Julia Extra Band 421

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VERLIEBT IN DEN SPANISCHEN BOSS von COLLINS, DANI
Sorcha ist fassungslos: Nach einem Unfall kann Cesar sich nicht mehr an die Liebesnacht erinnern, in der er ihr eine Zukunft zu zweit versprach! Stattdessen behauptet eine intrigante Rivalin, mit ihm verlobt zu sein. Und alle glauben ihr, weil Sorcha nur seine Assistentin ist …

ZÄRTLICHE STUNDEN IM SCHLOSS DES MILLIARDÄRS von COX, MAGGIE
In Liebe, dein SB: Der Brief, den Imogen in einem Buch entdeckt, berührt ihr Herz zutiefst. Unbedingt will sie den Verfasser finden - und landet auf dem schottischen Schloss des Milliardärs Seth Broden. Kann dieser kühle Mann wirklich der heiß verliebte SB sein?

WIE BRINGT MAN EIN HERZ AUS EIS ZUM SCHMELZEN? von COLTER, CARA
"Nein." Mit einem einzigen Wort schließt der bemerkenswert attraktive Jefferson Stone die Haustür vor Angies Nase. Das darf doch nicht wahr sein! Sie braucht den Job als Haushälterin bei ihm unbedingt! Und eigentlich auch Jefferson: sexy, stark - jemand, der sie beschützt …

SEINE HOHEIT, DER VERFÜHRER von HARDY, KATE
Für wen hält dieser gutaussehende Fremde sich eigentlich - für einen Prinzen? Allen Ernstes verlangt er, das Foto zu löschen, das Indigo von ihm gemacht hat! Doch noch am selben Abend entdeckt sie schockiert: Tatsächlich ist der Fremde ein Prinz - Kronprinz Lorenzo Torelli …


  • Erscheinungstag 20.09.2016
  • Bandnummer 0421
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707972
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dani Collins, Maggie Cox, Cara Colter, Kate Hardy

JULIA EXTRA BAND 421

DANI COLLINS

Verliebt in den spanischen Boss

Er hat sein Gedächtnis verloren! Der spanische Unternehmer Cesar Montero weiß nicht mehr, was in der Nacht vor seinem Unfall passiert ist – mit seiner wunderschönen Assistentin Sorcha, die ein Baby erwartet …

MAGGIE COX

Zärtliche Stunden im Schloss des Milliardärs

Die junge Frau, die am schmiedeeisernen Zaun seines Anwesens steht, fasziniert Seth auf den ersten Blick. Sicher, sie stört seine selbstgewählte Einsamkeit. Aber er will sie nicht gehen lassen …

CARA COLTER

Wie bringt man ein Herz aus Eis zum Schmelzen?

„Ältere Dame als Haushälterin gesucht. Keine Plaudertasche.“ In Jeffersons Anzeige steht genau, was er will: kein Wort von bildhübsch, jung und lebhaft – wie diese Angie, die sich für den Job bewirbt!

KATE HARDY

Seine Hoheit, der Verführer

Die unkonventionelle Künstlerin Indigo passt nicht in die adlige Welt von Kronprinz Lorenzo. Aber als Frau ist sie genau das, was er immer wollte! Und eine Nacht wird ja wohl erlaubt sein – mit Folgen …

PROLOG

Acht Monate vorher …

Entschlossen betrat Sorcha Kelly das Krankenhaus. Seit Cesars Unfall waren nun schon Wochen vergangen! Man musste sie endlich zu ihm lassen! Vor allem jetzt, da sie Gewissheit hatte. Was bisher nur ein Verdacht gewesen war, hatte sich bestätigt: Sie war schwanger.

Für Cesar Monteros Familie war Sorcha nur die Angestellte ihres Sohnes. Allerdings eine extrem kompetente und pflichtbewusste Angestellte! Ohne ihre Mitarbeit wäre die einstweilige Rückübertragung der Firmenleitung von Cesar an seinen Vater kaum möglich gewesen. In jenen ersten schwierigen Tagen nach dem Unfall war Sorcha für die Monteros von unschätzbarem Wert gewesen.

Doch als seine Assistentin hatte sie keinerlei Anspruch, Cesar zu sehen. Schließlich war er sehr lange bewusstlos gewesen, und nur nahe Familienangehörige hatten zu ihm gedurft.

Und seine Verlobte natürlich. Diega.

Wobei es Sorcha höchst seltsam fand, dass sich diese Frau plötzlich in aller Öffentlichkeit als Cesars Verlobte präsentierte …

Dass die beiden einmal heiraten sollten, war zwischen Cesars und Diegas Familie schon lange verabredet gewesen. Mit Gefühlen hatte das jedoch nichts zu tun, denn bei der geplanten Eheschließung ging es vor allem um die erfolgreiche Zusammenführung der Familienunternehmen. Etwas, von dem sich beide Familien große geschäftliche Vorteile erhofften.

Cesars Mutter hatte schon lange darauf gedrängt, die Verlobung zwischen Cesar und Diega offiziell zu machen. Doch Cesar hatte seine Zweifel gehabt. Noch am Tag vor seinem Unfall hatte er Sorcha davon erzählt.

Offensichtlich wusste niemand, dass Cesar die inoffizielle Verlobung mit Diega am Abend vor seinem Unfall hatte lösen wollen. Dabei schien es tatsächlich noch zu einem Gespräch zwischen den beiden gekommen zu sein, denn Diega hatte der Polizei gegenüber ausgesagt, dass Cesar sie noch kurz vor seinem Unfall besucht hatte. Es war Sorcha deswegen ein Rätsel, warum diese Frau so tat, als habe sich zwischen ihr und Cesar nichts verändert. Und als gebe es inzwischen sogar feste Hochzeitspläne!

Diese Frage hatte Sorcha jeden Tag gequält, während sie darauf wartete, dass Cesar endlich aufwachte und alles aufklärte. Und dann war er aufgewacht – und nichts war passiert.

Denn Cesar hatte sämtliche Erinnerungen an die letzte Woche vor seinem Unfall verloren. Sein Vater hatte es Sorcha im Büro mitgeteilt.

Sie hatte den älteren Mann entsetzt angestarrt. Dann wusste Cesar also nichts mehr von der Einweihung der Brücke in Madrid?! Nichts von ihrer gemeinsamen Feier in Valencia … Er wusste nicht mehr, wie sich ihre Herzen gefunden hatten! Und wie sie miteinander geschlafen hatten – etwas, das alles verändert hatte.

Sorcha war wie versteinert gewesen. Sie hatte sich vollkommen leer gefühlt. Es war, als ob es jenen magischen Nachmittag mit Cesar nie gegeben hätte …

In ihrer Aufregung hatte sie Cesars Vater sofort darum gebeten, seinen Sohn im Krankenhaus besuchen zu dürfen. Doch Graf Montero hatte ihre Bitte kühl abgeschlagen und behauptet, es sei nicht nötig, dass sie Cesar besuchte.

Aber es war nötig. Sorcha musste sich persönlich von Cesars Amnesie überzeugen! Erst recht, nachdem die Folgen ihrer Liebesstunden durch einen kleinen rosa Streifen auf einem Stäbchen bestätigt worden waren.

Cesars Erinnerung würde doch bestimmt zurückkehren, wenn er sie sah?

Ihr Mund war trocken vor Nervosität, als sich die Automatiktür des privaten Krankenhauses hinter ihr schloss. Nach drei Wochen voller Ungewissheit und Sorge war sie am Ende ihrer Kräfte. Doch Sorcha hatte schon als Teenager gelernt, ihre Unsicherheit hinter einer gleichmütigen und selbstsicheren Fassade zu verbergen. Als Cesars Assistentin würde man sie bestimmt nicht einfach so wegschicken. Sie würde einfach weitergehen, so als habe sie jedes Recht, zu den Zimmern der Patienten vorgelassen zu werden.

„Señorita?“, brachte eine Krankenschwester in schicker Uniform Sorcha zum Stehen.

Bon dia“, erwiderte Sorcha in exzellentem Spanisch. „Ich bin Sorcha Kelly und möchte zu Cesar Montero“, fügte sie lächelnd hinzu und versuchte, der anderen Frau über ihren Tonfall zu suggerieren, dass sie beruflich auf Augenhöhe waren. Ich kenne das Problem mit ungebetenen Besuchern. Wir sind praktisch Zwillinge.

Die Krankenschwester erwiderte ihr Lächeln und tippte etwas in ihren Computer. „Ihr Name steht nicht auf der Liste.“

„Rufen Sie ihn an. Ich bin davon überzeugt, dass er mich sehen will“, versicherte Sorcha ihr.

Als die Schwester zum Telefon griff, öffnete sich die Eingangstür, und Diega Fuentes trat ein – genauer gesagt Diega Fuentes y Losa de Mateu, Tochter des Marques de los Jardines de Las Salinas.

Diese Frau sah definitiv reich genug aus, um solch eine Unmenge an überflüssigen Namen zu besitzen: Ihre große schlanke Silhouette strotzte förmlich von Designerlabels, von denen imaginäre Pfeile auf ihre Handtasche, ihre Ohrringe, ihren Lippenstift und ihre Riemchenpumps zu zeigen schienen. Sie trug ein weiß gepunktetes blaues Sommerkleid, und ihr glattes schwarzes Haar umrahmte perfekt ihr zartes hellgoldenes Gesicht mit den unergründlichen Augen.

Sorcha hingegen hatte vergeblich versucht, ihre dunklen Augenringe zu kaschieren, und sie trug unauffällige Bürokleidung – einen grauen Bleistiftrock mit einer weißen Bluse. Ihre Sorgen und die Morgenübelkeit taten ihr Übriges. Vermutlich war sie grün im Gesicht.

Cesars „Verlobte“ erstarrte für einen Moment bei Sorchas Anblick, überspielte dann jedoch ihren Schreck und schlenderte lässig auf sie zu.

Sorcha hasste Diega. Nicht nur weil sie plötzlich behauptete, mit Cesar offiziell verlobt zu sein, sondern weil Sorcha diese Frau für falsch und berechnend hielt. Da Sorcha jedoch schon früh gelernt hatte, ihre wahren Gefühle zu verbergen, setzte sie jenes freundliche Lächeln auf, mit dem sie jede von Cesars zahlreichen Eroberungen bedachte.

Ob sie inzwischen selbst dazugehörte? Nein, das war undenkbar!

Ihre Verunsicherung verdrängend, ging Sorcha auf Diega zu, um sie zu begrüßen. „Señorita Fuentes? Gut, dass Sie gerade kommen. Ich werde Sie zu Cesar begleiten.“

„Hat er Sie angerufen?“, fragte Diega überrascht. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Schatten des Zweifels über ihr Gesicht.

Sorcha war ein ehrlicher Mensch, doch wenn so viel auf dem Spiel stand wie jetzt scheute sie nicht vor einer Notlüge zurück. „Sein Vater hat gesagt, dass Cesar wieder arbeiten will, also …“ Es ist ja wohl offensichtlich, dass er mich braucht, schwang in ihren Worten mit.

Diega holte tief Luft und setzte ein geduldiges Lächeln auf, so als bereite sie sich innerlich auf ein sehr schwieriges Gespräch vor. Sie richtete den Blick auf die Krankenschwester. „Kann man sich hier irgendwo unter vier Augen unterhalten? Sehr gut“, murmelte sie, als die Schwester auf einen kleinen Raum zeigte, der von der Lobby abging.

Der Raum war hell, aber durch das Fenster blickte man direkt auf die Straße. An den Wänden standen auberginefarbene Bänke und in einer Ecke flackerte ein stummgeschalteter Fernseher. Der Raum war offensichtlich für Chauffeure und andere Bedienstete vorgesehen, die darauf warten mussten, dass ihre Arbeitgeber ihren Besuch hier beendeten. Für Menschen also, die nicht bedeutend genug waren, um zu den Zimmern der Patienten durchgelassen zu werden …

Ein altbekanntes Gefühl stieg in Sorcha auf: das Gefühl, Abschaum zu sein. Sofort erwachte in ihr die Erinnerung an den frühen Tod ihres Vaters. Das Leben in dem kleinen irischen Dorf war danach für sie, ihre Mutter und ihre Geschwister ein wahrer Albtraum geworden …

Rasch verdrängte Sorcha die Panik, die sie zu erfasssen drohte, und setzte eine mild interessierte Miene auf.

Diega schloss die Tür und drehte sich zu Sorcha um. „Sie wissen bestimmt inzwischen, dass Cesar einen Teil seiner Erinnerungen verloren hat“, begann sie betont rücksichtsvoll. So als müsse sie Sorcha eine schlimme Nachricht schonend beibringen.

„Ich arbeite seit fast drei Jahren für ihn. Das wird er ja wohl kaum vergessen haben, oder?“

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Diega aalglatt. „Aber er ist noch nicht wieder arbeitsfähig. Sein Arzt hat ihm geraten, sich noch ein paar Monate zu erholen. Wenn Sie also ein Problem im Büro haben, sollten Sie sich an Javiero wenden.“

Diega hatte es offensichtlich nicht nötig, den Titel von Cesars Vater zu nennen, wenn sie von ihm sprach. Weil sie nämlich per du mit ihm war, wie ihr beiläufiger Tonfall suggerierte.

Sorcha schluckte. „Cesar ist mehr als nur mein Arbeitgeber. Wenn man mit jemandem so eng zusammenarbeitet, kommt man einander näher. Ich würde ihm gern ausrichten, dass wir ihm alle gute Besserung wünschen.“ Ihr war bewusst, dass sie womöglich unfreundlich klang, doch das war ihr egal. Drei lange Wochen hatte sie Cesar nicht mehr gesehen, seinen meist von einem Dreitagebart umrahmten Mund, seinen bewundernden, doch nie anzüglichen Blick aus klaren blauen Augen. Eine Ewigkeit! Sie hatte das Gefühl zu verdursten.

„Sorcha …“ Diega nahm auf einer Bank Platz und deutete mit dem Kinn auf die Bank gegenüber.

Sorcha verkniff sich den Hinweis, dass sie es als unhöflich empfand, beim Vornamen genannt zu werden, wenn man von ihr erwartete, Diega mit „Señorita Fuentes“ anzusprechen. „Ich möchte lieber stehen bleiben.“

Diega senkte würdevoll den Blick, so als wolle sie suggerieren, dass sie über so viel Impertinenz erhaben sei.

Sorcha unterdrückte die Art Fluch, die ihr normalerweise nie über die Lippen kommen würde, und setzte sich widerstrebend. „Ja?“, fragte sie.

„Ich kann verstehen, dass Sie besorgt sind. Und warum Sie das Gefühl haben, Cesar nahezustehen.“ Diega hob wieder den Blick. Ihre Augen waren so schwarz wie Teer. Sorcha hatte das Gefühl, in einen erschreckend dunklen Abgrund zu blicken. „Er hatte große Schuldgefühle, als er an jenem Abend zu mir kam.“

Lass dir nichts anmerken, schärfte Sorcha sich ein, fuhr sich jedoch instinktiv mit der Zunge über die trockenen Lippen. „Schuldgefühle?“, fragte sie heiser.

Es war nicht auszuschließen, dass Diega die Wahrheit sagte. Cesar hatte diese Frau zwar nicht geliebt, aber er war ein Ehrenmann, und es war ihm daher sehr unangenehm gewesen, ihre inoffizielle Verlobung zu lösen. Nach den Liebesstunden mit Sorcha war er weggefahren, während sie schlief, und hatte ihr nur eine Nachricht auf dem Handy hinterlassen: Bin unterwegs zu Diega.

Es war kein angenehmes Gefühl gewesen, allein aufzuwachen. Doch nach allem, was sie besprochen hatten, bevor sie sich in seinem Büro geliebt hatten, war Sorcha davon überzeugt gewesen, dass er die Dinge mit Diega hatte beenden wollen. Es gab einfach keine andere Erklärung.

Und doch behauptete Diega, dass sie inzwischen offiziell verlobt waren …

„Ich habe eigentlich nicht darüber sprechen wollen. Mit niemandem“, fügte Diega pointiert hinzu. „Wozu einen guten Ruf zerstören oder jemanden beschuldigen, wo es viel dringlichere Probleme gibt? Vor allem, nachdem Cesar mir versichert hat, dass er sich nur ein letztes Mal die Hörner abstoßen wollte.“ Ihre Lippen kräuselten sich verächtlich.

„Wie bitte?!“ Das sollte Cesar zu Diega gesagt haben?!

Diegas Worte versetzten Sorcha einen schmerzhaften Stich. Sie war plötzlich wieder ganz verunsichert. „So war es gar nicht …“

„Versuchen Sie gar nicht erst, es abzustreiten“, sagte Diega. „Auch wenn ich es zu schätzen weiß, dass Sie meine Gefühle schonen wollen.“

Welche Gefühle? Sorcha hatte Diega schon immer für einen kalten Fisch gehalten. Sogar in diesem Augenblick wirkte die andere Frau so, als sei ihr Ego lediglich ein wenig angekratzt. Sie wirkte etwas verstimmt, aber keinesfalls tief verletzt.

„Ich hatte gehofft, uns beiden würde dieses Gespräch erspart bleiben, aber … Er hat mir erzählt, Sie würden kündigen, sobald wir heiraten. Das stimmt doch, oder?“

Sorcha sah Diega verwirrt an. War das eine Fangfrage? Und falls ja, wo war der Haken?

„Sie haben ihm auch erzählt, dass ich Ihnen gleichgültig bin“, fuhr Diega fort und lächelte nachsichtig.

„Das habe ich nie so gesagt“, platzte Sorcha heraus. Es war eigentlich absurd, Rücksicht auf Diegas Gefühle nehmen zu wollen, aber sie hatte es sich angewöhnt, die Frauen in Cesars Leben nicht zu verletzen.

Gut, dass sie saß, denn Diega hatte sie ganz schön aus dem Gleichgewicht gebracht. Sorcha hatte Cesar nur gesagt, dass es eine Sache war, Anrufe von Stewardessen oder Models abzuwimmeln, aber etwas ganz anderes, irgendwann zwischen ihm und einer Ehefrau zu stehen. Diega war zwar nur eine potenzielle Ehefrau gewesen, aber trotzdem.

Hatte er Diega wirklich von Sorchas Abneigung gegen sie erzählt?

„Letztlich spielt es keine Rolle, was genau Sie gesagt haben. Er hat eben getan, was er tun musste, als er wusste, dass Sie gehen würden.“ Diega hob lässig das Kinn.

„Wie meinen Sie das?“, fragte Sorcha, doch ein Blick auf Diegas mitleidiges Lächeln, und sie wusste genau, worauf die andere Frau hinauswollte. „So war es gar nicht“, murmelte sie. Es konnte nicht sein, dass sie Cesar nicht mehr bedeutete als eine Kerbe in seinem Bettpfosten! Sie neigte nicht dazu, sich selbst zu belügen. Auf keinen Fall hatte sie sich etwas vorgemacht, was seine Gefühle für sie anging?

Oder?

Mit ihm zu schlafen, war ein Fehler gewesen, aber letztlich vermutlich unvermeidlich, da sie sich von Anfang an zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Das hieß jedoch noch lange nicht, dass es etwas zu bedeuten gehabt hatte. Dass es der Beginn von etwas Neuem war, einer echten Beziehung. Im Grunde ihres Herzens wusste sie schließlich, dass Cesar eine Frau wie sie nie heiraten würde.

Aber sie hatte ihn zumindest für ihren Freund gehalten. Sie hatte ihm etwas bedeutet, davon war sie fest überzeugt.

„Wissen Sie eigentlich, dass Sie in seinem näheren Umfeld geradezu eine Legende sind?“, fragte Diega spöttisch. „Die einzige Assistentin, die drei Jahre bei ihm durchhielt?“

Sorcha presste die Lippen zusammen. Sie war stolz auf diese drei Jahre.

„Ich hätte Vertrauen zu Ihnen gehabt“, fuhr Diega fort. „Von mir aus hätten Sie weiterhin für ihn arbeiten dürfen, aber jetzt ist das natürlich ausgeschlossen. Schade, dass es so weit kommen musste.“

Lügnerin, dachte Sorcha verächtlich. Wenn sie nur wüsste, worauf Diega hinauswollte.

„Er war danach am Boden zerstört und bereute zutiefst, was er getan hatte – und das so kurz vor der Bekanntgabe unserer Verlobung. Er hat mir versichert, dass Sie für ihn nur eine Eroberung waren. Schade, dabei hatte er doch vorher solchen Respekt vor Ihnen.“

Er hat keinen Respekt mehr vor mir? Sorcha blieb fast das Herz stehen. Das Blut rauschte so laut in ihren Ohren, dass sie Diegas weitere Worte kaum verstand. Ihr war plötzlich speiübel.

„Er hat nur sein Ego befriedigt, Sorcha. Sie kennen ihn doch. Es … nun ja, es ist ein Trauerspiel, nicht wahr?“ Diega legte den Kopf schief, spielte die mitfühlende Freundin, die sich über das erbärmliche Verhalten eines unverbesserlichen Wüstlings ausließ. „Er hielt es für seine Pflicht, mir von dem zu erzählen, was zwischen Ihnen vorgefallen ist, und hat mir versprochen, mir ab jetzt treu zu sein.“

Cesar hatte an jenem Tag in seinem Büro tatsächlich gesagt, dass er Diega nach einer offiziellen Verlobung auf keinen Fall hintergehen würde. Hatte er Sorcha wirklich nur benutzt, um ein letztes Mal seine Freiheit auszukosten?

„Er wollte reinen Tisch machen“, fuhr Diega fort. „Und ich muss gestehen, dass ich nicht bereit war, mich mit ihm zu verloben, solange Sie noch für ihn arbeiten. Ich habe darauf bestanden, dass er Ihnen so schnell wie möglich kündigt. Jetzt werfe ich mir natürlich vor, dass ich ihn weggeschickt habe, anstatt erst mal in Ruhe über alles zu reden. Hätte er es nicht so eilig gehabt, unsere Verlobung zu retten, hätte er den Unfall vielleicht nie …“

Sorcha schüttelte wie betäubt den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. So konnte es sich einfach nicht abgespielt haben! So einfach würde sie nicht aufgeben. „Cesar und ich haben an jenem Tag auch geredet …“, begann sie, stockte dann jedoch, weil es zu ihren Grundsätzen gehörte, Stillschweigen über alles zu wahren, was Cesar ihr anvertraute.

„Sie meinen über seine Zweifel, was unsere Verlobung angeht? Ach Sorcha, er hatte einfach nur kalte Füße und wollte Sie obendrein ins Bett kriegen! Es wäre ein Fehler, dem, was er unter diesen Umständen gesagt hat, Bedeutung zuzumessen.“

Doch Cesar hatte noch viel mehr gesagt. „Du sprichst immer so positiv von deiner Familie“, hatte er bemerkt. „Meine ist wie eine Firma. Ich kenne es nicht anders, aber manchmal frage ich mich, wie es wohl wäre, wenn wir uns so nahestehen würden wie ihr euch.“

Auf der anderen Seite wäre eine Verbindung seiner Familie mit den Fuentes sehr vorteilhaft. Geschäftsabschlüsse dieser Dimension ließ man sich nicht einfach so entgehen, nur um mit seiner Sekretärin zu schlafen, aber …

… aber er hatte Sorcha gebeten zu bleiben.

„Ich an Ihrer Stelle“, fuhr Diega fort, „würde unauffällig gehen. Ich werde mit Javiero sprechen und dafür sorgen, dass man Ihnen ein gutes Arbeitszeugnis ausstellt. Niemand von uns will einen Skandal. Cesar wird noch lange brauchen, bis er sich wieder vollständig erholt hat. Und Sie wollen doch nicht, dass er einen Rückschlag erleidet, oder?“

Sorcha wurde abwechselnd heiß und kalt vor lauter Demütigung. Ich bin schwanger, dachte sie benommen. Es fiel ihr immer noch schwer, Diega zu glauben. Cesar hatte so aufrichtig gewirkt. Nicht wie der Playboy, als den Diega ihn darstellte, sondern wie ein selbstreflektierter Mann, der sehr genau wusste, wer er war und was er wollte.

„Er kann sich an nichts mehr erinnern, Sorcha, und glauben Sie mir, ich bin dankbar dafür. Ich habe mir vorgenommen, das Ganze ebenfalls zu vergessen. Wir werden heiraten“, fügte sie hinzu, als sei das in Stein gemeißelt. „Und Sie wissen doch im Grunde selbst, welche Art Ehefrau zu ihm passt … und welche nicht.“

Sorchas Herz setzte einen Schlag aus. Hatte Cesar ihr etwa von ihrer Familie erzählt? Was wusste Diega?

„Es lässt sich nicht leugnen, dass er Ihre Arbeit sehr schätzte, aber darüber gingen seine Gefühle für Sie nicht hinaus.“

Sorcha senkte den Blick auf ihre Fingernägel, deren Pflege sie in den letzten Wochen sträflich vernachlässigt hatte. Ich bin schwanger, dachte sie wieder, doch das konnte sie nicht sagen – nicht nach allem, was sie gerade gehört hatte. Cesar würde vermutlich behaupten, dass eine Schwangerschaft ausgeschlossen war, und seine Eltern würden ihr unterstellen, ihren Sohn ausnehmen zu wollen. Man würde einen Vaterschaftstest von ihr verlangen. Man würde in ihrer Vergangenheit herumwühlen, um sie in Verruf zu bringen.

Und das konnte sie ihrer Mutter nicht antun.

Nein, jetzt von ihrer Schwangerschaft zu erzählen, würde nur Unfrieden stiften. Selbst wenn sie beweisen konnte, dass sie die Wahrheit sagte, machte das keinen Unterschied. Cesar würde sie niemals heiraten. Sie konnte allenfalls auf Unterhalt hoffen, doch ihre Familie war der beste Beweis dafür, dass reiche Männer nicht immer für ihre Kinder sorgten, noch nicht mal dann, wenn sie sie liebten. Sorcha war bis heute nicht darüber hinweggekommen, dass ihr Vater ihnen nichts hinterlassen hatte – so als hätten sie ihm nie etwas bedeutet.

Und Cesar hatte nie gesagt, dass er sie liebte. Gut möglich, dass er sie nur benutzt hatte. Dass er einfach die Chance genutzt hatte, eine letzte Eroberung zu machen.

Wollte sie es sich wirklich antun, sich das von ihm bestätigen zu lassen? Und das für einen monatlichen Scheck, der ihr ohnehin nur das Gefühl geben würde, sich aushalten zu lassen? Ihre Mutter war ohne Unterstützung zurechtgekommen. Sorcha würde das auch schaffen!

„Kündigen Sie“, drängte Diega. „Tun Sie es, bevor Cesars Vater von Ihnen erfährt.“ In ihren Worten schwang die unterschwellige Drohung mit, dass sie ihm sonst davon erzählen würde.

Sorcha schossen die Tränen in die Augen. „Ich will zu ihm“, sagte sie mit dünner Stimme.

„Ich bitte Sie, Sorcha! Sie haben meine Geduld und mein Verständnis schon lange genug strapaziert! Zeigen Sie doch zumindest den Anstand und die … Klasse, die Dinge nicht noch schlimmer zu machen.“

Klasse!? Autsch, das tat weh. Vielleicht wusste Diega wirklich, aus was für einer Familie Sorcha stammte. Ich hasse dich, dachte Sorcha, als sie aufstand. „Er … hat meine Nummer“, sagte sie.

Diegas verächtliches Schnauben legte nahe, dass sie Cesars Anruf zu verhindern wissen würde. Sie erhob sich ebenfalls und öffnete die Tür.

Sorcha verzichtete darauf, Diega zum Abschied die Hand zu schütteln. Cesar würde Kontakt zu ihr aufnehmen, davon war sie fest überzeugt. Aber das musste er aus freien Stücken tun, nicht, weil sie ein Kind von ihm erwartete.

Ja, sie würde einfach auf seinen Anruf warten. Niemand sollte ihr nachsagen können, ihn mit einem Baby in die Falle locken zu wollen. Und wenn er sie nicht anrief, würde sie zumindest wissen, woran sie war.

1. KAPITEL

Heute …

Sorcha beendete das Telefonat mit ihrer Mutter und griff nach einem Tuch, um endlich ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Sie litt unter schrecklichem Heimweh – und einem akuten Anfall von Selbstmitleid! Doch das hatte sie sich während des Telefonats nicht anmerken lassen wollen.

Ihre Mutter hatte auch so schon genug Probleme. Sie hatten beide so getan, als sei Sorchas Situation keine Katastrophe. Doch in Wahrheit … Ein Notkaiserschnitt in London! Schlimmer konnte es jetzt beim besten Willen nicht mehr kommen.

Sorcha hatte sich so gewünscht, rechtzeitig zur Geburt zu Hause in Irland zu sein. Sie arbeitete gerne in London – nach dem schrecklichen Gespräch mit Diega und ihrer Kündigung hatte sie dort rasch einen guten Job gefunden –, aber ihr wahres Zuhause war in Irland. Und wenn ihr Sohn schon kein Spanier sein konnte wie Cesar, hatte sie ihn zumindest in ihrer alten Heimat zur Welt bringen wollen.

Doch daraus war nichts geworden.

Als die Hebamme namens Hannah mit einem Rollstuhl das Zimmer betrat, um Sorcha endlich zu Enrique zu bringen, breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie war zwar schrecklich einsam, aber zumindest hatte sie jetzt einen Sohn. Und in nur wenigen Tagen konnte sie endlich auf die Fähre nach Irland steigen und dann würde sie schon bald von Menschen umgeben sein, die sie liebten.

Auf dem Weg zum Stillzimmer kam Sorcha mit Hannah ins Gespräch. Sie erzählte der Hebamme, dass sie sich eigentlich eine natürliche Geburt gewünscht hatte. Aber die Wehen waren zu früh gekommen und man hatte wegen der gefährlichen Lage der Nabelschnur einen Notkaiserschnitt machen müssen. Es war alles ziemlich dramatisch verlaufen. Sorcha war nämlich nicht die einzige Patientin gewesen, bei der dringend ein Kaiserschnitt gemacht werden musste! Und obendrein war die Notaufnahme wegen eines Busunglücks völlig überfüllt gewesen …

Sorcha verstummte, als sie in das von ohrenbetäubendem Babygeschrei erfüllte Zimmer geschoben wurde. Die andere Mutter von gestern Nacht war auch da, eine bildhübsche junge Italienerin. In der Notaufnahme hatte Sorcha die andere Frau nicht wirklich wahrgenommen. Sie erinnerte sich jedoch an einen Mann, der irgendetwas mit dieser Frau zu tun haben schien und sich am Telefon mit jemandem auf Italienisch unterhalten hatte. Aber dann war sie auch schon vorbeigeschoben worden …

Da war ja auch der Mann von gestern Nacht!

„Oh, hallo, ich habe gehört, dass wir letzte Nacht um die Aufmerksamkeit der Chirurgin konkurriert haben“, begrüßte sie die andere Frau. „Ich bin Sorcha Kelly.“

Moment mal! Der Mann hier war nicht der Mann von gestern Abend. Er sah irgendwie anderes aus. Entschlossener. Und sein Haar war kürzer.

Der Mann nickte höflich. „Alessandro Ferrante. Das sind meine Frau Octavia und unser Sohn Lorenzo“, fügte er hinzu, bevor er sich seiner Frau zuwandte. „Das ist doch der Name, auf den wir uns geeinigt haben, oder?“

Die andere Frau wirkte irgendwie völlig überfordert. Sorcha konnte das gut nachempfinden. Die Betäubung machte einen ziemlich schwerfällig, und jede Bewegung war unglaublich schmerzhaft.

Octavia wechselte einen Blick mit ihrem Mann, den Sorcha nicht deuten konnte. Vielleicht hätte sie es versucht, wenn die Hebamme nicht gerade ihr lose in ein Tuch gewickeltes Baby geholt hätte. Der Kleine brüllte aus vollem Halse. Anscheinend wartete er schon länger auf seine Mahlzeit.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, sich umzudrehen, Mr. Ferrante?“, fragte Hannah.

Der Mann entschuldigte sich und drehte Sorcha mit jener männlichen Brüskheit den Rücken zu, die Männer oft an den Tag legten, wenn sie mit dem Bedürfnis einer Frau nach Privatsphäre konfrontiert wurden.

Sorcha unterdrückte ein Lächeln. Er erinnerte sie irgendwie an Cesar. Nicht unbedingt optisch, obwohl beide dunkelhaarig und extrem attraktiv waren, sondern weil er so vital und präsent wirkte.

Cesar, dachte sie und vermisste ihn plötzlich wieder schmerzlich. Sie hatte gehört, dass er am Wochenende heiraten würde. Bis dahin musste sie einfach bei ihrer Familie sein – alles, nur nicht allein und einsam in diesem Krankenhaus!

Lächelnd nahm sie ihren Sohn in Empfang. „Enrique“, flüsterte sie zärtlich. Das war Cesars zweiter Vorname. Sie würde den Kleinen Ricky nennen und …

Moment mal! Irgendetwas stimmte hier nicht.

Der Kleine schrie so verzweifelt, dass es Sorcha das Herz zerriss. Sie verspürte das Bedürfnis, ihn zu beruhigen, aber …

Wie durch einen Nebel hörte sie Octavias erstickte Stimme. „Das ist nicht Ihr …“

„Octavia!“, fiel ihr Mann ihr warnend ins Wort.

Sorcha schenkte den anderen Erwachsenen im Raum kaum Beachtung, so verwirrt war sie. Warum empfand sie einen Beschützerinstinkt für dieses Baby, aber keine mütterlichen Gefühle?

„Legen Sie ihn an die Brust. Er wird sofort anfangen zu saugen. Er weiß instinktiv, was er tun muss“, drängte Hannah.

„Ich glaube nicht …“ Sorcha stockte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, so verrückt war das, was ihr durch den Kopf schoss. Sie hob den Blick zu dem Baby, das Octavia gerade vergeblich zu beruhigen versuchte. Aus irgendeinem seltsamen Grund trafen die Schreie des Jungen Sorcha mitten ins Herz, lösten Emotionen aus, die sie noch nicht mal ansatzweise beschreiben könnte.

Octavia erwiderte Sorchas Blick flehentlich und hielt das Baby so, dass Sorcha sein Gesicht erkennen konnte.

Der Kleine hatte die Augenbrauen auf eine Art zusammengezogen, die Sorcha vertraut vorkam. Kein Zweifel, sein Stirnrunzeln war Cesars, und die kleinen Lippen waren eine Kopie des Mundes, den sie ihr ganzes Leben lang im Spiegel gesehen hatte.

Es überlief sie eiskalt.

„Was ist los?“, fragte Hannah, als die andere Hebamme irgendetwas sagte, doch Sorcha hörte gar nicht richtig hin. „Wie konnten Sie nur …“ Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihr auf. Nein, das konnte nicht sein! Menschen stahlen doch keine Babys. Und ganz bestimmt saßen sie einem dann nicht gegenüber und beobachteten ungerührt, wie man reagierte. Das wäre ja wie in einem Psychothriller.

Sorcha schlug das Herz bis zum Hals. Voller Panik schob sie die Decke vom Knöchel des Babys in ihrem Arm und warf einen Blick auf das Namensschild. „Kelly“ stand darauf.

Doch das hier war nicht ihr Baby. Ihr Baby war das in den Armen der anderen Frau.

Sie hob den Blick zu Octavia, ohne zu wissen, worauf sie wartete. Auf ein diabolisches Lächeln?

Octavias Unterlippe zitterte. „Sie wollten mir nicht glauben“, sagte sie mit erstickter Stimme.

„Was glauben?“, fragte Hannah verwirrt.

„Meine Frau ist etwas durcheinander“, erklärte Alessandro und bückte sich, um seiner Frau das Baby abzunehmen.

„Nicht!“, platzte Sorcha heraus, plötzlich überwältigt von jenem irrationalen, aber machtvollen Instinkt, der Tiere dazu trieb, ihren Selbsterhaltungstrieb auszuschalten und sogar gefährliche Raubtiere anzugreifen, um ihre Jungen bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. „Rühren Sie ihn nicht an!“

Ihr Sohn war das Baby dort drüben, das wusste sie ganz genau! Mühsam stand sie auf und ging auf Octavia zu.

Das Gesicht der anderen Frau war tränenüberströmt. „Niemand wollte mir glauben“, flüsterte sie. „Ich wollte ihn beruhigen, aber er braucht seine Mutter, und sie wollten mir meinen Sohn nicht geben …“

Als die beiden Frauen unbeholfen die Babys tauschten, ließ Sorchas Panik schlagartig nach. „Ich glaube Ihnen“, sagte sie zittrig lächelnd, als ihr der süße Duft ihres Sohns in die Nase stieg. Sie küsste ihn auf eine Wange und drückte ihn liebevoll an sich. Ja, das war Enrique, das wusste sie mit absoluter Sicherheit. Cesars Sohn. „Wir erkennen doch wohl unsere eigenen Babys.“

Octavia nickte dankbar, so als empfinde sie das Gleiche wie Sorcha. Erleichtert die Augen schließend, beugte die junge Italienerin sich über das Baby, das man ihr so lange vorenthalten hatte. Wie lange versuchte sie schon, die anderen davon zu überzeugen, dass man ihr das falsche Baby gegeben hatte? Und trotz ihrer Seelenqualen hatte sie die ganze Zeit versucht, Sorchas Sohn zu beruhigen.

Sorcha spürte Zuneigung zu der anderen Frau in sich aufsteigen. Sie setzte sich und legte Enrique an die Brust. Eine wohltuende Stille breitete sich im Raum aus, als die Jungs endlich die Mahlzeit bekamen, die sie so vehement eingefordert hatten. Erschöpft lächelten die beiden Frauen einander unter Tränen zu.

„Was machst du da?“, fragte Alessandro seine Frau fassungslos.

„Verstehst du denn immer noch nicht, dass man unsere Babys vertauscht hat? Sieh ihn dir doch nur an!“, erwiderte Octavia.

„Das ist ausgeschlossen“, protestierte Hannah. „Wir halten uns streng ans Protokoll. Die Babys können unmöglich vertauscht worden sein.“ Sie griff nach dem Namensschild um Enriques Knöchel, auf dem „Ferrante“ stand. „Sie müssen sich irren.“

Jetzt, wo Sorcha ihr Baby beruhigt hatte, verwandelte ihre Ungläubigkeit sich in Wut. Wie konnte das Krankenhaus nur bei so etwas Wichtigem versagen? „Nein, Sie irren sich“, widersprach sie. „Machen Sie doch einen DNA-Test, dann werden Sie schon sehen, dass wir recht haben.“

Lautes Stimmengewirr erfüllte den Raum, als die Hebammen versuchten, die Mütter davon zu überzeugen, dass sie keinen Fehler gemacht hatten. Gott sei Dank blieb Octavia genauso hartnäckig wie Sorcha.

Irgendwann tauchte endlich die Chirurgin auf, Dr. Reynolds. Schockiert schaltete sie die Krankenhausverwaltung ein und versicherte den beiden Frauen und Alessandro, dass eine Vertauschung der Babys sehr unwahrscheinlich war. Sie ordnete jedoch sofort Blutgruppentests und DNA-Tests an. „Das Ergebnis der Blutgruppentests ist zwar nicht eindeutig, aber man kann damit meistens sehr schnell die falschen Eltern ausschließen.“

Schließlich verließen alle das Zimmer. Alessandro brach auf, um sich gemeinsam mit dem Sicherheitspersonal die Videos der Überwachungskameras anzusehen. Eine der Hebammen blieb zurück und gab Sorcha und Octavia Tragegurte, mit denen sie ihre Babys bei sich behalten konnten, während sie in ihren Schaukelstühlen dösten. Keine von ihnen wollte ihr Baby wieder hergeben.

Sorcha versuchte, sich zu entspannen und wechselte ein paar Worte mit Octavia, doch ihre Gedanken wanderten immer wieder zu ihrem Anmeldeformular, auf dem sie Cesar als Vater eingetragen hatte, falls ihr etwas zustieß.

Würde das Krankenhaus Cesar womöglich wegen seiner Blutgruppe kontaktieren? Aber das würde man doch nicht tun, ohne vorher ihr Einverständnis einzuholen, oder?

Cesar Montero kniff sich unauffällig in den Nasenrücken. Er hatte Kopfschmerzen und hätte seiner Verlobten am liebsten gesagt, dass es ihm völlig schnuppe war, wer bei ihrer Hochzeitsfeier wo saß. Wäre Sorcha noch seine Assistentin, würde sie sich um solche Details kümmern, damit er sich wichtigeren Dingen widmen konnte.

Aber Sorcha hatte gekündigt, das Miststück! Ohne jede Vorwarnung oder Erklärung. Er hatte damals noch im Krankenhaus gelegen, gerade aus dem Koma erwacht.

Seinem Vater hatte sie anscheinend erzählt, dass sie Cesar schon in der Woche vor seinem Unfall ihre Kündigung angekündigt hatte – also ausgerechnet in der Woche, die komplett aus seinem Gedächtnis gelöscht war. Danach hatte sie sich wegen seines Krankenhausaufenthalts vermutlich überflüssig gefühlt. Aber sie hätte zumindest bleiben können, bis er wieder wohlauf war. Sein Vater hätte ihr vorübergehend eine andere Aufgabe übertragen oder ihr einfach bezahlten Urlaub gewähren können. Sie hatte weiß Gott genug Überstunden angehäuft.

Cesar hasste Menschen, die einfach das sinkende Schiff verließen. Nie hätte er ihr ein so gutes Zeugnis ausgestellt wie sein Vater. Gerade in den ersten Wochen nach dem Koma hätte er Sorcha dringender gebraucht denn je.

Sie war nur eine Angestellte, rief Cesar sich ins Gedächtnis. Umso mehr irritierte es ihn, dass ihre Abwesenheit ihm immer noch so zu schaffen machte. Sie war zwar eine sehr effiziente Assistentin gewesen, aber das rechtfertigte die Intensität seiner Gefühle nicht. Abgesehen davon war Sorcha ihm sowieso oft viel zu direkt gewesen.

Wenigstens hat sie einfache Anweisungen befolgt, dachte er, als er einen Blick auf die an seinem Handgelenk pulsierende Smartwatch warf. Diega sah ihn so vorwurfsvoll an, als habe er ihre Siamkatze getreten. Seine Mutter schnalzte missbilligend mit der Zunge.

„Ich hatte eigentlich gebeten, mich nicht zu stören“, erklärte er den beiden Frauen gegenüber und hoffte, dass seine neue Assistentin seinen genervten Tonfall hörte, als er seine Uhr berührte.

„Es handelt sich anscheinend um einen Notfall“, hörte er seine Assistentin sagen. „Ein Londoner Krankenhaus ist am Apparat.“

Sofort wanderten Cesars Gedanken zu Sorcha. Er hatte genug Informationen über sie eingeholt, um zu wissen, dass sie inzwischen in London arbeitete. Aber sollte sie medizinische Hilfe benötigen, würde sie doch nicht ihn als Kontakt angegeben haben, oder? Sie hatte Familie in Irland.

Er spielte mit dem Gedanken, den Anruf einfach nicht anzunehmen, aber dann würde er das vermutlich später nachholen müssen. Außerdem wurde er noch verrückt, wenn er heute Vormittag nicht noch etwas Konstruktives machte.

„Einen Augenblick, bitte!“, sagte er und ging ein paar Schritte von den beiden Frauen weg. „Cesar Montero?“

„Cesar Montero … y Rosales?“, fragte eine zögernde weibliche Stimme.

„Ja!“ Er horchte auf, als er seinen vollen Namen hörte. „Wer ist dort?“

Die Frau gab sich als Krankenhausangestellte aus. „Hat Miss Kelly Ihnen meinen Anruf nicht angekündigt?“

„Nein“, antwortete er stirnrunzelnd. Dann ging es also doch um Sorcha.

„Ach.“ Die Frau klang verwirrt. „Sie hat Sie in ihrem Anmeldeformular angegeben. Spreche ich wirklich mit Mr. Montero? Würden Sie mir das bitte mit ein paar Angaben bestätigen?“

„Klar.“ Cesar nannte ihr sein Geburtsdatum und seine Anschrift und rieb sich die Stirn, weil seine Kopfschmerzen schlimmer wurden. „Worum geht es denn?“

Die Krankenhausangestellte schwieg einen Moment betroffen. „Haben Sie denn heute noch nicht mit Miss Kelly gesprochen?“, fragte sie mit einem argwöhnischen Unterton in der Stimme.

„Ich war anderweitig beschäftigt. Sie hat mir eine Nachricht hinterlassen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, sie abzuhören“, log Cesar.

„Aber Sie wissen, dass sie gestern hier eingeliefert wurde?“

„Ja.“ Cesars Besorgnis wuchs. War Sorcha etwas zugestoßen? „Ich warte dringend auf Neuigkeiten“, fügte er hinzu. Er war Wissenschaftler, aber er hatte von seiner Mutter gelernt, Menschen verbal zu manipulieren. „Haben Sie nähere Informationen?“

„Tja, ich fürchte, es gibt Komplikationen. Die Babys wurden eventuell vertauscht.“ Die Frau schwieg einen Moment, vermutlich, um Cesar Zeit zu geben, die Nachricht zu verdauen.

Cesar wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er verstand nur Bahnhof, wollte jedoch vermeiden, dass die Frau am Telefon das merkte. Genauso die beiden Frauen hinter ihm, die vorwurfsvoll schweigend darauf warteten, dass er sein lästiges und überflüssiges Telefonat beendete.

„Wir werden natürlich einen DNA-Test machen, hoffen aber, dass ein Blutgruppentest schon mal Klarheit bringen kann. Wie schnell können Sie ein Krankenhaus aufsuchen? Unser Hospital wird die Kosten dafür übernehmen, aber es muss schnell gehen.“

Cesar lachte hohl. „Sind Sie des Wahns…?“ Er stockte, als ihm bewusst wurde, wo er sich befand. Als er sich zu seiner Verlobten und seiner Mutter umdrehte, starrten die beiden ihn wortlos an. Er signalisierte ihnen zu warten, trat auf den kleinen Balkon hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Danach warf er einen Blick nach unten in den Hof, um sich zu vergewissern, dass sich dort keine unerwünschten Zuhörer befanden. „Bitten Sie mich etwa, für einen Vaterschaftstest zur Verfügung zu stehen?“, fragte er mit gesenkter Stimme.

„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Uns geht es nicht darum zu beweisen, dass Sie der Vater sind. Wir müssen nur herausfinden, ob Miss Kelly die Mutter des Babys ist, das sie gerade stillt. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass wir das dringend klären müssen.“

Cesar verstand überhaupt nichts mehr. In seinem Kopf herrschte das blanke Chaos. Waren das vielleicht die Nachwirkungen seiner Gehirnerschütterung?

Nein, es lag daran, dass die Worte der Frau einfach keinen Sinn ergaben!

Er holte tief Luft. „Ich kann die Situation von meiner Seite aus schon jetzt aufklären“, sagte er kalt. „Ich würde mich genau daran erinnern, wenn …“ Er verstummte, als ihm seine Amnesie einfiel. Verdammt!

Gott, war das frustrierend!

„Mr. Montero?“, hörte er die Frau am anderen Ende der Leitung nachhaken.

Okay, ich kann mich zwar nicht daran erinnern, mit meiner Sekretärin geschlafen zu haben, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es nicht getan habe.

Was eine Fülle von Fragen aufwarf. Sorcha hatte von Anfang an klargemacht, dass sie nie mit ihm schlafen würde. Sie hatte es geradezu feierlich versprochen. Und er hatte ihr geglaubt.

Mehr als das, er hatte ihr vertraut. Dabei war Cesar keineswegs vertrauensselig – schon gar nicht seit dem Fall von Industriespionage, der fast den Bankrott seiner Familie herbeigeführt hatte. Sorcha wusste genug darüber, um sich darüber im Klaren zu sein, dass er keine Lüge tolerieren würde.

Doch er hatte immer schon mit ihr schlafen wollen.

Hatte sie tatsächlich ihren Vorsatz gebrochen und war mit ihm ins Bett gegangen? Oder würde der Test beweisen, dass er doch nicht der Vater ihres Kindes war? Vielleicht hatte sie Spanien ja verlassen, weil sie schwanger gewesen war und das dem echten Vater aus irgendeinem Grund hatte verschweigen wollen.

Diese Theorie beunruhigte Cesar noch aus einem ganz anderen Grund. Sorcha war ein grundehrlicher Mensch. Wenn sie zu einer solchen Lüge griff, konnte nur eins dahinterstecken: der Wunsch, ihre Familie zu schonen. War sie womöglich vergewaltigt worden? War sie deshalb aus Valencia geflohen?

Und was war das eigentlich für eine verrückte Geschichte mit der Babyvertauschung? Cesar kam sich vor wie in einer schlechten Telenovela. Es wurde höchste Zeit, für Klarheit zu sorgen.

„Natürlich“, sagte er mit gepresster Stimme. „Wo soll ich die Ergebnisse hinschicken lassen?“

Als Octavias Mann ins Stillzimmer zurückkehrte, war sein Gesichtsausdruck so versteinert, dass Sorcha ihren Sohn instinktiv an sich drückte. Während seines Gesprächs mit seiner Frau fiel es Sorcha schwer, den beiden zu folgen, doch einmal schnappte sie ihren Namen und auch den Namen Primo auf. Von Octavia wusste sie inzwischen, dass Primo derjenige war, den Sorcha zunächst für Octavias Mann gehalten hatte – und dass er in Wirklichkeit Alessandros Cousin war.

Kurz darauf kehrte der Krankenhausleiter zurück und bat alle um Aufmerksamkeit. „Wir haben jetzt die Ergebnisse“, erklärte er und warf einen Blick auf sein Clipboard. „Leider sind sie nicht eindeutig. Ironischerweise hätten wir die Jungs A und B nennen sollen, denn das sind ihre Blutgruppen.“

Sorcha hörte zu, als Alessandro und Octavia den Leiter mit Fragen bombardierten. Er bestätigte, dass ihr Sohn Blutgruppe B hatte und Enrique A. „Wenn Mr. Montero Blutgruppe A hat, kann man ihn als Vater dieses Babys ausschließen.“ Er nickte Richtung Lorenzo.

Bevor Sorcha den anderen mitteilen konnte, dass Cesar Blutgruppe A hatte, kam der Leiter ihr zuvor: „Wir haben Mr. Montero kontaktiert“, erklärte er. „Er hat sich sofort in einem Krankenhaus testen lassen. Wir müssten seine Ergebnisse bald bekommen.“

Sorcha starrte ihn entsetzt an. „Wie bitte? Was?! Sie haben Cesar angerufen?“, kreischte sie erschrocken. Ihr rutschte vor Schreck das Herz in die Hose.

Die anderen starrten sie verblüfft an. Sorcha hatte Octavia anvertraut, dass sie und Cesar kein Paar waren, hatte ihr jedoch nicht verraten, dass er bisher keine Ahnung von Enrique hatte.

Oh Gott, was für ein Albtraum!

Sorcha hatte ja Verständnis dafür, dass das Krankenhaus herausfinden wollte, wie die Babys vertauscht worden waren, aber hätten sie nicht zuerst bei ihr nachfragen können, bevor sie sich an Cesar wandten?

Nervös warf sie einen Blick auf ihr Handy. Zu ihrem Schreck hatte Cesar ihr schon eine Nachricht geschickt.

Musste gerade eine Blutprobe abgeben. Warum?

Sie konnte seinen kalten, strengen, höchst unnachgiebigen Tonfall förmlich hören.

Oh verdammt, verdammt, verdammt! Er heiratete am Wochenende!! Hätte sie ihm von Enrique erzählen sollen? Wie oft hatte sie sich gefragt, was das kleinere Übel war – es ihm zu verschweigen oder die Wahrheit zu sagen? Wo er doch noch nicht mal mehr wusste, was zwischen ihnen passiert war?

Und er hatte sie nie angerufen.

Ich war ihm egal.

Gerührt betrachtete sie das niedliche Gesichtchen ihres schlafenden Sohns. Ob Cesar sich genauso schnell in Enrique verlieben würde wie sie?

Ihr Vater hatte sie geliebt, auch wenn er keine Vorkehrungen für den Fall seines Todes getroffen hatte. Bei Cesar war das jedoch nicht selbstverständlich. Seine Familie war das komplette Gegenteil von ihrer: absolut respektabel, aber ohne Wärme oder echte Zuneigung füreinander. War Cesar überhaupt fähig, seinen Sohn zu lieben? Oder würde er ihn ablehnen?

Genau diese Frage war es, die Sorcha immer davor hatte zurückschrecken lassen, ihn anzurufen. Sie könnte seine Gleichgültigkeit nicht ertragen.

Kann ich dich anrufen? textete sie mit zitternden Fingern zurück.

Bin sowieso in ein paar Stunden da.

„Oh nein, oh nein, oh nein!“, stöhnte Sorcha.

Octavia blickte hoch. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt.

Sorcha wollte ihrer neuen Freundin nur ungern so schnell ihr intimstes Privatleben anvertrauen. Die ganze Geschichte war irgendwie zu kompliziert und zu … schmuddelig. „Ich … habe nur eine Wette verloren, das ist alles“, log Sorcha und steckte ihr Handy weg.

Wie sollte sie Cesar nur gegenübertreten?

2. KAPITEL

Der Himmel war grau und es nieselte, als Cesar seinen Wagen vor dem Krankenhaus parkte. Sein Handy summte wieder. Zwanzig Nachrichten von seinen Eltern, und jetzt wollte auch noch sein Bruder etwas von ihm. Cesar drückte auch diese Nachricht weg und scrollte nur kurz durch den Rest, bevor er alles in den Papierkorb verschob.

Vor seinem abrupten Abschied hatte er Diega beiseitegenommen und ihr erklärt, was passiert war. „Tut mir leid, aber wir können nicht heiraten, bevor das Ergebnis des Vaterschaftstests vorliegt. Ich kann mich zwar an nichts erinnern, aber ich kann nicht ausschließen, dass ich mit Sorcha geschlafen habe. Ich muss nach London fliegen, um herauszufinden, was passiert ist.“

Cesar brauchte Gewissheit. Er konnte Sorchas Behauptung weder akzeptieren noch einfach so beiseitefegen. Denn sollte sich tatsächlich herausstellen, dass es sich bei ihrem Kind um seinen Sohn handelte …

Er wusste nicht, wie er darauf reagieren würde, plötzlich Vater zu sein. Doch eins wusste Cesar genau: Er wollte auf keinen Fall mit einer anderen Frau verheiratet sein, während er in solch ein Ereignis verwickelt war! Diese Vorstellung widerstrebte ihm zutiefst.

Zu seiner Überraschung hatte Diega nicht besonders schockiert auf seine Neuigkeit reagiert. Sie hatte nur versucht, ihm seine Reise nach London auszureden. „Querido, das macht für mich keinen Unterschied. Ich wusste ja, dass du eine Affäre mit ihr hattest. Wir brauchen die Hochzeit deswegen nicht zu verschieben.“

Diese Reaktion war ziemlich überraschend gekommen. „Mir hast du doch erzählt, ich sei zu dir gekommen, um dich zu fragen, ob du mich wirklich heiraten willst. Und dass du mir versichert hast, keine Zweifel zu haben.“

Bisher hatte er Diegas Darstellung der Ereignisse kurz vor seinem Unfall nie hinterfragt. Zumal er sich gut hatte vorstellen können, in der heimlichen Hoffnung zu ihr gefahren zu sein, dass sie ihn vielleicht doch nicht heiraten wollte. Er hatte nämlich schon lange daran gezweifelt, ob eine Ehe mit Diega eine so gute Idee wäre.

Doch plötzlich stellte Diega die Dinge so dar, als hätte er ihr eine Affäre mit Sorcha gestanden und sie „um Vergebung angefleht“. Was ihm ziemlich unwahrscheinlich vorkam.

„Sie wollte für dich weiterarbeiten, bis wir verheiratet sind“, erzählte Diega. „Du wolltest vermeiden, dass ich zufällig von euch erfahre und dann womöglich an deiner Treue zweifle. Ich habe dir erklärt, ich würde es vorziehen, wenn sie sofort aus unserem Leben verschwindet, und du bist losgefahren, um die Sache zu beenden.“

Nichts davon sah ihm ähnlich, schon gar nicht seine Reumütigkeit. Er hatte sich zwar vorgenommen, Diega treu zu sein, sobald sie offiziell verlobt waren, aber was er bis dahin trieb, war seiner Meinung nach seine Sache. Er konnte sich auch nicht vorstellen, nach dem Sex mit Sorcha den brennenden Wunsch empfunden zu haben, mit Diega zu sprechen. Er ließ Frauen nach dem Sex normalerweise nie sofort allein, dazu war er zu sehr Gentleman.

Frustriert kniff er sich in den Nasenrücken. Er würde sich wohl damit abfinden müssen, dass die Woche vor seinem Unfall unwiderruflich aus seinem Gedächtnis gelöscht war. Es hatte auch keinen Zweck, sich zu wünschen, dass die Dinge in jenem Zeitraum anders gelaufen wären als in der Realität.

Aber was war die Realität?

Es verwirrte ihn, dass seine Affäre Diega nicht besonders zu verletzen schien. Sie hatte lediglich versucht, ihn zu beschwichtigen und darauf beharrt, dass die Hochzeit trotzdem stattfinden konnte: „Ich kann gut nachvollziehen, dass du gewisse Maßnahmen ergreifen willst, sollte sich das Baby als deins herausstellen, aber deshalb müssen wir noch lange nicht Pläne aufschieben, die schon seit Jahren existieren.“

Cesar konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er nach drei Jahren unerfüllter Begierde mit Sorcha geschlafen und sie dann nur wenige Stunden später gefeuert haben sollte. So etwas würde er ihr nie antun. Abgesehen davon hatte er auch deshalb drei endlos lange Jahre die Hände von ihr gelassen, weil er sie nicht als Assistentin hatte verlieren wollen.

Doch es war ihm verdammt schwergefallen, sich zu beherrschen!

Er steckte seinen Autoschlüssel und sein Handy ein, stieg aus dem Wagen und betrat das Krankenhausgebäude. Vor Sorchas Zimmertür musste er sich zu seiner Irritation vor einem Wachmann ausweisen, bevor er es betreten durfte.

Sorcha schlief.

Sie sah aus wie ein Engel – ein Anblick, der ihn schon immer fasziniert hatte, wenn sie neben ihm im Flugzeug geschlafen hatte. Ohne Make-up wirkte sie seltsam verletzlich. Ihre blonden Wimpern und Augenbrauen waren kaum zu erkennen. Ihre Lippen waren blassrosa, und ihre durchscheinende Haut war so hell wie frische Sahne.

Als sein Blick auf den Tropf und die Kanüle in ihrem Unterarm fiel, zog sein Herz sich schmerzlich zusammen. Ihm fiel auf, dass Sorchas Baby nicht da war. Und dass nirgendwo Blumen standen. Er unterdrückte den Impuls, Sorcha das blonde Haar aus dem Gesicht zu streichen.

Sie hat ein Baby zur Welt gebracht.

Trotz allem, was passiert war, konnte er sich immer noch nicht vorstellen, Vater zu sein.

Er wusste noch genau, wie sie vor drei Jahren in einem schicken Kostüm sein Büro betreten hatte, das blonde Haar schlicht im Nacken zurückgebunden und mit einem dezentem Make-up, das ihre klaren Gesichtszüge betonte. Sie hatte ihm lächelnd und selbstsicher die Hand geschüttelt und versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie ihn attraktiv fand.

Cesar selbst hatte sie von Anfang an begehrt. Da er sich jedoch zu beherrschen wusste, vor allem am Arbeitsplatz, hatte er ihr nur die ausgestreckte Hand geschüttelt und sie dazu aufgefordert, sich zu setzen. Ihre Wirkung auf ihn war so stark gewesen, dass er sich gegen ihre Anstellung entschieden hatte, noch bevor sie sich gesetzt hatte. Nur der Form halber hatte er das Gespräch eröffnet und sie erzählen lassen, wo sie bisher gearbeitet hatte.

Er hatte nur mit halbem Ohr hingehört, bis sie schließlich etwas gesagt hatte, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte: „Ich habe eine Lösung für ein Problem, das sich schon seit Jahren negativ auf Ihre Produktivität auswirkt.“

„Und welches Problem wäre das?“, fragte er mit gezwungener Geduld. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie sich mit chemischer Verfahrenstechnik auskannte oder wusste, wie man seine Firma in das Montero-Konglomerat integrieren konnte.

„Sie verheizen drei bis vier Assistentinnen pro Jahr“, erklärte sie sachlich. „Eine stabile Basis ist jedoch umso wichtiger, je mehr zusätzliche Verantwortung Sie übernehmen. Ich verpflichte mich, fünf Jahre für Sie zu arbeiten, und verspreche Ihnen, in dieser Zeit nicht mit Ihnen zu schlafen.“

Cesar lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte die zugegebenermaßen sehr kompetente junge Assistentin aus dem Londoner Büro seines Vaters neugierig. Sein Ruf als Frauenheld war ihm bewusst, obwohl er bisher nur mit einer seiner Assistentinnen geschlafen hatte. Und das war ganz am Anfang seiner beruflichen Laufbahn passiert, bevor ihm bewusst geworden war, dass so etwas zu einem Imageproblem führen konnte.

Trotz ihres Vorschlags beschloss er, sie nicht einzustellen. Erst nach den unbefriedigenden nachfolgenden Vorstellungsgesprächen fiel sie ihm wieder ein, doch noch immer hatte er Vorbehalte. Sorcha war der Typ Frau, den er sonst hofierte, und er konnte weiß Gott keine Assistentin gebrauchen, zu der er sich sexuell hingezogen fühlte.

Doch als der Zeitpunkt der Entscheidung kam, ertappte er sich dabei, ihre Nummer zu wählen …

Etwas kitzelte an ihrer Wange und riss Sorcha aus dem Schlaf. Sie versuchte, es wegzuwischen und stieß dabei gegen eine warme Hand. Erschrocken schlug sie die Augen auf.

Cesar.

Sie hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu fallen, als sie in seine klaren blauen Augen sah. Sein Blick erinnerte sie an den eines Raubvogels, der seine Beute aus der Luft beobachtet, bevor er unvermittelt zuschlägt.

In ihrer Fantasie hatte sie sich ein Wiedersehen mit Cesar immer irgendwie romantisch verklärt vorgestellt, aber die Realität sah leider ganz anders aus. Auch wenn sie natürlich froh war, überglücklich sogar, ihn so gesund und munter zu sehen. Seine Ausstrahlung war so stark wie eh und je.

Ihr erster Impuls war, ihm zuzulächeln, doch dieser Mann war so überwältigend, dass Glücksgefühle fehl am Platz waren. Er war wie eine Naturgewalt mit seiner hohen Stirn und seinen streng zusammengezogenen dunklen Augenbrauen über seinem durchdringenden Blick. Wie immer hatte er einen Dreitagebart, der seine sinnlichen Lippen umrahmte. Die sie nur allzu gern geküsst hatte …

Sie musste wieder an ihre unglaublich heißen Stunden in seinem Büro denken.

Verdammt, dieser Mann strahlte auch jetzt wieder eine so intensive rohe sexuelle Energie aus, dass sie unwillkürlich die Augen schloss. Sich gegen seine erotische Anziehungskraft zu wehren, fiel ihr jedoch nicht mehr so leicht wie früher, bevor sie mit ihm geschlafen, ihn berührt und geschmeckt und seinen Duft eingeatmet hatte.

Vor ihrem inneren Auge sah sie seinen nackten Oberkörper, sein schwarzes Brusthaar, seine durchtrainierten Bauchmuskeln, sein riesiges, schamlos vorragendes Organ. Sie sah seine harten muskulösen Oberschenkel, spürte seinen heißen Körper, als er sich auf sie legte, seine Arme um ihren Oberkörper, bevor er tief in sie eindrang und sie mit diesem sexy Mund küsste …

„Sorcha.“ Sogar seine Stimme war Sex pur. Ein lustvoller Schauer lief ihr über den Rücken.

Ich bin noch nicht so weit!

Ihn anblinzelnd versuchte sie, sich gegen seine Wirkung auf sie abzuschotten. Sie schloss die Augen und versuchte sich einzureden, dass sie in Valencia war, nur einen ziemlich wilden Traum gehabt hatte und jetzt aufwachte. Doch als sie die Augen wieder aufschlug, blickte sie in eisige Augen ohne jede Spur von Humor oder Wärme.

„Hallo, Cesar“, sagte sie heiser. „Schön zu sehen, dass es dir wieder gut geht.“

„Womit du anscheinend nicht gerechnet hast, wenn deine vorzeitige Kündigung mich nicht trügt.“

Sorchas Magen krampfte sich nervös zusammen, doch insgeheim war sie froh über Cesars unfairen Vorwurf. Er weckte zumindest ihren Kampfgeist. „Ich hatte dir meine Gründe genannt, und du hast sie akzeptiert“, sagte sie und streckte eine Hand aus, um per Knopfdruck ihr Kopfende hochzustellen. Sie verzog das Gesicht, als ihre frische OP-Narbe schmerzhaft protestierte. „Kannst du dich wirklich nicht mehr an die letzte Woche vor deinem Unfall erinnern?“

Sein Gesicht wurde völlig ausdruckslos, so als falle eine Maske, hinter der er seine Gedanken und Gefühle verbarg. Drei Jahre lang hatte Sorcha gebraucht, um Cesars Vertrauen zu gewinnen. Sie war es nicht mehr gewohnt, von ihm auf Distanz gehalten zu werden.

„Nein.“

Sorcha wusste nicht, ob sie erleichtert oder am Boden zerstört sein sollte. Immer wieder hatte sie sich gefragt, warum er sie nie angerufen hatte. Wenn er sich nicht an den Sex mit ihr erinnerte, erklärte das sein Verhalten natürlich bis zu einem gewissen Grad, aber trotzdem schmerzte sie die Vorstellung, dass nur sie sich an die Nähe zwischen ihnen erinnerte.

In ihrer Fantasie hatte sie immer wieder dieses Gespräch mit ihm durchgespielt, doch jetzt wusste sie nicht, wie sie anfangen sollte. Zumal sie in ihren Vorstellungen zumindest gewaschene Haare gehabt hatte und einigermaßen vernünftig bekleidet gewesen war.

„Geht es dir sonst gut?“, fragte sie.

„Klar. Ich will wissen, warum du gekündigt hast“, sagte er so schroff, als stelle sie seine Geduld schon viel zu lange auf die Probe.

Sie verdrehte genervt die Augen.

„Ich bin kein Fachmann, Sorcha, aber mein Unfall liegt acht Monate zurück, nicht neun. Du bist doch mal mit einem Künstler zusammen gewesen. Ist es sein Kind?“

Sie hatte vor fast zwei Jahren drei Dates mit einem Maler gehabt, und Cesar machte immer noch ein großes Ding daraus.

„Die Wehen kamen zu früh.“ Sorcha tat alles weh. Sie veränderte ihre Sitzposition. Cesars Reaktion machte ihr jedoch mehr zu schaffen als ihre OP-Narbe. Oder besser gesagt seine mangelnde Reaktion. Sie hatte immer geglaubt, dass er sich zumindest ein kleines bisschen zu ihr hingezogen fühlte. Dieser Eindruck hatte sich an jenem Tag vor seinem Unfall bestätigt, aber vielleicht hatte er auch nur so getan, damit sie mit ihm schlief.

Es war irgendwie ein surreales Gefühl, einem Mann nicht nur glaubhaft versichern zu müssen, dass er ein Kind mit einem gezeugt, sondern überhaupt mit einem geschlafen hatte. „Ich habe dir meine Gründe für meine Kündigung dargelegt, und dann … na ja, dann haben wir miteinander geschlafen. Du erinnerst dich wirklich nicht daran?“

Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Schatten über Cesars Gesicht. „Nein.“ Erwartungsvoll sah er sie an – so als fordere er sie auf, ihm Details zu verraten.

Sorcha errötete vor Scham. Verzweifelt warf sie einen Blick auf die Uhr. Die Hebamme hatte gesagt, dass sie Enrique nach spätestens vier Stunden wecken würde. Es war jetzt drei Stunden her, dass Sorcha ihn in den Brutkasten gelegt hatte.

„Als ich mich für fünf Jahre verpflichtet habe, wusste ich nicht, dass du noch vor Ablauf dieser Frist heiraten würdest.“

„Soll heißen?“

„Na ja, wie ich dir am Tag vor deinem Unfall erklärt habe …“

Oh, es war bittersüß gewesen. Wie immer nach einem abgeschlossenen Projekt hatten sie mit Champagner in Cesars Büro angestoßen – ein Ritual, das Sorcha geliebt hatte. Es waren die einzigen Momente, in denen sie sich mal etwas entspannten und sich manchmal sogar über Persönliches unterhielten. Sie hatte sich Cesar dann immer sehr nahe gefühlt. Und von ihm geschätzt.

Sie riss sich aus ihren Erinnerungen und räusperte sich verlegen. „Mir war bewusst, dass du einmal die Frau heiraten würdest, die deine Eltern für dich ausgesucht haben. Das hatte dein Vater schließlich zur Bedingung gemacht, bevor er dir die Geshäftsleitung übergab. Mir war nur nicht klar, dass es so schnell passieren würde. Für die komplette Geschäftsübergabe waren eigentlich fünf Jahre anberaumt gewesen. So lange hättest du dir auch mit den Hochzeitsplänen Zeit lassen können.“

„Dann hast du also gekündigt, weil ich mich verlobt habe? Hast du dir etwa irgendetwas von uns versprochen, Sorcha?“

„Nein!“

„Soso. Fahr fort.“

Die unangenehme Eigenschaft, seinem Gesprächspartner allein durch seinen Tonfall zu vermitteln, dass man gefälligst nicht seine Zeit verschwenden sollte, hatte Cesar offenkundig nicht verloren.

Sorcha riss den Blick von seinen vor der Brust verschränkten Armen los und sah in sein Gesicht. Zu ihrem Schreck bemerkte sie, dass hinter seiner selbstbeherrschten Fassade eine eiskalte Wut schwelte. Sie kam sich plötzlich schrecklich schutzlos vor.

„Ehefrauen sind etwas anderes als Freundinnen.“ Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Ich habe für dich gearbeitet, nicht für Diega.“

„Inwiefern hättest du für sie gearbeitet?“

„Ach, es waren Kleinigkeiten.“ Sie zuckte die Achseln. „Zum Beispiel wollte sie, dass ich Theatertickets für sie besorge.“

„Das kam ein einziges Mal vor! Du hast doch auch ständig Theaterkarten für mich besorgt.“

„Eben. Für dich.“

Cesar verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Dann hast du mir bei unserem Vorstellungsgespräch also etwas vorgemacht?“

„Nein, habe ich nicht. Es war ja nicht damit getan, die Theaterkarten für Diega zu besorgen. Ich musste für den Theaterbesuch ja auch deinen Kalender umstellen. Es war ein Machtspielchen. Doch ich hatte keine Lust, mich von Diega herumschubsen zu lassen. Als sie damit anfing, ihre Position auszuspielen, wurde mir bewusst, dass sie mich als Bedrohung betrachtet. Also beschloss ich zu gehen.“

„Sie hatte ja wohl auch nicht ganz unrecht, wenn man bedenkt, was zwischen uns passiert ist.“

„Ich habe nicht mit dir geschlafen, um ihr eins auszuwischen, falls du das andeuten willst! Es ist einfach passiert. Ist das denn so schwer vorstellbar?“

Wütend blitzten sie einander an. Doch irgendwann wurde Sorcha bewusst, dass Cesar nur versuchte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen – dass er genau wissen wollte, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte. Sie errötete heftig, als Cesar den Blick tiefer gleiten ließ, so als wolle er durch den Stoff ihres Kittels hindurch in die Vergangenheit blicken. Sich ins Gedächtnis rufen, wie sie aussah – wollüstig, nackt, erregt.

Als die Nachtschwester das Zimmer betrat, zuckten sie beide schuldbewusst zusammen.

„Ach, hallo“, sagte die Frau fröhlich. Sie war sich der sexuellen Spannung im Raum offensichtlich nicht bewusst. „Sind Sie der Vater? Ich hoffe, Sie können sich ausweisen, denn der Wachmann vor der Tür des Stillzimmers wird Sie darum bitten. Wir haben nämlich strikte Anweisung, gut auf Ihre beiden Söhne aufzupassen.“

„Beide?“ Cesar wandte ruckartig den Kopf zu Sorcha.

Sorcha unterdrückte ein Lachen. „Wir haben nur einen“, versicherte sie ihm. „Sie meint die Babys von Octavia und mir. Wegen der Verwechslung.“

Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen. „Das musst du mir auch noch erklären.“

„Das können Sie unterwegs machen.“ Die Hebamme schob Cesar zur Seite, um Sorcha beim Aufstehen zu helfen. „Diesmal gibt es keinen Taxiservice. Dr. Reynolds will, dass Sie sich bewegen.“

Als Sorcha mühsam zur Bettkante rutschte, um aufzustehen, zog Cesar ihr fürsorglich den Kittel über die nackten Oberschenkel. Was für eine schräge Situation. Sorcha war die Einzige, die sich an ihren intimsten Augenblick erinnerte, und trotzdem half er ihr in dieser ebenfalls intimen Situation, als sei es selbstverständlich. Sie musterte ihn verstohlen.

Cesars Gesichtsausdruck war unergründlich, aber wann war er je leicht zu durchschauen gewesen? Er konnte zwar sehr charmant sein, wenn er wollte, hatte einen trockenen Humor und eine sehr rasche Auffassungsgabe, doch diese Situation hier war für ihn vermutlich so absurd, dass er seine wahren Gefühle hinter einer arroganten und distanzierten Maske verbarg.

„Ich hatte eigentlich zu Hause in Irland entbinden wollen“, erklärte Sorcha ihm. „Aber die Wehen kamen zu früh, und dann hat es auch noch Probleme mit der Nabelschnur gegeben.“ Sie hatte solche Schmerzen, dass sie nur mühsam vorankam. Der Duft von Cesars Aftershave stieg ihr in die Nase und weckte sentimentale Erinnerungen. „Ich hatte einen Notkaiserschnitt, und dann wurden die Babys vertauscht. Octavia und ich wussten sofort Bescheid, als sie uns die falschen Babys gaben, aber niemand glaubte uns.“

„Ich konnte es auch nicht glauben, als ich vorhin davon erfahren habe“, sagte die Nachtschwester, als sie mit ihrer Karte die Tür zum Stillzimmer öffnete. „Wir sind alle schon ganz gespannt auf die Ergebnisse der DNA-Tests. Eine Verwechslung ist eigentlich ausgeschlossen.“

Vor der Tür angekommen, blieb Sorcha stehen und sah Cesar zögernd an. „Willst du … also, willst du ihn sehen?“

„Und ob ich das will“, antwortete er grimmig und zeigte einem der Wachmänner seinen Personalausweis.

Sorcha murmelte Octavia, die gerade Lorenzo stillte und bei ihrem Eintreten überrascht hochblickte, nur eine flüchtige Begrüßung zu. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf Cesar gerichtet. Wie würde er reagieren, wenn er seinen Sohn sah?

3. KAPITEL

Cesar blickte stumm auf das sich im Brutkasten regende Baby, das Geräusche machte wie ein hilfloser kleiner Vogel. Ihm fiel wieder ein, wie seine Mutter vor all den Jahren seine kleine Schwester mit nach Hause gebracht hatte. Und wie er seine Mutter einmal gesucht hatte, um ihr mitzuteilen, dass „das Baby weint“.

„Das tun Babys öfter“, hatte sie nur geantwortet. „Die Nanny wird sich darum kümmern.“

So als sei ein Baby nur ein Gegenstand.

Cesar war durchaus bewusst, wie distanziert das Verhältnis seiner Eltern zueinander und zu ihren Kindern war. Ihre Ehe war eine reine Vernunftentscheidung gewesen und die drei Kinder die pflichtgemäß gezeugten Erben. Seine Familie mütterlicherseits hatte ihren alten Adelstiteln mit dem Geld von Cesars Vater neuen Glanz verleihen wollen, während er Söhne gebraucht hatte, die in der Firma seine Nachfolge übernahmen. Eine Tochter würde beizeiten in die richtige Familie einheiraten und für nützliche Verbindungen sorgen.

Cesar war nach wie vor fest davon überzeugt, dass ihm seine lieblose Kindheit nicht geschadet hatte. Es hatte ihn daher auch nie gestört, dass man von ihm erwartete, sich seine Frau und seine beruflichen Ziele nach ähnlichen Kriterien auszusuchen, wie seine Eltern es getan hatten. Er war einverstanden damit gewesen, Diega zu heiraten, deren Familie ihn nach der Industriespionage finanziell unterstützt hatte. Damit konnte er zumindest den Fehler wiedergutmachen, den falschen Leuten vertraut zu haben.

Leider schien er inzwischen einen weiteren Fehler gemacht zu haben – einen, der ihn womöglich daran hinderte, sein Versprechen Diegas Familie und seinen Eltern gegenüber einzulösen.

War er wirklich der Vater des Kleinen?

Verstohlen beobachtete er Sorcha, wie sie sich schwerfällig auf einen Schaukelstuhl sinken ließ. Als die Schwester das Baby aus dem Brutkasten nahm und zu ihr brachte, schienen ihre Schmerzen und ihre Erschöpfung wie weggeblasen zu sein. Ein glückliches Lächeln breitete sich über ihr Gesicht.

Cesars Herz zog sich bei dem Anblick zusammen.

„Du Ärmster“, murmelte sie und küsste das Baby zärtlich. Zuwendung wie diese kannte Cesar bisher allenfalls aus Filmen, aber nicht aus seiner Kindheit. Sorchas offensichtliche Liebe für ihren Sohn löste Gefühle in ihm aus, die er noch nicht mal ansatzweise beschreiben konnte.

„Hast du mich vermisst? Ja? Ich habe dich auch vermisst.“ Als Sorcha den Blick zu Cesar hob, dachte er für einen verrückten Moment, dass sie mit ihm sprach. „Ich habe ihn Enrique genannt“, sagte sie.

Enrique. Sein zweiter Vorname.

Cesar hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Am liebsten hätte er sich geräuspert, aber das wäre zu verräterisch gewesen.

Plötzlich fiel ihm etwas ein, was seine Schwester Pia, eine Biologin, gelegentlich in ironischem Tonfall zu seinem Vater sagte: „Gefühle werden Gefühle genannt, weil man sie fühlt.“

Cesar schüttelte den Kopf. Solche Bemerkungen waren bei seinem Vater vergebliche Liebesmüh. Er war absolut gefühllos. Seine Mutter konnte Freunden gegenüber manchmal fast herzlich sein oder sich über eine kaputte Lieblingsvase ärgern, aber sein Vater ließ sich nie zu solchen Sentimentalitäten herab.

Und Cesar hatte bisher immer geglaubt, genau wie sein Vater zu sein.

Oder?

„Willst du ihn mal auf den Arm nehmen?“, fragte Sorcha ihn zögernd.

„Musst du ihn nicht stillen?“ Diese Frage kam ihm reflexartig über die Lippen, als Abwehrreaktion gegen etwas, das er nur sehr selten empfand: das Gefühl, völlig unzureichend zu sein.

Er hatte keine Ahnung, wie man Babys hielt. Wenn er bisher über Kinder nachgedacht hatte, dann immer als etwas, das in weiter Ferne lag und das er seiner künftigen Frau und eigens dafür angestelltem Personal überlassen würde.

Sorcha sah ihn so verletzt an, als hätte er sie geohrfeigt. „Würdest du dich bitte umdrehen?“, fragte sie steif.

Cesar gehorchte, obwohl er ihre Scham nicht verstand. Schließlich hatte er ihre nackten Brüste schon längst gesehen. Verdammt, warum konnte er sich nur nicht daran erinnern? Vor seinem inneren Auge flackerten plötzlich zwei helle Hügel mit harten rosa Knospen auf, welche die gleiche Schattierung hatten wie Sorchas Lippen. War das eine Erinnerung oder nur eine Fantasie?

Verdammt, würde die Erinnerung denn nie wiederkommen! Die Ärzte zweifelten daran. Diese Prognose wäre leichter zu ertragen, wenn es sich um eine gewöhnliche Woche gehandelt hätte. Aber nein – es handelte sich natürlich ausgerechnet um die Woche, in der Cesar ein Kind gezeugt haben sollte!

Die Frau namens Octavia stand auf und drehte sich zögernd zu Cesar um. „Ich muss Ihnen mitteilen … Mein Mann hat mir erzählt, dass sein Cousin die Namensschilder der Babys vertauscht hat.“ Sie sah Sorcha entschuldigend an, bevor sie den Blick wieder auf Cesar richtete. „Aus Eifersucht, nehme ich an. Die Polizei wird Ihnen bestimmt noch ein paar Fragen stellen. Es tut mir schrecklich leid.“

Sorcha versicherte Octavia sofort, dass es nicht ihre Schuld war.

Cesar war es schleierhaft, dass sie so großmütig reagierte. Um ein Haar wäre Enrique mit der falschen Mutter nach Hause gegangen. Sein Kind wäre fast von Fremden großgezogen worden.

Bei der Vorstellung stieg eine fast mörderische Wut in Cesar auf. Niemand hatte das Recht, ihm zu nehmen, was ihm gehörte, erst recht nicht etwas so Kostbares wie seinen Sohn!

Falls Enrique überhaupt sein Sohn war.

Octavia legte ihr Baby hin und wünschte ihnen müde eine gute Nacht, bevor sie von ihrer Hebamme gestützt das Zimmer verließ.

In Cesar regte sich ein Gefühl, das er nicht deuten konnte. Er empfand plötzlich den Wunsch, das Baby in Sorchas Armen genauer zu betrachten. Würde er sich in dessen Gesichtszügen wiedererkennen? „Wann kommen die DNA-Ergebnisse?“, fragte er die Krankenschwester.

„Anfang nächster Woche hoffentlich.“

Cesar wusste, dass Sorcha nicht log, schon gar nicht, wenn es um so wichtige Dinge wie ihre Familie ging. Das einzige Mal, dass sie sich einen Nachmittag freigenommen hatte, war, als ihre kleine Nichte für zwei Stunden verschwunden war. Die Siebenjährige war in einen falschen Bus gestiegen. Sorcha war völlig aufgelöst gewesen, bis ihre Schwester angerufen und Entwarnung gegeben hatte.

Es hatte Cesar tief bestürzt, seine sonst immer so souveräne Assistentin so verzweifelt zu sehen. Nicht dass sie in Tränen aufgelöst gewesen wäre, nein, sie war eher in eine Art Schockstarre verfallen und hatte ihn tonlos gefragt: „Was ist, wenn …?“

Er hatte nicht gewusst, was er dazu hatte sagen sollen und sich unangenehm hilflos gefühlt. Normalerweise tröstete er Frauen mit Geschenken, Komplimenten und Sex. In Sorchas Fall hatte er ihr nichts anbieten können, als sie nach Hause zu fliegen.

Sie hatten den Anruf mit der guten Nachricht kurz vor ihrer Ankunft am Flughafen bekommen und Sorcha hatte Cesar vor lauter Erleichterung spontan umarmt. Danach war sie in Tränen ausgebrochen, hatte sich jedoch rasch wieder beruhigt und sich bei ihm entschuldigt. Schon zwanzig Minuten später hatte er ihr nichts mehr angemerkt. Sie hatte so professionell weitergearbeitet, als sei nie etwas passiert.

Ihre Umarmung hatte er jedoch nie vergessen – ihren schlanken Körper, ihre schmalen Schultern unter seinen Händen, ihren zarten Rücken. Da sie kein Parfum benutzte, war ihm ihr eigener Duft in die Nase gestiegen – subtil und komplex zugleich, nach zarten Blüten … und einem Hauch Anis. Sein Wunsch, mit ihr zu schlafen, war in diesem Augenblick fast übermächtig geworden, doch da er gewusst hatte, dass er sie nicht haben konnte, hatte er ihre Umarmung nur flüchtig erwidert und sie dann von sich weggeschoben.

Damals.

Beim letzten Mal war seine Selbstbeherrschung offensichtlich nicht so gut gewesen.

Er drehte sich zu Sorcha um. „Warum?“, fragte er sie auf Spanisch. „Warum musste ich erst auf diese Art herausfinden, dass ich Vater bin? Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“

Sorcha errötete. „Ich habe ja versucht, es dir zu sagen, aber dein Vater hielt es für unnötig, dass ich dir einen Besuch im Krankenhaus abstatte. Ich ging daraufhin direkt zum Krankenhaus, wurde aber nicht zu dir gelassen.“ Sie zögerte einen Moment. „Es war eine sehr schwere Zeit für deine Familie, und du warst in einem schlechten Zustand. Ich hatte bis zu einem gewissen Grad Verständnis und habe versucht, Geduld zu haben. Doch als ich dann erfuhr, dass du das Gedächtnis verloren hast …“ Sie wirkte, als könne sie das immer noch nicht recht glauben.

Cesar konnte es ihr nicht verdenken. Es machte ihn verrückt, nicht perfekt zu funktionieren. Um seine Gefühle zu verbergen, wandte er sich ab.

„Die Umstände waren alles andere als ideal“, hörte er Sorcha hinter sich fortfahren. „Du warst mit Diega verlobt, auch wenn es noch nicht offiziell war.“ Sorcha seufzte tief. „An jenem Tag vor deinem Unfall hast du mir anvertraut, dass du Zweifel ihretwegen hast. Du hast mir glaubhaft den Eindruck vermittelt, sie nicht heiraten zu wollen. Sonst hätte ich nie …“

Als sie nicht weitersprach, drehte Cesar sich wieder zu ihr um. Sorcha hatte den Kopf gesenkt und fuhr sich hilflos mit einer Hand über die Stirn.

Er zerbrach sich den Kopf, was er zu ihr gesagt haben konnte. Stimmt, er hatte schon seit seinem zwanzigsten Lebensjahr Vorbehalte gegen eine Verlobung mit Diega, aber er hatte nie dagegen protestiert. Eine arrangierte Ehe hatte bei seinen Eltern auch funktioniert. Mit der Jagd nach „Liebe“ scheffelte man nun mal keine Millionen.

Außerdem war er Diegas Familie etwas schuldig. Schon allein deshalb hatte er sein schlechtes Bauchgefühl ignoriert und sich auf Drängen seiner Mutter zumindest mit einer inoffiziellen Verlobung einverstanden erklärt, auch wenn ihm das insgeheim das Gefühl gegeben hatte, in der Falle zu sitzen.

Hatte er das Sorcha wirklich alles anvertraut?

„Glaub mir, ich hätte es dir gesagt“, sprach Sorcha weiter. „Aber da man mir das verwehrte, blieb mir nichts anderes übrig, als wegzugehen. Was hätte ich sonst tun sollen? Es deinem Vater erzählen? Er hätte mir doch nur unterstellt, absichtlich schwanger geworden zu sein, um an dein Geld zu kommen. Wir haben ein Kondom benutzt, aber es ist trotzdem passiert. Das hätte mir niemand geglaubt, noch nicht mal du. Und selbst wenn doch – ich wollte mich nicht der Demütigung aussetzen, mit Geld abgefunden und weggeschickt werden.“

Cesar fragte sich unwillkürlich, wie es wohl gewesen war, sie zu küssen? So gut, wie er es sich immer vorgestellt hatte? Er ballte die Hände zu Fäusten, als ihm mal wieder bewusst wurde, dass er um seine Erinnerungen betrogen worden war.

Sorcha hob den Blick zu ihm. „Ich habe deinen Namen nur deshalb im Anmeldeformular angegeben, weil es sich um einen Notfall handelte. Ich wollte nicht, dass meiner Mutter die Kosten für Enriques Erziehung aufgebürdet werden, falls ich die OP nicht überlebte. Für diesen Fall habe ich tatsächlich auf deine Großzügigkeit gehofft.“

Cesar überlief es eiskalt bei der Vorstellung, dass Sorcha während der OP hätte sterben können, doch er verdrängte dieses Gefühl. „Dann hätte ich sonst also nie von ihm erfahren?“

Sorcha senkte wieder den Blick und biss sich auf die Unterlippe. „‚Nie‘ ist ein großes Wort. Ich nehme an, Enrique hätte irgendwann Fragen gestellt. Ich wollte das alles auf mich zukommen lassen.“

Cesar starrte sie an. Drei Jahre lang hatte er Sorcha vertrauliche Informationen mitgeteilt – Entscheidungen, die Aktienpreise beeinflusst hatten, persönliche Meinungen, die er sonst niemandem anvertraute, und sie hatte ihn nie im Stich gelassen. Vom ersten Tag an war sie ihm gegenüber absolut ehrlich gewesen – manchmal sogar zu ehrlich. Vielleicht lag es daran, dass er ihr glaubte – trotz Mangels an Beweisen. „Ich habe allerdings nicht die Absicht, die Dinge auf mich zukommen zu lassen“, sagte er schroff. „Deshalb habe ich meine Hochzeit mit Diega abgesagt.“

Sorcha sah ihn für einen Moment ganz erschrocken an, zuckte dann jedoch die Achseln. „Also, ich habe dich jedenfalls nicht darum gebeten. Ich habe keine Ambitionen, was dich angeht, falls du das gedacht hast.“ Ihre Stimme klang fest, doch es fiel ihr schwer, seinem Blick standzuhalten.

Cesar überraschte das nicht. Er war reich, gesund und hatte einen Adelstitel. Viele Frauen warfen ein Auge auf ihn. Seiner Schwester Pia zufolge war das reine Biologie. Er verfügte über all die Merkmale, auf die fruchtbare junge Frauen ansprangen, die einen Versorger für ihre Jungen suchten. „Wirklich?“

„Klar. Wenn du finanzielle Vorkehrungen für deinen Sohn treffen willst, ist das natürlich deine Entscheidung, aber ansonsten werde ich ihn allein großziehen.“

Für Cesar war es selbstverständlich, sein Kind zu unterstützen – finanziell und auch sonst, falls das möglich war. Und jetzt, wo er seine Verlobung mit Diega gelöst hatte, war er zumindest moralisch dazu verpflichtet, eine Ehe mit Sorcha in Erwägung zu ziehen.

Falls Enrique sein Sohn war.

Ihm wurde bewusst, dass er sich das wünschte.

„Ich wollte dich nicht in eine Falle locken“, fuhr Sorcha fort. „Wir haben an jenem Tag mit Champagner auf das abgeschlossene Projekt angestoßen und uns über persönliche Dinge unterhalten. Ich hatte das Gefühl …“, errötend hob sie das Kinn und versuchte, Cesars Blick standzuhalten, „… dass wir uns nähergekommen waren. Nur deshalb habe ich mit dir geschlafen.“

Plötzlich sah sie schrecklich verletzt aus. „Aber als ich dich im Krankenhaus besuchen wollte, hat Diega mir gesagt, dass du dir nur ein letztes Mal die Hörner abstoßen wolltest. Dass ich nur eine Eroberung für dich gewesen sei, eine Herausforderung, der du nicht widerstehen konntest. Das war mir wirklich ein unglaublicher Trost in den letzten Monaten, Cesar! Zu wissen, dass du wenigstens noch einmal kräftig über mich lachen konntest, kurz bevor du fast gestorben wärst!“

4. KAPITEL

Endlich war es Sorcha gelungen, Cesar zum Gehen zu veranlassen. Der kleine Enrique brauchte dringend etwas Schlaf – genau wie sie selbst.

Nach dem Gespräch mit Cesar war sie nicht nur emotional und körperlich erschöpft, sondern auch wütend und verletzt, weil er ihren Vorwürfen nichts entgegengesetzt hatte. Und da wunderte es ihn, dass sie ihm nichts von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte? Warum hätte sie das tun sollen? Sie hatte ihm offensichtlich nichts bedeutet. Sonst hätte er sie schließlich längst angerufen!

Zittrig holte sie Luft. Ob er wiederkommen würde?

Mach dir nichts vor, schalt sie sich selbst. Sie hatte ihm gerade einen Freifahrtschein gegeben. Vorsatz für’s nächste Mal: Setz nichts aufs Spiel, das du nicht bereit bist zu verlieren.

Sie würde einfach ihre Enttäuschung hinunterschlucken und Enrique allein großziehen müssen, auch wenn sie Cesar schon jetzt vermisste. Im Grunde genommen vermisste sie ihn seit Monaten – seine Dynamik, seine Zielstrebigkeit, seine Begeisterungsfähigkeit bei jedem neuen Projekt und sein anerkennendes Nicken, wenn sie eine Aufgabe zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte.

Aber irgendwie schien er sich verändert zu haben. Er strahlte immer noch viel Energie aus, wirkte jedoch noch abweisender und distanzierter als früher.

Nicht dass Cesar je offen und warmherzig gewesen wäre. Seine ganze Familie war kalt, hochmütig und distanziert. Welche Ironie, dass die Monteros trotz ihrer Abstammung das Gegenteil des Klischees des warmherzigen und temperamentvollen Spaniers verkörperten.

Konnte natürlich sein, dass nur die jetzige Situation dafür verantwortlich war. Oder hatte sein Unfall ihn grundlegend verändert? An jenem Nachmittag in Valencia war er so ganz anders gewesen …

Traurig ging sie ins Bett, wo sie prompt wieder an Cesar denken musste – an all die vielen Kleinigkeiten, die verrieten, dass er doch nicht nur ein ehrgeiziger und rein rational denkender Geschäftsmann und Wissenschaftler war. Einmal zum Beispiel hatte er einen streunenden Hund von einer Landstraße aufgesammelt, damit er nicht überfahren wurde. Und er hatte Sorcha in seine geheimen Experimente mit Metallen eingeweiht, die nicht immer einen konkreten Zweck hatten, sondern nur seinen Wissensdurst befriedigten. Manchmal war er geradezu ein Nerd, was diese Dinge anging.

Sorcha schluckte ihre Tränen hinunter, als sie daran dachte, wie er und sie an jenem Nachmittag eine Flasche Champagner geteilt und einander beglückwünscht hatten …

Sie hatte Cesar immer dafür geschätzt, dass er die Leistungen seiner Angestellten ehrlich anerkannte und Erfolge nicht allein sich selbst zuschrieb.

Irgendwann an jenem magischen Nachmittag hatte sich ein entspanntes Schweigen zwischen ihnen ausgebreitet …

Die durch die Milchglasfenster scheinende Sonne zauberte helle Reflexe auf den Orientteppich in Cesars Büro. Als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, gab Cesar sich keine Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen. Nur seine Familie hatte die Durchwahl – und Diega Fuentes, die Frau, mit der er sich bald offiziell verloben würde. Doch Cesar füllte einfach die Gläser nach und ignorierte den Anruf.

Sorcha beugte sich vor und stellte ihr Glas hin. Sie nutzte die Gelegenheit, verstohlen Cesars stolzes Profil zu betrachten, als er die Flasche zurück in den Kühler stellte. Er setzte sich wieder in den Sessel und legte zufrieden seufzend die Füße auf den Couchtisch.

Das hier war ihr privates Ritual, der feierliche Abschluss eines Projekts. Bald schon würden ihm seine anderen noch nicht abgeschlossenen Projekte einfallen, und er würde ihr neue Aufgaben zuteilen.

Doch bis dahin musste Sorcha selbst etwas erledigen.

Cesar beobachtete sie träge unter halb geschlossenen Lidern. „Wollen Sie mir etwas mitteilen?“, fragte er.

Sorcha zuckte zusammen. Seit wann durchschaute er sie so gut? Sie hatte auf diesen Augenblick gewartet, aber ihm mitzuteilen, was ihr auf dem Herzen lag, fiel ihr schwerer als gedacht. Sie musste schlucken. „Ich … möchte kündigen“, sagte sie heiser.

„Haben Sie mich vorhin missverstanden? Ich habe gesagt, Sie haben tolle Arbeit geleistet.“ Als Sorcha nichts darauf erwiderte, sondern nur traurig lächelte, hob er die Augenbrauen. „Sie haben mir fünf Jahre zugesichert.“

„Das stimmt“, gab sie zu.

„Hat Ihr Kündigungswunsch mit Ihrer Familie zu tun?“

„Nein.“ Seine Frage überraschte sie. Abgesehen von dem Vorfall mit ihrer Nichte hatte sie nie durchblicken lassen, wie viel ihre Familie ihr bedeutete. „Nein, es ist nur …“ Sie wusste nicht, wie sie ihm ihre Gründe erklären sollte, ohne ihn oder seine Familie zu beleidigen. „Sie greifen doch manchmal zu kleinen Notlügen, wenn es um Ihre Freundinnen geht. Ich soll zum Beispiel sagen, dass Sie das Gebäude verlassen haben, wenn eine unangemeldet vorbeikommt oder dass ich vergessen habe, Ihren Anruf auszurichten, wenn Sie nicht zurückrufen.“

„Das habe ich aber nie von Ihnen verlangt. Sie haben mir von sich aus angeboten, diese Aufgaben zu übernehmen.“ Cesar trank einen großen Schluck Champagner und betrachtete seine Assistentin. Sein Blick war unergründlich.

Sorcha seufzte. „Mag sein. Bei Assistentinnen eines Junggesellen gehört so etwas irgendwie zum Jobprofil dazu. Für einen verheirateten Mann zu arbeiten, ist jedoch etwas anderes.“

Sorcha senkte den Blick zu ihren Händen. Sie fand die Vorstellung unerträglich, dass Cesar bald mit der Eiskönigin Diega Fuentes verheiratet sein würde. „Entweder freundet man sich mit der Ehefrau an und kann sie dann natürlich nicht belügen, oder sie betrachtet einen als jemanden, der ihren Mann von ihr fernhält. Und dann wird es schwierig, effizient zu arbeiten.“

„Glauben Sie, Diega wird Ihnen Ihren Job schwer machen? Ich würde nämlich nie von Ihnen verlangen, sie zu belügen.“

„Nicht?“ Sorcha war bewusst, wie provokant ihre Frage war. Mit ihrer direkten Art hatte sie sich diesen Job geangelt, aber sie musste aufpassen, nicht zu weit zu gehen.

Kalt sah er sie an. „Wenn Sie so weitermachen, Sorcha, werde ich derjenige sein, der die Kündigung ausspricht.“

„Ich gehe so oder so, also habe ich nichts zu verlieren, wenn ich ganz offen mit Ihnen rede, oder?“ Sie nahm ihr Glas und trank einen Schluck.

Cesar nahm die Füße vom Tisch, beugte sich vor und stellte sein Glas hin. „Etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein, um eine Gehaltserhöhung aus mir rauszupressen? Wie viel schwebt Ihnen vor?“

„Es geht mir nicht um eine Gehaltserhöhung.“

„Nach meiner Hochzeit wird sich im Grunde nichts ändern. Es werden sogar ein paar Ihrer Aufgaben wegfallen, zum Beispiel, meine Anzüge in die Reinigung zu schicken. Nennen Sie mir also den wahren Grund für dieses Gespräch.“

Schon als Kind hatte Sorcha gelernt, dass es keinen Zweck hatte, sich in Diskussionen verwickeln zu lassen. Das Beste war, ruhig seine Meinung zu sagen und dabei zu bleiben – ohne Rechtfertigungen, umständliche Erklärungen oder Rückzieher. Sollte sich wider Erwarten herausstellen, dass sie sich geirrt hatte, entschuldigte sie sich eben dafür. Außerdem war Schweigen in manchen Situationen vielsagender als alle Worte – etwas, das sie von dem Meister hier gelernt hatte.

„Ist das wirklich Ihr Ernst?“, explodierte Cesar, als sie nichts sagte. „Sie wollen kündigen, um Diega aus dem Weg zu gehen? Diega und ich heiraten frühestens im nächsten Jahr!“

„Ich werde bis zum Freitag vor Ihrer Hochzeit bleiben, falls Sie mich so lange brauchen.“

„Das ist inakzeptabel. Sie haben mir fünf Jahre zugesagt!“ Cesar nahm wieder sein Glas und funkelte sie wütend an. „Wissen Sie eigentlich, wie gern ich Sie jetzt feuern würde?“

Sorcha griff nach ihrem eigenen Glas und lehnte sich zurück. Innerlich war sie längst nicht so entschlossen wie sie sich gab. Es fiel ihr sehr schwer, Cesar im Stich zu lassen. Wenn er Diega wenigstens lieben würde … nein, dann wäre es noch schlimmer. Dann würde sie erst recht kündigen.

Warum, oh warum nur hatte sie sich in ihn verliebt?

„Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass ich Sie bitten würde, Diega zu belügen?“, fragte er.

Sie zögerte einen Moment. „Nun, Señorita Fuentes begrüßen Sie immer, als sei sie eine Steuerprüferin, während Sie alle anderen Frauen, mit denen Sie sich privat treffen, sehr freundlich und zuvorkommend behandeln.“

Cesar sah Sorcha so eindringlich an, dass ihr Herz einen Satz machte. „Sie wissen doch, dass mein Leben vorgezeichnet ist, oder? Haben Sie von der Industriespionage gehört?“

„Ja.“

Sorcha hatte sich online darüber informiert. Die Gerichtsverhandlung hatte Jahre gedauert, aber gestohlenes geistiges Eigentum ließ sich nicht zurückholen. Sobald die Büchse der Pandora geöffnet war, gab es kein Zurück mehr.

„Es war meine Schuld. Ich habe das ganze Geld meines Vaters in eine Idee investiert, die man mir daraufhin gestohlen hat. Die Anwaltshonorare waren gigantisch. Es gelang uns, einen Teil der Investitionen per Abfindung zurückzubekommen, aber das war nichts im Vergleich zu dem erwarteten Profit. Wir wären fast pleitegegangen, wenn Diegas Familie uns nicht geholfen hätte.“

Sorcha konnte sich nicht erinnern, dass Cesar je mit ihr über den Spionagefall gesprochen hatte. Es war sein wunder Punkt, den er höchstens mal andeutungsweise erwähnte, und dann immer voller Verbitterung und Selbstverachtung.

„Es stand auch schon vorher fest, dass ich Diega eines Tages heiraten werde, doch die Unterstützung ihrer Familie hat das besiegelt. Bis dahin will ich meine Freiheit nutzen, so gut ich kann. Denn wenn ich erst mal mit Diega ganz offiziell verlobt bin, werde ich sie nicht betrügen, Sorcha. Sie werden also gar nicht erst in die Verlegenheit kommen, sie belügen zu müssen.“

„Trotzdem bleibe ich bei meiner Kündigung.“

„Weil Sie glauben, Diega wird Ihnen den Job schwer machen?“ Cesar schüttelte den Kopf. „Ich könnte Ihre Bedenken nachvollziehen, wenn ich Diega aus Liebe heiraten würde, aber unsere Ehe ist eine reine Geschäftsentscheidung. Diega weiß, dass meine Arbeit immer an erster Stelle kommen wird. Die Firma ist mein Leben.“

Autor

Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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