Julia Extra Band 416

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AUF DER JACHT DES GRIECHISCHEN TYCOONS von LYNNE GRAHAM
"Mr. Zikos möchte Sie auf einen Drink einladen." Neugierig folgt Grace dem Kellner in den VIP-Bereich der Bar und trifft dort den umwerfenden Tycoon Leo Zikos. Wie Leo sie berührt, wie er sie küsst -wie heiß er sie auf seiner weißen Jacht liebt! Mit ungeahnten Folgen …

TAUSEND STERNE ÜBER DER WÜSTE von HEWITT, KATE
Scheich Aziz al Bakir und seine pikanten Geheimnisse: Olivia, seine schöne Haushälterin in Paris, kennt sie alle. Kein Wunder, dass sie schockiert ist, als der Wüstenprinz sie um einen Gefallen bittet. Nein - erpresst! Sie soll seinem Volk die verschwundene Verlobte vorspielen …

HEIRATE LIEBER MICH! von KENDRICK, SHARON
Stoppt die Hochzeit! Erin traut ihren Ohren nicht, als die tiefe Stimme in der Kirche erklingt. O mein Gott, was macht Dimitri Makarov hier? Wer hat dem Milliardär verraten, dass sie heute heiratet und einen Sohn hat - seinen Sohn?

MEIN ITALIENISCHER TRAUMMANN von FAYE, JENNIFER
Suchend schaut Jules sich am Flughafen von Rom um. Doch nicht ihre Schwester, sondern ein italienischer Traummann holt sie ab und bringt sie in seiner Villa unter. Aber warum ist Stefano DeFiore so seltsam distanziert - ahnt er etwa, was sie vor ihm verbirgt?


  • Erscheinungstag 31.05.2016
  • Bandnummer 0416
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707927
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lynne Graham, Kate Hewitt, Sharon Kendrick, Jennifer Faye

JULIA EXTRA BAND 416

LYNNE GRAHAM

Auf der Jacht des griechischen Tycoons

Der griechische Milliardär Leo Zikos glaubt nicht an die Liebe! Bis er der jungen Grace begegnet. Mit einem Blick raubt ihm diese Schönheit sein Herz – und macht den mächtigen Tycoon hilflos vor Verlangen …

KATE HEWITT

Tausend Sterne über der Wüste

Scheich Aziz braucht dringend eine Frau: Seine Verlobte ist verschwunden, Unruhen drohen. Und so lässt er seine schöne Haushälterin Olivia aus Paris einfliegen: Sie soll seine zukünftige Königin spielen …

SHARON KENDRICK

Heirate lieber mich!

Erin hat ihm seinen Sohn verschwiegen – Dimitri Makarov muss handeln! Zuerst verhindert er, dass seine Exgeliebte einen anderen heiratet. Dann will er sie zum zweiten Mal erobern …

JENNIFER FAYE

Mein italienischer Traummann

Die unkonventionelle Jules ist wie Feuer in Stefanos italienischem Blut. Eigentlich hat er der Liebe abgeschworen. Doch unbedingt will er ihr süßes Schmetterlingstattoo küssen! Das sie auf ihrem Busen trägt …

1. KAPITEL

„Übrigens, letzte Woche habe ich zufällig Rodas getroffen“, sagte Anatole Zikos, der seinen Sohn Leo ursprünglich angerufen hatte, um ihm zu seinem jüngsten geschäftlichen Erfolg zu gratulieren. „Dein zukünftiger Schwiegervater schien mir etwas … ungeduldig, wann ihr endlich ein Datum für die Hochzeit festsetzt. Immerhin seid ihr seit drei Jahren verlobt, Leo. Wann hast du denn vor, Marina zu heiraten?“

„Wir treffen uns heute Mittag zum Essen“, wich Leo der besorgten Frage amüsiert aus. „Aber wir haben beide nicht vor, etwas zu überstürzen.“

„Nach drei Jahren kann euch das auch niemand vorwerfen“, entgegnete Anatole trocken. „Bist du sicher, dass du das Mädchen überhaupt heiraten willst? Es ist ja nicht so, als hättest du Kouros Electronics heutzutage noch nötig.“

„Darum geht es doch gar nicht“, entgegnete Leo pikiert. „Es ist eine Frage der Vernunft. Marina wird einmal die perfekte Ehefrau für mich sein.“

„Es gibt keine perfekte Ehefrau, Leo.“

Unwillkürlich dachte Leo an Cleta, seine Mutter, und biss sich auf die Zunge, ehe er etwas sagte, was er bereuen würde. Die Ehe seiner Eltern war lange Zeit ein Kriegsschauplatz gewesen, nicht zuletzt weil sein Vater sich über Jahre eine Zweitfamilie mit seiner Geliebten und deren Kind geleistet hatte. Auch nach dem Tod der Geliebten waren die Spannungen zwischen Leos Eltern nicht besser geworden, da der uneheliche Sohn in Anatoles Haus aufgenommen worden war. Genau wie sein Halbbruder war Leo, kaum dass er erwachsen war, vor diesem Unfrieden geflohen und hatte es ebenso wie Bastien ohne Hilfe in wenigen Jahren zum Selfmade-Milliardär gebracht.

Seine Eltern lebten seit einiger Zeit gütlich getrennt, was es Leo ermöglicht hatte, sich mit seinem Vater auszusöhnen. Lange Zeit hatte er ihm nicht verzeihen können, dass er mit seiner notorischen Untreue seine Mutter unglücklich gemacht und die Atmosphäre in der Familie vergiftet hatte. Cleta Zikos war im Herzen eine enttäuschte, verbitterte Frau geblieben, die den Anblick des unehelichen Sohnes ihres Mannes nicht ertragen konnte.

Am anderen Ende der Leitung seufzte Anatole, als sein Sohn schwieg. „Ich möchte doch nur, dass du in deiner Ehe glücklich wirst, Leo.“

„Das werde ich“, erklärte Leo zuversichtlich und beendete lächelnd das Gespräch.

Das Leben meinte es gut mit ihm, sehr gut sogar. Nicht nur war er groß, dunkelhaarig und athletisch – der Traum vieler Frauen. Er war auch überaus reich und erfolgreich. Sein Vater hatte also durchaus recht, dass Leo Marina nicht heiraten musste, um auf diese Weise in den Besitz des Elektronikkonzerns ihres Vaters zu gelangen. Aber er hatte Marina nie ihres Geldes wegen heiraten wollen.

Als Leidtragender der explosiven Auseinandersetzungen in seinem Elternhaus hatte Leo schon mit achtzehn eine Liste mit Eigenschaften aufgestellt, die seine zukünftige Ehefrau aufweisen sollte. Marina Kouros genügte ihr in allen Punkten. Sie war reich, schön und intelligent und entstammte denselben exklusiven Kreisen, in denen er aufgewachsen war. Sie hatten sehr viel gemeinsam, waren aber nicht ineinander verliebt, geschweige denn eifersüchtig. Ihre Ehe würde eine Vernunftehe auf der Basis von Freundschaft und Partnerschaft sein. Nein, mit Marina, die er seit dem Kindergarten kannte, musste Leo keine unangenehmen Überraschungen befürchten.

Zufrieden mit sich und seinem Leben, ließ sich Leo zu dem Jachthafen an der Côte d’Azur chauffieren und ging an Bord der Hellenic Lady, einer der größten Privatjachten der Welt. Mit fünfundzwanzig hatte er seine erste Milliarde gemacht, und seitdem gönnte er sich nach einem abgeschlossenen Deal wie jetzt gelegentlich eine Auszeit auf seiner Luxusjacht.

„Schön, Sie wieder an Bord zu haben, Sir“, begrüßte ihn sein englischer Kapitän. „Miss Kouros erwartet Sie im Salon.“

Marina, eine schlanke, elegante Brünette, bewunderte gerade ein Gemälde, das er erst vor Kurzem erworben hatte. Bei Leos Eintreten wandte sie sich lächelnd um.

„Deine Nachricht hat mich etwas überrascht.“ Leo küsste sie auf die Wange. „Ich wusste gar nicht, dass du in der Gegend bist.“

„Ich bin unterwegs zu einem Wochenendtrip mit Freunden und dachte, wir sollten uns mal wieder kurzschließen. Ich glaube, mein Vater streut Gerüchte über eine bevorstehende Hochzeit …“

„Neuigkeiten verbreiten sich schnell“, meinte Leo trocken. „Anscheinend wird dein Vater etwas ungeduldig.“

Marina seufzte. „Er hat seine Gründe. Ich war in letzter Zeit wohl etwas indiskret.“

„Inwiefern?“

„Hatten wir uns nicht geeinigt, dass wir uns bis zur Heirat keine Erklärungen schuldig sind?“, protestierte sie.

„Wir waren uns einig, dass wir unserer eigenen Wege gehen, bis die Ehe uns bindet“, räumte er ein. „Aber als dein Verlobter habe ich doch wohl das Recht, zu erfahren, was du mit ‚indiskret‘ meinst?“

„Also gut!“ Ein wenig trotzig warf sie ihren Seidenschal aufs Sofa. „Ich habe gerade eine heiße Affäre, und es hat etwas Gerede gegeben.“

„Wie heiß?“, erkundigte sich Leo sanft.

Marina verdrehte lachend die Augen. „Du bist keine Spur eifersüchtig, stimmt’s?“

„Nein, aber ich wüsste doch gern, was deinen Vater so aufgescheucht hat, dass er auf einen Hochzeitstermin drängt.“

Sie verzog das Gesicht. „Wenn du es unbedingt wissen willst: Mein Geliebter ist ein verheirateter Mann.“

Leos Augen blitzten auf. Er war ebenso erstaunt wie enttäuscht, denn bislang hatte er stillschweigend angenommen, dass für Marina Ehebruch ebenso tabu sei wie für ihn. Zu sehr hatte er als Kind unter den Konsequenzen der Affäre seines Vaters gelitten.

„Meine Güte, Leo, stell dich nicht so an!“, verteidigte sich Marina, als er so offensichtlich missbilligend schwieg. „Der Klatsch legt sich wieder. Das ist doch immer so.“

„Du kannst nicht erwarten, dass ich das gutheiße. Zumal eine solche Affäre deinen Ruf schädigt … und damit auch meinen“, erwiderte er kühl.

„Etwas Ähnliches könnte ich auch über die kleine Striptease-Tänzerin sagen, mit der du letzten Sommer übers Mittelmeer gekreuzt bist.“

Leo zog es wieder einmal vor, zu schweigen, warf Marina aber einen Blick zu, der sie vor Unbehagen erröten ließ. Tatsächlich war Leo Zikos ein Mann, der regelmäßigen Sex als genauso selbstverständlich betrachtete wie die Luft zum Atmen oder tägliche Mahlzeiten. Er sah keinen Grund, sich dafür zu rechtfertigen – vor allem, da er und Marina nicht einmal das Bett miteinander teilten. Ihre Abmachung, sich bis zur Hochzeit alle Freiheiten zu erlauben, funktionierte einfach besser bei gleichzeitigem Einverständnis, sich den Sex miteinander für die Ehe aufzuheben. Ein vernünftiges Arrangement.

Es gibt keine perfekte Ehefrau, hatte sein Vater erst vor gut einer Stunde zu ihm gesagt, doch Leo hatte nicht erwartet, schon so bald den Beweis für diese Behauptung zu erhalten. Seine hohe Meinung von Marina hatte empfindlich Schaden genommen, weil sie es offensichtlich nicht als grundsätzlich falsch betrachtete, mit dem Ehemann einer anderen zu schlafen. Waren seine Ansichten in diesem Punkt so altmodisch? Zu stark beeinflusst von den Erfahrungen in seiner Kindheit und Jugend?

„Es tut mir leid, aber mein Vater lässt mir keine Ruhe“, lenkte Marina reumütig ein. „Wahrscheinlich hat er Angst, ich könnte dich vergraulen. Wie ich es ja angeblich schon mit deinem Bruder getan habe …“

Das war ein Thema, an dem Leo am liebsten nicht rührte. Den einzigen richtigen Fehler hatte Marina in seinen Augen nämlich vor Jahren begangen, als sie sich einen One-Night-Stand mit seinem Halbbruder erlaubt hatte, zu dem Leo nie ein gutes Verhältnis gefunden hatte. Zu allem Überfluss hatte Bastien Marina im Anschluss auf unverzeihliche Weise abgefertigt, was Leo ihm nie verziehen hatte. Denn Marina war seit seiner Kinderzeit so etwas wie sein bester Freund und Kumpel. Es gab kaum einen Menschen, dem er so vertraute.

„Vielleicht sollten wir einfach einen Termin für die Hochzeit festlegen, damit alle zufrieden sind“, schlug sie nun beiläufig vor. „Ich bin zwar erst neunundzwanzig, aber ich glaube, mein Vater hat Angst, ich könnte zu alt werden, um die ersehnten Enkel zu liefern.“

Wieder schwieg Leo, denn er fühlte sich noch gar nicht bereit für die Vaterrolle.

„Was hältst du von Oktober?“ Marina schien sein Unbehagen nicht zu bemerken. „Mir würden drei Monate für die Vorbereitung reichen. Eine entspannte kleine Feier in London, nur mit der Familie und unseren engsten Freunden.“

Damit war die Sache entschieden. Während des Mittagessens an Deck tauschten sie die jüngsten Neuigkeiten über gemeinsame Freunde aus. Als Marina gegangen war, hätte Leo eigentlich zufrieden sein können. Wieder einmal war zwischen ihnen alles ganz harmonisch und ohne Streit abgelaufen. Aber obwohl er dem Hochzeitstermin zugestimmt hatte, blieb ein Gefühl nagender Unzufriedenheit … nein, schlimmer noch, er fühlte sich plötzlich, als säße er in der Falle.

„Unsinn, Grace, natürlich fliegst du mit Jenna in die Türkei.“ Wie üblich wischte Della Donovan, Grace’ Tante, die Einwände ihrer Nichte vom Tisch. „Wer wäre so dumm, auf einen Gratisurlaub zu verzichten?“

Grace blickte angestrengt in den hübschen Garten hinter dem repräsentativen Haus ihrer Tante und ihres Onkels im Londoner Norden. Vergeblich zerbrach sie sich den Kopf auf der Suche nach einer Ausrede, um die „großzügige Einladung“ ihrer Cousine ablehnen zu können.

„Deine blöden Prüfungen hast du doch alle hinter dir, oder?“, mischte sich Jenna ein, die auf dem Sofa saß. Mutter und Tochter waren sich sehr ähnlich, große, schlanke Blondinen … ganz im Gegensatz zu Grace, die klein war, mit Rundungen, einer feuerroten Lockenmähne, hellem Alabasterteint und Sommersprossen auf der Stupsnase.

„Ja, aber …“ Sie verkniff sich das Eingeständnis, dass sie die Semesterferien nutzen wollte, um sich mit einem Kellnerjob ein möglichst großes finanzielles Polster für ihr letztes Studienjahr an der Universität zu verdienen. Jegliche Anspielungen auf ihre enge finanzielle Lage betrachtete ihre Tante als undankbar und geschmacklos. Dabei hatte Grace im Haus ihrer Tante und ihres Onkels für ihr Geld stets arbeiten müssen, obwohl ihre Tante eine erfolgreiche Anwältin und ihr Onkel ein hoch bezahlter Manager war. Schon mit zehn Jahren wurde ihr von ihrer Tante unmissverständlich klargemacht, dass sie keine „richtige“ Tochter der Donovans war, deshalb auch nichts von ihnen erben würde und somit allein für ihren Lebensunterhalt aufkommen musste.

So hatte Grace schon sehr früh gelernt, welch unterschiedlicher Stellenwert ihr und Jenna zukam. Eine Privatschule für Jenna, die staatliche Gesamtschule im Viertel für Grace. Ein eigenes Pferd und Reitstunden für Jenna, Stallausmisten für Grace. Jenna machte selbstverständlich Abitur, studierte und arbeitete mit fünfundzwanzig dank der Beziehungen ihrer Eltern schon für ein populäres Modemagazin. Grace musste mit sechzehn erst einmal die Schule beenden, um Dellas bettlägerige Mutter bis zu deren Tod zu pflegen. Statt sorglos ihre Jugend zu genießen, hatte sie neben ihrer Pflegetätigkeit das Abitur an der Abendschule nachgeholt, um schließlich das Medizinstudium aufnehmen zu können.

Trotzdem verbot sie sich jede Bitterkeit. Die alte Mrs. Grey zu pflegen betrachtete sie als faire Gegenleistung dafür, dass die Donovans sie nach dem Tod ihrer Mutter in ihrem Haus aufgenommen hatten. Niemand sonst hatte sie haben wollte. Ohne die Intervention ihres Onkels wäre sie damals im Heim gelandet. Das hielt sich Grace jedes Mal vor Augen, wenn die Familie ihres Onkels wieder einmal einen Dienst von ihr einforderte. Manchmal jedoch hatte sie das Gefühl, an der Anstrengung ersticken zu müssen, die es sie kostete, ihr rebellisches Temperament zu zügeln und den Mund zu halten.

„Wie es aussieht, bin ich auf dich angewiesen“, maulte Jenna wie ein verzogener Teenager. „Ich kann meinen geplanten Mädelsurlaub ja schlecht allein machen. Und von meinen Freundinnen hat keine Zeit. Glaub mir, du bist meine letzte Wahl.“

Grace presste ihren hübschen Schmollmund zusammen und strich sich die roten Locken aus der Stirn. Ihre hellgrünen Augen blitzten, und allmählich meldeten sich die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen. Eigentlich hatte ja Lola, die beste Freundin ihrer Cousine, Jenna begleiten sollen, aber sie hatte sich bei einem Autounfall beide Beine gebrochen. Das war der einzige und traurige Grund, warum Jenna Grace einlud, sie in die Türkei zu begleiten, und Grace hätte liebend gern abgelehnt, obwohl sie ewig keine Ferien gemacht hatte.

Denn unglücklicherweise hatte Jenna Grace nie leiden können. Die Donovans hatten vielleicht gehofft, dass ihre Tochter Grace als kleine Schwester akzeptieren würde, weil die beiden Mädchen nur ein Jahr trennte. Als verwöhntes Einzelkind hatte Jenna ihre Cousine jedoch von Anfang an als Rivalin um die Gunst der Eltern betrachtet. Und das war im Lauf der Jahre nur schlimmer geworden, als Grace sich als die weitaus bessere Schülerin erwiesen und trotz ihrer unterbrochenen Schullaufbahn schließlich sogar begonnen hatte, Medizin zu studieren.

„Da es so kurzfristig ist, wirst du mit Grace vorliebnehmen müssen, Darling“, meinte Della nun mitfühlend. „Aber sie wird sich sicher bemühen, dir eine nette Gesellschaft zu sein.“

Jenna stöhnte. „Sie trinkt nichts, sie hat nicht einmal einen Freund … sie interessiert sich für nichts außer ihrem Studium.“

„Ich komme mit, wenn Jenna es wirklich will.“ Grace wusste, wann es klüger war, nachzugeben. Und solange sie noch zu einer geringfügigen Miete, die sie von ihrem Kellnerjob bezahlte, unter dem Dach der Donovans wohnte, durfte sie es sich nicht mit ihren Verwandten verscherzen. Sie hatte schon als Kind gelernt, dass ihr jede Weigerung oder Störrigkeit als Undankbarkeit ausgelegt wurde. „Allerdings habe ich für einen Strandurlaub gar nichts Richtiges anzuziehen“, fügte sie hinzu, weil sie wusste, wie versnobt Jenna in Sachen Mode war.

„Mal sehen, ob ich bei meinen abgelegten Sachen etwas für dich finde“, sagte ihre Cousine gereizt. „Aber ich weiß nicht, ob du mit deinem Busen und Po überhaupt hineinpasst. Als zukünftige Ärztin solltest du eigentlich besser auf deine Figur achten und dich gesünder ernähren.“

„Das sind meine natürlichen Rundungen“, erwiderte Grace, wobei sie ein amüsiertes Lächeln unterdrückte. Längst hatte sie begriffen, dass aus Jennas Sticheleien gegen ihre Figur blanker Neid sprach.

Das Knallen einer Tür schreckte Grace auf. Sie setzte sich kerzengerade auf und begriff im nächsten Moment, wo sie sich befand.

„Es tut mir leid, aber es ist nicht gestattet, hier unten im Empfangsbereich zu schlafen“, sagte die junge Frau hinter der Rezeption bedauernd.

Grace strich sich mit beiden Händen durch die zerzausten roten Locken und stand auf. Ein Blick auf die Uhr verriet zu ihrer Erleichterung, dass es schon nach zehn Uhr morgens war. Nun konnte sie hoffentlich in das Hotelzimmer zurück, das sie ja eigentlich mit ihrer Cousine teilte.

Bisher war der gemeinsame Urlaub ein Desaster gewesen. Ungeachtet ihres festen Freundes in London hatte Jenna sich gleich am ersten Tag auf die Suche nach einer Urlaubsaffäre gemacht und war zu Grace’ Pech schnell fündig geworden. Stuart war Banker, eingebildet und prahlerisch, aber Jenna fuhr total auf ihn ab. Also hatte sie Grace unmissverständlich klargemacht, dass sie sich aus dem gemeinsamen Hotelzimmer fernzuhalten hatte, weil Jenna die Nacht mit Stuart verbringen wollte. Nachdem Grace die erste Nacht lesend in der Hotellobby zugebracht hatte, protestierte sie energisch, als Jenna am zweiten Abend erneut von ihr verlangte, für Stuart das Feld zu räumen.

„Wo soll ich denn hin? Ich kann nicht schon wieder die ganze Nacht in der Lobby sitzen!“

„Selbst schuld, du hättest dir halt auch einen Kerl suchen sollen“, entgegnete Jenna ungerührt.

„Aber könnt ihr heute Nacht nicht in seinem Hotel schlafen?“

„Stuart teilt sich die Unterkunft mit fünf anderen Jungs. Außerdem zahlen meine Eltern für das Hotelzimmer. Es ist mein Urlaub, und wenn mir deine Gegenwart nicht passt, musst du dich verkrümeln!“, zischte Jenna.

Diese unfreundlichen Worte im Sinn, klopfte Grace lieber an die Zimmertür, statt ihren Schlüssel zu benutzen. Auf keinen Fall wollte sie die beiden Turteltauben stören. Zu ihrer Überraschung öffnete Jenna ihr lächelnd und bereits vollständig angezogen.

„Komm rein. Ich frühstücke gerade. Möchtest du eine Tasse Tee?“

„Gern.“ Grace blickte skeptisch zur Badezimmertür. „Ist Stuart noch da?“

„Nein, er ist schon früh fort … zu einem Tauchausflug. Ich weiß nicht, ob wir uns heute Abend sehen. Wie wär’s, wenn wir beide in den Club gehen, von dem alle reden?“

„Wenn du möchtest.“ Grace war natürlich klar, dass Jenna sie nur brauchte, weil Stuart sich offensichtlich rarmachte.

„Stuart will etwas Abstand. Das geht ihm alles zu schnell …“, plapperte Jenna. „Was soll’s, andere Mütter haben auch hübsche Söhne. Der soll sich bloß nicht einbilden, ich würde auf ihn warten!“

„Nein“, pflichtete Grace ihr höflich bei.

„Vielleicht triffst du ja heute Abend auch jemanden. Höchste Zeit, dass du endlich den Club der Jungfrauen verlässt und dich ins richtige Leben stürzt.“

„Woher willst du wissen, dass ich das nicht längst getan habe?“, fragte Grace pikiert.

„Weil du jeden Abend brav nach Hause kommst – und nie besonders spät. Weißt du was? Du bist einfach zu wählerisch“, verkündete Jenna ihr Urteil.

„Mag sein.“ Grace nippte an ihrem Tee und sehnte sich nur nach ihrem Bett.

Jennas ganze Welt drehte sich um den jeweiligen Mann in ihrem Leben, und sie war total verunsichert, wenn sie einmal keinen hatte. Grace’ Leben dagegen drehte sich einzig um ihr Studium. Sie hatte zu hart dafür gearbeitet, doch noch Medizin studieren zu können, und hielt Männer für eine gefährliche Ablenkung. Nichts sollte sich zwischen Grace und ihren Traum stellen, als Ärztin anderen Menschen zu helfen. Nicht umsonst hatte sie das warnende Beispiel ihrer Mutter vor Augen, die ihr Leben verkorkst hatte, weil sie auf den falschen Mann hereingefallen war.

Andererseits, das sah Grace ganz pragmatisch, musste sie früher oder später ihre ersten Erfahrungen mit Sex machen. Wie sollte sie ihre zukünftigen Patienten sonst beraten, wenn sie in diesem wichtigen zwischenmenschlichen Bereich keinerlei persönliche Erfahrungen besaß? Nur leider war es nicht so einfach, diese Sache rein logisch anzugehen. Offenbar war dazu auch eine gewisse Anziehung zwischen Mann und Frau erforderlich. Nach rein rationalen Gesichtspunkten wäre Matt, ihr bester Freund und Studienkollege, die naheliegende Wahl gewesen.

Matt war loyal, liebenswürdig und rücksichtsvoll, also genau der Typ Mann, den Grace respektieren konnte. Trotzdem reizte sie die Vorstellung, mit Matt ins Bett zu gehen, überhaupt nicht. Matt mit seiner Nickelbrille und den selbst gestrickten Pullovern entfachte nicht den kleinsten Funken Leidenschaft in ihr, sosehr sie sich auch bemühte, ihn in sich zu entzünden … weil sie wusste, dass er ein verlässlicher Partner gewesen wäre.

Leo stand in der Penthouse-Bar und genoss den Ausblick von hoch oben über die Bucht von Turunç. Jetzt bei Nacht säumten die Lichter des beliebten Ferienortes Marmaris sie wie ein buntes funkelndes Collier. Eine leuchtend rote Neonreklame verkündete die große Eröffnung des Nachtclubs Fever, wie Leo lächelnd bemerkte. Rahim, sein Partner im Fever, wusste, wie man die Aufmerksamkeit der Touristen anzog.

„Du hast hier wirklich großartige Arbeit geleistet.“ Leo sah anerkennend durch die Absperrungen aus Glas und Edelstahl hinunter auf die volle Tanzfläche.

„Ich würde dich gern richtig herumführen“, drängte Rahim, der als bekannter Architekt und Designer allen Grund hatte, stolz auf sein jüngstes Werk zu sein. Außerdem hoffte er, Leo für weitere, größere Investitionen gewinnen zu können.

Eine Woche der Einsamkeit und Ruhe an Bord der Hellenic Lady hatte Leo an den Rand eines Lagerkollers gebracht. Von Unruhe getrieben, schlenderte er zusammen mit Rahim und umgeben von seinen Leibwächtern die beleuchtete Treppe hinunter. Rahim sprach von einem luxuriösen Hotelkomplex, den er ein Stück die Küste hinauf verwirklichen wollte. Aber die Musik war so laut, dass Leo nur jedes zweite Wort verstand. Vom ersten Treppenabsatz blickte er hinunter auf die Köpfe der Tanzenden, und dann sah er sie … sie stand an der Ecke der hell beleuchteten Bar, ihr auffälliges Haar schimmerte wie Kupfer.

Sie? Eine Frau wie jede andere, relativierte sein Verstand sofort, während sein Blick nachdenklich über ihr feenhaft zartes Gesicht glitt. Feenhaft? Warum kam ihm dieses Wort in den Sinn? Ein zartrosa sinnlicher Schmollmund und diese herrliche Lockenmähne, eher rot als kupferfarben. Zunehmend interessiert, registrierte Leo reizvolle Rundungen, die ein cremefarbenes Spitzenkleid feminin umschmeichelte. Ja, sie besaß die Figur einer Fruchtbarkeitsgöttin … hohe straffe Brüste, eine schmale Taille und aufreizend wohlgerundete Hüften. Unwillkürlich umklammerte Leo das Treppengeländer, als ihn heißes Verlangen durchzuckte.

Tatsächlich konnte er sich nicht erinnern, wann er zuletzt mit einer Frau zusammen gewesen war. In einer Arbeitsphase ließ er sich selten von irgendetwas ablenken. Jetzt aber fiel ihm Marinas verheirateter Liebhaber wieder ein, und er fragte sich ärgerlich, warum er sich zurückhalten sollte. Schließlich war das ihre Abmachung bis zu ihrer Hochzeit. Und war es nicht genau das, was er wollte? Eine Frau, die ihm keine Fragen stellte? Geschweige denn, von ihm erwartete, dass er sie liebte?

Natürlich war es das, denn die Alternative wären jene emotionsgeladenen Eifersuchtsszenen gewesen, die das Leben seiner Eltern zur Hölle gemacht hatten. Gut, Marinas Affäre mit einem verheirateten Mann hatte ihn irritiert, aber wollte er deshalb ihre Verlobung lösen und sich nach einer Braut mit strengeren Moralvorstellungen umsehen? Unsinn! Nie wieder würde er eine andere Frau so gut kennen wie Marina Kouros.

Energisch verdrängte er das ungewohnte Unbehagen und konzentrierte sich stattdessen auf die sensationelle Figur der rothaarigen Fremden. Er konnte sich nicht entsinnen, wann er zuletzt so scharf auf eine Frau gewesen war. An ein vernünftiges Gespräch mit Rahim war überhaupt nicht mehr zu denken. Wie gebannt folgte er jeder ihrer Bewegungen, konnte sie nicht aus den Augen lassen. Was hatte sie nur an sich, das ihn so faszinierte? Vielleicht sollte er es einfach herausfinden.

An der Bar wandte Grace sich errötend ab, als sie ein frostiger Blick von Jenna traf. Mit seinem Auftauchen im Fever hatte Stuart ihre Pläne für einen Mädelsabend sabotiert. Jenna hatte Grace sofort spüren lassen, dass sie überflüssig war. Also nippte sie an dem viel zu süßen Cocktail, den Stuart ihr aufgedrängt hatte, und fragte sich, was sie mit dem Rest des Abends anfangen sollte.

Schließlich kam Jenna ungeduldig zu ihr. „Warum bist du immer noch hier?“

Grace sah sie trotzig an. „Heute Abend werde ich im Hotelzimmer schlafen, damit das klar ist. Zwei Nächte im Foyer sind genug.“

„Wie kannst du nur so egoistisch sein!“, versuchte Jenna es auf die bewährte Tour. „Ohne mich wärst du nicht mal hier!“

„Ich kann die alte Leier nicht mehr hören.“ Grace hatte es wirklich satt. „Du hast mich gebeten, dich zu begleiten, und jetzt musst du mit mir auskommen.“

Als sie den Blick vom zornigen Gesicht ihrer Cousine abwandte, bemerkte sie einen Mann, der auf der Treppe stand und sie beobachtete. Er war umwerfend schön, ein wahr gewordener Traum mit schwarzem Haar, gebräuntem Teint und markanten, ebenmäßigen Zügen. Groß, breitschultrig und athletisch, war er überraschend formell gekleidet – er trug einen dunklen Maßanzug, genau wie seine Begleiter. Denen schenkte Grace allerdings kaum Aufmerksamkeit, zu fasziniert war sie von seinen Augen, deren eindringlicher Blick sie in Bann hielt.

„Bitte, komm heute Abend nicht ins Hotelzimmer“, jammerte Jenna. „Mir bleibt doch nicht mehr viel Zeit mit Stuart.“

Wie wenig Stolz ihre Cousine besaß! Zum einen hatte Jenna einen festen Freund in London, zum anderen ließ Stuart keinen Zweifel daran, dass er nur an einer flüchtigen Affäre interessiert war. Als Grace sich abwandte, um den Club zu verlassen und sich ein ruhiges Café zu suchen, stellte sich ihr ein muskelbepackter Mann in den Weg.

„Mr. Zikos bittet Sie auf einen Drink in den VIP-Bereich.“

Unwillkürlich blickte Grace fragend die Treppe hinauf. Mr. Zikos? Der schöne Fremde nickte und schenkte ihr im nächsten Moment ein Lächeln, das ihr buchstäblich den Atem raubte. Grace hätte schwören können, dass ihr Herz, das sonst in Bezug auf Männer so zurückhaltend war, genau in diesem Augenblick freudig schneller schlug.

Ein Drink? Im VIP-Bereich? Aber was hatte sie denn zu verlieren? Ein Türsteher entfernte die Samtkordel, die den Zugang zur Treppe versperrt hatte, und Grace stieg mit einer seltsamen Vorahnung die Stufen empor.

2. KAPITEL

„Leo Zikos. Meine Freunde nennen mich Leo.“

Überrascht angesichts der unerwartet förmlichen Begrüßung, ergriff Grace ungeschickt die ausgestreckte Hand. Aus der Nähe wirkte er so überwältigend, dass sie am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht hätte. „Grace Donovan“, erwiderte sie. Auf eine höfliche Geste ihres Gastgebers setzte sie sich verlegen hin, wobei sie die Anwesenheit eines zweiten, kleineren Mannes mit einem stummen Nicken zur Kenntnis nahm.

„Irisch?“, fragte Leo.

„Meine Mutter war Irin, aber ich stamme aus London.“

Leo erkundigte sich, was sie trinken wolle.

„Irgendetwas Einfaches. Das hier …“, sie hielt ihr Cocktailglas hoch und zog die Stupsnase kraus, „… ist eine richtige Zuckerbombe.“

Leo stellte ihr Rahim vor und erzählte, dass Rahim und er die Eigentümer des Clubs waren. Woraufhin Grace ihm erzählte, dass sie Studentin und mit ihrer Cousine auf Urlaub sei. Im Nu brachte ein Ober ein Tablett mit Gläsern und einer Flasche Champagner, und während er einschenkte, boten zwei weitere Kellner köstliche kleine Snacks an. Leo erkundigte sich bei Grace nach ihrem Musikgeschmack, und ehe Grace sich’s versah, stand der DJ persönlich vor ihr, sodass sie ihm ihre Wünsche nennen konnte.

Ein wenig berauscht von so viel Aufmerksamkeit, nippte Grace an ihrem Champagner und gönnte sich die eine oder andere Knabberei, während sie mit halbem Ohr dem Gespräch der beiden Männer zuhörte, die sich anscheinend über ein neues Hotelprojekt von Rahim unterhielten. Als die ersten Takte ihres Lieblingssongs von der Tanzfläche heraufklangen, stand Grace auf und trat an die Brüstung. Unwillkürlich bewegte sie sich im Takt der Musik.

Sie wandte sich zu Leo um. „Sollen wir tanzen?“

Sein Blick hing wie gebannt an ihren wohlgerundeten Hüften, doch er schüttelte den Kopf. „Ich tanze nicht.“

„Okay, kein Problem.“ Lächelnd ging sie allein die Treppe hinunter, wobei ihre grünen Augen übermütig funkelten. Eine einzige Nacht, dachte sie rebellisch und immer noch verärgert über Jennas demütigende Sticheleien. Diese eine Nacht wollte sie sie selbst sein, wie sie es zu Hause in London niemals wagte. Sie würde tun und sagen, was sie wollte, und sich nicht verbiegen, um den Erwartungen anderer Leute zu entsprechen.

Leo blickte ihr verblüfft nach. Kein Aufbegehren, kein Theater, sondern nur eine bewundernswerte Entschlossenheit, zu tun, was sie wollte, und nicht, was ihm gefiel. Sie hatte auch noch keinen Versuch gemacht, mit ihm zu flirten oder ihm zu schmeicheln. Ein solches Verhalten war Leo Zikos von Frauen nicht gewöhnt. Sogar Marina, die gern eigene Wege ging, passte ihr Verhalten in seiner Gegenwart seinen Wünschen an.

„Wie es aussieht, hast du eine Frau gefunden, die ihren eigenen Kopf hat“, bemerkte Rahim. „Wobei mir einfällt, dass ich mit genau so einer verheiratet bin und mich sehr unbeliebt mache, wenn ich nicht bald zu Hause auftauche.“

Sobald er fort war, trat Leo an die Brüstung und ließ den Blick angespannt über die Köpfe der Tanzenden schweifen, bis er Grace entdeckt hatte. Sie tanzte am Rand der vollgepackten Tanzfläche, anmutig und selbstvergessen. Hatte sie vor, wieder zu ihm heraufzukommen? Oder erwartete sie, dass er ihr folgen würde? Leo stieg keiner Frau nach, das hatte er noch nie nötig gehabt. Trotzdem – und für ihn völlig unverständlich – irritierte ihn ihr Verhalten nicht.

Was war so besonders an ihr? Ihre ausdrucksvollen Augen? Sie waren von einem ungewöhnlich hellen, klaren Grün wie die rund geschliffene Glasscherbe, die er einmal als Junge am Strand gefunden hatte. Ohne zu überlegen, stieg er die Treppe hinab.

„Ich kann nicht tanzen“, erklärte er, als Grace ihm erwartungsvoll entgegenblickte. „Ich habe überhaupt kein Rhythmusgefühl.“

Er war auch ohne zu tanzen umwerfend sexy. „Jeder kann tanzen“, widersprach sie trotzdem.

Leo beugte sich vor und näherte sich ihrem Ohr. „Ich mache grundsätzlich nichts, das ich nicht außerordentlich gut beherrsche.“

Grace lachte, unbeeindruckt von dieser typisch männlichen Logik, und legte einfach ihre Hände auf seine schmalen Hüften. „Beweg dich. Fühl den Rhythmus.“

Das einzige, was Leo fühlte, als sie ihn zu sich heranzog, war das Aufwallen überwältigender Leidenschaft. Berauscht verlor er sich in ihren meergrünen Augen, die lachend zu ihm aufblickten. Frauen lachten nicht über Leo. Sie lachten mit ihm. Dennoch gab er dem Druck ihrer Hände scheinbar nach, aber nur, um im nächsten Moment seinerseits Grace an sich zu pressen und ihren verführerischen Mund zu küssen.

Unerfahren, wie sie war, traf sie sein Kuss völlig unvorbereitet und weckte in ihr einen Sturm ungeahnter Gefühle, dem sie hilflos ausgeliefert war. Nach einer kurzen Schrecksekunde schmiegte sie sich lustvoll seufzend an ihn und öffnete ihre Lippen bereitwillig dem intensiven Drängen seiner Zunge.

Doch viel zu schnell schob Leo sie sacht von sich, nahm sie bei der Hand und führte sie entschlossen wieder die Treppe hinauf. Wie eine Schlafwandlerin ließ Grace es geschehen, völlig überwältigt von der Erfahrung, dass ein Mann so überwältigende Gefühle in ihr entfesseln konnte. Sie hatte buchstäblich weiche Knie, so sehr wollte sie ihn. Wenn er schon so fantastisch küsste, würde er dann nicht auch in den übrigen Liebesdingen ein Könner sein? Sprich: der perfekte Kandidat für ihr geplantes sexuelles Experiment?

„Noch ein Drink?“ Leo schenkte Champagner ein und reichte ihr das Glas, bemüht, so lange die Hände von ihr zu lassen, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Denn in diesem Augenblick begehrte er sie so sehr, dass er am liebsten auf der Stelle zu Ende gebracht hätte, was er auf der Tanzfläche so unbedacht begonnen hatte. Wenn Leo eins hasste, dann, die Kontrolle zu verlieren. Er bewahrte stets einen kühlen Kopf, handelte nie überstürzt. Und One-Night-Stands waren auch nicht sein Ding – zumindest nicht mehr, seitdem er ein erwachsener Mann war. Aber Grace zog ihn unwiderstehlich an.

Grace wiederum stellte verwundert fest, dass ihre Hand, in der sie das Champagnerglas hielt, zitterte. Sie versuchte sich einzureden, dass es lediglich die Aufregung war, weil sie den Entschluss gefasst hatte, die Nacht mit diesem Mann zu verbringen – falls sich die Gelegenheit bot. Verstohlen betrachtete sie sein Gesicht. Er war auf eine sehr männliche Weise schön, wobei ihn wohl jede Frau um die dichten schwarzen Wimpern beneidete, die seine faszinierenden Augen säumten.

„Bist du Single?“, fragte sie spontan.

„Ja. Willst du die Nacht mit mir verbringen?“, fragte er unverblümt zurück. „Ich habe noch nie eine Frau so sehr begehrt wie dich da unten auf der Tanzfläche.“

Seine Direktheit brachte sie nur kurz aus dem Konzept. „Schon gut“, erwiderte sie lachend. „Du kannst dir das Süßholzraspeln sparen. Ich habe mich schon in dem Moment, als du mich geküsst hast, entschieden, Ja zu sagen.“

Es würde ein rein pragmatisches sexuelles Experiment sein, redete sie sich ein wenig nervös ein, denn spontane Entscheidungen wie diese waren ihr eigentlich fremd. Aber sie befand sich weit weg von zu Hause und würde ihn danach nie wiedersehen, sodass es keine peinlichen Begegnungen und Konsequenzen geben würde. Grace war immer dafür, die Dinge beim Namen zu nennen, und sie und Leo wollten beide das Gleiche: unkomplizierten Sex für eine Nacht. Sie hätte keinen perfekteren Kandidaten finden können.

Leo wiederum legte ihr erleichtert einen Arm um die schmale Taille und blickte bewundernd auf sie herab. Entzückt betrachtete er die niedlichen Sommersprossen auf ihrer hübschen Stupsnase. „Das war kein leeres Kompliment.“

„Wenn du meinst.“ Es überstieg ihr Vorstellungsvermögen, dass sie genügend Sex-Appeal besitzen sollte, einem so attraktiven und erfahrenen Mann gefallen zu können. „Aber außerhalb einer ernsthaften Beziehung ist Sex nur eine Freizeitaktivität.“

Leo stutzte verblüfft. „Allerdings eine höchst vergnügliche.“

Obwohl es sie reizte, ihn mit einigen Statistiken über die sexuellen Probleme und Frustrationen von Frauen in der heutigen Gesellschaft zu konfrontieren, hielt sie es für klüger, an diesem Punkt nicht die zukünftige Dr. Grace Donovan herauszukehren. „Das hoffe ich doch“, antwortete sie stattdessen.

Schön, der Champagner mochte eine Rolle dabei gespielt haben, dass sie den Mut aufgebracht hatte, diesen Schritt zu wagen. Aber sie war keineswegs betrunken und stand zu ihrer Entscheidung. War es so nicht viel vernünftiger, als in naiver Hoffnung zu warten, dass ihr Märchenprinz sie irgendwann aus der Einsamkeit erlöste, die sie zwar tief im Herzen empfand, aber sorgfältig verbarg? Grace war zu klug, um sich irgendetwas vorzumachen. Und Matt war ein wundervoller Kommilitone und Freund, aber leider nicht das, was sie sich unter einem leidenschaftlichen Liebhaber vorstellte.

Als intelligente, erwachsene Frau stand es ihr frei, mit einem attraktiven Mann ins Bett zu gehen, wann immer sie wollte. Morgen würde sie dann endlich auch über das Thema „Sex“ Bescheid wissen – und sie würde nicht noch eine Nacht in der Hotelrezeption verbringen müssen.

Leo streichelte ihren schlanken Arm, wobei er den hellen Alabasterteint bewunderte. „Du wirst es nicht bereuen.“

Sie erschauerte heftig und stellte beunruhigt fest, wie sehr sie sich danach sehnte, noch einmal von ihm geküsst zu werden. Zum ersten Mal erlebte sie am eigenen Leib, wie stark sexuelle Begierde sein konnte. Bis jetzt war das alles reine Theorie für sie gewesen. Leo Zikos würde ihr persönliches Forschungsprojekt sein, um alles über Sex zu erfahren, was sie wissen musste.

„Bist du an mehreren Nachtclubs beteiligt?“, erkundigte sie sich, um sich eine kleine Verschnaufpause zu verschaffen.

„Nein, dies ist meine einzige Investition in dem Bereich. Ich habe als Börsenmakler angefangen und mir mit meinen Investitionen ein Wirtschaftsimperium aufgebaut. Inzwischen bin ich ebenso an Hotels wie an Mobilfunk- und Transportunternehmen beteiligt. Ich streue meine Investitionen möglichst breit. Du sagtest, du studierst? Welches Fachgebiet?“

„Ich gehe nach dem Sommer in mein Abschlussjahr“, vermied Grace eine direkte Beantwortung seiner Frage. Mehr als einmal hatten Männer sich von ihr zurückgezogen, als sie feststellten, dass sie Medizin studierte. Kaum zu glauben, wie abschreckend der hohe IQ einer Frau offenbar auf viele Männer wirkte.

Einen Moment lang blickten sie sich wortlos und wie gebannt an. Grace registrierte fasziniert, dass seine Augen bei näherer Betrachtung in einem warmen Goldbraun schimmerten, und fühlte sich immer mehr versucht, sich in den samtenen Tiefen zu verlieren. Leo wiederum fragte sich erneut verwundert, was diese rot gelockte Fremde an sich hatte, dass er sich so unwiderstehlich zu ihr hingezogen fühlte. Schließlich war er kein Teenager mehr, der den Launen seiner Hormone hilflos ausgeliefert war.

Wie magisch angezogen, beugte er sich langsam zu ihren rosigen Lippen herab. Als sein Atem warm ihre Wange streichelte, kam sie ihm kaum merklich entgegen. Sofort presste er sie an sich und küsste sie mit entflammter Leidenschaft.

Obwohl Grace das Aufleuchten seiner Augen sah, bevor seine Arme sie umschlossen, war sie nicht wirklich vorbereitet auf diesen zweiten, noch heißeren Kuss, der ihre Gefühle völlig durcheinanderwirbelte. Halt suchend klammerte sie sich an Leos breite Schultern, während eine ungekannte Erregung ihren Körper durchflutete.

Leo musste all seine Selbstbeherrschung aufbieten, um sich von ihr zu lösen. „Lass uns gehen.“

Kurz erinnerte sie sich daran, dass sie ihn kaum länger als eine Stunde kannte. Ich bin ein Flittchen, dachte sie betroffen. Aber Flittchen haben vielleicht mehr Spaß, meldete sich eine andere Stimme, und sie hätte fast laut gelacht. Sie befand sich in einer Hochstimmung wie noch nie in ihrem Leben. Ein Blick in Leos attraktives Gesicht genügte, und sofort raubte ihr erneut heißes Verlangen den Atem. „Wohin?“

„Auf meine Jacht.“ Leo drängte sie ungeduldig vorwärts, wobei er dem Blick seiner Leibwächter auswich. Vor Publikum herumzuknutschen war wirklich nicht cool. Wer war er denn? Ein unreifer Teenager, der sich nicht beherrschen konnte?

„Du bist mit einer Jacht hier?“, fragte Grace überrascht.

„Ich bin die vergangene Woche übers Mittelmeer gekreuzt.“

Leo führte sie die Treppe hinunter und über die Tanzfläche, während Männer in dunklen Anzügen vor und hinter ihnen den Weg frei hielten. Sie trugen kleine Mikros am Ohr, wie Grace sie nur aus Filmen kannte.

„Sind das Türsteher?“, fragte sie Leo.

„Meine Leibwächter.“

„Warum brauchst du Leibwächter?“, erkundigte sie sich nervös.

„Zum Schutz. Ich bin seit meiner Kindheit daran gewöhnt“, antwortete Leo gelassen. „Meine Mutter und ihre Schwester waren reiche griechische Erbinnen. Meine Tante wurde als Teenager gekidnappt.“

„Wie schrecklich! Hat man sie wieder freigelassen?“

„Ja, nach einer Lösegeldzahlung, aber sie hat sich von dem Trauma nie ganz erholt. Man sollte sich also so gut wie möglich gegen solche Risiken schützen“, erklärte Leo fast beiläufig, als eine Limousine vor dem Club vorfuhr und ein Leibwächter herbeieilte, um ihnen den Wagenschlag aufzuhalten.

Grace wusste nicht, was sie sagen sollte. Er musste schon sehr reich sein, um sich zu derartigen Vorsichtsmaßnahmen genötigt zu sehen. Offenbar war sie an einen Mann geraten, der in einer ganz anderen Welt lebte als sie. War es klug, mit ihm zu gehen?

„Mich macht das alles ein wenig nervös“, gestand sie, als sich einer der Leibwächter vorn neben den Chauffeur setzte und die anderen in eine zweite Limousine hinter ihnen einstiegen.

„Ignoriere sie einfach. Das mach ich auch“, riet Leo ihr, wobei er überrascht zur Kenntnis nahm, dass sein Lebensstil sie weniger beeindruckte als vielmehr irritierte.

Auf der Fahrt zum Jachthafen gelang es ihr nicht, sich zu entspannen, obwohl Leo betont locker über seine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer plauderte und dabei zärtlich ihre Hand streichelte. Kurz darauf hielt die Limousine am Kai, und Leo half Grace galant beim Aussteigen. Sie zögerte jedoch, als er in ein Motorboot sprang und ihr eine Hand entgegegenstreckte.

„Wo … wo ist denn deine Jacht?“, fragte sie verunsichert.

„Da draußen in der Bucht.“

Grace blickte in die Richtung, in die seine Hand deutete, und sah die beeindruckende Silhouette eines Schiffes, die sich gegen den mondhellen Nachthimmel abzeichnete. „Du meine Güte, das sieht ja aus wie die Titanic!“

„Vielleicht ein etwas unglücklicher Vergleich. Ich kann dir versichern, dass die Hellenic Lady seetüchtig ist und du dich auf ihr absolut sicher fühlen kannst.“ Ohne viel Federlesen trat Leo zurück auf den Steg, hob Grace hoch und setzte sie ins Boot.

Ehe Grace wusste, wie ihr geschah, rasten sie in dem Rennboot übers Wasser. Eine Nacht auf einer Jacht, überlegte sie zweifelnd. Vielleicht würde es ja Spaß machen. Seit sie als Jennas unwillkommener Gast in Marmaris angekommen war, hatte sie noch nicht viel Spaß gehabt.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Leo, als sie die Jacht erreichten und er seinen schweigsamen Gast an Bord geleitete.

„Bestens.“ Grace gab sich alle Mühe, ihre Besorgnis zu verbergen.

Leo hätte sich ohrfeigen können. Eigentlich kehrte er Frauen gegenüber nicht den Macho heraus. Aber als er am Kai ihren zweifelnden Gesichtsausdruck gesehen hatte und plötzlich befürchten musste, sie könnte es sich noch anders überlegen, hatte er sie einfach gepackt und ins Boot befördert, um sie so schnell wie möglich auf die Jacht zu bringen. Grace Donovan löste in ihm Reaktionen aus, die ihm gar nicht gefielen … weil sie beunruhigend unkontrollierbar waren.

Vorbei an einem Mann mit Schirmmütze, der höflich grüßte, führte Leo Grace eine weitere Treppe hinauf und einen Flur entlang. An dessen Ende öffnete er eine massive Holztür und bat Grace, einzutreten. Staunend blickte sie sich um. Sie befand sich in einem Schlafzimmer, wie sie es sich schöner und luxuriöser nicht hätte ausmalen können. Große Fenster gaben den Blick auf den funkelnden Sternenhimmel frei, darunter glitzerten die Wellen geheimnisvoll im Dunkeln. Leo drückte einen Knopf, und sofort surrten Rollos herab, um für die nötige Privatsphäre zu sorgen. Grace’ Blick schweifte über das opulente Bett mit seiner schimmernden Tagesdecke aus austernfarbener Seide. Ausgewählte Gemälde zierten die Wände, zweifellos kostbare Originale.

„Möchtest du etwas trinken? Oder essen?“ Leo wusste selbst nicht, warum er sie in seine Suite gebracht hatte, die sein ganz persönliches Refugium war. Normalerweise lud er seine weiblichen Gäste für die Nacht in eine der Gästekabinen ein.

„Nein danke. Ich muss zugeben, ich fühle mich in all dem Luxus etwas fehl am Platz“, gestand sie befangen.

Doch Leo hatte im Gegenteil das seltsame Empfinden, als gehörte sie dorthin. Mit ihren schimmernden roten Locken, die ihr in feurigen Kaskaden über die schmalen Schultern fielen und ihr zartes Elfengesicht umschmeichelten, den großen meergrünen Augen und den niedlichen Sommersprossen auf der Stupsnase war sie etwas ganz Besonderes. Eine Naturschönheit im Gegensatz zu den gestylten Models, an die Leo gewöhnt war.

„Es ist doch nur Geld.“

„Das kann nur jemand sagen, der mehr als genug davon hat“, entgegnete Grace skeptisch. „Wir stammen aus völlig verschiedenen Welten, Leo.“

„Hier gibt es keine Barrieren.“ Er kam zu ihr, nahm ihre Hand und zog sie zu sich heran. „Ich habe nicht übertrieben, als ich dir sagte, wie sehr ich dich will, meli mou.“

„Wie hast du mich gerade genannt?“

„Meli mou.“ Lächelnd strich er ihr eine rote Locke aus der Stirn. Seltsam, wie sie seinen Beschützerinstinkt weckte, weil sie trotz ihrer High Heels kaum bis zu seinen Schultern reichte. „Das ist Griechisch und bedeutet wörtlich ‚mein Honig‘.“

„Ich bin aber eher scharf als süß“, warnte Grace.

„Zu viel Zucker hat man schnell satt“, entgegnete Leo, wobei er sich fragte, ob das vielleicht das Geheimnis der Anziehung war, die sie auf ihn ausübte. Anders als die gelackten Schönheiten, mit denen er sonst verkehrte, war Grace unabhängig und erfrischend direkt und ehrlich.

Sie erschauerte, als er sanft über ihren schlanken Hals strich. „Du berührst mich ständig …“

„Ich kann meine Hände nicht von dir lassen. Ist das ein Problem?“

Sie wich dem glühenden Blick seiner faszinierenden goldbraunen Augen aus. Das Problem war, dass Grace so viel Zärtlichkeit einfach nicht gewöhnt war. Ihre Mutter hatte zwar durchaus liebevolle Phasen gehabt, wenn sie einmal nicht unter Drogen stand, und an die gemeinsame Zeit in einer Kommune in Wales erinnerte sich Grace als die glücklichste Zeit in ihrem Leben. Aber nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie in der Familie ihres Onkels kaum noch Zuwendung erfahren. „Nein, nein“, wehrte sie ab, nahm sich aber vor, auf der Hut zu sein. Das Experiment mit Leo durfte ihr nicht unter die Haut gehen.

„Umso besser, denn ich weiß nicht, ob ich aufhören könnte.“ Leo legte sein Sakko achtlos auf einen Stuhl, löste seine Seidenkrawatte und warf auch sie beiseite.

Ich werde nur Sex mit ihm haben, endlich keine Jungfrau mehr sein und etwas Erfahrung sammeln, redete Grace sich ein. Wenn sie sich darauf beschränkte und keine anderen Gefühle zuließ, konnte sie auch nicht so verletzt werden wie ihre Mutter, die sich blind in die Hände eines Mannes begeben und ihren Fehler zu spät erkannt hatte.

„Hey …“ Leo legte ihr einen Finger unters Kinn und betrachtete sie forschend. „Wo warst du mit deinen Gedanken? Schlimme Erinnerungen?“

Grace errötete. „So könnte man es nennen.“

„Ein anderer Mann?“ Die Vorstellung, dass sie an einen Ex dachte, während sie mit ihm zusammen war, versetzte ihm einen Stich, der ihn erschreckte.

„Es geht dich zwar nichts an, aber: Nein“, entgegnete Grace trotzig. „Ich lasse keinen Mann in meinen Kopf.“

„Nur an deinen Körper?“, sagte Leo rau und zog sie zu sich heran.

Sie blickte durch ihre dichten Wimpern zu ihm auf. „Nur an meinen Körper. Das gilt auch für dich – abgemacht?“

„Wir reden zu viel.“ Ihr koketter Blick machte ihn so heiß, dass er kaum registrierte, dass tatsächlich sie ihn warnte, nicht mehr als nur Sex zu erwarten. War das nicht eigentlich sein Text? Ein Gedanke, der ihn seltsam verunsicherte.

Ehe er es sich anders überlegen konnte, küsste er sie auf den Mund und fühlte, wie sie in seinen Armen erschauerte, als er seine Zunge zwischen ihre Lippen schob.

„Ich werde dich ganz langsam ausziehen“, flüsterte er, „und deinen hinreißenden Körper Stück für Stück enthüllen.“

Allein bei der Vorstellung durchzuckte es sie heiß, und sie fragte sich, ob sie dieser Herausforderung gewachsen war.

3. KAPITEL

Ohne von ihren Lippen zu lassen, hob Leo Grace auf seine Arme und trug sie zum Bett, wo er sie sacht ablegte. Dann streifte er ihr geübt die High Heels von den Füßen und ließ sie achtlos zu Boden fallen.

Grace atmete tief ein, um ihre Nervosität zu bezwingen. Natürlich hätte sie Leo gestehen können, dass sie ein absoluter Neuling im Bett war, aber sie befürchtete, dass er sie dann nicht mehr annähernd so begehrenswert finden würde. Er gab ihr das Gefühl, wunderschön und verführerisch zu sein, und sie wollte es noch eine Weile genießen. Am liebsten hätte sie sich ja im Bad ausgezogen, um in ein großes Handtuch gewickelt ins Schlafzimmer zurückzukommen. Aber wäre das nicht zu prüde gewesen? Hemmungen sind nicht sexy, ermahnte sie sich energisch.

„Ich liebe dein Haar.“ Bewundernd ließ Leo die Finger durch ihre seidigen roten Locken gleiten, bevor er sich zu ihr aufs Bett gesellte und sein Hemd aufknöpfte. „Was für eine herrliche Farbe.“

„In der Schule hat man mich immer Karottenkopf genannt. Ich habe es lange gehasst, ein Rotschopf zu sein“, erinnerte sie sich lächelnd.

„Wenn du lächelst, strahlt dein ganzes Gesicht, meli mou“, flüsterte er zärtlich und nahm erneut von ihren Lippen Besitz. Wie magisch angezogen, kam sie ihm ohne Zögern entgegen. Sie konnte nicht genug von diesen neuen Gefühlen bekommen, die er in ihr weckte.

Sein offenes Hemd gab den Blick auf seinen athletischen Oberkörper frei – ein perfekter „Sixpack“, von dem die meisten Männer nur träumen konnten. Er sah atemberaubend gut aus. Grace konnte sich gar nicht sattsehen.

Doch zunächst gönnte er ihr diesen Genuss nicht. Stattdessen drehte er sie auf den Bauch, öffnete den Reißverschluss ihres Kleides und schob es auseinander, um erst die eine, dann die andere Schulter mit zarten Küssen zu bedecken. Dann drehte er sie in seinen Armen wieder zu sich herum.

„Lässt du dir immer so viel Zeit?“

Nein, tatsächlich tat er das nicht, und wenn er bedachte, wie erregt er bereits war, wunderte er sich selbst, warum es ihm so wichtig war, der perfekte Liebhaber für sie zu sein. „Das hängt ganz von meiner Stimmung ab. Ich will dich genießen …“

Langsam streifte er ihr das Kleid herab und hielt inne, um ihre vollen straffen Brüste in dem zarten Spitzen-BH zu bewundern. Doch die Verlockung war zu groß. Ungeduldig öffnete er den Verschluss ihres BHs und umfasste ihre Brüste, streichelte sie mit zärtlichen Händen, bevor er sich zu den rosigen Spitzen herabbeugte.

„Du hast wunderschöne Brüste“, flüsterte er, ehe er eine der Spitzen mit seinem Mund umschloss.

Unbändiges Verlangen durchfuhr ihren in der Liebe so unerfahrenen Körper, ihr stockte buchstäblich der Atem. Unwillkürlich krallte sie die Finger in Leos schwarzes Haar. Wie weich es war! Und wie gut es sich anfühlte, ihn zu berühren! Grace hatte sich tatsächlich eingebildet, sie könnte bei ihrem kleinen privaten Experiment distanzierte Beobachterin bleiben, musste nun aber erleben, wie sie dem Ansturm ihrer Gefühle willenlos erlag. Als Leo sich wieder ihren Lippen zuwandte und sie erneut leidenschaftlich küsste, ließ sie die Hände in sein offenes Hemd gleiten, streichelte seinen muskulösen Oberkörper und dann weiter hinab über seinen straffen Bauch.

Leo erstarrte. „Nicht! Jedenfalls nicht beim ersten Mal.“ Er löste sich aus ihrer Umarmung und stand auf. „Ich bin kurz davor, zu kommen.“

Seine Reaktion verunsicherte Grace, bewies sie ihr doch nur, wie unerfahren sie in Sachen Sex war. Und was meinte er mit „nicht beim ersten Mal“? Ging er davon aus, dass sie in dieser Nacht mehrmals …? Atemlos sah sie zu, wie er sich rasch seiner Kleidung entledigte, wobei auch er nicht mehr ganz so cool wirkte. Sie schluckte nervös, als er in seiner ganzen männlichen Schönheit vor ihr stand. Die Wissenschaftlerin in ihr registrierte, dass es allein bei Leos nacktem Anblick heiß in ihr aufwallte und ihr Atem spürbar schneller ging.

„Du bist so still.“ Leo kam zu ihr zurück, wobei er einige kleine Folienverpackungen auf den Nachttisch warf, was Grace einigermaßen beruhigte.

Zumindest würde sie nicht wie ihre Mutter ungewollt schwanger werden. „Ich … bin eben so.“ So beiläufig wie möglich schlüpfte sie unter die Decke, um darunter ihren Slip auszuziehen, das letzte Kleidungsstück, das ihr noch geblieben war.

„Wer so schön ist, kann doch unmöglich schüchtern sein“, bemerkte Leo, legte sich zu ihr und zog sie zu sich heran. „Aber du bist nicht fair … ich will dich in deiner ganzen Schönheit sehen.“

Grace hatte sich noch nie schön gefunden. Im Gegenteil, in der Familie ihres Onkels hatte sie von klein auf gelernt, große, dünne Blondinen als Schönheitsideal zu betrachten, und ihre Erfahrungen in der Schule hatten sie darin bestätigt. Aber unter Leos bewundernden Blicken fühlte sie sich jetzt zum ersten Mal schön und begehrenswert. „Ich muss zugeben, du bist auch toll anzusehen“, gestand sie scheu.

„Wirklich?“ Er lachte, weil ihn ihre Zurückhaltung amüsierte. Da war er im Schlafzimmer ganz anderes gewöhnt. Umso mehr reizte es ihn, ihre Leidenschaft zu entfesseln, sodass sie sich ganz darin verlor.

Als er sie wieder auf den Mund küsste, öffnete sie ihre Lippen bereitwillig seinem Kuss, während winzige Schauer elektrisierend ihren Körper durchzuckten. Leo begann sie zu streicheln, zärtlich und so erregend, dass sie sich seufzend an ihn schmiegte … bis er seine Hand zwischen ihre Beine schob. Grace erstarrte. Wie hatte sie sich einbilden können, Leo Zikos zu ihrem wissenschaftlichen Projekt machen zu können? Plötzlich überfiel sie schiere Panik bei dem Gedanken, sie könnte ihre Distanz verlieren. Schon schloss sie machtlos die Augen und schob ihm ihre Hüften entgegen, als er das Zentrum ihrer Lust fand und liebkoste.

Widerstandslos ließ sie es geschehen, dass er die Bettdecke beiseiteschob und langsam hinabglitt, wobei er ihren Körper mit heißen Küssen bedeckte. Noch klammerte sich Grace an den letzten Rest ihrer Vernunft und bemühte sich, das, was mit ihr geschah, ganz nüchtern zu analysieren. Doch als Leo, sämtliche Hemmungen vergessend, seinen Mund in ihrem Schoß barg, war es um ihre Kontrolle endgültig geschehen. Stöhnend krallte sie die Finger in sein dichtes dunkles Haar und presste ihn an sich, wollte mehr und mehr … bis sich all ihre aufgestaute Lust in einem unglaublichen Orgasmus entlud, der sie in einem Strudel wilder Gefühle mit sich riss.

„Du bist ungeheuer sinnlich, meli mou“, flüsterte Leo, der all seine Erwartungen mehr als erfüllt fand, als Grace ihn in den Nachwehen ihres Höhepunkts an sich presste.

Sacht befreite er sich aus ihren Armen. Nur am Rande bemerkte sie, dass er sich ein Kondom nahm und überstreifte, bevor er sich ihr wieder zuwandte. Endlich würde es geschehen. Grace schloss die Augen und stellte fest, dass sie es kaum erwarten konnte. Natürlich hatte sie sich hin und wieder ausgemalt, wie es wohl sein würde – aber nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich vorgestellt, dass sie einen Mann so sehr begehren könnte, dass nichts sonst mehr wichtig schien. Als er ihre Hüften umfasste, kam sie ihm bedenkenlos verlangend entgegen. Überraschend durchzuckte sie ein kleiner Schmerz, und sie schrie leise auf.

Leo erstarrte sofort. „Was ist …? Habe ich dir wehgetan?“

Widerstrebend schlug sie die Augen auf. „Ich war noch Jungfrau“, gestand sie errötend.

„Jungfrau?“, rief er ungläubig aus. „Und das sagst du mir jetzt?“

„Ich fand, das sei meine Sache“, erklärte sie trotzig. „Und da es nun erledigt ist, können wir doch einfach da anknüpfen, wo wir aufgehört haben?“

In anderer Stimmung hätte Leo angesichts dieses Vorschlags wahrscheinlich laut gelacht. Tatsächlich aber war er genauso zornig wie überrascht. Denn das hatte er wirklich nicht erwartet, und er mochte keine Überraschungen. Doch er stellte auch fest, dass sein Körper ganz offensichtlich nicht so kritisch war. Er wollte sie so sehr, dass er größte Mühe hatte, sich zurückzuhalten. Ganz langsam drang er tiefer ein, ermutigt durch ein lustvolles Seufzen von Grace.

Hingebungsvoll schloss sie die Augen, das bisschen Schmerz war längst vergessen. Stattdessen wuchs ihr Verlangen nach Erfüllung ins Unermessliche. Für ihr Gefühl ging Leo jetzt viel zu behutsam und vorsichtig vor.

„Alles okay … du tust mir nicht weh“, flüsterte sie.

Anscheinend war es die Aufmunterung, die Leo gebraucht hatte. Immer schneller und tiefer stieß er zu und stöhnte auf, als Grace ihm entgegenkam. Sie konnte nicht glauben, dass sie all die Jahre ihres Lebens vertan hatte, ohne zu wissen, was sie verpasste. Wie entfesselt folgte sie Leo auf seinem wilden Ritt dem Höhepunkt entgegen. Ihr Lustschrei mischte sich mit Leos, als sich all ihre aufgestauten Gefühle in einem weiteren unglaublichen Orgasmus entluden, bevor sie erschöpft, aber unendlich befriedigt auf das Bett zurücksanken.

„Verrätst du mir, warum du ausgerechnet mich ausgewählt hast?“, fragte Leo, noch bevor sie wieder zu Atem gekommen war.

„Du hast doch mich angesprochen“, erinnerte sie ihn und löste sich aus seiner Umarmung. „Falls du irgendeinen Plan witterst, keine Sorge. Ich fand dich einfach attraktiv und hielt es für den richtigen Zeitpunkt, es endlich auszuprobieren.“

„Es wäre mir lieber gewesen, du hättest mich vorgewarnt.“

„Ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet, dass es überhaupt wehtun würde und du etwas merken könntest. Mein Fehler“, räumte sie großmütig ein. „Aber danke für die Erfahrung. Du warst fantastisch.“

Vielleicht gerade weil Leo vor seiner Verlobung mit Marina ein geradezu berühmt-berüchtigter Frauenheld gewesen war, fühlte er sich durch Grace’ Bemerkung seltsam herabgesetzt. Er sprang aus dem Bett, wandte sich in Richtung Badezimmer … und stieß einen derben Fluch aus.

Grace erstarrte. Fluchen war im Haus ihrer Tante strikt verpönt gewesen. Völlig entgeistert sah sie Leo an.

Der war sich ihres Entsetzens gar nicht bewusst. Ohne ein weiteres Wort verschwand er im Bad, um im nächsten Moment immer noch splitternackt in der Tür wieder aufzutauchen. „Das Kondom ist gerissen.“

Erschrocken setzte Grace sich hin. „Was sagst du da? Es ist … gerissen?“, flüsterte sie. „Aber ich nehme die Pille nicht …“

„Wäre das nicht eine vernünftige Schutzmaßnahme gewesen, bevor du dich auf einen One-Night-Stand einlässt?“, entgegnete er bewusst schroff in Anbetracht der Tatsache, dass sich für ihn gerade eine Überraschung auf die andere häufte.

Grace zog es vor, ihn einfach zu ignorieren. Schließlich musste sie nicht mit ihm reden, nur weil sie mit ihm geschlafen hatte. Im Gegenteil, nachdem die Sache nun erledigt war, wollte sie ihn bitten, sie mit einem Boot zum Jachthafen zurückbringen zu lassen. Oder würde das zu sehr nach Flucht aussehen?

„Dürfte ich das Bad benutzen?“, fragte sie betont höflich. „Und könntest du dann vielleicht dafür sorgen, dass mich jemand zum Jachthafen zurückbringt?“

Verblüfft trat Leo einen Schritt zur Seite, sodass sie ins Bad konnte. Rums, bums, und besten Dank, Sir! So hatte ihn noch keine Frau behandelt. Andererseits war es ihr erstes Mal gewesen, rief er sich besänftigend ins Gedächtnis. Erst rückblickend wurde ihm bewusst, wie arglos und unschuldig sie tatsächlich gewesen war. Er wagte nicht, sich auszumalen, was alles hätte passieren können, wenn sie so vertrauensselig mit einem Mann mitgegangen wäre, der es weniger gut mit ihr meinte.

„Ich möchte, dass du die Nacht über hierbleibst. Morgen bringe ich dich dann zurück“, sagte er.

„Das war ein One-Night-Stand. Ich glaube nicht, dass du mir vorzuschreiben hast, was ich tun oder lassen soll!“, entgegnete sie hitzig.

„Im Augenblick gelingt es dir nicht besonders gut, dich um dich selbst zu kümmern“, gab er spöttisch zurück.

Sie schlug ihm die Badezimmertür vor der Nase zu. Was glaubte er eigentlich, wer außer ihr selbst sich um sie kümmern würde, wenn sie das Pech hatte, schwanger zu werden? Es ging ihn überhaupt nichts an, dass sie nicht geplant hatte, in diesem Urlaub mit irgendjemandem Sex zu haben, und die Pille nicht nahm, weil sie als angehende Ärztin ihren Körper nicht ohne Grund mit Hormonen bombardieren wollte. Andererseits, hätte sie diese Möglichkeit nicht wenigstens in Betracht ziehen müssen? Rasch überschlug sie ihren Zyklus und stellte fest, dass der Zeitpunkt kaum schlimmer hätte sein können.

Auf der anderen Seite der Tür wandte Leo sich mit einem unterdrückten Fluch ab und ging, um sich in einem anderen Bad zu duschen. Warum war sie wütend auf ihn? Unfälle wie dieser passierten, auch wenn er sich zum ersten Mal in dieser Lage befand. Schon als Teenager war ungeschützter Sex für ihn tabu gewesen. Das Beispiel seines Vaters hatte ihm warnend vor Augen gestanden: Der Sohn, den Anatole Zikos mit seiner Geliebten hatte, war eine Belastung für seine Ehe und das Familienleben gewesen. Alle hatten sie darunter gelitten.

Eingehüllt in einen viel zu großen Bademantel, den sie im Bad gefunden hatte, kam Grace schließlich zurück. Sie hatte die Ärmel hochgekrempelt und war ganz froh, dass der Frotteemantel sie bis zu den Füßen bedeckte, denn plötzlich schien ihr der Zugewinn an Erfahrung zu teuer bezahlt, und sie fühlte sich befangener als vorher.

„Ich dachte, du hättest vielleicht Hunger.“ Leo deutete auf einen reichlich mit Köstlichkeiten bestückten Servierwagen, den er inzwischen hatte kommen lassen.

„Du hast jemanden, der um vier Uhr morgens für dich kocht?“, fragte Grace erstaunt, aber froh über die Ablenkung. Barfuß tappte sie hinüber und inspizierte das Angebot. Urplötzlich merkte sie, dass sie tatsächlich hungrig war. Also füllte sie sich einen Teller mit den Leckereien und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.

Leo schwieg, aber sie war sich sehr bewusst, dass er sie die ganze Zeit aufmerksam beobachtete. Er trug jetzt Jeans und ein blaues T-Shirt, sein dunkles Haar war zerzaust und noch feucht vom Duschen, und auf seinem markanten Kinn zeigte sich ein Anflug von Bartstoppeln. Sosehr sie mit den möglichen Folgen ihres Tuns haderte, gestand sie sich doch ein, dass Leo Zikos wirklich der Inbegriff ihres Traummannes war.

„Ich habe einen Arzt in Rufbereitschaft, falls du ….“

„Nein!“ Grace fiel ihm ins Wort, bevor er ihr vorschlagen konnte, mit der Pille danach eine mögliche Schwangerschaft zu verhindern. Es kam für sie nicht infrage, auch wenn ein Kind ihren Abschluss in Medizin erst einmal in weite Ferne rücken würde. „Das ist keine Option für mich.“

„Ich musste es dir zumindest anbieten“, erwiderte er scheinbar gleichmütig. „Wann fliegst du nach Hause?“

„Übermorgen.“ Sie setzte sich in einen großen Sessel.

„Ich bestehe darauf, dass du mir deine Adresse und deine Telefonnummer gibst. Wir sollten diese Situation nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ Er goss sich ebenfalls eine Tasse Kaffee ein. „Aber wenn du mir deine Kontaktdaten gibst, brauchen wir vorerst kein Wort mehr darüber zu verlieren. Ich möchte dir nur noch ausdrücklich versichern, dass du meine volle Unterstützung hast, sollte es … eine gewisse Entwicklung geben.“

„Okay.“ Grace hütete sich, seinen Worten zu viel Gewicht beizumessen. Schöne Worte kosteten nichts. Hatte nicht auch ihr eigener Vater ihre Mutter überredet, keine Abtreibung vornehmen zu lassen, als sie als Studentin schwanger geworden war? Er hatte ihr versprochen, sie zu heiraten und ihr zu helfen, das Kind großzuziehen. Und dann war er plötzlich doch mit einer anderen auf und davon gewesen und hatte Keira Donovan mit ihrem Baby alleingelassen.

Leo legte einen Notizblock und einen Stift auf den Tisch neben Grace. Widerspruchslos notierte sie ihre Adresse und Telefonnummer und unterdrückte ein Gähnen, als sie ihm den Block wieder zuschob. „Entschuldige, aber ich bin sehr müde …“

„Es ist ja auch spät. Leg dich ins Bett“, erwiderte er ruhig.

Sie zögerte. Wenn sie darauf bestand, dass er sie zum Jachthafen zurückbringen ließ, würde sie vor Morgengrauen im Hotel sein und musste vermutlich noch Stunden in der Eingangshalle warten, bis Stuart endlich verschwand. „Also gut … ich bleibe. Wenigstens habe ich hier ein Bett.“

„Ein Bett?“ Bei genauerem Hinsehen registrierte Leo, wie erschöpft sie aussah.

Ohne zu antworten, legte Grace sich ins Bett, immer noch eingehüllt in den Bademantel.

Leo bemerkte es mit spöttischem Blick. „Keine Sorge, ich hatte nicht vor, dich noch einmal zu belästigen.“

„Anscheinend habe ich dich gekränkt. Tut mir leid“, murmelte sie schläfrig, bevor ihr die Augen zufielen.

Kurz entschlossen zog Leo Jeans und Shirt aus, behielt allerdings die Boxershorts an, schlüpfte zu Grace unter die Decke und knipste das Licht aus. „Was hast du damit gemeint, dass du hier ein Bett hast?“

„Ich teile mir mit meiner Cousine ein Hotelzimmer, und sie hat gleich am ersten Abend einen Mann kennengelernt“, flüsterte sie. „Deshalb habe ich fast jede Nacht in der Rezeption die Zeit totgeschlagen, weil Jenna mit ihm ungestört sein wollte.“

„Unverschämt!“

„Wie man’s nimmt. Jennas Familie hat den Urlaub bezahlt. Ursprünglich für Jenna und ihre beste Freundin, aber die konnte wegen eines Unfalls nicht mitfahren. Also wurde ich als Ersatz gefragt, weil sie nicht allein reisen wollte. Aber nachdem sie jetzt Stuart kennengelernt hat, bin ich überflüssig geworden.“

„Deine Tante und dein Onkel wären doch sicher empört, wenn sie erführen, wie sie dich behandelt?“

„Jenna bekommt immer, was sie will“, murmelte Grace. „Das war schon immer so. Sie ist die Tochter, die Prinzessin. Ich bin nur die Nichte, die sie aus reinem Pflichtgefühl aufgenommen haben.“

„Wie schrecklich, innerhalb einer Familie zwischen zwei Kindern solche Unterschiede zu machen!“, wollte Leo losschimpfen, doch er verstummte, als ihm klar wurde, dass Grace eingeschlafen war.

Seine eigenen Worte hallten ihm in den Ohren wider. Plötzlich wurden ihm die Ähnlichkeiten zwischen Grace’ Situation in der Familie ihrer Cousine und der seines abgelehnten Halbbruders in seiner eigenen Familie bewusst. Zum ersten Mal begriff Leo, dass er nie versucht hatte, die Dinge aus Bastiens Sicht zu sehen. War es wirklich verwunderlich, dass Bastien ein so störrisches, zorniges Kind gewesen war und sich zu einem aggressiven Macho entwickelt hatte, der vor Ehrgeiz brannte? Ebenso ungewohnte wie unangenehme Überlegungen für Leo, die ihn lange nicht einschlafen ließen.

4. KAPITEL

„Nein, bitte, erzähl mir nicht, dass es toll war“, bat Grace lachend, als Leo sie, ganz Gentleman, nach einem luxuriösen Frühstück persönlich zu dem Motorboot begleitete, das sie in die wirkliche Welt zurückbringen würde.

„Warum nicht?“, erkundigte sich Leo, irritiert von ihrer guten Laune angesichts des Abschieds.

„Weil du genau weißt, dass es für dich von Anfang bis Ende ein Desaster war, aber du bist zu höflich, es auszusprechen. Ich war einfach in keiner Hinsicht das, was du erwartet hattest“, erklärte sie unverblümt, als sie ihren Platz im Boot einnahm.

Nicht zum ersten Mal fiel ihm auf, was sie so besonders machte: dass sie geradewegs aussprach, was sie dachte, ohne eine Spur von Eitelkeit. Bislang hatte er geglaubt, jede Frau sei mehr oder weniger eitel. „Ich melde mich …“

„Das ist nicht nötig“, wehrte sie energisch ab.

Ich entscheide, was nötig ist“, entgegnete Leo gereizt.

Er suchte sich einen Platz an der Reling auf dem oberen Deck, von wo aus er beobachtete, wie das Boot Grace zum Jachthafen zurückbrachte. Ihn befiel ein seltsames Gefühl – als wäre etwas unvollendet geblieben. War es Bedauern? Fast hätte er sie gefragt, ob sie bis zu ihrem Abflug bei ihm bleiben würde! Warum? Es stimmte doch, was sie gesagt hatte: Es war ein Desaster gewesen. Anstelle einer ausgedehnten Liebesnacht mit einer erfahrenen Frau war er bei einer Jungfrau gelandet, ganz zu schweigen von dem gerissenen Kondom. Als er dann zu allem Überfluss gemerkt hatte, dass es ihm gar nicht eilig war, sich von Grace zu verabschieden, hatte sich in ihm der erschreckende Verdacht geregt, dass er mehr für sie empfand, als er je für eine Frau empfinden wollte. Von da an hatte er es sehr eilig gehabt, sie loszuwerden.

Dennoch konnte er nicht vergessen, wie sie auf dem Höhepunkt der Lust selbstvergessen seinen Namen geseufzt hatte. Heißes Verlangen durchzuckte ihn erneut bei der Erinnerung daran, wie unglaublich es gewesen war, sie zu lieben. Aus seiner Sicht war der Sex wirklich fantastisch gewesen, auch wenn er sich ursprünglich etwas anderes erhofft hatte. Tatsächlich spürte er die Gefahr, süchtig nach Grace Donovan zu werden, weshalb es das einzig Richtige gewesen war, sie so schnell wie möglich wegzuschicken!

Drei Wochen später hielt Grace im Badezimmer ihrer Tante und ihres Onkels einen Schwangerschaftstest in Händen.

Angespannt versuchte sie sich gegen den Moment der Wahrheit zu wappnen, wobei ihr medizinisches Wissen und ihre weibliche Intuition ihr längst Gründe genug geliefert hatten, das Schlimmste zu befürchten. Die SMS, die Leo ihr Anfang der Woche geschickt hatte, machte es nicht besser. Er hatte gefragt, ob es Neuigkeiten gäbe. Sie hatte es einfach ignoriert.

Grace atmete tief ein, als sich das Testergebnis abzeichnete: positiv. Sie war schwanger! Im ersten Moment brach ihr der kalte Schweiß aus. Wer wusste besser als sie, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es sein würde, ihr Medizinstudium mit einem Baby und ohne den dazugehörigen Vater abzuschließen? Plötzlich war sie wütend auf sich, weil sie sich nicht besser geschützt hatte. Sie war einfach davon ausgegangen, gar nicht erst in so eine Situation zu kommen, weil sie sich immer im Griff hatte. Leo Zikos, umwerfend attraktiv und sexy, hatte sie eines Besseren belehrt. Aber zu welchem Preis?

Leo … trotz aller Versuche, die Episode zu vergessen und ihr normales Leben wieder aufzunehmen, hatte Grace in den vergangenen Wochen ständig an ihn gedacht. Nie hätte sie geglaubt, dass sie eine derart schwärmerische Seite besaß. Das hast du nun davon, dachte sie resigniert, während sie den Test samt Anleitung in die Plastiktüte zurückstopfte. Sollte sie es Leo sagen?

Natürlich … irgendwann. Aber erst, wenn sie entschieden hatte, was sie tun würde. Im Moment hatte sie wirklich andere Sorgen, als einen Mann anzurufen, der sie allerhöchstens finanziell unterstützen würde. Außerdem vermutete sie, dass Leo eine Abtreibung vorschlagen und verärgert reagieren würde, wenn sie ihm diese „saubere“ Lösung des Problems verweigerte.

Würde er anders reagieren als ihr Vater, an den sie sich kaum erinnerte? Grace verbot sich diesen Vergleich. Sie war zu intelligent, um nicht zu wissen, dass ihre Mutter ihr die eigene Verbitterung eingetrichtert hatte. Viel zu jung, um das alles verstehen zu können, hatte es Grace tief gekränkt, dass ihr nicht vorhandener Vater sich nie um sie, seine älteste Tochter, gekümmert hatte. Seit sie ihn auf Facebook ausfindig gemacht hatte, wusste sie, dass sie zwei Halbgeschwister hatte, ebenfalls rothaarig wie sie. Kinder der Frau, die ihr Vater geheiratet hatte, nachdem er Grace’ Mutter sitzen gelassen hatte. Aber immerhin verdankte sie es ihrem Vater, dass sie überhaupt die Chance bekommen hatte, zu leben. Wie hätte sie diese Chance ihrem eigenen Kind verweigern können?

Obwohl sie Kinder liebte, waren in ihrer Lebensplanung eigentlich noch lange keine vorgesehen. Angesichts ihrer unerwarteten Schwangerschaft versuchte sie nun, so unsentimental und vernünftig wie möglich ihre weitere Vorgehensweise zu planen. Nach ihren eigenen Erfahrungen wusste sie, dass die beste Lösung eine Adoption durch ein Paar sein würde, das sich Kinder wünschte und ihrem Kind ein stabiles Zuhause und alles andere bieten konnte, wozu sie augenblicklich nicht in der Lage war.

Schuldete sie ihrem Baby nicht den bestmöglichen Start ins Leben? Was hatte sie ihm schon zu bieten? Ihre eigene Mutter war mit ihrer Verantwortung als Alleinerziehende nicht fertiggeworden, im Gegenteil, sie hatte es ihrer kleinen Tochter übel genommen, ihretwegen ihre Jugend und Freiheit verloren zu haben. Nie war genug Geld da gewesen, und oft hatte Keira Donovan Grace der Obhut zweifelhafter Babysitter überlassen. Vor allem aber erinnerte sich Grace gut, wie sehr sie sich immer einen liebevollen, starken Vater gewünscht hatte. Eine schreckliche Angst quälte sie, ihrem eigenen Kind gegenüber so zu versagen, wie es ihre Mutter ihr gegenüber getan hatte. Und dennoch sträubte sich etwas ganz Elementares in ihr, ihr Baby anderen Menschen zu überlassen.

Jemand rüttelte an der Türklinke. „Grace? Du bist schon seit Stunden im Bad!“

Resigniert nahm sie ihre Tüte, schloss die Tür auf und wollte an ihrer Tante vorbei.

Doch Della Donovan legte ihr eine Hand auf den Arm und hielt sie zurück. „Bist du etwa schwanger?“, fragte sie scharf.

„Wie kommst du darauf?“, fragte Grace überrascht, denn sie hatte mit niemandem über ihre Sorge gesprochen.

„Oh, das könnte meine Schuld sein“, mischte sich Jenna scheinheilig vom Treppenabsatz ein. „Ich stand hinter dir in der Schlange, als du den Test gekauft hast …“

Grace wurde blass. „Ja, ich bin schwanger“, bestätigte sie schroff.

Ihre Tante, von ihrem Naturell her sowieso kein sanftmütiger Mensch, verlor völlig die Beherrschung. Als sie mit ihrer Schimpftirade fertig war, wusste Grace endgültig, wo sie stand – und dass sie nicht länger im Haus ihrer Tante und ihres Onkels bleiben konnte. Della hatte Dinge über Grace und ihre verstorbene Mutter gesagt, die Grace nie mehr vergessen könnte. Kreideweiß stieg sie die Treppe hoch, verschwand in ihrem Zimmer und rief Matt an. Dann holte sie ihren Koffer hervor. Schneller, als sie es befürchtet hatte, löste sich ihr ganzes Leben, das sie sich so hart erkämpfte hatte, in Nichts auf.

Zu Beginn der Woche hatte Leo Grace eine SMS geschickt, doch sie hatte nicht geantwortet. Er war es leid, zu warten und mitten in der Nacht mit der Frage aus dem Schlaf zu schrecken, ob

In kaum zwei Monaten sollte er heiraten, und Marina sorgte dafür, dass er es nicht vergaß, indem sie in regelmäßigen Abständen anrief und seine Meinung zu Details der Hochzeitsfeierlichkeiten einholte, die ihm völlig schnuppe waren. Marina jedoch plauderte heiter wie immer. Offenbar zweifelte sie – im Gegensatz zu ihm – nicht an dem Vorhaben.

Trotzdem hielt er seine ursprünglichen Zukunftspläne nach wie vor für richtig. Leo Zikos setzte sich ein Ziel, traf Entscheidungen und verwirklichte, was er sich vorgenommen hatte. Das war sein Erfolgsgeheimnis. Fragen wie Was wäre, wenn …? hatten in seinem Leben keinen Platz. Dabei war es ihm vollkommen klar, warum er in jener Nacht mit Grace Donovan im Bett gelandet war. Er hatte sich über Marina geärgert und sich gefragt, mit welchen Überraschungen sie in Zukunft noch aufwarten würde. Das erklärte jedoch nicht, warum Grace ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen hatte. Und schon gar nicht, warum er mit ihr den fantastischsten Sex seines alles andere als enthaltsamen Lebens gehabt hatte und jene Nacht jederzeit wiederholen würde.

Folgerichtig hatte er Nachforschungen über Grace Donovan angestellt, während er auf eine Nachricht von ihr wartete, und was er erfuhr, verwirrte ihn nur noch mehr. Anscheinend war ihre frühe Kindheit schrecklich gewesen und ihre Jugend nicht viel liebevoller. Dass sie trotzdem so viel erreicht hatte, sprach für ihre Stärke. Dennoch blieben für Leo viele offene Fragen. Warum schützte sich eine gut informierte Medizinstudentin im letzten Studienjahr nicht besser gegen eine ungewollte Schwangerschaft? Warum war sie seiner Frage ausgewichen, was sie studierte? Fairerweise musste er auch zugeben, dass ein Kind ihr Leben mehr durcheinanderwirbeln würde als seins.

Schließlich hielt er das Warten nicht mehr aus. Er ließ sich von seinem Chauffeur zu der Adresse fahren, die sie ihm aufgeschrieben hatte, ärgerlich, dass Grace ihn zu dieser Konfrontation zwang. Wie hätte er sich einfach der Hoffnung hingeben können, es sei schon alles in Ordnung? Wie hätte er Marina heiraten können, ohne Gewissheit zu haben? Nein, angesichts der möglichen Folgen konnte er das Problem nicht ignorieren … wobei er im Grunde seines Herzens immer noch hoffte, dass ihn sein Glück auch in diesem Fall nicht im Stich lassen würde.

Kurz darauf verließ Leo beträchtlich ernüchtert das Haus von Grace’ Onkel, wo er sie nicht mehr angetroffen hatte. Die eiskalte Blondine von schätzungsweise Mitte vierzig, die seine Visitenkarte mit spitzen Fingern entgegengenommen hatte, wurde zwar deutlich freundlicher, als sie seine Limousine bemerkte, aber da konnte Leo schon nicht mehr schnell genug weg. Nein, er wollte wirklich nichts mit einer Frau zu tun haben, die die Mutter seines ungeborenen Kindes hinausgeworfen und sich so abfällig über sie geäußert hatte.

Verdammt, er wurde wirklich Vater … ob es ihm gefiel oder nicht. Leo atmete einige Male tief durch und rief dann als Erstes Marina an.

„Ach du Schande!“, rief Marina. „Das setzt meinem Faux-pas mit dem verheirateten Liebhaber wohl noch die Krone auf, was? Was willst du jetzt machen?“

„Wir müssen uns treffen und reden.“

„Nein, ich denke, du musst jetzt erst einmal mit der Mutter des Babys reden und nicht mit mir“, widersprach Marina. „Was für ein furchtbarer Schlamassel, Leo!“

Er zog es vor, zu schweigen. Was hätte er auch zu seiner Verteidigung vorbringen können? Sein ganzes schönes, perfekt organisiertes Leben war aus den Fugen geraten. Würden all seine Zukunftspläne wirklich zunichtegemacht, weil ein Kondom gerissen war? Er fluchte leise, bevor er dem Fahrer die Adresse nannte, die er von Grace’ Tante erhalten hatte. Wer war dieser Matt Davison überhaupt, und in welcher Beziehung stand er zu Grace? Natürlich war es keine Eifersucht, die Leo diese Fragen stellen ließ, sondern einzig und allein die Tatsache, dass Grace Donovan höchstwahrscheinlich die Mutter seines ersten Kindes sein würde, sodass ihre Lebensweise und ihr Umgang jetzt von größerer Bedeutung waren als an jenem Abend, als er sie mit auf seine Jacht genommen hatte.

Befand er sich bereits auf dem gleichen zerstörerischen Weg wie sein Vater? Nein, schließlich stand er nicht im Begriff, eine Frau ihres Geldes wegen zu heiraten, während die ärmere Geliebte schon mit seinem Kind schwanger war. Und glücklicherweise spielte Liebe in seinem Fall keine Rolle. Anatole Zikos hatte Leos Mutter geheiratet, obwohl er eine andere liebte und zeit ihres Lebens nicht von ihr loskam. Leo war stolz darauf, sein Leben sachlicher und weniger emotional anzupacken als sein Vater. Mochte die Sache mit Grace auch ein Schlamassel sein, so würde er schnell Ordnung in das Chaos bringen, sodass er und Grace mit den Konsequenzen gut leben konnten.

Grace summte vor sich hin, während sie am Herd stand und das Abendessen kochte. Glücklicherweise hatten die Vorlesungen noch nicht begonnen. Diese Woche war als Lesewoche angesetzt, sodass sie zu Hause lernen konnte.

Als es an der Wohnungstür klingelte, fragte sie sich, ob Matt vielleicht seinen Schlüssel vergessen hatte. Mit dem Geld, das er nach dem frühen Tod seiner Eltern geerbt hatte, hatte er sich diese Eigentumswohnung gekauft und Grace ganz selbstverständlich sein Gästezimmer überlassen. Als Gegenleistung für seine Gastfreundschaft hatte sie angeboten, das Kochen und Putzen zu übernehmen.

Barfuß tappte sie in den Flur, um die Tür zu öffnen. „Leo!“, rief sie wie benommen, als sie sich so unvermittelt dem Held ihrer Träume leibhaftig gegenübersah.

„Warum hast du nicht auf meine Nachricht geantwortet?“

„Zu dem Zeitpunkt konnte ich dir noch keine Antwort geben.“

Ungeschminkt, in engen Jeans und einem blau-weiß gestreiften Shirt, die roten Locken zu einem dicken Zopf geflochten, sah sie sehr jung und zerbrechlich aus – und atemberaubend schön! Bewundernd schweifte sein Blick über ihr zartes Gesicht mit dem hellen Alabasterteint und den meergrünen Augen. Sie war noch bezaubernder als in seiner Erinnerung, und allein der Gedanke an die Lust, die er in ihren Armen erlebt hatte, weckte erneut sein Verlangen. „Deine Tante hat dich hinausgeworfen.“

„Ach, daher kennst du also meine Adresse. Ja, sie hat mich aus dem Haus geworfen, allerdings hat mein Onkel mich vorgestern besucht und mich gebeten, wieder zurückzukommen. Aber ich möchte nicht der Grund für einen Streit zwischen ihm und Della sein.“ Sie hatte ganz vergessen, wie gut Leo wirklich aussah.

Das ist eine rein körperliche Reaktion! ermahnte sie sich energisch. Leo Zikos war ein ungewöhnlich attraktiver Mann. Kein Wunder, dass sie auf seine Nähe so heftig reagierte. Zumal sie bereits mit ihm geschlafen hatte und genau wusste, was für ein beeindruckend athletischer Körper sich unter dem eleganten Anzug verbarg. Bei dem Gedanken schoss ihr heiß das Blut in die Wangen.

„Ich habe niemals jemanden kennengelernt, der so rasch errötet wie du“, neckte Leo sie.

„Du solltest es höflich ignorieren und mich nicht noch mehr in Verlegenheit bringen“, entgegnete Grace unverblümt. „Als Kind habe ich darunter gelitten, dass ich so leicht rot werde. Es liegt an meinem hellen Teint.“

Sie ging voraus in die Küche und rührte in einem dampfenden Wok. Leo war ihr gefolgt und hörte im nächsten Moment, wie jemand die Wohnungstür aufschloss. Sofort drehte er sich um und sah einen Mann von Mitte zwanzig mit einem rosigen jungenhaften Gesicht, braunem Haar und auffallend blauen Augen hinter einer schlichten Brille, die ihm einen ernsten Ausdruck verlieh.

„Matt … das ist Leo“, sagte Grace nur.

„Oh, ich verstehe …“ Verblüfft lächelte Matt sie an, um im nächsten Moment Leo sichtlich missbilligend in Augenschein zu nehmen. „Ihr wollt sicher ungestört reden. Geh mit ihm ins Wohnzimmer, Grace. Ich kümmere mich um das Essen.“

„Danke.“ Grace bedeutete Leo, ihr zu folgen.

Leo besaß schon immer ein besonderes Gespür für andere Menschen, weshalb er Matts unterdrückte Feindseligkeit ebenso wahrnahm wie die Tatsache, dass Grace nichts davon bemerkte.

„Was ist Matt für dich?“, fragte er, sobald sie allein im Wohnzimmer waren.

„Ein guter Freund. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir angeboten hat, bei ihm zu wohnen. So kurzfristig hätte ich höchstens in einem Hostel etwas bekommen. Matt und ich studieren im selben Jahr.“

„Warum hat deine Familie dich hinausgeworfen?“ Leo trat an das Fenster des kleinen Zimmers, das mit Büchern vollgestopft war.

Grace sah ihn spöttisch an. „Ich denke, das weißt du längst.“

„Aber ich hätte es gern von dir gehört“, sagte er zornig. „Ich hatte ein Recht, es als Erster zu erfahren.“

„Das hättest du wahrscheinlich auch, wenn wir eine Beziehung miteinander hätten“, erwiderte sie unbeeindruckt. „Da wir kein Paar sind, sieht die Sache anders aus.“

Leo presste die Lippen zusammen, die Muskulatur in seinen Schultern spannte sich. „Wenn du schwanger bist, haben wir eine Beziehung.“

Sie zögerte, bevor sie widerstrebend einräumte: „Schön, ich bekomme ein Kind von dir. Deshalb müssen wir noch lange keine wie auch immer geartete Beziehung haben!“

„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte er zunehmend verärgert.

„Ich komme gut allein zurecht. Zunächst werde ich mein Studium ganz normal wieder aufnehmen, das Baby hoffentlich in den Semesterferien um Ostern bekommen und es zur Adoption freigeben.“

„Adoption?“, rief Leo ungläubig. Diese Lösung war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. „Du willst unser Kind zur Adoption freigeben?“

Grace verschränkte ihre Hände, damit er nicht bemerkte, wie sehr sie zitterten. Natürlich wühlte dieses Thema auch sie auf. „Mir ist klar, dass es nicht leicht sein wird. Keine Mutter gibt ihr Kind gern weg. Aber ich lebte bei meiner alleinstehenden Mutter, bis ich neun Jahre alt war, und habe erlebt, wie schwer es ist, ein Kind ohne Vater großzuziehen.“

„Aber …“ Leo verstummte und versuchte, Ordnung in das Chaos seiner Gefühle zu bringen. Dass Grace ihr Kind – sein Kind! – zur Adoption freigeben wollte, hatte ihn total überrascht. Ihn erschreckte die Vorstellung, sein eigenes Kind nie kennenzulernen, es nicht einmal sehen zu dürfen. Und darüber hinaus schockierte es ihn, wie heftig er reagierte und welche Konsequenzen er daraus ziehen musste. „Ich glaube nicht, dass ich … dieser Lösung zustimmen kann.“

„Soweit ich weiß, hast du kein Recht, darüber mitzuentscheiden“, entgegnete Grace. „Das haben bei uns nur verheiratete Väter.“

„Dann heirate ich dich.“

„Sei nicht dumm“, wehrte sie sofort ab. „Fremde heiraten nicht.“

Leo sah sie lange schweigend an. „Es ist mir egal, wie wir genau vorgehen. Aber auch wenn du unser Kind vielleicht nicht willst, ich will es und bin bereit, es notfalls allein großzuziehen.“

Seine Worte trafen sie tiefer, als ihr lieb war. „Es geht doch nicht darum, ob ich das Baby will oder nicht will“, erwiderte sie blass. „Die Frage ist, was ich meinem Kind bieten kann und wie ich ihm den besten Start ins Leben ermögliche. Und Tatsache ist, dass ich ihm als Studentin ohne Wohnung und Geld herzlich wenig zu bieten habe.“

„Wohingegen ich sehr viel bieten und dir in jeder Hinsicht helfen kann“, warf Leo ein. „Was zunächst einmal heißt, dass ich es für das Beste halte, wenn du in meine Londoner Wohnung ziehst.“

„In deine Wohnung?“, wiederholte sie ungläubig. „Warum sollte ich das tun?“

„Weil du mit meinem Baby schwanger bist und ich fest entschlossen bin, dir jegliche Unterstützung zu geben, bis unser Kind auf der Welt ist“, erklärte er prompt.

„Aber es geht mir gut hier bei Matt“, wehrte sie ab. Hatte sie nicht alles sorgfältig durchdacht und war zu dem Schluss gelangt, dass eine Adoption die beste Lösung wäre? Und nun tauchte Leo aus dem Nichts auf und überfiel sie mit Vorschlägen, die ihr gar nicht in den Sinn gekommen waren! Was fiel ihm ein, seinen Anteil an der Verantwortung einzufordern und damit alles zu verkomplizieren?

„Es wäre nicht klug, bei Matt zu bleiben“, sagte er nun.

„Und warum nicht? Er ist ein sehr guter Freund.“

„Aber er wäre gern mehr“, entgegnete Leo. „Matt ist in dich verliebt.“

Grace sah ihn entgeistert an. „Unsinn!“

„Wäre er nur ein guter Freund, würde er sich doch freuen, dass der Vater deines Kindes auftaucht, um Verantwortung zu übernehmen, oder nicht? Stattdessen fühlt er sich eindeutig durch meine Anwesenheit bedroht und ärgert sich, dass ich gekommen bin“, erklärte Leo ungeduldig. „Du bist doch nicht dumm, Grace. Dein guter Freund Matt möchte, dass du bei ihm wohnst, weil er in dich verliebt ist.“

„Das ist doch kompletter Blödsinn!“ Sie wandte sich ab und überlegte hastig. Ja, Matt verhielt sich ihr gegenüber sehr fürsorglich und liebevoll. War es möglich, dass sie so blind gewesen war, seine Gefühle falsch zu deuten? „Ach, und überhaupt, was weißt du schon davon?“

„Ich weiß, was ich in seinem Gesicht gelesen habe, als er begriffen hat, dass ich der Vater des Kindes sein muss“, antwortete Leo barsch. „Wenn er dein Freund ist, tust du ihm keinen Gefallen damit, hierzubleiben. Es sei denn, du erwiderst seine Gefühle.“

„Äh … nein, eher nicht“, gab sie schuldbewusst zu. Nur ungern gestand sie sich ein, dass die Erfahrung mit Leo sie eines gelehrt hatte: Matt würde immer nur ein guter Freund bleiben. Nach der atemberaubenden Leidenschaft, die sie in Leos Armen erlebt hatte, konnte sie sich wirklich nicht mehr einreden, sie und Matt würden vielleicht doch noch ein Paar.

„Dann zieh in meine Wohnung. Dort stehst du nicht unter Druck“, drängte Leo sanft.

Am liebsten hätte sie ihn dafür geohrfeigt, dass er sie ausgerechnet mit dem Argument konfrontierte, dass sie einfach anerkennen musste, so schwer es ihr auch fiel. Matt verbrachte so viel Zeit mit ihr, war immer für sie da, half ihr, wo er konnte, hörte sich ihre Sorgen an. Aber natürlich schürte sie Hoffnungen, wenn sie bei ihm wohnte, und die Hoffnungen würde sie enttäuschen müssen und ihn damit verletzen. Als gute Freundin musste sie so schnell wie möglich aus Matts Wohnung ausziehen und Distanz zwischen ihnen schaffen. „Wann?“

„Jetzt gleich? Du hast doch bestimmt nicht viel zu packen“, antwortete Leo und gab sich große Mühe, seinen Triumph zu verbergen.

Leo blieb allein in dem kleinen Wohnzimmer zurück, während Grace ging, um Matt die neue Lage zu erklären. Matt erhob kurz die Stimme, und Grace redete in besänftigendem Ton auf ihn ein. Leo lauschte angespannt. Sie würde ein Kind von ihm bekommen! Er gestand sich ein, dass die Mutterrolle in seiner Familie bislang kein glückliche gewesen war. Aber in Anbetracht einer drohenden Adoption musste er ihr eine überzeugende Alternative bieten. Sein Angebot, sie zu heiraten, hatte Grace nicht einmal in Erwägung gezogen! Dabei wusste Leo genau, dass ihn sein immenser Reichtum gepaart mit seinem guten Aussehen eigentlich für das weibliche Geschlecht unwiderstehlich machte – dennoch hatte Grace ihm die kalte Schulter gezeigt und ihn zurückgewiesen. Immerhin blieb ihm die Genugtuung, dass sie in jener unvergesslich heißen Nacht seine leidenschaftlichen Gefühle wie entfesselt erwidert hatte.

Das Warten erschien ihm endlos. Als Grace ihn endlich rief, standen im Flur ein Koffer, zwei Kisten mit Unterlagen und ein Stapel Bücher. Matt bestand darauf, dabei zu helfen, Grace’ Habseligkeiten zur Limousine hinunterzutragen. Konsterniert sprang Leos Chauffeur aus dem Wagen und nahm seinem Boss die Kiste ab, während sich seine Leibwächter um die übrigen Sachen kümmerten.

„Passen Sie auf sie auf, und tun Sie ihr nicht weh!“, zischte Matt Leo noch warnend zu, bevor dieser in die Limousine einstieg.

„Keine Sorge“, entgegnete er mit herablassendem Blick, weil Matts drohender Tonfall ihn ärgerte.

„Ich kann nicht glauben, dass ich das tue“, jammerte Grace, der bereits Zweifel kamen. Leo hatte sie so schnell aus Matts Wohnung herausargumentiert, dass sie kaum wusste, wie ihr geschah.

Autor

Kate Hewitt
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