Julia Extra Band 485

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

IN DEN ARMEN DES GRIECHISCHEN MILLIARDÄRS von SUSAN STEPHENS

Sinnlicher Flirt unter griechischer Sonne: Der sexy Fremde, dem Kimmie am Strand begegnet, weckt ungeahnte Leidenschaft in ihr. Aber kaum hat sie sich zu heißen Küssen verführen lassen, fürchtet sie, dass Kris sie belügt. Oder warum verschweigt er, wer er wirklich ist?

VERLIEB DICH NIEMALS IN DEINEN BOSS! von ALLY BLAKE

Der umwerfend attraktive Unternehmer Angus Wolfe darf auf keinen Fall merken, wie sehr Lucinda sich insgeheim nach ihm verzehrt. Schließlich ist er nicht nur ihr Boss, sondern auch erklärter Beziehungsphobiker! Doch dann kommen sich die beiden auf einer Konferenz gefährlich nah …

HAPPY END FÜR DEN PRINZEN von ALLY BLAKE

Prinz Hugo gerät in einen Gewissenskonflikt, als er eine erregende Affäre mit der faszinierenden Amber beginnt. Denn wenn er seine Pläne für ein Luxusresort verwirklicht, wird Amber ihr Zuhause verlieren und ihn hassen! Ausgerechnet mit ihr wünscht er sich jedoch ein Happy End …

NUR ZWEI HEISSE NÄCHTE? von JACKIE ASHENDEN

Wer ist die mysteriöse rothaarige Schönheit, die nach zwei unvergesslichen Nächten der Lust spurlos aus Enzo Cardinalis Leben verschwand? Jahre später steht Matilda auf einer exklusiven Party jäh vor ihm. Sofort spürt er wieder hungriges Verlangen. Bis er ihr Geheimnis entdeckt …


  • Erscheinungstag 23.06.2020
  • Bandnummer 485
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714857
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Stephens, Ally Blake, Jackie Ashenden

JULIA EXTRA BAND 485

SUSAN STEPHENS

In den Armen des griechischen Milliardärs

Was macht die schöne Fremde an seinem Privatstrand? Zuerst will Milliardär Kris Kaimos sie bloß zur Rede stellen. Doch dann kann er nicht widerstehen, Kimmie zu küssen. Mit ungeahnten Folgen …

ALLY BLAKE

Verlieb dich niemals in deinen Boss!

Es passt Angus Wolfe gar nicht, dass Lucinda erstmals einen ernsthaften Verehrer hat! Natürlich nur, weil er sie nicht als Sekretärin verlieren will – nicht weil er sie insgeheim heiß begehrt, oder?

ALLY BLAKE

Happy End für den Prinzen

Amber ist hin- und hergerissen zwischen unbändigem Verlangen nach Prinz Hugo und Entsetzen über seine Pläne. Gerade noch hat sie in seinen Armen gelegen, da will er ihr plötzlich das Zuhause nehmen!

JACKIE ASHENDEN

Nur zwei heiße Nächte?

Schockiert erkennt Matilda den neuen Gast auf der Party: Es ist der Mann, den sie nach einem folgenreichen Liebeswochenende ohne ein Wort des Abschieds verlassen musste, um eine Pflichtehe einzugehen …

PROLOG

Das wird der schönste Tag meines Lebens!

Kimmie stieß die Fensterläden ihres Dachzimmers auf und betrachtete den herrlichen Strand, der in der Morgensonne golden zu funkeln schien.

Ich kann es immer noch abblasen.

Nein, das konnte sie nicht! Schließlich war es ihr Hochzeitstag! Viel zu spät, um es sich jetzt noch mal anders zu überlegen. Sie kannte Mike, ihren Verlobten, schon ihr halbes Leben. Er war viel älter als Kimmie und würde, wie er ihr versichert hatte, ein Fels in der Brandung sein.

Oder ein Kontrollfreak.

„Geh früh zu Bett. Und bleib dort, bis ich dich hole“, hatte er am Vorabend zu ihr gesagt. „Du brauchst deinen Schlaf. Morgen ist ein wichtiger Tag.“ Als ob sie das nicht selbst gewusst hätte.

Wann bin ich eigentlich so fügsam geworden?

Stirnrunzelnd wandte sie sich vom Fenster ab. Es war ganz normal, als Braut am Hochzeitstag das große Flattern zu bekommen, oder nicht? Ein Strandspaziergang würde ihre Nerven beruhigen. Die Sonne wärmte bereits die kleine griechische Insel Kaimos, und Kimmies Trauzeugin Janey hatte das Zimmer nur ein paar Meter den Gang weiter runter. Sie konnten die Füße im Wasser kühlen und sich entspannen. Doch Kimmies Gedankenkarussell drehte sich weiter.

Liebe ich ihn?

Wenn Liebe aus Vertrautheit bestand und aus der Gewissheit, sich niemals erklären zu müssen, dann war Mike die perfekte Wahl. Außerdem wollte Kimmie nicht allein durchs Leben ziehen.

Liebt Mike mich?

Genug Fragen! Es war an der Zeit, sich anzuziehen. Rasch schlüpfte Kimmie in Shorts und T-Shirt, dann huschte sie den Korridor hinunter und klopfte an Janeys Tür.

„Janey? Bist du wach? Kann ich reinkommen?“

Als sie etwas hörte, was ein „Ja!“ hätte sein können, öffnete sie die Tür.

„Tut mir leid, dass ich dich so früh wecke, aber …“ Sie verstummte mitten im Satz. Versuchte, das Bild, das sich ihr bot, zu verarbeiten. Mike lag nackt im Bett, während Janey auf ihm saß und ihn ritt, als ginge es um ihr Leben.

Völlig benommen taumelte Kimmie zurück und floh aus dem Haus.

1. KAPITEL

Sein erster Tag auf Kaimos begann katastrophal.

Weil seine Jacht am Vorabend erst sehr spät anlegen konnte, hatte Kris die Nacht an Bord verbracht. Heute Vormittag hatte er der Verlockung des glitzernden Meers nicht widerstehen können und beschlossen, zu seinem Lieblingsstrand zu schwimmen. Doch statt seine Probleme hinter sich zu lassen, schienen sie jetzt erst richtig anzufangen: Eine Touristengruppe hatte sämtliche Verbotsschilder ignoriert und feierte eine ausgelassene Party an seinem Privatstrand!

Salzwasser rann an seinem Körper hinab, als Kris aus den Wellen stieg und ungeduldig das nasse Haar zurückstrich. Sein Blick wurde sofort von einer Frau an der Spitze der Gruppe angezogen. Was für ein Augenweide! Fantastische Brüste, großartige Beine und taillenlanges schwarzes Haar, in dem violette Strähnen glänzten. Sie trug den knappsten Bikini, den er je gesehen hatte. Lediglich ein buntes Chiffontuch hatte sie um die Hüften geschlungen, während sie zu den Klängen einer alten Beatbox, die einer ihrer Begleiter auf der Schulter trug, in den Dünen tanzte.

Sie hatte etwas Wildes, beinahe Verwegenes an sich. So als hätte sie nichts zu verlieren oder als würde sie versuchen, ein unangenehmes Erlebnis abzuschütteln. Ihre Freunde wussten vermutlich, worum es ging und bemühten sich, sie zu unterstützen.

Was zur Hölle? Kris’ Nackenhaare richteten sich auf, als die Touristen jetzt auch noch ein Lagerfeuer entzündeten. Auf seinem Strand! Im nächsten Moment holte jemand ein Kleid aus einem Beutel – es sah nach einem Brautkleid aus. Gehörte es der Frau, die sein Interesse fesselte? Ja, entschied er, als er sah, dass sie sich weigerte, das Kleid zu berühren. Stattdessen zog sie eine Grimasse, trat einen Schritt zurück und überließ es ihren Freunden, das Kleid auf den improvisierten Scheiterhaufen zu legen.

Ärger flammte in Kris auf – und Neugier. Statt einzuschreiten, wartete er ab, wie sich das Drama weiter entwickeln würde.

Während die Flammen sich gierig über den zarten Stoff hermachten, stand die Frau stocksteif da und schaute zu. Ihre Freunde hatten einen Schutzkreis um sie gebildet. Auch sie warteten stumm darauf, dass das Kleid verbrannte und das Feuer erlosch. Als nur noch Asche übrig war, löste sich die Frau aus der Gruppe und lief näher zum Wasser. Dort streifte sie einen Ring vom Finger und schleuderte ihn ins Meer. Kris sah ihn erst in der Luft funkeln und dann wieder, als eine starke Welle ihn sogleich zurück an Land spülte. Die Flut arbeitete gegen sie, auch wenn die unbekannte Schönheit es gar nicht registrierte, weil sie sich bereits abgewandt hatte.

Aus irgendeinem Grund, den er nicht genauer hinterfragte, wollte Kris diese Frau kennenlernen. Deshalb schnappte er sich den glitzernden Ring und holte sie ein, noch bevor sie ihre Freunde erreicht hatte. Er streckte ihr die geöffnete Handfläche entgegen und fragte: „Gehört der Ihnen?“

Kimmies Inneres war in Aufruhr. Ihr Herz pochte wie verrückt. Nicht nur, dass sie an diesem Morgen den Schock ihres Lebens erlebt hatte und seitdem versuchte, zumindest ihren Freunden einen schönen Tag zu verschaffen. Nun musste sie sich auch noch einem Titanen stellen, der geradewegs aus der Welt der Mythen und Legenden entsprungen zu sein schien. Und dann streckte er ihr auch noch den Ring entgegen, den sie gerade ins Meer geschleudert hatte!

Sie schätzte, dass der Mann etwa dreißig Jahre alt war. Groß und wahnsinnig maskulin, mit harten Zügen, die aussahen, als seien sie aus Stein gemeißelt. Er hatte dichtes pechschwarzes Haar, das feucht vom Meer war. Vielleicht war er ein Fischer, der hier auf der Insel lebte. Braun gebrannt und mit einem Körper, der von Michelangelo höchstselbst hätte modelliert sein können.

„Ich verstehe nicht“, entgegnete sie stirnrunzelnd. „Den Ring hatte ich ins Meer geworfen.“

„Und die Flut hat ihn wieder zurückgebracht“, erklärte er in perfektem Englisch. Seine Stimme war tief und rauchig. Er hatte nur einen ganz leichten Akzent – griechisch, erkannte sie. Vielleicht ein Hafenarbeiter, der weit herumgekommen sein musste.

„Möchten Sie, dass ich ihn zurück ins Meer werfe?“, fragte er und zog dabei belustigt eine Augenbraue hoch.

„Würden Sie das tun?“

„Natürlich.“

„Können Sie dafür sorgen, dass er nicht zurückkommt?“

„Ganz sicher“, versprach er und blickte dabei auf ihre Hand, die sie auf seinen Arm gelegt hatte.

Was fällt mir nur ein?

Rasch zog Kimmie die Hand zurück. Dann beobachtete sie, wie er den Ring so weit ins Meer schleuderte, dass er sicher nie zurückkommen würde. Ihr Blick wanderte zu den eindrucksvoll breiten Schultern des Fremden. Dieser Meeresgott sah von hinten genauso gut aus wie von vorn!

„Offensichtlich ist Ihr heutiger Tag nicht ganz nach Plan verlaufen“, bemerkte er, als er sich wieder zu ihr umdrehte.

Peinlich berührt, weil er sie vielleicht beim Starren erwischt hatte, zuckte sie zusammen. „Das könnte man so sagen“, versetzte sie knapp.

„Jeder erwischt einmal einen schlechten Tag“, erwiderte er und zuckte dabei mit den beeindruckenden Schultern.

„Dieser war schon außergewöhnlich schlecht.“

„Und dennoch ist er Anlass für eine Party?“

„Es ist eher eine Art Leichenschmaus“, erklärte sie mit Blick auf ihre Freunde, die nun wieder im Sand tanzten. Sie schienen Spaß zu haben, wofür sie dankbar war.

„Ein Leichenschmaus?“, bohrte der Titan nach.

„Ich will keine weiteren Fragen beantworten“, entgegnete sie in aller Klarheit. Es reichte ihr, an diesem Morgen in Janeys Zimmer geplatzt zu sein. Mit allen Konsequenzen.

„In Ordnung. Es war mir eine Freude, behilflich sein zu können“, erwiderte der Titan.

Während sie seinen Anblick in sich aufsaugte, fragte sie sich, wie sie an diesen Punkt hatte kommen können. Nach der Schule hatte sie ein Stipendium für die Kunsthochschule erhalten und dort Mikes Schwester kennengelernt. In den Ferien nahm Jocelyn sie häufig mit zu ihrer Familie, und so begegnete sie Mike. Es war wohl kein Wunder, dass der charmante, weltmännische Mike sich über kurz oder lang mit Kimmie gelangweilt und sich anderweitig umgesehen hatte. Sie wünschte nur, er hätte es getan, bevor er sie gebeten hatte, seine Frau zu werden.

Trotzig schob Kimmie das Kinn vor. „Kann ich Ihnen als Dankeschön einen Drink anbieten?“ Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, dass ihre Freunde gerade das Picknick ausbreiteten, das sie mitgebracht hatten. Kyria Demetriou, ihre Vermieterin, hatte den schönsten Hochzeitsbrunch zusammengestellt, den man sich vorstellen konnte. Kimmie war fest entschlossen, ihn nicht zu verschwenden.

„Ich weiß Ihre Einladung zu schätzen“, entgegnete der Mann, „aber ich kann sie leider nicht annehmen, weil Sie und Ihre Freunde gehen müssen.“

„Wie bitte?“ Verständnislos sah sie ihn an.

„Das hier ist ein Privatstrand“, erklärte er, „und Sie haben keine Erlaubnis, sich hier aufzuhalten.“

„Aber Sie schon?“, versetzte sie herausfordernd. Es mochte ja ein wahrer Höllentag gewesen sein, doch sie war nicht bereit, klein beizugeben. Ihre Gäste hatten einen weiten Weg zurückgelegt, um eine Hochzeit zu feiern, die in letzter Sekunde geplatzt war. Das Mindeste, was sie tun konnte, war, ihnen eine Party am Strand zu ermöglichen.

„Hören Sie“, begann Kimmie, als sie sah, dass der Mann keine Miene verzog, „wir richten ganz sicher keinen Schaden an und räumen alles wieder auf, wenn wir gehen.“

„Lesen Sie das Schild dort“, entgegnete er barsch.

Sie folgte seinem ausgestreckten Arm und entdeckte ein großes rotes Schild, das es der Öffentlichkeit verbot, diesen Abschnitt des Strands zu betreten.

„Tut mir leid. Das Schild habe ich nicht gesehen“, gab sie zu. „Sind Sie eine Art Ranger?“ Ihr Herz schlug heftig, während sie ihn erneut von oben bis unten musterte.

„Sagen wir einfach, dass ich eine interessierte Partei bin.“

„Dann können Sie mir doch sicher eine Art Vollmacht zeigen?“ Schon in dem Moment, in dem sie es sagte, dämmerte ihr, wie idiotisch das war. An diesem Tag war sie einfach nicht sie selbst.

Der Mann schien das Ganze amüsant zu finden. Bedeutungsvoll blickte er an seinem halbnackten Körper hinunter. „Ich fürchte, im Augenblick habe ich nichts dabei.“

Kimmie war jedoch nicht in der Stimmung, den Schwanz einzuziehen. „Ohne eine solche Vollmacht gehen wir nirgendwohin.“

Die Spannung zwischen ihnen verschärfte sich. „Packen Sie Ihre Sachen zusammen und verschwinden Sie.“

„Ist das die Art Willkommen, die ich mit der Insel Kaimos verbinden soll?“

„Ich bin sicher, es gibt genug anderes, woran Sie sich erinnern werden“, schoss er zurück.

„Wie nett von Ihnen, mich darauf aufmerksam zu machen.“

Seine Miene blieb unverändert.

Kimmie seufzte. „Kann ich gar nichts sagen, das Sie umstimmen wird?“

Der Mann schwieg.

„Gehören Sie zu der Crew dieser Megajacht da draußen?“, versuchte sie eine andere Taktik. „Sind Sie von dort hier rübergeschwommen?“ Angesichts seiner unnachgiebigen Haltung fiel es ihr schwer, höflich zu bleiben. „Von diesem schwimmenden Bürokasten?“ Das riesige Gefährt war am frühen Morgen in der Bucht aufgetaucht.

„Crew?“, wiederholte er stirnrunzelnd. „Schwimmender Bürokasten?“

„Das Boot da draußen“, verdeutlichte sie.

„Ich gehöre zu keiner Crew, und die Jacht, von der Sie da reden, ist die Spirit of Kaimos“, schoss er zurück.

„Nun, tut mir leid, ich habe nie davon gehört. Und Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Woher kommen Sie?“

„Warum ist das so wichtig?“

„Ist es nicht. Ich bin nur neugierig.“

„Genauso wie ich“, versetzte er.

Mit seinem Blick zog er sie förmlich aus. Während ihr eigensinniger Körper seine Aufmerksamkeit genoss, protestierte ihr Verstand. Das ist nicht richtig … Ich brauche Zeit zum Erholen … Warum stehe ich hier und tausche Beleidigungen mit einem sexy Fremden aus?

Als Kimmie zum Meeresufer gegangen war, hatte sie nur all das schlechte Karma loswerden wollen. Stattdessen geriet sie nun immer stärker in einen Konflikt mit einem Mann, der glaubte, er könnte ihr und ihren Freunden den Strand verbieten. Allmählich erreichte ihre Wut den Siedepunkt.

„Überzeugen Sie mich, dann lasse ich Sie vielleicht bleiben.“

Kimmies Augen sprühten Feuer, doch sie musste an ihre Freunde denken. Deshalb zügelte sie ihren Zorn und ließ noch einmal Revue passieren, was an diesem Tag schiefgelaufen war. Ihr hätte klar sein müssen, dass Mike erst in dem Moment ein romantisches Interesse an ihr entwickelt hatte, als sie direkt nach der Uni völlig unerwartet eine überaus erfolgreiche Ausstellung abgehalten hatte. Da hatte Mike ihr erklärt, dass er es nicht abwarten könnte, alles mit ihr zu teilen. Jetzt war klar, dass er damit nur den finanziellen Gewinn gemeint hatte, den sie mit dem Verkauf ihrer Bilder machte. Und jetzt stellte dieser Mann hier, den sie gar nicht kannte, ebenfalls Forderungen an sie?

„Ich bin nicht hier, um Ihre Probleme zu lösen“, erklärte er barsch und unterstrich damit den Eindruck, kalt und wenig einfühlsam zu sein. „Oder ein Blitzableiter für Ihren Zorn“, fügte er im selben feindseligen Ton hinzu.

Kimmie starrte ihm direkt in die Augen. Er mochte es vielleicht gewohnt sein, Leute einzuschüchtern, aber bei ihr würde ihm das nicht gelingen. „Ohne den Beweis, dass Sie das Recht besitzen, uns von hier zu vertreiben, wüsste ich nicht, warum wir Ihnen gehorchen sollten.“

„Ich bitte Sie höflich, zu gehen“, betonte er.

„Und ich sage Ihnen genauso höflich, dass wir keinen Schaden anrichten und den Strand genauso hinterlassen werden, wie wir ihn vorgefunden haben.“

Die unbekannte Schönheit war völlig im Unrecht, aber sie beeindruckte ihn. Sie war fest entschlossen, ihm zu trotzen, obwohl sie einen höllischen Tag hinter sich haben musste und sich vermutlich am liebsten in eine dunkle Ecke verkrochen hätte. Kris hielt sie für eine intelligente Frau. Nicht der Typ, der sich in eine überhastete Ehe stürzte. Deshalb war er neugierig. Außerdem musste er ihr anrechnen, dass sie an ihre Freunde dachte und alles in ihrer Macht Stehende tat, damit es ihnen gut ging. Inklusive ihn in Schach zu halten, was an sich schon keine leichte Aufgabe war.

Im Grunde befand er sich in einer Zwickmühle: Er sagte ihr, dass sie verschwinden solle, obwohl er sich wünschte, dass sie blieb. Vielleicht wäre es das Beste, sich ein Weilchen zurückzuhalten.

„Kris“, sagte er und streckte seine Hand aus.

Doch sie ignorierte die Geste und starrte ihn misstrauisch an. „Heißt das, dass Sie sich zu uns gesellen?“

„Das habe ich nicht gesagt.“ Er bemerkte, wie sich ihre Wangen röteten und ihre Augen verdunkelten, als er ihre Hand ergriff. Der Drang, sie an sich zu ziehen und zu küssen, war überwältigend, aber Kris hatte seine Gefühle stets im Griff.

Sie bewies eine ähnliche Selbstkontrolle, indem sie ihm ihre Hand entzog und einen Schritt zurücktrat. „Kimmie – Kimmie Lancaster. Kimmie ist keine Abkürzung. Einfach nur Kimmie.“

Einfach nur? Das passte nicht zu dieser Frau! „Also gut, Einfach-nur-Kimmie … Sie verbrennen ein Brautkleid, werfen den Ring weg und feiern eine Party.“

„Einen Leichenschmaus“, korrigierte sie ihn. „Wir können das Essen nicht einfach verkommen lassen. Kyria Demetriou vom Oia Mare, wo wir übernachten, hat sich so viel Mühe gegeben.“

„Das glaube ich gern. Sie ist eine Freundin von mir.“

„Kyria Demetriou?“

„Ja.“

Kyria Demetriou war allgemein bekannt für ihre gute Menschenkenntnis. Er konnte Kimmie förmlich ansehen, was sie dachte: Dann kann er so schlimm nicht sein.

„Das Oia Mare ist sehr hübsch, aber auch ziemlich teuer …?“, bemerkte er.

„Ich wollte meinen Freunden etwas Gutes tun …“

Sie wollten Ihren Freunden etwas Gutes tun?“

„Ja, was stimmt daran nicht?“, fauchte sie.

„Es muss Sie einiges gekostet haben.“

Sie antwortete nicht.

„Waren Sie lange verlobt?“, versuchte er es mit einer anderen Frage.

Kris erkannte, wie sie mit sich haderte, ob sie ein weiteres Wort sagen sollte, doch schließlich brach ihr Panzer auf. „Ich verrate es Ihnen, aber Sie werden lachen.“

„Lassen wir es darauf ankommen“, versetzte er.

„Also schön. Ich bin Malerin, habe gerade die Londoner Kunsthochschule abgeschlossen. Meine erste Ausstellung habe ich direkt nach dem Abschluss abgehalten. Niemand, ich am allerwenigsten, hätte damit gerechnet, was für ein Erfolg sie sein würde. Mein Exverlobter ist ein Mann, den ich mein halbes Leben lang kenne. Er ist der ältere Bruder meiner besten Freundin. Wie auch immer“, meinte sie, so als wolle sie unangenehme Erinnerungen abschütteln, „er kam am letzten Abend in die Galerie, als es nichts mehr zu kaufen gab. Ich schätze, wir waren beide erstaunt … euphorisiert von dem, was geschehen war. Und in diesem Moment hat er mir einen Antrag gemacht.“

„Und den haben Sie an Ort und Stelle angenommen?“

„Ja. Ich weiß, es klingt idiotisch“, seufzte sie, „aber manchmal drängt das Leben dich auf einen Pfad, den du nicht erwartest, weil die Vergangenheit dich so fest im Griff hat.“

„War es so in Ihrem Fall?“

Lange schaute sie ihn an, dann erklärte sie: „Das wars. Mehr sage ich nicht.“

Innerlich seufzte Kimmie. Warum musste man im Leben immer so viele Entscheidungen treffen? Und warum konnte man eine katastrophale Entscheidung nicht einfach rückgängig machen?

„Ihr Verlobter hat Sie also betrogen?“, tippte Kris.

„Was für eine messerscharfe Schlussfolgerung.“

„Eine Braut ohne Bräutigam“, murmelte er unbeeindruckt von ihrem Sarkasmus. „Wie betrüblich.“

„Andere würden sagen, ich hätte noch mal Glück gehabt.“

„Haben Sie?“

„Ich nenne es eine Lektion fürs Leben“, erwiderte sie.

„Wird es sie bitter machen?“

„Nein“, entgegnete Kimmie, ohne zu zögern. „Es wird mich vorsichtig machen. Fest entschlossen, denselben Fehler nicht noch mal zu begehen.“

„Leicht gesagt, aber gar nicht so leicht umgesetzt“, meinte Kris.

„Sie kennen mich nicht.“

„Das klingt wie eine Herausforderung“, bemerkte er gedehnt.

Urplötzlich kam ihm eine Idee. Eine Idee, über die er noch sehr viel genauer nachdenken musste, ehe er sie verfolgte. Aber nachdem er erst vor Kurzem eine ernste Diskussion mit seinem Onkel geführt hatte, gab ihm diese unerwartete Begegnung das Gefühl, das Schicksal hätte seine Hände im Spiel.

„Nun, wenn Sie sich nicht zu uns gesellen, dann laufen wir uns wahrscheinlich die Tage irgendwann irgendwo über den Weg“, erklärte sie demonstrativ.

„Es ist schwer, sich auf so einer kleinen Insel aus dem Weg zu gehen.“

„Ich gebe mein Bestes, es trotzdem zu tun.“

„Und werden Sie gleich damit anfangen?“, fragte er und blickte bedeutungsvoll zu ihren Freunden hinüber.

Sie seufzte. „Nicht das schon wieder. Ich verspreche, dass wir extrem vorsichtig sind. Ich sorge persönlich dafür, dass jedes Sandkorn an seinen angestammten Platz zurückkehrt.“

Er lachte leise. Sie hatte gewonnen. Ob es daran lag, dass sie so außergewöhnlich war oder dass sie ihm die Stirn geboten hatte, wusste er nicht. Und es war ihm auch egal. „Das sollten Sie auch“, warnte er. „Andernfalls werden Sie sich persönlich vor mir verantworten müssen.“

Ihr Erröten zeigte, dass ihr diese spezielle Drohung nicht völlig unangenehm war. Ob sie sich auch so stark zu ihm hingezogen fühlte wie er zu ihr?

Kimmie war attraktiver und mutiger als jede Frau, der er vorher begegnet war. Und Kris liebte Herausforderungen! Doch wenn er sie näher kennenlernen wollte, sollte er besser gleich damit beginnen.

„Warum stellen Sie mich nicht Ihren Freunden vor?“

2. KAPITEL

Auf was ließ sie sich da nur ein? Kimmie wusste selbst nicht so genau, warum sie Kris ihren Freunden vorstellte. Ein Kris, der plötzlich gar nicht mehr so autoritär rüberkam. In Gegenwart der anderen verhielt er sich richtig charmant. Was war plötzlich los? Hegte er irgendwelche Hintergedanken?

„Er ist wirklich nett“, bemerkte einer ihrer Freunde leise.

Kimmie seufzte. „Vielleicht hätte ich ihn euch anders vorstellen sollen als mit einem: ‚Schaut nur, was ich am Strand gefunden habe!‘ Aber ich halte das noch immer für einen ziemlich passenden Spruch, wenn das Strandgut so aussieht wie Kris …“

Dann furchte sie die Stirn. Sie hatte es mit einer extrem konventionellen Beziehung versucht und es war gründlich schiefgegangen. Vielleicht sollte sie sich zur Abwechslung mal auf ein Abenteuer einlassen …

Nach ungefähr einer halben Stunde wollte Kris die Strandparty wieder verlassen. „Heißt das, wir müssen jetzt auch verschwinden?“, fragte Kimmie besorgt. Die Sache mit dem Privatstrand beunruhigte sie doch etwas. Außerdem war ihr aufgefallen, dass ihre Freunde sich in Kris’ Gegenwart deutlich entspannt hatten. Durch ihn wurden sie von Kimmies Kummer abgelenkt, wofür sie dankbar war – endlich konnten ihre Gäste Spaß haben, ohne sich um ihretwillen dazu zwingen zu müssen.

„Ihre Freunde müssen nicht gehen“, erwiderte er, „aber Sie.“

„Ich? O nein, ich gehe nirgendwohin. Ich bleibe hier.“

„Dann müssen Sie alle gehen“, entschied Kris sofort.

Er sagte es im leichten Plauderton, doch der Ausdruck seiner Augen vermittelte etwas ganz Anderes. „Nun kommen Sie schon“, meinte er schließlich lächelnd. „Oder wollen Sie etwa nicht mit mir kommen?“

Eine Menge sündiger Gedanken kamen ihr in den Sinn, die sie jedoch sofort alle wieder verdrängte. Bei Mike hatte sie angenommen, auf der sicheren Seite zu sein, und wohin hatte das geführt? Kris tat nicht mal so, als wäre er eine sichere Wahl. Mit seinem muskulösen Körper, den Tätowierungen und dem kleinen goldenen Ohrring stellte er die personifizierte Gefahr dar.

„Ich dachte mir, es würde Ihnen gefallen, sich noch ein wenig zu unterhalten“, versuchte er sie zu ködern.

Kimmie kaute auf ihrer Unterlippe herum. Es sah ihr gar nicht ähnlich, so unentschlossen zu sein, aber normalerweise ging sie auch keine übergroßen Risiken ein.

„Wissen Sie was? Wir gehen nicht weit, und dann unterhalten wir uns“, schlug er vor.

Also schön, reden tat ja nicht weh, dachte sie, während sie sich in Bewegung setzten. „Wohin gehen wir?“

Rasch blickte sie sich noch mal nach ihren Freunden um. Sie hatten ihren Abgang bemerkt und Kris ziemlich genau unter die Lupe genommen, der seinerseits nicht mal versucht hatte, irgendetwas zu verbergen. Insofern hatte Kimmie das Gefühl, die Situation im Griff zu haben. Beruhigt nahm sie die Düne in Angriff.

„Am besten machen Sie es wie Scheherazade“, bemerkte Kris mit einem Lächeln. „Indem Sie mich unterhalten, erkaufen Sie Ihren Freunden mehr Zeit am Strand.“

„So lange wir nur reden …“, entgegnete sie misstrauisch.

„Natürlich – was denn sonst?“

„Gott, Sie sind wirklich unmöglich“, wisperte sie leise, was sein freches Grinsen noch verstärkte. Warum war sie dann immer noch hier? Weil er auf attraktive Weise unmöglich war, entschied Kimmie, ergriff seine ausgestreckte Hand und ließ sich von ihm die letzten Meter über die Sanddüne helfen.

Kimmies Widerspenstigkeit gefiel ihm. Kris hatte es noch nie gemocht, wenn eine Frau sich herumschubsen ließ. Als sie oben auf der Sanddüne ankamen, war sie leicht außer Atem, weshalb er kurz wartete, ehe er den Abstieg auf der anderen Seite in Angriff nahm. Bevor sie außer Sichtweite verschwanden, warf sie noch einen letzten Blick zu ihren Freunden hinüber, wie um sich zu versichern, dass sie nicht weit weg waren.

„Die meisten Menschen würden erwarten, dass eine sitzen gelassene Braut sich zu Hause die Augen ausheult“, bemerkte er beim Hinuntergehen.

„Ich bin aber nicht zu Hause“, entgegnete sie. „Außerdem muss ich mich um meine Gäste kümmern.“

„Das haben Sie erfolgreich erledigt, also hören Sie auf, sich unter Druck zu setzen.“

„Wer sagt denn, dass ich das tue?“

„Ich.“ Mit einem Schulterzucken führte er sie zu einer natürlichen Sandkuhle. „Dieser Platz ist gut“, befand er. „Hier können Sie Ihr Herz ausschütten.“

„Aber wir reden nur“, warnte sie ein weiteres Mal.

„Sonst steht nichts auf dem Programm“, versicherte er.

Wer bist du, Kimmie? Die Frage ging ihm nicht aus dem Kopf. Und wo hast du gelernt, dich so zu behaupten? Das Einhorn, das auf ihrer Schulter eintätowiert war, stützte die Geschichte, dass sie Künstlerin war – eine kreative Träumerin und damit eigentlich gar nicht sein Typ. Er bevorzugte realistische Frauen, die wussten, wie der Hase lief.

„Wenn Sie das Schild da vorne gelesen haben, dann wissen Sie, dass das hier ein Naturschutzgebiet ist, zu dem der Zutritt vom Besitzer erlaubt werden muss“, sagte sie, nachdem beide im Sand Platz genommen hatten. „Was machen wir also hier?“

„Ich besitze die Erlaubnis, auch wenn ich sie im Moment unglücklicherweise nicht bei mir habe.“

„Das sehe ich“, erwiderte sie leicht errötend und sichtlich darum bemüht, seinen halbnackten Körper nicht anzuschauen. „Es scheint mir nur einfach nicht fair, dass Sie hierherkommen dürfen und wir nicht.“

„Wechseln Sie das Thema“, forderte er sie auf.

„Warum?“

„Diese Sache langweilt mich.“

„Oh, das tut mir natürlich schrecklich leid …“ Sie keuchte auf, als er ihr Handgelenk umfasste. „Was machen Sie da?“

Kris schaute Kimmie in die Augen und brachte sein Gesicht ganz nah an ihres. Bestimmt glaubte sie, er würde sie jetzt gleich küssen …

Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu dem Gespräch mit seinem Onkel zurück, in dem dieser ihn aufgefordert hatte, möglichst bald eine Frau zu finden. „Ich möchte meine Nachfolge regeln“, hatte Theo Kaimos zu ihm gesagt, bevor Kris Athen verlassen hatte. „Es ist an der Zeit, dass du aufhörst ziellos herumzuflirten und dir eine anständige Frau suchst.“ Kris wollte den Mann, der ihn wie einen Sohn großgezogen hatte, nicht enttäuschen, aber er hatte ihn darauf hingewiesen, dass die Sorte Frau, die sein Onkel im Sinn hatte, nicht einfach vom Himmel fiel.

Aber vielleicht wurde sie an den Strand gespült …

Kris hatte sie nicht geküsst. Jetzt kam sich Kimmie wie eine Idiotin vor, weil sie ganz sicher gewesen war, dass er es tun würde. Schlimmer noch, sie hätte es geschehen lassen. Sie fühlte sich auf eine Weise zu Kris hingezogen, die sie noch nie erlebt hatte. Da half nicht mal die Tatsache, dass sie ihr ganzes Erwachsenenleben lang vor allzu intimen Beziehungen zurückgescheut hatte und jetzt sicher nicht schlagartig all ihre Ängste über Bord werfen würde.

„Haben Sie Angst vor Sex? War Ihr Verlobter Ihnen deshalb untreu?“

„Was?“ Völlig überrumpelt zuckte sie zurück. „Sie reden nicht lange um den heißen Brei herum, was?“

Kris zuckte die Achseln. „Es ist eine einfache Frage.“

„Die Sie absolut nichts angeht!“, schoss sie zurück.

Mit einem Kopfnicken deutete er an, dass er das akzeptierte, doch sein Blick ließ nicht locker.

„Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich zurückgehe“, erklärte sie.

„Wie Sie wollen. Sie könnten mir aber auch mehr erzählen. Das liegt ganz bei Ihnen. Ich bin nicht in Eile“, versicherte er.

„Was wollen Sie denn hören?“

„Sie könnten bei Ihrer frühen Kindheit anfangen.“

„Was sind Sie? Ein Seelenklempner?“

„Nein, aber ich weiß, welche Knöpfe man drücken muss. Also erzählen Sie mir davon oder lassen Sie es bleiben. Es ist Ihre Entscheidung.“

Kimmie schwieg lange, so als müsse sie darüber nachdenken. Schließlich fragte sie: „Kann ich Ihnen denn vertrauen?“

Kris zuckte erneut die Achseln. „Das wird die Zeit zeigen. Aber was haben Sie im Moment zu verlieren?“

„Nicht viel“, stimmte sie mit einem humorlosen Lachen zu.

„Dann fangen wir doch an“, erwiderte er. „Kapitel eins. Kimmies Lebensgeschichte …“

„Also gut“, murmelte sie.

„Es kann sehr therapeutisch sein, sich mal alles von der Seele zu reden“, versicherte Kris ernst.

„Was ist Ihre allererste Kindheitserinnerung …?“

„Dass ich auf einen glänzenden Gegenstand an der Wand starre, während mir die Windel gewechselt wird“, scherzte sie, „aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie das hören wollen.“

Er lachte. „Versuchen wir etwas anderes.“

„Also gut …“ Plötzlich wurde Kimmie sehr ernst. „Ich … Ich bin in einem dunklen Raum, krabbele über den Boden …“

„Ihr Kinderzimmer?“, hakte er nach.

„Nein, ich glaube nicht.“ Während sie ihr Gedächtnis durchforstete, zog sie eine Grimasse. „Es riecht nicht gut, und der Boden ist übersät von leeren Flaschen. Die Luft fühlt sich stickig an. Ich weiß noch, dass ich eine Zigarettenkippe aufgehoben habe, auch wenn ich damals noch nicht wusste, was das war. An der Kippe klebten Lippenstiftspuren, was mich an meine Mutter erinnerte. Ich habe den Zigarettenstummel wieder auf den Boden geworfen, weil er so fies roch. Ich war hungrig … wollte etwas zu essen haben, und mir war kalt …“

„Okay.“ Schockiert unterbrach er sie. „Warum belassen wir es nicht dabei? Es war nicht meine Absicht, dass Sie eine Zeit durchleben müssen, in der Sie verängstigt und allein waren. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie so gedrängt habe. Sie müssen mich für sehr unsensibel halten.“

„Nein, ich denke, dass Sie neugierig sind“, erwiderte sie.

„Das ist nicht witzig.“

Kimmie lächelte wehmütig. „Was Sie nicht sagen. Wobei es ja auch sein könnte, dass ich die Geschichte nur erfunden habe, um der kleinen Strandparty mehr Zeit zu erkaufen …?“

„Das glaube ich keine Sekunde“, entgegnete Kris wie aus der Pistole geschossen und stand auf. „Kommen Sie … wir gehen.“

„Habe ich etwas falsch gemacht?“

„Nein, absolut nicht“, erwiderte er nachdrücklich. „Sie haben nichts falsch gemacht.“

Kris hatte noch nie eine Situation erlebt, in der seine Skrupel stärker waren als der natürliche Instinkt, eine überaus attraktive Frau zu verführen, aber Kimmies Schilderung machte sehr deutlich, dass sie eine alles andere als ideale Kindheit gehabt hatte. Er wollte ihr keinen unnötigen Schmerz zufügen.

„Und? Wie war ich?“, fragte sie, während sie sich ebenfalls hochrappelte. „War das erste Kapitel gut genug, um die Party noch ein wenig länger zu tolerieren?“

„Sie sind ziemlich gut“, gab er zu, verspürte dabei allerdings Wut und Schmerz um ihretwillen.

„Dann sind Sie bereit für das nächste Kapitel?“

„Ganz ehrlich? Im Moment nicht.“

„Ich habe Sie gelangweilt“, seufzte sie sofort.

„Ganz im Gegenteil.“ Zu Beginn ihrer Begegnung hatte sie so kämpferisch gewirkt, doch jetzt erschien sie ihm extrem verletzlich. Sanft nahm er ihr Gesicht in die Hände und schaute ihr in die Augen. „Sie sind eine echte Überlebenskünstlerin, Kimmie Lancaster.“

„Und Ihnen mehr als gewachsen“, unterstrich sie vehement.

„Daran zweifle ich nicht“, sagte er, ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Es war offensichtlich, dass sie ein Freigeist war. Vermutlich würde kein Mann sie je zähmen können. Dass sie an diesem Tag so verletzt worden war, musste sie noch mehr in ihrer Entschlossenheit bestärkt haben, sich niemals fesseln zu lassen. Es bestand nicht mal der Hauch einer Chance, dass sie ihn heiratete, nur weil das seinem Onkel gefallen würde. Den lang ersehnten Erben zu zeugen, würde viel schwieriger werden, als Onkel Theo glaubte – zumindest, wenn er sich tatsächlich für Kimmie entschied.

Offensichtlich hatte sie jeglichen Wunsch in ihm, sie zu verführen, im Keim erstickt – was nur gut war, entschied Kimmie. Alles, was sie in der Hitze des Augenblicks tat, während ihre Emotionen noch roh und verletzt waren, würde sie hinterher nur bereuen.

Daher war sie völlig überrascht, als Kris sie urplötzlich in die Arme zog. Der Kuss kam, als sie am wenigsten damit gerechnet hätte, und war ganz anders als erwartet. Da war kein Druck, keine Gewalt, nichts Überfallartiges. Er senkte einfach den Kopf und verführte sie mit seinen Lippen. Berauschte sie mit seiner Zärtlichkeit. Als er sich zurückzog, kribbelten ihre Lippen, und sie wollte definitiv mehr. Als hätte er das gespürt, fuhr Kris mit den Fingern durch ihr Haar und senkte den Kopf erneut. Das Gefühl war sensationell. O ja, dieser Mann konnte definitiv küssen!

Kimmie merkte schnell, dass dieses Können genau das war, wonach sie sich bei einem Liebhaber immer gesehnt hatte. Nur hatte sie die Hoffnung bereits aufgegeben, so einen Mann jemals zu finden. Mike hatte sich selbst immer an die erste Stelle gesetzt. Kimmies angeborene Furcht vor Intimität hatte ihn ungeduldig gemacht, und nur sehr widerwillig hatte er ihrer Bitte nachgegeben, erst in der Hochzeitsnacht miteinander zu schlafen. Schon damals hätte sie wissen müssen, dass sie auf ein Desaster zusteuerte.

„Du zitterst“, bemerkte Kris. „Stimmt etwas nicht? Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich kein Verlangen spüre, wenn ich dich in den Armen halte. Hast du Bedenken?“

„Nein, gar keine.“ Sie war stark. Sie hatte Kris vorhin mehr von ihrer frühesten Kindheit erzählt, als sie es jemals bei Mike getan hatte. Vielleicht war es naiv gewesen, zu glauben, dass er ein guter Partner sein würde, der das Geschäftliche ihrer Arbeit regelte, während sie selbst malte. Kindische Träumereien. Aber das hier war anders. Ihre eigene Stärke traf auf einen ebenso durchsetzungsstarken Mann, was wahnsinnig belebend war. Und Kimmie hatte es dringend nötig, sich mit neuer Energie aufzuladen!

Allerdings bedeutete das nicht, dass sie den Sinn für die Realität verlieren durfte. Sie wusste gar nichts über Kris – woher er kam oder ob er eine Familie hatte.

„Du bist doch nicht verheiratet, oder?“, platzte sie heraus.

„Nein, nicht mal ansatzweise gebunden“, beruhigte er sie.

Sehr zum Bedauern von Onkel Theo, dachte Kris sofort.

Und obwohl er Kimmie wahnsinnig begehrte, hatte er nicht vor, sein Singleleben so schnell aufzugeben!

Als sie sich küssten, hatte Kris ihren rasenden Herzschlag gefühlt, ihren Hunger, aber auch ihre Angst …

Ihm fiel ein, dass sie seine Frage, ob sie sich vor Sex fürchtete, nicht beantwortet hatte. Trotz ihrer leidenschaftlichen Reaktion auf seine Küsse spürte er ein Zögern tief in ihr, was ihn nur umso mehr darin bestärkte, sie nicht zu überfordern.

Und sich selbst ebenso wenig! Denn noch nie hatte er etwas Vergleichbares erlebt. Der Drang, Kimmie ganz für sich zu haben, fraß ihn förmlich auf. Wie konnte das so schnell passieren? Er kannte sie doch gar nicht. Sie war eine Frau am Strand, die ihm eine verstörende Kindheitserinnerung erzählt hatte. Es könnte alles gelogen sein, um sein Mitgefühl zu erlangen – damit wäre sie nicht die Erste.

„Kris?“, murmelte sie, während sie das Tuch um ihren Bikini ein wenig fester zog. „Wenn du zurückgehen möchtest, dann ist das für mich in Ordnung.“ Sie zuckte die Achseln. „Die Party wird sich sowieso bald auflösen.“

Ihre Stimme klang sanft und melodiös. Anscheinend war sie es gewohnt, verletzt zu werden, was ihn tief berührte. Sie drehte ihr Gesicht in die Sonne und schloss lächelnd die Augen, so als könnte sie auf diese Weise die harsche Realität dieses Tages ausblenden.

Kris konnte nicht anders, er musste das Lächeln auf ihren Lippen einfangen. Ein Kuss führte zum nächsten, bis sie sich so heftig, so leidenschaftlich küssten, dass er sich zurückziehen musste. „Ich bringe dich zurück“, keuchte er.

„Habe ich etwas falsch gemacht?“

Überraschung, Schmerz und Unverständnis zeichneten sich in rascher Folge auf ihrem Gesicht ab. Daran konnte er nichts ändern. Er war weder Kimmies Therapeut noch ihr Aufpasser. Sie waren offenbar beide von einer schwierigen Vergangenheit geprägt, die ihn extrem unabhängig und sie zu einer Kämpferin gemacht hatte.

„Bringst du mich zurück zur Party?“, fragte sie unsicher, als er sich vom Strand wegbewegte.

„Nein, ich bringe dich nach Hause.“

„Meinst du dein Zuhause?“

„Nein, ich bringe dich zurück zur Pension.“

Dieses zurückhaltende Vorgehen war völlig neu für ihn. Wenn Kris etwas entdeckte, das er haben wollte, dann tat er normalerweise alles dafür, um es zu bekommen. Aber Kimmie erforderte eine andere Herangehensweise. Es würde keinesfalls leicht sein, die Zurückhaltung an den Tag zu legen, die sie brauchte, doch wann hatte er je den leichten Weg gewählt?

Noch nie hatte Kimmie sich so elend gefühlt. Gleich zweimal an ein- und demselben Tag zurückgewiesen zu werden, war einfach zu viel. War sie so unattraktiv? Hatte sie Kris gelangweilt, so wie sie Mike offensichtlich gelangweilt hatte? Waren ihm ihre Küsse unangenehm gewesen?

Den Eindruck hatte er eigentlich nicht gemacht, also lag es vielleicht daran, dass sie ihm zu viel Persönliches erzählt hatte. Es war ihr erstaunlich leichtgefallen, sich ihm zu öffnen. Würde er später mit seinen Freunden darüber lachen?

„Wir laufen die Klippen hoch“, sagte Kris mit Blick auf den rauen Fels, der den Strand überragte, „und dann fahre ich dich zurück.“

„Du hast da oben ein Auto?“, fragte sie verwundert.

„Und ein Haus.“

Plötzlich wurde ihr heiß und kalt. „Das ist also dein Strand.“

Kris antwortete nicht. „Wollen wir den Aufstieg in Angriff nehmen? Oder soll ich dich zurück zu deinen Freunden bringen? Was auch immer dir lieber ist.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

„Nein“, gab er zu. „Aber du hast auch meine nicht beantwortet.“

Was zur Hölle passierte hier? Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Wer war dieser Mann? Ihr Misstrauen wuchs. Wollte sie zurück zu ihren Freunden gehen oder lieber ungestört und allein ihre Gedanken sortieren? „Ich werde meinen Freunden sagen, was ich vorhabe“, entschied sie schließlich.

„Eine weise Vorsichtsmaßnahme“, befand Kris. „Dann gehen wir am besten hier entlang.“

Warum ließ sie den Dingen nicht einfach ihren Lauf? Sie war doch ohnehin noch nicht bereit, Kris loszulassen. Er war das Beste, was ihr an diesem verfluchten Tag passiert war. Wollte sie also mehr über ihn herausfinden? Oder wollte sie sich ihr ganzes Leben lang fragen, was noch alles hätte passieren können?

„Ehe wir losgehen, möchte ich, dass du mir eine Frage beantwortest“, sagte sie. „Du gehörst zu keiner Schiffscrew und bist auch kein Fischer, oder?“ Als er sie nur ausdruckslos anschaute, fiel es ihr wie Schuppen aus den Augen. „Du bist der Mann, dem diese Insel gehört! Du bist Kristof Kaimos, CEO von Kaimos Shipping, angeblich der reichste Mann der Welt. Unverheiratet, unnahbar und fest entschlossen, ungebunden zu bleiben – zumindest wenn man der Presse Glauben schenken darf. Und das, obwohl dein Onkel sein Möglichstes versucht, um dich zu verheiraten.“

„Du scheinst eine Menge über mich zu wissen.“

Mit einem Schlag wurde ihr innerlich eiskalt. Kris ist Kristof Kaimos. Unglaublich. Unmöglich. Und doch sehr real.

„Es ist schwer, Berichten über die Superreichen zu entgehen“, gab sie so gelassen wie möglich zurück. „Aber wie auch immer, jetzt fühle ich mich sehr sicher.“

„Was soll das heißen?“, fragte Kris stirnrunzelnd.

„Das heißt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass du mich für die Rolle deiner Gefährtin auswählen würdest.“

Er lachte laut und zeigte dabei sehr ebenmäßige und sehr weiße Zähne. „Du hast so eine romantische Art, dich auszudrücken“, bemerkte er.

„Ich bin sicher, du wirst dir deine zukünftige Ehefrau in ganz anderen Kreisen aussuchen als die, in denen ich verkehre. Und was die Romantikerin angeht? Glaub mir, ich wäre sehr gerne romantisch, aber das Leben hat mich eines Besseren belehrt.“

„Wir machen alle Fehler.“

„Selbst du, Kris Kaimos?“, fragte sie herausfordernd. „Wirst du es morgen früh bereuen, mich kennengelernt zu haben?“

„Ich kann unmöglich wissen, was morgen früh ist.“

„Du bist sehr gut darin, Fragen auszuweichen, nicht wahr?“

„Ich bin Geschäftsmann.“

„Ich glaube, du hast nicht eine meiner Fragen beantwortet“, murmelte Kimmie, „aber das hat vermutlich auch etwas Gutes. Wenn deine Geschäfte den Bach runtergehen sollten, kannst du immer noch Politiker werden.“

„Meine Geschäfte werden nicht den Bach runtergehen.“

„Nein, das glaube ich auch nicht“, stimmte sie zu. „Mit dir an der Spitze werden sie es nicht wagen.“

Ein belustigtes Funkeln trat in seine Augen, doch dann wurde er wieder ernst. „Wäre es dir lieber, ich würde Gefühle vortäuschen, die ich nicht empfinde?“

„Nein, natürlich nicht. Die meisten Leute würden versuchen, ein wenig diplomatischer zu agieren, aber du redest wirklich Klartext.“

„Zeit, eine Entscheidung zu treffen“, erinnerte er sie. „Bleibst du bei deinen Freunden oder kommst du mit mir?“

„Zuerst meine Freunde, dann du“, versetzte sie.

„Okay, dann lass es uns so machen.“

3. KAPITEL

Da Kris im Augenblick keine Möglichkeit hatte, seine Leute auf der Jacht zu kontaktieren, würde sein Securityteam bald unruhig werden. In seinem Haus auf den Klippen müsste er kurz die Crew über seinen Aufenthaltsort informieren. Und danach würde er Kimmie zurück in die Pension bringen.

Geduldig wartete Kris ab, bis Kimmie ihren Freunden am Strand alles erklärt hatte. Dann verabschiedeten sie sich und schlugen gemeinsam den Weg zu den Klippen ein.

„Ich will dich malen“, sagte Kimmie völlig unvermittelt. Es war nicht das erste Mal an diesem Tag, dass sie ihn überraschte.

„Wirklich?“

„Nun, du weißt doch, dass ich Künstlerin bin.“

„Ja, du hast es erwähnt.“

„Auf dem Weg kann ich mir überlegen, wo du mir am besten Modell sitzen kannst. Für erste Skizzen“, fügte sie erklärend hinzu.

„Wie wäre es hier? Während ich auf den Ozean blicke?“

„Vielleicht …“ Sie lächelte leicht.

„Du machst mich neugierig“, gestand Kris. Dabei war das, was er fühlte, viel mehr als Neugier! Noch nie hatte er ein solches Bedürfnis verspürt, eine Frau ganz in seiner Nähe zu haben, damit er sie wirklich kennenlernen konnte.

„Und du machst mich neugierig“, erwiderte sie. „Du wirst ein großartiges Modell abgeben.“

„Mit meinem athletischen Körperbau und meinem attraktiven Gesicht?“

„Nein“, entgegnete sie, runzelte die Stirn und musterte ihn aufmerksam. „Mit diesen Schatten in deinen Augen, die du so gut zu verbergen versuchst. Wenn ich die einfangen könnte …“

„Komm schon“, unterbrach er sie brüsk. Ihre Beobachtung ging ihm viel zu nah …

Kimmie runzelte die Stirn. Kris’ Gesichtsausdruck hatte sich verdüstert. Es war also in Ordnung, wenn er intime Fragen stellte, aber wenn er selbst ein paar beantworten sollte, dann machte er dicht.

„Geh vor“, erwiderte sie leichthin. „Dieses eine Mal werde ich dir folgen.“

Als er ihre Bemerkung mit einem leichten Schnauben zur Kenntnis nahm, dachte sie, dass dies das verrückte Ende eines noch viel verrückteren Tages war, an dem sie keine klaren Antworten auf die Fragen bekommen hatte, die ihr im Kopf herumspukten. Warum verbrachte er Zeit mit ihr? Wieso verschwendete ein Mann wie Kristof Kaimos den Großteil des Tages an eine sitzen gelassene Braut?

Oben auf den Klippen angekommen, stützte sie erst mal die Hände auf die Knie, um wieder zu Atem zu kommen. Als sie sich schließlich aufrichtete, entfuhr ihr ein: „Wow! Was für ein fantastisches Haus!“

„Würdest du es gern malen?“

„Vielleicht“, entgegnete sie mit einem sanften Lächeln.

Sie standen vor einem wunderschönen schmiedeeisernen Tor. Dahinter verbarg sich definitiv ein exklusives Anwesen.

„Macht es einen Unterschied, dass du jetzt weißt, wer ich bin?“, fragte er, während sie auf sein Luxusanwesen blickte wie ein Kind, das den Weihnachtsbaum anstarrt.

„Natürlich macht es das“, versetzte sie.

Misstrauisch blickte er sie an. „Warum?“

„Weil ein Gemälde von Kristof Kaimos auf dem offenen Markt ein Vermögen wert wäre. Die Zeichnung von einem Einheimischen, den ich an einem Strand in Griechenland getroffen habe, wäre eine zauberhafte Erinnerung, die vielleicht irgendwann in einer Ausstellung auftauchen könnte, aber selbst nur ein paar Skizzen des großen Kristof Kaimos … Mein Gott, ich kann dich nicht einfach malen und das Bild danach verkaufen! Damit würde ich dich nur ausnutzen.“

„Das würde dir so viel ausmachen?“

„Glaubst du wirklich, ich hätte keine Skrupel?“

Kris zuckte die Achseln. „Was, wenn ich es dir erlauben würde?“

„Würdest du das tun?“

Sie konnte ihr Glück nicht fassen. Unendlich viele Möglichkeiten taten sich auf. Ein Auftrag von Kristof Kaimos würde ihrer Karriere einen ordentlichen Schub verpassen.

„Im Gespräch mit deinen Freunden hast du etwas von einem Projekt erzählt, das du starten möchtest“, sagte er, während er über den Fingerabdruckscanner das Tor öffnete. „Würde dir das dabei helfen?“

„Und wie“, gab Kimmie zu. Hoffnungsvolle Erregung erfasste sie, während sie ihm erklärte, was sie vorhatte. „Ich träume schon seit Jahren davon, ein Stipendium für junge Künstler ins Leben zu rufen, das ihnen hilft, auf dem Kunstmarkt Fuß zu fassen. Wenn du mir erlaubst, dich zu malen, könnte ich den Erlös aus dem Verkauf des Bildes in dieses Projekt stecken.“ Urplötzlich runzelte sie die Stirn.

„Was ist los?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Es würde sich immer noch so anfühlen, als würde ich dich ausnutzen.“

„Nicht, wenn ich damit einverstanden bin, ausgenutzt zu werden“, wandte er ein, während das Tor langsam aufglitt. „Was ich hiermit laut und deutlich erkläre!“ Dann fügte er hinzu: „Vielleicht kaufe ich das Bild sogar für meinen Onkel. Das würde ihm gefallen.“

„Dein Onkel?“ Kimmies Gedanken überschlugen sich. Was wusste sie über Kris’ Background? „Der dich unbedingt verheiraten will?“

„Das ist nur Klatsch und Tratsch“, schnaubte er. „Nach dir.“ Mit weit ausholender Geste lud er sie ein, vorzugehen.

„Ich wollte dich nicht beleidigen.“

„Das hast du nicht. Es ist nur so, dass ich nur einen Onkel habe, und der ist mir sehr wichtig. Er ist für mich so was wie ein Vater. Er hat mich großgezogen. Man könnte sogar sagen: Er hat mich gerettet.“

Also daher die Schatten. „Was ist mit deinen Eltern passiert?“, fragte Kimmie, die nichts davon hielt, um den heißen Brei zu reden. Es war offensichtlich, dass es da ein Trauma gab, das sie verstehen musste, wenn sie seine Persönlichkeit in dem Gemälde wirklich einfangen wollte.

Aber war das Gemälde wirklich der einzige Grund, warum sie mehr über Kris erfahren wollte?

„Wenn du es mir nicht erzählen willst …“

„Nein, nein“, unterbrach er sie knapp, vielleicht in der Hoffnung, sie damit zum Schweigen zu bringen. „Meine Eltern waren richtige Partylöwen, und eines Tages feierten sie so ausgiebig, dass sie einfach ihr Kind vergaßen. Mein Onkel hat mich in den Straßen von Athen aufgelesen, wo ich orientierungslos herumlief. Seitdem gibt es nur noch Theo und mich.“

Darauf gab es nicht viel zu sagen. Es war so viel schlimmer, als sie erwartet hatte. Kein Wunder, dass Kris sich verbarrikadierte. Jetzt verstand sie auch, warum es ihm so wichtig war, seinem Onkel seine Dankbarkeit zu zeigen. Vermutlich würde er das sein ganzes Leben lang tun. Nur zu gut konnte sie Kris verstehen, denn wie er hatte auch sie früh beschlossen, nie wieder ein Opfer zu sein.

Als sie sich dem Haus näherten, beschleunigte er den Schritt so sehr, dass sie beinahe hinter ihm herlaufen musste. Vielleicht bereute er, dass er ihr davon erzählt hatte. Ein Mann wie er empfand es wahrscheinlich als Schwäche, seine Wunden zu zeigen.

„Ich liebe dein Haus“, schwärmte sie, um die Spannung, die zwischen ihnen entstanden war, zu lockern. Sie war nicht naiv. Sie hatte damit gerechnet, dass das Haus eines Milliardärs ziemlich beeindruckend ausfallen würde, aber das hier war etwas ganz anderes. Allein die Größe des Gebäudes raubte ihr den Atem. Die Kluft zwischen ihnen wurde immer unüberbrückbarer. Natürlich war es keine Voraussetzung, dass sich Maler und Modell ebenbürtig waren. Sie brauchte nur eine ruhige Hand – und ruhige Nerven. Was schwierig werden könnte, wenn das Modell Kristof Kaimos hieß …

„Besonders bei Sonnenuntergang ist es immer wunderschön hier“, bemerkte Kris beiläufig.

Er verpasst so viel, dachte Kimmie, die sich beinahe wünschte, Kris würde stehenbleiben, damit er die Dinge mit den Augen eines Künstlers sehen konnte. Alles war subtil beleuchtet, sodass der Garten in üppigem Grün schimmerte, während glitzernde Wasserspiele mit antiken Statuen konkurrierten. Dahinter schienen sich endlose Meilen an Ozean auszustrecken. Was für ein Ort, um die Fantasie spielen zu lassen. Es war herrlich!

Als sie sich zu Kris umdrehte, der stehengeblieben war und auf sie wartete, fragte sie sich, was sie hier mit diesem Mann machte. Die vielleicht noch drängendere Frage lautete jedoch, was er mit ihr machte? Was wollte er von ihr? Wenn es das Naheliegende war, hätte er es am Strand probieren können, doch er hatte sich wie ein Gentleman verhalten. Weil er genau wusste, dass ihre Gefühle in Aufruhr waren. Kris würde eine Frau in Not niemals ausnutzen, das wusste sie instinktiv.

„Ich schätze, man braucht eine Armee an Personal, um all das hier in Schuss zu halten“, versuchte Kimmie sich an einer Ablenkung, während sie den hinteren Teil des Hauses umrundeten. „Du bist vermutlich hoffnungslos in der Unterzahl.“

Kris blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie an. „Sie haben eine interessante Sicht auf beinahe alles, Miss Lancaster.“

Kimmie zuckte die Achseln. „Von meinem Standpunkt aus eine berechtigte Bemerkung. Ich bewohne ein Einzimmerapartment mit Bad … und ohne Personal“, fügte sie hinzu und zog eine Grimasse.

Beinahe hätte er gelächelt. „Beneidest du mich?“

„Dich beneiden?“, rief sie aus. „Ganz sicher nicht. Du tust mir leid, um ehrlich zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man aus einem Gebäude dieser Größe ein Zuhause machen kann.“

„Ein Zuhause?“, wiederholte Kris stirnrunzelnd.

„Ja, du weißt schon, dieses Ding, in dem Menschen leben, sich lieben, es sich gemütlich und behaglich machen.“ Kimmies kleine Wohnung entsprach diesen Anforderungen. Sie mochte nicht so prächtig sein wie dieses Haus, und sie war nur gemietet, aber dort konnte sie sich verkriechen, wenn ihr danach war. „Fühlst du dich hier nie einsam?“

„Einsam? Warum sollte ich einsam sein?“, fragte Kris überrascht.

„Ich nehme mal an, diese Armee an Personal hat Besseres zu tun, als dir in ihrer Freizeit Gesellschaft zu leisten? Aber Kontakt zu Menschen ist wichtig, nicht wahr? Für mich jedenfalls. Ich arbeite allein, deshalb treffe ich mich außerhalb der Arbeit gern mit Leuten.“

„Ich habe in meinem Arbeitsleben mehr als genug Kontakt zu Menschen“, versicherte er kühl. Er klang ein wenig irritiert. Vermutlich hatte nie jemand die Frage zu stellen gewagt, ob ihm sein ganzer materieller Reichtum das gebracht hatte, was im Leben eigentlich zählte: Zufriedenheit.

„Warum sollte ich ein gemütliches Heim brauchen, wie du es nennst?“, erkundigte sich Kris irritiert. „Wenn mir nach etwas Kleinerem zumute ist, übernachte ich im Hotel.“

Er verstand es einfach nicht. Wie auch, wo er doch über die ganze Welt verstreut Häuser und Wohnungen hatte? Sie wollte wissen, wo sein Anker war. Welchen Ort nannte Kris sein Zuhause? Dieses riesige Gebäude hier glich eher einem Luxusresort.

„Was passiert, wenn du heiratest?“, fragte sie, bereute es aber sofort. Dennoch ließ sie nicht locker. „Wie in aller Welt willst du aus diesem Haus einen einladenden Ort für deine Braut schaffen?“

Kris’ Kinn schnellte hoch, so als hätte sie etwas Unerhörtes gesagt. Nun, vermutlich hatte sie das. Sie hatte von Heirat gesprochen, dabei war sie vermutlich die Letzte, die das tun sollte.

„Das wird doch wohl die Aufgabe meiner Frau sein?“, versetzte er kühl.

„Also keine Gleichberechtigung in dieser Hinsicht?“

Kris war offensichtlich nicht in der Stimmung für weitere Provokationen. Verdammt, jetzt hatte sie den Abend mit ihrem großen Mundwerk ruiniert! „Ich dachte bloß, dass du vielleicht Interesse dafür zeigst …“

„Natürlich interessiere ich mich“, versicherte er. „Ich habe eine Armee an Designern, die an diesem Haus arbeiten. Vielleicht willst du dir das Atelier anschauen?“

„Das was?“

„Das Atelier“, wiederholte er.

Sie musste sich daran erinnern, dass ein Anwesen dieser Größe so ziemlich alles beherbergen konnte: eine Konzerthalle, ein Atelier, ein Kino, ein Fußballfeld …

„Ah, jetzt ist mein Haus nicht mehr so langweilig, was?“, bemerkte Kris mit einem langen Seitenblick auf sie.

„Ich bin beeindruckt“, gab sie zu.

„Genau genommen hat dieses Haus einst einem ziemlich erfolgreichen Künstler gehört“, erzählte er.

Als sie den Namen hörte, stockte Kimmie der Atem.

„Es gibt eine ganze Künstlerkolonie auf Kaimos“, fuhr er fort. „Es soll etwas mit dem Licht zu tun haben.“

Kimmie wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Je mehr sie über Kristof Kaimos erfuhr, desto besser wollte sie ihn kennenlernen – den echten Mann. Nicht den, über den die Presse berichtete.

Als sie an mehreren Garagen vorbeikamen, in denen ausnahmslos Luxuskarossen standen, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass die Sonne bereits unterging. „Sind wir wirklich schon so lang unterwegs?“, rief sie ungläubig aus. Mit einem Schlag fühlte sie sich hundemüde. Es war ein unglaublich langer und aufwühlender Tag gewesen.

„Zeit fürs Bett“, meinte Kris, als sie nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken konnte.

„Ja“, stimmte sie zu. „Aber ich würde verdammt gern irgendwann einmal das Atelier sehen … Wenn es nicht zu viele Umstände bereitet?“

„Überhaupt nicht“, entgegnete er. „Ich kann jederzeit jemanden organisieren, der dich herumführt.“

Oh.

Kris ging zu einem Haustelefon an der Seitenwand des Garagenkomplexes und teilte seiner Crew auf der Jacht kurz seinen aktuellen Aufenthaltsort mit.

Urplötzlich hatte Kimmie gar keine Lust, in die Pension zurückzukehren. Der Gedanke, allein in dem Zimmer zu sein, das sie eigentlich mit ihrem Ehemann hätte teilen sollen, war verwirrend und beunruhigend – auch wenn Mike und Janey nach dem peinlichen Zwischenfall eilig alles zusammengepackt hatten und abgereist waren. Nein, Kimmie wollte ganz sicher nicht bei Mike sein, aber sie hatte auch keine Lust, allein zu sein. Nachdem dieser Tag so schrecklich angefangen hatte, hätte sie es niemals für möglich gehalten, dass sie Kris’ Gesellschaft so genießen könnte. Der Drang, diesen interessanten und komplexen Mann zu malen, war größer denn je.

Als Kris sie zu einem großen schwarzen SUV führte, sagte sie sich, dass sie ihn ja auch aus der Erinnerung skizzieren konnte. Dabei konnte sie einen Hintergrund wählen, den sie für passend hielt. Es war an der Zeit, dass sie beide in ihre Elfenbeintürme zurückkehrten: Kris in sein fantastisches Strandhaus und Kimmie in ihre Künstlerhöhle.

Wollte sie Kris nicht wiedersehen? Doch, natürlich. Aber dann würde sie vielleicht den ersten Schritt machen müssen. Was er dazu wohl sagen würde? überlegte sie, während er den Motor startete.

Wenn es nach Kimmie ging, dann war das hier noch lange nicht vorbei! Es hatte gerade erst begonnen.

Zurück in der Pension schlief Kimmie in dieser Nacht zu ihrer eigenen Überraschung tief und fest wie ein Baby. Nach den Ereignissen des Tages hätte sie das eigentlich für unmöglich gehalten.

Als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug, dachte sie sofort an den letzten Abend zurück. Während der Autofahrt hatte sie Kris’ Stimmung nicht einschätzen können. Sie konnte nur sagen, dass er sich wie der perfekte Gentleman verhalten hatte. Trotzdem sehnte sie sich danach, dass Kris sie in die sinnlichen Freuden einführte, von denen sie bislang nur geträumt hatte. Ihre ursprünglichen Ängste schienen in seiner Gegenwart wie weggeblasen. Wenn er so liebte, wie er küsste – zärtlich, sensibel und leidenschaftlich – dann wäre es ganz bestimmt kein furchterregendes, sondern ein absolut umwerfendes Erlebnis.

Für jemanden, dessen einzige Erfahrung mit Sex aus der Erinnerung an die Angstschreie der Mutter bestand, war das ein enormer Schritt.

In Gedanken sah sie wieder vor sich, wie Kris den schweren SUV sicher über die schmalen, kurvenreichen Straßen von Kaimos gelenkt hatte. Nie zuvor hatte sie Hände und Arme als so sexy empfunden … Sie konnte es nicht abwarten, sie zu zeichnen – notfalls auch aus der Erinnerung heraus. Kein einziges Detail des Mannes, der an diesem schrecklichen Tag so unerwartet in ihr Leben geplatzt war, würde sie vergessen. Doch als sie gestern an der Pension angekommen waren, war er wortlos aus dem Wagen gestiegen, hatte sie zur Tür gebracht, ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben und war dann ohne einen weiteren Blick zurück verschwunden.

Zeit, in die Realität zurückzukehren, dachte Kimmie, während sie aus dem Bett stieg. Ein aufregender halber Tag nach einer Katastrophe machte noch keine Romanze. Zweifellos hatte sich Kristof Kaimos für ein paar Stunden gut unterhalten gefühlt, aber sie war sicher, dass es kein zweites Treffen geben würde.

Nachdem sie rasch geduscht hatte, schnappte sie sich ein Handtuch, trocknete sich ab und bemühte sich dabei sehr, nicht an Kris zu denken. Nun, das klappt ja hervorragend, dachte sie, während sie ans Fenster trat und auf seine Jacht blickte, die immer noch in der Bucht ankerte. Von Kris war weit und breit nichts zu sehen. Und es war auch besser für ihren Seelenzustand, wenn er nicht zurückkam. Weitere Aufregung konnte sie nicht gebrauchen.

Ach was, wen wollte sie hier hinters Licht führen? Ein Leben ohne Aufregung war öde und langweilig. Ein bisschen Spaß könnte sie gerade gut vertragen!

Rasch rubbelte sie ihr Haar trocken, schlüpfte in Shorts und T-Shirt und ging hinunter ins Frühstückzimmer.

Dort wurde sie von Kyria Demetriou mit warmen Worten empfangen. „Sie sehen heute viel besser aus“, sagte die freundliche Griechin. „Ihr Gesicht strahlt ja.“

„Tatsächlich?“ Unbewusst berührte Kimmie ihre Wangen. Hatten Kris’ Bartstoppeln etwa eine Röte hinterlassen? „Wir alle möchten uns bei Ihnen für das köstliche Essen bedanken. Wir hatten ein wunderbares Picknick.“ Von dem sie keinen Krümel gegessen hatte, weil sie anderweitig beschäftigt gewesen war. Die Erinnerung trieb ihr prompt die Röte ins Gesicht.

Kyria Demetriou warf ihr einen belustigten Blick zu, ganz so, als wisse sie mehr als sie verraten wollte. „Jetzt, wo Sie sich besser fühlen, wollte ich Ihnen sagen, dass heute Abend eine Fiesta im Dorf gefeiert wird. Es ist ein traditioneller Abend mit Folkmusik, lokalem Essen und Tanz. Ich bin sicher, Sie werden sich prächtig amüsieren.“

„Oh, ganz bestimmt“, erwiderte Kimmie begeistert.

„Wir gehen alle hin“, versetzte ihre Wirtin. „Jeder einzelne Inselbewohner wird dort sein.“

Kris eingeschlossen? Kimmies Herz pochte wie verrückt.

„Sie sollten Ihren Zeichenblock mitnehmen“, riet Kyria.

„Das ist eine gute Idee.“ Schon bald würde Kimmie die Insel verlassen. Der heutige Abend war die beste Gelegenheit, die ganzen Eindrücke festzuhalten. Hoffentlich bekam sie genug zusammen, um eine neue Ausstellung zu füllen.

Kris verbrachte den Tag damit, über die Ereignisse des Vortags nachzudenken. Die Begegnung mit Kimmie war außergewöhnlich gewesen, dennoch hätte er jeden, der ihm vor dem Gespräch mit seinem Onkel gesagt hätte, dass er sie als mögliche Ehefrau in Erwägung ziehen würde, einen Narren genannt. Er kannte sie nicht. Sie kannte ihn nicht. Er hatte sie an einem Tiefpunkt ihres Lebens kennengelernt.

Trotzdem hatte sie ihn verzaubert.

Am Nachmittag hatte er mit seinem Onkel telefoniert und ihm gesagt, dass er einer „Kandidatin“ begegnet sei, wie sein Onkel die potentiellen Bräute auf Kris’ nichtexistenter Liste bezeichnete. „Jetzt versprich dir nicht zu viel davon“, warnte Kris ihn, aber Onkel Theo hörte nicht zu.

„Du hättest den Deal längst abschließen sollen“, insistierte sein Onkel. „So zögerlich kenne ich dich gar nicht.“

„Ich bin ihr erst gestern begegnet“, musste Kris zugeben.

„Und?“, hakte sein Onkel nach.

„Sie ist gerade sehr verletzlich“, entgegnete er schlicht.

Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen Athen und Kaimos, dann murmelte sein Onkel schließlich: „Gefährlich.“ Im nächsten Moment ruinierte er das kurze Aufflackern von Empathie, indem er fortfuhr: „Tu, was auch immer es braucht. Ich muss wissen, dass ich einen Erben habe, Kristof. Umwerbe sie mit süßen Worten und teuren Geschenken. Das sollte genügen“, schloss er triumphierend.

An dieser Stelle musste Kris lächeln. „Du kennst Kimmie nicht. Reichtum beeindruckt sie nicht.“

„Ist sie eine Heilige?“, fragte Theo skeptisch.

„Sie weiß, wer ich bin, doch das scheint keinen Unterschied für sie zu machen.“

„Das ist nur das, was sie nach außen zeigt“, versicherte sein Onkel. „Wer weiß schon, was sie wirklich denkt?“

Kris runzelte die Stirn. „Hast du meiner Tante dasselbe unterstellt, als du ihr das erste Mal begegnet bist?“

Das Schweigen, was auf diese Frage folgte, war geradezu ohrenbetäubend. Kris wusste, dass er eine Grenze überschritten hatte. Theo hatte seine Frau leidenschaftlich geliebt – mehr als vierzig Jahre lang. Aber manchmal musste er seinen Onkel daran erinnern, dass auch andere Menschen Gefühle hatten.

Selbst Kris …

Als er jetzt in seinem Arbeitszimmer im Strandhaus saß und durch das Fenster auf den Ozean blickte, kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht das Komplettpaket erhalten würde. Natürlich mussten erst ein paar praktische Regelungen getroffen werden, aber da weder er noch Kimmie wirklich Ahnung von der Liebe hatten, sah er da kein Problem.

Abgesehen von der Tatsache, dass sie eine Romantikerin ist.

Nein, nein, nein – sie war eine intelligente Frau. Ihr wunderschönes Gesicht kam ihm in den Sinn. Die unberechenbare und leidenschaftliche Kimmie. Obwohl sie vom Leben gezeichnet war, kämpfte sie sich doch immer wieder zurück. Was für eine Frau! Was für eine Partnerin für ihn. Temperamentvoll und unabhängig, und so verdammt sexy, dass er sie einfach haben musste. Kimmie war alles, was er sich je gewünscht hatte.

Aber zu welchem Preis?

Bei seinen früheren Partnerinnen hatte er nur verlangt, dass sie ihn im Bett befriedigten, doch wenn es darum ging, eine Ehefrau zu finden … Jemanden, mit dem er viel Zeit verbringen, mit dem er reden und den er wirklich kennenlernen würde, für den er vielleicht Gefühle entwickelte … Eine Frau, mit der er eine Familie gründen konnte …

Kris schüttelte den Kopf. O nein! Was das anbelangte, hatte er einfach nicht das Talent seines Onkels.

Ein wunderbar sonniger Nachmittag ging in einen spektakulären Sonnenuntergang über, als Kimmie und ihre Freunde ihre jeweiligen Zimmer aufsuchten, um sich für die Fiesta im Dorf fertigzumachen. Kris hatte sich den ganzen Tag nicht blicken lassen, weshalb Kimmie sich schon allein deshalb auf die Fiesta freute, weil sie hoffentlich eine gute Ablenkung sein würde. Und selbst wenn das nicht gelingen sollte, war es doch zumindest ein schöner Abschied für ihre Freunde, die nicht weniger verdienten.

Kimmie entschied sich für ein hübsches weißes Sommerkleid, das sie mit einem Paar flacher Sandalen kombinierte. Ihre Haare bürstete sie so lange, bis sie ihr wie eine wütende, schwarz-violette Sturmwolke um die Schultern tanzten. Und sie war wütend. Mike hatte alle hängen lassen und dann nicht mal den Mumm gehabt, sich zu entschuldigen oder ihren Freunden eine wie auch immer geartete Erklärung zu liefern.

Lass ihn hinter dir! Du musst nicht mehr über Mike nachdenken.

Richtig. So gewappnet, verließ sie das Zimmer und lief die Treppe hinunter zu den anderen. Kyria Demetrious großzügiges Angebot, sie allen im Dorf vorstellen zu wollen, war eine tolle Gelegenheit zu zeichnen. Deshalb hatte Kimmie ihren Skizzenblock auch eingepackt. Sie war sicher, dass sie unendlich viel Inspiration für spätere Gemälde finden würde. Sie würde skizzieren, bis sie wunde Finger bekam.

Und Kris?

Am besten, sie ließ auch ihn hinter sich!

Aber konnte sie das? Was, wenn sie ihn im Dorf mit jemand anders sah? Womöglich mit einer eleganten Schönheit, die perfekt zu ihm passte?

Dann musst du das aushalten.

Fest entschlossen, ein fröhliches und optimistisches Gesicht aufzulegen, kam sie am Fuß der Treppe an und blieb wie angewurzelt stehen. Das war ganz eindeutig seine Stimme.

Kris war hier. Ihr Herz pochte plötzlich so schnell, dass sie – kaum am Salon angelangt – Schwierigkeiten hatte, zu atmen.

Warum stand sie da wie festgewachsen und starrte ihn an, als wäre er die einzige Person im Raum? Es war auch nicht gerade hilfreich, dass ihre Freunde auf ihre Reaktion warteten.

Beweg dich! Und zwar schnell. Sag etwas!

„Wie nett, dich wiederzusehen“, begrüßte sie ihn höflich und streckte die Hand aus.

Nett? Kris stand lässig an die Wand gelehnt da. Nett? In Jeans und Hemd sah er so heiß aus, dass sie am liebsten sofort in eine Wanne aus Eiswasser eingetaucht wäre. Als er sich von der Wand abstieß und einen Schritt auf sie zumachte, reagierte ihr Körper sofort.

Ja, bitte, komm sofort her zu mir! schoss es ihr durch den Kopf. Vergessen war ihre Angst vor Sex. Sie konnte nichts gegen das primitive Verlangen tun, das dieser große, starke Mann in ihr entfachte. Und sie wollte es auch gar nicht.

Womöglich hat eine geplatzte Hochzeit ganz seltsame Nebenwirkungen!

Und es wurde immer schlimmer. Als Kris ihre Hand ergriff, konnte sie nur daran denken, dass er noch ganz andere Stellen ihres Körpers berühren sollte, ja, dass er sie küssen sollte und dass diese Küsse noch viel weiter gehen sollten …

„Schön, dich wiederzusehen“, murmelte er, wobei er leicht belustigt klang, so als könnte er jeden einzelnen ihrer verdammten Gedanken lesen.

„Bist du bereit?“, fragte er mit diesem sexy Halblächeln, das mal wieder um seine Mundwinkel spielte.

In diesem Moment wusste sie nicht genau, wofür sie bereit war – nur dass sie unbedingt mit Kris zusammen sein wollte. Rasch wandte sie sich an Kyria Demetriou. „Ich freue mich wirklich sehr auf unseren Abend. Vielen Dank, dass Sie das alles arrangiert haben.“

„Kristof hat das Meiste erledigt“, verriet die ältere Griechin sehr zu Kimmies Überraschung. Ihre Wirtin strahlte Kris wie eine stolze Mutter an.

Dessen Blick ruhte einzig und allein auf Kimmie. Ganz genau beobachtete er ihr Gesicht. Dann wandte er sich an die anderen im Raum. „Wir gehen zu der Fiesta“, verkündete er. „Danach werden Kimmie und ich zu meinem Haus fahren, damit ich ihr dort wie versprochen das Atelier zeigen kann.“

„Ach, tun wir das?“, versetzte Kimmie und hob dabei eine Augenbraue.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, bis schließlich einer ihrer Freunde trocken fragte: „Jemandem das Atelier zeigen … Ist das so ähnlich, wie jemandem die Briefmarkensammlung zu zeigen?“

Kris steckte die provozierende Frage überraschend gut weg.

„Wer weiß?“, entgegnete er nur mit einem mysteriösen Lächeln.

4. KAPITEL

Kimmies Freunde nahmen sie in ihre Mitte, während sie den kurzen Weg zum Dorfplatz zurücklegten. Sie gruppierten sich um sie wie eine Art Ehrengarde. Kimmie spürte deutlich ihre Zuneigung und Unterstützung – und auch ihre Neugier, weil die Chemie, die zwischen ihr und diesem weltberühmten Mann herrschte, unübersehbar war. Wahrscheinlich war sie selbst die Einzige, die von dieser überraschenden zweiten Begegnung nicht mehr erwartete.

Als sie am Dorfplatz ankamen, wurden sie sogleich zu einem der besten Tische im vorderen Bereich des Restaurants geführt. Der Wirt eilte ihnen entgegen, um sie willkommen zu heißen. Kimmie entging nicht, dass er Kris ganz besonders warmherzig begrüßte.

„Ich glaube, das gehört Ihnen“, bemerkte Kyria Demetriou und steckte Kimmie Skizzenblock und Bleistifte zu. „Vermutlich waren Sie so schockiert, als Sie Kristof in der Pension gesehen haben, dass Sie gar nicht mehr an Ihre Zeichenutensilien gedacht haben, aber Sie werden sie heute Abend brauchen, denn hier kommen das Leben und die Kunst zusammen.“

Was sollte das heißen? Verwirrt blickte Kimmie auf ihr Handwerkszeug.

„Zeichnen Sie alles, was Sie sehen“, riet Kyria, „denn dann werden Sie ganz schnell die Ausstellung bekommen, auf die Sie so hoffen. Das Leben geht weiter“, wisperte sie.

In den Augen der Griechin lagen so viel Freundlichkeit und Verständnis, dass Kimmie eins sofort klar wurde: Auf ihre Zeit auf Kaimos würde sie niemals mit Bitterkeit zurückblicken, sondern sich stattdessen nur voller Wärme und Optimismus an die wunderschöne Insel und ihre herzlichen Einwohner erinnern.

Wie wundervoll es doch ist, solche Freunde zu haben, dachte Kimmie und schaute sich um. Der Dorfplatz war voller Leben und Musik, voller Farben, Lichter, gutem Essen und Kameraderie. Alle wirkten fröhlich und gut gelaunt. Wenn sie diese Stimmung nur einfangen könnte … Sie fing an zu zeichnen und verlor sich innerhalb kürzester Zeit in der Interpretation der vor ihr liegenden Szenerie.

„Hart bei der Arbeit?“

Sie musste nicht aufschauen, um zu wissen, dass Kris hinter ihr stand. Sie spürte ihn mit jeder Faser ihres Körpers.

„Hi …“ Sie hielt den Kopf über ihren Zeichenblock gebeugt, damit er die Gefühle für ihn nicht in ihren Augen sehen konnte.

„Du bist gut“, murmelte er, während er sich ihr gegenüber an den Tisch setzte.

Lachend schaute sie endlich auf. „Das kann man gar nicht beurteilen, wenn man meine Skizzen nur auf dem Kopf stehend sieht.“ Natürlich pochte ihr Herz wieder viel zu schnell, jetzt wo sie ihm in die Augen blickte.

„Ich habe die vergangenen zehn Minuten hinter dir gestanden, insofern habe ich einen sehr guten Eindruck von deinen Skizzen bekommen“, entgegnete er mit diesem sexy Lächeln, das die verrücktesten Dinge mit ihr anstellte. „Du hast in dieser Zeit bestimmt ein halbes Dutzend Zeichnungen angefertigt, aber du warst so beschäftigt, dass du mich gar nicht bemerkt hast. Sollte ich beleidigt sein?“, fragte Kris amüsiert.

„Ich ignoriere dich nicht, falls es das ist, was du meinst“, erwiderte sie. „Ich bin sicher, ich finde noch irgendwo auf meinem Block ein bisschen Platz, um auch dich zu zeichnen, aber du musst warten, bis du an der Reihe bist“, neckte sie. „Das hier ist so eine wundervolle Szenerie – ich möchte nichts verpassen.“

„Wie kommst du auf die Idee, dass ich warten kann?“

Einer seiner Mundwinkel hob sich, was sie absolut unwiderstehlich fand. Diesen Ausdruck musste sie unbedingt abspeichern, damit sie ihn später zeichnen konnte.

In diesem Moment trat ein Freund an Kris heran und verwickelte ihn in ein Gespräch. So erhielt Kimmie die Gelegenheit, sein Profil zu studieren. Wie sollte sie nur diese markanten Wangenknochen und die ausdrucksvollen Augen mit wenigen Zeichenstrichen auf Papier bannen? Als Warm-up versuchte sie sich an einer stolzen Mutter, die mit einer Hand einen Kinderwagen schob, während sie an der anderen Hand ein kleines Mädchen führte.

Kris beugte sich über den Tisch, um einen Blick darauf zu erhaschen. „Ich kann förmlich sehen, was sie denkt“, sagte er.

„Sprich weiter“, drängte Kimmie. Es faszinierte sie, dass Kris in ihrer Skizze nicht nur einen Schnappschuss sah, sondern hinter die Oberfläche blickte, genau wie sie. Deshalb wollte sie hören, was er zu sagen hatte – um zu sehen, ob sie beide dasselbe dachten.

„Sie wünschte, sie könnte länger bleiben und mit ihrem Ehemann einen romantischen Abend verbringen“, begann er, was allein schon reichte, um ihr eine Gänsehaut zu bereiten, weil ihre Gedanken so ähnlich waren. „Aber sie möchte auch, dass ihre Kinder Spaß haben und deshalb runzelt sie die Stirn, weil sie nicht weiß, wie sie beide Wünsche unter einen Hut bringen soll.“

„Genau das habe ich gedacht, als ich angefangen habe, sie zu zeichnen“, gab Kimmie zu.

„Und du vermittelst diese Gedanken extrem gut“, lobte Kris mit einem langen und tiefen Blick in ihre Augen.

„Danke.“ Sie wollte mehr sagen, aber unter seinem eindringlichen Blick wurde ihr ganz heiß.

„Und dieser Mann dort drüben“, fuhr Kris fort und deutete quer über den Platz. „Er will seine Honigkuchen so schnell wie möglich verkaufen, damit er den Stand dicht machen und sich ins Getümmel stürzen kann.“

„Du hast recht“, erwiderte sie lächelnd. „Auch du kannst sehr gut in Menschen lesen.“

„Das muss ich in meiner Branche.“

Ein weiterer langer Blick, und sie fragte sich, was Kris gerade dachte. War sie so ein offenes Buch für ihn? Nur wenige Zentimeter trennten sie. Plötzlich verstummte die Geräuschkulisse um sie herum, bis nur noch sie beide da waren und sich in die Augen schauten.

„Und was liest du in mir?“, fragte sie schließlich.

„Du stehst an einem Scheideweg“, antwortete er nachdenklich. Als sie darauf nichts sagte, hakte er nach: „Und? Wie mache ich mich?“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was du meinst“, log sie.

„O doch, das tust du“, versetzte Kris. „Genau in diesem Moment stehst du an diesem Scheideweg, an dem das Leben dich in unterschiedliche Richtungen zieht.“

„Du solltest in der Schiffsbranche bleiben“, schnaubte sie. „Es sei denn, du wünschst dir eine Kristallkugel zu Weihnachten.“

Kris wollte bereits antworten, als erneut jemand an seine Seite trat und seine Aufmerksamkeit für sich beanspruchte. Kimmie atmete auf. Es war nicht sonderlich angenehm, so genau seziert zu werden. Dafür war sie nicht bereit. Dennoch vermisste sie Kris’ Aufmerksamkeit, kaum dass er sich mit jemand anders unterhielt. Ich bin ein hoffnungsloser Fall, dachte sie deprimiert. Gott sei Dank wurde in diesem Moment das Essen serviert, und sie konnte sich auf andere Dinge konzentrieren.

„Bitte entschuldige“, sagte Kris, als die letzte Person, die ihn dringend sprechen wollte, endlich zu ihrem eigenen Tisch zurückgekehrt war, um zu essen.

„Was denn?“, versetzte Kimmie.

„Dass ich dich ignoriert habe. Ich wurde so lange aufgehalten, dass ich einiges nachzuholen habe.“

„Kein Problem. Mir war gar nicht klar, wie hungrig ich war, insofern habe ich es gar nicht bemerkt, falls du mich tatsächlich ignoriert hast.“

„Und ob du es bemerkt hast“, widersprach er auf eine Art und Weise, die ihr unter die Haut ging.

Achselzuckend wischte sie ihre Hände ab und griff erneut nach ihrem Zeichenblock. Die Chemie zwischen ihr und Kris war außergewöhnlich. Sie würde Wirkung zeigen, ganz gleich, ob sie sich ihr widersetzte oder nicht. Dennoch begann Kimmie nicht sofort zu zeichnen. Ihr Bleistift schwebte über dem Papier.

„Was ist los?“, fragte Kris.

„Ich muss mein Modell studieren.“

Wen wollte sie hier zum Narren halten? Sie musste Kris’ Gesicht nicht studieren, weil sich bereits jedes Detail seiner Züge – und mindestens neunzig Prozent seines Körpers – in ihr Gedächtnis gebrannt hatten.

„Was siehst du, wenn du mich anschaust? Abgesehen von den Schatten in meinen Augen natürlich“, fügte er leicht spöttisch hinzu.

„Möchtest du das wirklich wissen?“, konterte Kimmie.

„Ich bin neugierig, deine Interpretation zu sehen“, entgegnete er trocken.

Sie zog eine Grimasse. „Wie hoffentlich der Rest der Welt.“

Zumindest war das ihre wahre Stärke. Sobald sich ihre Finger um den Bleistift schlossen, wusste sie ganz genau, was sie tat. Es dauerte nicht lang, und Kimmie ging erneut ganz in ihrer Arbeit auf. Ihre Atmung verlangsamte sich.

„Und nur um eins noch zu betonen“, fügte sie hinzu, als sie kurz aufblickte, um zu überprüfen, ob sie Kris’ Kinn richtig hinbekommen hatte. Ja, es war genauso stark, kantig und resolut, wie sie es zu Papier gebracht hatte. „Mein Versprechen, das Gemälde von dir nicht ohne deine Erlaubnis zu verkaufen, steht nach wie vor. Solltest du mir aber grünes Licht geben, würde der Erlös komplett in das Projekt fließen, von dem ich dir erzählt habe.“

„Ein Stipendium, um jungen Künstlern zu helfen“, ergänzte er.

„Genau.“ Sie konnte sich nicht wirklich dazu bringen, Kris einfach zu fragen, ob er ihr Stipendium finanzieren könnte. Das wäre nur eine andere Art, ihn um Geld zu bitten, und das konnte er bestimmt nicht mehr hören. Dies war eine bessere Methode. Sie erledigte die Arbeit, und mit seiner Erlaubnis konnte das Projekt vom Verkaufserlös profitieren.

„Möchtest du wissen, wie weit ich bin?“, fragte sie, als sie kurz davor stand, die Skizze abzuschließen.

„Natürlich.“ Kris pfiff leise durch die Zähne, als sie den Zeichenblock zu ihm umdrehte. „Du schmeichelst mir wirklich nicht.“

„Das habe ich dir doch gesagt. Ich zeichne dich so, wie ich dich heute sehe.“

„Hart und getrieben“, urteilte er. „Mit einer fast schon beängstigenden Entschlossenheit in den Augen …“ Er runzelte die Stirn. „Und ohne jeglichen Sinn für Humor?“

Kimmie lächelte kleinlaut. „Wenn der Schuh passt …“

„Du hältst wirklich nichts zurück, Kimmie Lancaster, nicht wahr?“

„Vorsicht ist langweilig, in der Kunst genauso wie im Leben“, versetzte sie und fügte dann als Warnung hinzu: „Ich werde aus diesen Skizzen mit Sicherheit große Gemälde machen.“

„Gut“, entschied Kris. „Ich freue mich darauf.“

Würde er sie je zu sehen bekommen? „Sie sind für einen guten Zweck.“

„Wäre es nicht besser, du würdest den Verkaufserlös in ein Haus für dich selbst investieren?“

„Nein“, wehrte sie lachend ab. „Du bist ja so ein Geschäftsmann!“

„Es schadet nicht, Geschäftssinn zu haben“, konterte er, „ich denke sogar, dass es sehr wichtig für dich ist, jetzt wo du so eine Karriere machst.“

„Selbst wenn ich das Gemälde von dir für mehrere Tausend Pfund verkaufen würde, könnte ich mir dafür in London gerade mal die Tür zu einem Schuppen leisten.“ Klang das so, als würde sie ihn um Geld bitten? Himmel, es war kompliziert, mit einem Milliardär bekannt zu sein.

Zu ihrer Erleichterung lachte Kris. „Ich hoffe doch sehr, dass ich mehr wert bin als die Tür zu einem Schuppen!“, protestierte er.

„Na, siehst du. Du solltest dich nicht überschätzen. Und ich bin keine sonderlich gute Geschäftsfrau“, gab Kimmie zu. „Ich bin nicht mal sicher, ob ich noch immer als heiße neue Künstlerin gelte oder ob meine erste Ausstellung ein reiner Glücksfall war und meine fünfzehn Minuten Ruhm bereits vorbei sind. Die nächste Ausstellung wird es wohl zeigen …“

„Aber wie willst du über die Runden kommen bis zu deiner nächsten Ausstellung? Am Strand hast du mir erzählt, dass du einen Großteil deines verfügbaren Geldes in die Hochzeit gesteckt hast.“

„In die Nicht-Hochzeit“, erinnerte sie ihn. „Was im Nachhinein ein bisschen dumm wirkt, leichtsinnig sogar, aber wenn das Leben mir Zitronen serviert, dann mache ich daraus lieber einen guten Cocktail, anstatt eine Grimasse zu ziehen.“

„Du kämpfst dich also immer wieder zurück“, bemerkte er nachdenklich.

„Ich versuche es. Manchmal ist es nur schwerer als sonst“, gab sie zu. Dennoch würde sie weiterhin suchen, bis sie eines Tages ihren sicheren Heimathafen fand. „Und mach dir keine Sorgen! Ich habe immer noch genug Geld übrig, um die Zeit bis zu meiner nächsten Ausstellung zu überbrücken.“

„Ich denke, du hast eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, wo du hinwillst und wie du da hinkommst“, murmelte Kris, als sie den Zeichenblock zur Seite legte. „Jeder erlebt mal Rückschläge. Es kommt nur darauf an, wie man sich davon erholt, und ich glaube an dich. Was nicht überheblich klingen soll.“

„So habe ich es auch nicht verstanden“, entgegnete sie.

„Jeder muss irgendwo anfangen, sogar ich“, neckte er sie mit einem Grinsen, das ihr durch und durch ging.

„Jetzt komm nicht auf dumme Gedanken“, warnte sie, „oder ich sehe mich gezwungen, dich von deinem Sockel herunterzuholen.“

„Ich möchte sehen, wie du das versuchst“, gab er spöttisch zurück. „In der Zwischenzeit“, fügte er mit rauer Stimme hinzu, „schlage ich vor, dass wir tanzen.“

Es gab zu viele Entscheidungen, die sie hinsichtlich Kris treffen musste, und keine davon war leicht. Eigentlich hätte sie nach der geplatzten Hochzeit noch immer in einem Schockzustand sein müssen! Aber als Kris jetzt den Tisch umrundete, stand sie willig auf und begab sich widerstandslos in seine Arme.

Wenn er wollte, dann konnte Kris den Deal an diesem Abend besiegeln. Seinen Onkel würde das freuen. Wenn Theo jetzt hier wäre, würde er Kris vermutlich fragen, worauf er noch wartete … Hier war die Braut, die einen Bräutigam brauchte. Die Künstlerin, die einen Sponsor suchte. Aber er wollte Kimmie nicht auf diese Weise bekommen. Er wollte, dass sie aus freien Stücken zu ihm kam!

Als er sie zum Tanzen in seine Arme zog, war ihm klar, dass nichts mit Kimmie je einfach sein würde. Mit ihr wünschte er sich Dinge, über die er vorher nie nachgedacht hatte! Zum ersten Mal in seinem Leben dachte Kris ernsthaft an eine eigene Familie und an jemanden, mit dem er dieses Glück teilen konnte. Wurde er vielleicht weich? Spielte der Playboy in ihm tatsächlich mit dem Gedanken, sesshaft zu werden? Kimmie war eine unabhängige Frau, die ihre ganz eigenen Vorstellungen hatte, wie ihr Leben verlaufen sollte. Wie sollte sie sich da in sein eigenes Leben einfügen? Wenn und falls er heiratete, müsste seine Ehefrau sich voll und ganz seinem anstrengenden Businessleben anpassen …

In diesem Moment wich Kimmie ein Stückchen zurück und starrte forschend in sein Gesicht, als wäre sie seinen Gedankengängen gefolgt. Sie verfügte über großes Einfühlungsvermögen. Überhaupt lagen sie derart auf einer Wellenlänge, dass es schon fast unheimlich war. Als Kris sie erneut an sich zog, hörte er sie seufzen. Kimmie wusste genauso gut wie er, dass dieser Tanz ein Vorspiel zu Sex sein konnte. War sie in dieser Hinsicht zu einer Entscheidung gelangt?

Erneut wanderten seine Gedanken zu dem Problem der Eheschließung. An die Privilegien, die er für selbstverständlich hielt, würde sie sich doch sicher gewöhnen können, oder? Allein der Name Kaimos würde ihr etliche Türen öffnen. Egal wie er die Sache betrachtete, eine Heirat wäre für sie beide keine schlechte Option. Kimmie würden daraus ganz sicher keinerlei Nachteile erwachsen. Nein, es war eine absolute Win-win-Situation.

In dem Moment, in dem sich Kris’ Arme um sie schlossen, fühlte Kimmie sich leicht und frei wie ein Heliumballon, der weit über dem Boden schwebte. All ihre Antennen waren ausschließlich auf Kris ausgerichtet – niemand hatte es je geschafft, dass sie die Welt so scharf und klar sah. Im Gegenteil. Mike hatte ihr immer das Gefühl gegeben, als würde er ihr einen Gefallen tun. Erst jetzt, im Nachhinein, wurde ihr bewusst, dass er erst in dem Augenblick begonnen hatte, sich für sie zu interessieren, als sie ersten beruflichen Erfolg gehabt hatte.

„Erde an Kimmie“, durchbrach Kris die unangenehmen Erinnerungen. „Wo bist du gerade?“

„Das möchtest du nicht wissen“, erwiderte sie gedehnt.

„Vielleicht doch …“

„Okay, ich habe gerade noch einmal meine leichtgläubige, verzweifelte Periode durchlebt, um im künstlerischen Terminus zu sprechen.“

„Und in welcher befindest du dich jetzt gerade?“

„In meiner Sturm-und-Drang-Periode“, erwiderte sie flapsig.

Er lachte.

Und Kimmie erbebte …

Steuerte sie gerade auf eine Urlaubsromanze zu? Verfügte sie diesmal über ein besseres Urteilsvermögen?

Kris umfasste sie fester, so als spürte er ihre Zweifel. In seinen Armen fühlte sie sich sicher, auch wenn es eine gefährliche Versuchung war.

„Möchtest du gehen?“, fragte er.

„Entschuldige, ich war eine Million Meilen weit weg.“

„Kann ich dich dort besuchen?“

Vielleicht hatte ihr Bleistift gelogen, als sie einen harten, getriebenen Mann gezeichnet hatte. In diesem Moment wirkte Kris unglaublich sanft und einfühlsam. Und der Humor war in seine Augen zurückgekehrt! Augen voller Ausdruckskraft und Klarheit, einfach wunderbar …

Kris fuhr sie zurück zu seinem Strandhaus. Das Anwesen durch Kimmies Augen zu sehen, war, als würde er es zum ersten Mal erblicken. Kimmie hielt den Ort eindeutig für kalt und steril. Könnte sie das ändern? Und noch wichtiger: Würde er sie lassen?

Wollte er überhaupt, dass sich etwas veränderte? Alles funktionierte einwandfrei. Er hatte nie irgendwelche Mängel bemerkt.

„Diesmal werde ich alles zu sehen bekommen“, verkündete sie erwartungsfroh.

„Ich zittere schon vor Angst“, neckte er.

„Kein Grund zu zittern“, versetzte sie kopfschüttelnd. „Ich bin sicher, es ist genauso umwerfend wie ich es in Erinnerung habe.“

„Aber zu groß für einen Mann“, entgegnete er.

„Habe ich das gesagt?“ Sie presste zwar die Lippen zusammen, aber ihre Augen funkelten verschmitzt. „Wie unhöflich von mir.“

Kris schenkte ihr ein Lächeln, woraufhin sie wieder aus dem Fenster blickte, weil sie gerade an seinem privaten Jachthafen vorbeifuhren, in dem mehrere Boote im Wasser schaukelten, ganz so als tanzten sie zu ihrer eigenen Musik im Mondlicht. „Beeindruckend“, murmelte sie.

„Noch etwas, was du gern malen würdest?“, fragte er.

„Ich weiß nicht, ob ich lang genug hier bin, um alles abzuspeichern.“ Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Zuerst möchte ich dich zu Papier bringen.“

„Das muss das erste Mal sein, dass eine Frau so etwas zu mir sagt“, gestand er.

„Von anderen Frauen möchte ich nichts hören“, rügte sie ihn.

„Natürlich nicht. Aber hast du nicht mittlerweile genug Skizzen von mir?“

„Nicht aus jedem Blickwinkel, bekleidet und unbekleidet“, gab sie völlig unverfroren zurück.

„Unbekleidet?“, wiederholte er überrascht.

„Warum nicht? Aktzeichnen gehörte zu meinen Lieblingsfächern am College. Man sagt, dass man ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen kann, deswegen geh ich gerne etwas tiefer …“

„Es könnte sein, dass du wesentlich mehr vorfindest, als du erwartest.“

„Das Risiko gehe ich ein. Wobei du eins wissen solltest, Kris Kaimos“, entgegnete sie mit erhobener Augenbraue. „Ich mag zwar in romantischen Dingen unerfahren sein, aber als Künstlerin habe ich schon alles gesehen, wenn es um die männliche Form geht.“

„Na, dann“, murmelte Kris, denn er hielt es für weise, das nicht infrage zu stellen.

Als sie sich seinem Anwesen näherten, sagte er: „Das ist deine letzte Chance, dass ich dich zurück zur Pension bringe. Wenn du mit meinem Entkleiden lieber auf eine andere Gelegenheit warten willst, dann solltest du das jetzt sagen.“

Kimmie warf ihm einen schnellen Blick zu. „Willst du mich zurückbringen?“

„Ich will schwimmen“, antwortete er ehrlich. Vor allem wollte er nichts überstürzen.

„Du willst schwimmen?“, wiederholte sie ungläubig.

Autor

Ally Blake
Ally Blake ist eine hoffnungslose Romantikerin. Kein Wunder, waren die Frauen in ihrer Familie doch schon immer begeisterte Leserinnen von Liebesromanen. Sie erinnert sich an Taschen voller Bücher, die bei Familientreffen von ihrer Mutter, ihren Tanten, ihren Cousinen und sogar ihrer Großmutter weitergereicht wurden. Und daran, wie sie als junges...
Mehr erfahren
Susan Stephens
<p>Das erste Buch der britischen Schriftstellerin Susan Stephens erschien im Jahr 2002. Insgesamt wurden bisher 30 Bücher veröffentlicht, viele gehören zu einer Serie wie beispielsweise “Latin Lovers” oder “Foreign Affairs”. Als Kind las Susan Stephens gern die Märchen der Gebrüder Grimm. Ihr Studium beendete die Autorin mit einem MA in...
Mehr erfahren
Jackie Ashenden
<p>Jackie Ashenden schreibt düstere, gefühlsgeladene Stories über Alphamänner, denen die Welt zu Füßen liegt, bevor sie von ihren umwerfenden Gegenspielerinnen in Stücke gerissen wird. Sie lebt mit ihrem Ehemann, dem unvergleichlichen Dr Jax, zwei Kindern und zwei Ratten in Auckland, New Zealand. Wenn sie nicht gerade Alphamänner und ihre kühnen...
Mehr erfahren