau her und vertraut ihr praktisch sein Leben an. Sie kommt um die halbe Welt gereist und unterschreibt einen Pflegevertrag, obwohl es hier in Griechenland auch nicht an fähigen Krankenschwestern mangelt. Also, mal ehrlich! Wärst du an meiner Stelle nicht auch misstrauisch?“

„Nein“, erwiderte sie hitzig. „Bevor ich voreilige Schlüsse ziehe, würde ich mir die Referenzen dieser Person ansehen. Falls dann noch Zweifel bestehen, würde ich die ehemaligen Arbeitgeber anrufen und mir bestätigen lassen, dass die jeweilige Person auch wirklich die ist, die sie vorgibt zu sein.“

„Kein Grund, gleich aufbrausend zu werden. Ich schlage einen Waffenstillstand vor, den wir mit diesem Champagner aus dem erlesenen Weinkeller meines Vaters besiegeln sollten.“

Emily stellte ihr Glas so abrupt ab, dass der Champagner über den Rand schwappte. „Wenn du glaubst, ich würde jetzt noch mit dir anstoßen oder mich überhaupt mit dir an einen Tisch setzen, hast du dich geschnitten! Lieber verhungere ich!“

Sie machte auf dem Absatz kehrt, um den Raum zu verlassen. Doch Niko kam ihr zuvor und warf die Tür mit einer energischen Handbewegung ins Schloss. „Es tut mir leid, wenn ich dir in meinem Bestreben, für meinen Vater zu sorgen, zu nahe getreten bin“, sagte er schnell. „Glaub mir, das gefällt mir ebenso wenig wie dir.“

„Ach, wirklich?“ Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Ich bin es nicht gewohnt, wie eine Kriminelle behandelt zu werden.“

Gleichgültig zuckte er die Achseln. „Wenn ich dich beleidigt habe, entschuldige ich mich dafür. Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.“

„Was genau soll das bedeuten?“

„Dass mein Vater schon zuvor das Opfer von Leuten geworden ist, die ihn übervorteilen wollten.“

„Vermutlich wäre das nicht passiert, wenn seine Beziehung zu dir stimmen würde“, gab sie zu bedenken.

„Möglicherweise, andererseits hatten wir nie eine typische Vater-Sohn-Beziehung.“

„So viel habe ich schon mitbekommen, aber vielleicht solltet ihr jetzt aufhören, euch gegenseitig das Leben schwer zu machen. Er braucht die Gewissheit, sich auf dich verlassen zu können.“

„Wenn er es nicht könnte, wäre ich doch gar nicht hier.“

„Würde es dich umbringen, ihm das ins Gesicht zu sagen?“

Sein Lachen klang hölzern. „Nein, aber vermutlich würde ihn der Schock umbringen, mich das sagen zu hören.“

Unwillkürlich fragte Emily sich, warum die beiden sich so distanziert verhielten. „Hat einer von euch eine leise Ahnung davon, wie tragisch es ist, wenn man den Zeitpunkt verpasst, um sich zu sagen, wie sehr man sich liebt? Ich weiß, wovon ich rede!“

Niko schlenderte zum Fenster und starrte in die Dunkelheit. „Wir sind nicht wie andere Menschen.“

„Ihr seid aber auch nicht unsterblich.“ Wieder rang Emily mit sich und wusste nicht genau, wie offen sie mit ihm sprechen durfte. „Hör mal, Niko! Wahrscheinlich wird Pavlos mir dafür den Kopf abreißen, aber seine gebrochene Hüfte ist nicht das einzige Problem. Sein Herz ist in keinem guten Zustand.“

„Das überrascht mich nicht. So etwas ist eben das Ergebnis jahrelangen Raubbaus. Er hat geraucht und ein Leben am Limit geführt. Es war ihm ganz gleich, was die Ärzte gesagt haben, er wollte sich einfach nicht ändern. Sturer alter Bock!“

Dem konnte Emily insgeheim von Herzen beipflichten. Gegen den fachmedizinischen Rat hatte Pavlos sich selbst aus dem Vancouver General entlassen und darauf bestanden, trotz seines kritischen Zustands zurück nach Griechenland zu fliegen. Er hasste es, rund um die Uhr von Schwestern und Pflegern überwacht zu werden.

Sie lassen mir kei ne Luft zum Atmen, hatte er sich bei Emily beschwert. Wenn sie mich noch länger hierbehalten, werde ich diesen Ort nur mit den Füßen voran verlassen.

„Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, Niko. Meiner Meinung nach, verhaltet ihr euch beide ziemlich dickköpfig.“

Er wirbelte herum und starrte sie wütend quer durch den Raum hinweg an, bis ihre Knie weich wurden. „Bevor du deinerseits voreilige Schlüsse ziehst“, sagte er schneidend und ging ganz langsam auf sie zu, „solltest du dir vielleicht auch meine Version der Geschichte anhören.“

„Dein Vater ist mein Patient, nicht du“, wandte sie ein und wich instinktiv vor ihm zurück.

„Aber geht es in der modernen Medizin nicht um den ganzheitlichen Heilungsprozess? Inzwischen heißt es doch überall, man solle Körper und Geist nicht trennen.“

„Das stimmt.“

„Wenn du Erfolg mit der Behandlung meines Vaters haben möchtest, solltest du mir die Gelegenheit geben, einige Wissenslücken zu füllen. Was hast du zu verlieren?“

Alles, was mich ausmacht, schoss es ihr durch den Kopf. Sie konnte Nikos starke Anziehungskraft nicht länger verleugnen. Was würde passieren, wenn sie sich darauf einließe? Ganz sicher gäbe es dann kein Zurück mehr.

Aber feige davonzulaufen, entsprach ebenso wenig Emilys Charakter, wie einen Vorteil aus ihrer Beziehung zu Pavlos zu ziehen. Also riss sie sich zusammen, straffte die Schultern und ließ ihre Stimme so ruhig wie möglich klingen: „Absolut nichts.“

„Wirklich?“ Er trat dicht an sie heran und umfasste mit seinen kräftigen Fingern ihr Handgelenk. „Wovor hast du dann solche Angst?“

Mit der Zunge fuhr sie sich über ihre trockenen Lippen. „Hab ich nicht.“

2. KAPITEL

Sie log. Der Beweis dafür waren ihr rasender Puls, der hitzige Ausdruck in ihren Augen und ihre unübersehbare Gänsehaut.

Das war Niko nicht entgangen. Nun wollte er herausfinden, was es zu bedeuten hatte. Er war genauso unvorbereitet auf Emilys ungewöhnliche Ausstrahlung getroffen wie auf den schlechten Zustand seines Vaters. Niemals würde Niko dabei zusehen, wie Pavlos von dieser fremden Schönheit ausgenommen wurde. Trotz des schlechten Verhältnisses zuseinem Vater war er immer noch sein Sohn.

Natürlich war Emily empört darüber, dass Niko sie nicht für den selbstlosen Engel hielt, den sie darzustellen versuchte. Nichts anderes hatte er erwartet. Aber ihm war eben auch nicht entgangen, wie unersetzbar sie sich für Pavlos machte, indem sie um seine Zuneigung buhlte. Und es missfiel Niko, wie sehr sein Vater sich an die hübsche, unbekannte Krankenschwester klammerte.

Wenn Niko sie richtig einschätzte, würde es einfach werden, ihre Aufmerksamkeit von Pavlos abzulenken. Ein junger, kräftiger Millionär war einem gebrechlichen schließlich vorzuziehen, oder nicht? Und falls Niko sich irrte – nun, ein harmloser Flirt würde niemandem schaden.

Sein Vater wäre natürlich entschieden gegen einen solchen Plan, andererseits konnte Niko sich nicht erinnern, wann Pavlos zum letzten Mal mit ihm zufrieden gewesen war.

„Du bist ziemlich still geworden“, durchbrach Emily seine Gedanken.

Er sah ihr tief in ihre dunkelblauen Augen. „Weil ich langsam glaube, dich falsch eingeschätzt zu haben“, sagte er leise und hoffte, er klang dabei einigermaßen überzeugend. „Ich habe ein schlechtes Gewissen. Und wenn du der Meinung bist, einer von uns beiden muss gehen, räume ich selbstverständlich das Feld.“

Damit ließ er sie los, ignorierte ihren Protestseufzer und öffnete die Tür, wo er beinahe mit Damaris zusammenstieß. Besser hätte er seinen dramatischen Abgang nicht planen können. „Kali oreksi, Emily“, rief er über die Schulter und machte Platz, damit Damaris ihr Tablett mit Oliven, Calamaris, Zaziki und frischem Brot zum Esstisch bringen konnte. „Guten Appetit!“

Er hatte die Türschwelle schon überquert, als sie ihm nachrief: „Ach, jetzt sei nicht albern!“

Niko unterdrückte ein Grinsen und drehte sich zu ihr um. „Was ist denn jetzt schon wieder?“

„Hier steht genug Essen, um eine ganze Armee satt zu bekommen.“

„Was soll ich sagen?“ Gleichmütig zuckte er die Achseln. „Griechen lieben es zu essen.“

Entnervt schnitt sie eine Grimasse. „Das werde ich wohl kaum alles allein schaffen!“

Scheinbar nachdenklich rieb er sich das Kinn. „Es wäre in der Tat schade, das gute Essen umkommen zu lassen“, brummte er. „Besonders da dies hier nur den ersten Gang darstellt.“

Emily setzte sich zurück an den Tisch und wartete, bis Damaris den Raum verlassen hatte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Dein hämischer Gesichtsausdruck steht dir überhaupt nicht, Niko“, sagte sie kühl.

Er war derartige Kritik aus dem Mund einer Frau nicht gewohnt. Normalerweise versuchten Damen in seiner Gegenwart, ihm zu gefallen und sein Interesse für sie zu wecken. Emilys Abwehrhaltung reizte ihn mehr, als sie sich vorstellen konnte. Doch einer scheinbar unüberwindbaren Herausforderung hatte Niko sich immer gern gestellt.

Zufrieden schenkte er zwei neue Gläser Champagner ein und bedeutete Emily, mit ihm anzustoßen. „Darauf, dass wir beide uns besser kennenlernen.“

Halbherzig stimmte sie zu und begann dann, sich Brot und Zaziki aufzufüllen.

„Magst du griechisches Essen?“, erkundigte er sich.

„Ich kenne es kaum.“

„Gibt es denn in Vancouver keine griechischen Restaurants?“

„Hunderte, und wie ich höre, sollen sie fantastisch sein. Aber ich esse eben nicht oft auswärts.“

„Warum nicht? Und jetzt behaupte nicht, du hättest wenig Gelegenheit dazu! Vor deiner Tür stehen bestimmt eine Menge Verehrer, die nur darauf warten, dich groß auszuführen.“

„Leider nein. Die harte Schichtarbeit einer Krankenschwester steht einem unbeschwerten Sozialleben deutlich im Weg.“

Keine Sekunde glaubte Niko daran, dass Emily ihre Arbeit so ernst nahm, wie sie behauptete. „Was ist denn nur los mit den kanadischen Männern?“, wunderte er sich laut. „Und deine Kollegen? Ich dachte immer, so ein Krankenhaus sei die reinste Partnervermittlung.“

„Ein Mythos“, antwortete Emily und winkte ab. „Zum einen besteht die Ärzteschaft heutzutage fast zur Hälfte aus Frauen, zum anderen bin ich nicht auf der Suche nach einem Ehemann.“

„Die meisten Frauen wollen doch heiraten und Kinder bekommen. Bildest du etwa die berühmte Ausnahme?“

„Nein.“ Eine Weile kaute sie schweigend auf ihrem Brot herum. „Eines Tages möchte ich liebend gern Kinder haben, aber erst, wenn ich dem richtigen Mann begegne. Niemals würde ich mich einfach auf irgendjemanden einlassen!“

„Wie sieht der richtige Mann für dich aus?“, fragte er etwas zu eifrig, und Emily stutzte.

„Wie bitte?“

„Nach welchen Kriterien suchst du dir einen Ehemann aus?“

In Gedanken versunken, trank sie von ihrem Wein. „Er muss zuverlässig und ehrlich sein“, verkündete sie schließlich.

„Und auch groß, braun gebrannt und gut aussehend?“

„Nicht unbedingt.“ Sie hob die Schultern, und dabei spannte ihr Kleid leicht über ihrem, nicht zu übersehen, schönen Dekolleté.

Niko schluckte. „Wohlhabend und erfolgreich?“

„Sicher, er sollte einen festen Job haben. Wenn wir Kinder bekommen sollten, will ich mich auch selbst um sie kümmern können.“

„Wenn du dich bei diesem idealen Mann auf eine besondere Eigenschaft beschränken müsstest, welche wäre das?“

„Die Fähigkeit zu lieben“, kam es wie aus der Pistole geschossen, und Emily schloss verträumt die Augen. Draußen bogen sich im starken Septemberwind die Palmen. „Liebe wäre mir wichtiger als alles andere, denn eine Ehe ohne Liebe hat für mich keine Substanz.“

Ihr Gespräch ließ Nicos Gedanken in eine unliebsame Richtung wandern. „Ich würde meinen Kopf niemals von meinem Herz lenken lassen.“

„Wieso nicht? Glaubst du nicht an die Liebe?“

„Früher vielleicht, für kurze Zeit, aber dann ist meine große Liebe an einem Blutgerinnsel im Gehirn gestorben. Ich war drei Monate alt.“

„Du sprichst von deiner Mutter?“ Betroffen legte sie eine Hand an ihre Wange, und in ihren Augen glitzerte es. „Oh, Niko, das ist so traurig. Es tut mir schrecklich leid.“

Mit einer knappen Handbewegung schien er ihr Mitleid beiseitefegen zu wollen. „Muss es nicht. Ich kannte sie nicht gut genug, als dass ich sie wirklich vermissen könnte.“

Seine brüske Antwort ließ Emily zusammenzucken. „Sie hat dir das Leben geschenkt.“

„Und ihres dabei verloren. Dafür zahle ich seitdem einen hohen Preis.“

„Warum? Ihr Tod war doch nicht deine Schuld.“

„Laut meinem Vater war es aber so.“ Mit einem Zug leerte er sein Glas. „Sie war bei meiner Geburt schon einundvierzig. Einen neun Pfund schweren Säugling zur Welt zu bringen, hat sie ins Grab gebracht.“

„Viele Frauen bekommen mit über vierzig Jahren Kinder und bleiben trotzdem gesund. Es gibt keinen Grund dafür, dass Pavlos dir die Schuld an dieser Tragödie gibt. Immerhin hat deine Mutter ihm einen Sohn geschenkt.“

„Du magst eine gute Krankenschwester sein, Emily, aber als Seelenklempner taugst du nichts.“

„Wie meinst du das?“, fragte sie verwirrt.

„An der Tatsache, dass ich meinem Vater egal bin, kann nichts, was du sagst, etwas ändern. Er wollte immer nur meine Mutter an seiner Seite haben, und ich habe sie ihm weggenommen.“

„Dann hätte er sie eben gar nicht erst schwängern dürfen, wenn man hier schon von einer Schuldfrage sprechen will“, bemerkte sie geradeheraus.

„Nach einundzwanzig Jahren kinderloser Ehe glaubte er wohl, Vorsichtsmaßnahmen wären überflüssig. Aber lass deinen Champagner nicht stehen. Ich trinke nicht gern allein. Es kann schnell zu einer schlechten Angewohnheit werden.“

Vorsichtig nahm sie einen weiteren Schluck. „Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass deine Anwesenheit Pavlos nach der ersten Trauer keinen echten Trost spenden konnte.“

„Dann weißt du offenbar nicht allzu viel über zerrüttete Familien. Mein Vater und ich haben uns nie gemocht, auch weil mich sein Geld und sein Einfluss niemals beeindrucken konnten. Zudem habe ich ziemlich rebelliert, wollte mich nicht kaufen lassen und war ganz sicher kein netter Junger – ebenso wenig wie ich ein netter Mann bin.“

„So viel steht fest“, murmelte sie kaum hörbar. „Fragt sich nur, wann genau du erwachsen geworden bist. Mir kommst du zuweilen noch wie ein großer Junge vor.“

Die Dinge liefen nicht gerade so, wie Niko sich das vorgestellt hatte. Er hatte sich eigentlich ausgemalt, Emily würde sich bereitwillig von ihm umgarnen lassen, bis er sie … Und sein Glas war auch schon wieder leer! „Wenn du ähnliche Erfahrungen gemacht hast, nehme ich deine Kritik gern an. Ansonsten …“

„Aber das habe ich“, unterbrach sie ihn. „Mit neun Jahren habe ich beide Elternteile durch einen schweren Autounfall verloren. Anders als du erinnere ich mich gut genug an sie, um sie jeden einzelnen Tag meines Lebens schmerzlich zu vermissen. Ich weiß noch sehr gut, wie es sich anfühlt, bedingungslos geliebt zu werden, und in der nächsten Sekunde wird einem diese Liebe auf ewig entrissen. Ich erinnere mich an ihre Stimmen, ihr Lachen, an das Parfum meiner Mutter und an die Zigarren meines Vaters, die er manchmal rauchte. Und vor allem ist mir das Gefühl nicht fremd, von Menschen aufgezogen zu werden, die dich nur als Belastung empfinden.“

Ihr Gesicht hatte eine tiefrote Farbe angenommen. „Ich musste für jeden Cent in meinem Leben schwer schuften und mir genau überlegen, wofür ich ihn ausgebe.“ Ihr Blick fiel auf sein Designer-T-Shirt, und sie zog verächtlich eine Augenbraue hoch. „Du dagegen hast ganz offensichtlich keinen Schimmer von echter Armut. Außerdem glaube ich auch nicht daran, dass dein Vater dich nicht wollte. Was denkst du jetzt, wen das Schicksal härter getroffen hat? Dich oder mich?“

Es dauerte lange, bis Niko die richtigen Worte fand, um ihr zu antworten. „In meinem Leben kommt es nicht oft vor, dass mir jemand meine Schwächen so treffend vor Augen hält“, begann er. „Aber dir ist es hervorragend gelungen. Gibt es noch mehr, das du mir über mich sagen willst, bevor ich mich hinters Steuer setze und in die Nacht entschwinde?“ Seine Worte klangen sarkastisch.

„Allerdings. Iss endlich etwas! Du hast zu viel getrunken, um noch Auto zu fahren. Deshalb schlage ich vor, dass du die Nacht lieber hier verbringst.“

„Oh, Emily, ist das etwa eine unmoralische Einladung?“

„Ganz und gar nicht“, gab sie zurück. „Es ist eine Anordnung, und wenn du dich ihr widersetzen solltest, werden andere Seiten aufgezogen.“

Das Temperament dieser zierlichen, kampflustigen Person brachte Niko zum Lachen. Obwohl er es nicht gern zugab, genoss er Emilys Gegenwart.

Damaris erschien und servierte ihnen mit Spinat gefüllte Hähnchenbrust und überbackene Ziti – eine willkommene Ablenkung für Niko, der sich dringend wieder auf seinen ursprünglichen Plan zurückbesinnen wollte.

„Warum hast du dieser Reise zugestimmt, nachdem du doch wusstest, wie schwach mein Vater ist?“, wollte er wissen, nachdem sie wieder allein waren.

„Ich habe mein Bestes gegeben, um ihn davon abzuhalten“, wehrte sie sich. „Das haben wir alle getan. Aber er wollte nur heim nach Griechenland. Ich glaube, er wurde von seiner Angst angetrieben.“

„Die Angst zu sterben?“

„Die Angst, nicht in Griechenland zu sterben.“

Das konnte Niko gut nachvollziehen. Pavlos liebte sein Heimatland. „Also hast du angeboten, ihn sicher nach Hause zu begleiten.“

„Es war eher so, dass er mich ausgewählt hat. Wir beide haben uns während seines Krankenhausaufenthalts ziemlich gut kennengelernt.“

Das konnte vieles bedeuten! Niko beschloss, das Thema zu wechseln. „Was ist mit dir passiert, nachdem deine Eltern verstorben waren?“

„Ich sollte bei der Schwester meines Vaters leben. Bei seinem Tod war er sechsunddreißig, Tante Alicia war elf Jahre älter als er. Sie und Onkel Warren hatten keine Kinder, aber sie waren die einzige Familie, die mir geblieben ist. Mich aufzunehmen, stellte für sie eher eine Verpflichtung dar. Keiner von uns war glücklich mit dieser Situation.“

„Haben sie dich schlecht behandelt?“

„Nicht so, wie du vielleicht denkst. Aber sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie anders entschieden hätten, wenn es kein schlechtes Licht auf sie geworfen hätte. Das Geld aus der Lebensversicherung, das ich mitgebracht habe, war bestimmt ein willkommener Bonus für sie, nachdem sie mir neun Jahre lang ein Dach über dem Kopf bieten mussten.“

„Was ist dann geschehen?“

„Nach meinem Schulabschluss habe ich die Ausbildung zur Krankenschwester begonnen und bin noch im gleichen Sommer auf den Campus gezogen. Danach war ich nie wieder zu Hause.“

„Wenigstens konntest du dich noch mit dem Geld aus der Lebensversicherung finanzieren.“

Doch Emily schüttelte den Kopf. „Ich habe mich mit Stipendien und Kellnerjobs durchgeschlagen.“

Fassungslos vor Empörung starrte Niko sie an. Was immer sein eigener Vater auch getan haben mochte, niemals hätte er Niko das Erbe seiner Mutter vorenthalten. „Willst du mir erzählen, sie haben das Geld ausgegeben, anstatt wenigstens einen Teil davon für deine Ausbildung anzulegen?“

„Nein, sie waren einfach nur ehrlich“, erwiderte sie ausweichend, wollte scheinbar etwas hinzufügen, überlegte es sich dann aber anders. „Die Summe war ohnehin nicht besonders hoch.“

Ihre Antwort stellte ihn nicht zufrieden, aber für den Moment ließ er Emily gewähren. „Hast du noch Kontakt zu den beiden?“

„Über eine Weihnachtskarte geht es nicht hinaus.“

„Dann haben sie keine Ahnung, dass du hier bist?“

„Niemand weiß davon“, entgegnete sie. „Mein Arrangement mit Pavlos ist schließlich meine Privatangelegenheit. Wenn mein Arbeitgeber wüsste, was ich getan habe, würde er mich vermutlich feuern.“

Für Nico klang es so, als würde ihr dieser Umstand nicht viel ausmachen. Würde sie Pavlos Ehefrau werden, hätte sie ohnehin ausgesorgt.

Es wunderte Niko, dass sie sich nicht darüber im Klaren war, was für einen Eindruck sie ihm vermittelte. „Warum bist du dieses Risiko eingegangen?“

„Weil dein Vater niemanden hatte. Er war ganz allein in einem fremden Land und steckte außerdem in einer Notsituation.“

„Er hat einen Sohn. Wenn man mich informiert hätte, wäre ich innerhalb von vierundzwanzig Stunden vor Ort gewesen.“

„Wahrscheinlich wollte er dich nicht belasten“, überlegte Emily laut.

„Deshalb wendet er sich an eine vollkommen Fremde, die für ihn ihren Job aufs Spiel setzen soll? Sag mal, Emily, wie erklärst du dem Krankenhaus überhaupt deine Abwesenheit?“

„Das muss ich gar nicht. Ich habe mir drei Monate unbezahlten Urlaub genommen.“

„Eine noble Geste von dir, auf deine Ferien zu verzichten, um meinem Vater zu helfen.“

„Warum auch nicht? Ich hatte sowieso nichts Besonderes geplant.“

Außer vielleicht, deinen Heiligenschein zu polieren!, dachte Niko verächtlich. „Nur Arbeit und keine Freizeit – klingt nicht gerade verlockend. Dagegen müssen wir etwas tun.“

Plötzlich rüttelte der Wind heftig an den Fensterläden, und Emily fuhr zusammen. „Ich freue mich schon allein darüber, einfach hier zu sein. Außerdem hat Pavlos bestimmt nichts dagegen, wenn ich mir von Zeit zu Zeit einen Tag freinehme und mir die Sehenswürdigkeiten dieses Landes ansehe.“

Diese Gelegenheit musste er beim Schopfe packen. „Ich biete mich dir gern als Touristenführer an.“

„Nett von dir, Niko.“

Dabei waren seine Absichten alles andere als nett, aber das würde er tunlichst für sich behalten.

Während des restlichen Abendessens trommelte starker Regen gegen die Fensterscheiben, und die Unterhaltung zwischen Emily und Niko ebbte allmählich ab. Der lange Flug war auch für Emily anstrengend gewesen, und mit vollem Magen konnte sie sich erst recht nicht mehr gegen die Müdigkeit wehren, die sie überfiel.

Sie verabschiedete sich von Niko, verließ das Esszimmer und hatte gerade erst den Fuß der Treppe erreicht, als plötzlich im ganzen Haus das Licht ausfiel. Nicht ungewöhnlich für diese Gegend, vor allem bei diesem Unwetter.

„Bleib, wo du bist“, rief er laut. Er wusste genau, wie gefährlich die steile Treppe für jemanden sein konnte, der sich nicht in der Villa auskannte. Als Niko noch klein war, hatte sich eines der Hausmädchen bei einem Sturz von der Treppe den Arm gebrochen, und das am helllichten Tag!

In Sekundenschnelle war er an Emilys Seite, und ein greller Blitz beleuchtete für einen kurzen Augenblick ihre besorgten Gesichtszüge.

„Was ist passiert?“, fragte sie irritiert und tastete mit dem Fuß nach der nächsten Stufe. Dabei hielt sie sich mit beiden Händen am Geländer fest.

Instinktiv legte Niko ihr einen Arm um die Schultern. Sie fühlte sich zerbrechlich an, und er musste sich gegen den Beschützerinstinkt wehren, den sie in ihm weckte. Doch Niko spürte auch etwas anderes – etwas, das er so schnell wie möglich wieder zu verdrängen versuchte.

„Ein Stromausfall“, murmelte er leise. „Vermutlich ist ein Mast beschädigt worden.“

„Oh“, seufzte sie, und allein dieses ergebene Geräusch ließ Niko beinahe in die Knie gehen. Wieso reagierte sein Körper so stark auf diese energische kleine Krankenschwester? „Kommt das hier öfter vor?“

In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, aber er versuchte dennoch, sich auf Emilys harmlose Frage zu konzentrieren. „Nicht unbedingt zu dieser Jahreszeit.“

„Ich sollte besser mal nach deinem Vater sehen.“

„Brauchst du nicht“, wehrte er ab und lauschte den Schritten im hinteren Teil des Hauses. Am Ende des Flurs war flackerndes Kerzenlicht zu sehen. „Georgios ist schon auf dem Weg zu ihm. Aber wenn es dich beruhigt, gehe ich auch gleich noch einmal zu ihm. Doch zuerst bringe ich dich hoch.“

Als sie in ihrer Suite standen, bemerkte Niko, dass man im Kamin ein kleines Feuer angezündet hatte, das inzwischen heruntergebrannt war. Im schwachen rötlichen Schein der Glut sahen Emilys Gesichtszüge besonders hübsch und anziehend aus.

Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, sie so früh auf seinem Eroberungsfeldzug bereits zu küssen, aber nun konnte er nicht anders. In diesem Moment fühlte es sich ganz natürlich an, seine Arme fest um sie zu schlingen und mit seinem Mund ihre Lippen zu suchen …

3. KAPITEL

Emily war schon viele Male geküsst worden, aber noch niemals hatte sie sich dabei so wohlgefühlt wie jetzt. Normalerweise analysierte sie permanent, ob ein Kuss zu feucht, zu lasch, zu aggressiv, zu plump, zu fordernd oder auf irgendeine andere Art unperfekt war.

Doch dieses Mal gab es solche Gedanken gar nicht. Seit ihre Lippen sich berührten, befand sich Emily in einem Zustand völliger Schwerelosigkeit, und alle Bedenken waren wie weggewischt.

Bis auf eine unliebsame Erfahrung hatte Emily bisher enthaltsam gelebt, da Sex allein keinerlei Reiz auf sie ausübte. Und wenn sie es genau nahm, war sie auch noch nie ernsthaft verliebt gewesen.

Doch hier und jetzt, wenn Niko sie fragen würde … Emily hätte ohne zu zögern mit ihm geschlafen. Solange sein Kuss sie in seinem Bann hielt, war sie zu allem bereit, und dieser Umstand erschreckte sie bis ins Mark.

Vor allem, da Niko anscheinend völlig unbeeindruckt blieb. Er löste sich von Emily und trat einen Schritt zurück. „Ich werde mal nach meinem Vater sehen und dann ein paar Kerzen hochbringen“, sagte er mit heiserer, aber dennoch fester Stimme.

Benommen ließ Emily sich auf einen kleinen Sessel fallen und nickte. Auch wenn ihr Leben davon abhängen würde, in diesem Moment hätte sie keinen einzigen Ton über die Lippen gebracht. Ihr Körper schien in Flammen zu stehen.

Als Niko sich abwandte, hätte sie am liebsten aufgeschrien und ihm gesagt, dass sie keine Kerzen, sondern einfach nur ihn selbst brauchte. Doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Geistesabwesend wartete Emily auf Nikos Rückkehr. Was war nur in sie gefahren, dass sie einem Mann so schnell verfiel?

Ich lasse ihn nicht herein, wenn er zurückkommt, nahm sie sich vor. Er ist nicht der Richtige, und auf eine Affäre kann ich bestens verzichten!

Doch als es wenig später leise an ihre Tür klopfte, warf Emily alle guten Vorsätze wieder über Bord. Alle ihre Sinne waren hellwach.

Beherzt öffnete sie die Tür auf, und die Worte sprudelten aus ihr heraus: „Ich dachte schon, dir wäre unterwegs etwas zugestoßen …“ Erschrocken biss sie sich auf die Unterlippe und starrte in Georgios’ verständnisloses Gesicht. In einer Hand hielt er einen Kronleuchter, in der anderen eine mit Batterien betriebene Lampe.

„Niko schickt mich, um Ihnen dies zu bringen“, begann er höflich. „Zudem soll ich Ihnen ausrichten, der Herr Pavlos schliefe tief und fest.“

Mühsam versuchte sie, ihre Enttäuschung zu verbergen, und bat den Butler ins Zimmer. „Vielen Dank.“

Parakalo! Kein Problem!“ Er stellte den Leuchter auf einer Kommode ab und reichte Emily die Lampe. „Niko hat einen wichtigen Telefonanruf erhalten und wird wohl für einige Tage außer Haus sein.“

Dieser feige Schuft!, dachte Emily. Sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. „Es muss ziemlich wichtig sein, wenn er sich dafür in diesen fürchterlichen Sturm hinauswagt.“

Auf dem Weg zur Tür blieb Georgios stehen und wandte sich um. „Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Er hat mir die Gründe nicht genannt.“

„Macht nichts, es ist unwichtig.“ Schließlich war sie hier, um für den Vater zu sorgen, nicht um dem Sohn nachzusteigen. „Danke für die Kerzen und die Lampe. Gute Nacht, Georgios.“

Kalispera, thespinis. Schlafen Sie gut.“

Zu ihrer eigenen Überraschung tat sie es wirklich und erwachte erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Das Gewitter der letzten Nacht war ebenso Teil der Vergangenheit wie Nikos Kuss.

Pavlos war schon aufgestanden und fertig angezogen, als Emily ins Erdgeschoss kam. Er saß draußen auf der Veranda und blickte in den Garten. Auf einem Tischchen neben ihm standen ein Telefon und eine leere Kaffeetasse, seine Brille ruhte auf seinem Schoß.

Als er Emily bemerkte, presste er einen Zeigefinger gegen seine Lippen und winkte sie zu sich heran. „Sehen Sie mal“, flüsterte er und zeigte auf zwei große graubraune Vögel. „Wissen Sie, was das ist? Das ist ein Turteltaubenpärchen. Scheu und heutzutage ziemlich selten. Aber in meinen Garten kommen sie, weil sie wissen, dass sie hier sicher sind. Und dort drüben bei der Futterstelle, das sind Goldamseln. Sie hätten nicht gedacht, dass ich ein Vogelkenner bin, was?“

„Nein“, bestätigte sie und nahm wohlwollend zur Kenntnis, wie erholt der alte Mann aussah. „Offenbar haben Sie gut geschlafen. Heute sehen Sie viel besser aus als gestern.“

„Auf seinem eigenen Grund und Boden erholt sich ein Mann eben doch am besten. Nicht, dass mein Sohn mir da zustimmen würde. Übrigens, wissen sie, wo er gerade ist? Ich bin davon ausgegangen, dass er zumindest an meinem ersten Abend über Nacht hier bleibt.“

„Er musste wegen eines Notfalls wegfahren.“

Der Alte straffte die Schultern und hob das kantige Kinn. „Mal wieder eine seiner haarsträubenden Eskapaden, nehme ich an. Überrascht mich nicht. Habe sowieso nicht damit gerechnet, dass er länger bleibt. Bestimmt besser so. Haben Sie schon gefrühstückt, Mädchen?“

„Nein“, gab sie zu und fühlte Mitleid für den alten Mann. Sosehr er sich auch bemühte, es hinter seiner stolzen Miene zu verbergen, sie merkte ihm den Kummer und die Einsamkeit an. „Zuerst wollte ich sehen, wie es Ihnen geht.“

„Ich bin hungrig. Und nachdem Sie jetzt hier sind, können wir zusammen essen.“

Er nahm das Telefon zur Hand und sprach etwas auf Griechisch in den Hörer. Kurz darauf erschien Georgios mit einem Tablettwagen, auf dem sich alle möglichen Köstlichkeiten türmten.

Essen hält Leib und Seele zusammen, sagte Emily sich und zwinkerte Pavlos aufmunternd zu.

In den folgenden Tagen fand Emily heraus, wie wenig Vertrauen Pavlos zu Ärzten hatte. Nur allzu deutlich formulierte er bei jeder Gelegenheit seinen Unmut. Wenn er seine Physiotherapieübungen machen sollte, maulte er herum wie ein verzogenes Kind. Doch sobald er glaubte, Emily würde zu hart arbeiten, wurde er wieder versöhnlich.

Emily konnte sich jedoch gut in ihrer freien Zeit erholen. Während seines Nachmittagsschläfchens schwamm sie im Pool, ging am Strand spazieren oder bummelte in den nahe gelegenen Strandgeschäften herum. Am Abend spielte sie mit Pavlos oft Rommé oder Poker, obwohl er bei beiden Spielen schamlos betrog.

Eines Morgens, als sie ihn nach der Physiotherapie im Rollstuhl auf die Terrasse schob, erkundigte er sich, ob sie ihr Zuhause vermisse.

Zuerst antwortete Emily ihm nicht und ließ stattdessen ihren Blick über das herrliche Grundstück schweifen. Sie betrachtete die unzähligen bunten Blüten, die Pfauen auf dem akkurat geschnittenen Rasen, den tiefblauen Himmel und das türkisfarbene Meer. Bald war in Vancouver Regensaison, eine Zeit in der man das Haus nicht mehr ohne wetterfeste Kleidung und Schirm verlassen konnte.

„Nein“, sagte Emily schlicht. „Ich bin froh, hier zu sein.“

„Gut. Dann werden Sie mich wenigstens nicht zu früh verlassen.“

Das hatte sie nicht vor. Allerdings geriet dieser Plan ins Wanken, als Niko am Anfang der zweiten Woche plötzlich wieder auftauchte.

„Hier versteckst du dich also“, begrüßte er Emily, die in einer Hollywoodschaukel auf einer der Veranden saß. „Ich habe dich schon überall gesucht.“

Obwohl sie erschrak, ließ sie sich den Schock über das unerwartete Wiedersehen nicht anmerken. „Warum? Was gibt es denn?“

Ohne eine Einladung abzuwarten, setzte er sich neben sie auf die Schaukel. „Ich wollte dich fragen, ob ich dich heute Abend zum Essen ausführen darf.“

Der hat Nerven!, dachte sie. „Ich glaube nicht“, gab sie zurück und hoffte, dabei unbeschwert und leicht amüsiert zu klingen. „Nachher verschwindest du wieder im letzten Moment, und ich bleibe auf der Rechnung sitzen.“

„So wie ich es beim letzten Mal gemacht habe, meinst du?“ Er schnitt eine Grimasse. „Hör zu, es tut mir ernsthaft leid, wie das gelaufen ist, aber …“

„Mir auch, Niko! Also, vergiss es.“

„Nein, tut es nicht. Ebenso wenig wie mir. Verbringe diesen Abend mit mir, damit ich dir alles erklären kann!“

„Warum sollte mich interessieren, was du zu sagen hast?“

„Wenn dem nicht so wäre, würdest du mir gegenüber wohl kaum so kratzbürstig sein. Komm schon, Emily“, bettelte er und rückte näher an sie heran. „Gib mir eine Chance und hör mich an, bevor du entscheidest, ob ich es wert bin oder nicht.“

„Normalerweise spiele ich abends mit Pavlos Karten.“

„Dann essen wir eben später. Wie geht es meinem Vater eigentlich? Ich bin eben schon bei seiner Suite gewesen, aber er schläft gerade.“

„Ja, er wird noch immer ziemlich schnell müde. Doch er macht gute Fortschritte, seit die Physiotherapie begonnen hat.“

„Ich bin froh, das zu hören.“ Unter halb geöffneten Lidern sah er sie an und strich leicht über ihren Unterarm. „Also, was meinst du? Haben wir ein Date?“

Es war ihr unmöglich, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. „Wenn du mich dann endlich wieder in Ruhe lesen lässt, bin ich einverstanden. Aber erst ab zehn Uhr, wenn dein Vater zu Bett gegangen ist.“

Seine Nähe war erdrückend, erst recht, als er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange gab. „So lange kann ich warten, auch wenn es nicht gerade einfach für mich ist.“

Sie dinierten in einem Restaurant direkt am Wasser, ungefähr fünfzehn Autominuten von der Villa entfernt. Emily hatte ihre Haare hochgesteckt und war in ein schlichtes schwarzes Kleid geschlüpft, das ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Silberne Kreolen und hochhackige Sandalen rundeten ihr Outfit perfekt ab. Emily war erleichtert darüber, dass ihre Aufmachung hervorragend in das Ambiente des Restaurants passte.

Ein Kellner wies ihnen einen edel gedeckten Tisch am Fenster zu, und Emily ließ Niko das Menü auswählen. Anschließend lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sie aufmerksam.

„Du siehst heute Abend bezaubernd aus, Emily. Eher wie ein Model, nicht wie die klassische Krankenschwester.“

„Danke, du siehst aber auch sehr gut aus.“

Und das war noch untertrieben. Sein dunkelgrauer Anzug verlieh Niko eine Ausstrahlung von Charme und Macht, der man nur schwer widerstehen konnte.

Er hob eine Hand. „Deine Ohrringe gefallen mir.“

„Sie gehörten meiner Mutter, die eine absolute Schwäche für Schmuck und tolle Kleider hatte.“ Gedankenverloren berührte sie mit den Fingerspitzen eine der Kreolen. „Ich habe immer noch all ihre Sachen: Kleider, Schuhe, Taschen.“

„Trägst du sie auch?“

„Nicht besonders oft. Mir fehlt die Gelegenheit dazu.“

Energisch verdrängte Niko sein Mitgefühl und zwang sich, ihr Gespräch als bloßen Small Talk zu betrachten. „Eine so schöne Frau wie du sollte sich nur mit schönen Dingen umgeben.“

„Meine Mutter war die Schönheit, nicht ich.“

„Meinst du?“

„Ich weiß es“, erwiderte sie und nickte dem Kellner dankend zu, der gerade den Aperitif servierte. „Auch mein Vater war ungemein gut aussehend. Sie waren ein atemberaubendes Paar.“

„Erzähle mir von ihnen“, bat er. „Was waren es für Menschen, einmal abgesehen von ihrem Aussehen?“

„Verrückt nacheinander. Glücklich.“ Betrübt beobachtete sie die Jachten, die im nahe gelegenen Hafen auf den Wellen schaukelten. „Und sie haben das Leben in vollen Zügen genossen. Sie haben viel getanzt, sind Nachts zum baden an den Strand gefahren und haben die Feste gefeiert, wie sie fielen. Jeder wollte mit ihnen befreundet sein, und sie waren ständig überall eingeladen. Leider sind sie viel, viel zu früh gestorben.“

Ihre Traurigkeit war ansteckend, und Niko stellte die nächste Frage so behutsam wie möglich. „Wie ist es passiert?“

„Sie waren auf dem Rückweg von einer Party auf einer Straße unterwegs, die für ihre vielen scharfen Kurven bekannt war. Es regnete stark, und die Sicht war extrem schlecht. Es gab einen Frontalaufprall, und sie waren sofort tot.“

Seine Stimme klang gebrochen. „Oh, Emily, das tut mir so leid.“

Emily spürte, wie ihr die Tränen kamen, und sie setzte sich kerzengerade auf, um Haltung zu bewahren. „Danke. Aber all das ist lange her, und wir sind heute hier, um über dich zu sprechen, nicht über mich. Also, Niko, was hat dich nach unserem Kuss letzte Woche so plötzlich in die Flucht geschlagen? Georgios sprach von einem wichtigen Anruf. Hast du unsere kleine Verabredung schlicht vergessen, oder fiel ich gegen die andere Frau so sehr ab, dass du es nicht erwarten konntest, mir zu entkommen?“

„Keines von beidem“, wehrte er sich. „Es hatte etwas mit meiner Arbeit zu tun.“

„Du arbeitest?“

„Aber ja, Emily“, entgegnete er und lachte. „Tun das nicht alle Männer meines Alters?“

„Schon, trotzdem hätte ich es nicht von dir erwartet. Außerdem war es bereits mitten in der Nacht.“

„Stimmt, und ich musste am nächsten Tag den ersten Flug in Athen erwischen.“

„Um wohin zu reisen?“

„Nach Übersee.“

„Wie taktvoll und vage ausgedrückt“, spottete sie und warf ihre Serviette auf den Tisch. „Wenn das deine einzige Erklärung ist, gehe ich lieber.“

„Schon gut“, sagte er hastig und hob beschwichtigend die Hände. „Ich musste dringend medizinische Güter nach Afrika liefern.“

Verwundert lehnte sie sich zurück. „Sprichst du von Ärzte ohne Grenzen?“

„In diesem besonderen Fall, ja.“

Während der Kellner das Essen brachte, gingen Emily tausend Fragen durch den Kopf, aber sie wartete geduldig, bis die gegrillten Scampi und Calamares serviert worden waren, bevor sie fortfuhr. „Wie bist du dorthin gelangt?“, wollte sie wissen.

„Geflogen.“

Sie schnaubte kurz. „Das habe ich mir schon gedacht.“

Seine Augen funkelten amüsiert. „Zufällig besitze ich ein kleine Flugzeugflotte, und das ist manchmal ganz praktisch.“

„Willst du damit sagen, du fliegst dein eigenes Flugzeug?“

„Mit einem Wort: Ja.“

„Soweit ich weiß, kann es unheimlich gefährlich sein, in solche Regionen zu reisen, Niko.“

Er zuckte die Achseln. „Möglich, aber einer muss es tun.“

Emilys Bild von ihm wandelte sich. „Wo hast du fliegen gelernt?“

„Beim Militär. Nach meiner Grundausbildung hatte ich zum ersten Mal mit Hilfsmissionen zu tun. Es hat meinen Vater natürlich zur Weißglut getrieben, dass ich mich nicht ihm und seinem Imperium verschrieben habe.“

„Hast du dich deshalb beim Militär verpflichtet?“

„Nicht nur. Ich liebte die Freiheit beim Fliegen. Und humanitäre Hilfe hat mir mehr zugesagt als wirtschaftlicher Reichtum. Wie schmecken dir die Calamares, Emily?“

„Köstlich“, behauptete sie, obwohl sie das Essen kaum angerührt hatte. Nikos Geschichte fesselte sie viel zu sehr. „Und du besitzt ein ganze Flotte von Flugzeugen?“

„Zehn, um genau zu sein, und fünfzehn Angestellte. Wir tragen keine Uniform, sind vierundzwanzig Stunden an sieben Tagen in der Woche auf Abruf und springen ein, wo immer wir gebraucht werden. Letzten Monat sind wir mit dem Roten Kreuz in die Türkei geflogen, weil dort unzählige Menschen nach einem Erdbeben obdachlos geworden waren. Im Monat davor hat Oxfam International unsere Dienste in Anspruch genommen.“

„Aber wenn dir Geld angeblich so wenig bedeutet, wie finanzierst du das Ganze? Unterstützt Pavlos dich?“

„Wo denkst du hin?“, antwortete er trocken. „Selbst wenn er es angeboten hätte, ich wäre lieber verhungert, als Geld von ihm anzunehmen. Und, um das noch einmal klarzustellen: Ich habe niemals behauptet, Geld würde mir nichts bedeuten. Es kann zuweilen ausgesprochen nützlich sein. Ich will bloß mit seinen Millionen nichts zu tun haben.“

„Dann verstehe ich das Ganze nicht.“

„Ich habe ein kleines Vermögen von meiner Mutter geerbt, das Pavlos – so viel muss man ihm lassen – äußerst gewinnbringend für mich angelegt hat. Als ich volljährig wurde, besaß ich so viel Geld, dass ich in Bezug auf meine Pläne von keinem Sponsor abhängig war. Und ich habe mich dafür entschieden, mich für Menschen in Not einzusetzen.“ Er sah sie direkt an. „Warum überrascht dich das so?“

„Weil du letzte Woche behauptet hast, kein netter Mann zu sein. Und das habe ich dir abgenommen. Jetzt erfahre ich aber, dass das Gegenteil der Fall sein soll.“

„Lass dich nicht in die Irre führen, Emily“, warnte er sie. „Dass ich nicht immun gegen das Leid der Menschen bin, macht mich noch nicht zu einem Heiligen.“

„Da bin ich anderer Meinung.“

Leicht verlegen schob er seinen Teller beiseite. „Der Wein muss dir zu Kopf gestiegen sein. Lass uns tanzen gehen, bevor du noch etwas sagst, das dir später leidtun könnte.“

Die Vorstellung, sich in seine Armen zu begeben, war unbeschreiblich verlockend. „Gern“, stimmte Emily zu und folgte ihm auf die Tanzfläche.

Nachdem sie sich einen Weg an den anderen Paaren vorbei gebahnt hatten, zog Niko Emily mit Schwung in seine Arme. „Komm, mein Engel!“, raunte er in ihr Ohr und begann, sich zur Musik zu bewegen.

Der letzte Widerstand in ihr schmolz dahin, und sie verlor sich in den jadegrünen Augen dieses Mannes, die ihr stumm den Himmel auf Erden versprachen …

Es fühlte sich herrlich an, eine Frau im Arm zu halten, die so viel natürliche Schönheit ausstrahlte. Nichts an ihr wirkte gekünstelt oder unecht. Und trotz ihrer zarten Erscheinung schien sie nicht gleich unter Nikos Berührung zu zerbrechen.

Instinktiv drückte er sie fester an sich. „Hör auf nachzudenken!“, befahl er sanft. „Ich merke doch, wie es in deinem Kopf unablässig arbeitet.“

„Das ist nicht so leicht. Ich habe gerade erfahren, dass du nicht der bist, für den ich dich gehalten habe.“

Was die ganze Sache für Emily nur noch schlimmer machte. Als sie Niko noch für einen verwöhnten Millionärssohn hielt, hatte sie ihm schon kaum widerstehen können. Aber jetzt … Es fiel ihr schwer, sich auf die Musik zu konzentrieren, und so hörte sie auf zu tanzen, während die anderen Paare sich weiterhin im Takt um sie herum bewegten.

„Eine Sache verstehe ich jedoch nicht“, begann sie mit eindringlicher Stimme, „Wieso hast du so viel Mitgefühl für andere Menschen, aber gleichzeitig so wenig davon für deinen eigenen Vater?“

„Ich habe dich nicht ausgeführt, um über meinen Vater zu sprechen.“

Ihre Hüften berührten sich, und die Erregung steigerte sich.

„Eigentlich bin ich überhaupt nur seinetwegen hier“, gab sie zu bedenken.

„Danke, dass du mich daran erinnerst“, brummte er und geleitete sie zurück zu ihrem Tisch. „Und da wir gerade dabei sind, sollte ich dich wohl schnell nach Hause bringen, damit du morgen früh wieder fit für deine Arbeit bist.“

„Vor neun muss ich offiziell nicht anfangen. Pavlos besteht darauf, dass Georgios ihm beim Waschen und Anziehen hilft.“

„Trotzdem ist es schon spät“, sagte er entschieden, und Emily nickte.

„Du bist bestimmt sehr müde?“, mutmaßte sie und ließ sich mit widerstrebenden Gefühlen von Niko nach draußen begleiten. „Übernachtest du denn heute bei uns?“, fragte sie beiläufig, während sie zurück zur Villa fuhren.

„Nein.“ Seine Antwort überraschte ihn selbst, denn eigentlich plante er ja, Emily zu verführen. Er konnte es kaum erwarten, in ihren Armen zu liegen und die grausamen Bilder zu verdrängen, die ihn seit seinem letzten Afrika-Aufenthalt verfolgten. Außerdem musste er Emily und ihre niederen Absichten enttarnen.

Aber sosehr er sie auch begehrte, es reizte ihn nicht mehr, sie einfach nur zu benutzen. Wenn sie wirklich zwei Gesichter hatte, war Niko nicht mehr sicher, ob er davon wissen wollte.

Es war schon weit nach neun Uhr am nächsten Morgen. In der Villa war es vollkommen still, und Emily ging unruhig in ihrem Zimmer auf und ab und starrte aus den hohen Fenstern nach draußen. Sie hätte heulen können vor Wut.

Der gestrige Abend hatte so vielversprechend begonnen, und dann? Beim Tanzen war sie Niko nahe gewesen, hatte seine Erregung gespürt – und ihre eigene, noch ungewohnte Leidenschaft. Zwar hatte Niko ihr einen innigen Abschiedskuss gegeben, aber dann war er ohne ein weiteres Wort verschwunden, genau wie beim letzten Mal.

Emily wurde aus diesem widersprüchlichen Mann einfach nicht schlau. War er ein eiskalter Verführer oder ein besorgter Held? Aber ein temperamentvoller Leonidas war für Emily anstrengend genug …

„Na, bis in die Puppen mit meinem Sohn unterwegs gewesen?“, erkundigte Pavlos sich später beim Essen und musterte Emily neugierig. „Was, wenn ich Sie gebraucht hätte?“

„Georgios wusste, wie er mich erreichen kann. Es wäre nur eine Viertelstunde Fahrt gewesen.“

„Darum geht es aber nicht.“

„Worum geht es Ihnen dann, Pavlos?“, fragte sie etwas schärfer. „Darf ich das Grundstück ohne Ihre Zustimmung nicht mehr verlassen?“

Gelassen ignorierte er ihren Sarkasmus. „Du bringst dich in Schwierigkeiten, Mädchen, wenn du dich auf Niko einlässt.“ Mit erhobener Hand wehrte er ihren Einwand ab. „Lassen wir die Förmlichkeiten jetzt mal sein! Ich will offen mit dir reden! Frauen sind für Nico nichts weiter als Spielzeuge, mit denen er sich die Zeit vertreiben will. Wenn er keinen Spaß mehr an ihnen hat, lässt er sie fallen wie heiße Kartoffeln und schnappt sich die Nächste. Er wird dir das Herz brechen, so wie all den anderen vor dir auch.“

So weit war sie auch schon gekommen. „Ich bin eine erwachsene Frau und kann ganz gut auf mich aufpassen.“

Der alte Mann runzelte die Stirn. „Nicht bei einem Mann wie ihm. Niko macht Ärger, ganz gleich, wie man es dreht und wendet. Nimm dir meinen Rat zu Herzen, Mädchen. Halt dich von ihm fern!“

Ein Schatten fiel durch die Tür. „Sprichst du wieder einmal über mich, alter Herr?“ Niko trat durch die Terrassentür ein.

Jetzt trug er wieder lässige blaue Jeans und ein relativ enges T-Shirt, das seine tiefbraunen Arme zur Geltung brachte. Es fiel Emily schwer, ihn nicht wie hypnotisiert anzustarren.

Schnell senkte sie den Blick und hörte, wie Pavlos missmutig brummte.

„Fällt dir sonst jemand ein, auf den diese Beschreibung passt?“

„Kein einziger“, gab Niko ungerührt zurück.

„Da siehst du es.“ Mit einem Klirren stellte der Alte seine Kaffeetasse ab. „Warum bist du eigentlich hier?“

„Ich wollte mit Emily reden und auch nach dir sehen.“

„Hättest dir keine Umstände machen müssen.“

„Offensichtlich nicht. Du bist streitsüchtig wie eh und je. Ein gutes Zeichen dafür, dass du dich erholst.“

„Emily will dich nicht sehen!“

„Warum kann sie mir das nicht selbst sagen? Oder macht dich die Tatsache, dass du sie für ihre Dienste bezahlst, zu ihrem Sprachrohr?“

„Schluss jetzt damit, alle beide!“, schaltete Emily sich energisch ein. „Pavlos, iss dein Rührei und hör auf, dich so unfreundlich zu benehmen! Und Niko, der Physiotherapeut wird bald hier sein, dann habe ich Zeit für dich.“

Doch er schüttelte den Kopf. „So lange kann ich nicht warten. Ich habe ein Meeting in der Stadt.“

„Wir wollen dich nicht aufhalten“, knurrte sein Vater und nahm demonstrativ die Tageszeitung zur Hand.

Nikos Miene verschloss sich, er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Flur. Emily erkannte den Schmerz in seinen Augen, bevor er ihn verbergen konnte. Sie wandte sich an Pavlos.

„Das war hässlich und vollkommen unnötig.“

„Dann renn ihm doch nach und tröste ihn!“

„Ein exzellenter Vorschlag“, erwiderte sie ironisch und stand auf. „Danke dafür!“

Sie holte Niko erst an seinem Auto ein. „Warte!“, rief sie ihm schon von Weitem zu.

Er drehte sich zu ihr um. „Wenn du dich für meinen Vater entschuldigen willst, spar dir das! Ich bin diesen Umgang gewöhnt.“

„Ich habe nicht vor, mich zu entschuldigen“, beschwichtigte sie. „Und mir ist schleierhaft, warum er heute so kratzbürstig ist. Ich wollte nur klarstellen, dass ich mir von niemandem vorschreiben lasse, mit wem ich mich treffe oder unterhalte.“

„In diesem Fall solltest du vielleicht besser auf ihn hören. Immerhin kennt er mich mein ganzes Leben lang und ist daher so etwas wie ein Experte, wenn es um meinen Charakter geht.“

Beruhigend legte sie eine Hand auf seinen Arm und spürte die angenehme Wärme seiner Haut. „Gestern hätte ich ihm noch geglaubt, aber heute weiß ich es besser. Diese kleine Szene gerade eben hat nichts mit uns zu tun. Also, worüber wolltest du mit mir reden?“

„Was glaubst du wohl, Emily?“, antwortete er leise. „Ich würde gern mehr Zeit mit dir verbringen.“

Alarmglocken meldeten sich in ihrem Verstand, und Emily nahm sich vor, endlich Klarheit in ihr Verhältnis zu Niko zu bringen. „Warum dann die widersprüchlichen Signale gestern Abend, Niko? Spielst du mit allen Frauen dieses Jojospiel, oder bin ich die Einzige, die in diesen besonderen Genuss kommt?“

Ihre Offenheit war buchstäblich ansteckend, also nahm auch er kein Blatt vor den Mund. „Falls du es nicht bemerkt haben solltest, Liebes, mein Verlangen nach dir war spätestens auf der Tanzfläche mehr als offensichtlich. Das sollte dir doch etwas sagen.“

Mühsam unterdrückte sie ein Lachen. „Das ist mir aufgefallen. Aber dann scheinst du die Nerven verloren oder einfach entschieden zu haben, dass ich doch nicht deinem Typ Frau entspreche.“

Immerhin hatte er den Anstand, leicht zu erröten. „Es gibt für alles den richtigen Ort und die richtige Zeit, Emily. Ich überstürze die Dinge nicht gern, was aber nicht bedeutet, dass ich nicht gern mit dir ins Bett gehen würde. Aber du hast mir auch nicht gerade Hoffnungen gemacht.“

„Ich kann mich nur besser verstellen als du“, sagte sie schmunzelnd. „Aber wenn du mich direkt gefragt hättest …“

„Meinst du wirklich, was du da sagst?“ Er wirkte irritiert.

„Verstehe mich nicht falsch! Ich will damit nicht andeuten, dass ich sofort mit dir …“

„Aber du würdest nicht ablehnen, wenn ich dich noch einmal ausführen möchte?“

„Ich wäre enttäuscht, wenn du es nicht tätest.“

Grinsend schlang er einen Arm um ihre Taille und zog Emily an sich. „Wann hast du denn das nächste Mal ein paar Stunden frei?“

„Heute Nachmittag, so zwischen drei und sieben Uhr.“

„Dann hole ich dich um halb vier ab. Zieh dir etwas Legeres an und bring eine Kamera mit, wenn du eine besitzt! Heute spielen wir Touristen.“

Und dann küsste er sie, sanft und innbrüstig. Emily hatte Schmetterlinge im Bauch und freute sich wie ein Schulmädchen auf ihre Verabredung mit dem schönsten Mann, der ihr jemals unter die Augen gekommen war.

Aus Reiseführern und Broschüren hatte Emily geglaubt, schon einiges über Athen erfahren zu haben, aber nichts davon hatte sie auf das Flair dieser Stadt vorbereiten können. Der Lärm, die vielen Menschen, der Smog, aber vor allem der Kontrast zwischen alten Gemäuern und modernen Gebäuden waren überwältigend.

Anstelle seines dunklen BMWs hatte Niko Emily mit einem knallroten Motorroller abgeholt. Es war ein atemberaubendes Gefühl, dicht an seinen Rücken gepresst durch die engen Gassen von Athen zu brausen, steile Hügel zu erklimmen und hübsche kleine Marktplätze zu entdecken. Emily liebte den Fahrtwind auf ihrem Gesicht und in ihren Haaren, und sie vertraute Niko blind.

Nach einer Weile parkten sie den Roller, und Niko führte Emily durch eine Gasse, umsäumt von Cafés und Restaurants, hinauf zum berühmten Parthenon auf der Athener Akropolis. Sie war sprachlos und zutiefst beeindruckt.

„Ich kann kaum fassen, dass ich wirklich hier bin und mir alles mit eigenen Augen ansehen kann“, stöhnte sie schließlich. „Das ist Wahnsinn, Niko! Absoluter Wahnsinn! Und dieser Ausblick …“

Athen lag ihnen zu Füßen, und keine Kamera der Welt konnte diesen Anblick einfangen.

„Von hier oben erkennt man erst die Dimensionen dieser Stadt“, sagte Niko. „Wenn mein Vater mal einen Abend auf dich verzichten kann, kommen wir noch mal hierher und sehen uns den Sonnenuntergang an. Dann öffnen wir eine Flasche Wein und bestaunen die Lichter der Stadt.“

In diesem Augenblick konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen. Sie verbrachten ein paar herrliche Stunden zusammen, besichtigten historische Tempel und ließen sich in kleinen Straßencafés mit Köstlichkeiten verwöhnen. Als sie wieder zurückfuhren und das Tor zur Villa passierten, stand die Sonne schon tief.

„Kommst du noch mit hinein?“, fragte Emily, nachdem sie vom Roller abgestiegen war.

Aber Niko schüttelte den Kopf. „Lieber nicht. Nein, karthula. Wozu einen perfekten Nachmittag ruinieren?“

„Ich wünschte, es wäre nicht so kompliziert“, seufzte sie und stockte, als er ihr Gesicht mit beiden Händen umschloss.

„Es ist, wie es ist, Emily. Und so war es schon immer.“

„Nun, ich finde es nur ziemlich traurig …“

Mit einem intensiven Kuss, der nach Abschied schmeckte, verschloss er ihren Mund. Als Niko sich von ihr löste, bemerkte Emily, dass Pavlos, auf seinen Gehwagen gestützt, in der Tür zur Villa stand und sie beobachtete.

„Auf frischer Tat ertappt vom strengen patera“, murmelte Niko leise. „Ich mache mich besser auf den Weg, bevor er eine Schrotflinte holt. Wir telefonieren, Emily. Bis ganz bald.“

Dann war er verschwunden, und Emily überlegte, ob Niko seinen Vater schon eher entdeckt hatte. Dann war der gefühlvolle Kuss vielleicht nur Mittel zum Zweck gewesen, um Pavlos zu provozieren.

Obwohl sie es nicht wollte, musste sie an die Warnungen des alten Mannes denken, und Emily fragte sich, inwieweit sie ihrem Bauchgefühl vertrauen durfte …

4. KAPITEL

Pavlos’ Gesichtsausdruck schien ausdrücken zu wollen: Habe ich es dir nicht gesagt?

Offenbar wirkte Emily ebenso niedergeschlagen, wie sie sich fühlte.

„Er hat deine Erwartungen nicht erfüllt, was?“, mutmaßte der Alte.

„Du weißt nicht, wovon du sprichst, Pavlos“, entgegnete sie knapp. „Ich hatte einen wunderbaren Tag.“

Freundschaftlich stieß er sie in die Rippen. „Gib es doch endlich zu, Emily! Du bist enttäuscht.“

„Im Grunde bin ich von euch beiden enttäuscht. Ihr seid doch erwachsene Männer, noch dazu Vater und Sohn. Ich finde es traurig, wie ihr miteinander umgeht. Übrigens, hast du schon zu Abend gegessen?“

„Nein. ich habe auf dich gewartet.“

„Ich habe aber keinen Hunger.“

„Ach, Mädchen! Tu dir das doch nicht an! Er ist es nicht wert.“ Der Klang seiner Stimme verriet tiefes Mitgefühl.

„Aber es ist doch gar nichts passiert“, wehrte sie sich halbherzig, doch Emily sah ein, dass dieses Gespräch zu nichts führte.

An diesem Abend geschah der Unfall. Pavlos rutschte in seinem Badezimmer aus und schlug sich den Kopf am Waschbecken auf. Während Georgios die Nerven verlor, seinen alten Freund und Arbeitgeber schon im Sterben sah und sich die Schuld an diesem Unfall gab, bewahrte Emily die Ruhe. Sie rief einen Rettungswagen und kümmerte sich darum, dass Pavlos ruhig auf dem Badezimmerfußboden liegen blieb. Er schien etwas desorientiert zu sein, schlug ihre helfende Hand beiseite und versuchte, sich aufzurappeln.

Mühsam lehnte er sich gegen die Badewanne. „Ich bin noch nicht tot, Mädchen! Es braucht mehr als nur einen angeknacksten Schädel, um mich um die Ecke zu bringen.“

„Ich mache mir weniger um deinen Kopf Sorgen als um deine Hüfte“, erwiderte Emily und presste einen kühlen Waschlappen auf die Platzwunde, die er sich zugezogen hatte. Die Tatsache, dass er sich hinsetzen konnte, war zwar ein gutes Zeichen, aber Gewissheit würden erst die Röntgenaufnahmen bringen.

Später im Krankenhaus gaben die Ärzte Entwarnung, und Pavlos weigerte sich standhaft, über Nacht dortzubleiben. „Ich habe dich nicht den weiten Weg mit nach Griechenland genommen, damit du den Job bei erster Gelegenheit in fremde Hände gibst“, beschwerte er sich bei Emily.

Schon am nächsten Morgen war er, trotz eines blauen Auges, das er sich zugezogen hatte, wieder ganz er selbst. Er duldete sogar, wenn auch mürrisch, dass Niko über den Vorfall informiert wurde. Drei Tage später trafen Vater und Sohn beim Mittagessen wieder aufeinander.

„Ziemlich farbenfroh“, bemerkte Niko und deutete auf das Veilchen. „Sag mal, alter Mann, ist es dir zur Gewohnheit geworden, deinen Körper zu malträtieren?“

„Unfälle passieren eben“, konterte sein Vater. „Du bist der lebende Beweis.“

Emily zuckte bei diesem grausamen Kommentar heftig zusammen. Sie ahnte, dass Pavlos schwer gekränkt war, weil Niko sich mit seinem Krankenbesuch so viel Zeit gelassen hatte.

„Wir haben alle unser Kreuz zu tragen, patero“, entgegnete Niko. „Deines ist ganz sicher nicht schwerer als meines.“

„Nenn mich nicht patero! Du verhältst nicht wie ein Sohn!“

Für Emily war es unerträglich, so zwischen die Fronten zu geraten. Es ging nicht anderes, sie musste ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. „Wie könnt ihr nur miteinander auskommen, so wie ihr euch benehmt? Das ist mir unbegreiflich.“

„Wir versuchen, uns aus dem Weg zu gehen“, erklärte Niko schlicht und hob die Schultern. „Und wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen, Emily?“

„Sehr gut, danke. Leider kann ich in Bezug auf deinen Vater nicht das Gleiche behaupten. Aber da du ganze drei Tage gebraucht hast, um endlich hier aufzutauchen, scheint dir das herzlich egal zu sein.“

„Versuche erst gar nicht, an seinen Sinn für Anstand zu appellieren“, sagte Pavlos zu Emily. „Er hat keinen.“

Niko stöhnte auf. „Anders als bei dir besteht meine Karriere nicht nur daraus, hinter einem großen Schreibtisch zu hocken und Befehle zu erteilen. Ich wurde für einen Auftrag gebraucht und bin erst heute Morgen nach Athen zurückgekehrt.“

„Wieder unterwegs, die Welt zu retten, was?“, bemerkte Pavlos schneidend.

Kaum hörbar stieß Niko einen üblen Fluch aus, und sein Vater zuckte merklich zusammen. Dann warf er Emily einen verletzten Blick zu und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Er soll dorthin verschwinden, wo der Pfeffer wächst.“

Wortlos stand Emily auf, schenkte beiden einen vernichtenden Blick und ließ sie dann allein. Sie war es leid, diesem lächerlichen Schauspiel beizuwohnen. Ein alter Patriarch, der nicht akzeptieren kann, dass seine Kräfte schwinden und seine Zeit abgelaufen ist. Und der Sohn? Ein moderner Adonis mit großen Ambitionen, stark, schlau und unbeugsam. Zu allem Überfluss waren beide Opfer ihres eigenen Stolzes. Lieber würden sie barfuss durchs Feuer gehen, als zuzugeben, wie viel sie einander bedeuteten.

Zielstrebig ging Emily zum Verwalterhäuschen, in dem der verwitwete Gärtner Theo wohnte. Auf den Stufen zur Hintertür wedelte sein Hund Zephyr freundlich mit dem Schwanz. Emily setzte sich zu ihm und streichelte sein weiches Fell. Und genau dort fand Niko sie wenige Minuten später.

„Rückt ihr für mich auch noch ein Stückchen zur Seite?“, fragte er.

„Nein“, gab sie mit fester Stimme zurück. „Ich bevorzuge zivilisierte Gesellschaft.“

„Willst du damit etwa sagen, Zephyr ist dafür geeigneter als ich?“

„Allerdings.“

Verlegen sah Niko zu Boden und steckte die Hände in die Taschen. „Eines musst du mir glauben, Emily. Mir gefällt es bestimmt nicht, ständig mit meinem Vater zu streiten.“

„Warum beendest du es dann nicht?“

„Was soll ich denn tun? Ruhig dastehen und mich als Blitzableiter benutzen lassen?“

„Wenn das nötig sein sollte …“

„Entschuldige, karthula, aber dafür bin ich nicht der Typ. Und ich will mit dir nicht dort weitermachen, wo ich gerade mit ihm aufgehört habe.“

„Warum bist du mir dann gefolgt?“

„Um dich zu fragen, ob du noch einmal mit mir essen gehen möchtest.“

Sie seufzte. „Ich dachte schon, du wolltest mir die Schuld an Pavlos’ Unfall geben. Immerhin bin ich für sein Wohlergehen zuständig.“

„Blödsinn“, beruhigte er sie. „So ein Gedanke ist mir nie gekommen, und ich habe natürlich sofort von dem Unfall erfahren. Ob du es glaubst oder nicht, ich stehe in engem Kontakt mit Georgios und Damaris. Sie halten mich ständig auf dem Laufenden. Daher weiß ich auch, wie gut du meinem Vater tust.“

„Wenn du dir schon die Mühe machst, dich permanent nach ihm zu erkundigen, ist es dann zu viel verlangt, ihm das auch mal persönlich zu sagen?“

„Wozu, nachdem er doch deutlich macht, dass er so etwas gar nicht hören will?“

„Vielleicht überrascht er dich mit ähnlichen Bekenntnissen?“

„Du bist die Einzige, die mich überrascht, Emily. Und darüber bin ich nicht gerade froh. Ich habe schon genug Probleme.“

Verwirrt nahm sie dieses zweifelhafte Kompliment zur Kenntnis. „Hast du in den letzten Tagen Schwierigkeiten bekommen?“

„Nicht mehr als sonst“, winkte er ab. „Meine Firma löst ständig Probleme, solange es die von anderen Leuten sind. Und ich habe schnell gelernt, eine klare Grenze zwischen meinem Beruf und meinem Privatleben zu ziehen.“ Er seufzte. „Aber jetzt bist du da, und das macht mein relativ geordnetes Leben zunehmend komplizierter.“

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Das ist mir schon klar und stellt gut die Hälfte meines Problems dar.“

„Dann erkläre es mir!“

„Unmöglich“, stöhnte er. „Womit wir bei der anderen Hälfte wären.“

Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. „Ich bin kein großer Freund von Rätseln, Niko. Offenbar kannst oder willst du dich nicht auf mich einlassen, also lass mich dem Elend ein Ende setzen! Nein, aber trotzdem danke, ich möchte nicht mit dir ausgehen.“

Seine grünen Augen wurden eine Nuance dunkler, und er legte eine Hand in Emilys Nacken. „Lügnerin“, neckte er sie.

„Dass ich keine Spielchen mit dir spielen möchte, macht mich noch lange nicht zu einer Lügnerin“, verteidigte sie sich mit bebender Stimme.

„Das macht es leider auch nicht leichter, dir zu widerstehen.“

Lange Zeit sahen sie sich schweigend in die Augen, aber keiner von beiden machte den ersten Schritt. Zu viel Unausgesprochenes stand zwischen ihnen, und Emily war nicht bereit, Niko hinterherzulaufen.

Schließlich stand er auf, klopfte sich die Hände an seiner Hose ab und verabschiedete sich von Emily mit einem neutralen Gruß. Verstört und traurig blieb sie mit dem Hund des Gärtners zurück.

Immer wieder musste Emily sich dazu ermahnen, standhaft zu bleiben. Dabei hätte sie gern noch einen weiteren Abend mit Niko verbracht. Aber wohin sollte das führen? Die Dinge waren schon kompliziert genug.

Als sie an diesem Abend zu Bett ging, schien sie sich endlich vollkommen sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Trotz der magischen Anziehungskraft zwischen ihr und Niko hatte sie von Anfang an gespürt, dass dieser Mann ihr nichts als Ärger bringen würde.

Wenn sie jetzt nicht stark blieb, würde sie Niko verfallen und dabei ihr Herz aufs Spiel setzen. Schließlich hatte er ihr klargemacht, dass er rein sexuell an ihr interessiert war. Was hatte sie also anderes zu erwarten? In seinem Leben war kein Platz für eine ernsthafte Beziehung, und ihre Zukunft wartete in einem ganz anderen Land auf sie.

Seufzend legte sie ein Stück Holz auf das Feuer in ihrem Kamin und ließ sich dann ein heißes Schaumbad ein. Es war eine Wohltat, sich in dem duftenden Wasser zu entspannen und für einen Moment all die Sorgen zu vergessen, die während der letzten Wochen in ihrem Leben entstanden waren.

Müde schlüpfte sie anschließend in ein luftig kurzes Nachthemd und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück. Sie freute sich darauf, in die weichen Kissen zu sinken und die Augen zu schließen. Das Feuer brannte immer noch, und es war angenehm warm.

Im nächsten Augenblick bemerkte sie, dass Niko es sich in einem der breiten Sessel gemütlich gemacht hatte.

„Ich dachte schon, du wärst ertrunken“, begrüßte er sie gelassen.

Schlagartig wurde sie sich ihrer freizügigen Kleidung bewusst und zerrte ihr Nachthemd nach unten. Doch der Saum rutschte ihr aus den zitternden Fingern und schnellte nach oben. Emily schnappte erschrocken nach Luft. „Nicht hinsehen!“

„Wenn du darauf bestehst“, sagte er und drehte höflich den Kopf zur Seite.

„Was machst du hier überhaupt?“

„Ich fand, ich schulde dir eine Erklärung für mein Verhalten. Wieder einmal.“

Emily spürte, wie die Sehnsucht nach körperlicher Erfüllung in ihr wuchs. „Du schuldest mir gar nichts, Niko. Außerdem hast du kein Recht dazu, in mein Zimmer einzudringen.“

„Trotzdem bin ich hier. Und ich bleibe, bis du mich angehört hast. Bitte, Emily!“

Seufzend legte sie den Kopf in den Nacken. „Na gut, aber fasse dich bitte kurz. Ich bin hundemüde und möchte gern ins Bett gehen.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete er ihre nackten Beine. „Könntest du dir vorher noch etwas weniger Aufreizendes anziehen? Schließlich bin ich auch nur ein Mann.“ Er wartete, bis Emily einen Bademantel angezogen hatte. „Schon besser. Warum setzt du dich nicht zu mir?“

„Nein, danke“, erwiderte sie, und versuchte, dabei möglichst kühl zu klingen. Dabei hielt sie den Mantel bis oben hin mit beiden Händen zu. „Und jetzt fang an, ich warte!“

Natürlich hatte Niko gewusst, dass diese Aussprache nicht einfach werden würde. Allerdings war er nicht darauf gefasst gewesen, dass Emilys Anblick ihn derart aus der Fassung bringen würde. Sie sah so frisch, entspannt und rosig aus, so natürlich und unheimlich anziehend. Ihr gelocktes Haar fiel in feuchten Wellen über ihre Schulter. Für einen Moment konnte er nur daran denken, wie es sich unter seinen Fingerspitzen anfühlen würde.

„Ich möchte mit dir noch einmal von vorn anfangen“, brachte er schließlich hervor.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann.“

Er schluckte und suchte krampfhaft nach den richtigen Worten. „Am Anfang stand alles unter einem schlechten Stern, Emily. Du bist die Krankenschwester meines Vaters, ich sein Sohn …“

„Soweit ich informiert bin, hat sich an dieser Lage nichts geändert. Ich bin noch immer seine Pflegekraft, du noch immer sein Sohn.“

Wie sollte er es formulieren? Obwohl ich es jetzt nicht mehr glaube, war ich anfangs davon überzeugt, dass du nur hinter dem Geld meines Vaters her warst. Deshalb wollte ich dich verführen und gleichzei tig enttarnen, aber mittlerweile habe ich meinen Fehler erkannt. Emily würde es nie verstehen.

„Etwas hat sich verändert“, sagte er beharrlich.

„Was?“

Er holte tief Luft und versuchte, ihr die Wahrheit möglichst schonend beizubringen. „Sagen wir einfach, ich bin die Spielchen leid. Ich möchte einfach mit dir zusammen sein. Nicht weil ich damit meinen Vater ärgern möchte, sondern weil ich deine Gesellschaft genieße. Deshalb muss ich wissen, ob du genauso für mich empfindest oder ob ich mir das zwischen uns nur eingebildet habe.“

„Du hast es dir nicht eingebildet“, gab sie zu. „Aber heute Nachmittag hast du behauptet, es würde dein Leben unnötig kompliziert machen.“

„Es liegt in meiner Natur, Dinge zu Tode zu analysieren. Das hat mir oft meine Haut gerettet, aber in unserem Fall bin ich zu weit gegangen.“

Unruhig trat sie von einem Bein aufs andere. „Vielleicht auch nicht. Ich denke, du hast einfach gemerkt, dass eine Beziehung mit mir keine Zukunft hätte.“

„Ein weiterer Aspekt meines Lebens ist, dass ich niemals auf die Zukunft setze. Das einzig Sichere ist das Hier und Jetzt.“

Er trat dicht genug an sie heran, dass Emily seinen männlichen Duft inhalieren konnte. Sie ließ ihre Hände sinken, und der viel zu große Bademantel gab den Blick auf ihr einladendes Dekolleté frei.

„Was meinst du, Emily?“, raunte er. „Willst du es noch einmal mit mir versuchen?“

Was bietet er mir an?, fragte sie sich hilflos. Eine Affäre für den Augenblick?

Andererseits, was hatte es ihr in der Vergangenheit gebracht, geduldig auf eine bessere Zukunft zu warten? Eine Schwesternausbildung, eine erdrückende Hypothek auf ihr Stadthaus, ein altes Auto und eine kurze, unbefriedigende Beziehung zu einem Medizinstudenten. Selbst ihr Freundeskreis hatte sich im Zuge der allgemeinen Familiengründungen nach und nach aufgelöst. Man hatte sich schlicht und ergreifend nicht mehr viel zu sagen, weil man nicht mehr dieselben Erfahrungen und Interessen teilte.

Warum sollte sie länger auf eine ungewisse Zukunft warten, wenn ein Mann hier in der Gegenwart kompromisslos nach ihr verlangte? Spontan fiel ihr kein Grund dafür ein. Langsam hob sie den Kopf und sah Niko an.

„Wieso hörst du nicht auf zu reden und küsst mich?“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen, und dieses Mal barg sein Kuss ein Versprechen, das Niko in jedem Fall zu halten gedachte.

Er schob seine Hände unter den Bademantel und streichelte über ihren Rücken, ihren Po, ihre Brüste …

„Nicht hier“, flüsterte er nach einer Weile. „Nicht im Haus meines Vaters.“

„Aber ich kann nicht weg. Was, wenn er mich braucht und ich nicht da bin?“

„Emily, ich brauche dich! Ich brauche dich jetzt!“

Sie nahm seine Hand und führte sie zu ihrem nackten Oberschenkel. „Meinst du denn, ich brauche dich nicht?“

Seine Brust hob und senkte sich schwer. Sie verging fast vor Lust und Erleichterung, als er sie rückwärts zum Bett dirigierte.

Sie ließen sich auf die Decken fallen und gaben sich ihrer Leidenschaft hin, bis Emily es vor Verlangen kaum noch aushielt. Sie erschrak, als Niko sich plötzlich mit den Armen abstützte und auf sie hinabsah.

Autor

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