Julia Extra Band 402

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SEHNSUCHT UNTERM WÜSTENHIMMEL von CONDER, MICHELLE
Dieser Tag ändert alles: Nadir erfährt, dass er Thronfolger von Bakaan ist. Und Vater einer Tochter! Doch es scheint leichter, ein Wüstenreich zu regieren, als Imogen zurückzuerobern - die Mutter seiner Kleinen, deren Liebe er nach heißen Nächten in Paris leichtfertig verloren hat …

UNSERE KREUZFAHRT INS GLÜCK von COX, CONNIE
Nur der Wind und die Wellen sind Zeuge, als Niko Christopoulos sie zärtlich massiert. Doch Schiffsärztin Annalise darf ihrem Verlangen nicht nachgeben. Weil Flirts mit Passagieren tabu sind - und weil ihr Schicksal kein Liebesglück erlaubt …

EIN SOMMER VOLLER SINNLICHKEIT von SOUTHWICK, TERESA
Kinsey raubt ihm den Verstand! Während einer Familienfeier muss David sein Strandhaus mit dem sexy Wirbelwind teilen. Ein heißer Kuss, eine wilde Wasserschlacht, und endlich spürt der Staranwalt wieder, was Leidenschaft ist. Da beschließt Kinsey überstürzt abzureisen …

TROPENWIND AUF ZARTER HAUT von POWER, ELIZABETH
Weißer Sand, türkisblaues Meer und ein Gastgeber, der ihre erotischen Fantasien beflügelt: Diese Insel könnte das Paradies sein. Doch Lauren ist überzeugt, dass der mächtige Reeder Emiliano Cannavaro sie nur aus einem Grund in die Karibik gelockt hat: Um ihr das Liebste zu nehmen!


  • Erscheinungstag 28.07.2015
  • Bandnummer 0402
  • ISBN / Artikelnummer 9783733704575
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Conder, Connie Cox, Teresa Southwick, Elizabeth Power

JULIA EXTRA BAND 402

MICHELLE CONDER

Sehnsucht unterm Wüstenhimmel

Warum lässt ihr Wille sie in Nadirs Nähe nur immer im Stich? Ein Jahr nach ihrer Affäre sieht Imogen den Wüstenprinzen wieder, bebend vor Verlangen. Doch nun hat sie mehr zu verlieren als ihren Stolz ...

CONNIE COX

Unsere Kreuzfahrt ins Glück

Stille Wasser sind tief – und in Annalises Tiefe könnte er sich verlieren. Doch Niko muss die Schiffsärztin vergessen, sobald er von Bord geht. Denn sein gefährlicher Job verbietet ihm zu lieben …

TERESA SOUTHWICK

Ein Sommer voller Sinnlichkeit

Es gewittert über dem Meer, doch in Davids Armen fühlt Kinsey sich endlich geborgen. Bald hofft sie, dass er der Anker in ihrem unsteten Leben sein kann. Da kündigt sich Besuch aus der Vergangenheit an …

ELIZABETH POWER

Tropenwind auf zarter Haut

Laurens Kurven im Bikini wecken verbotene Erinnerungen in Emiliano. Ging es ihr damals wirklich nur um sein Geld? Der milliardenschwere Reeder kann es herausfinden: durch erotische Erpressung!

1. KAPITEL

Manche Tage fangen gut an und bleiben auch gut. Andere fangen gut an und gehen dann rasend schnell den Bach runter.

Dieser Tag entwickelt sich eindeutig in Richtung der zweiten Kategorie, entschied Nadir Zaman Al-Darkhan, Kronprinz von Bakaan, während er die sehr große und sehr hässliche Statue in der Ecke seines Londoner Büros betrachtete. „Was zur Hölle ist das?“

Über die Schulter hinweg sah er seine Chefsekretärin fragend an. Empfohlen hatte sie ihm seine vorherige Chefsekretärin, deren frisch angetrauter Ehemann Anstoß an Nadirs üblichem Siebzehnstundentag nahm. Nadir wusste noch nicht, wie die Neue sich bewähren würde.

„Ich glaube, es ist ein goldener Hirsch, Sir.“ Seine Chefsekretärin begann beinahe zu stottern. „Es ist ein Geschenk des Sultans von Astiv.“

Ah, das fehlte ihm gerade noch. Wieder so ein Geschenk von irgendeinem Weltenlenker, den er nicht kannte und der ihm sein Beileid zum Tod seines Vaters vor zwei Wochen aussprechen wollte. Seit dem Begräbnis war er erst einen Tag zurück in Europa. Offen gesagt, wollte er nicht ständig daran erinnert werden, dass er für seinen Erzeuger keinerlei Gefühle übrig hatte.

Verärgert ging er zu seinem Schreibtisch und setzte sich. Seine Chefsekretärin blieb, das Tablet an die Brust gedrückt, bei der Tür stehen.

„Was haben Sie sonst noch für mich, Miss Fenton?“

Erleichtert über Nadirs geschäftsmäßigen Ton, erwiderte sie: „Ihr Bruder hat dringend um Ihren Rückruf gebeten.“

Vielleicht hatte auch Zachim einen Riesenhirsch geschenkt bekommen. Wahrscheinlicher aber war, dass er wissen wollte, wie Nadir zu seinen Plänen stand, ihr arabisches Heimatland ins einundzwanzigste Jahrhundert zu befördern. Sein Vater hatte Bakaan mit eiserner Faust regiert, und nun sollte Nadir das Land in die Zukunft führen. Er hatte nicht die Absicht.

Vor Jahren hatte er seinem Vater geschworen, niemals zurückzukommen, um Bakaan zu regieren, und Nadir pflegte Wort zu halten. Zum Glück war Zachim an seiner Stelle zum Thronerben erzogen worden und hatte sich einverstanden erklärt, nächster König von Bakaan zu werden. Der arme Kerl. „Stellen Sie die Verbindung her.“

Augenblicke später gab sein Palm Pilot gleich nach der Festnetzleitung Laut. Seine neue Chefsekretärin war tüchtig, das zumindest musste er ihr lassen.

„Falls du mich mit der Neuerfindung des Bankensystems von Bakaan ärgern willst, möchte ich dich daran erinnern, dass ich auch noch ein internationales Unternehmen zu führen habe“, schimpfte Nadir gutmütig. Zwar waren sie nur Halbbrüder, aber Zachim war der Einzige, den Nadir als wahren Freund bezeichnen würde.

„Wenn es das nur wäre.“ Der Tonfall seines Bruders klang finster. „Du musst auf der Stelle hierher zurückkehren.“

„Zehn Stunden bei euch waren zehn Stunden zu viel“, sagte Nadir gedehnt. Vor diesen zehn Stunden hatte er Bakaan zwanzig Jahre lang nicht besucht und würde auch von Herzen gern weitere zwanzig Jahre darauf verzichten. Die Erinnerungen, die sein Heimatland in ihm heraufbeschwor, blieben besser begraben, und am Vortag hatte er sie nur mit Mühe in Schach halten können. Im Grunde war es ihm nur gelungen, indem er an jene Tänzerin in Paris dachte, und auch das war ihm nicht recht gewesen. Schon gar nicht angesichts der Umstände, unter denen die Beziehung geendete hatte. Und jetzt dachte er schon wieder an sie. Er strich sich übers frisch rasierte Kinn.

„Tja, du hast dich aus dem Staub gemacht, bevor du die Neuigkeiten erfahren hast“, sagte sein Bruder.

Nadir lehnte sich mit raubkatzenhafter Geschmeidigkeit in seinem Sessel zurück und legte die Füße auf die Schreibtischplatte. „Welche Neuigkeiten?“

„Vater hat dich als Thronfolger eingesetzt. Du sollst König werden. Also, komm schnellstens in die Hufe. Ein paar aufrührerische Bergstämme machen die Gegend unsicher, und Bakaan benötigt unbedingt eine Demonstration von Führungsstärke.“

„Moment.“ Nadir nahm die Füße vom Tisch. „Vater hat dich zu seinem Erben ernannt.“

„In mündlicher Form.“ Zachs Ratlosigkeit war nicht zu überhören. „Was in der Ratsversammlung offenbar nicht viel Gewicht hat.“

„Das ist lächerlich.“

„Das passiert, wenn man an einem Herzinfarkt stirbt, bevor man seinen Papierkram in Ordnung gebracht hat.“

Nadir zwang sich zur Ruhe, atmete tief durch. „Du weißt, alles spricht dafür, dass du der nächste König wirst. Du hast nicht nur die Armee unter dir, sondern auch die meiste Zeit deines Lebens in Bakaan verbracht.“

Er hörte seinen Bruder vor Überdruss seufzen. Hoffentlich blieb ihm die übliche Gardinenpredigt erspart – darüber, dass Nadir der Ältere und die Königswürde sein Geburtsrecht war. Dieses Thema hatten sie jahrelang bis zum Erbrechen diskutiert. Erst gestern hatte Nadir begriffen, dass Zach davon ausging, Nadir würde eines Tages nach Bakaan zurückkehren und die Führung übernehmen. „Ich finde, du machst einen Fehler, aber du wirst deinen Verzicht offiziell vor der Ratsversammlung verkünden müssen.“

„Schön. Ich schicke ihnen eine E-Mail.“

„Du musst persönlich erscheinen.“

Nadir fluchte. „Das ist doch lächerlich. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert.“

„Und wie du weißt, steckt Bakaan noch irgendwo Mitte des neunzehnten fest.“

Nadir biss die Zähne zusammen. Sein Vater hatte die Thronfolgeregelung genau gekannt. Wollte er ihn auf diese Weise über den Tod hinaus kontrollieren? Wenn ja, würde es nicht funktionieren. Früher, als Nadir ein Kind gewesen war, hatten sie vielleicht eine enge Beziehung gehabt, doch das war vorbei, seit Nadir erkannt hatte, wie manipulativ und ichbezogen sein Vater handelte. „Leg den Termin auf morgen.“

„Wird gemacht.“

Nadir beendete das Gespräch und blickte ins Leere. Das hatte man davon, wenn man nicht rechtzeitig sein Haus bestellte. Vor zwanzig Jahren hatte er Bakaan verlassen, nachdem sein Vater seiner Mutter und seiner Zwillingsschwester nach ihrem Unfalltod ein Staatsbegräbnis verweigert hatte. Sie hätten ihm Schande gemacht, behauptete sein Vater, weil sie aus dem Land fliehen und ein neues Leben beginnen wollten.

Seinen Vater interessierte nicht, dass er mit seiner Frau schon seit Jahren keine richtige Ehe mehr geführt hatte, und dass Nadirs Mutter und seine Schwester tief unglücklich mit ihrem Exil in Bakaan waren. Für ihn galt nur, dass sie ihr Leben an dem Ort verbringen mussten, den er ihnen zugewiesen hatte. Als Nadir ihre Ehre retten wollte, hatte sein Vater ihn vor die Entscheidung gestellt: Entweder richtete Nadir sich nach ihm, oder er konnte gehen.

Nadir entschied sich zu gehen, und sein Vater hatte ihn enterbt. Nadir verließ das Land, um seinen eigenen Weg in der Welt zu finden. Und es brachte ihm Erleichterung, denn es half ihm zu vergessen, welchen Anteil er ungewollt am Tod von Mutter und Schwester hatte.

Nadir bezweifelte nicht, dass sein Vater die Thronfolge absichtlich nicht zu Zachs Gunsten geändert hatte. Doch er würde seinen Willen nicht bekommen.

Unzufrieden mit dem Verlauf, den dieser Tag nahm, sah Nadir die Nachrichten durch, die seine Sekretärin ihm auf seinen elektronischen Organizer geschickt hatte, und stockte. Kurzentschlossen rief er seinen Sicherheitschef an.

„Bjorn.“

„Ja, Chef.“ Sein Sicherheitschef sprach mit einem weichen Bostoner Akzent. „Diese Frau, die ich vor vierzehn Monaten in Ihrem Auftrag suchen sollte …“

Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an. „Ja?“

„Ich bin ziemlich sicher, dass wir sie gefunden haben. Ich habe Ihnen zur Sicherheit gerade ein Foto von ihr aufs Handy geschickt.“

Mit einem flauen Gefühl im Magen nahm Nadir das Gerät vom Ohr und sah zu, wie das Gesicht der schönen australischen Tänzerin sich auf dem Display aufbaute. Vor fünfzehn Monaten hatte er sie im Moulin Rouge kennengelernt, als er und Zach sich zur gleichen Zeit in Paris aufhielten.

Nie zuvor hatte Nadir sich so stark zu einer Frau hingezogen gefühlt. Obwohl sein Verstand ihn warnte, die Finger von dieser Frau zu lassen, unternahm er doch vier außerplanmäßige Ausflüge nach Paris, nur um mit ihr zusammen zu sein. Schon damals hätte er wissen müssen, dass sie Ärger bedeutete, dass die Affäre wahrscheinlich kein gutes Ende nehmen würde. Da ahnte er ja nicht, mit welchem Knall die Sache enden würde: Die Frau behauptete, schwanger zu sein, und zwar von ihm! Und er ahnte auch nicht, dass sie plötzlich von der Bildfläche verschwinden würde.

Wahrscheinlich war sie abgetaucht, weil sie eben kein Kind von ihm erwartete. Trotzdem, die Vorstellung, dass da draußen in der Welt irgendwo sein Kind lebte, nagte an ihm. Er wusste nicht, welches Spielchen die Frau damals getrieben hatte, doch dass sie mit ihm gespielt hatte, stand außer Frage. „Das ist sie. Wo hält sie sich auf?“, stieß Nadir rau hervor.

„Hier in London. Sie war die ganze Zeit hier.“

„Hinweise auf ein Kind?“

„Nichts. Soll ich nachfragen? Ich sitze in dem Café, in dem sie jetzt arbeitet.“

„Nein.“ Willkommener Zorn pulsierte durch Nadirs Adern und ließ ihn die Muskeln anspannen. Wie es aussah, hatte er heute Gelegenheit, sich von sämtlichen lästigen Problemen seines Lebens zu befreien, und wenn er es sich recht überlegte, konnte er das nur als positiv betrachten. Ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen. „Es wird mir ein Vergnügen sein, das selbst zu tun. Sagen Sie mir, wo Sie stecken.“

„Der Kerl, der dich die ganze Zeit anstarrt, ist mir nicht geheuer.“

Müde vom Schlafmangel – ihre fünf Monate alte Tochter zahnte – unterdrückte Imogen ein Gähnen. Sie sah sich nicht um, obwohl sie wusste, wen Jenny meinte. Ihr selbst war der Mann auch nicht geheuer, und zwar nicht nur wegen seiner eiskalten Ausstrahlung. Sie kannte ihn von irgendwoher, doch es fiel ihr nicht ein.

„Es liegt an meinem blonden Haar. Wahrscheinlich denkt er, ich wäre leicht zu haben.“ Vor fünfzehn Monaten hatte ein ähnlich imposanter Mann, ein milliardenschwerer Playboy, das Gleiche von ihr angenommen, doch der hatte einen Dreitausend-Dollar-Anzug getragen und sie völlig in seinen Bann gezogen. Jetzt war Imogen nicht mehr so leichtgläubig in Bezug auf Männer. Und überhaupt, dieser Kerl sah aus wie jemand vom Geheimdienst oder so. Was ihr Unbehagen nur noch steigerte.

Das kleine, altmodische Café, in dem sie kellnerte, zog gewöhnlich nicht die Klientel an, die Personenschutz benötigte, und sie wusste, dass der Playboy im Dreitausend-Dollar-Anzug seine eigenen Sicherheitsleute hatte. Hatte sie diesen Kerl vielleicht dort schon mal gesehen? In Nadirs Gefolge? Bevor sie noch einmal rasch in seine Richtung blicken konnte, stupste Jenny sie an.

„Kein Grund mehr zur Sorge. Ich glaube, ich habe draußen deinen Freund gesehen.“

Imogen stieg heiße Röte ins Gesicht, und sie hob ruckartig den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie tatsächlich geglaubt, Jenny spräche von dem Playboy, den sie nie vergessen hatte, sosehr sie sich auch bemühte.

Als sie Minh entdeckte, der ihr durchs Fenster zuwinkte, stieß sie erleichtert den Atem aus. Himmel, war sie plötzlich nervös geworden.

Ihr Herz klopfte immer noch heftig, als Imogen ihrem Freund und ihrer kleinen Tochter zuwinkte. Minh sah wirklich gut aus mit seinen exotischen eurasischen Gesichtszügen, und er war ganz sicher einer der nettesten Männer, die ihr je begegnet waren. Aber sie hatte nie etwas anderes als einen Freund in ihm gesehen. Nicht nur, weil er schwul war, sondern weil Prinz Nadir Zaman Al-Darkhan sie Angst vor der Liebe gelehrt und sie mit einem Baby sitzengelassen hatte.

„Leider ist er nicht mein Freund.“ Und auch nicht der Vater ihres Kindes.

Sie lächelte Jenny zu und wünschte ihr einen tollen Freitag in der Stadt, bevor sie ihre Handtasche holte und hinaus zu ihrer provisorischen kleinen Familie ging.

Minh hatte sich im vergangenen Jahr in mancherlei Hinsicht als ein Geschenk des Himmels für Imogen entpuppt. Als sich herausstellte, dass sie schwanger war, hatte Minhs Schwester, Imogens Zimmergenossin, ihr erklärt, dass ihr großer Bruder für ein halbes Jahr nach Amerika gehen würde und jemanden suchte, der sein Haus hütete. Da der Mietvertrag für ihre Wohnung in Paris ohnehin bald auslief, erschien es Imogen wie eine günstige Fügung, und sie griff zu, froh, Minhs noble Wohnung in Knightsbridge hüten zu dürfen. Doch zu jenem Zeitpunkt wäre sie wohl auch nach Sibirien gezogen, nur um Paris hinter sich zu lassen.

„Hallo, meine Schöne“, sagte Minh und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Wie war die Arbeit?“

„Ganz gut.“ Sie nahm ihm ihre lächelnde Tochter aus den Armen und bedeckte ihr Gesichtchen mit Küssen. Nadeena blickte mit bemerkenswert silberblauen Augen unter pechschwarzen Wimpern zu ihr auf – Nadirs Augen. Von ihm hatte sie auch den glatten olivfarbenen Teint. „Was habt ihr zwei so getrieben?“

„Ich war mit ihr im Park und im Freiluft-Café. Ich hoffe, sie stinkt nicht“, sagte Minh und löste das Tragetuch.

Imogen nahm ihm das Tragetuch ab, arrangierte es über ihren Schultern und legte Nadeena hinein. Sie hakte Minh unter. „Du weißt, wie dankbar ich dir für deine Hilfe bin, nicht wahr? Wirklich, ich kann dir nicht genug für deine Babysitter-Dienste danken. Heute. Und gestern.“ Sie verzog das Gesicht. „Letzte Woche.“

„Sie ist ein hinreißendes Kind, und die Vorratsproduktion, die ich cutten soll, liegt immer noch auf Eis. Bis sie mich zurückholen, bin ich ein freier Mann.“

„Lass das David nicht hören“, zog sie ihn auf.

Bevor Minh etwas darauf erwidern konnte, wurde er abgelenkt. „Merk dir, wo wir stehengeblieben sind“, flüsterte er gut hörbar. „Der himmlische Erzengel ist gerade gelandet, und er trägt Armani und eine schrecklich finstere Miene.“

Imogen lachte über seine Theatralik, das Resultat aus seinem Umgang mit Filmstars. Sie drehte sich um und erstarrte.

Der skrupellose, herzlose Mistkerl, der sie in Paris schwanger und allein zurückgelassen hatte, kam mit langen, geschmeidigen Schritten auf sie zu.

Instinktiv legte Imogen die Arme schützend um die schlafende Nadeena, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

Nadir blieb direkt vor ihr stehen. „Hallo, Imogen.“ Sie war zwar hochgewachsen, musste aber trotzdem zu ihm aufschauen. Der Ausdruck seiner Augen blieb von einer Fliegersonnenbrille verborgen, in der sich ihr verblüfftes Gesicht spiegelte. „Kennst du mich noch?“

Allerdings, sie hatte ja gerade noch so intensiv an ihn gedacht! Imogen war über seinen Anblick so schockiert, dass ihr benebelter Verstand lediglich registrierte, wie unverschämt gut er in seinem schwarzen Anzug aussah. Sein rabenschwarzes Haar war sexy zerzaust. Nadirs unwiderstehliche Anziehungskraft brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht.

„Ich … Natürlich.“

Sie schluckte, als er den Blick auf Nadeena senkte. Die blitzende Sonnenbrille verlieh ihm das Aussehen eines Raubtiers, das seine saftige Beute fixierte. „Du hast das Kind also bekommen.“

Etwas in der Art, wie er das mit seiner tiefen, samtigen Baritonstimme sagte, bewirkte, dass sich ihr buchstäblich die Nackenhaare sträubten.

Es war unterschwelliger Zorn, stellte sie fest. Wieso maßte er sich an, zornig zu sein? Er hatte sie vor vierzehn Monaten verlassen. Sie sollte wütend sein, nicht er. Leider konnte sie sich nicht aus ihrer Schockstarre lösen.

Minh spürte ihr Unbehagen und rückte verteidigungsbereit an ihre Seite. Imogen holte tief Luft und sammelte sich. „Ja.“

„Wie schön.“ Nadirs Lächeln wirkte bedrohlich. Dann setzte er bedächtig die Sonnenbrille ab und sah sie kalt aus seinen faszinierenden silberblauen Augen an. „Und wer ist der Vater?“

2. KAPITEL

Wer ist der Vater?

Imogen starrte Nadir an, ließ die barsch hervorgestoßenen Worte allmählich in sich einsinken. Ein einziges Mal hatte sie diesen Tonfall bei ihm gehört, und zwar, als er mit irgendeinem armen Kerl in seinem Heimatland telefonierte.

Der Schock brachte sie wieder zu Verstand. Ihre Knie hörten auf zu zittern, sie zwang ein Lächeln um ihre Lippen und sagte sich, dass es nur natürlich war, wenn er über das Kind informiert sein wollte. Wieso auch nicht? Schließlich hatte sein eigener Arzt vor Monaten in jener schicksalhaften Nacht in Paris die Schwangerschaft bestätigt.

Imogen bedachte Nadir mit einem gezwungenen Lächeln. Aus reinem Selbstschutz beschloss sie, seine Frage jetzt noch nicht zu beantworten. „Welch eine Überraschung, dich hier wiederzusehen.“

„Sicher, habibi. Und jetzt beantworte meine Frage.“

Sie hob das Kinn. Dieses Kosewort hatte er ihr zugeflüstert, wenn er sie verführen wollte. Mist, warum schaffte sie es nicht, die heißen Erinnerungen an ihre kurze gemeinsame Zeit in Schach zu halten! „Weshalb fragst du?“

„Lass die Spielchen, Imogen. Ich bin nicht in der Stimmung.“

Eine Gänsehaut überlief ihren Rücken, und Minh, der Nadirs Zorn offenbar genauso stark empfand wie Imogen, stellte sich schützend vor sie. „Immer mit der Ruhe, Chef. Kein Grund, aggressiv zu werden.“

Nadir wandte sich gemächlich Minh zu. Minh zuckte nicht mit der Wimper, wohl aber Imogen. Leider ahnte Minh nicht, dass der berüchtigte rebellische Prinz Nadeenas Vater war. Imogen hatte es niemandem verraten.

„Und wer bist du?“ Nadirs Frage klang, als hätte er Minh gefragt, ob er noch einen letzten Wunsch habe.

„Imogens Freund!“

„Halte dich besser zurück, Imogens Freund.“ Nadir verzog höhnisch die Lippen. „Das hier geht dich nichts an.“ Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Imogen, die wünschte, sie könnte sich hier wegbeamen. „Nun?“

Wie konnte er ein einziges Wort so gebieterisch klingen lassen?

„Tut mir leid, aber deine Art gefällt mir nicht, Chef.“ Minh warf sich in die Brust, und Imogen stöhnte auf. „Du solltest lieber einen Gang zurückschalten.“

„Schon gut, Minh.“ Sie drückte seinen Arm. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer bei ihm untergehakt war. „Ich kenne ihn.“

Nadir fixierte sie mit einem herablassenden Blick. „Gelinde gesagt, habibi.“

Die Bedeutung seiner Worte lag auf der Hand. Imogen spürte, wie ihr ganz heiß wurde.

„Der gefällt mir nicht“, sagte Minh leise.

Ihr gefiel Nadirs Art auch nicht, doch sie besann sich auf ihr Tanztraining und schenkte ihm ein oscarreifes Lächeln. „Schon gut. Wirklich. Geh einfach nach Hause. Ich komme klar.“

„Ruf mich an, falls du mich brauchst“, verlangte Minh und machte sich widerwillig auf den Weg in Richtung U-Bahn-Station Green Park.

Kaum war er außer Sichtweite, stieß Imogen einen Seufzer der Erleichterung aus. Ein hartgesottener Macho war immer noch besser als zwei!

Sie atmete tief durch und blickte Nadir an. „Was soll das alles?“

„Was meinst du wohl?“

Keine Ahnung. Schließlich hatte Nadir sie vor vierzehn Monaten verlassen. Sie wollte lässig die Achseln zucken, doch die Bewegung fiel steif und zögerlich aus. „Wenn ich es wüsste, würde ich nicht fragen“, konterte sie, inzwischen selbst verärgert.

Sein kühler Blick machte klar, wie wenig ihre Antwort ihn beeindruckte. „Wie alt ist sie?“

„Woher weißt du, dass es sich um ein Mädchen handelt?“, wich Imogen aus.

„Ich glaube, es ist nicht üblich, einem Jungen ein rosa Mützchen aufzusetzen.“

„Vielleicht schwimme ich gegen den Strom.“

Die Art, wie er die Luft ausstieß, verriet ihr, dass er mit seiner Geduld am Ende war. „Wie. Alt. Ist. Sie?“

Durch seinen Zorn und sein unerbittliches Verhör aus dem Konzept gebracht, schaffte Imogen es nicht, auf ihre innere Stimme zu hören, die ihr zur Vorsicht riet. Sie platzte mit der Wahrheit heraus. „Fünf Monate.“

„Dann ist aus unserer Affäre also wirklich ein Kind hervorgegangen.“

Aus unserer Affäre? So viel zur Klarstellung der Frage, was er damals für sie empfunden hatte … „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte sie mit Nachdruck.

Er zog die Augenbrauen in die Höhe. „Dann hast du während unserer gemeinsamen Zeit doch mit jemandem geschlafen.“ Sein Tonfall ließ sie an einen verwundeten Bullen denken, was sie jedoch überhaupt nicht beeindruckte.

„Typisch für dich, dass du so denkst“, versetzte sie spitz in Gedanken daran, dass er ihr in ihrer letzten Nacht in Paris so ziemlich das Gleiche vorgeworfen hatte. „Und es geht dich nichts an.“

„Wenn sie nicht mein Kind ist, wessen Kind ist sie dann?“ Mit schmalen Augen betrachtete er wieder Nadeena.

„Meines“, antwortete Imogen mit fester Stimme.

Nadir verzog höhnisch den Mund. „Glaubst du wirklich, du könntest mich mit Wortklaubereien abspeisen?“

Imogen verspürte einen dumpfen Schmerz in den Schläfen. Was wollte Nadir von ihr? Das musste sie wissen, bevor sie weitere bittere Wahrheiten ausplauderte. „Hör zu, Nadir …“

Er schüttelte den Kopf. „Du wirst nicht wieder weglaufen, Imogen, meine Süße.“

Wieder? Was sollte das heißen – wieder?

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, aber ich muss jetzt wirklich gehen. Ich arbeite heute Abend noch eine Schicht.“

Er kniff die Augen zusammen. „Damit eines klar ist, habibi“, knurrte er. „Ich habe nicht vierzehn Monate lang nach dir gesucht, um mich jetzt von dir an der Nase herumführen zu lassen.“

Imogen wurde es abwechselnd heiß und kalt, wie damals, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Die Luft schien keinen Sauerstoff mehr zu enthalten, was seinerzeit fast in einer Katastrophe geendet hätte, da sie gerade vor vollem Haus den Can-Can getanzt hatte. Beinahe sofort war ihr aufgefallen, dass Nadir sie beobachtete. Er saß mit seinem Bruder – wie sie später erfuhr – an einem kleinen Tisch in der ersten Reihe, und sie hatte nur Augen für Nadir gehabt. Und er für sie, bis zu dem Moment, als er erfuhr, dass sie schwanger war.

Als würde Nadeena die Nöte ihrer Mutter spüren, regte sie sich an Imogens Brust. Imogen kämpfte um innere Ruhe und sei es nur, um Nadeena nicht zu wecken.

Ihr aufgewühlter Blick suchte Nadirs, und ihr Unbehagen steigerte sich zu Angst. „Vierzehn Monate? Wovon redest du?“

Nadir bemerkte die steile Falte zwischen Imogens schönen grünen Augen und bereute seinen Gefühlsausbruch auf der Stelle. Gerade jetzt musste er kühl und beherrscht bleiben. Imogen mit einem Kind an der Brust zu sehen, machte es ihm nicht leicht. Ebenso wie ihr ausweichendes Verhalten, das vermuten ließ, dass sie etwas zu verbergen hatte.

„Wir werden unser Gespräch nicht hier auf der Straße weiterführen“, entschied Nadir. „Komm.“

„Nein.“

Immer noch genauso stolz wie damals, stellte Nadir fest, als er sich ihr wieder zuwandte. Früher hatte er diese königliche Haltung anziehend gefunden. Jetzt ärgerte sie ihn. Genauso wie diese Aura von großäugiger Naivität.

„Nadir, bitte, wenn ich …“ Imogen befeuchtete mit der Zungenspitze ihre Lippen. „Wenn ich dir sage, dass du der Vater bist, können wir es dann nicht dabei belassen? Können wir nicht … können wir nicht einfach als Freunde auseinandergehen?“

Nadir war erschüttert. War das ihr Ernst? Denn sie konnte doch wohl kaum erwarten, dass er, nachdem sie quasi eingestanden hatte, dass das kleine Mädchen sein Kind war, mit einem lässigen „Mach’s gut“ seiner Wege ging. Im Gegenteil, er würde überhaupt nicht mehr gehen, sollte sich herausstellen, dass es sich tatsächlich um seine Tochter handelte.

In der Zeit seit ihrem Kennenlernen hatte er sein inneres Gleichgewicht verloren, und er wollte es zurück. Nicht einmal der Gedanke an seinen Thronverzicht am folgenden Tag machte ihm vergleichbar zu schaffen. Vielleicht war es aber auch eine Kombination aus beidem. „Ich glaube nicht, dass du uns jemals als Freunde hättest bezeichnen können, Imogen.“ Bettgefährten. Sexpartner. Das passte. Aber Freunde? Wohl kaum.

Sie blickte ihn an, als hätte er gerade einen jungen Hund getreten. „Gut zu wissen“, sagte sie tonlos. Ihr Pferdeschwanz schwang um ihre Schultern, als sie sich an ihm vorbeidrängen wollte. „Offen gestanden, ich weiß gar nicht, warum du überhaupt hier bist.“

Das war eigentlich als Abschiedsspruch gemeint, doch Nadir verstellte ihr wieder den Weg.

„Komm schon, habibi. So dumm bist du doch nicht.“

„Hör zu, Nadir, deine Einschüchterungsversuche sind eindrucksvoll. Gut gemacht. Aber du kannst mich nicht am Gehen hindern.“

Er stieß entnervt den Atem aus. „Wenn du entgegenkommender wärst und mir sagen würdest, was ich wissen will, brauchte ich dich nicht einzuschüchtern. Also, mein Wagen wartet dort an der Ecke.“ Er wies mit einer Armbewegung auf einen schwarzen Mercedes. „Wollen wir?“

„Nein“, gab sie mit wütend funkelnden Augen zurück, „wir wollen nicht. Nicht, solange ich nicht weiß, worum es hier geht.“

Nur mühsam riss Nadir sich zusammen. „Worum es hier geht“, begann er mit einer Ruhe, die seinen inneren Aufruhr Lügen strafte. „Tja, es geht darum, dass du anscheinend ein Kind von mir bekommen und es mir nicht gesagt hast. Wie heißt sie?“, fügte er schroff hinzu.

Imogens grüne Augen verdunkelten sich, bevor sie den Blick abwandte. „Das ist doch zwecklos, Nadir.“ Ihr sanftes, verzweifeltes Flehen erreichte ihn nicht, und er genoss ihre Niederlage.

„Für dich vielleicht“, stimmte er ihr freundlich zu.

Ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen, ein ähnlicher Laut wie der, den sie im Bett von sich zu geben pflegte. Sofort flammte die Erinnerung auf, Imogen nackt auf seinem Bett. Nadir war entsetzt, dass er in einem Augenblick so wütend und im nächsten so erregt sein konnte.

In unbedachten Momenten schlichen sich diese Erinnerungen bei ihm ein und riefen ihm ins Bewusstsein, dass er einmal – ein einziges Mal – geglaubt hatte, etwas Besonderes in einer Frau gefunden zu haben.

„Bitte, Nadir …“

„Was denn, Imogen?“, fragte er rau. Sein Name auf ihren verräterischen Lippen ärgerte ihn, und erneut kochte Wut in ihm hoch. „Soll ich dir verzeihen, dass du mir die Geburt meines Kindes verschwiegen hast? Denn sie ist doch mein Kind, oder?“

Er wusste nicht, ob es seine Worte oder sein Tonfall waren, die ihren Trotz weckten. Sie hob das Kinn und schoss ihm einen flammenden Blick zu. „Ich habe dir ihre Geburt nicht verschwiegen. Du wusstest, dass ich schwanger war, und du wolltest nichts damit zu tun haben.“

Sie war laut geworden, und ein paar Passanten zögerten, bevor sie weitergingen.

„Da bin ich anderer Meinung. Komm jetzt.“

„Du hast mir nicht einmal geglaubt, dass sie dein Kind ist“, rief sie aus. „Kannst du nicht einfach vergessen, dass wir uns noch einmal begegnet sind?“

„Wie du es gern tun würdest?“

Sie antwortete nicht, und das war gut so, denn Nadirs Nerven waren bereits überstrapaziert. „Sag mir“, begann er mit Samtstimme. „Glaubst du an das Schicksal, Imogen?“

„Nein.“

„Dann musst du diese Begegnung wohl auf einen Zufall zurückführen, wie?“

Sie sah ihn böse an, zog die Unterlippe zwischen die Zähne, ein Zeichen dafür, dass sie angestrengt nachdachte. Was nichts zu sagen hatte. Er trat näher, atmete ihren wundervollen süßen Duft ein. Sie roch wie früher und doch irgendwie anders.

Er schluckte, als sich plötzlich mit aller Macht sein Gewissen meldete. Schuldgefühle waren in dieser Sache nicht angebracht. „Du kommst mit“, wiederholte er ruhig. „Und wenn ich dich eigenhändig ins Auto verfrachten muss.“

Sie zog die Brauen hoch. „So weit würdest nicht einmal du gehen.“

Nadir lachte hart auf. Wenn sie wüsste, wie knapp er davor stand, genau das zu tun!

„Wovor hast du eigentlich Angst, habibi?“

„Ich habe keine Angst. Ich bin verwirrt“, antwortete sie offen und ehrlich. „Was willst du?“

„Reden.“ Es gab eine Menge Fragen zu klären: nicht zuletzt die, wie sie sich so gründlich hatte verstecken können, dass seine Leute sie erst jetzt aufgespürt hatten. Dann war da noch das kleine Problem, dass er am Leben seines Kindes teilhaben wollte. Doch er zweifelte nicht daran, dass ihr das letztlich willkommen sein würde. Es bedeutete Geld und Status, und er kannte nicht viele Menschen, die Integrität und Selbstachtung vorziehen würden.

3. KAPITEL

Imogen fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Ihr Herz hämmerte, als Nadir sie zu seinem Fahrzeug führte.

Reden, hatte er gesagt. Aber wollte er das wirklich? Und warum war er wegen Nadeena so wütend auf sie?

Imogen konnte es sich nicht verkneifen, den Blick über sein Gesicht wandern zu lassen. Er war auf herbe Art immer noch der schönste Mann, den sie je gesehen hatte, mit dichtem schwarzen Haar, olivfarbenem Teint, dem kantigen Kiefer und der aristokratischen Nase. Und dann sein Mund, der je nach Laune mürrisch oder sexy wirkte …

Derzeit war er guter Laune. In Ordnung, sie würde vernünftig sein. Mit ihm reden. Seine banalen Fragen beantworten. Ihm versichern, dass sie nichts von ihm wollte. „Gut. Ich kann ein paar Minuten für dich erübrigen.“

Nadir antwortete nicht. Wieder schrillten Alarmglocken in Imogens Kopf, als ein stämmiger Chauffeur galant die Autotür für sie öffnete. Köstlich kühle Luft schlug Imogen entgegen. Sie senkte den Kopf und stieg ein, Nadeena im Tuch an ihrer Brust.

„Also, ich bin hier.“ Imogen stieß den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte. „Dann rede.“

„Dieses Gespräch kann man nicht im Auto führen.“ Nadir hob die Hand und sagte etwas in raschem … Italienisch? Griechisch? Bevor Imogen bewusst wurde, was geschah, hatte sich die Limousine in Bewegung gesetzt.

„Moment. Wohin fahren wir?“

Entschlossen, sich nicht wieder von ihm zur Marionette machen zu lassen, atmete sie tief durch. Als Nadir sie wissen ließ, dass sie zu seiner Wohnung fuhren, brauchte sie einen Moment, um zu begreifen.

„Zu deiner Wohnung? Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du hast mich nicht richtig verstanden. Ich sprach von ein paar Minuten hier. Im Auto. Außerdem ist es verboten, ohne Babyschale einen Säugling im Auto zu transportieren.“

Nadir beugte sich vor und sprach wieder mit seinem Fahrer, der unverzüglich das Tempo drosselte.

„Es ist nicht weit bis zu meiner Wohnung. Und du bist diejenige, die nicht richtig verstanden hat, Imogen. Wir müssen reden, und ein paar Minuten reichen bei Weitem nicht mal für das erste Thema aus.“

Imogen kniff die Augen zusammen. „Wieso nicht? Vor vierzehn Monaten habe ich getan, was du wolltest, indem ich dir aus den Augen ging. Ich verstehe nicht, was du jetzt von mir willst.“

Er verzog die schön geschwungenen Lippen zu einem Grinsen. „Ja, du warst verschwunden. Und du hast mir immer noch nicht gesagt, wie sie heißt.“

Zum Glück hielt das Auto am Straßenrand, bevor Imogen antworten musste. Mit einem flauen Gefühl im Bauch folgte sie Nadir durch die geräumige Eingangshalle.

„Wann bist du nach London gezogen?“ Hatten sie womöglich die ganze Zeit in derselben Stadt gelebt?

„Bin ich nicht.“ Er betätigte die Lifttaste, und Imogen fiel wieder ein, dass er selbstverständlich in den meisten größeren Finanzzentren der Welt eine Wohnung unterhielt.

Imogen sah sich flüchtig in seinem elegant eingerichteten Wohnzimmer um und schüttelte im Geiste den Kopf über den frappierenden Kontrast ihrer Lebensumstände. Natürlich hatte sie, als sie ihn kennenlernte, gewusst, dass er reich war – ihre Kolleginnen hatten sie informiert –, doch abgesehen von seiner absolut gottvollen Wohnung auf der Île Saint-Louis hatte sich ihre gemeinsame Zeit unglaublich normal gestaltet. Nachts im gemeinsamen Bett, morgens in der Patisserie an der Ecke, nachmittags Spaziergänge oder Joggen an der Seine. Und wieder ins Bett.

Imogen schüttelte die Erinnerungsflut ab, ging zielstrebig zu der großzügigen Sitzgruppe und legte Nadeena auf eines der üppigen Sofas. Sie sah sich nach Nadir um und bat ihn, ihr die Wickeltasche zu reichen. Er blieb neben ihr stehen, als sie Nadeenas Windel wechselte.

Natürlich hörte Nadeena in dem Moment auf zu schreien. Sie fixierte Nadir aus großen, neugierigen Augen, wie die meisten Frauen, wenn sie ihn zum ersten Mal sahen. Nadeena blinzelte, und eine kleine Falte erschien zwischen ihren runden silberblauen Augen.

„Sie hat meine Augen“, bemerkte Nadir mit rauer Stimme.

Die Ehrfurcht in seiner Stimme war nicht zu überhören, und unerwartete Gefühle wallten in Imogens Brust auf. Komplizierte, zum Teil widerstrebende Gefühle, die nur schwer zu benennen waren.

„Fertig, meine Kleine.“ Sie hob Nadeena hoch, legte sie sich an die Schulter und betete stumm, sie möge nicht weinen. Dann sah sie Nadir an. „Ich muss sie füttern.“

Nadir winkte lässig. „Nur zu.“

Imogen befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen. „Dazu brauche ich Privatsphäre.“

Er stutzte, und Imogen war überzeugt, dass sie knallrot wurde.

„Du stillst?“

„Ja.“

Als sie weiterhin zögerte und Nadeena unruhig wurde, drehte Nadir sich um und ging zu den hohen Fenstern mit Blick auf einen dicht bewachsenen grünen Park – der höchstwahrscheinlich auch ihm gehörte. Rasch schob Imogen ihr T-Shirt hoch und legte Nadeena an, die gierig trank.

„Wann hattest du vor, mir zu sagen, dass ich ein Kind gezeugt habe, Imogen?“ Seine ruhige Frage, in verächtlichem Ton vorgebracht, traf Imogen wie ein Schwall Eiswasser. Nadir baute sich vor ihr auf. „Nie? Ist das das Wort, das dir im Augenblick im Hals stecken bleibt, habibi?“

„Nenn mich nicht so“, fauchte Imogen. Sie konnte ihre aufgewühlten Gefühle nicht mehr beherrschen.

„Glaub mir, es ist besser als die andere Bezeichnung für dich, die mir auf der Zunge liegt.“

Imogen hatte Nadir nie zuvor wütend erlebt, und es stand ihm großartig. Er wirkte grimmig und stolz und so kraftvoll.

Sie schluckte, verärgert darüber, dass sie ihn immer noch so ausgesprochen attraktiv fand. „Wie kannst du es wagen, die Rolle des Gekränkten zu spielen?“, fuhr sie ihn an. Sie war doch diejenige, der während der Schwangerschaft hundeelend zumute gewesen war. Sie hatte mutterseelenallein im Kreißsaal gelegen, als Nadeena zur Welt kam. Sie hatte Tag für Tag mit den Anforderungen der Mutterschaft und der Sorge für den Unterhalt gerungen. Und von ihm hatte sie nichts verlangt. Absolut nichts.

„Mir geht es sehr gut, seit du aus meinem Leben verschwunden bist“, sagte sie, am ganzen Körper bebend vor Anspannung. „Ich habe auf mich allein gestellt sehr gut überlebt. Ich habe mir ein Leben aufgebaut, und Nadeena ist gesund. Sie ist glücklich und …“

„Nadeena?“

Imogen schloss ganz fest die Augen. Ihre Wut fiel in sich zusammen, als Nadir den Namen des Kindes wiederholte. Sein Tonfall erinnerte sie irgendwie daran, wie einsam sie sich nach der Trennung von Nadir gefühlt hatte. Natürlich hatte sie sich auch früher hin und wieder einsam gefühlt, aber sie hatte geglaubt, an Nadirs Seite einen Blick – einen Vorgeschmack – auf ein Paradies zu erhaschen, das ihr entzogen wurde, als sie am wenigsten damit rechnete.

Wieder stiegen übermächtige Erinnerungen in ihr auf, und sie konnte Nadir nicht ansehen. „Warum bin ich hier, Nadir?“

Er sagte nichts, lehnte sich gegen den Esstisch aus Kirschholz und fixierte Nadeena, die wie ein zufriedenes Kätzchen Imogens T-Shirt bearbeitete. Sein Schweigen dehnte sich aus. Strapazierte Imogens Nerven, die gespannt waren wie Gitarrensaiten.

„Was soll das alles, Nadir? Wenn ich mich recht erinnere, warst du doch derjenige, der am Morgen, nachdem er von meiner Schwangerschaft erfahren hatte, die Stadt verließ. Willst du jetzt behaupten, du hättest versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen?“ Sie wehrte sich gegen die heimliche Freude darüber, dass er sich vielleicht um sie gesorgt hatte. Dass sie ihm vielleicht doch etwas bedeutete … Eine andere, eher skeptische Stimme erinnerte sie an die schreckliche SMS, die er ihr geschickt hatte. Trotzdem kämpfte sich eine tief verborgene Hoffnung an die Oberfläche.

„Ich musste dringend nach New York, es handelte sich um einen Notfall. Bei meiner Rückkehr nach Paris warst du verschwunden. Es war fast, als hätte es dich nie gegeben“, sagte Nadir mit heiserer Stimme.

Sein Sarkasmus ärgerte sie, und sie straffte sich. „Ich bin nicht verschwunden. Ich bin abgereist.“

„Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, spurlos. Niemand wusste, wo du warst.“

Imogen holte tief Luft, versuchte, ihre Gefühle zu beherrschen, um vernünftig denken zu können. „Warum hast du überhaupt nach mir gesucht?“

„Weil du mir, bevor du davongelaufen bist, eröffnet hast, dass du angeblich schwanger von mir warst.“

„Ich bin nicht davongelaufen“, stieß sie gepresst hervor. „Warum sollte ich, nachdem du überdeutlich klargestellt hattest, dass du nichts mehr mit mir zu schaffen haben wolltest?“

Sie merkte selbst, wie herausfordernd sie klang, und ihr wurde bewusst, dass in ihr immer noch die leise Hoffnung lebte, er würde ihre Bemerkung entkräften.

„Ich habe dir aus New York eine SMS geschickt.“

Imogen verzog bitter den Mund. Diese schreckliche SMS hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. „Ach, bitte“, höhnte sie. „Lass uns nicht über deine nette SMS reden.“

„Und auch nicht über deine Antwort“, knurrte er. „In der du mir mitgeteilt hast, dass du dich um alles gekümmert hättest.“

Sie warf ihren Pferdeschwanz über die Schulter zurück, sorgsam darauf bedacht, Nadeena nicht zu wecken, die erneut in einen tiefen Schlaf gesunken war. „Ich habe mich gekümmert“, sagte sie leise und drückte Nadeena fester an sich.

„Ja, aber nicht so, wie ich vermutet hatte.“

Gehofft hatte, das war es, was sein Tonfall zum Ausdruck brachte. Und das war auch der Grund, warum er sie gesucht hatte. Er wollte sichergehen, dass sie getan hatte, was er von ihr erwartet hatte.

„Und jetzt musst du dich um die Folgen kümmern“, erklärte Nadir brüsk und sah sie an, als wäre sie irgendwie verantwortlich für alles Böse in der Welt.

4. KAPITEL

Imogen schwieg entsetzt und konzentrierte sich auf ihre Tochter anstatt auf das flaue Gefühl in ihrem Magen.

Darauf bedacht, Nadeenas Schlaf nicht zu stören, erhob sie sich vom Sofa und wiegte das Kind in ihren Armen.

Nadir drehte sich zu ihr um. Hastig zupfte sie ihr T-Shirt zurecht.

„Wohin willst du?“

Als Reaktion auf seinen unwirschen Ton reckte Imogen das Kinn vor. „Nach Hause.“

„Zu diesem Warmduscher, mit dem du zusammen warst?“

Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er Minh meinte, hatte jedoch keine Lust, sich auf eine weitere unnütze Diskussion mit ihm einzulassen. Und so unlogisch es auch war, warnte ihr Bauchgefühl sie, dass er sie niemals gehen lassen würde, wenn sie seine Frage ehrlich beantwortete. Doch genau das würde sie tun. „Du hast kein Recht, mich danach zu fragen. Aber ich wüsste gern, warum du mich hierher gebracht hast. Die reine Zeitverschwendung für dich und mich.“

Er sah ihr in die Augen, fuhr fort, als hätte sie nichts gesagt: „Ist er dein derzeitiger Liebhaber?“

Imogen erschauderte. Sie drückte Nadeena fester an sich. „Beantworte meine Fragen, dann beantworte ich auch deine.“

„Entschuldige.“ Nadirs Stimme, seine Haltung – sein Auftreten insgesamt – wirkten auf raubtierhafte Weise wachsam. „Hast du geglaubt, du wärst in der Position, mit mir handeln zu können?“

Imogen rieb sich die Nasenwurzel. Allmählich wurde Nadeena schwer in ihren Armen.

„Was ich geglaubt habe“, sagte sie, legte ihre Tochter aufs Sofa und sicherte sie mit Polstern ab, „war, dass du kein Interesse an mir hast. Daran, was ich treibe und wo ich lebe.“

„Du bist die Mutter meines Kindes“, erwiderte er, als wären damit sämtliche Fragen beantwortet.

Und dann begriff Imogen, warum sie hier war, und sie hätte über ihre eigene Dummheit lachen mögen. Hier ging es nicht um die romantische Wiedervereinigung eines ehemaligen Liebespaars. Hier ging es um einen Mann, der nur Selbstschutz ihm Sinn hatte. „Wir haben bereits festgestellt, dass dir das egal ist.“

„Es ist mir nicht egal.“

Imogen verzog spöttisch den Mund. Er wollte wohl sagen, dass ihm nicht egal war, wie viel Unterhalt sie von ihm verlangen würde.

„Verstehe“, meinte sie tonlos. „Wenn ich es auch unglaublich egoistisch von dir finde, dass du dein eigen Fleisch und Blut nicht versorgen möchtest, dürftest du froh sein zu hören, dass ich nichts von dir will.“

„Wie bitte?“

„Ich erwarte auch nicht, dass du sie besuchen möchtest, und das ist mir mehr als recht.“

Er fing an zu lachen, was sie noch mehr empörte. „Ich verstehe nicht, was du so lustig findest. Wenn man mal genau darüber nachdenkt, ist es eine Farce. Und ich versuche, nicht darüber nachzudenken.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

„Ich bin ganz sicher nicht der Ansicht, dass es zum Lachen ist, wenn jemand sein eigenes Kind im Stich lässt, aber vielleicht stehe ich allein mit dieser Meinung.“

„Nur, dass ich das Kind nicht verlassen habe. Du hast es mitgenommen.“

„Sind wir wieder an diesem Punkt angelangt?“

Er zog die Brauen hoch. „Haben wir ihn überhaupt schon abgehakt?“

„Ich will nach Hause, Nadir.“

„Das ist unmöglich“, erwiderte er barsch. „Ich hätte inzwischen längst nach Bakaan aufbrechen müssen.“

In seine Heimat?

„Lass dich von mir bitte nicht aufhalten.“

Er verzog die Lippen zu einem höhnischen Lächeln. „Das habe ich nicht vor. Aber leider bleibt uns keine Zeit mehr, Sachen aus deiner Wohnung zu holen, die du vielleicht brauchst. Wenn du mir eine Liste aufstellst, werde ich dafür sorgen, dass du bei unserer Ankunft alles Nötige vorfindest. Wir werden nicht lange bleiben. Höchstens einen Tag.“

Imogen blinzelte. „Wir?“

„Wir.“ Er nickte.

„Du musst verrückt geworden sein.“

Er zog sein Smartphone aus der Tasche und tippte eine Nummer ein, als hätte er sie nicht gehört.

„Nadir, was tust du?“

Er hob den Blick und funkelte sie an. „Ich erhebe Anspruch auf das, was mir gehört.“

Imogen zögerte. Wartete auf die Pointe. Als er ihren Blick mit dem geballten Selbstbewusstsein eines Mannes erwiderte, der es gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen, wurde ihr plötzlich ganz schwindlig.

„Ich gehöre nicht dir, habe dir nie gehört!“

„Ich meine Nadeena.“

Der scheinheilige Mistkerl!

Peinlich berührt von ihrem Trugschluss legte Imogen sich den Riemen der Wickeltasche über die Schulter. „Hast du nicht begriffen? Ich sagte doch, ich will nichts von dir.“

„Ich habe verstanden, keine Sorge.“

Sie schüttelte den Kopf. „Tja, dann gehe ich jetzt.“

Bevor sie Nadeena hochheben konnte, hatte Nadir seinen Anruf unterbrochen, zerrte ihr die Tasche von der Schulter und drehte Imogen zu sich um. „Du hast mir die ersten fünf Monate des Lebens meiner Tochter gestohlen.“ Mit jedem Wort schien sein Ton härter zu werden, obgleich er nicht die Stimme erhob. „Mehr wirst du mir nicht wegnehmen.“

Gestohlen? Imogens Knie begannen zu zittern, und die alte Angst meldete sich mit Macht zurück. „Ich habe dir nichts weggenommen. Außerdem, woher willst du wissen, dass sie wirklich dein Kind ist?“

Ein triumphierendes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. „Sie hat meine Augen.“

Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam Imogen, und ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt. „Natürlich musst du einen DNA-Test machen lassen. Was redest du für einen Unsinn? Kein reicher Mann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte erkennt ein Kind ohne DNA-Test an.“

Nadir lachte, und dieses Mal klang er wirklich erheitert. „Du warst schon immer ein kleines bisschen anders als andere Frauen, habibi.“ Seine Stimme, so sanft und tief, überflutete ihren verwirrten Verstand mit Erinnerungen. „Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde meine Pflichten ihr gegenüber erfüllen.“

Seine Pflichten?

Entsetzen packte sie. Hatte er das damit gemeint, als er sagte, er wolle beanspruchen, was ihm gehört? Ach, sie wollte es gar nicht wissen. Nicht in diesem Augenblick. „Meinetwegen brauchst du dich Nadeena gegenüber nicht anständig zu verhalten.“

Nadir fuhr sich ungeduldig durchs Haar. „Ich werde es trotzdem tun.“ Er kniff die schönen Augen zusammen. „Hör jetzt auf zu streiten und gib mir die Liste der Sachen, die du für den Aufenthalt in Bakaan benötigst.“

Imogen kämpfte um innere und äußere Ruhe. Sie fühlte sich, als müsste sie sich einem heftigen Windstoß entgegenstemmen, der sie an den Rand einer sehr hohen Klippe drängte. Plötzlich ließ ein entsetzlicher Gedanke ihr das Blut in den Adern gefrieren. „Ich erlaube nicht, dass du mir mein Baby wegnimmst, Nadir.“ Der angstvolle Unterton in ihrer Stimme ärgerte sie. „Falls du das vorhast.“ Diese Möglichkeit hatte sie bisher noch gar nicht in Betracht gezogen, doch jetzt konnte sie den Gedanken daran nicht mehr abschütteln.

Nadir warf ihr einen gereizten Blick zu. „Wenn ich das wollte, könntest du mich nicht daran hindern.“

„Doch. Ich würde … Angst schnürte ihr die Kehle zu. „Ich werde …“

„Aber ich will es nicht.“ Er winkte entnervt ab. „Ich bin nicht so herzlos zu leugnen, dass ein Säugling die Mutter braucht. Deswegen will ich dich heiraten.“

Sie heiraten!

Imogen schüttelte den Kopf, wehrte sich gegen die aufkeimende Hysterie. Sie brauchte Zeit, um alles, was an diesem Tag geschehen war, zu verarbeiten. Im Moment wusste sie einfach nicht mehr weiter.

„Vergiss das Atmen nicht, Imogen.“ Nadir legte ihr die Hände auf die Schultern. Sie wich zurück, entsetzt darüber, dass er ihr unbemerkt so nahe gekommen war.

Imogen schüttelte den Kopf. Die Panik hatte sie fest im Griff. „Du musst verrückt sein, wenn du glaubst, ich würde dich heiraten. So, wie du mich behandelt hast …“

Nadir presste die Lippen zusammen. Seine ganze Haltung drückte kaum gebändigte Wut aus. „Ich kann dir versichern, dass ich nicht verrückt bin. Ich hatte viel Zeit, meine Alternativen zu überdenken, während du dich versteckt gehalten hast. Und meine Entscheidung ist nicht verhandelbar.“

Imogen versuchte, ihr innerliches Zittern zu unterdrücken. „Ich habe mich nicht versteckt gehalten.“

„Das ist jetzt irrelevant.“

Sie lachte. Was konnte sie sonst tun? „Du kannst nicht einfach wieder in meinem Leben auftauchen und glauben, du könntest machen, was du willst.“ Genau so hatte ihr Vater sich verhalten. Er kam und ging, wie es ihm passte, ohne Rücksicht auf Imogen oder ihre Mutter. Sie würde sich und ihre Tochter bestimmt nicht an einen Mann fesseln, der aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie ihr Vater. „Ich werde kämpfen.“

„Womit?“ Dass sie die Hände zu Fäusten geballt hatte, registrierte sie erst, als Nadir mit einem spöttischen Blick ihre Aufmerksamkeit darauf lenkte. Er umfasste ihre Hände mit seinen bedeutend größeren. „Mit diesen hier, hm? Ich muss gestehen, dass ich dich trotz deines Temperaments im Bett nicht für gewalttätig gehalten habe.“

Bis zu diesem Tag hatte sie das auch nicht vermutet. „Nadir, wir hatten eine Affäre“, schleuderte sie ihm seine eigenen Worte ins Gesicht und versuchte, sich aus seinem unerbittlichen Griff zu befreien. „Wir haben nur … ein paar Mal … miteinander geschlafen.“

Er wehrte ihre schwachen Befreiungsversuche mit Leichtigkeit ab und zog Imogen enger an sich. „Lass mich nachrechnen“, überlegte er laut. „Vier Wochenenden, etwa dreimal täglich, nachts noch öfter.“ Er senkte den Blick auf ihren Mund und ließ ihn dort verweilen, bevor er ihr wieder in die Augen sah. „Man muss nicht Einstein heißen, um zu wissen, dass es mehr war als ein paar Mal, habibi. Und wir hatten guten Sex.“

Seine Worte und sein Tonfall brachten sie völlig aus dem Konzept.

„Es hatte nichts zu bedeuten“, presste sie hervor, immer noch bemüht, ihre Hände aus seinen zu befreien. Wünschte, sein Griff würde ihr wehtun, um sie von dem Gefühlsaufruhr abzulenken, den seine Nähe in ihr bewirkte. Sie konnte nicht mehr klar denken, als sein männlicher Geruch sie einhüllte. Ihre empfindlichen Brustspitzen richteten sich in ihrem Spitzen-BH auf, und das tiefe, sehnsüchtige Ziehen zwischen ihren Schenkeln erinnerte sie daran, wie es einmal zwischen ihnen gewesen war.

„Nichts?“ Ein gefährlicher Unterton schwang in seiner leise gestellten Frage mit. Imogen sah auf, doch ihr Blick blieb an seinem Mund hängen, der ihrem so nahe war, dass sie seinen Atem auf ihren Lippen spüren würde, wenn sie nur lange genug stillhielte. „Nichts, Imogen? Das glaube ich nicht.“

„Ich nehme mir einen Anwalt“, stieß sie außer Atem hervor.

Er lachte. „Soweit ich über deine Finanzen informiert bin, kannst du dir nicht einmal einen vernünftigen Babysitter leisten.“

„Du … Mistkerl!“

Sein Blick bohrte sich in ihren. „Und welches Gericht würde sich wohl auf die Seite einer Mutter stellen, die dem Vater ihres Kindes dessen Existenz verschwiegen hat? Die ihr Baby bei Freunden unterbringt, wenn sie zur Arbeit geht?“

„Das tun viele Mütter.“

„Ja, aber nicht viele Mütter haben ein Kind von königlichem Geblüt. Nadeena ist eine Bakaani-Prinzessin.“

„Für mich nicht.“

„Ach nein?“

„Nein!“, rief sie, empört über seinen zynischen Tonfall. „Für mich ist sie nur ein unschuldiges Kind, keine Handelsware. Und kein Gericht der Welt würde einen Vater begünstigen, der so denkt.“

Nadir zog eine Braue hoch. „So naiv kannst du doch gar nicht sein.“

„Nadir, hör auf damit, ich bitte dich.“

„Ja, wirklich?“

In Erinnerung an das letzte Mal, als sie diese Worte zu ihm gesagt hatte, wurde sie rot. Die Reaktion ihres Körpers war heftig, als wäre dieses letzte Mal erst fünf Minuten her. Das Gefühl, hingebungsvoll unter ihm zu liegen, die Hände über dem Kopf von seiner starken Hand umfasst, während er mit den Knien ihre Schenkel spreizte. Das Gefühl der seidigen Härte, als er in sie eindrang. Die unbeschreibliche Lust, seiner männlichen Kraft nachzugeben.

Ihr Körper spannte sich an, sie war beschämt. Imogen versuchte, sich aus Nadirs eisenhartem Griff zu entwinden, wobei sie sich erst des Drucks seiner Hüften, seiner harten Erektion an ihrem Schoß bewusst wurde.

Imogen sah ihn erschrocken an. „Nein.“

Er stieß ein hohles Lachen aus. „O ja, Imogen, du erregst mich immer noch“, bekannte er, und seine Stimme klang belegt. „Trotz deines Verrats.“

Er neigte den Kopf, und sie stemmte sich gegen seine Brust. Imogen wollte ihn nicht – nicht noch einmal. Er hatte ihr vorgeworfen, sie hätte während ihrer Beziehung mit einem anderen geschlafen – wahrscheinlich hatte er in dieser Zeit selbst andere Frauen gehabt. Und er war der Meinung, sie hätten eine Affäre gehabt, die er problemlos beenden konnte, während sie innerlich beinahe starb, als er sie verließ. Sie wollte ihn nicht. Durfte ihn nicht wollen!

Doch sie begehrte ihn. Sämtliche Gegenargumente waren bedeutungslos, als seine Lippen ihre in einem heißen Kuss berührten, der sie die Zeit ihrer Trennung sofort vergessen ließ. Trotzdem versuchte Imogen, ihm zu widerstehen, presste verzweifelt die Lippen zusammen.

Eine Schutzmaßnahme gegen ihr eigenes rasendes Bedürfnis, Nadir zu berühren und von ihm berührt zu werden … Als er ihre Verwirrung ausnutzte und seine Zunge in ihren Mund schob, war Imogen verloren. Er fühlte sich einfach zu gut an, schmeckte zu gut, und es war so lange her. Ja, es war so schrecklich lange her, dass sie die Lippen eines Mannes auf ihren gespürt hatte. Die Lippen dieses Mannes.

Sie versuchte ihn nicht mehr wegzuschieben, sondern zog ihn zu sich heran. Strich mit beiden Händen über die harten Muskeln seines Rückens, umfing seinen Nacken. Verlangend erwiderte sie seinen Kuss, wollte mehr. Und Nadir gab ihr mehr. Bereitwillig. Ungeduldig. Küsste sie hungrig, voller Leidenschaft, als wollte er sie nie mehr loslassen.

Mit einer Hand umfasste er ihr Kinn. Ein tiefes Stöhnen entrang sich seiner Kehle, während er an Imogens Lippen saugte, als sehnte er sich genauso verzweifelt nach ihr wie sie sich nach ihm.

In diesem Moment schien nichts anderes zu zählen. Die Welt um sie herum versank. Die Welt versank. Nur noch sie beide existierten. So, wie es immer gewesen war, wenn sie zusammenkamen. Wie Magie.

„Nadir“, flüsterte Imogen. Sie erschauerte wohlig, als er ganz zart über ihren Rücken strich, ihre Taille umfasste, dann ihren Po und sie so noch enger an sich drückte. So eng, dass ihr ganz heiß wurde. Aufstöhnend schob sie die Finger in sein Haar, wollte ein Bein um seine Hüften schlingen.

Und dann war sie plötzlich frei. Nadir hatte sich abrupt von ihr gelöst und hielt ihr die Hand hin, damit Imogen nicht das Gleichgewicht verlor. „Anscheinend kann ich dich auch noch richtig scharfmachen, hm, habibi?“

Wie bitte?

Benommen blinzelte sie zu ihm auf, dann sanken seine herablassenden Worte in ihr Bewusstsein ein. Sofort war sie entsetzt über ihr Benehmen.

Hatte er sie nur geküsst, um ihr etwas zu beweisen? Zum Beispiel, wie schwach sie war, was ihn betraf? Um zu beweisen, wie viel Macht er immer noch über sie besaß? Heiße Röte stieg ihr ins Gesicht, und sie war so wütend, dass sie Nadir hätte schlagen mögen.

„Sei nicht dumm, Imogen“, sagte er mit rauer Stimme und zog erneut sein Smartphone aus der Tasche. „Du kannst nicht sämtliche Bedürfnisse deiner Tochter erfüllen, und ich will, dass sie behütet aufwächst.“

„Das will ich auch. Und deswegen würde ich dich niemals heiraten.“

An der Art, wie er den Rücken straffte, erkannte sie, dass ihm das nicht gefiel. „Nun mal im Ernst“, fuhr sie in dem verzweifelten Versuch fort, ihn bei seiner Vernunft zu packen. „Du hast Nadeena nie gewollt.“

„Mag sein, dass ich Nadeena nicht geplant habe.“ Seine Miene wurde noch grimmiger. „Aber jetzt ist sie da, und mein Plan ist die beste Lösung.“

Imogen war alarmiert. Nadeenas emotionales Wohlergehen stand auf dem Spiel, und Imogen hatte sich bereits vor langer Zeit geschworen, lieber eine alleinerziehende Mutter zu sein, als ihr Kind von einem Elternteil aufziehen zu lassen, der es nicht wollte. Schon gar nicht von einem selbstherrlichen Tyrannen, wie Nadir einer geworden war. Nun, vielleicht war er auch schon immer so gewesen. Sie hatte ihn schließlich nie zuvor herausgefordert, oder? „Dein Plan ist die schlechteste Lösung.“

Nadir hob das Smartphone ans Ohr. „Bjorn, informiere Vince, dass wir in einer Stunde am Flughafen sind.“

Ein diskretes Klopfen an der Tür unterbrach das Schweigen, das darauf folgte, und Nadir ging, um zu öffnen.

„Also, Imogen?“

Sie sah ihn, hoffte, er würde nun sagen, alles wäre nur ein Scherz gewesen. „Du wirst mich heiraten.“

5. KAPITEL

Das Flugzeug erhob sich in die Luft, und Nadir fragte sich, ob er noch ganz bei Trost war, dass er Imogen und Nadeena nach Bakaan mitnahm.

Einmal war sie davongelaufen. Er würde ihr keine weitere Gelegenheit dazu geben.

Unwillkürlich dachte er an den Sonntagnachmittag, an dem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte – ein Sommertag in Paris mit außergewöhnlich blauem Himmel. Um nicht an seinen bevorstehenden Flug zurück nach New York denken zu müssen, waren sie durch die Stadt geschlendert.

Nadir hatte Imogen einige seiner Lieblingsplätze gezeigt, und sie hatte ihn, wie es ihm vorkam, auf jeden nur erdenklichen Flohmarkt des Universums geschleppt. Dort hatte er erfahren, dass sie für ihr Leben gern Auberginen nach provenzalischer Art aß und alte Postkarten und Halstücher sammelte. Der Nachmittag endete damit, dass sie sich über seiner Kloschüssel erbrach und ein Arzt ihren Zustand mit einem so fröhlichen Tamtam verkündete, dass es Nadir die Sprache verschlug.

Zugegeben, er hatte die Nachricht nicht gut aufgenommen. Welcher zufriedene Junggeselle würde sich schon freuen, aus heiterem Himmel Vater zu werden? Also war er nach New York zurückgeflogen und hatte seinen Tausend-Dollar-die-Stunde-Anwalt konsultiert.

„Lass dir zuerst bestätigen, dass das Kind von dir ist.“

Als Nadir einwandte, dass er damit neun Monate würde warten müssen, schüttelte der Anwalt den Kopf. „Aber nein“, sagte er. „Die moderne Medizin ist schon viel weiter. Es gibt einen Test, Amnio-irgendwas. Vor ein paar Monaten musste ich den für einen Klienten organisieren. Junge, Junge, war der froh, als das Ergebnis negativ war. Die Dame war durch zahlreiche Betten gehüpft. Wollte ihm das Kind eines anderes unterschieben.“

Sein Anwalt schüttelte empört den Kopf, und Nadir brummte eine Zustimmung. Es erschien ihm sinnvoll, Imogen zu diesem Test aufzufordern. Deshalb schrieb er ihr eine entsprechende SMS. Was in seinen Augen nur vernünftig war.

Sie bei seiner Rückkehr nach Paris nicht mehr anzutreffen, entbehrte dagegen seiner Meinung nach jeglicher Vernunft.

Ein Traum, der ihn im Lauf der vergangenen vierzehn Monate häufig heimgesucht hatte, kam ihm in den Sinn. Immer ging es um ein Kind unbestimmten Geschlechts. Doch die Augen waren grün unter geschwungenen braunen Wimpern. Gewöhnlich verwandelte das Baby sich dann in eine Frau, die Imogen verdächtig ähnlich sah, und Nadir wachte auf. Meistens schweißgebadet. Meistens fluchend.

Nadir klappte seinen Laptop auf, entschlossen, sich während des restlichen Flugs auf seine Arbeit zu konzentrieren. Sobald er seinen Thronverzicht erklärt und Imogen geheiratet hatte, würde sein Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen. Zumindest so normal, wie ein Leben mit Frau und Kind sein konnte. Seltsam, warum störte ihn diese Vorstellung nicht halb so sehr wie noch vor vierzehn Monaten?

Heiraten?

Das Wort echote zum tausendsten Mal durch Imogens Gedanken. Sie hoffte inständig, dass Nadir inzwischen zur Vernunft gekommen war und einsah, wie lächerlich diese Vorstellung war.

Die beste Lösung …

Zwingen konnte er sie nicht. Das konnte heutzutage niemand mehr. Das Schlimmste, was er unternehmen konnte, war, sie vor Gericht zu zerren und um das Sorgerecht für Nadeena zu kämpfen. Und das war … Sie schluckte und blickte verstohlen zur anderen Seite des Gangs, wo er in seine Arbeit vertieft saß. Konnte er gewinnen? Würde ein Gericht ihm seine rührselige Geschichte von der Mutter, die mit seiner Tochter untergetaucht war, abnehmen?

Nicht, dass sie untergetaucht wäre, sie hatte einfach nur ihr Leben in die Hand genommen. Ohne ihn. Er hatte ja keinen Platz in ihrem Leben haben wollen. Das zumindest hatte sie seiner SMS entnommen.

Noch immer erinnerte sie sich mit Deutlichkeit an das Glücksgefühl beim Eingang seiner Textnachricht. Bevor sie sie endlich öffnete, hatte sie sich bereits ein wunderschönes Märchen über den Inhalt zusammengesponnen. Mit allem Möglichen hatte sie gerechnet, nicht aber mit dem, was die Nachricht tatsächlich enthielt.

Imogen, bereits vor der Geburt kann ein DNA-Test vorgenommen werden. Ich habe einen Termin bei einem Spezialisten für dich vereinbart. Falls es sich um mein Kind handelt, melde ich mich.

Am Boden zerstört von seiner Herzlosigkeit war Imogen abgereist. Hatte sie denn eine andere Wahl gehabt? Ihn anflehen? Sie hatte immer noch ihren Stolz.

Seufzend rieb sie sich den Nacken. Es war doch Unsinn, dass er mit einer einzigen Berührung ihr Herz immer noch schneller schlagen und ihren Körper nach mehr verlangen ließ. Wie konnte ein Mann, der im Grunde ein Fremder war und ihre Bedürfnisse und Wünsche völlig außer Acht ließ, eine derartige Wirkung auf sie ausüben?

So sollte es eigentlich nicht sein. Das war die logische Antwort. Damals in Paris, ja. Damals war ihre Mutter gerade gestorben, und einen Monat später hatte ihr stets abwesender Vater wieder geheiratet, und Imogen hatte dringend eine Veränderung gebraucht. Sie hatte Aufregung und Abenteuer gesucht. Leidenschaft.

Unglücklich verzog sie das Gesicht.

Vielleicht sollte man gründlich überlegen, was man sich wünschte.

Denn ihre Wünsche hatten sich erfüllt. Die Aufregung. Das Abenteuer. Die Leidenschaft. All das hatte sie in Gestalt eines Mannes erlebt, der einen bisher unbekannten Hunger in ihr weckte und ihr ein Kind schenkte. Das Kind, das sie liebte. Mit dem Kind kam sie gut zurecht. Mit dem Mann weit weniger gut. Schon gar nicht, wenn er sie küsste, wenn er sie berührte.

Imogen versuchte, ihre Angst abzuschütteln. Bestimmt bereute Nadir längst seinen unbedachten Heiratsantrag. Außerdem konnte ein „Du wirst mich heiraten“ wohl kaum als Antrag betrachtet werden. Wahrscheinlich überlegte er längst, wie er sich elegant aus der Affäre ziehen konnte.

Ihr Optimismus hielt bis zur Landung an. Dann fand Imogen sich auf einem kleinen Flughafen wieder. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich Bakaan wie Dubai vorgestellt – oder vielmehr wie das, was sie von Dubai auf Fotos gesehen hatte. Offensichtlich ein Irrtum. Trotzdem verrieten ihr die wenigen traditionell gekleideten Menschen und die heiße, von würzigen Düften erfüllte Luft, dass sie in ein altes, geheimnisvolles, verlockendes Reich eingetreten war.

Als der Wagen durch die dunkle Nacht und einen Abhang zu einem eindrucksvollen, hell beleuchteten Palast hinaufraste, der wie eine goldene Luftspiegelung über der Stadt thronte, erschauerte sie. So ungern sie es zugab, war sie doch ein wenig beunruhigt und schwer eingeschüchtert vom Anblick des Palastes und dem sehr deutlichen Empfinden, dass sie, nicht Nadir, in der Falle saß.

„Sheikh Nadir, wie schön, Sie wiederzusehen.“

Imogen blickte an Nadir vorbei auf einen kleinen, weißhaarigen Diener im weißen Gewand, der auf den glatten Steinstufen zum Palast kniete. Sein feierlicher Tonfall verstärkte Imogens Unbehagen.

„Staph –“ Nadir zog den alten Diener auf die Füße. „Ich habe dich neulich schon gebeten, das zu unterlassen.“

Er war erst kürzlich hier gewesen?

Der Diener verzog den Mund, doch der feierliche Ton blieb unverändert. „Wir sind froh über Ihre Rückkehr, Sheikh.“

„Wenn ich es nur auch wäre.“ Dann wechselte er ins Arabische, und der alte Mann verbeugte sich vor Imogen, strahlte sie an und ließ einen guttural klingenden Redeschwall los. Imogen lächelte zögernd. Sie hätte gern gewusst, was Nadir gerade zu ihm gesagt hatte.

Nadirs Züge wurden weich, als sein Blick auf seine Tochter fiel, die in Imogens Armen schlief. „Soll ich sie dir abnehmen?“

„Nein!“ Nadir hatte angeboten, Nadeena zu tragen, als sie das Flugzeug bestiegen, doch Imogen hatte abgelehnt. Auch jetzt wollte sie es nicht zulassen, obwohl sie sich deswegen schrecklich egoistisch vorkam. Zwischen ihnen war einfach noch zu viel ungeklärt. „Nein. Ich halte sie.“

Er kniff die Augen zusammen, bedrängte Imogen aber nicht, und dafür war sie ihm dankbar. „Dann komm. Ich zeige dir unsere Suite.“

Unsere Suite?

Sie hastete hinter ihm her.

„Hoffentlich weißt du, dass ich nicht mit dir schlafe!“

Er drehte sich auf halbem Weg die Treppe hinauf um, und der Diener warf Imogen einen besorgten Blick zu.

Kopfschüttelnd ermahnte Nadir sie mit gesenkter Stimme: „Bakaan ist ein konservatives Land, Imogen, und Staph spricht ein wenig Englisch. Bitte halte alle Gespräche über unsere Situation privat.“

„Du sollst nur wissen, dass ich nicht in einem Bett mit dir schlafe, für den Fall, dass du ein anderes Zimmer für mich organisieren musst“, flüsterte sie.

„Unsere Suite verfügt über zahlreiche Schlafzimmer.“

„Na gut.“ Zum zweiten Mal wurde ihr verlegen bewusst, dass er genauso wenig mit ihr schlafen wollte wie sie mit ihm.

„Immerhin sind wir uns in diesem Punkt einig.“

In dem Blick, mit dem er sie bedachte, lag eine Mischung aus Verärgerung und etwas Düsterem, das sie nicht benennen konnte. „Imogen, im Augenblick kann ich mir nicht vorstellen, mir in irgendeinem Punkt mit dir einig zu sein. Doch die Treppe des Shomar-Palasts ist nicht der richtige Ort für derartige Gespräche.“

Imogen pflichtete ihm stumm bei und folgte ihm durch ein breites Tor in einen Innenhof mit hohen Gewölbedecken und feinen Mosaiken an den Wänden. Die champagnerfarbenen Marmorfliesen der Fußböden und das schmuckvolle Mauerwerk stammten ihres Wissens noch aus maurischer Zeit. Die Kunstwerke und jahrhundertealten Statuen ringsum erzählten eine düstere und zugleich wundersame Geschichte.

„Ist Prinz Zachim von unserem Eintreffen verständigt worden?“

„Ja, Sheikh Nadir. Benötigen Sie noch etwas?“

„Heute Abend nicht. Danke, Staph.“

Der Mann nickte. „Dann wünsche ich Euch eine gute Nacht.“ Sein Englisch klang gestelzt, doch Imogen wusste seine Bemühungen zu schätzen. „Und herzliche Glückwünsche, meine Dame.“

Dieses Mal wartete Imogen, bis der Diener sich zurückgezogen hatte, bevor sie fragte: „Wozu genau gratuliert er mir?“

„Zu unserer Hochzeit. Das ist dein Zimmer.“ Nadir öffnete eine Tür und wollte Imogen den Vortritt lassen.

Doch sie rührte sich nicht von der Stelle, fassungslos, weil Nadir von Hochzeit sprach, obwohl sie nicht zugestimmt hatte. „Du hast ihm gesagt, wir würden heiraten, obwohl ich klar und deutlich abgelehnt habe?“

„Nicht ganz.“

„Was heißt ‚nicht ganz‘?“

„Er glaubt, wir wären bereits verheiratet.“

Imogen zog die Brauen hoch. „Ich hoffe, du hast ihn eines Besseren belehrt“, sagte sie spitz.

Sein Seufzer bedeutete wohl, dass er es nicht getan hatte. „Wie gesagt, Bakaan ist ein konservatives Land.“

„Du hast ihn belogen. Deswegen hat er sich vor mir verbeugt.“

„Ich habe nicht gelogen. Er ist davon ausgegangen, dass wir verheiratet sind.“

„Und du hast ihn in dem Glauben gelassen.“

Nadir funkelte sie gereizt an. „Das war die bessere Alternative.“

„Als welche? Dass ich deine Geliebte war und ein uneheliches Kind von dir habe?“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Vielleicht ist es dir egal, wie Nadeena in Zukunft angesehen wird. Mir aber nicht.“

„Natürlich ist es mir nicht egal. Du drehst mir einfach das Wort im Mund um, wie es dir passt. Sobald ich diesen Mann wiedersehe, werde ich es richtigstellen.“

„Das wirst du nicht tun. Ich lasse Nadeenas Namen nicht besudeln, nur weil du nicht zur Vernunft kommst.“

„Weil ich nicht zur Vernunft komme?“ Sie hatte also vergeblich gehofft, dass er sich seinen Antrag während des Flugs noch einmal überlegen würde.

Nadir blieb dicht vor ihr stehen. „Und im Grunde sind wir ja verheiratet.“

„Das sind wir ganz sicher nicht“, widersprach Imogen vehement.

„Durch eine Unterschrift auf einem Blatt Papier wird es nicht realer. Du solltest deine Bedenken abschütteln und dich an die Vorstellung gewöhnen. Aber darüber reden wir später, ja? Diese Unterhaltung sollten wir nicht vor unserer Tochter führen.“

„Sie versteht nichts“, fuhr Imogen ihn an. Innerlich kochte sie vor Wut, denn er hatte natürlich recht, und sie hätte selbst daran denken müssen. Nadeena verstand zwar nicht, was sie sagten, spürte aber durchaus die ungute Stimmung im Raum.

Imogen drängte sich an Nadir vorbei. Sie schnappte überrascht nach Luft, als sie ein traumhaft schönes Schlafzimmer mit hoher Decke und schmalen hohen Bogenfenstern, vor denen helle, fließende Vorhänge hingen, betrat. Ein Plaid aus fuchsiafarbener Seide war über das geschnitzte Doppelbett gebreitet. Die gesamte Einrichtung hätte einem Fünfsternehotel Ehre gemacht. Neben dem Bett stand ein frisch bezogenes Kinderbettchen.

„Ich dachte, du würdest Nadeena gern in deiner Nähe haben.“

Mit so viel Rücksichtnahme hatte Imogen nicht gerechnet.

„Danke“, sagte sie steif und rieb sich fröstelnd die Arme. „Ist es hier immer so kalt?“

„Immer.“

Erschrocken über seinen ernsten Tonfall, sah Imogen ihn an. Er hatte die Hände in die Taschen geschoben, seine Züge wirkten noch strenger als sonst. Nadirs finsterer Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass er nicht nur über die Lufttemperatur redete.

„Ich lasse den Thermostat der Klimaanlage einstellen. Schlaf jetzt ein bisschen. Du siehst sehr müde aus.“

Ausgezeichnet. Dann sah sie wohl genauso aus, wie sie sich fühlte.

„Ich habe Kleidung und Babyartikel für dich besorgen lassen, du findest sie sicherlich im Ankleidezimmer. Falls noch etwas fehlt, lass es mich wissen.“

„Anscheinend hast du ja an alles gedacht.“

Er fixierte sie mit einem glutvollen Blick. „Hoffen wir’s.“

Nach einem flüchtigen Blick auf Nadeena, die hellwach war und ihre neue Umgebung neugierig in sich aufnahm, ging Nadir aus dem Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.

So zivilisiert, dachte Imogen und fühlte sich selbst alles andere als zivilisiert.

„Okay, Baby. Und jetzt?“

Sie beschloss nachzusehen, was Nadir im Ankleidezimmer bereitgelegt hatte, und war regelrecht schockiert, als sie sah, wie viel er hatte besorgen lassen.

Plötzlich fühlte sie sich erschöpft und verloren. Sie zog Nadeena einen weichen baumwollenen Schlafanzug an und stillte sie. Dann legte sie sie ins Bettchen, obwohl die Kleine noch total aufgedreht war. Bis sie in den Schlaf fand, würde wohl noch einige Zeit vergehen. Vergebliche Liebesmüh, Nadeena ein Schlaflied zu singen. Stattdessen rief Imogen lieber Minh an.

„Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als ich nach deiner knappen SMS nichts mehr von dir hörte. Wie geht’s dir? Und wie geht’s unserer Süßen?“, fragte Minh.

„Nadeena geht’s gut.“ Den Flug in Nadirs Privatjet hatte sie besonders genossen. „Und ich fühle mich wie zehnmal durch die Mangel gedreht. Er will sie regelmäßig sehen“, fügte sie leise hinzu.

„Ich dachte mir schon, dass er der Vater ist, sonst wärst du jetzt nicht Bakaan. Und weißt du, er hat ein Recht darauf, sie zu sehen“, sagte Minh.

„Das weiß ich.“ Imogen sah zu, wie Nadeena das Ohr eines Kuschelbärs in den Mund schob und darauf kaute. „Zumindest verstandesmäßig weiß ich das.“ Vom Gefühl her war sie nicht bereit, Nadeenas Betreuung irgendjemand anderem außer wenigen vertrauten Freunden zu überlassen. „Ich hätte einfach nie für möglich gehalten, dass er an ihr interessiert sein könnte.“

„Tja, ist er aber eindeutig. Und vielleicht ist das gut so.“

„Ich wüsste nicht, wieso.“

„Er ist ein sehr mächtiger Mann. Er kann für ihren Unterhalt aufkommen, das ist dir klar, oder?“ Minhs Stimme wurde weich. „Und für deinen zweifellos auch.“

„Ich will sein Geld nicht.“

„Versuch es von der positiven Seite her zu betrachten“, empfahl ihr Minh. „Vielleicht ist es gar nicht so schlimm.“

Imogen stieß unwillig den Atem aus. „Er hat mich verlassen, als ich ihn am dringendsten brauchte.“ Warum tat das immer noch so weh? Sie war doch längst darüber hinweg, oder? „Wie könnte ich ihm jemals Nadeena anvertrauen? Oder mich selbst?“

„Dass er sich damals wie ein Schuft verhalten hat, steht außer Frage. Aber jetzt musst du bedenken, was für Nadeena das Beste ist.“

Imogen biss sich so heftig auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. „Für Nadeena bin ich das Beste. Nadir ist nichts weiter als ein Playboy-Prinz, der kommt und geht, wie es ihm passt, und alles kriegt, was er haben will.“ Entschlossener denn je, ihm zu widerstehen, verhärtete Imogen ihr Herz. „Ich lasse nicht zu, dass Nadeena eine Kindheit durchmachen muss, wie ich sie erlebt habe. Mehr hat Nadir nicht zu bieten.“

6. KAPITEL

Letzten Endes dauerte es eine Stunde, bis Nadeena eingeschlafen war. Als Imogen sich auf die Suche nach Nadir machte, war sie nicht darauf gefasst, ihn barfuß und ohne Hemd mit einer dunkelhaarigen, über seinen Schoß gebeugten, Frau anzutreffen.

Der Anblick schockierte Imogen, und plötzlich schoss ihr eine lange verschüttete Erinnerung an sich selbst als Fünfzehnjährige durch den Kopf. Sie hatte mit ein paar Freundinnen an einem Schulausflug teilgenommen, als sie ihrem Vater begegneten, in leidenschaftlicher Umarmung mit einer Frau, die nicht Imogens Mutter war. Die Frau hatte die Hände in sein Haar geschoben, seine Hand lag an ihrer Brust, während er sie wild küsste.

Imogen war fassungslos gewesen, hatte sich fast übergeben müssen. Die Mädchen in ihrer Begleitung hatten nervös gekichert, und ihr Vater hatte nicht einmal Zerknirschung vorgetäuscht. Er hatte sie nur finster angesehen und gefragt, warum sie nicht in der Schule war. Herrgott, an diese Szene hatte sie seit Jahren nicht mehr gedacht.

Die Frau in der weißen Abaya richtete sich auf, und Imogen sah, dass sie ein leeres Silbertablett in den Händen hielt. Auf dem niedrigen Tischchen neben dem Sofa stand ein Glas Scotch.

Imogen musste zweimal hinsehen, um zu begreifen, dass die Frau eine Bedienstete war, die sich jetzt aus dem Raum zurückzog. Sie hatte zwei und zwei zusammenzählen wollen und als Ergebnis zehn erhalten. Vielleicht war sie doch erschöpfter, als ihr bewusst war …

„Du bist sicher Imogen?“

Beim Klang der tiefen Männerstimme fuhr Imogen herum. Ein Mann, der Nadir frappierend ähnlich sah, stand am Fenster. In seinem traditionellen weißen Gewand und mit der entsprechenden Kopfbedeckung wirkte er groß und imposant. Imogen hätte ihn niemals übersehen, wenn der Anblick von Nadirs nacktem Oberkörper sie nicht so gefesselt hätte.

„Imogen, das ist mein Bruder Zachim. Zach, darf ich dir Imogen vorstellen?“

Zachim nickte. Seine Augen schimmerten bernsteinfarben im sanft beleuchteten Raum, als er Imogen musterte. „Ich erinnere mich, du bist doch die Frau aus diesem Tanzpalast. Es ist mir ein Vergnügen, dich endlich kennenzulernen.“

Unsicher, was Nadir ihm erzählt haben mochte, wusste Imogen nicht recht, wie sie sich verhalten sollte. In Zachims Anwesenheit erschien es ihr unangebracht, der Enttäuschung und der Angst in ihrem Inneren freien Lauf zu lassen, gleichzeitig wollte sie nicht bis zum Morgen warten, um mit Nadir zu sprechen. Sie wollte es jetzt hinter sich bringen. „Verzeihung, ich wollte nicht stören. Vielleicht kannst du mir Bescheid geben, wenn du Zeit für mich hast.“

„Ich dachte, du wolltest zu Bett gehen?“

Die lässige Vertrautheit, die Nadir ihr gegenüber vor seinem Bruder an den Tag legte, drängte sie auf Anhieb in die Defensive. „Wieso? Weil du es angeordnet hast?“

„Nein. Weil du aussiehst, als würdest du im nächsten Moment vor Erschöpfung umfallen.“

Imogen funkelte Nadir böse an. Sie fühlte sich noch elender, als sein Bruder sich hinter ihr diskret räusperte. „Ich lasse euch zwei wohl besser allein.“

„Nein, bitte nicht.“ Erschrocken stellte sie sich vor, welchen Eindruck sie auf ihn gemacht haben musste. „Ich wollte euch nicht stören.“

Prinz Zachims Lächeln wirkte matt. „Du hast uns nicht gestört. Mein Bruder ist aufsässig wie immer. Vielleicht kannst du ihn zur Vernunft bringen. Auf mich hört er nicht.“

„Ich werde es mir nicht anders überlegen, Zach.“

„Es ist dein Geburtsrecht.“

„Wenn du befürchtest, du würdest mir etwas nehmen, liegst du falsch. Ich will nichts mit Bakaan zu tun haben.“

„Nadir, ich weiß, du bist immer noch wütend darüber, was geschehen ist, aber …“

Nadir unterbrach seinen Bruder mit einer Handbewegung. „Gute Nacht, Zach.“

Zachim runzelte die Stirn. „Gut, Nadir. Diese Runde geht an dich.“

„Na, bravo.“ Nadir klang gar nicht begeistert.

Unwillkürlich fragte sich Imogen, worüber Nadir immer noch wütend sein mochte und was genau Zach ihm wegnahm – oder auch nicht.

„Ich muss morgen früh in die Berge fliegen.“ Zachim wandte sich zum Gehen. „Aber bis Mittag bin ich zurück.“

„Ich erwarte dich.“

Zachim wandte sich an Imogen. „Schön, dass ich dich endlich kennengelernt habe, Imogen. Ich weiß nicht recht, ob ich dir zu deiner bevorstehenden Heirat mit meinem Bruder gratulieren oder mein Beileid aussprechen soll.“ Sein Lächeln wirkte leicht ironisch. „Aber ich freue mich sehr darauf, unsere Bekanntschaft morgen beim Mittagessen zu vertiefen und meine Nichte kennenzulernen.“

Imogen lächelte herzlich. So attraktiv und dynamisch er auch wirkte, konnte er sie doch nicht so in Verwirrung stürzen wie Nadir. „Ich freue mich auch.“

Zachim salutierte spöttisch vor seinem Bruder und verließ das Zimmer. Nadir wusste, dass er das Richtige tat, wenn er Zach die Führungsrolle überließ. Sie hatten verschiedene Mütter und dadurch völlig unterschiedliche Erfahrungen mit ihrem Vater und ihrer Heimat.

Nadir lehnte es nicht nur aus Wut oder Verbitterung über die Vergangenheit ab, der nächste König zu werden. Verantwortlich waren auch die schmerzlichen Erinnerungen, die ihn jedes Mal heimsuchten, wenn er in Bakaan war. Es waren Schuldgefühle, die sein Bruder niemals verstehen würde, weil Nadir ihm nie von seinem feigen Beitrag zum Tod von Mutter und Schwester erzählt hatte. Von den Gefühlen von Scham und Unzulänglichkeit. Dem Gefühl der Leere.

„Ich bitte um Verzeihung, falls ich deine Unterhaltung mit deinem Bruder gestört habe. Das war nicht meine Absicht.“

Nadir musterte Imogen, die immer noch mitten im Zimmer stand, und griff nach seinem Scotch, um sich damit von seinen tristen Gedanken abzulenken. „Du hast uns nicht gestört, er wollte sowieso gerade gehen.“

Sie biss sich auf die Unterlippe, und er konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht wenden.

„Ist alles in Ordnung?“

Auf ihre leise gestellte Frage hin trank er einen Schluck von dem feurigen Whisky und genoss das Brennen in der Kehle. Nein, nichts war in Ordnung. „Du sorgst dich um mein Wohlbefinden, habibi? Ich bin gerührt.“

„Nicht nötig“, erwiderte sie schnell. „Es war eine Verirrung, die nicht wieder vorkommen soll.“

Nadir lächelte. Während ihrer gemeinsamen Zeit in Paris war ihm nicht aufgefallen, was für ein Dickkopf sie war. Damals hatte sie sich immer so gefreut, ihn zu sehen. Die Begeisterung stand unübersehbar in ihrem ausdrucksvollen Gesicht geschrieben und war regelrecht ansteckend gewesen. Während dieser allzu kurzen Wochenenden war auch er glücklich gewesen. Vielleicht hatte darin ihre Anziehungskraft bestanden. Den heißen Sex nicht zu vergessen … Imogen war eine aufregend temperamentvolle Bettgespielin. „Was immer du zu sagen hast, kann bis morgen warten.“

„Tatsächlich?“ Sie zog die Brauen hoch. „Weil du es anordnest, Sheikh Nadir?“

Nein, in Paris war sie eindeutig nicht so streitlustig gewesen, doch ein Teil von ihm – der Teil, der in ihrer Gegenwart stets zum Höhlenmenschen wurde – mochte diese Eigenschaft mehr, als gut für ihn war. „Ja. Und wegen deiner dunklen Augenringe, die verraten, dass du Schlaf nötiger hast als Diskussionen.“

„Tut mir leid, dass du mit meinem Aussehen nicht zufrieden bist.“ Sie knickste spöttisch vor ihm. „Ich will versuchen, mich zu bessern, Sheikh.“

„An deiner Stelle würde ich diese Anrede lieber nicht überstrapazieren“, riet er ihr leise und trank noch einen Schluck Scotch. „Ich könnte Gefallen daran finden.“

Sie setzte schon zu einer schnippischen Erwiderung an, doch dann fiel ihr Blick auf seine Hand, als er sich über die Brust strich. Nadir bemerkte, wie ihr der Atem stockte. Brachte sein Anblick sie aus der Fassung? Die Vorstellung erregte ihn.

Ein Anflug von schlechtem Gewissen regte sich in ihm. Imogen war zwar genauso schön wie damals, sah aber dennoch todmüde aus. Er ließ den Blick über ihren Körper wandern und verweilte auf ihren runden, vollen Brüsten. Sie trug keinen BH.

„Also, wie auch immer …“ Sie räusperte sich. „Ich habe mir einige Lösungsmöglichkeiten überlegt, die ich gern mit dir besprechen würde.“

„Ich habe eine bessere Idee.“

Sie legte die Stirn in Falten … und begriff. Das erkannte Nadir daran, wie sie erschrocken die ausdrucksvollen Augen aufriss. „Ich hoffe, du meinst das nicht so, wie ich glaube, dass du es meinst.“

„Oh, aber ich meine es ganz genau so.“

Sie schnappte leise nach Luft. „Wie kannst du unter diesen Umständen an Sex denken?“

Er dachte immerzu an Sex mit ihr. „Zu früh für dich, habibi? Schon gut. Ich bin ein geduldiger Mensch. Ich kann warten.“

„Hör zu, Nadir …“

„Hör du zu, Imogen.“ Er fuhr sich müde mit der Hand übers Gesicht. „Ich bin nicht in der Laune für Diskussionen. Wir können morgen nach ein Uhr mittags reden.“

„Warum? Was passiert um ein Uhr?“

Um ein Uhr sollte eines seiner lästigen Probleme geklärt sein. „Das ist nicht wichtig.“

Sie fixierte ihn aufmerksam. „Hängt es mit dem Gespräch mit deinem Bruder zusammen?“

„Es ist unwichtig.“

„Ihm schien es wichtig zu sein.“

„Er wird es verwinden.“

Sie senkte die zitternden Lider, um ihre Hilflosigkeit zu verbergen. „Behalt deine Geheimnisse für dich. Ich will sie gar nicht wissen.“

Autor

Teresa Southwick
Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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