Julia Extra Band 322 - Titel 2: Die Hochzeit des Prinzen

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Alexandra muss die Frau des Thronfolgers werden, um das kleine Fürstentum im Mittelmeer zu retten. Nur wie soll sie eine Vernunftehe führen, wenn sie Prinz Maximilian so begehrt? Sich nach der Nähe dieses Mannes sehnt, der nur Pflichterfüllung zu kennen scheint, aber keine Liebe .


  • Erscheinungstag 04.05.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733704506
  • Seitenanzahl 112
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Und wenn ich mich weigere, Sie zu heiraten?“ Auch wenn Alexandra ihr Bestes gab, ihre Gefühle zu verbergen, konnte sie doch nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte.

Prinz Maximilian musterte sie kühl. „Ich denke, Sie kennen die Antwort auf diese Frage bereits.“

Die untergehende Sonne warf letzte Strahlen durch das hohe Turmfenster, ließ das seidige dunkle Haar seines Gegenübers warm schimmern, betonte die klassisch schönen Züge und die schlanke Halslinie.

Eine moderne Frau des einundzwanzigsten Jahrhunderts, gefangen in der Falle uralter, deshalb jedoch nicht weniger mächtigen Regeln und Traditionen, wie Max sich still eingestand.

Die Intensität seiner Gefühle erstaunte ihn. Es war eine gefährliche Mischung aus Mitleid und Verlangen. Gefühle, die er keineswegs empfinden dürfte, vor allem Letzteres nicht. Max wandte sich von ihr ab – wie ein Teenager, der verzweifelt seine erwachende Männlichkeit zu verbergen suchte, die er nicht zu kontrollieren vermochte. Doch er war kein Teenager mehr, und zudem hatte er sowohl seine Gefühle als auch sein körperliches Verlangen immer im Griff. Die unwillkürliche Reaktion seines Körpers hatte ihn überrumpelt. Das würde nicht wieder passieren.

Weder wollte er das hier tun, noch tat er es zu seinem eigenen Vorteil. Nein, er erfüllte lediglich seine Pflicht. Diese Frau bot ihm den Zugang zu jenen, die seine Hilfe so unbedingt benötigten. Eine unmögliche Situation – entweder er opferte sie und in gewisser Hinsicht auch sich selbst, oder aber er riskierte es, dass sein Volk zum Opfer wurde. Der Luxus, eigenen Gefühlen und Bedürfnissen nachzugehen, war ihm nicht vergönnt. Seine Pflicht schrieb ihm vor, seine Gedanken und Anstrengungen allein auf jene zu richten, denen er sein Wort gegeben hatte, als er die Krone akzeptierte und die Regentschaft über Fortenegro übernahm. Sein Volk. Und das Volk dieser Frau.

So viel stand auf dem Spiel, die Zukunft des Landes lag in den Händen dieser Frau. Er hätte es vorgezogen, offen und ehrlich zu ihr zu sprechen, doch wie sollte das angesichts ihres familiären Hintergrunds denkbar sein? Sie war die Enkelin eines reichen Mannes, eines Mannes, der seine Kinder zu sehr verwöhnte und gleichzeitig zu sehr manipulierte, bis sie Betrug und Täuschung perfektioniert hatten und nur auf den eigenen Vorteil bedacht waren.

Alexandra musterte den Mann, der vor ihr stand und den sie so sehr verachtete. „Sie meinen, ich werde den Wölfen vorgeworfen, sprich dem Volk? Auf diese Weise gezwungen, die Ehrenschuld meiner Familie bei Ihnen abzutragen?“ Als er nicht antwortete, lachte sie bitter auf. „Und Sie nennen sich zivilisiert?“

„Ich trage keinerlei Verantwortung, weder für das Verbrechen noch für die Strafe. In dieser Situation bin ich ebenso machtlos wie Sie“, verteidigte Max sich gelassen.

Er hatte ihr soeben eröffnet, dass sie ihn würde heiraten und ihm einen Sohn und Erben schenken müsse, um die Verfehlungen ihrer Schwester wiedergutzumachen. Oder sie liefe Gefahr, sich einem in feudalen Strukturen verhafteten Justizsystem stellen zu müssen, das keine Gerechtigkeit garantierte.

Während er auf ihre Antwort wartete, dachte Max an die Ereignisse zurück, die letztendlich zu den ungewollten Umständen geführt hatten, in denen sie beide sich jetzt befanden …

1. KAPITEL

„Es muss Vergeltung geben, Hoheit.“ Der Graf, der so eindringlich auf Max einredete, hielt ihn mit Sicherheit unpassend für die Rolle des neuen Herrschers über die Insel Fortenegro – den schwarzen Berg, wie die Bedeutung des Namens besagte, weil steile schwarze Klippen das gesamte Eiland umgaben. „Der Gerechtigkeit muss für jeden sichtbar Genüge getan werden.“

Der Graf war wie die meisten Höflinge weit über sechzig. Fortenegros Gesellschaft baute auf patriarchalischen Strukturen auf, die Gesetze waren streng, teilweise grausam, und spiegelten die Weigerung wider, sich dem Fortschritt der Zeit anzupassen. Ein Zustand, den Max zu ändern beabsichtigte. Der einzige Grund, warum er sich nicht glattweg geweigert hatte, in die Fußstapfen seines verstorbenen Cousins zu treten und die Regentschaft über das kleine Fürstentum zu übernehmen, war der Wunsch seines verstorbenen Vaters, der das Volk von Fortenegro immer aus dem Mittelalter in die Neuzeit hatte führen wollen. Es würde jedoch Zeit und Geduld benötigen, um dieses Vorhaben zu realisieren. Und vor allem brauchte Max dazu das Vertrauen und den Respekt des Volkes.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“, fuhr der Graf vehement fort. „So lautet das eherne Gesetz unseres Volkes. Ein Regent, der die eigene Ehre nicht schützen kann, wird auch die Ehre seines Volkes nicht wahren können.“

Maximilan ließ seinen Blick nachdenklich über die Gesichter des Beraterstabs seines Cousins gleiten. Die alten Männer waren scheinbar noch nicht gewillt, die Macht, die sie während Cosmos Regentschaft in die eigenen Hände genommen hatten, dem neuen Herrscher zu überlassen. Aber Cosmo war ein Playboy gewesen, gleichgültig gegenüber dem Wohle des Volkes, das er regieren sollte, und nur interessiert an dem Reichtum, den seine Position ihm garantierte. Cosmo war tot, zugrunde gegangen an den Designerdrogen, die ihn süchtig gemacht hatten. Da er keinen Erben hinterließ, war der Titel an Max übergegangen.

Ja, der Gerechtigkeit musste Genüge getan werden. Aber nach Max’ Vorstellung, nicht nach den Vorstellungen der alten Männer.

„Das Volk erwartet, dass Ihr Euch für den Betrug Eurer Ehefrau rächt.“

Der Graf und Eloises Großvater waren eingeschworene Feinde gewesen, das wusste Max. Nun, da sowohl Eloise als auch ihr Großvater tot waren, wurde tatsächlich von ihm erwartet, dass er sich an dem letzten noch lebenden Familienmitglied rächte – an Eloises Schwester. In den Augen des Volkes und dem archaischen Gesetzbuch nach war es nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht. Die Familie seiner verstorbenen Frau sollte bezahlen für die Schande, die sie über die eigene Familie und über ihn gebracht hatte. Laut Tradition hieß dies, der betrogene Ehemann durfte seine Frau verstoßen und statt ihrer eine Schwester oder Cousine heiraten, die ihm dann einen Sohn schenken musste, um den begangenen Betrug wiedergutzumachen.

Es waren uralte Gesetze, und Max war entsetzt, dass er sich ihnen beugen sollte. Doch ihm blieb keine andere Wahl, nicht, wenn er das Vertrauen des Volkes gewinnen wollte. Denn ohne dieses Vertrauen würde er nie die Chance bekommen, den Inselstaat im Mittelmeer in die Moderne zu führen. Aber schon einmal hatte er die eigenen Überzeugungen aufgegeben und Eloise geheiratet. Wollte er sich wirklich ein zweites Mal darauf einlassen?

Nur … jetzt war er der Herrscher Fortenegros, er schuldete es seinem Volk, ob er es wollte oder nicht. Wahrscheinlich würde es ihm nie gelingen, die Ansichten der älteren Generation zu ändern, aber um ihrer Kinder und Kindeskinder willen musste er das Vertrauen des Ältestenrats gewinnen, um endlich vorsichtige Änderungen einführen zu können. Weigerte er sich, die alten Gesetze anzuerkennen und sich ihnen nicht zu fügen, würde er nur Feindseligkeit heraufbeschwören.

Hätte ihm jemand vor einem Jahr gesagt, dass er eines Tages über eine Insel in der Ägäis herrschen würde, hätte er laut gelacht. Natürlich kannte er die Geschichte. Sein Vater hatte ihm oft genug von der Insel und dem älteren Bruder erzählt, mit dem er so oft über die dringende Notwendigkeit von Erneuerungen und erweiterten Bildungsmöglichkeiten für alle debattiert hatte, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Max’ Vater hatte dem Sohn immer wieder beschrieben, wie rückständig die Insel sei und wie massiv sich die Berater der letzten Herrscher gegen Veränderungen gesträubt hatten, wohl eher aus Angst um den eigenen Status, wie der Vater vermutete.

Schon sein Vater hatte bewiesen, dass sich persönlicher Reichtum und Nächstenliebe nicht notwendigerweise gegenseitig ausschlossen. Nach dem Tode seiner Eltern hatte Max die Wohltätigkeitsarbeit in der von ihnen gegründeten Stiftung fortgesetzt und sowohl das eigene Vermögen wie auch die humanitäre Arbeit ausgeweitet. Inzwischen war Max in die Ränge jener Milliardäre aufgestiegen, die in aller Diskretion das eigene Vermögen zum Wohle Bedürftiger einsetzten. In dieser elitären Gruppe gehörte Anonymität zur unabdingbaren Voraussetzung.

Max war also das genaue Gegenteil seines Cousins, auch wenn die Gene, verantwortlich für das äußere Erscheinungsbild, sich von Generation zu Generation weitervererbt hatten. Wie schon die kriegerischen Prinzen vor ihm, die die Insel erobert hatten, war auch er groß und breitschultrig, mit dunklem Haar und einem markanten Gesicht. Nur die hellblauen Augen hatte er von seiner englischen Mutter geerbt, alles andere an seiner Gestalt war, wie sein Vater immer gesagt hatte, „jeder Zoll das fortenegrinische Königshaus“.

Schon kurz nach seiner Ankunft auf der Insel hatte er sich vorgenommen, die Menschen hier aus der Armut in ein besseres Leben zu führen, mit mehr Chancen und mehr Freiheiten. Allerdings hatte sich die Durchführung dieses Entschlusses als wesentlich schwieriger entpuppt als erwartet. In dem festen Vorsatz, das Richtige zu tun, hatte er die Enkelin eines Höflings geehelicht. Eine Vernunftehe, der beide Parteien zugestimmt hatten. Eloise hatte ihm versichert, sie sei stolz und fühle sich geehrt, ihm den Thronerben schenken zu dürfen. Allerdings hatte sie Max verschwiegen, dass sie keineswegs die Absicht hatte, auf ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung zu verzichten – sich nämlich einen Liebhaber zu nehmen, wann immer es ihr möglich war, meist Fremde, die aus dem einen oder anderen Grund auf die Insel kamen.

Keine Stunde nach dem tödlichen Unfall, bei dem sie und ihr damaliger Galan mit dem Wagen über die Klippen gestürzt waren, begann die Gerüchteküche zu brodeln. Eine Zofe hatte die beiden zusammen in der Wohnung von Eloises Großvater gesehen, und schon bald wusste das gesamte Fürstentum über das Verhältnis Bescheid. Inzwischen waren sechs Monate vergangen, und nach dem Tode des Großvaters drängte der Beraterstab Max nun dazu, Rache für den Betrug zu üben.

„Es ist Eure Pflicht. Die Schwester Eurer Frau muss Wiedergutmachung leisten. Sie wird Euch den Sohn schenken müssen, den Eure Frau Euch verweigert hat. So wird es vom Volk erwartet. Eure Frau hat Eure Ehre in den Schmutz gezogen. Nur indem Ihr die Schwester heiratet, kann Eure Ehre und die Ehre der anderen Familie wiederhergestellt werden.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eloises Schwester das ebenso sieht.“ Niemand hatte bisher viel von dieser Schwester geredet, weder Eloise noch ihr Großvater. Max wusste nur, dass sie als studierte Juristin irgendwo in Europa lebte und arbeitete. „Wenn sie wirklich so intelligent ist, wie es heißt, wird sie wohl kaum auf die Insel zurückkehren, da sie weiß, was hier auf sie wartet.“

„Sie ist bereits auf dem Weg hierher“, lautete Graf Petronius’ glattzüngige Antwort. „Ich habe mir erlaubt, sie in Eurem Namen herzubeordern.“

Max schäumte innerlich vor Wut. „Damit sie die Ehrenschuld ihrer Familie abtragen kann?“

Der Graf zuckte unmerklich mit einer Schulter. „Ich ließ sie wissen, dass die Gemächer ihres Großvaters im Palast ausgeräumt werden müssen. Da er lange Jahre dort gewohnt hat, wird sie mit Sicherheit die wertvollen Andenken und Besitztümer für sich haben wollen.“

Max konnte die kalte Verachtung für das Handeln des Grafen nicht zurückhalten. „Sie haben sie ausgetrickst.“

„Euer Hoheit sollten sich viel eher Gedanken um das eigene Schicksal machen“, stellte der Graf fest. „Das Volk wird keinen Regenten akzeptieren, der sich von seiner Ehefrau beschämen lässt, ohne nicht Vergeltung zu üben. Wir leben in unruhigen Zeiten. Die Leute auf dem Festland warten nur darauf, dass die Inselbewohner sich gegen ihren Regenten erheben. Denn diese Leute vom Festland hoffen darauf, Vorteile aus einem Aufstand für sich herausschlagen zu können.“

Max runzelte die Stirn. Der Graf hatte übertrieben dramatisch gesprochen, doch er hatte recht. Es gab eine Gruppe reicher und skrupelloser Geschäftsmänner, die zu gern ihren Fuß auf die Insel setzen würden, um die reichen Mineralienvorkommen auszubeuten. Zudem wäre die Insel eine perfekte Steueroase, und mit den weißen Sandstränden und der im Winter schneebedeckten Gebirgskette wäre die Insel ein Eldorado für die Tourismusindustrie. Natürlich hatte Max bereits an die finanziellen Vorteile eines behutsam eingeführten Tourismus’ gedacht, doch war er sich ebenso über den Schaden bewusst, den skrupellose Unternehmen hier anrichten könnten, sollten sie die Kontrolle über die Insel erhalten. Es war seine Pflicht, sicherzustellen, dass das nicht passierte.

„Sobald die Schwester Eurer verstorbenen Frau ankommt, müsst Ihr alle sehen lassen, wie furchtbar Eure Rache sein wird. Nur dann werdet Ihr Euch das Vertrauen und den Respekt Eurer Untertanen sichern …“

Und so stand Max nun vor dieser Frau und wartete auf ihre Antwort. Um ihret- und um seines Volkes willen hoffte er, dass sie ihm die richtige Antwort geben würde. Immerhin konnte er sie wenigstens beschützen, wenn sie heirateten, auch wenn sie seinen Schutz mit ihrer persönlichen Freiheit bezahlen musste.

Gewisse Aspekte meiner Position werden immer meinen persönlichen Prinzipien zuwiderlaufen, gestand Max sich grimmig ein. Er kam noch gut davon – er hatte sich frei entschieden, seine persönliche Freiheit für das Wohl seines Volkes aufzugeben. Alexandra blieb diese freie Entscheidung nicht. Sie war gezwungen, ihre Freiheit zu opfern.

2. KAPITEL

Die Sonne versank im Meer, während der Mann, der der Ehemann ihrer Schwester gewesen war und der jetzt von Alexandra verlangte, Eloises Platz zu übernehmen, am offenen Fenster stand. Die Abendbrise spielte mit seinem dichten schwarzen Haar. Mit dem markanten Profil hätte er leicht aus einer anderen Zeit stammen können – aus einer Zeit, in der einige wenige das gottgegebene Recht besaßen, andere Menschen unter dem Absatz ihrer Schuhe zu zermalmen und ihnen unerbittlich ihren Willen aufzuzwingen.

Nun, Alexandra hatte nicht vor, nachzugeben, gleich welche Drohungen er auch ausstieß. Sie hatte sich ausmanövrieren lassen, was wirklich dumm war. Sie wusste doch, wie die alte Garde dieser Insel war. War es wirklich erst wenige Stunden her, dass sie sich begeistert ausgemalt hatte, welche Möglichkeiten ihr mit dem Erbe des Großvaters nun offen standen? Sie wollte es schon so lange tun – ihr Wissen als Juristin der Veritas-Stiftung anbieten, ihrer Meinung nach die fortschrittlichste und verantwortungsbewussteste Wohltätigkeitsorganisation der ganzen Welt.

Zum ersten Mal hatte Alexandra von Veritas gehört, als sie in Brüssel arbeitete. Ein Kollege hatte sich über die Organisation, die durch die Finanzierung von Ausbildungsmöglichkeiten für die Armen der Welt Wohlstand und Demokratie zu schaffen hoffte, lustig gemacht und die Ziele der Organisation als idealistische Träumerei verspottet. Alexandras Neugier war jedoch geweckt gewesen. Sie hatte Erkundigungen eingezogen, und was sie herausfand, hatte den Wunsch in ihr wachsen lassen, eines Tages dem gut ausgebildeten Expertenteam anzugehören, das für die Stiftung arbeitete, nicht für den eigenen Profit, sondern um die Armut auf der Welt zu bekämpfen. Ein großes Ziel, das Alexandra guthieß, in dem Maße, in dem sie den neuen Herrscher ihres Heimatlandes nicht guthieß.

Er war nicht anders als all die anderen vor ihm. Er verlangte von ihr, dass sie Eloises Platz einnahm und ihm einen Sohn und Erben schenkte, um seinen Ruf und den ihrer Familie wiederherzustellen.

Ein seltsames Gefühl machte sich in ihr breit. Ein Sohn … ihr Sohn und der zukünftige Herrscher. Sie stand an einem Scheideweg. Ihre Entscheidung würde nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das von Generationen ihrer Landsleute beeinflussen.

Sie hatte Jura studiert und war nach Brüssel gegangen, hatte davon geträumt, etwas zu bewirken. Doch sehr schnell waren ihre Hoffnungen gewelkt. Jetzt bot sich ihr erneut die Möglichkeit, etwas für andere zu tun, etwas, das ebenso wichtig war wie die Arbeit, die sie vielleicht bei Veritas leisten könnte. Der Mann brauchte einen Sohn. Von ihr. Ihr Sohn, der mit ihrer Liebe und ihrer Erziehung zu einem guten Herrscher heranwachsen würde. Ein Herrscher, der sein Volk respektierte und liebte und den Menschen neue, bessere Möglichkeiten eröffnen konnte. Der Schulen und Krankenhäuser bauen und dieser Insel eine Zukunft geben würde, anstatt sie in der Vergangenheit gefangen zu halten.

Hoffnung und Entschlossenheit vereinten sich zu einer mitreißenden Flutwelle. Alexandra holte tief Luft.

Eine Bewegung, bei der sich ihr Busen hob und senkte und die Max’ Blick magnetisch anzog. Eloise war immer stolz auf ihre Schönheit gewesen, hatte sich für eine femme fatale gehalten, der kein Mann widerstehen konnte. Doch ihre Schwester strahlte eine viel ursprünglichere Weiblichkeit aus, auch ohne die Designerkleider und das professionelle Make-up. Ihre natürliche Sinnlichkeit umgab sie wie eine Aura. Max runzelte die Stirn. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war noch eine Ehefrau, deren Libido sie in die Betten anderer Männer trieb. Dennoch fühlte er die magnetische Anziehungskraft, die seine Sinne verwirrte.

Er schob es darauf zurück, dass er schon zu lange mit keiner Frau mehr zusammen gewesen war. Doch er war vierunddreißig, erwachsen genug, um seine Libido unter Kontrolle zu halten und seine Energien in nützlichere Bahnen zu lenken.

Alexandra schaute zu Max. Er strahlte Macht und Selbstsicherheit aus. Ja, er sah sehr gut aus – wenn man den dunklen, grüblerischen Typ mochte. Er vereinte in sich die Geschichte all jener, die über Fortenegro geherrscht hatten – Mauren und Normannen und vor ihnen Ägypter, Phönizier, Griechen und Römer. Sein Stolz umhüllte ihn wie ein unsichtbarer Umhang, lag auf seinen Schultern wie die Robe jener, die dieser Insel ihren Willen aufgezwungen hatten. Und nun war er es, der der Insel seinen Stempel aufdrücken wollte.

Aber auch sie besaß Macht – die Macht, der Insel den nächsten Herrscher zu geben, einen weisen und gerechten Herrscher. Ihr Sohn von dem Mann, der sie als Blutzoll hergeholt hatte, Traditionen folgend, die in eine längst vergangene Ära gehörten. Doch sie war eine Frau der heutigen Zeit, eine starke Frau mit einem eigenen Kopf und dem Willen, sich durchzusetzen, kein junges Mädchen mehr mit albernen Träumen. Sicher, früher einmal hatte sie davon geträumt, die Liebe zu finden und einen Mann, der die Fehler der Vergangenheit berichtigte und sich mit Hingabe für ihr Volk einsetzte. Allerdings hatte sie auch gewusst, dass sie einen solchen Mann niemals auf der Insel finden würde, wo Männer wie ihr Großvater das Sagen hatten. Und heute, mit siebenundzwanzig, hatte sie sich damit abgefunden, dass sie einen solchen Mann nie an ihrer Seite haben würde. Dennoch lebte noch immer der Wunsch in ihr, die Welt zu verändern. Diese Möglichkeit war auf einmal in greifbare Nähe gerückt. Wenn sie den Sohn gebar, den der neue Herrscher der Insel von ihr forderte, konnte sie das Leben der Inselbewohner zum Besseren wenden.

Alexandra schüttelte das lange Haar zurück. Im letzten Licht der untergehenden Sonne schimmerte ihr Gesicht rosig. Max runzelte die Stirn. Weder gefiel ihm seine Reaktion auf sie, noch verstand er es. Da war ein wilder Stolz an ihr, der den unbekannten Drang in ihm auslöste, sich auf die Herausforderung einzulassen. Eloise war sexuell provozierend gewesen, und es hatte ihn kalt gelassen. Alexandra jedoch reizte ihn mit ihrem Stolz, nicht mit ihrer Sexualität, und dennoch sprach sein Körper darauf an. Nun, Alexandra war eine schöne Frau, und er war ein Mann, der seit fast einem Jahr keinen Sex mehr gehabt hatte.

„Was also würde passieren, wenn ich mich weigere?“, verlangte sie zu wissen, mit hoch erhobenem Kopf, Stolz strahlte aus jeder Pore ihres Körpers.

„Ich kann Sie nicht zwingen, mich zu heiraten. Doch meine Minister sind der Ansicht, dass, zeige ich mich nicht als würdiger Herrscher und erklären Sie sich nicht bereit zu einer Ehe mit mir, um die Schande von unseren beiden Häusern zu heben, die Menschen auf der Insel es durchaus in die eigene Hand nehmen könnten, um von Ihnen Wiedergutmachung zu erhalten.“

Die drohende Warnung hing zitternd in der Luft des Turms, der seit Generationen den Feinden Fortenegros standhielt, der das Leben und die Ehre der Herrscher geschützt hatte.

Die Farbe wich aus Alexandras Wangen, doch sie selbst zeigte keine Schwäche. Nur der leise Laut ihres ausgestoßenen Atems und das unwillkürliche Schlucken waren Reaktionen, die ihre Anspannung verrieten.

Natürlich war sie ebenso verwöhnt und eingebildet wie ihre Schwester. Schließlich stammten sie aus derselben Familie, und wie ihre Schwester und ihr Großvater würde auch sie nur Gleichgültigkeit gegenüber den Modernisierungsplänen für sein Land übrig haben. Aber sie hatte Mut, wie Max ihr zugestehen musste.

„Ich vermute, Graf Petronius hat den Vorschlag gemacht, mir damit zu drohen, mich dem Volk zu überlassen“, sagte sie verächtlich. „Er und mein Großvater waren erbitterte Feinde, die sich ihr Leben lang bekämpft haben, um mehr Einfluss auf den Thron zu erlangen.“

„Sie haben recht, es war tatsächlich Graf Petronius, der mir berichtete, dass man in bestimmten Gegenden der Insel Ehebrecherinnen noch immer in den Kerker wirft“, bestätigte Max.

Alexandra schwor sich, weder Angst noch Schwäche zu zeigen. „Ich bin keine Ehebrecherin. Auch bin ich kein Stück Ware, das man dazu benutzen könnte, um eine angebliche Schuld meiner Familie bei Ihnen abzuzahlen, nur damit Sie Ihre Ehre retten und Ihrem Stolz Genüge getan wird.“ Beißende Verachtung troff aus jedem ihrer Worte.

„Es geht hier weder um meine Ehre noch um meinen Stolz“, widersprach er kalt.

Alexandra zuckte nur leicht die Achsel. Die Bewegung ließ ihr Oberteil etwas verrutschen und entblößte die goldene Haut einer Schulter. Natürlich bemerkte sie es, doch sie hielt sich davon zurück, ihr Top zu richten. Er sollte nicht denken, ihr wäre es peinlich, wenn er ihr nacktes Fleisch sah.

Sie ist eine außergewöhnlich reizvolle Frau, gestand Max sich ein. Und doch schien sie die Macht ihrer Sinnlichkeit nicht zu kümmern. Sie trug ihr teures haute-couture-Kleid mit einer Gleichgültigkeit, als wäre es von der Stange aus irgendeinem Kaufhaus. Mochte sie sich ihrer Wirkung auf seine Libido auch nicht bewusst sein – Max konnte es nicht ignorieren. Es hatte mehrere Frauen gegeben, die eine Zeit lang sein Leben und sein Bett mit ihm geteilt hatten – schöne, verführerische Frauen, von denen er sich ohne Bedauern nach einer befriedigenden sexuellen Beziehung getrennt hatte, doch bei keiner von ihnen hatte eine bloße Schulter ausgereicht, um ihn zu erregen. Den Blick auf diese Schulter zu lenken war ebenso erotisch, als würde er ihre Haut streicheln und die seidige Wärme an seinen Fingern spüren.

Autor

Penny Jordan
<p>Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...
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