Julia Extra Band 376 - Titel 1: Begehren verboten

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Vanessa ist bitterarm, bildschön - und eine Erbschleicherin! Davon ist Prinz Marcus fest überzeugt. Und trotzdem fühlt er sich insgeheim immer mehr zu dieser bezaubernden Frau hingezogen, die sein Vater heiraten will …


  • Erscheinungstag 14.01.2014
  • Bandnummer 0376
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706227
  • Seitenanzahl 113
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Aus der Luft sah die Küste von Varieo mit dem kristallklaren blauen Wasser und den unberührten Sandstränden wie das Paradies aus.

Vanessa Reynolds war erst vierundzwanzig Jahre alt, aber sie hatte schon auf mehr Kontinenten und in mehr Städten gelebt als die meisten Menschen in ihrem gesamten Leben. Das typische Schicksal einer Soldatentochter. Doch nun, so hoffte sie, würde sie in dem kleinen Königreich Varieo am Mittelmeer für immer ein Zuhause finden.

„Es ist wunderbar hier, Mia“, flüsterte sie ihrer sechs Monate alten Tochter zu, die endlich friedlich in ihrem Kindersitz schlief. Während des dreizehnstündigen Fluges hatte Mia immer wieder geweint.

Das Flugzeug ging in den Sinkflug über. Bald würden sie auf dem privaten Flughafen landen, auf dem schon Gabriel wartete, Vanessas … Nun, es kam ihr ein wenig seltsam und kindisch vor, ihn ihren Freund zu nennen, schließlich war er schon sechsundfünfzig. Aber ihr Verlobter war er auch nicht – zumindest noch nicht. Denn als er um ihre Hand angehalten hatte, hatte sie nicht Ja gesagt. Aber auch nicht Nein. Erst auf dieser Reise würde sie sich entscheiden, ob sie einen Mann heiraten wollte, der nicht nur zweiunddreißig Jahre älter war als sie, sondern auch ständig unterwegs und … ein richtiger König war.

Sie schaute aus dem Fenster. Je näher sie dem Boden kamen, desto nervöser wurde sie.

„Vanessa, in was hast du dich jetzt schon wieder reingeritten?“, hätte ihr Vater vermutlich gesagt, hätte sie nur genügend Mut gehabt, ihm die Wahrheit zu erzählen. Und dann hätte er ihr bestimmt noch vorgehalten, dass sie dabei war, einmal mehr einen großen Fehler zu begehen. Nun, sie hatte vielleicht nicht gerade die besten Erfahrungen mit Männern gemacht seit … seit der Pubertät. Aber dieses Mal war es anders.

Da mochte ihre beste Freundin Jessy noch so sehr zweifeln. Am Abend zuvor war Jessy bei ihr gewesen. „Jetzt scheint er ja ganz nett zu sein“, hatte Jessy gesagt. „Aber was, wenn er sich in seinem Land als rücksichtsloser Tyrann erweist?“

Vanessa wusste, dass sie ein Risiko einging. Aber Gabriel war ein Gentleman, und seine Gefühle für sie waren echt. Niemals würde er ihr Auto stehlen und sie hilflos in einem Diner mitten in der Wüste Arizonas zurücklassen. Er würde gewiss nie eine Kreditkarte auf ihren Namen ausstellen lassen, um diese dann rettungslos zu überziehen. Gabriel würde ihr nicht die große Liebe vorspielen, um sie dazu zu bringen, für ihn eine Seminararbeit in Geschichte zu schreiben – nur um sie anschließend für eine Cheerleaderin sitzen zu lassen. Und ganz bestimmt würde er sie niemals schwängern und anschließend verschwinden, während sie und das ungeborene Kind irgendwie sehen mussten, wie sie zurechtkamen.

Ein Luftloch schüttelte den Privatjet durch, und Mia wachte auf. Sie blinzelte kurz, dann begannen ihre Lippen zu zittern, und sie stieß ein ohrenbetäubendes Heulen aus.

„Keine Sorge, meine Kleine, alles wird gut!“, murmelte Vanessa und streichelte die Babyfaust. „Wir sind schon fast da.“

Bei der Landung begann Vanessas Herz wie wild zu schlagen. Seit Gabriel vor knapp einem Monat aus Los Angeles abgereist war, hatten sie zwar täglich geskyped, aber es war doch etwas anderes, als sich wirklich zu sehen. Was, wenn ihm ein Blick auf ihre zerknitterte Kleidung, ihren verschmierten Eyeliner und ihre bemitleidenswerten Haare reichte, um sie gleich wieder in die USA zurückzuschicken?

Mach dich nicht lächerlich. Das Flugzeug rollte zu dem geschützten Terminal der königlichen Familie. Natürlich war es ihr Aussehen gewesen, das Gabriel angezogen hatte, als sie sich in dem schicken Hotel in Los Angeles das erste Mal begegnet waren – da machte sich Vanessa keine Illusionen. Sie war Hospitality-Managerin des Hotels, sprach mehrere Sprachen – und sah mehr als nur ansprechend aus.

Ihre Schönheit war Vanessas unschätzbares Kapital und gleichzeitig auch ihre Achillesferse. Gabriel aber hatte sie nie gewollt, nur um sich mit ihr zu schmücken. Sie waren enge Freunde geworden. Vertraute. Er liebte sie, zumindest sagte er das, und Vanessa vertraute ihm.

Es gab nur ein kleines Problem. Obwohl sie ihn als Freund lieb gewonnen hatte, konnte sie nicht sagen, ob sie tatsächlich in ihn verliebt war. Und Gabriel wusste das. Darum hatte er sie eingeladen, sechs Wochen mit ihm zu verbringen. Er war überzeugt, in dieser Zeit würde Vanessa ihre Liebe zu ihm entdecken. Für Gabriel besaß das Eheversprechen noch seine wahre Bedeutung.

Vor acht Monaten war seine Frau, mit der er dreißig Jahre glücklich verheiratet gewesen war, an Krebs gestorben.

Erneut schrie Mia zum Steinerweichen. Sobald das Flugzeug zum Stehen kam, schaltete Vanessa ihr Handy an. Sie schrieb Jessy eine SMS, dass sie sicher gelandet waren. Dann hob sie ihre Tochter aus dem Kindersitz, drückte Mia an sich und genoss den süßen Babyduft.

„Wir sind da, Mia. Unser neues Leben beginnt.“

Mehr als alles andere wünschte sie sich für Mia ein geordnetes Zuhause mit Vater und Mutter. Wenn sie Gabriel heiratete, würden sich für Mia Privilegien und Möglichkeiten eröffnen, von denen Vanessa nicht im Entferntesten geträumt hatte. Musste sie nicht allein deshalb schon diesen Mann heiraten, auch wenn er sie nicht … um den Verstand brachte? Waren nicht Respekt und Freundschaft wichtiger?

Sie schaute aus dem Fenster. Eine große Limousine fuhr heran und hielt hundert Meter vom Flugzeug entfernt.

Gabriel, dachte sie, gleichzeitig erleichtert und aufgeregt.

Die Flugbegleiterin tauchte neben Vanessas Sitz auf. Sie zeigte auf das Handgepäck, die vollgestopfte Windeltasche und die Handtasche und fragte: „Kann ich Ihnen helfen, Miss Reynolds?“

„Gern.“ Während sie ihre Handtasche nahm, kümmerte sich die Flugbegleiterin um den Rest.

Seit Mias Geburt war Vanessa nicht mehr ausgegangen – bis Gabriel in ihr Leben trat. Dabei hatten unzählige männliche Gäste sie im Hotel eingeladen, aber Vanessa wollte Geschäftliches und Privates lieber nicht verbinden. Aber wenn ein König sie bat, mit ihm etwas zu trinken, war es schwer, Nein zu sagen. Gerade, wenn er auch noch so gut aussah und so charmant war wie Gabriel. Und nun war sie also hier in Varieo, nur ein paar Monate später, um ein neues Leben zu beginnen.

Vanessa stieg die Stufen zur Rollbahn hinunter, erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Die Sonne brannte. Die Flugbegleiterin geleitete Vanessa zur Limousine, und der Fahrer stieg aus, um ihr den hinteren Wagenschlag aufzuhalten. Vanessas Puls beschleunigte sich. Doch dann stieß sie enttäuscht den Atem aus. Wie Gabriel war auch dieser Mann schmal und groß, er hatte ebenso markante Gesichtszüge, und auch seine Augen wirkten genauso ausdrucksstark. Nur war es nicht Gabriel.

Tagelang hatte sie sich über das Land und das Königshaus informiert, und sofort erkannte sie, dass es sich bei dem attraktiven Mann um Prinz Marcus Salvatora handelte, Gabriels Sohn. Er sah genauso aus wie auf den Fotos: geheimnisvoll und zu ernst für einen Mann von achtundzwanzig Jahren. Seine graue Hose und das weiße Hemd kontrastierten mit seinem olivfarbenen Teint und dem gewellten schwarzen Haar. Er sah wie ein Cover-Model des GQ-Magazins aus, nicht wie ein zukünftiger Regent.

Vanessa blickte an ihm vorbei in die Limousine. Doch da war niemand. Dabei hatte Gabriel versprochen, sie abzuholen.

Tränen der Erschöpfung und der Enttäuschung brannten ihr in den Augen. Sie sehnte sich nach Gabriel. Wie kein anderer gab er ihr das Gefühl von Sicherheit. Aber was sollte sein Sohn denken, wenn sie jetzt mitten auf dem Rollfeld in Tränen ausbrach?

Zeig nie Schwäche! Das hatte ihr Vater ihr immer eingeimpft. Also atmete sie tief durch, straffte die Schultern und begrüßte den Prinzen mit leicht gesenktem Kopf, wie es in seinem Land Sitte war.

„Miss Reynolds“, sagte er und reichte ihr die Hand.

Um seinen Gruß zu erwidern, nahm Vanessa Mia vom rechten auf den linken Arm. Ihre Hand war durch die Hitze leicht verschwitzt. „Hoheit, es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“

Während viele Männer eine Frau eher mit schlaffem Handschlag begrüßten, war Marcus’ Griff fest, und seine Hand fühlte sich kühl und trocken an. Forschend sah er sie aus dunklen Augen an. Als er seinen Blick nicht von ihrem löste und auch ihre Hand nicht losließ, schien es Vanessa, als würde er sie zum Armdrücken oder zu einem Duell herausfordern wollen. Gern hätte sie ihre Hand zurückgezogen. Als Marcus endlich seinen Griff löste, spürte sie ein elektrisierendes Prickeln, wo er sie berührt hatte.

Das kommt von der Hitze, dachte sie. Dabei wirkte der Prinz kühl und beherrscht, während sie schwitzte.

„Mein Vater lässt sich entschuldigen“, sagte Marcus. Seine Stimme klang tief und samtweich, ganz wie die seines Vaters. „Er musste unerwartet ins Ausland. Eine Familienangelegenheit.“

Ins Ausland? Vanessa war enttäuscht. „Hat er gesagt, wann er zurück sein wird?“

„Nein. Aber er will sich melden.“

Wie konnte Gabriel sie nur vollkommen allein in einem fremden Land lassen?

Du wirst jetzt nicht weinen! Sie biss die Zähne zusammen. Währenddessen begann Mia wieder zu brüllen.

Marcus hob leicht eine Augenbraue.

„Das ist Mia, meine Tochter“, stellte sie vor.

Als sie ihren Namen hörte, hob Mia den Kopf von der Schulter ihrer Mutter und sah aus ihren blauen Augen zu Marcus auf. Ihre feinen blonden Haare klebten an den tränennassen Wangen. Sie hatte gerade eine Phase, in der sie oft fremdelte. Vanessa rechnete schon damit, dass Mia gleich noch lauter weinen würde. Stattdessen bedachte ihre Tochter Marcus mit einem Lächeln, das selbst das kälteste Herz zum Schmelzen gebracht hätte.

Als hätte Mia ihn angesteckt, entspannten sich Marcus’ Gesichtszüge, und ein Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln. Verdammt, er hatte sogar Grübchen. Ein seltsames Gefühl ergriff Vanessa – wie ein aufgeregtes Flattern im Bauch … So fühlte sie sich nur, wenn sie sich gerade verliebte. Augenblicklich verspürte sie Angst und Schuldgefühle. Was war sie nur für eine Frau, wenn sie sich in ihren künftigen Schwiegersohn verliebte?

Marcus wandte sich ihr wieder zu, und sein Lächeln verschwand. Er deutete auf die Limousine, in deren Fond der Chauffeur gerade den Kindersitz befestigte. „Fahren wir?“

Vanessa nickte und versicherte sich, dass sie alles unter Kontrolle hatte.

Die Frau war noch schlimmer, als Marcus es sich ausgemalt hatte.

Unauffällig beobachtete er sie, während sie beide auf der Rückbank saßen. Innerhalb weniger Wochen war es ihr gelungen, seinen trauernden Vater zu verhexen – und das nur acht Monate nach dem Tod der Königin. Marcus’ Mutter …

Als er ihm die Neuigkeit eröffnete, dachte Marcus zuerst, sein Vater hätte den Verstand verloren. Er hatte sich nicht nur in eine Amerikanerin verliebt, sondern auch noch in eine junge Frau, die er zudem kaum kannte. Als Marcus sie jetzt von Nahem sah, wurde ihm allerdings klar, warum sein Vater so hingerissen war. Ihr seidiges Haar war von einem Honigblond, das sicher kein Friseur so hinbekommen würde. Ihre Figur war traumhaft, und ihr Gesicht hätte selbst Leonardo oder Tizian begeistert.

Dabei hatte Marcus gehofft, dass sie so dumm wie die Blondinen aus den amerikanischen Realityshows wäre. Aber dann war er ihrem Blick begegnet … Ihm war nicht entgangen, welche Intelligenz ihre grauen Augen ausstrahlten. Doch wenn er genau hinschaute, entdeckte er auch einen Hauch Hilflosigkeit.

Er verfluchte sich selbst dafür, doch er empfand Mitleid mit ihr, so zerzaust und erschöpft sah sie aus. Was jedoch nichts daran änderte, dass sie seine Feindin war.

Im Kindersitz quengelte das Baby und brach schließlich in ein derart durchdringendes Geschrei aus, dass ihm die Ohren wehtaten.

„Alles in Ordnung, Liebes“, murmelte Vanessa und sah zu Marcus. „Es tut mir wirklich leid. Eigentlich weint sie sonst so gut wie nie.“

Er mochte zwar Kinder, allerdings gefielen sie ihm besser, wenn sie lachten. Eines Tages würde er selbst Kinder haben. Als einzigem Nachkommen der Familie lag es an ihm, die Zukunft der Salvatoras zu sichern.

Was aber, wenn sich das änderte? Warum sollte sein Vater mit einer hübschen jungen Frau nicht weitere Kinder bekommen? Der Gedanke legte sich ihm wie ein Stein auf die Brust.

Vanessa griff in eine der Taschen zu ihren Füßen, zog ein Fläschchen mit Saft heraus und gab es ihrer Tochter. Mia saugte am Schnuller, doch schon nach wenigen Sekunden verzog sie das Gesicht und stieß die Flasche zu Boden – genau auf seinen Schuh.

„Es tut mir wirklich leid.“ Vanessa wiederholte sich, während ihre Tochter erneut schrie. Marcus fürchtete, dass auch Vanessa jeden Moment anfangen könnte zu weinen. Er hob die Flasche auf und reichte sie ihr.

Währenddessen kramte Vanessa einen Teddy aus der Tasche und versuchte, ihre Tochter damit abzulenken. Schon nach wenigen Augenblicken flog auch er durch die Luft und landete auf Marcus’ Bein. Vanessa versuchte es mit einer Rassel – mit dem gleichen Ergebnis.

„Entschuldigung“, sagte sie.

Er hob beides auf und gab es ihr.

Mehrere Minuten lang saßen sie angespannt schweigend da. Dann fragte sie: „Sind Sie immer so gesprächig?“

Er hatte ihr nichts zu sagen, so einfach war es. Abgesehen davon hätte er schon brüllen müssen, um das schreiende Baby zu übertönen.

Als er schwieg, fuhr Vanessa nervös fort: „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich darauf gefreut habe, hierher zu kommen und Sie kennenzulernen. Gabriel hat mir viel über Sie erzählt. Und über Varieo.“

Marcus widerstrebte es, so zu tun, als wäre er glücklich über ihre Ankunft. Zudem glaubte er ihr nicht eine Sekunde lang, was sie da sagte. Auch wenn man kein Genie war, ließ sich leicht durchschauen, worum es ihr eigentlich ging: Sein Vater war reich – und König.

Vanessa versuchte noch einmal ihr Glück mit der Flasche, dieses Mal mit Erfolg. Die Kleine nuckelte zufrieden, und kurz darauf fielen ihr schon die Augen zu.

„Sie hat auf dem Flug kaum geschlafen“, meinte Vanessa. „Bestimmt dauert es ein bisschen, bis sie sich an die neue Umgebung gewöhnt.“

„Hat der Vater nichts dagegen, dass Sie mit dem Kind in ein anderes Land gehen?“

„Ihr Vater hat sich verabschiedet, kaum dass ich ihm von der Schwangerschaft erzählt habe. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

„Sie sind geschieden?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich war nie verheiratet.“

Na toll. Als wäre eine Scheidung nicht schon schlimm genug. Aber ein uneheliches Kind? Was dachte sich sein Vater eigentlich? Glaubte er tatsächlich, sein Sohn würde solch eine Frau akzeptieren?

Seine Miene musste seine Abneigung verraten haben, denn Vanessa sah ihm in die Augen. „Ich schäme mich nicht für meine Vergangenheit, Eure Hoheit. Auch wenn Mia sicher nicht unter den glücklichsten Umständen geboren wurde, ist sie doch das Beste, was mir in meinem Leben je geschehen ist. Ich bedaure nichts.“

Nicht gerade zurückhaltend, dachte Marcus. Für eine künftige Königin war das nicht unbedingt von Vorteil. Allerdings musste er zugeben, dass auch seine Mutter selten mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten hatte. Und das hatte sie sogar zum Vorbild der jungen Frauen gemacht. Aber nie war seine Mutter leichtsinnig gewesen. Wenn diese Frau jetzt glaubte, sie könnte seiner Mutter auch nur halbwegs das Wasser reichen, dann irrte sie sich.

Hoffentlich nahm sein Vater Vernunft an, ehe es zu spät war. Im Moment blieb Marcus nichts anderes übrig, als ihr den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Denn genau das hatte er seinem Vater versprochen.

„Ihre Vergangenheit geht nur Sie und meinen Vater etwas an.“

„Dennoch scheinen Sie Ihre eigene Meinung dazu zu haben. Vielleicht sollten Sie mich erst ein wenig kennenlernen, bevor Sie ein endgültiges Urteil fällen.“

Er beugte sich zu ihr, und sein Ausdruck ließ keinen Zweifel daran, wie ernst es ihm war. „Ich habe nicht vor, damit meine Zeit zu verschwenden.“

Vanessa zuckte noch nicht einmal zusammen. Furchtlos sah sie ihm in die Augen. Sie ließ sich nicht einschüchtern. Er fühlte … eine seltsame Mischung zwischen Hass und Lust. Und jene seltsame Anwandlung von Lust traf ihn wie eine demütigende Ohrfeige.

Nun besaß diese Miss Reynolds sogar noch die Frechheit, zu lächeln. In ihm stieg Zorn auf, aber gleichzeitig nahm ihr Lächeln ihn gefangen.

Er fühlte sich unbehaglich, als er sein Handy hervorholte und sich von Vanessa abwandte. Sein Vater schien zum ersten Mal, seit er seine Frau an den Krebs verloren hatte, wieder glücklich zu sein, und das wollte Marcus ihm unter keinen Umständen verderben. Diese Liebesgeschichte würde ohnehin bald ihr natürliches Ende finden.

Sein Vater würde ganz bestimmt rechtzeitig aufwachen und diese Amerikanerin wieder nach Hause zurückschicken.

War die Reise bisher schon nicht allzu glücklich verlaufen, so schien seit ihrer Ankunft in Varieo alles schlimmer zu werden.

Vanessa saß neben der schlafenden Mia. Offenbar hatte Marcus sein Urteil über sie bereits gefällt. Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken, mit ihm allein zu sein, bis Gabriel zurückkam.

Wahrscheinlich hatte sie sich nicht gerade klug verhalten, als sie ihm so offen entgegengetreten war. Meistens war sie diplomatischer, aber Marcus hatte sie so selbstgefällig angesehen, dass sie ihre strapazierten Nerven nicht im Griff gehabt hatte. Sie warf Marcus einen verstohlenen Blick zu. Seine Aufmerksamkeit galt allein seinem Telefon. Er war unglaublich attraktiv. Schade nur, dass sein Charakter da nicht mithielt.

Du bist ja auch ziemlich schnell mit deinem Urteil.

Vielleicht hatte er seine Gründe? Würde sie sich nicht ebenfalls Sorgen machen, wenn ihr Vater ihr mitteilte, eine deutlich jüngere Frau heiraten zu wollen, noch dazu eine vollkommen unbekannte? Außerdem war Gabriel nicht irgendein Mann, sondern ein reicher König. Sicher wollte Marcus seinen Vater nur schützen. Und er hatte seine Mutter erst vor weniger als einem Jahr verloren. Gabriel hatte durchblicken lassen, dass ihr Tod seinen Sohn schwer mitgenommen hatte. Gewiss dachte er, Vanessa würde den Platz der Königin einnehmen wollen, auch wenn das ganz sicher nicht der Wahrheit entsprach.

Sie wusste ja noch nicht einmal, ob sie Gabriel wirklich heiraten wollte. Um das herauszufinden, war sie schließlich hergekommen. Und wenn es nicht wie geplant lief, konnte sie einfach nach Hause zurückkehren.

Sie entspannte sich und sah aus dem Seitenfenster der Limousine. Gerade fuhren sie durch das bezaubernde Küstenstädtchen Bocas. Kleine Läden, Restaurants und Boutiquen reihten sich aneinander, und die Gehwege mit ihrem Kopfsteinpflaster waren voller Menschen. Als sie die steile Zufahrt zum Palast hinauffuhren, sah Vanessa in einiger Entfernung den Strand und den Hafen, in dem neben kleinen Segelbooten und größeren Jachten auch riesige Kreuzfahrtschiffe lagen.

Sie hatte gelesen, dass die Saison am Meer von April bis November dauerte. In den anderen Monaten konzentrierte sich der Fremdenverkehr in Varieo auf das Bergland, wo man Snowboarden und Skifahren konnte. Wie Gabriel ihr erklärt hatte, war ein Großteil der Wirtschaft seines Landes vom Tourismus abhängig, ein schweres Geschäft während der Krise der letzten Jahre.

Vor ihnen öffneten sich die Tore, und als Vanessa den Palast erblickte, stockte ihr der Atem. Das prächtige Gebäude lag inmitten sattgrüner Rasenflächen, umgeben von üppig blühenden Blumenrabatten in einer gepflegten Gartenanlage. An allen Ecken plätscherten herrliche Springbrunnen vor sich hin.

Ihre Stimmung hellte sich etwas auf.

Sie wandte sich Marcus zu. Er wirkte ungeduldig, als könnte er es nicht erwarten, endlich aus dem Wagen zu flüchten und sie zurückzulassen.

„Sie haben ein wundervolles Zuhause“, sagte sie.

„Hatten Sie etwas anderes erwartet?“

Vanessa seufzte innerlich auf. Der Wagen fuhr nun an einer beeindruckenden Marmortreppe vor, die von weißen Säulen eingerahmt wurde. Der Palast war angeblich größer als das Weiße Haus.

Sobald Marcus die Tür geöffnet wurde, sprang er aus der Limousine und überließ es dem Chauffeur, Vanessa zu helfen. Sie nahm Mia auf den Arm und folgte Marcus, der am Eingang hinter der massiven hohen Flügeltür auf sie wartete.

Im Inneren wirkte der Palast genauso überwältigend wie von außen. Die Wände der runden Eingangshalle waren cremefarben gestrichen, und der Marmorboden glänzte. Durch die Fenster, die bis zur runden Deckenkuppel reichten, strömte die Sonne herein und ließ die Kristalle am riesigen Leuchter wie Diamanten funkeln. An beiden Seiten der Halle wanden sich entlang der runden Wände ausladende Treppen nach oben, eingefasst von kunstvoll geschmiedeten Geländern. Unter dem Kristallleuchter war ein mächtiger Marmortisch platziert, darauf stand ein wunderschöner bunter Blumenstrauß, dessen exotischer Duft die Luft erfüllte. Eine Mischung aus Tradition und Raffinesse überwältigte ihre Sinne.

Erst jetzt wurde Vanessa klar, wo sie wirklich war. Ihr wurde schwindlig. Hier also könnte Mia aufwachsen, umgeben von dieser Pracht. Wichtiger aber war, dass im Palast jemand lebte, der bereit war, Mia als seine Tochter anzuerkennen.

Zu gern hätte sie ihre Begeisterung mit Marcus geteilt und ihm gesagt, was für eine Ehre es für sie war, hier sein zu dürfen. Doch da ihr das vermutlich nur eine weitere unhöfliche Antwort eingebracht hätte, schwieg sie lieber.

Vom anderen Ende der Eingangshalle her traten mindestens zehn Hausangestellte ein. Marcus stellte Vanessa allen vor. Celia, die verantwortliche Haushälterin, war eine groß gewachsene, ernste Frau in einer gestärkten grauen Uniform. Ihr silbergraues Haar trug sie zu einem festen Knoten zusammengebunden. Ihre drei Helferinnen waren ähnlich gekleidet, jedoch deutlich jünger, und es fehlte ihnen Celias strenge Ausstrahlung.

Vanessa lächelte und nickte jeder von ihnen freundlich zu.

„Dies ist Camille“, stellte Celia ihr die jüngste der drei Frauen auf Englisch vor. Sie sprach fast ohne jede Betonung, was zu ihrem beinahe schon mürrischen Gesichtsausdruck passte. „Während Ihres Aufenthalts wird sie sich um Sie kümmern.“

Während Ihres Aufenthalts? Ging man also davon aus, dass sie nicht lange bleiben würde? Oder besser gesagt: Hoffte man es sogar?

„Ich freue mich, dich kennenzulernen, Camille“, begrüßte Vanessa das Mädchen und reichte ihm die Hand.

Camille wirkte nervös, als sie Vanessas Hand nahm.

Dann war George, der alte Butler, an der Reihe. Sein dürrer Körper steckte in einem Frack, dazu trug er ein gestärktes Hemd mit Frackkragen, und er hielt sich leicht nach vorn gebeugt. Ihm unterstanden zwei junge Assistenten. Außerdem gab es noch einen Koch und eine rundliche Bäckerin.

Marcus wandte sich George zu und wies diesen auf das Gepäck hin, das der Chauffeur inzwischen an der Tür abgestellt hatte. Ohne dass der Butler ein Wort sagen musste, kümmerten sich seine beiden Assistenten um die Koffer und Taschen.

Nun trat eine elegant gekleidete Frau mittleren Alters nach vorn und stellte sich selbst als Tabitha vor, die persönliche Sekretärin des Königs. „Wenn Sie irgendetwas brauchen sollten, dann zögern Sie bitte nicht, sich an mich zu wenden“, sagte sie in perfektem Englisch. Neben ihr stand eine junge Frau in Uniform. „Das ist Karin, Ihre Nanny. Sie wird sich um Ihre Tochter kümmern.“

Vanessa war unwohl bei dem Gedanken, Mia in die Hände einer Fremden zu geben. Aber sie vertraute Gabriel. „Ich bin sehr erfreut, dich kennenzulernen“, sagte sie.

Karin nickte freundlich. „Ma’am.“

„Bitte sag Vanessa zu mir. Ich habe noch nie großen Wert auf Formalitäten gelegt. Ihr könnt mich gern alle bei meinem Vornamen nennen.“

Ihre Bitte rief beim Personal keinerlei Reaktion hervor, noch nicht einmal die Andeutung eines Lächelns. Ob sie wohl immer so sind? fragte sich Vanessa. Oder mögen sie mich einfach nicht? Vielleicht waren sie ja ebenso wie Marcus jetzt schon davon überzeugt, dass man ihr besser mit Misstrauen begegnete.

Marcus wandte sich ihr zu: „Ich werde Ihnen jetzt Ihre Räumlichkeiten zeigen.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er zur linken Treppe. Er eilte die Stufen hinauf, sodass Vanessa beinahe laufen musste, um mit ihm mitzuhalten.

Während die Eingangshalle in Beige gehalten war, dominierten im ersten Stock Farbtöne wie Rot, Orange und Violett. Vanessa hätte niemals solche Farben gewählt, dennoch wirkten sie elegant.

Marcus führte sie über einen langen Flur.

„Ist Ihr Personal immer so förmlich?“, erkundigte sie sich.

„Reicht es Ihnen nicht, dass es Ihnen jeden Wunsch erfüllt?“, gab Marcus über die Schulter zurück. „Muss es dabei auch noch lachen?“

Sie antwortete nicht. Schweigend gingen sie bis zum Ende des Flurs, wo Marcus die letzte Tür öffnete. Gabriel hatte schon angekündigt, dass er sie in seiner komfortabelsten Gästesuite unterbringen wollte. Allerdings hatte Vanessa keine Vorstellung davon gehabt, wie groß diese sein würde. Das Wohnzimmer war riesig, und die Decken reichten schwindelerregend hoch, ebenso wie die Fenster mit den Balkontüren in der Mitte. Farblich dominierten gedeckte Gelb- und Grüntöne.

Autor

Michelle Celmer
<p>Michelle Celmer wurde in Metro, Detroit geboren. Schon als junges Mädchen entdeckte sie ihre Liebe zum Lesen und Schreiben. Sie schrieb Gedichte, Geschichten und machte selbst dramatische Musik mit ihren Freunden. In der Junior High veröffentlichten sie eine Daily Soap Opera. Ungeachtet all dessen, war ihr Wunsch immer Kosmetikerin zu...
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