Julia Extra Band 501

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BEGEHRT VOM PIRATENPRINZ von SUSAN STEPHENS
Luca Fortebracci trägt nicht zu Unrecht den Spitznamen „Piratenprinz“: er nimmt sich vom Leben, was ihm gefällt. Auch die süße Samia soll nicht mehr als ein sinnliches Abenteuer sein – bevor er den Thron seiner Heimat besteigt. Eine gemeinsame Zukunft kann es für sie nicht geben …

DAS GEHEIMNIS DEINER LEIDENSCHAFT von LUCY KING
Für eine heiße Nacht wirft Georgie jede Vernunft über Bord und erlebt Stunden der Ekstase mit dem attraktiven Finn Calvert. Dass sie den millionenschweren Hotelier jemals wiedersieht, ist nicht geplant. Doch die Begegnung hat süße Folgen …

SÜSSE STUNDEN MIT DEM KÖNIG von JACKIE ASHENDEN
Nach dem Tod seiner Ehefrau ist Adonis, König von Axios, überzeugt, nie wieder etwas empfinden zu können … bis die liebliche Anna vor ihm steht und ihn mit ihrer Unschuld verzaubert. Adonis‘ lange verschüttete Leidenschaft ist entfacht. Es gibt nur ein Problem: Anna ist eine Nonne!

GEFÄHRLICHES SPIEL MIT DEM MILLIONÄR von MILLIE ADAMS
Die Zweckehe mit Dante Fiori ist der einzige Weg für Minerva, sich und ihr Kind zu schützen. Nie hätte sie gedacht, dass sie dabei Gefühle für den charismatischen Self-Made-Millionär entwickeln würde. Doch für ihn ist die Heirat nur eine Möglichkeit, sein Geschäftsimperium zu vergrößern!


  • Erscheinungstag 25.05.2021
  • Bandnummer 501
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500616
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susan Stephens, Lucy King, Jackie Ashenden, Millie Adams

JULIA EXTRA BAND 501

SUSAN STEPHENS

Begehrt vom Piratenprinz

Auf der Flucht vor ihrem fiesen Ex heuert Samia auf der Luxus-Jacht des „Piratenprinzen“ Luca Fortebracci an. Nie wieder will sie sich binden – bis der sexy Thronfolger sie in seinen Bann zieht ...

LUCY KING

Das Geheimnis deiner Leidenschaft

Finn Calvert ist wie vor den Kopf gestoßen: Er hat einen Sohn, mit der zauberhaften Georgie! Der smarte Hotel-Mogul will für seine neue Familie sorgen – aber kann er Georgie wirklich vertrauen?

JACKIE ASHENDEN

Süße Stunden mit dem König

Die junge Nonne Anna soll sich um die Tochter von Adonis, König von Axios, kümmern. Adonis weckt in ihr Gefühle, die sie nie zuvor kannte: Verlangen, Lust ... Gefühle, denen sie nicht nachgeben darf!

MILLIE ADAMS

Gefährliches Spiel mit dem Millionär

Dante Fiori ist nur an beruflichem Erfolg interessiert. Gefühle sind für den Business-Tycoon tabu. Auch die Ehe mit der unscheinbaren Minerva dient dem Geschäft. Aber seine Braut ist anziehender als gedacht ...

1. KAPITEL

Er betrat das Restaurant von vorne, während die junge Backpackerin aus der Hintergasse hineingestürzt kam. In der Mitte trafen sie an der Bar aufeinander.

Oder besser gesagt: sie stieß mit ihm zusammen.

„Sorry! Tut mir leid!“, rief sie aus, als sie zurückprallte.

„Ist nichts passiert.“

Er nutzte die Gelegenheit, um den Neuankömmling zu mustern. Strahlende Augen, ein ausgeprägtes Kinn und ein Gesicht, das schmutzig von der Reise war. Ein interessantes, ausdrucksvolles Gesicht, und nicht unattraktiv. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie ihre weichen Rundungen seinem muskulösen Körper nachgaben. Ihre smaragdgrünen Augen erinnerten ihn an die Farbe eines Ozeans an einem entspannten Sommertag – genau was der heutige Tag für viele zu sein schien. Aber wann war es schon so einfach, wie es schien?

„Ich brauche unbedingt etwas zu trinken“, sagte sie keuchend. Nachdem sie sich zu ihm gedreht hatte, um sein Gesicht mit einnehmender Offenheit zu begutachten, fügte sie hinzu: „Kennen wir uns?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Bist du dir sicher?“

Er fuhr mit der Hand über seine unrasierte Wange. „Ja, relativ.“

Sie starrte ihn weiter unverwandt an und suchte ihr Gehirn offenbar nach der nötigen Information ab, warum er ihr so bekannt vorkam.

Die dadurch entstandene Pause ermöglichte es ihm, ihren Wildblumenduft in sich aufzunehmen und mehr als nur ihren süßen, nachdenklich gespitzten Mund zu bewundern. Wobei ich sie nicht gerade als süß bezeichnen würde, entschied er. Sie hatte einen entschlossenen Zug um den Mund und in ihren zusammengekniffenen Augen konnte er sehen, wie seine Gesichtszüge immer noch durch ihre innere Suchmaschine liefen.

„Ich bin mir sicher, dass ich dich irgendwoher kenne“, wiederholte sie stirnrunzelnd. „Ich weiß nur noch nicht, woher. Noch nicht“, warnte sie ihn mit einem entwaffnenden Lächeln. „Du bist hier genauso fehl am Platz wie ich und trotzdem bist du total entspannt …“

„Soso, Sherlock Holmes. Und weiter?“

„Offensichtlich gehst du öfter in schicke Lokale als ich …“

Unbeeindruckt von seinem Schweigen schaute sie sich um und sagte verblüfft: „Unglaublich – bin ich hier irgendwie im Schlaraffenland gelandet? Gibt es wirklich Leute, die mittags Champagner trinken?“

„Sieht ganz so aus.“

Als sie amüsiert die Nase kräuselte, fiel sein Blick auf ihre Sommersprossen. Sie musste sich in der Gasse hinter dem Restaurant verlaufen haben und schließlich im „Babylon“ gelandet sein, wo man mit gedämpfter Stimme Qualitätsweine beurteilte, als wäre das die Lösung aller Probleme. Die Kellner verteilten Delikatessen an ihre Gäste, denen es größtenteils egal war, was sie aßen, solange es teuer genug war, um damit anzugeben. Sie standen gerade in einem der angesagtesten Luxusrestaurants in dem wohl hipsten Jachthafen der Welt. Die Belegschaft, mutmaßte er, hatte anscheinend den Hintereingang für die Warenlieferungen offen gelassen, die ununterbrochen ankamen. Schließlich konnte kein Laden der Welt genug Essen und Trinken auf Vorrat haben, um dem Appetit der Superreichen zu genügen.

„Ich brauche Wasser und einen Job, in der Reihenfolge“, erklärte die junge Frau und sah ihn hilfesuchend an. „Hast du was für mich?“ Sie legte ihren Kopf zur Seite und betrachtete forschend sein Gesicht. Ihre smaragdfarbenen Augen strahlten Scharfsinn aus. Und ihr Mund, der sich erneut zu einem Lächeln verzog, war definitiv zum Küssen. „Vielleicht finden wir einen Job an Bord von einem dieser Riesenboote im Hafen …“ Sie hielt inne, und als er nichts erwiderte, gestand sie: „Ich habe kein Geld mehr. Diese Reise dauert länger als gedacht. Es gibt einfach zu viel zu sehen und zu wenig Zeit.“

„Wirst du irgendwo erwartet?“

„Nicht wirklich. Aber irgendwann muss ich zurück zur Arbeit – wie wir alle, oder? Ich kann doch nicht mein ganzes Leben herumreisen. Auch wenn ich das gerne würde.“ In ihre Augen mischte sich Wehmut. „Irgendwann muss ich die Reise beenden und wieder was aus meinem Leben machen.“ Ihr Blick verlor sich in der Ferne.

„Wieder?“, fragte er nach.

„Ach, du weißt schon, was ich meine“, sagte sie und machte eine sorglose Handbewegung.

„Da bin ich mir nicht so sicher. Woher kommst du eigentlich?“

„Ursprünglich aus London.“

„Wo du immer noch lebst und arbeitest?“

Sie entschied sich, nicht auf diese Frage einzugehen und ließ ihren Blick stattdessen über die Marina gleiten. „Ich liebe den Süden Frankreichs, du nicht auch?“

Ein etwas ungeschickter Versuch, das Thema zu wechseln. „Die Riviera ist einer von vielen Orten, die ich mag.“

Sein scheinbares Desinteresse ärgerte sie. „Mag? Wie kann man von ‚mögen‘ reden, wenn der Süden Frankreichs doch so offensichtlich traumhaft schön ist? Fühlst du dich hier nicht gleich tausendmal lebendiger?“ Ihr Gesicht erstrahlte und die ganze Anspannung, die er bemerkt hatte, als sie in die Bar geplatzt war, war wie weggeblasen. „Die Musik, das Essen, das warme Wetter, blauer Himmel und Sonnenschein – wie jeder klar und deutlich spricht, anstatt vor sich hinzunuscheln. Voller Zuversicht und Optimismus gehen die Leute aufrecht, anstatt sich bei grauem, kaltem Nieselwetter unter Regenmänteln zu verstecken …“

„Gutes Plädoyer“, gab er zu und ließ sich von ihrer guten Laune anstecken. „Bist du Anwältin?“

„Nein, aber ich war schon immer der Ansicht, dass ein bisschen juristisches Geschick nicht schaden kann.“

„Wie meinst du das?“

„Du weißt schon …“, murmelte sie.

„Wenn du keine Anwältin bist, bist du dann Autorin? Dein rhetorisches Geschick ließe jedenfalls darauf schließen.“

Sie lachte und wandte den Blick ab.

„Warum erkundigst du dich nicht hier nach einem Job?“, schlug er vor.

Sie strich mit der Hand über ihre zerknitterte Kleidung. „Als ob die mich nehmen würden, so wie ich aussehe. Und außerdem will ich weg, so weit wie möglich. Am liebsten aufs Meer.“

„Willst du etwa abhauen?“

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie schnell.

„Ich folge nur der Spur, die du ausgelegt hast.“

„Ich bin wohl nicht der einzige Detektiv hier. Ich sollte vielleicht besser aufpassen, was ich sonst noch so erzähle.“

„Vielleicht“, räumte er ein, während sie sich gegenseitig taxierten.

Jung, attraktiv, intelligent und nicht auf den Mund gefallen – sie war eindeutig eine willkommene Ablenkung an diesem schweren Tag.

„Ich würde vermuten, dass du nicht hier arbeitest“, urteilte sie, nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte. „Zerrissene Shorts und ein ärmelloses Shirt sprechen nicht dafür, dass du hier für einen Job als Kellner vorsprechen willst.“

„Ich?“, fragte er lachend. „Nein, ich glaube, die in der Küche würden mir nicht trauen.“

„Kofferträger vielleicht?“, spekulierte sie. „Die Muskeln dafür hast du ja.“

„Heißt das, ich habe den Job?“, scherzte er und zog eine Augenbraue hoch.

„Hättest du wohl gerne.“

Als sie lachte, traten ihre Grübchen hervor.

„Wie bist du eigentlich hier reingekommen?“, fragte sie mit einem abschätzenden Blick.

„Genauso wie du, ich bin einfach reingelaufen. Wenn du dabei selbstbewusst genug bist, wird dich erfahrungsgemäß keiner aufhalten.“

„Aber einen Job kannst du mir nicht besorgen?“

„Ich fürchte nein, sorry.“

„Du fürchtest?“, wiederholte sie skeptisch. „Ich kenne dich noch nicht mal fünf Minuten, aber das reicht mir, um zu wissen, dass du nichts fürchtest.“

Vor einiger Zeit hätte er ihr da womöglich recht gegeben. Aber jetzt, wo das Fundament, auf dem er sein Leben errichtet hatte, ins Wanken geraten war und langsam zerbrach, war er sich keiner Sache mehr sicher.

„Ich hätte wissen müssen, dass ich so einen Typen wie dich besser nicht ansprechen sollte.“

„Und trotzdem stehen wir jetzt hier.“ Mit einer demonstrativen Handgeste lehnte er sich lässig an die Wand neben der Bar.

„Nicht mehr lange“, entgegnete sie. „Ich brauche nur ein Glas Wasser, dann bin ich wieder weg. Du bist so groß, dass der Barmann dich bestimmt sehen kann.“ Sie deutete auf die Menschenmasse an dem Tresen. „Bitte“, bettelte sie. „Neben dir wirken die anderen wie Zwerge. Wenn du losgehst, wird die Menge sich teilen wie das Rote Meer. Mich würden sie noch nicht mal bemerken, wenn ich hochspringe.“

„Du schmeichelst mir.“

„Tue ich das?“, fragte sie mit weit aufgerissenen Augen. „Das war sicherlich nicht meine Absicht.“

„Okay. Warte hier.“

„Ohne etwas zu trinken gehe ich nirgendwohin“, versicherte sie.

Diese Frau lenkte ihn ab und hatte es geschafft, ihn mit nichts als einem losen Mundwerk und einem bezaubernden Lächeln aus der Reserve zu locken. Hinzukamen die spitzen Brüste. Und der stramme Hintern, der in ihren extrem kurzen Shorts bestens zur Geltung kam. Sofort stellte er sich vor, wie sie übermütig ihre Beine um seine Hüften schlang, obwohl sie die hässlichsten Stiefel trug, die er je gesehen hatte und die dazu noch alt und abgenutzt waren. Während er an der Bar wartete, drehte er sich zu ihr um. Ihr Gesicht wirkte konzentriert und verwirrt zugleich. Wahrscheinlich rattert ihr innerer Computer immer noch, in der Hoffnung, mich einordnen zu können, dachte er.

Sogar zerzaust war sie wunderschön. Auch ohne Make-up und mit Dreck im Gesicht vom Fußmarsch. Besonders ihre volle, wilde Haarpracht beeindruckte ihn. Der außergewöhnliche Kupferton erinnerte ihn an einen Sonnenuntergang am Meer. Achtlos mit ein paar Haarklammern fixiert bettelte es förmlich danach, befreit zu werden. Er stellte sich vor, mit seinen Fingern durch ihre schimmernden Locken zu fahren und ihren Kopf leicht nach hinten zu drücken, um mit seinem Mund ihren langen, schlanken Hals hinunterzuwandern. Allerdings hatte nicht nur ihr gutes Aussehen seine Aufmerksamkeit geweckt. Sie war auch charakterstark, lebhaft und um keine Antwort verlegen. Eine willkommene Abwechslung zu der Welt der Byzantiner, der er künftig angehören würde.

Im Gegensatz zu ihr wurde er tatsächlich erwartet. Bald würde er zum Fürstentum Madlena zurückkehren müssen, um nach dem Tod seines Bruders den Thron zu besteigen. Mit jedem Tag belastete ihn die Verantwortung, die damit einherging, ein bisschen mehr. Dies könnte sein letzter Ausflug mit seiner Jacht „Black Diamond“ sein, bevor die Pflicht rief und ihn endgültig seiner Freiheit beraubte. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein weiteres Erschwernis in Form einer frechen jungen Frau mit einer Unmenge an Fragen. Zweifellos würde Sex ihn entspannen, aber normalerweise suchte er sich dafür ältere, erfahrene Frauen, die wussten, was Sache war, keine Naivchen auf einer Rucksacktour durch Europa.

„Wasser! Endlich!“, rief sie theatralisch, als er ihr die beschlagene Flasche und ein Glas reichte.

Sie griff danach, und dabei streiften sich ihre Körper, was einen Aufruhr in ihm auslöste, den sie nicht zu bemerken schien, während seine Hose fast schmerzhaft spannte.

„Danke“, stieß sie aus, nachdem sie das Glas in einem Zug geleert hatte.

„Noch eins?“

„Du kannst Gedanken lesen. Aber keine Sorge, diesmal bestelle ich selbst.“

„Na dann los“, forderte er sie auf und machte Platz.

Sie zwängte sich an ihm vorbei, was ihm einen überaus guten Eindruck davon vermittelte, wie sie unter den schäbigen Klamotten aussehen musste. Seine geliebte Nonna, Prinzessin Aurelia, hätte sie als „gut gebaut“ beschrieben. Wie seine Großmutter war die junge Frau zierlich und mindestens einen Kopf kleiner als alle anderen in der Bar. Es war daher nicht verwunderlich, dass ihre wiederholten Versuche, die Aufmerksamkeit des Kellners zu erhaschen, kläglich scheiterten.

„Okay“, räumte sie schließlich ein. „Sieht so aus, als hätte ich keine andere Wahl, als erneut um deine Gunst zu buhlen. Los! Ich feuere dich auch von der Seite an – so gut das eben mit einer Kehle geht, die sich wie Schleifpapier anfühlt.“

Ihr Akzent war unverkennbar britisch und ihr Mund, mit dem fast perfekt geformten Amorbogen, extrem sexy. Sie zog ihren linken Mundwinkel hoch, sodass ein liebenswertes Grübchen zum Vorschein kam. „Beeil dich“, flehte sie ihn an und umfasste seinen Hals, als spielte sie die Hauptrolle in einem Laientheater. „Siehst du nicht, wie verzweifelt ich bin?“

„Du gehörst auf die Bühne“, kommentierte er trocken.

„Ja, um die Bretter zu schrubben.“

Dass sie ihn an einem Tag wie diesem zum Lachen bringen konnte, zeigte, dass sie eben kein wichtigtuerischer Möchtegern war. Sie wusste sich sehr wohl zu helfen. Sogar hier unter den Reichen und Schönen, wo Luxusmarken nicht nur wichtig, sondern Pflicht waren, und wo man es nie wagen würde, ein Designeroutfit zweimal zu tragen, trat sie so souverän auf, als wäre sie selbst eine Prinzessin – allerdings mit mehr Humor als die grimmigen Anwärterinnen, die auf ein Amt am königlichen Hof hofften. Außerdem könnte diese Frau mir auch viel mehr Ärger machen, überlegte er auf dem Weg zurück zu ihr. Missbilligend hatte sie ihre Lippen aufeinandergepresst, als er vor allen anderen bedient worden war.

„Ich habe nicht gesagt, dass du dich vordrängeln sollst“, wies sie ihn grinsend zurecht.

„Das habe ich auch nicht. Der Barmann ist nur supereffizient.“

„Okay. Du hast mir einen großen Gefallen getan, also danke.“

„Für die zwei Gläser Wasser musste ich wirklich tief in die Tasche greifen“, meinte er abwinkend. „Wohl kaum ein Grund, mir so zu Füßen zu liegen.“

„Träum weiter“, seufzte sie. „Na ja, manchmal braucht es eben nur ein Glas Wasser. Kennst du eigentlich alle hier?“, fügte sie hinzu, bevor sie hastig ihr Glas leerte.

„Nein. Warum?“

„Weil dich alle anstarren.“

„Vielleicht starren sie auch dich an.“ Er wandte sich dem überschicken Klientel zu, woraufhin alle ihre Köpfe wegdrehten, als hätten sie ihn nicht gesehen.

„Hm“, grübelte sie. „Das glaube ich nicht.“ In Rekordzeit trank sie das zweite Glas. „Ich stehe eindeutig in deinem Schatten.“

Das ist Ansichtssache.

„Wie dem auch sei“, mit einem erleichterten Seufzer stellte sie das leere Glas ab, „achte nicht auf diese neugierigen Angeber. Ich passe ja jetzt auf dich auf.“

„Das ist ein Witz, oder?“, fragte er.

„Das kannst du sehen, wie du willst, aber ich würde dir raten, sie einfach zu ignorieren.“

Wildes Haar ist wohl ein guter Indikator für Temperament, vermutete er. Wenn es darauf ankommt, verwandelt sie sich bestimmt in einen kleinen Terrier. Bei dieser Frau braucht man keine Angst vor einem Zuckerschock zu haben.

„So“, fuhr sie fort, ohne nach Luft zu schnappen, „sagst du mir jetzt, wer du bist? Ich meine, abgesehen davon, dass du hier die einzige Person bist, die genauso schlecht gekleidet ist wie ich?“

Dass sie beide schamlos den Dresscode missachteten, war nicht zu leugnen. Die Gäste wurden gebeten, sich zumindest den Sand vom Körper abzuwaschen, bevor sie sich zum Essen setzten – aber wer kontrollierte schon einen Adligen? Und sie war mit ihm hier.

„Ich heiße Luca“, verriet er. „Und du bist?“

„Zuerst“, sagte sie mit einem schnippischen Lächeln, „will ich wissen, wie du es geschafft hast, nicht rausgeschmissen zu werden, wenn du aussiehst, als kämst du direkt aus dem Meer.“

„Genau da kam ich auch her.“

„Okay …“ Sie zog das Wort in die Länge. „Dann vermute ich stark, dass die Sicherheitsleute und die Belegschaft es nicht wagen würden, sich mit dir anzulegen, selbst wenn sie sich zusammentun würden.“

„Wie nett.“

Sie presste ihre Lippen zusammen und grinste. „Sorry. Aber du hast mir immer noch nicht erklärt, warum du dir das erlauben kannst.“

„Vielleicht mögen die mich hier und machen eine Ausnahme?“

„Und ich bin die Kaiserin von China“, konterte sie trocken. „Der Oberkellner sieht aus wie ein Feldwebel bei der Armee. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jemanden einfach so etwas durchgehen lässt. Entweder die haben Respekt vor dir oder Angst“, mutmaßte sie. „Was von beidem ist es?“

Wahrscheinlich von beidem ein bisschen, dachte er. „Ich bin öfter hier.“

„Gehörst du etwa zur Crew von einem dieser schwimmenden Bürokomplexe?“

Luca folgte ihrem Blick zu den glänzenden Superjachten, die in einer Reihe am Kai verankert waren, und schüttelte den Kopf.

„Kein Crewmitglied“, überlegte sie, „und trotzdem scheinen dich alle zu kennen. Bist du sowas wie das kriminelle Superhirn vor Ort oder irgend so ein sagenhaft reicher Milliardär, der sich mal unters gemeine Volk mischt?“

Er hob eine Augenbraue. „Ich glaube, ich könnte beide Rollen übernehmen.“

„Das glaube ich dir. Aber nicht mit mir.“

„Hast du mal daran gedacht, dass alle dich anstarren?“

„Mich?“, fragte sie spöttisch. „Ich passe wohl kaum zum Ambiente hier. Außer ein paar abschätzigen Blicken, als ich reingekommen bin, hat mich keiner beachtet.“

„Deine Haarpracht könnte für Gesprächsstoff sorgen.“

„Oh, vielen Dank, mein Herr“, sagte sie und machte einen Knicks.

„Ist mir da gerade ein Kompliment rausgerutscht?“

Sie verzog das Gesicht, bevor sie ihn wieder ins Verhör nahm. „Die schauen definitiv nicht mich an. Und jetzt, nachdem ich was getrunken habe, ist denen klar, dass ich mich in keiner mysteriösen, verzweifelten Situation befinde, die mein Kommen rechtfertigen würde, weil ich Zuflucht in diesem Luxustempel aus Stahl und Glas gesucht habe.“

Zuflucht? „Läufst du vor irgendwas davon?“

Statt seine Frage zu beantworten, wechselte sie das Thema. „Das Problem mit Saint-Tropez ist, dass es so widersprüchlich ist. Ich war vorher noch nie hier und als ich ankam, konnte ich kaum glauben, dass die Stadt ihr bezauberndes ursprüngliches Fischerdorf-Flair beibehalten hat. Trotz der Unmenge an Megajachten und Männerspielzeugen wie den ganzen Traumautos“, erklärte sie. „Aber beides ergänzt sich wunderbar. Die französische Bourgeoisie Seite an Seite mit prunkvollem Reichtum.“

„Stört dich das?“

„Natürlich nicht. Gerade der Kontrast macht Saint-Tropez so besonders und sehenswert. Aber lenk nicht ab. Wir sprachen über dich.“

„Ich lenke ab?“, fragte Luca herausfordernd.

Sie tat seine Frage mit einem Achselzucken und einem Lachen ab. „Na komm schon – sag’s mir. Bist du prominent oder fliehst du vor dem Gesetz?“

„Weder noch.“

„Ich bin sehr gut im Herauskitzeln von Informationen. Also können Sie es mir auch gleich sagen“, warnte sie mit einem komischen Akzent.

„Hercule Poirot?“

„Ich wollte schon immer Detektiv werden“, gab sie zu und steigerte das Ganze mit einer kuriosen Grimasse. „Einem reizvollen Rätsel konnte ich noch nie widerstehen.“

„Vielleicht verstecke ich mich so wie du.“

„Ich verstecke mich nicht!“

Die Tatsache, dass sie sich so energisch verteidigte, bestärkte Luca nur in seinem Verdacht, dass sie genau das tat.

„So wie du aussiehst, passt du nicht hierher“, kommentierte sie und ließ es wie die schlimmstmögliche Beleidigung klingen. „Ich sag nur, wie’s ist“, fügte sie hinzu, als er eine Braue hob.

Manche Frauen putzten sich heraus und lächelten affektiert, wenn sie ihn trafen. Sie tat weder das eine noch das andere, sondern beobachtete ihn weiter mit zusammengekniffenen Augen, als wäre er ein faszinierendes Exemplar in einem Labor.

„Der Name Luca hilft mir nicht weiter …“

„Kannst du dich an jeden Namen erinnern?“

„Natürlich nicht, aber ich habe wirklich das Gefühl, dich zu kennen“, sagte sie stirnrunzelnd. „Na ja, egal. Jedenfalls bin ich alleine auf einer Rucksacktour durch Europa, also passe ich besser auf, mit wem ich rede. Ich denke, ich sollte jetzt mal wieder los.“

„Das musst du wissen, aber wenn du so besorgt über deine Sicherheit bist, warum hast du überhaupt ein Gespräch mit einem Fremden angefangen?“

„Du siehst vertrauenswürdig aus und machst mir keine Angst.“

„Offensichtlich“, stimmte er zu, wobei er nur schwer ein Lächeln unterdrücken konnte.

Wo war sie die letzten Monate gewesen, als sein Bild auf jeder Titelseite zu sehen gewesen war? Der tragische Tod seines Bruders war in aller Munde gewesen. Nachdem seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, hatte ihn zuerst seine Großmutter, später Pietro großgezogen. Und jetzt war dieser selbst unter dramatischen Umständen gestorben. Die Geschichte der zwei grausam auseinandergerissener Brüder, die dazu noch sehr wohlhabend und von königlicher Abstammung waren, war so sensationell gewesen, dass alle sie mitbekommen hatten.

Ihn in einem anderen Kontext zu sehen, hatte anscheinend gereicht, damit sie ihn nicht richtig zuordnen konnte. So wie er hier stand, wies er auch keinerlei Ähnlichkeit auf mit dem ernsten Mann in Uniform, der überall in der Presse zu sehen gewesen war. Die Fotos zeigten eine finster dreinblickende Person in tiefer Trauer, die auf dem Paradeplatz den Treueeid der Truppen entgegennahm. Truppen, die von nun an ihm dienen würden. Der Mann sah weder entspannt aus noch stand er lässig da. Stattdessen hatte er mit ernster Miene eine stramme Haltung angenommen, während er das Unerträgliche ertrug: dass sein geliebter Bruder nie mehr für ihn da sein würde. Die Lokale, in denen Luca hier bekannt war, wussten nur, dass er ein adliger Milliardär war. Sein riesiger Dreimaster, die Black Diamond, hatte vor der Küste geankert. Die moderne Umsetzung des traditionellen Designs sorgte immer für Kommentare, auch wenn kein wirkliches Aufheben darum gemacht wurde, da es in Saint-Tropez Milliardäre und Adlige wie Sand am Meer gab.

Die Jacht war Lucas ganzer Stolz und ermöglichte ihm die Flucht vor einer sensationsgierigen Welt. Er hatte sie vor ein paar Jahren vom Gewinn eines Technologieunternehmens erworben, das er schon in früher Jugend gegründet hatte. Es hatte schnell die Runde gemacht, dass der „Piratenprinz“ – wie er aufgrund seiner einzigartig düsteren Jacht mit den schwarzen Segeln und dem dunklen Rumpf genannt wurde – sich einen letzten Moment der Freiheit gönnte, bevor ihn ein Leben in königlicher Zurückhaltung erwartete.

„Da du keine Angst vor mir hast“, teilte er der jungen Dame mit, „ist es, glaube ich, an der Zeit, sich anständig vorzustellen.“

„Was für eine Ehre“, zog sie ihn auf und legte ihre Hand auf ihre wunderschöne Brust. „Mein Name ist Samia. Samia Smith.“

„Wie exotisch“, meinte er.

„Ich oder der Name?“ Sie musste leicht lächeln.

„Was ist, wenn ich sage, beides?“

„Etwas zu gewollt, würde ich sagen. Und das passt nicht zu dir.“

Der Name passte dagegen perfekt zu ihr. Samia war ein Bündel an Widersprüchen – einerseits entschieden optimistisch, andererseits konnte man den Schatten hinter ihren dunklen Augen nicht übersehen. „Samia“, murmelte Luca. Ihr Name glitt über seine Zunge wie warmer, süßer Honig – wahrscheinlich schmeckte sie auch so. „Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Samia Smith.“

„Ebenso“, sagte sie und schüttelte seine Hand. Einen weiteren Knicks ersparte sie ihm diesmal. Kann sie mich inzwischen doch einordnen? fragte Luca sich, während sie ihn nachdenklich mit zusammengekniffenen Augen anblickte. Und wenn ja, ändert das etwas für sie?

Vermutlich nicht.

2. KAPITEL

Samias zierliche Hand fühlte sich in seiner unverhältnismäßig klein an. Ihr Händedruck war kräftig und ihre glatte weiche Haut deutete darauf hin, dass sie nicht mit den Händen arbeitete. Wie Luca bemerkte, hatte sie es nicht eilig, ihre Hand wegzuziehen, und starrte ihm direkt in die Augen. Dies schien eindeutig keine Frau zu sein, die sich einem Mann unterwarf. Auch wenn die Schatten auf ein vergangenes Ereignis schließen ließen, aufgrund dessen sie auf der Suche nach etwas Neuem abgereist war. Der verräterische Streifen auf ihrem Ringfinger bestätigte seinen Verdacht: Wo zuvor ein Ring gewesen war, war die Haut heller.

Um Samia von dem Strom aus der Küche eilenden Kellnern wegzubugsieren, war er gezwungen, sie an den Schultern zu fassen. Unerwartet schnellte eine Hitzewelle seinen Arm empor. Auch Samia hielt hörbar die Luft an. Als sie sich einander zuwandten und ansahen, änderte sich etwas zwischen ihnen. Sie waren nicht mehr zwei Fremde, die sich in einer Bar getroffen hatten, sondern ein Mann und eine Frau mit natürlichen Bedürfnissen. Die Ader an ihrem Hals pulsierte heftig und ihre Augen waren fast komplett schwarz, mit nur einem dünnen smaragdgrünen Rand um die erweiterten Pupillen. Einige der Gäste hatten die Spannung in der Luft mitbekommen und tuschelten, weshalb er sie in eine dunkle Ecke schob, wo sie unbeobachtet waren.

„Willst du nicht mit mir gesehen werden?“, zog sie ihn auf und lachte„Ich will nur nicht, dass wir der Bedienung im Weg stehen.“

Natürlich gab es einen anderen Grund. Heutzutage war jeder Besitzer eines Smartphones ein potenzieller Paparazzo und Aufnahmen des Piratenprinzen waren gutes Geld wert. Umso mehr, wenn besagter Prinz gerade dabei zu sein schien, sich in ein neues Liebesabenteuer zu stürzen. Er wollte nicht, dass seine Landsleute das sahen. Schließlich hatte es genug Aufruhr gegeben, sodass sie wahrscheinlich schon den Tag fürchteten, an dem Prinz Pietros böser Bruder zurück nach Hause zur Thronbesteigung kam.

„Was verschlägt dich nach Saint-Tropez?“, fragte er Samia. Sobald sie sich unbeobachtet fühlte, war zu erkennen, dass mehr als ein Rucksack auf ihren Schultern zu lasten schien.

„Dank des Filmstars Brigitte Bardot, die gerade mal achtzehn war, als sie in den 50ern den gefährlich gut aussehenden Roger Vadim heiratete, wohnt dem Namen Saint-Tropez ein Zauber inne. Das war vor meiner Geburt und trotzdem weiß jeder, wie sie Ruhm in ein kleines Fischerdorf im Süden Frankreichs brachte. Wer kann so einer Geschichte widerstehen?“

„Ich“, entfuhr es ihm. „Ich sehe hier nichts als eine belebte, erfolgreiche Stadt.“

„Du bist ein Realist.“

„Und du eine Romantikerin.“

„Hast du ein Problem damit?“

„Noch nicht mal fünf Jahre nach der Hochzeit hat sich dein Traumpaar scheiden lassen.“

„Musst du alles kaputt machen?“, schimpfte sie. „Warum kannst du nicht sehen, wie glücklich sie waren?“

„Weil ich, wie du schon bemerkt hast, ein Realist bin.“ Der die Gesellschaft dieser Frau sehr genoss. „Und dein Liebesleben?“

„Können wir bitte beim Thema bleiben?“

Ihr Ausdruck veränderte sich. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht und das Verträumte aus den Augen. Sie sah fast ängstlich aus. „In welches Wespennest habe ich da gestochen?“, fragte er und nagelte sie mit seinem scharfen Blick fest.

„Ich habe Hunger und Durst.“

Er glaubte ihr keine Sekunde, doch da sie sich erst fünf Minuten kannten, war es zu früh für wahre Bekenntnisse. „Wie lange hast du für die Planung der Reise gebraucht?“

„Das war eine spontane Entscheidung.“

„Wer braucht hin und wieder keine Auszeit?“ Er würde mehr über sie herausfinden, wenn er ihr Zeit ließ.

„Ich gehe einfach dorthin, wohin der Wind mich weht.“

Auch das glaubte er ihr nicht. Jeder hatte Pläne. Als sie flüchtig zur Tür blickte, durch die sie gekommen war, fragte er sich, wovor sie weglief … oder vor wem, und ob der Abdruck des Rings dabei eine Rolle spielte. Obwohl sie es gut überspielte, wirkte sie nervös und erinnerte ihn an eines seiner überempfindlichen Poloponys: stets loyal, stets bemüht und stets bereit, durchzugehen. Hinter Samias einnehmender Persönlichkeit versteckte sich eine Geschichte und er wollte wissen, welche.

„Du planst also alles, was du machst?“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Wenn das so ist, wieso sollte ich dir dann glauben, dass du zufällig und ohne Grund hier an der Bar rumstehst?“

Würde er ihr erzählen, dass er hier den Mann treffen wollte, der das Kind seines toten Bruders adoptiert hatte, würde sie ihm glauben? Sowohl die von Pietro gewählte Leihmutter als auch ihr Mann wollten Luca nur wissen lassen, dass sein Neffe behütet und geliebt wurde und sie niemals Anspruch auf den Thron von Madlena erheben würden.

„Warum auch?“ hatte Maria, die Mutter des Kindes, gefragt. Welcher normale Mensch wäre gern freiwillig Teil der Königsfamilie?

Gute Frage, hatte er damals gedacht, zumal er die Einschränkungen, die dem Kind drohten, nur zu gut kannte.

Maria hatte ihren Beschluss erklärt, die Leihmutterschaft nicht durchzuziehen und seinen Bruder vor dessen Tod davon in Kenntnis gesetzt. Ihr Mann war voll und ganz auf ihrer Seite. Es war ihr Kind und brauchte keine Verbindung zum Königshaus, um ein besseres Leben zu haben. Was Luca am meisten verletzt hatte, war, dass Pietro seine Sehnsucht nach einer Familie nicht mit ihm geteilt hatte und er machte sich Vorwürfe, fortgegangen zu sein und seinen Bruder allein gelassen zu haben. Das Einzige, was er jetzt noch für Pietro tun konnte, war, sein Geheimnis zu hüten. Die Bewohner von Madlena brauchten Sicherheit und nicht noch mehr Unruhe. „Ich bin hier, um eine Familienangelegenheit zu klären.“

„Ich glaube, insgeheim bist du doch ein bisschen romantisch“, bemerkte sie mit einem warmen Lächeln. „Familie ist, oder sollte es zumindest sein, das Wichtigste.“

Ihre Stimme klang etwas wehmütig. „Für mich ist sie das“, bestätigte er und wurde noch neugieriger auf ihre Vorgeschichte.

„Bist du weit weg von zu Hause? Deinem Akzent nach zu urteilen, bist du kein Franzose.“

„Ich bin doch hierher gesegelt, ich könnte also von überall herkommen. Vermutlich haben meine Stimme und mein Name mich verraten?“

„Eher der Klang deiner Stimme“, sagte sie mit halbgeschlossenen Augen. „Aber lenk nicht ab. Das mache ich auch immer, wenn ich bestimmte Fragen nicht beantworten will.“ Sie riss ihre Augen auf und durchbohrte ihn mit ihrem Blick.

„Verstehe“, sagte er mit wachsendem Interesse.

„Ich sag jetzt gar nichts mehr.“ Sie lehnte sich neben ihn an die Wand.

„Versprochen?“

Sie drehte den Kopf zu ihm. „Mal sehen …“

Dass sie sich immer noch unterhielten, grenzte an ein Wunder. Seit Pietros Tod hatte er für nichts und niemanden Geduld. Die Tatsache, dass sein Bruder sich so sehr eine Familie gewünscht und Luca nichts davon gesagt hatte, hatte seine egoistische Welt ins Wanken gebracht. Wie hatte er nur so auf sich fixiert sein können, um Pietros Traurigkeit nicht zu bemerken? Er musste noch viel lernen, wenn er sein Land nicht so im Stich lassen wollte wie Pietro.

„Wo geht’s als nächstes hin?“

„Ich dachte, du hättest versprochen, nichts mehr zu sagen?“

„Das galt doch nicht für immer und du siehst aus, als könntest du Ablenkung gebrauchen.“

Unwillkürlich musste er lächeln. Samia schaffte es, dass er die Dinge nicht so ernst nahm. Und sie küssen wollte, um das freche Mundwerk zum Schweigen zu bringen.

„Segelst du bald wieder nach Hause?“

Zuhause war für ihn entweder die Segeljacht oder eine Schlafkoje in einer spartanischen Kaserne. Ein prunkvoller Palast, in dem er von vorne bis hinten bedient wurde, entsprach nicht gerade seiner Idealvorstellung. So hatte jedoch sein Bruder gelebt, währen Luca Madlenas Armee beigetreten war, wo er seinem Volk am besten dienen konnte. Niemals hatte er gedacht, dass der Abschied von Pietro so endgültig wäre.

„Du siehst traurig und wütend zugleich aus“, bemerkte Samia stirnrunzelnd. „Ist das meine Schuld? Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Ich bin nicht traurig.“

„Das freut mich. Italiener zu sein ist ja auch Grund zur Freude.“

Einerseits wäre er gerne gegangen und hätte ihrer Begegnung ein Ende gesetzt, andererseits wollte er bleiben, damit Samia ihn von den Erinnerungen an seinen Bruder ablenkte, die ihn verrückt zu machen drohten. Als seine Großmutter Witwe geworden und fortgegangen war, um ihr eigenes Leben zu leben, hatte Pietro ihn großgezogen und sich um ihn gekümmert. Und wo war er gewesen, als Pietro ihn so dringend gebraucht hatte?

„Die leckere Pasta …“

„Was?“ Sein Tonfall war harsch. Samias Eindringen in seinen tiefvergrabenen Kummer hatte ihn aufgerüttelt. Nudeln? Aus all den Dingen, die man mit Italien verbindet – Kunst, Musik, Architektur und die atemberaubende Landschaft – hatte sie in ihrer einzigartig unbefangenen Art einen Teller Nudeln gewählt. Entrüstet schüttelte er den Kopf.

„ Na also, geht doch. So schlimm ist es nicht. Ich wette, du bist genauso hungrig wie ich.“

„Hast du Hunger?“

„Was denkst du denn? Aber ich habe nicht genug Geld und selbst wenn, kriegen wir hier nichts zu essen. Selbst der Oberkellner könnte beim besten Willen keinen freien Tisch für uns finden.“

Er widersprach ihr nicht, auch wenn er für einen Tisch nur mit dem Finger schnippen musste.

„Wir sind aufgeschmissen“, stellte sie fest.

„Wir?“

„Natürlich wir. Ich habe Hunger und du bestimmt auch nach dem Schwimmen.“

Gut, Appetit hatte er schon und das nicht nur aufs Essen.

„Burger?“, schlug sie vor.

Er folgte ihrem Blick Richtung Promenade, wo praktischerweise ein Burger-Stand im Schatten zu sehen war.

Das Klingeln seines Handys lenkte ihn vorübergehend ab und er sah, dass es sich um eine Nachricht seines Privatsekretärs in Madlena handelte. Eine Dispatch Box, diese unverzichtbare königliche Truhe, die essenzielle staatliche Dokumente transportiert, würde ihm an Bord der Black Diamond zur Prüfung vorgelegt.

Er schrieb zurück.

Ich hätte gerne Informationen zu einem anderen Thema bzw. einer anderen Person.

Nur die Eckdaten, fügte er hinzu, nachdem er Samias Namen getippt hatte.

„Fertig?“, fragte sie mit einem leicht missbilligenden Blick, bevor er das Handy wieder einsteckte.

„Immer was zu tun.“

„Du Armer“, sagte sie, während er sich dem Ausgang zuwandte.

„Was ist, kommst du jetzt?“

Achselzuckend zögerte sie. „Ich kenne dich gar nicht. Vielleicht sollte ich lieber abhauen.“

„Das kannst nur du entscheiden. Hast du jetzt Hunger oder nicht?“

„Ja, aber …“

„Aber was?“, fragte er ungeduldig.

„Wenn ich mitkomme, musst du das annehmen.“

Er starrte auf den Zehn-Euro-Schein, den sie in seine Hand drückte.

„Ich weiß, wie teuer diese Stadt ist. Ein guter Ort, um auf dem Laufenden zu sein, aber nicht zum Essengehen.“

„Du bist nicht von der Zeitung, oder?“

Sie lachte. „Warum? Hast du etwas zu verbergen?“

„Und du?“

Lächelnd sah sie ihn von der Seite an. Die Alarmglocken begannen, laut und deutlich zu klingeln. Doch ein primitives Verlangen hatte sie ausgeblendet. Im Laufe der Unterhaltung waren sie sich näher gekommen – so nah, dass er sowohl ihren Wildblumenduft als auch ihre Körperwärme wahrnahm.

„Ich verstehe nicht, warum du so ernst aussiehst. In Saint-Tropez kann man nur gute Laune haben.“

Und trotzdem hast du diese Schatten in den Augen, dachte er, als sie weiterredete: „Strahlend blauer Himmel und die Sonne scheint. Was ist das Problem?“

„Eine Frau, die pausenlos Fragen stellt?“

Lachend schwang sie ihren sperrigen Rucksack auf die Schulter und nahm dabei fast ein paar Betrunkene mit, die dies zum Glück nicht mehr mitbekamen.

„Segeln ist nicht nur Arbeit für dich, oder?“ Mutig zwängte sie sich an den überfüllten Tischen vorbei.

Er sah nach draußen zur ruhigen Bucht, die in der späten Nachmittagshitze wie eine tiefblaue Scheibe mit silbernen Tupfern schimmerte und erinnerte sich an lange, stille Nächte auf See unter einem schwarzblauen Sternenhimmel und an verrückte, windige Sommertage, an denen Delfine mit dem Schiff um die Wette schwammen. „Nein, Segeln bedeutet nicht nur Arbeit für mich.“

„Kein Wunder, dass alle dich anstarren“, bemerkte sie beim Hinausgehen. „Die sind alle neidisch, so wie ich. Was für ein wundervolles Leben, an Bord einer Jacht zu arbeiten. Liegt die Jacht, auf der du arbeitest, im Hafen? Kannst du sie mir zeigen?“

„Sie liegt auf dem Meer.“

„Oh.“ Sie klang enttäuscht. „Welche ist es denn?“ Sie schirmte die Augen ab und folgte seinem Blick. „Das ist ein Scherz, oder? Du arbeitest auf der Black Diamond? Alle in der Stadt sprechen darüber. Ist das nicht eine der größten Segeljachten?“

„Es ist die größte.“

„Ich habe einen Artikel darüber gelesen. Wenn du mir einen Job an Bord besorgen könntest, würdest du mir einen Traum erfüllen.“

„Ich kann ein gutes Wort für dich einlegen.“ Das war gar keine schlechte Idee. Samia war genau die Ablenkung, die er brauchte, bevor ihn die Pflicht rief.

„Ich bin beeindruckt. Alle anderen Jachten sind bis einen Zentimeter vor der Freibordmarke weiß geschrubbt und du segelst auf des Teufels eigenem Gefährt. Wie gut, dass du nicht auf einem dieser schwimmenden Bürokomplexe arbeitest. Ein Piratenschiff passt eher zu dir. Dir fehlt nur der Ohrring und ein Papagei auf der Schulter.“ Sie sahen sich lachend an.

Lasset die Spiele beginnen, dachte er.

3. KAPITEL

„Wie bist du vom Schiff aufs Land gekommen?“, fragte Samia stirnrunzelnd.

Luca zuckte die Achseln. „Geschwommen.“

Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. „Das würde den Sand auf deiner Haut erklären.“

„Du bist ja eine richtige Detektivin.“

„Ich bin nur neugierig, wie du vom hohen Deck ins Meer gekommen bist. Für einen Sprung ist das doch viel zu hoch.“

„Am Hinterschiff haben wir ein Deck mit Jetskis und Motorbooten.“

„Wir?“, wiederholte sie sofort. „Weiß der Besitzer, wie freizügig du mit seinem Eigentum umgehst? Irgendwie habe ich das Gefühl, ich weiß, wer er ist. Hab gelesen, dass er Milliarden im Technologiebereich verdient, Beziehungen zum Königshaus und einen Ruf hat, dass sich einem die Zehennägel aufstellen …“ Sie sah ihn abschätzend an. „Du bist also kein Kneipenhocker, sondern ein superfittes Crewmitglied einer sagenhaften Jacht. Und kannst mir vielleicht sogar einen Job dort besorgen“, ergänzte sie mit einem bestechenden Lächeln.

Luca verzog leicht den Mund. Wenn seine Augen nicht so berechnend aussähen, könnte man meinen, er lächle. Sie selbst bemühte sich entschieden, fröhlich auszusehen, sodass ihre Gesichtsmuskeln bereits schmerzten. Wer wollte schon eine erschöpfte Frau einstellen?

„Bitte sag deinem Arbeitgeber, dass ich alles dafür tun würde – fast alles“, fügte sie schnell hinzu. „Wenn du mir ein Vorstellungsgespräch organisierst, werde ich dich nicht enttäuschen.“

Eine riesengroße Welle der Erleichterung durchflutete ihren Körper, als Luca zustimmte. Ohne nachzudenken stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Nicht die beste Entscheidung, stellte sie mit einem Blick in seine Augen fest. Sie spielte nicht mit dem Feuer, sie lief mitten hinein. Anstatt ihr Herz dem Erstbesten zu schenken, der ihr einen Gefallen tat, sollte sie es besser beschützen.

Zuerst überkam ihn das starke Verlangen, sie zurückzuküssen. Was natürlich hier in der der Lobby von Saint-Tropez’ hipster Bar, und gleichzeitig Klatschzentrale, eine Schnapsidee war, aber Samias Küsschen war ebenso überraschend wie angenehm. Verglichen mit seinem muskulösen Körper fühlte sie sich so weich und warm an und roch so gut. Er wünschte sich nichts sehnlicher als die Schatten in ihren Augen wegzuküssen. Sosehr ihr schräger Sinn für Humor ihn aufheiterte, so sehr beschäftigte ihn die Verzweiflung hinter ihrer Unbeschwertheit.

An Bord wäre sie eine willkommene Ablenkung von der hässlichen Stimme in seinem Kopf, die ihm einredete, er habe seinen Bruder hängengelassen. Die Welt hatte in Pietro einen mehr als würdigen Thronerben gesehen, während Luca, dunkel und mysteriös, nur die rebellische Notlösung war. Ihm wurde nachgesagt, er führe ein gefährliches Leben – er sah nicht nur wie ein Pirat aus und segelte wie einer, sondern hangelte sich durch zahlreiche Affären, wenn man der Skandalpresse Glauben schenkte. Bevor er sein Volk überzeugen konnte, dass er nicht der teuflische Bruder vom heiligen Pietro war, erwartete ihn eine Menge Arbeit.

An der Tür rempelte ihn Samia mit ihrem wuchtigen Rucksack an.

„Hände weg!“, befahl sie, als er ihn ihr abnehmen wollte. „Das ist ein extrem wertvoller Modeartikel.“

„In welchem Universum?“

„Da ist mein ganzes Hab und Gut drin …“

Ihre belustigten grünen Augen konnten über den Schatten in ihren Augen nicht hinwegtäuschen. Entweder sorgte sie für einen amüsanten Abschluss seiner Reise oder sie endete mit einem totalen Flop. So oder so würde er an Bord der Black Diamond nach Hause segeln.

„Da wäre nur noch eine Sache“, sagte sie, als der Türsteher auf sie zukam. Luca stöhnte theatralisch auf. „Ich nehme nur legale und seriöse Jobs an.“

„Selbstverständlich. Wofür hältst du mich?“

„Das weiß ich noch nicht.“

In dem Moment stieß der Türsteher in Livree, der Luca sofort erkannte, die Tür weit auf. „Principe!“, rief er mit einer tiefen Verbeugung. „Welche Ehre!“

„Principe?“ Die Luft entwich ihren Lungen.

Wie unter Schockstarre sah sie Luca an, bis der Groschen fiel.

„Ja, natürlich … Ich habe doch gesagt, dass ich dich kenne. Du arbeitest nicht auf der Black Diamond, sie gehört dir. Du bist Luca Fortebracci, Madlenas Thronerbe, nachdem dein Bruder so tragisch …“ Sie bemerkte Lucas Gesichtsausdruck. „Es tut mir so leid. Wie ungeschickt von mir. Ich bin es nicht mehr gewohnt, Menschen um mich zu haben, doch das ist auch keine Entschuldigung. Ich hätte nachdenken sollen, bevor ich den Mund aufmache. Du musst mich für schrecklich unsensibel halten.“

„Wieso denn das?“

Trotz der Frage war Lucas Stimme erschreckend kalt und abgehackt, sodass sie sich auf Schlimmeres gefasst machte, als er fortfuhr: „Wer bist du eigentlich, dass du mir dein Mitleid aussprichst? Kennst du mich etwa? Kanntest du meinen Bruder?“

Innerhalb kürzester Zeit hatte sich der entspannte sexy Typ von der Bar in einen kühlen, distanzierten Prinzen verwandelt.

„Wir stehen im Weg“, bemerkte er.

Der Arme! Seine Trauer war noch frisch und sie hatte Salz in die Wunde gestreut. „Es tut mir wirklich leid. Wenn du keine Lust mehr auf mich hast, gehe ich besser.“

Luca hielt ihren Arm fest. Sofort verstand sie, warum er wegwollte. Diejenigen, die Zeugen der kleinen Szene geworden waren, versuchten heimlich, den Moment auf ihren Handys festzuhalten.

„Komm“, zischte Luca. „Lass uns abhauen.“

Sie wusste, wie es war, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. In ihrem Fall war der Skandal jedoch schnell in Vergessenheit geraten und ein anderer hatte im Blitzlichtgewitter gestanden – Mitglieder des Königshauses kamen nicht so glimpflich davon.

„Ich weiß, wie wichtig dir Verschwiegenheit ist und dass es auf der Jacht ruhig und gesittet zugehen muss, aber überleg es dir bitte trotzdem mit dem Job. Ich brauche ihn wirklich. Ich werde so hart ich kann arbeiten und du wirst mich gar nicht bemerken.“

Mitten auf dem Gehweg blieb Luca stehen, sah sie prüfend an und bedeutete ihr schließlich mit dem Kinn weiterzugehen.

Sollte sie mitgehen oder nicht? Ein Blick nach hinten half ihr bei der Entscheidung.

Indem sie den Tod seines Bruders erwähnt hatte, hatte sie einen Nerv getroffen, doch Luca war bewusst, dass sie nichts für seine Schuldgefühle konnte.

Immerhin schien es für sie keinen Unterschied zu machen, dass er ein Prinz war, noch dazu einer mit einem abenteuerlichen Ruf. Außerdem war sie zweifelsohne eine willkommene Abwechslung zu den einfältigen Prinzessinnen und verwöhnten Stars.

„Hey, pass auf!“, schrie er. Fast war sie unter einen vorbeifahrenden Bus geraten. „Das eben muss ein Schock für dich gewesen sein, aber deswegen muss man sich nicht gleich vor einen Bus werfen.“

Abwägend schaute sie ihn an und lachte schließlich. „Und ich dachte, der alte Luca hätte sich vorhin für immer verabschiedet – willkommen zurück!“

Lachend schnaubte er und blickte hinunter in ihr herzförmiges Gesicht.

Als sie an einem Burger-Stand vorbeikamen, fragte sie: „Ist das auch gut genug für einen Prinzen?“

„Ausgehend davon, dass ein voller Mund dich von weiteren frechen Bemerkungen abhalten wird, würde ich sagen, besser geht’s nicht.“

Das rebellische Funkeln in ihren Augen versprach, dass die Zeit mit ihr alles andere als langweilig würde. Was war mit seinem vielgepriesenen Schutzschild passiert? Dahin. Nachdem er Samias Burger bezahlt hatte, sah er ihr dabei zu, wie sie sich Ketchup von den Fingern leckte.

„Also, was weißt du über mich?“, lenkte er ab, um nicht daran zu denken, dass er insgeheim lieber etwas anderes mit dieser Frau täte, als Burger zu essen.

„Sehr wenig. Nur das, was ich in der Presse gelesen habe.“

„Du hast erwähnt, dass du seit einer Weile von der Bildfläche verschwunden bist. Wegen der Reise?“

Sie nickte kurz.

„Ich hatte auf eine ausführlichere Antwort gehofft.“

Mit zusammengepressten Lippen schwieg sie, aber ihre Augen sagten deutlich: Lass mich in Ruhe!

Ihm gefiel, dass sie ihm die Stirn bot. Sein Blick fiel auf die Black Diamond und wie gelassen sie scheinbar auf dem ruhigen Ozean schwamm und er dachte an die gefährlichen Strömungen, die unter der Oberfläche lauerten. Segeln war eine gute Metapher für das Leben. Er kannte diese Frau nicht und konnte nicht wissen, ob sie ihn vielleicht verletzen würde.

„Willst du mal abbeißen?“ Sie hielt ihm den fettigen Burger hin.

In Gedanken sah er die Bordküche der Black Diamond vor sich, wo ihm sein Michelin-Sternekoch verlockende Delikatessen zubereiten würde. „Nein, danke.“

„Entspricht nicht deinen königlichen Ansprüchen?“

Er sah sie an und dachte dann an den Fraß, den er während seiner Zeit in der Armee essen musste. „Ich habe einen gesunden Appetit und ein Happen reicht nicht, um meinen Hunger zu stillen.“

Die Röte schoss ihr in die Wangen, was sie zu überspielen versuchte, indem sie ihm versicherte, das nicht zu vergessen, sofern er ihr einen Job in der Küche besorgte.

Oder in seinem Bett.

„Sobald du dich an Bord eingerichtet hast, teste ich, was du kannst.“

„Mich einrichten?“ Mit einem Stirnrunzeln legte sie den Kopf in den Nacken. „Was denkst du, ist in diesem Rucksack? Ich bin nicht Mary Poppins. Wenn ich eine Uniform bekomme, verdoppelt sich die Anzahl meiner Outfits. Kriege ich eine?“

Unmittelbar stellte er sie sich in den verschiedensten Aufmachungen vor. „Erstmal nicht.“

Sie erheiterte ihn, gestand er sich im Stillen ein, und das hatte bisher nur seine geliebte Nonna geschafft. Ein besserer Gemütszustand war gut für ihn und letztendlich auch für sein Volk. Ihre Art amüsierte ihn und ihr schneller Verstand hielt ihn auf Trab. Entweder sie würde ihm tierisch auf die Nerven fallen – dann würde sie die Jacht am nächsten Hafen verlassen – oder sie landeten zusammen in der Kiste.

„Segeln wir direkt nach Madlena?“, fragte sie, als könnte sie Gedanken lesen.

„Weiß ich noch nicht.“ Sie näherten sich seinem Privatdock.

„Musst du nicht zur Thronbesteigung in ein paar Wochen zurück sein?“

Seine Nackenhaare sträubten sich. Er wollte nicht daran erinnert werden, dass er seine momentane Freiheit bald gegen Fußfesseln eintauschen musste. „Was geht dich das an?“

„Ganz ruhig. Ich versuche nur, mir einen Überblick über deinen Terminkalender zu verschaffen.“

Eventuell müsste er drastische Planänderungen vornehmen, falls ein Intermezzo mit ihr dazwischen kam. „Vielleicht machen wir einen kleinen Umweg.“

„Wir?“

„Die Crew und ich.“

Die Fortebracci-Dynastie würde eben etwas länger darauf warten müssen, dass ihr künftiger Prinz an einer herzlosen Allianz mit einer zickigen Prinzessin feilte. Zeit mit einer Frau zu verbringen, die ihm Paroli bot, erschien ihm dagegen viel reizvoller.

4. KAPITEL

Samia drehte sich der Kopf. Was hatte sie getan? Wohin ging die Reise? Und mit wem?

Luca ist ein Prinz?

Ihre Gedanken rasten und ihr Herz schlug wie wild, während ihr abwechselnd heiß und kalt wurde. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. In Wahrheit war sie jedoch besorgt um ihre Sicherheit und auch um ihr Herz, das eindeutig auf Luca reagierte. In seiner Nähe war es ihr unmöglich, nichts zu fühlen. Und wie würde er reagieren, wenn er herausfand, was sie beruflich machte? Sie brauchte den Job und sie würde lügen, wenn sie behauptete, die Story würde sie nicht reizen. Wie konnten zwei sich nahestehende Brüder so verschieden sein – der eine ein Heiliger, der andere ein Sünder? Sicherlich lag die Wahrheit irgendwo dazwischen. Keine Frage, Luca war komplex, aber war er so düster, wie er von allen gezeichnet wurde?

„Zweifelst du?“, erriet er, als sie das Dock erreichten und respektvoll von den Wächtern begrüßt wurden. „Jetzt kannst du dich noch umentscheiden …“

„Nein, alles gut.“ Was auch immer sie über Luca mitbekam, sie würde es für sich behalten. Details über sein Privatleben preiszugeben, wäre hinterhältig und unehrlich. Da er ihr Herz nicht wollte, war es auch nicht bedroht, und so würde er nie erfahren, wie schlecht im Bett sie war, was ihr Ex immer behauptet hatte.

„Nichts Schlimmes hoffentlich?“, fragte sie, als Luca wegen einer Nachricht auf dem Handy die Stirn runzelte.

Er brummte nur kurz, doch sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Vielleicht war ihre Entscheidung mitzukommen voreilig gewesen.

An Bord angekommen, würde sie ihre Gedanken ordnen. Hinter der gleichgültigen Fassade litt sie immer noch unter den Folgen der Beziehung zu diesem Tyrann. Ja, sie hatte Angst vor ihm … und vor seinen Möglichkeiten. Die Scheidung hatte sie nicht wie erhofft voneinander getrennt, sondern ihn nur rachsüchtiger gemacht. Auf der Jacht wäre sie erstmal sicher. Außerdem würde sie sehen, wie die Superreichen leben, und könnte eines Tages darüber schreiben, ohne Luca dabei explizit zu erwähnen.

„Bringt uns ein Boot zur Jacht?“, erkundigte sie sich und bewunderte staunend den luxuriös ausgestatteten Wartebereich, wo Pagen in Livree Häppchen und Champagner servierten.

„Gefällt’s dir hier nicht?“ Luca musste sie nur anschauen und schon spürte sie ein Verlangen, wie lange nicht mehr. Der Vergangenheit zu entkommen, war das Licht am Ende des Tunnels und sie wollte unbedingt dort ankommen und eine bessere Zukunft schaffen. „Ein Mineralwasser wäre toll.“ Noch toller wäre ein kühler Kopf.

Schlagartig wurde ihr bewusst, dass eine neue Anstellung auf der Jacht kaum zu den Prioritäten eines Prinzen gehörte. Während sich ihr Magen vor Enttäuschung zusammenzog, ging Luca wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Beide wollten unbedingt an Bord, aus unterschiedlichen Gründen. Sie freute sich auf eine Fortsetzung des Kennenlernens, wohingegen er sich einer Tätigkeit widmete, die er liebte, mit einem unvorstellbar verschwenderischen Lifestyle, der ihn definierte. Werd erwachsen. Wach auf. Wenn sie Glück hatte, bekam sie den Job und würde ihn im Vorbeigehen sehen.

Aber sie konnte nicht anders. Hatte sie noch nie gekonnt. Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie sei Fragen stellend zur Welt gekommen. „Also, Madlena …?“

„Ich beantworte deine Fragen an Bord.“

Luca war kurz angebunden, als wollte er jede weitere Unterhaltung vermeiden. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Er war ein Prinz.

Ein Prinz in Trauer.

Ihm gehörte die Jacht.

Die er bald nur begrenzt nutzen kann.

Im besten Fall wäre sie ein einfaches Crewmitglied.

Aber ich kann ihm trotzdem helfen.

Und wie?

Ich werde einen Weg finden.

„Keine Fragen mehr, ich hab’s mir anders überlegt.“

Betreten stutzte sie und erinnerte sich dann, wie die Presse ihn verfolgt hatte. Sein Maß an Fragen war voll. Als der Tod Prinz Pietros bekannt wurde, war die Presse einstimmig gegen die Amtsübernahme des Piratenprinzen. Sie musste zugeben, dass es fast unmöglich war, seinen Ruf wiederherzustellen. Konnte sie ihm trotzdem dabei helfen? Wohl kaum. Ihr war jegliches Ansehen in der Pressewelt abhandengekommen, als sie den Medienmogul geheiratet hatte, dem die Zeitung gehörte, für die sie schrieb. Dieser hatte keine Schikane ungenutzt gelassen, damit sie schrieb, was er wollte. Nach dem Selbstmord ihrer Mutter, als sie gedacht hatte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, hatte er ihr gedroht, das Leben ihres Vaters zu ruinieren. Sie hätte alles getan, um ihrem Vater weiteren Kummer zu ersparen und das war ihr auch gelungen.

„Wenn wir an Bord gehen, musst du deine Stiefel ausziehen.“

„Ja, natürlich.“ Am liebsten hätte sie Luca für diese stinknormale Aussage geküsst. Er war in Reichweite stehen geblieben. Beinahe berührten sich ihre Hände und Oberschenkel. Luca war so unglaublich maskulin, dass ihr Körper sofort reagierte. Seine Autorität war anders als die ihres Ex-Mannes, der sie nur unterdrückt hatte. Der Sex war brutal und schnell gewesen, sodass Samia jedes Mal davor graute. Im Gegensatz dazu vermittelte Luca ihr ein Gefühl der Freiheit und seine zügellose Männlichkeit erfüllte sie mit dem Wunsch, von seinen geschickten Händen sanft berührt zu werden.

Vielleicht habe ich doch eine klitzekleine Chance bei ihm, überlegte sie, als Luca ihren Blick interessiert erwiderte.

„Endlich“, rief er bei der Ankunft des glänzend schwarzen Motorboots am Dock.

Ein Risiko einzugehen hatte sich noch nie so aufregend angefühlt. Eine mittellose heruntergekommene Nomadin ohne Arbeit und Zuhause, dafür mit einer erdrückenden Vergangenheit, hatte einen Platz auf der Jacht eines Milliardärs ergattert.

Während Luca seinen Männern dabei half, die Leinen festzumachen und die Fender zum Schutz vor Kratzern vom Boot zu werfen, nutzte sie die Zeit für Recherchen auf dem Handy. Was sie dabei über Luca Fortebraccis Vorgeschichte erfuhr, machte sie noch neugieriger. Er schien ein freizügiger Liebhaber zu sein, der nie etwas Ernstes eingegangen war, und war fast durch Zufall Unternehmer geworden, dessen globales Geschäft in seinem Kinderzimmer begonnen hatte. Was auch immer die Presse über ihn schrieb – oder er selbst über sich dachte – man sah ihn in Madlena als Nationalhelden – warum widerstrebte ihm dann die Rückkehr? Trotz des Reichtums und Erfolgs war er eher ein Einzelgänger und nur seine Großmutter, die er so häufig zitierte, schien ihm noch wichtig zu sein.

„Bereit?“, fragte er.

Nur ein Schritt trennte sie davon, in seine Welt überzutreten. Zeit, sich einen Ruck zu geben und offen für die Zukunft zu sein.

Nicht so hastig, warnte ihre innere Stimme. Wenn du Glück hast, kannst du auf der Black Diamond arbeiten. Luca ist dann dein Chef und hat Besseres zu tun, als sich mit so jemandem Unbedeutenden wie dir abzugeben. Allerdings kannst du endlich aus dem Schatten deines Ex treten und ein neues Leben beginnen.

Und nebenbei ein bisschen mehr über Luca herausfinden. Angenommen ihre innere Stimme hatte recht und sie sah ihn nicht mehr, konnte sie eigentlich erleichtert sein, ihn im Bett nicht enttäuschen zu müssen. Alles über eine Geschäftsbeziehung hinaus führte nur zu Komplikationen.

Sollte ich mich nicht lieber vor starken Männern in Acht nehmen?

Sie warf einen letzten Blick über den Strand – spielende Kinder mit ihren Eltern, die an Getränken nippten – doch bald würde sie die gewohnten Bilder weit hinter sich lassen.

„Sobald wir an Bord sind, stelle ich dir ein Boot zur Verfügung, falls du deine Meinung änderst.“

Konnte er ihre Gedanken lesen? Er musste ihr die Besorgnis angesehen haben.

„Wir haben Wi-Fi.“ Zwischen Kai und Motorboot wurde eine Gangway befestigt. „Solltest du keinen Empfang haben, gibt es Satellitentelefone. Warum rufst du nicht deine Eltern an, um Bescheid zu sagen?“

„Meine Mutter ist tot.“ Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund. Die Worte waren ihr einfach so herausgerutscht. „Tut mir leid. Du hältst mich bestimmt für rücksichtslos.“

„Warum sollte ich? Mein herzliches Beileid.“ Er blickte finster drein.

„Ja, ebenso herzliches Beileid“, sagte sie. Seine Miene war wieder undurchdringlich geworden. Beide hatten Tragödien erlebt und bemühten sich, zumindest den Anschein eines normalen Lebens zu wahren, auch wenn dieses plötzlich nahezu sinnlos geworden war. In der Presse war so gut wie nichts über Prinz Pietros Tod zu lesen gewesen, außer dass es sich um einen „merkwürdigen Unfall“ handelte, was die Neugier jeder Enthüllungsjournalistin weckte, auch wenn diese gerade ein Sabbatjahr einlegte.

„Wie ist sie gestorben?“

Seine überraschende Frage holte sie in die Gegenwart zurück und sie antwortete auf ebenso direkte Weise: „Selbstmord.“ Weil sie die Scham nicht ertragen hatte, dass Samias Vater vor Gericht musste. Wieder diese Schuldgefühle … Hätte sie ihre Mutter davor bewahren können? Und: Hatte Luca mit einem ähnlichen inneren Dämon zu kämpfen?

„Wir haben beide Grund zur Trauer“, bemerkte er kurz.

„Das Leben geht weiter.“ Jeden Tag zwang sie sich aufs Neue, ihrer geliebten Arbeit nachzugehen. Und dann war sie in Ungnade gefallen. Wo sie an einem Tag noch Lobeshymnen für die mutige Aufdeckung von Kriminellen geerntet hatte, so hatten ihre Leser sich am nächsten Tag scharenweise von ihr distanziert. Grund dafür war der unerklärliche Wandel in ihrem Schreibstil, der anstatt beide Seiten zu beleuchten, nur einen Standpunkt vertrat, den ihres jetzigen Ex. Als sie ihm drohte, den Betrug öffentlich zu machen, hatte er ihr versprochen, sie würde keine Arbeit mehr finden. Nach der Scheidung hatte er ihr geschworen, sie bis ans Ende der Welt zu verfolgen. Darum hatte sie London mit nichts als einem Rucksack voll Klamotten und den Stiefeln ihrer Mutter verlassen. Sie brauchte Abstand von all dem Bösen, um Kraft zu tanken.

„Halt dich fest und setz dich.“ Luca half ihr ins Motorboot und sie nahm am Bug Platz. Was wie eine gemütliche Bootsfahrt anfing, entpuppte sich als Achterbahnfahrt, nachdem sie die Hafenpolizei hinter sich gelassen hatten und Gas gaben.

Als sie nach einer größeren Welle in das nachfolgende Wellental stürzten, kreischte Samia und prallte gegen Luca, der sie festhielt. Der enge Kontakt war elektrisierend. Luca war so warm und stark. Seine Hände waren rau vom Segeln, ein Pluspunkt. Sie hatte genug von makellosen Händen, die sie malträtierten. Mit ihrer Heirat hatte sie die Situation ihres Vaters nur verschlimmert. Damals war sie wegen des Todes ihrer Mutter am Ende. Ihr Vater war schwach und hochverschuldet und sie musste etwas tun. Ihr Ex versprach, ihn aus dem Gefängnis zu holen. Ein leeres Versprechen. Ihr Vater saß immer noch drin.

Luca las nachdenklich eine neue Nachricht. Ärger? Konnte sie helfen? Sie traute sich nicht zu fragen. Konnte man in so kurzer Zeit eine so enge Verbindung aufbauen? Hatte sie schon vergessen, dass sie ihr Herz beschützen wollte?

Carpe diem, riet ihr die innere Stimme. Mach dir keine Gedanken um die Zukunft, geschweige denn die Vergangenheit. Lebe den Moment.

Mit dem Gesicht zur Sonne lächelte sie. Das Dröhnen der Motoren verdeutlichte, wie schnell sie sich vom Festland entfernten. Es war, als würde sie über den Ozean fliegen, mit einem starken Mann an ihrer Seite. Da konnte man nur optimistisch sein!

„Überwältigend!“, schrie sie und begann, Lucas Leidenschaft fürs Segeln zu verstehen. Der blaue Himmel und das silberne, sonnengetränkte Wasser waren atemberaubend. Die frische Luft machte den Neuanfang sogar spürbar. „Ich kann dir nicht genug für diese Möglichkeit danken.“

„Dafür musst du auch hart arbeiten.“

„Kein Problem.“

Sah sie Berechnung in seinen Augen? Doch die Nähe zu Luca, die wie eine heiße Schokolade an einem kalten Tag Hitzewallungen verursachte, vertrieb ihre Sorge. Vielleicht sollte sie sich erkundigen, welche Jobs an Bord verfügbar waren – aber warum den Moment kaputt machen, wenn sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder lebendig fühlte? Luca hatte sie daran erinnert, wie aufregend es war, sich ein Wortgefecht mit einem klugen Gegenüber zu liefern und ihre Meinung zu sagen, ohne ständig belächelt zu werden. Sie wusste nicht, wann sie sich das letzte Mal so lebendig gefühlt hatte.

Als könnte er Gedanken lesen, nahm er ihre Hand und starrte auf den hellen Abdruck des Eherings. Sie zog ihre Hand weg und sah ihn an. „Du fragst dich sicherlich, warum ich hier bin. Das tue ich auch.“

„Du bist abgehauen.“

„Vielleicht sind wir das beide.“ Das verneinte er nicht.

„Wieso machst du dich immer so schlecht?“ Ein zu hohes Selbstbewusstsein minderte oft die Schönheit einer Frau, Samia hingegen war vollkommen natürlich. Mehrere kupferne Strähnen hingen aus ihrem Dutt heraus, ihr Gesicht war von Sonne und Seeluft gerötet und mit den Sommersprossen auf der Nase war sie einfach wunderschön.

„Ich mache mich nicht schlecht, aber du bist ein adliger Milliardär und ich ein Niemand. Warum solltest du also Interesse haben?“

„Ein Niemand? Hat dir das dein Ex eingeredet?“ Wütend schüttelte er den Kopf. „Jeder hat Beachtung verdient.“

„In einer perfekten Welt vielleicht.“ Samia lachte schwermütig. „Manche verdienen es scheinbar mehr als andere.“

„Wenn du damit Reiche und Adlige meinst … Ein Zufall der Geburt macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Geld? Kommt drauf an, was du damit machst, aber auch das ist kein Glücksgarant. Schwere Zeiten werden dadurch nicht leichter.“

Mitfühlend berührte sie seinen Arm. „Ich kenne dich kaum, aber dein Schmerz ist so stark, dass ich ihn fühlen kann.“

Er schwieg. Sich einer Fremden anzuvertrauen, war nicht seine Art. Was würde es schon ändern? Nichts.

„Sorry, ich will nicht aufdringlich sein, aber wenn ich dir irgendwie helfen kann …“

„Kannst du nicht.“

Das Motorboot hielt im Schatten von Lucas Jacht und Samia bestaunte den klaffenden Eingang an der Seite. Luca war jetzt höflich, aber distanziert. Spiegelte das ihr zukünftiges Verhältnis wider? Chef und Angestellte. Prinz und Bürgerliche. Seine Trauer war so tief vergraben, dass sie nicht drankam. Sosehr sie sich auch angezogen fühlte, sie waren Fremde und würden es auch bleiben. Was sie nicht davon abhielt, ihm helfen zu wollen. Luca mochte alle Macht der Welt haben, letzten Endes war er auf sich allein gestellt wie jeder Normalsterbliche.

Mit einem Satz sprang er vom schwankenden Boot auf die vergleichsweise standsichere Jacht und streckte ihr den Arm entgegen. Die feste Berührung gab ihr Sicherheit. Anders als ihr Ex machte Luca ihr keine Angst. Erleichtert stellte sie fest, dass sie noch etwas für einen Mann empfinden konnte. Anscheinend war Mutter Natur nicht so leicht abzuschrecken.

„Willkommen an Bord“, sagte er, nachdem sie über die schäumende Kluft gehüpft war. „Ich hoffe, es gefällt dir.“

„Bestimmt.“ Sie freute sich, alles an Bord zu entdecken und die Crew kennenzulernen.

Diese empfang sie herzlicher als gedacht und sie beschloss, sich hier wohlzufühlen, mit Lucas Zutun oder ohne. Obwohl mit besser wäre, dachte sie und ließ sich weiter von Luca herumführen.

5. KAPITEL

Die E-Mail, die Luca auf dem Boot gelesen hatte, war von seinem ausgezeichneten Beraterteam gewesen. Wie angefordert, waren die ersten Informationen über Samia Smith in Spiegelstrichen aufgelistet, Weiteres würde folgen. Doch das reichte bereits.

Nach Prinz Pietros Tod würde eine Hochzeit die Wogen in Madlena glätten.

Es würde seine ernsten und langfristigen Absichten beweisen und Schwarzseher zum Schweigen bringen.

Eine offizielle Segnung in der Kathedrale erfreute sich immer allgemeiner Beliebtheit.

Gut. Man würde sehen, dass der Piratenprinz bereit war, sich zu ändern. Irgendwann würde man ihm vollends vertrauen und dann würde er seiner Frau still und heimlich seinen Segen geben und sie ziehen lassen, zum Dank bekäme sie nette Unterhaltszahlungen. Falls sie Kinder hätten, würden diese bei ihm bleiben. Er würde nicht den gleichen Fehler wie sein Bruder machen.

Der Zauber einer königlichen Hochzeit wirkt Wunder …

Sehr zynisch, aber sein Volk brauchte dringend Stabilität und die wollte er ihm geben. Sein Leben gehörte nicht mehr nur ihm selbst, sondern den Bürgern seines Landes, die ihn allein von seiner Armeezeit und Gerüchten in der Presse kannten. Vertrauen braucht Zeit. Eine intelligente, lebhafte Braut, noch dazu attraktiv, war ein guter Anfang. Wenn die Zeit reif war, würde er Samia seine Heiratsabsichten mitteilen. Sie war die ideale Lösung für sein Dilemma. Sicherlich ging alles sehr schnell, doch das ließ ihn nicht an seinem Entschluss zweifeln. Bald würde er ihr die Vorteile einer Heirat schmackhaft machen.

Er überflog den Rest der E-Mail und das Geschwafel über Hochzeitspläne mit einer Unbekannten. In der Dispatch Box würde er einen detaillierten Ablauf der Zeremonie sowie einen ausführlichen Lebenslauf der Frau finden, um den er gebeten hatte.

Sollten Seine Durchlaucht die Gelegenheit haben, die beigefügten Biografien und Bilder geeigneter Prinzessinnen durchzusehen und uns Seine Entscheidung mitzuteilen, werden wir uns unverzüglich um alles Weitere kümmern und alsogleich die Auserkorene zur Begutachtung auf die Jacht befördern.

Alsogleich? Er verkniff sich ein Lächeln und fragte sich mit einem Blick auf Samia, ob seine Berater den Mut hätten, sie über eine Beförderung auf die Jacht zur Begutachtung durch den Prinzen zu informieren.

Während Samia die neuen Eindrücke in sich aufsog, schrieb er zurück.

Keine Prinzessinnen. Ich habe schon jemanden im Sinn.

Warum Zeit mit Fremden verschwenden, wenn er eine interessante Herausforderung direkt vor sich hatte?

Vom Regen in die Traufe? fragte Samia sich und blickte sich um.

Ein so riesiges, sauberes und modernes Schiff wie die Black Diamond hatte sie noch nie gesehen. Noch dazu gehörte sie einem Milliardär, der nebenbei ein Prinz war. Alles war reibungslos abgelaufen … Zu reibungslos? Gab es einen Grund für seine großzügige Einladung? Bisher war von dem Job keine Rede.

Hoffentlich habe ich mich nicht schon wieder in Schwierigkeiten begeben.

Sie beschloss, mit ihm zu reden, solange sie konnte. Die Black Diamond könnte sie später in Augenschein nehmen.

Luca gab seinen Crewmitgliedern gerade Anweisungen. „Entschuldige die Störung“, sagte sie höflich, „aber könntest du mich deinem Chefsteward vorstellen?“

Auf ein Nicken von Luca verschwand die Crew.

„Oder wer auch immer sich um Neueinstellungen kümmert.“

„Du hast den Job.“

„Als?“

„Mädchen für alles.“

„Und was heißt das genau?“

„Nicht jetzt“, befahl er.

Sie war eine erwachsene Frau und hatte ein Handy, das sie immer für einen Notruf nutzen konnte. Sie versuchte, sich zu beruhigen und vernünftig an die Sache heranzugehen. Entweder würde sie es durchziehen oder ein Boot zurück nehmen, wie Luca vorgeschlagen hatte. Die Crew respektierte ihn und schien froh, ihn wieder an Bord zu haben. Kein seltsamer Blick oder Sonstiges gab ihr Anlass zur Sorge. Sie würde ihn und diesen unglaublichen Lifestyle besser kennenlernen.

„Wann?“ Sie lächelte.

„Nach dem Abendessen.“ Er runzelte die Stirn. „Du zitterst?“

War es so offensichtlich? Das war der Luca-Effekt, doch das würde sie ihm nicht sagen. „Es ist so windig. Vielleicht kannst du mir meine Unterkunft zeigen?“

Die Nachricht von seinem Team hatte ihn darin bestärkt, dass eine Mischung aus Bauchgefühl und wildem Begehren gelegentlich auch Lösungen liefern konnte. Seine Aufgabe war nun, Samia davon zu überzeugen, seine Frau zu werden.

Was für ein Kinderspiel, dachte er trocken mit einem Blick auf ihr stures Kinn. Samia war weder ihm noch Madlena etwas schuldig und, während viele Frauen heiß darauf waren, einen Prinzen zu heiraten, war Samia nicht durch Status oder Geld zu beeindrucken. Unabhängig und angriffslustig entschied sie selbst, welchen Weg sie einschlug. Er musste dafür sorgen, dass dieser Weg zu ihm führte.

Innerlich listete er die Vorzüge auf: Madlenas Thron, unerschwingliche Kronjuwelen, Plätze in der ersten Reihe bei jedem prestigeträchtigen Ereignis, Privatjets, Superjachten, Paläste und Villen auf der ganzen Welt. Und jede Menge Heuchler. Er verzog das Gesicht. Streng dich an, dachte er mit einem Anflug von Belustigung, als Samia in seine Richtung sah. Auf dem Rundgang bestach sie ihn durch ihren Enthusiasmus. Wie lange hatte er solch unschuldiges Vergnügen nicht mehr miterlebt? Kein Besucher der Jacht hatte seine Begeisterung zugegeben, da dies als uncool galt, aber das war Samia egal.

„Daran haben bestimmt ganze Designer-Teams monatelang gearbeitet“, sagte sie beim Durchqueren des Salons.

„Jahrelange Planung.“ Amüsiert entdeckte er, dass sie barfuß neben ihm hertappte. Aber natürlich, sie hatte fast nichts dabei. Das würde sich bald ändern.

„Das ist mir ein bisschen zu fade.“ Die Glastür öffnete sich automatisch.

„Fade?“, fragte er verwundert.

„So viel Weiß und Taupe ist doch altmodisch, findest du nicht? Ich brauche mehr Farbe.“

„Auf einer schwarzen Jacht?“

„Warum nicht?“

So wie die moderne Kunst in seiner Zimmerflucht, fiel ihm auf. Erst durch Samia wurde er sich der restlichen Einrichtung bewusst. Während sie eine Seekarte an der Wand genau unter die Lupe nahm, stellte er sich seine Hände auf ihrer weichen Haut und die angenehme Wärme ihres Körpers unter seinem vor. Durch diese Vorstellung und ihren verführerischen Wildblumenduft wollte er zum ersten Mal an Bord seiner Jacht mehr als nur die Segel reffen.

„Erster Eindruck?“

„Hier hast du das Sagen. Die Black Diamond ist das Spielzeug eines Milliardärs.“

„Sie ist eine Segeljacht und kein Spielzeug.“

„Du hast mich gefragt.“

Und sie hatte ihm schnörkellos und geradeheraus geantwortet. „Warum schreibst du keinen Bericht?“, fragte er zynisch.

„Soll ich?“

„Schaden würde es nicht.“ Sie nahm ihn ernst und er wollte sie nicht für ihre Ehrlichkeit bestrafen.

„Früher habe ich immer meinen Mund gehalten. Ich will diesen Fehler nicht nochmal machen, also sage ich, was ich denke, und wenn ich es für dich aufschreiben soll, mache ich das gerne.“

„Deal.“ Interessant. Er liebte Herausforderungen über alles. Samia würde nicht zu allem Ja und Amen sagen, nur um gemocht zu werden. Dadurch war sie erfrischend anders und die perfekte Braut. Aber so einfach wollte er sie nicht davonkommen lassen.

„Kein Wunder, dass Segeln meine Leidenschaft ist“, sagte er trocken.

„Weil die Jacht keine Widerworte gibt?“

„Was will man mehr.“ Sie hatte ihn aus seinem morgendlichen Tief befreit. Erleichtert stellte er fest, dass er noch fähig zu Gefühlen war.

„Wolltest du mir nicht meine Unterkunft zeigen? Die finde ich allein bestimmt nicht. All das für eine Person“, raunte sie bewundernd im Weitergehen.

„Und für eine eigenwillige Dame“ ergänzte er und blickte sie ausgelassen von der Seite an. „Ich denke, die meisten hätten Mitleid mit mir und würden mir die größtmögliche räumliche Trennung von dir zugestehen.“

„Ich glaube, die meisten hätten Mitleid mit mir“, konterte sie mit einem frechen Lächeln.

Zu seiner Zufriedenheit hielt sie hörbar die Luft an, als er die Tür zu einer mehrräumigen Suite mit poliertem holzgetäfeltem Eingangsbereich öffnete, die er für Samia ausgewählt hatte. „Das ist schon besser und so gar nicht fade. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“

„Hat mein Bruder entworfen“, sagte er emotionslos. Es fiel ihm immer noch schwer, über Pietro zu sprechen. Diese Suite hatte er für Gäste geplant.

„Gäste?“, hatte Luca seinen Bruder gefragt. „Das ist doch ein Segelschiff.“

„Es ist nicht gut für dich, so einzelgängerisch zu sein“, hatte Pietro erwidert.

In waschechtem Pietro-Style war Samias Suite extravagant und verschwenderisch: farbenprächtige Teppiche, ein detaillierter Wandbehang hinter dem breiten Himmelbett. Ausschließlich exklusivste und leuchtendste Stoffe waren für die weichen Sitzgelegenheiten und Vorhänge verwendet worden: Seide, Satin, Samt und Chiffon. Diese noble Dekoration wurde von Gemälden mit Segelschiffen und mit gut aussehenden Männern in tadellosen Uniformen bereichert. Und überall diese liebevoll polierte Holzausstattung.

„Dein Bruder hatte Geschmack.“ Samia strich mit den Fingerspitzen über die Lehne eines bequemen Stuhls mit edlen Samtpolstern.

„Geschichte und Design, das war seins. Wäre Pietro kein Prinz gewesen, er hätte eine großartige Zukunft vor sich gehabt.“

„Prinz sein ist doch … großartig.“

„Nicht für Pietro. Pietro mochte es immer ruhig, außerhalb des Rampenlichts. Mein Bruder sehnte sich so nach einem einfachen Leben, aber es sollte nicht sein …“

Luca verdrängte die schmerzhaften Erinnerungen und sah sich in der Suite um. Wie Samia gesagt hatte, war alles beeindruckend vornehm, obwohl die Einrichtung seiner Meinung nach besser in ein Museum als auf die hochmoderne, von Luca designte Segeljacht passte. Aber sie hatten immer gerne gemeinsame Projekte gemacht und so hatte er sich auch hier Pietros Mitarbeit gewünscht. Dio! Ich vermisse ihn so sehr.

„Alles okay?“

Ihr Ton war ruhig und verständnisvoll. Wichtiger noch, sie starrte ihn nicht mitleidig an, sodass er freiheraus sagen konnte: „Er war ein wunderbarer Mensch.“

„Und ihr habt euch beide sehr geliebt.“

Wo kam diese Frau her, die ihm das Schicksal vor die Füße gelegt hatte? Er dachte an frühere Damenbesuche mit kunstvoll zerzaustem Haar, aufwändigem Make-up und einem Koffer voller Klamotten, die völlig unbrauchbar auf einer Jacht waren. Natürlich ließen sie sich auf seine Kosten die neueste Mode aus Paris, Rom und Mailand an den nächsten Hafen liefern, wovon das meiste noch in Schutzhüllen in Samias Ankleidezimmer hing.

„Es gibt einen Swimmingpool an Bord. Zwei sogar. Die kannst du natürlich nutzen.“

„Toll … ich habe nur keinen Badeanzug dabei.“

„In deinem Ankleidezimmer sind welche, die nie getragen wurden. Bedien dich, einer passt bestimmt.“

„Vielleicht gehe ich auch nicht schwimmen.“

Wer konnte es ihr verübeln, dass sie bei dem Gedanken, den Badeanzug einer anderen Frau zu tragen, nicht gerade begeistert war.

„Ach, komm schon. Sieh die Klamotten als Anzahlung für den Job.“

„Ein normales Gehalt wäre mir lieber. Almosen sind nicht so mein Ding.“

„Ich entsinne mich.“ Er dachte daran, wie sie darauf bestanden hatte, ihm den Zehn-Euro-Schein für den Burger zu geben. „Wie wäre es, wenn du auch ein Gehalt bekämst?“

Sie zuckte die Achseln und lächelte verschmitzt. „Schon besser.“

So war Samia unwiderstehlich. „Alles, was du in der Garderobe findest, steht dir zur freien Verfügung. Du tätest mir einen großen Gefallen. Bisher war es pure Geldverschwendung.“

Es fiel ihm schwer, sie sich nicht in einem der vielen Abendkleider vorzustellen. Wie Samia das finden würde, war eine andere Sache. Die meisten Kleider waren extrem freizügig und sie bewegte sich nicht in so berechnenden Kreisen wie er, wo es sich Profi-Kurtisanen zur Lebensaufgabe machten, sich wohlhabende, erfolgreiche Männer zu angeln, um in den Genuss eines privilegierten Lebensstils zu kommen. Dazu gehörte auch, die weiblichen Vorzüge so einzusetzen, um dafür mit wertvollen Edelsteinen belohnt zu werden.

„Darf ich wirklich alles tragen?“, fragte sie mit gespielter Begeisterung. „Gilt das Angebot für die ganze Crew?“

Sein Blick brachte sie zum Schweigen.

„Jedenfalls bist du sehr großzügig. Als Kind habe ich mich immer gern verkleidet, allerdings bestanden meine Kostüme aus einer Tischdecke und anderen Dingen aus dem Kleiderschrank meiner Mutter.“

Ihr sehnsüchtiger Blick machte ihn noch neugieriger auf den Bericht von seinem Team.

„Sorry, ich wollte dich nicht aufhalten“, sagte sie, als er sich zur Tür drehte.

„Schon okay. Sonst wäre ich nicht hier.“

Je mehr er über diese faszinierende Frau erfuhr, desto sicherer war er, eine geeignete Frau gefunden zu haben. Samia würde immer sie selbst bleiben, was er bewunderte. Mit ihrer natürlichen Freundlichkeit hatte sie die Herzen der Crew im Sturm erobert. Eitelkeit hatte in ihrem Leben keinen Platz. Das Volk würde sie lieben. Nicht einmal war sie sich durchs Haar gefahren oder hatte Lipgloss aufgetragen, falls sie so etwas überhaupt besaß. Neben ihrer starken und doch unaufdringlichen Persönlichkeit war sie freundlich und intelligent, und genau das brauchten die Einwohner von Madlena, insbesondere nachdem sein Bruder aufgrund seiner Schüchternheit so unnahbar gewirkt hatte. Sie hingegen war lustig und aufgeweckt, und wer mochte das nicht? Gab es eine bessere Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu beruhigen als mit dieser bodenständigen Frau an seiner Seite?

„Woher weiß ich, dass sie die Richtige für diese Rolle ist, wenn ich sie kaum kenne?“

Der vollständige Bericht auf seinem Schreibtisch würde ihm alles über Samia offenbaren und die Zweifel beseitigen.

„Wo schläfst du?“

„Am anderen Ende des Korridors. Also falls du etwas brauchst …“

„Nein, nein“, fiel sie ihm nervös ins Wort. Sie ließ den Blick durch den luxuriösen Raum schweifen. Erst die Kleider und nun diese sagenhaft Suite? Warum ließ er sie nicht die schlichte schwarze Arbeitskleidung tragen und im Mannschaftsquartier schlafen? „Soll ich wirklich hier bleiben? Wenn du mir zeigst, wo die Crew schläft, würde ich …“

„Du bleibst hier. Pietro hätte nicht gewollte, dass seine Suite leer ist.“

„Also tue ich ihm quasi einen Gefallen?“, fragte sie erleichtert.

„Ja, und mir auch. Die Mannschaftsunterkunft ist nämlich voll. Und jetzt mach dich frisch und entspann dich, solange du noch kannst.“

Solange ich noch kann? Was soll das heißen?

Ein Schauer der Erregung überlief sie und sie entschied, sich auf das Abenteuer einzulassen.

„Noch kannst du gehen.“ Während seine Hand auf der Türklinke lag, war das unverkennbare Lichten des Ankers zu hören. „Zu spät.“

„Ich wusste nicht, dass wir schon ablegen.“ Die aufkommende Panik in ihrer Stimme war nicht zu verbergen.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich zurück muss. Irgendwelche Bedenken? Dann sag’s jetzt. Noch kann ich dich mit einem der Sportboote zur Küste bringen.“

„Das wird nicht nötig sein, aber danke trotzdem.“ Sie hatte eine Entscheidung getroffen und würde jetzt keinen Rückzieher machen. Wovor eigentlich? Sie wusste nichts über ihren Job und hatte eine Prinzessinnen-Suite neben der des Prinzen. War sie so naiv? Luca hatte keine offensichtlichen Anstalten gemacht, sie zu umwerben … War der Piratenprinz für sein romantisches Naturell bekannt oder waren seine Eroberungen rein sexuell? Ja, sie war naiv.

Aber sie musste nichts tun, was sie nicht wollte. Wenn sie etwas über Luca wusste, dann, dass er sich einer Frau nie aufdrängen, sie schlecht behandeln, verhöhnen oder all die anderen Dinge tun würde, die ihr die Lust auf Männer endgültig genommen hatten.

„Also bleibst du an Bord?“

Sie überlegte kurz und nickte. „Wenn ich darf … Aber ich bestehe darauf, mich nützlich zu machen. Irgendwie muss ich mich für die Überfahrt erkenntlich zeigen.“

„Wir finden schon etwas für dich.“ Er öffnete die Tür. „Aber jetzt ab unter die Dusche. In der Zeit kann ich mir überlegen, was ich mit dir mache.“

Sein Gesichtsausdruck gab ihr das Gefühl, dass ihr Schicksal besiegelt war. Doch statt der zu erwartenden Alarmglocken freute sie sich unglaublich darauf.

6. KAPITEL

Samia konnte es kaum fassen, dass sie gerade wohlig warm in einer Kingsize-Wanne umgeben von schimmerndem Schaum in Regenbogenfarben in einem Bad aus rosa Marmor lag, das genauso groß wie ihr Schlafzimmer zu Hause war. Alles war unglaublich märchenhaft – sie sollte sich besser nicht daran gewöhnen.

Wie wäre es, jeden Tag so zu leben? Bestimmt anstrengend und auf Dauer langweiliger, als man es sich vorstellte. Sie erinnerte sich daran, wie sie früher mit ihrer Mutter so getan hatte, als wären sie reich. Zuvor hatte ihr Vater das ganze Geld verspielt und ihre Mutter, damals eine Schönheit, war nicht auf die harte Realität eines normalen Lebens vorbereitet gewesen. Samia hatte sich schnell daran gewöhnt, denn sie war noch jung und hatte ohnehin nicht viel vom luxuriösen Leben ihrer Eltern mitbekommen. Sie war vielleicht sechs oder sieben, als sie die ersten Risse in der Fassade bemerkte. Die leere Vorratskammer und die teuren Schuhe ihres Vaters mit Löchern in den Sohlen sagten alles. Am Anfang hatte ihre Mutter das Beste daraus gemacht und mit Samia Szenarien durchgespielt, die sie vorher erlebt hatte. So hatte Samia eine glitzernde Welt kennengelernt, von der sie nur träumen konnte … bis jetzt.

Wie sehr hätte ihrer Mutter das gefallen, dachte sie und fuhr mit den Fingerspitzen durch den Schaum und das warme Wasser. Mit fest zusammengepressten Lippen fiel ihr der Abschiedsbrief ihrer Mutter ein, in dem sie Samia um Vergebung bat und schrieb, dass es ihr ohne sie besser ginge. Wenn sie doch nur mit ihr geredet hätte …

Seufzend schloss sie die Augen und glitt tiefer ins Wasser. Selten war etwas so, wie es schien. Auch die unglaubliche Begegnung mit Luca war vielleicht nicht so harmlos wie sie dachte. Mehr Soldat als Prinz spielte er die Rolle des lässigen Charmeurs auch sehr gut. Nicht sein Titel, sein gutes Aussehen oder sein beeindruckender Ruf hatten das Restaurant zum Leuchten gebracht. Von ihm ging ein gefährlich funkelnder Zauber aus, sodass er sogar barfuß und in Freizeitkleidung alle Blicke auf sich zog.

Luca war in jeder Hinsicht ein Kraftpaket, was sie seltsamerweise in Anbetracht ihrer schlechten Erfahrungen nicht beängstigte, im Gegenteil, sie fühlte sich bei ihm sicher. Sollte sie Gelegenheit haben, wollte sie ihm im Gegenzug dabei helfen, über den Tod seines Bruders hinwegzukommen. Manchmal war es einfacher für Außenstehende den Überblick zu haben und sie war überzeugt, dass Madlena einen starken Prinzen brauchte, der für eine helle und vielversprechende Zukunft sorgte. Wenn Luca weiterhin ein Gefangener seiner Vergangenheit blieb, war niemandem geholfen.

Das sagt die Richtige. Wie sollte sie Luca helfen ohne Arbeit und Zuhause und obendrein mit einem rachsüchtigen Ex-Mann? Rückblickend war klar, dass ihr Ex sie aus zwei Gründen geheiratet hatte: ihre Kolumne und das Grundstück in Schottland, das ihrem Vater gehörte und das er eines Tages bewirtschaften wollte. Ihr Ex wollte daraus lieber einen Golfplatz machen. Sie hätte ihn nie heiraten sollen, aber ihr war nichts anderes übriggeblieben, wenn sie ihren Eltern helfen wollte. Am Anfang schien er so liebenswürdig, wie er die Schulden ihres Vaters beglich und ihrer Mutter reizende neue Kleidung kaufte. Erst später hatte er betrunken in einem Wutanfall zugegeben, dass Samia nur Mittel zum Zweck war und wenn er ihren Artikel nicht abändern durfte, würde ihr Vater dafür büßen. Nachdem sie öffentlich zurückgeschlagen hatte, hatte er ihren Vater des Betrugs bezichtigt und sogleich waren seltsame Summen auf dem Konto ihres Vaters aufgetaucht. Als ihre Mutter dahinter kam, dass das von ihr munter ausgegebene Geld nur eine Falle war, ging es mit ihr rapide bergab. Samias Vater war viel zu durcheinander, um sich vernünftig vor Gericht zu verteidigen.

Perfekte Voraussetzungen für eine Prinzessin, dachte Samia ironisch, kletterte aus der Wanne und griff nach einem Handtuch. Luca war nicht mehr nur der heiße Typ aus der Bar, sondern Kapitän dieses Schiffs und ein heimkehrender Herrscher. Schwer vorzustellen, wie sie in seine Pläne passte.

In diesem Moment knurrte ihr Magen, was sie auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Unmöglich konnte sie bis zum Abendessen warten. Sie hatte trotz des Burgers Hunger. Vielleicht ließ sich eine Kleinigkeit in der Küche auftreiben?

Einen Versuch war es wert.

Sie hatte sich vorgenommen, das Ankleidezimmer nur schnell nach etwas Geeignetem zum Anziehen zu durchforsten und sich dann sofort auf die Suche nach der Küche zu begeben. Doch als sie beim Öffnen der ersten Schublade Make-up fand, hatte sie es plötzlich nicht mehr eilig. Jemand hatte das komplette Sortiment an Luxusprodukten bestellt, wovon das meiste noch in Zellophan verpackt war. Das nannte man Aufbrezeln auf höchstem Niveau.

Nach der ersten Entdeckung durchwühlte sie hemmungslos alle Schränke und Schubladen. Bald lagen Schals, Handtaschen und Modeschmuck verstreut herum – und wie viele Badeanzüge konnte man bitte haben? Sie hielt ein knappes Exemplar in Türkis hoch und bemerkte, dass die Person, die all das bestellt hatte, in etwa die gleiche Größe wie sie hatte. Die Kleiderschränke entpuppten sich als weiteres Versteck von edlen Outfits und Abendkleidern, die für sie unerschwinglich waren. Sie strich mit den Fingerspitzen über allerfeinste Stoffe und wunderte sich, wie man so etwas zurücklassen konnte. Sie sah sich im Spiegel und musste lachen. Immer noch in ein Handtuch gewickelt, mit wuscheligem Haar – was für ein Anblick. „Das kann ich nicht anziehen“, murmelte sie. Die Sommerkleider aus Baumwolle in einem Karton in der hintersten Ecke des Schrankes waren schon eher ihre Liga.

Die Wahl fiel auf ein wunderschönes schlichtes Kleid, dessen sattes Kornblumenblau ihren Optimismus widerspiegelte. Der Schnitt war weder zu bieder noch zu freizügig. Sie bürstete ihre feurige Mähne und trug Mascara und einen Hauch Lipgloss auf. Warum auch nicht? Es war das erste Mal seit Langem, dass sie sich nur annähernd weiblich fühlte und überhaupt Zugang zu solchen Utensilien hatte. Um ihre Sommersprossen zu verdecken, brauchte sie ein Kilo Make-up und sie musste barfuß gehen, weil es keine geeigneten Schuhe gab, um an Deck zu spazieren.

Fertig!

Sie starrte ihr Spiegelbild an und fragte sich, wie der Abend enden würde.

Beim Gedanken an Luca stieg ihr die Hitze ins Gesicht. Wie er sie berührte … und küsste …

Schluss damit! Sie war zum Arbeiten hier.

Sie drückte ihr Notizbuch an die Brust. Ihr Griff lockerte sich, als sie sich vorstellte, wie Luca ihre Brüste mit den Fingern nachzeichnete und ihre Brustwarzen liebkoste.

Warum musste ihr Körper sie ausgerechnet jetzt in Versuchung führen?

Sie ließ ihre Hände über Brustkorb und Bauch wandern und hielt an jener Stelle inne, wo seine Berührungen sie um den Verstand bringen konnten. Beinahe widerwillig fuhr sie mit den Fingern weiter über ihre Oberschenkel, die allein beim Gedanken an ihn zu kribbeln begannen. Sie stützte ihre Hände kurz am unteren Rücken ab, bevor sie ihr Gesäß umfasste.

Mit geschlossenen Augen legte sie den Kopf in den Nacken und war sich sicher, dass noch nie jemand sie so berührt hatte, wie Luca es tun würde. Leider würde sie das nie herausfinden.

Warum quälst du dich so? Hör auf zu träumen!

Aber sie wollte den Traum. Wer gibt sich schon mit Lauwarmem zufrieden, wenn er feurige Aufregung haben kann?

Das war alles gut und schön, aber dafür musste sie erst die Fantasiewelt verlassen und die echte Welt betreten, wo man sich leicht die Finger verbrannte.

Ein schwarzgekleidetes Crewmitglied brachte Samia zur blütenweißen, angenehm klimatisierten Küche mit glänzendem Stahl. An der Wand neben dem Kochblock lehnte Luca und plauderte mit dem Küchenchef. Sie schienen Samia nicht zu bemerken.

Falsch.

Luca drehte sich zu ihr. „Komm doch rein. Auch hungrig?“

„Der Burger hat nicht lange gereicht.“

Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß und anscheinend gefiel ihm, was er sah. „Noch einen Hamburger?“, fragte er mit dem Anflug eines Lächelns, das ihr Herz schneller schlagen ließ.

Autor

Susan Stephens
<p>Das erste Buch der britischen Schriftstellerin Susan Stephens erschien im Jahr 2002. Insgesamt wurden bisher 30 Bücher veröffentlicht, viele gehören zu einer Serie wie beispielsweise “Latin Lovers” oder “Foreign Affairs”. Als Kind las Susan Stephens gern die Märchen der Gebrüder Grimm. Ihr Studium beendete die Autorin mit einem MA in...
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Jackie Ashenden
<p>Jackie Ashenden schreibt düstere, gefühlsgeladene Stories über Alphamänner, denen die Welt zu Füßen liegt, bevor sie von ihren umwerfenden Gegenspielerinnen in Stücke gerissen wird. Sie lebt mit ihrem Ehemann, dem unvergleichlichen Dr Jax, zwei Kindern und zwei Ratten in Auckland, New Zealand. Wenn sie nicht gerade Alphamänner und ihre kühnen...
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Lucy King lebte schon immer am liebsten in ihrer eigenen Welt, inmitten der bunten Liebesgeschichten von Mills &amp; Boon. Bereits in der Schule schrieb sie lieber über glorreiche Helden und die Magie der Liebe, anstatt Mathematikaufgaben zu lösen. Ihrem ganz persönlichen Helden begegnete sie eines Morgens während eines einsamen Spaziergangs...
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