Julia Extra Band 505

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DIE VERBOTENEN KÜSSE DES PRINZEN von MILLIE ADAMS
Violet sollte Prinz Javier hassen, nicht heimlich begehren. Denn er hat sie entführt, damit sie eine Wettschuld einlöst und seinen Bruder heiratet …

DER REEDER UND DIE MEERJUNGFRAU von REBECCA WINTERS
Wie konnte Alexa ihm jahrelang die süßen Folgen ihrer Liebesnacht verschweigen? Reeder Nico ist hin- und hergerissen zwischen Wut und Verlangen …

HEISS WIE DIE SONNE ÜBER DER WÜSTE von ANNIE WEST
Königin Safiyah muss eine Pflichtehe mit Prinz Karim schließen, der ihr einst das Herz brach – und nach dessen Küssen sie sich dennoch sehnt …

FOLGENREICHE AFFÄRE MIT DEM MILLIARDÄR von KIM LAWRENCE
Gegen jede Vernunft weckt die schöne Marisa sofort wieder hungriges Begehren in Milliardär Roman Bardales. Dabei hat sie ihn schon einmal betrogen …


  • Erscheinungstag 17.08.2021
  • Bandnummer 505
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500654
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Millie Adams, Rebecca Winters, Annie West, Kim Lawrence

JULIA EXTRA BAND 505

MILLIE ADAMS

Die verbotenen Küsse des Prinzen

Die betörende Violet weckt vom ersten Augenblick an ungeahnt sinnliches Verlangen in Prinz Javier. Doch er muss ihr widerstehen! Sie ist dazu bestimmt, seinen Bruder zu heiraten. Oder etwa nicht?

REBECCA WINTERS

Der Reeder und die Meerjungfrau

Als Alexa ihre Jugendliebe Nico Angelis wiedertrifft, verzehrt sie sich leidenschaftlich nach ihm. Aber wird der faszinierende griechische Reeder ihr je verzeihen, dass sie damals spurlos verschwand?

ANNIE WEST

Heiß wie die Sonne über der Wüste

Königin Safiyah hat keine Wahl: Um ihrem Land den Frieden zu sichern, muss sie Prinz Karim heiraten. Einen Mann, der ihr bereits das Herz gebrochen hat – und nach dessen Küssen sie sich dennoch sehnt …

KIM LAWRENCE

Folgenreiche Affäre mit dem Milliardär

Gegen jede Vernunft weckt die schöne Marisa sofort wieder hungriges Begehren in Milliardär Roman Bardales. Dabei hat sie ihn schon einmal betrogen. Und auch jetzt scheint sie etwas vor ihm zu verbergen …

1. KAPITEL

„Ich muss eine Schuld eintreiben, Ms. King!“

Violet King hielt den Telefonhörer etwas dichter an ihr Ohr und sah verwundert aus den Fenstern ihres rundum verglasten Büros. Von ihrem Schreibtisch aus hatte sie einen herrlichen Blick auf den Pazifik und hinter sich freie Sicht auf ihre Angestellten. In ihrer Geschäftsstelle gab es keine Trennwände. Sie fand es besser, wenn alle gemeinsam arbeiteten. Das war viel kreativer.

Ihre fortschrittliche Einstellung zum Geschäft – und zu Make-up und Mode – hatte sie zu einer der jüngsten Selfmade-Milliardärinnen der Welt gemacht.

Obwohl das vielleicht ein bisschen übertrieben war, wenn man bedachte, dass ihr Vater Robert King ihr die erste Finanzspritze gegeben hatte, damit sie ihr Unternehmen gründen konnte. Aber jeder Jungunternehmer arbeitete wohl mit Investoren. Dass ihrer mit ihr verwandt war, war weder beispiellos, noch schloss es sie von einem Selfmade-Titel aus. Außerdem hatte Violet ihrem Vater seine Investition längst mit Zinsen zurückgezahlt.

Und sie hatte definitiv keine Schulden.

Was bedeutete, dass der Mann, den sie gerade in der Leitung hatte, Blödsinn redete.

„Sie müssen sich verwählt haben“, sagte sie.

„Nein. Habe ich nicht.“

Er hatte eine tiefe, sonore Stimme und sprach mit einem leichten Akzent. Violet konnte nicht ausmachen, was für ein Akzent es war. Spanisch, vielleicht, und mit einer Spur von britischem Englisch.

„Ich habe bei niemandem Schulden.“

„Oh, vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Sie haben keine Schulden. Sie sind die Zahlung.“

Ihr wurde kalt. „Woher haben Sie diese Nummer?“

In diesem Social-Media-Zeitalter, in dem man als Unternehmerin zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar war, schützte Violet erbittert ihren Privatanschluss. Mit Hilfe ihrer Assistenten war Violet zwar vierundzwanzig Stunden am Tag im Internet verfügbar, aber unter dieser Nummer erreichten sie nur die engsten Geschäftspartner, Familienmitglieder und Freunde. Dieser Mann war keiner von ihnen, und trotzdem rief er sie an. Und sagte höchst seltsame Dinge.

„Woher ich die Nummer habe, ist für das Gespräch nicht wichtig.“

„Im Gegenteil, es ist sehr wichtig.“

Ihr sträubten sich plötzlich die Nackenhaare. Violet drehte sich um und blickte hinter sich. Das Bürogebäude war leer. Es war schon sehr spät, und alle waren gegangen. Ihre Angestellten arbeiteten oft von zu Hause aus oder am Strand oder wo auch immer sie kreativ waren.

Okay, sie war ganz allein im Büro. Doch niemand konnte einfach das Gebäude betreten. Der Sicherheitsdienst war streng, und wer hereinwollte, musste diverse Codes kennen oder von innen über den Summer eingelassen werden.

Aber plötzlich sah sie durch die äußerste Glaswand eine Bewegung. Eine Tür ging auf und eine dunkle Silhouette bewegte sich durch die gläsernen Türen von Raum zu Raum.

„Sind Sie etwa hier?“, flüsterte sie.

Aber die Leitung war plötzlich tot, und Violet stand wie erstarrt in ihrem Büro, die Augen auf den Mann geheftet, der unaufhaltsam weiter zu ihrem Büro vordrang. Das Glas war kugelsicher, immerhin.

Es gab so viele Verrückte auf der Welt, dass große Vorsicht nie verkehrt war. Das hatte Violet schon früh gelernt. Ihr Vater, der einer der reichsten Geschäftsleute in Kalifornien war, hatte sie ins Licht der Öffentlichkeit gestellt, als sie noch sehr jung war. Die Medien waren von ihrer Familie immer fasziniert gewesen. Von ihrem Bruder, der selber unglaublich erfolgreich war. Von ihrer Mutter, die eine große Schönheit war. Und dann von ihr, aus demselben Grund.

Ihr war es immer so … unverdient vorgekommen. Diese starke Aufmerksamkeit dafür, dass sie überhaupt nichts tat. Ihr Vater hatte zu ihr gesagt, sie solle es einfach genießen. Sie solle sich nicht verpflichtet fühlen, irgendetwas zu leisten, schließlich habe er die ganze Arbeit schon erledigt.

Ihr Wunsch, Geschäftsfrau zu werden, hatte ihn verwirrt, aber er hatte ihr geholfen, ihr Unternehmen zu gründen. Er hatte ihr ihren Willen gelassen, so viel war klar gewesen. Und Violet war fest entschlossen gewesen, ihm zu beweisen, dass sie clever war. Dass sie es allein schaffen konnte.

Selbst jetzt noch hatte sie das Gefühl, dass er ihr milliardenschweres Imperium nur als ein Hobby betrachtete.

Als Einzige von ihnen war ihre jüngere Schwester Minerva der massiven Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit entkommen. Violet hatte immer gedacht, dass Minerva vielleicht die Cleverste von ihnen allen war. Sie hatte sich unauffällig gemacht, sodass sie zu ihren eigenen Bedingungen leben konnte.

Violet war es anders angegangen, und es gab Momente, in denen sie der Mangel an Privatsphäre nervte und sie bereute, solch ein öffentliches Leben zu führen.

Mit klopfendem Herzen versuchte Violet, die Polizei zu rufen, und drückte ungeschickt auf den Tasten herum. Es klappte nicht. Wie bitte?! Sie hatte dieses Festnetztelefon zur Sicherheit. Zum Schutz ihrer Privatsphäre. Und es ließ sie im Stich.

Natürlich hatte sie ihr Smartphone, aber es …

Es lag auf dem Tisch vor ihrer Bürotür.

Und dann war der Mann plötzlich da. Er stand direkt vor ihrer Bürotür. Groß, breit, ganz in Schwarz gekleidet, sein Anzug saß perfekt an seinem hart aussehenden Körper, von den breiten Schultern bis zu seiner schmalen Taille und den muskulösen Beinen.

Jetzt drehte er sich um, und Violet wusste, dass er eine Naturgewalt war. Als würde sie eine Felswand ansehen.

Hart und imposant ragte er drohend vor ihr auf.

Sein Gesicht war …

Wie das eines gefallenen Engels. Wunderschön.

Eine einzige Unvollkommenheit gab es in diesem Gesicht. Eine Narbe, die von seinem hohen Wangenknochen bis zum Mundwinkel verlief. Sie wirkte wie eine Warnung.

Dieser Mann war gefährlich.

„Wollen wir uns unterhalten?“

Das Glas zwischen ihnen ließ seine tiefe, volltönende Stimme hallen, und sie hallte in ihr nach. Violet hasste es.

„Wie sind Sie hier hereingekommen?“

„Ich habe einen Schlüssel, Schätzchen.“

Sie wich zurück. „Ich bin nicht Ihr Schätzchen.“

„Richtig“, sagte er. „Sind Sie nicht. Sie sind meine Beute. Und ich habe Sie gefunden.“

„Ich bin nicht schwer zu finden.“ Violet hob das Kinn, versuchte, selbstbewusst zu erscheinen. „Ich bin eine der berühmtesten Frauen der Welt.“

„Das sind Sie. Und es lässt mich am Verstand meines Bruders zweifeln. Aber ich bin nur hier, um Befehle zu befolgen.“

„Dann sollten Sie vielleicht einen Befehl von mir befolgen. Gehen Sie!“

„Ich gehorche nur einem einzigen Mann. Nur einer einzigen Person. Und das sind nicht Sie.“

„Sehr bedauerlich“, sagte Violet angespannt.

„Nicht für mich.“

„Was wollen Sie?“

„Ich habe es Ihnen doch gesagt. Ich bin hier, um Schulden einzufordern. Und Sie sind die Zahlung.“

Violet King war atemberaubend schön. Aber darauf war er vorbereitet gewesen. Als sein Bruder ihm mitgeteilt hatte, es sei Zeit, dass Robert King ein ihm vor zehn Jahren gegebenes Versprechen erfüllte, hatte Prinz Javier de la Cruz unzählige Fragen zurückgehalten. Er fragte sich, warum sein Bruder die Schulden jetzt eintreiben wollte. Brauchte er so dringend eine Braut?

Sie fiel auf. Und sie war alles, was sein Bruder nicht war. Modern. Schrecklich modern im Vergleich zur fast mittelalterlichen Situation in Monte Blanco. Ja, das Königreich hatte es während der vergangenen zwei Jahre unter der Herrschaft seines Bruders weit gebracht, aber es hatte noch einen weiten Weg vor sich, bis es aus den veralteten Strukturen heraus war, in denen ihr Vater es so lange gehalten hatte. Ihrem Volk wäre eine Frau wie Violet King so fremd, dass sich Javier sie sich als seine Königin nicht vorstellen konnte.

Andererseits vermutete er, dass sein Bruder Matteo genau darauf abzielte. Javier war nicht in der Lage, zu zweifeln. Er war, was er immer gewesen war: die gefährlichste Waffe, die Monte Blanco besaß. Jahrelang hatte er die Macht seines Vaters untergraben, das Land vor einem Bürgerkrieg bewahrt, sein Volk geschützt. Er hatte Gefangene befreit, wenn sie zu Unrecht festgehalten wurden. Und er hatte das alles unter der Aufsicht seines älteren Bruders getan, der, als er die Macht übernommen hatte, sofort damit begonnen hatte, das Land wieder zum Leben zu erwecken. Dafür hatte Matteo das Geld benutzt, dass er mit seinem Geschäftssinn verdient hatte. Der Tycoon-König wurde er manchmal genannt.

Und dieses Abkommen mit Robert King war eins der Geschäfte, die er heimlich abgeschlossen hatte. Anscheinend war die Abmachung bei Drinks in einem Casino in Monte Carlo getroffen worden, nachdem Robert King beim Glücksspiel verloren hatte.

Javier war überrascht, dass sein Bruder einen Mann auf eine Abmachung festlegte, die dieser in betrunkenem Zustand getroffen hatte.

Aber Matteo war kein völlig moderner Mann, egal, was er alles unternahm, um das Land umzugestalten, und er bevorzugte vielleicht genau diese Art vorsintflutlichen Handel.

Trotzdem …

Javier konnte es sich nicht vorstellen, als er Violet King jetzt ansah.

Sie trug einen weißen Anzug. Eine kurze Jacke und eine weite Hose. Ihr Make-up war wie eine Maske. Unmöglich lange Wimpern, volle Lippen, die von Gloss betont wurden, die Wangen mit Rouge scharf konturiert.

Ihr braunes Haar war zu einem tief angesetzten Pferdeschwanz zurückgebunden.

Sie war umwerfend schön. Und sehr jung. Das genaue Gegenteil unserer armen Mutter, dachte Javier. Sie war am Ende ihres Lebens so blass und erschöpft gewesen …

Diese Angelegenheit ging Javier gegen den Strich. Eine Frau zur Heirat zu zwingen war gewiss nicht die beste Methode, um Modernität zu beweisen.

Aber noch einmal. Er war nicht in der Lage, zu widersprechen. Am wichtigsten war die Zukunftsvision seines Bruders für das Land, und er würde dafür sorgen, dass sie erledigt wurde. Er war nur ein Werkzeug. Kein Stratege.

„Ich weiß nicht, wer Sie sind. Und ich weiß nicht, wovon Sie reden“, sagte Violet King.

Javier tippte den Code ein, und die Tür ging auf.

Violet Kings eigener Vater hatte ihm all diese Informationen gegeben, weil ihm klar war, dass er keine andere Wahl hatte.

Violet wich zurück und stieß gegen ihren Schreibtisch, ihre Augen weit aufgerissen vor Angst.

„Was wollen Sie denn?“

„Ich bin Prinz Javier de la Cruz von Monte Blanco. Und Sie, Violet King, sind die auserwählte Braut meines Bruders.“

„Was?“

Sie tat etwas, womit Javier überhaupt nicht rechnete. Sie lachte prustend los. Noch nie hatte er ein Geräusch gehört, das so wenig ladylike klang.

„Soll das ein Witz sein? Gibt es hier eine versteckte Kamera? Ich bin niemandes auserwählte Braut.“

„Doch. Ihr Vater hat Schulden bei meinem Bruder. Anscheinend ist ihm vor zehn Jahren am Spieltisch das Geld ausgegangen, und er war ziemlich betrunken. Er hat Sie angeboten. Und ich bin gekommen, um Sie abzuholen.“

„So etwas würde mein Vater nicht tun. Er würde mich niemals in eine Ehe verkaufen.“

„Tja, dann sollten Sie vielleicht mit ihm sprechen.“

„Ich brauche nicht mit ihm zu sprechen, weil das hier absurd ist.“

„Wenn Sie das sagen.“

Und damit schloss Javier den Abstand zwischen ihnen, hob Violet hoch und warf sie sich über die Schulter. Er hatte keine Zeit und Geduld mehr, und er hatte keine Lust, herumzustehen und sich von einer albernen jungen Frau auslachen zu lassen. Das brachte ihm einen Schrei und einen heftigen Tritt gegen seine Brust ein, dann noch einen. Und noch einen.

Es machte ihm nichts aus. Schmerz war nur Schmerz.

Javier ignorierte Violet. Er ignorierte sie, bis er sie aus dem leeren Gebäude und zum Parkplatz getragen hatte, wo seine Limousine wartete. Erst als er Violet auf dem Rücksitz hatte und die Türen geschlossen waren, blickte sie ihn angstvoll an. Vielleicht würde sie ihm jetzt glauben!

„Violet King, ich nehme Sie mit in mein Land, wo Sie Königin werden sollen.“

2. KAPITEL

Violet hatte ihr Telefon nicht dabei. Es war ein schreckliches Gefühl! Sie war eine unumstrittene Königin der sozialen Medien, doch jetzt war sie zum Schweigen verurteilt. Dabei hatte ein umwerfend gut aussehender Fremder ihr gerade erklärt, sie sollte Königin seines Landes werden!

Dieser Mann war zweifellos nicht ganz richtig im Kopf, deshalb, was auch immer passierte …

Violet sah sich in der prachtvollen Limousine um. Zwar war er nicht ganz richtig im Kopf, aber er hatte offenbar jemanden, der seine verrückten Fantasien finanzierte.

„Ist das Ihre Limousine?“

„Nein.“

„Für wen arbeiten Sie?“

„Ich habe es Ihnen doch gesagt. Für meinen Bruder, den König von Monte Blanco.“

„Ich weiß nicht einmal, wo das ist.“

„Es ist nicht gerade ein begehrtes Touristenziel“, sagte er.

„Tja.“

„Es ist auch nicht die Limousine meines Bruders, falls Sie neugierig sind. Keiner von uns beiden würde etwas so …“, er verzog verächtlich den Mund, „… Protziges besitzen.“

Altes Geld. Violet kannte sich mit altem Geld und der Verachtung aus, die dazugehörte. Sie war neues Geld und bekam die Verachtung oft zu spüren. Sie war knallig. Sie fiel auf. Aber sie hatte ihr Vermögen gemacht, indem sie Schönheit verkaufte. Indem sie Auffälligkeit verkaufte. Indem sie Frauen aufforderte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ihnen sagte, dass es in Ordnung war, wenn sie sich für sich selbst schick anzogen. Sich schminkten, um sich selbst zu gefallen, nicht unbedingt, um Männern zu gefallen.

Also ja, natürlich war sie selbst knallig. Und wenn er ein Problem damit hatte, konnte er … Tja, er konnte gern aus der Limousine auf den stark befahrenen San Diego Freeway springen. Sie würde nicht um ihn trauern.

„Na gut, Sie sind ein Snob. Ein Snob, der an einer Entführung beteiligt ist?“ Violet hielt es für möglich, dass er ein Schauspieler war. Dass er überhaupt nicht reich war, sondern dafür bezahlt wurde, ihr einen Streich zu spielen.

Oder dafür, ihr etwas anzutun.

Bei dem Gedanken bekam sie Angst, doch das würde sie nicht zeigen. Was nützte das ganze Make-up, wenn man es nicht gebrauchen konnte, um sein wahres Gesicht zu verbergen?

„Ich bin kein Snob. Ich bin ein Prinz.“

„Prinz eines Landes, von dem ich noch nie gehört habe.“

„Ihr auf Amerika fixierter Standpunkt ist wohl kaum mein Problem, oder Ms. King?“

„Ha! Klar, dass Sie das sagen.“ Sie fuhren weiter und weiter weg von ihrem Bürogebäude. Und Violet musste sich der Tatsache stellen, dass dies vielleicht kein Streich war. Dass der Mann wirklich meinte, sie würde mit ihm in sein Land reisen. Wenn es dieses Land gab. Sie hatte nur sein Wort dafür, und wenn man bedachte, dass er anscheinend glaubte, sie würde seinen Bruder heiraten, könnte er an zahlreichen Wahnvorstellungen leiden.

„Ich möchte meinen Vater anrufen.“

„Das können Sie gern tun.“ Er gab ihr das Telefon.

Violet riss es ihm aus der Hand und wählte die Privatnummer ihres Vaters. Robert King nahm beim zweiten Klingelton ab.

„Dad, ein Verrückter hat mich in seine Limousine verfrachtet und behauptet, du hättest vor zehn Jahren eine Abmachung mit ihm getroffen und ich solle seinen Bruder heiraten?“

„Ich habe kein Abkommen mit Ihrem Vater getroffen“, sagte Javier. „Mein Bruder.“

„Das ist jetzt nicht wichtig“, zischte Violet. Und dann wartete sie darauf, dass ihr Vater reagierte. Schockiert reagierte, wie sie annahm. Weil das Ganze natürlich verrückt war. Und natürlich hörte ihr Vater das zum ersten Mal. Weil er unmöglich etwas damit zu tun haben konnte.

„Violet …“

Die Stimme ihres Vaters klang plötzlich rau, völlig untypisch für den selbstbewussten Mann, zu dem sie immer aufgeblickt hatte.

Ihr Vater hatte seine Fehler. Violet war nicht blind dafür. Für sie war offensichtlich, dass er sich überhaupt nicht für ihren Erfolg interessierte. Mit ihrem Bruder sprach er immer gern über Geschäfte. Aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass er ihr Unternehmen für eine Art Hobby hielt, weil sich ihre Geschäfte um Frauendinge drehten und sie selbst eine Frau war.

Trotzdem würde er doch sicherlich nicht … Das bedeutete bestimmt nicht, dass er sie als Zahlungsmittel sah.

„Er ist verrückt, richtig?“

„Ich habe nie geglaubt, dass er das weiterverfolgen würde“, sagte ihr Vater. „Und als du zwanzig geworden bist und er sich nicht gemeldet hat … Ich habe angenommen, dass er die Forderung nicht geltend machen würde.“

„Du hast mich einem König versprochen?!“

„Es hätte schlimmer sein können. Ich hätte dich einem Gebrauchtwagenhändler versprechen können.“

„Du kannst nicht einfach jemanden anders jemandem anders versprechen. Ich bin ein Mensch, keine Kuh.“

„Es tut mir leid. Violet, ich habe wirklich nicht geglaubt, dass …“

„Ich lasse mir das nicht gefallen. Ich tue es nicht. Was soll mich davon abhalten, jetzt sofort aus dem Auto zu springen und loszurennen?“ Sie blickte aus dem Fenster, sah die Landschaft in einem erschreckenden Tempo vorbeifliegen und wusste, was sie davon abhalten würde. Aber das brauchte ihr Vater nicht zu wissen.

„Die Unternehmen. Sie werden an ihn gehen.“

„Die Unternehmen?“

„Deins und meins. Erinnerst du dich, dass wir deins aus steuerlichen Gründen meinem unterstellt haben? Und …“

„Das von Maximus auch?“

„Nein“, sagte ihr Vater langsam.

„Was ist der wahre Grund, warum du mein Unternehmen in deinem Konzern gehalten hast? War es wegen dieser Sache?“

„Nein. Nur weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Und ich dachte, dass …“

„Weil du nicht findest, dass ich Maximus ebenbürtig bin. Wenn du es tätest, hättest du mir dies nicht angetan. Ich kann nicht glauben …“

Entweder sie stritt weiter mit ihrem Vater, oder sie akzeptierte, dass er sie wie ein Möbelstück an einen Fremden verkauft hatte. Als sie zu der Erkenntnis gelangte, wusste Violet, dass sie auflegen musste. Eine Wiedergutmachung dafür gab es nicht. Nichts würde diese Sache wieder in Ordnung bringen.

Sie war damit konfrontiert worden, wie wenig sie ihrem Vater bedeutete, wie wenig er von ihr hielt. Mit ihm zu reden war sinnlos. Sie blickte den Mann an, der sie gefangen genommen hatte, und ihr wurde klar …

Dass mit ihm zu sprechen vernünftiger war, als mit ihrem Vater zu streiten.

Sie legte auf.

„Also gut, Sie sagen die Wahrheit.“

„Ich habe kein Interesse daran, Sie anzulügen“, erwiderte Javier. „Ich habe auch kein Interesse an diesem Abkommen. Mein Bruder hat verlangt, dass ich Sie hole, und deshalb habe ich es getan.“

„Dann sind Sie eine Art Bernhardiner?“

Eisige Belustigung blitzte in seinen dunklen Augen auf, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln nach oben. „Sie werden feststellen, dass ich nicht so leicht gefügig zu machen bin.“

„Trotzdem sind Sie hier und tun, was Ihnen jemand anders gesagt hat.“

„Was mein König gesagt hat. Und ich tue es für mein Land. Mein Bruder und ich waren für mehr als ein Jahrzehnt das Bollwerk, das zwischen Monte Blanco und totaler Zerstörung stand. Mein Vater war immer ein Diktator, aber gegen Ende seines Lebens geriet sein Benehmen außer Kontrolle. Wir waren die Einzigen, die verhinderten, dass seine eiserne Faust unser Volk vernichtet. Und jetzt versuchen wir, das Land neu aufzubauen. Wen mein Bruder als seine Braut will, ist seine Sache. Und Ihre amerikanische Empfindlichkeit ist mir völlig egal. Genau wie Ihr Geld und Ihre Erfolge. Mich interessiert nur, dass er nach Ihnen verlangt hat, und deshalb werde ich Sie ihm bringen.“

„Guter Junge“, sagte Violet.

Seine Bewegungen waren blitzschnell und geschmeidig. Gerade eben saß Javier ihr noch gegenüber, im nächsten Moment war er neben ihr. Er umfasste ihr Kinn, hielt sie fest, zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Aber sein Blick war nicht wütend. Nur finster und kalt. Und es war das Fehlen jeglichen Gefühls, das ihr wirklich Angst machte.

Violet glaubte allerdings nicht, dass er ihr etwas tun würde.

Er hielt sie viel zu beherrscht fest. Er fügte ihr keinen Schmerz zu. Sie spürte seine gezügelte Kraft an der Stelle, wo sein Daumen und sein Zeigefinger an ihrem Kinn lagen.

„Ich bin loyal“, sagte Javier. „Aber ich bin kein guter Mensch. Der Preis dafür, mein Land in Gang zu halten, der Preis für meine List war hoch. Machen Sie nie den Fehler, zu glauben, ich sei ein guter Mensch.“

Und dann zog er sich von ihr zurück. Es war, als hätte sie es sich nur eingebildet. Doch angesichts der Kälte in seinem Blick wusste sie, dass sie es sich nicht eingebildet hatte.

„Wie wollen Sie mich dazu bringen, ins Flugzeug zu steigen?“

„Ich trage Sie. Oder Sie gehen auf Ihren eigenen Beinen an Bord. Ihr Vater wird Ihnen keinen Unterschlupf gewähren. Ich nehme an, so viel hat er Ihnen erklärt. Also hat es keinen Zweck, zurück nach Hause zu laufen, stimmts?“

Violet stand vor einer schwierigen Entscheidung. Ja, sie könnte versuchen, wegzulaufen. Aber Javier würde sie mühelos einholen und überwältigen. Und wahrscheinlich würde niemand einer Sache viel Aufmerksamkeit schenken, die wie ein lautstarker Streit zwischen zwei reichen Leuten aussehen und darin gipfeln würde, dass sie in ein Privatflugzeug getragen wurde. Hollywood war viel zu nahe, als dass irgendjemand das für ungewöhnlich halten könnte.

Und selbst wenn sie entwischte … Ihr Vater hatte schon bestätigt, was Javier gesagt hatte. Ihr Vater sah nichts Unrechtes darin, sie zu benutzen, um aus einer schlimmen Lage herauszukommen. Er hatte nicht nur seine Tochter geopfert, sondern auch ihre Existenz.

„Sie werden mir nichts tun?“, fragte sie. Okay, Javier hatte gesagt, er sei kein guter Mensch. Aber sie hatte den Eindruck, dass er ehrlich war. Sonst hätte er keinen Grund gehabt, ihr zu sagen, dass er kein guter Mensch war. Es sei denn, um ihr Kontra zu geben, und sie hatte das Gefühl, dass das nicht der Grund war.

Da steckte mehr dahinter.

„Nein. Ich schwöre Ihnen, dass Ihnen nichts angetan wird. Mein Bruder will Sie zu seiner Braut machen, nicht zu seiner Sklavin. Und was mich angeht … Ich bin Ihr Beschützer, Violet, nicht Ihr Feind. Ich bin damit beauftragt worden, Sie nach Monte Blanco zu bringen. Falls Ihnen etwas zustößt, würde mich mein Bruder im Lieblingskerker meines Vaters verrotten lassen.“

„Ihr Vater hatte einen Lieblingskerker?“

„Ja.“

Violet wusste nicht, warum sie beruhigt war. Aber Javier hatte deutlich gemacht, dass sein Bruder und er nicht wie ihr Vater waren. Deshalb, wenn sie das glauben konnte …

Es war verrückt, ihm zu glauben. Nur hatte er sie kein einziges Mal angelogen. Ihr Vater hatte sie getäuscht. Ihre Beziehung zu ihm war anders, als er sie hatte glauben lassen.

Javier hatte nie gelogen.

Ihre Welt kam ihr auf den Kopf gestellt vor, und plötzlich schien ihr Kidnapper so ziemlich die vertrauenswürdigste Person zu sein.

Das war doch absurd!

Die Limousine hielt direkt auf der Rollbahn neben einem Flugzeug, das viel zu groß war, um ein Privatjet zu sein.

Das königliche Wappen an der Seite wies jedoch darauf hin, dass es tatsächlich Javiers Jet war.

Oder der seines Bruders. Wie auch immer das funktionierte.

„Hier entlang.“ Javier stieg geschmeidig aus der Limousine und hielt ihr die Tür auf.

Der Fahrer war langsamer ausgestiegen und stand nun kleinlaut da. „Ich glaube, er wollte die Tür aufhalten“, sagte sie und sah fragend vom Rücksitz zu Javier hoch.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sich ihre Blicke wieder begegneten. Ihn anzuschauen war, als würde sie von einer Macht getroffen. So etwas hatte sie noch nie erlebt.

Es lag nicht nur daran, dass er schön war. Es war seine Härte. Dieses überwältigende Gefühl, dass seine wilde Männlichkeit wie ein testosterongesteuerter Zug auf sie zukam.

Zugegeben, sie hatte nicht allzu oft Kontakt mit Männern wie ihm. Nicht in ihrer Branche. Tatsächlich war Violet nicht sicher gewesen, ob solche Männer wie er existierten.

Na ja, ihr Schwager Dante war wirklich ein harter Mann, aber im Vergleich zu Javier wirkte er umgänglich.

Dieser Mann war wie ein Rückfall ins Mittelalter. Die Umstände, unter denen sie ihn kennengelernt hatte – dass sie in die Ehe verkauft wurde –, trugen zweifellos zu diesem Gefühl bei.

„Pech für ihn“, konterte Javier. „Ich warte nicht gern.“

Violet gelangte zu dem Schluss, dass das ihr Zeichen war, aus der Limousine auszusteigen. Sie nahm sich Zeit dafür. Auch wenn er nicht gern wartete, sie ließ sich nichts befehlen.

Sie rutschte ganz langsam über den Sitz, schwang die Beine aus dem Auto und setzte die Füße auf den Boden auf. Dann rutschte sie noch ein kleines Stück vorwärts und legte die Hände auf die Knie.

Und genau in dem Moment, als Violet sich von ihrem Sitz erhob, bückte sich Javier, und ihr Gesicht berührte fast seins. Sie vergaß, zu atmen und wäre in ihrer Verwirrung beinahe auf den Asphalt gefallen. Javier legte den Arm um sie und zog sie an sich. Ihre Schulterblätter kamen in Kontakt mit seiner harten Brust. Alles dauerte nur einen Moment, weil er sie losließ, sobald sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Aber Violet spürte weiter seine kurze Berührung wie die Hitze eines flackernden Feuers …

„Wenn ich auf meinen eigenen Beinen an Bord gehe, ist es keine Entführung, stimmts?“, fragte sie schnell.

„Ich bin kein Fan der Story, dass es eine Entführung ist. Nennen Sie es, wie Sie wollen.“

Violet straffte die Schultern und ging auf das Flugzeug zu.

Sie musste ihre Lage unter Kontrolle bekommen.

Und selbständig an Bord zu gehen war zumindest einen Hauch besser, als sich mit Gewalt in dieses Flugzeug zerren zu lassen!

3. KAPITEL

Javier starrte die Frau an, die ihm gegenübersaß. Ihre Wut hatte ein bisschen abgenommen.

Sie hatte den vorbereiteten Champagner abgelehnt, und er hatte extra vor ihren Augen etwas getrunken, um zu beweisen, dass niemand sie zu vergiften versuchte. Oder was auch immer sie glaubte.

Er würde mit Matteo sprechen müssen, wenn er in Monte Blanco ankam! „So auf der Hut brauchen Sie nun auch nicht zu sein.“

„Klar doch“, erwiderte Violet. „Ich sollte mich entspannen. Vor dem Mann, der mich gegen meinen Willen festhält.“

„Vergessen Sie nicht, dass Sie auf Ihren eigenen Beinen zum Flugzeug gegangen sind, was nach Ihrer Meinung den Unterschied zwischen einer Entführung und einem spontanen Urlaub ausmacht.“

„Es ist eine Entführung“, sagte Violet. „Aber okay, ich werde jetzt auch von dem Champagner trinken.“

„Jetzt, wo Sie mich anderthalb Glas haben trinken sehen und überzeugt sind, dass ich nicht tot umfallen werde?“

„So ungefähr.“

„Warum sind Sie plötzlich wieder so wütend?“

„Dies ist absurd. Ich habe seit Stunden nicht mehr meine Social Media checken können.“

„Ist das ein Problem für sie?“

„Mein ganzes Unternehmen ist darauf aufgebaut. Internet, virale Posts. Wenn ich nichts posten kann, kann ich nicht viral gehen.“

„Das klingt nach etwas, was Sie vermeiden möchten.“

„Sie stellen sich absichtlich dumm. Sicherlich wissen Sie, was ‚viral gehen‘ bedeutet.“

„Ich habe davon gehört“, sagte Javier. „Ich wollte mich nicht allzu gründlich damit beschäftigen. Das Internet ist unsere geringste Sorge in Monte Blanco.“

„Tja, es ist eine meiner Hauptsorgen. Schließlich verdiene ich mein Geld damit. Dass Sie es ignorieren können, ist ja schön und gut, aber ich kann es nicht.“

„Außerdem werde ich Ihnen nicht erlauben, aus dem Flugzeug zu posten. Wir haben hier oben sowieso kein WLAN.“

„Wieso das denn nicht? Jedes Flugzeug hat es.“

„Mein Vater hat es nicht installieren lassen. Und mein Bruder hat keine Verwendung dafür gesehen.“

Sie starrte ihren Entführer ungläubig an. „Ich kann das kaum glauben. Er führt ein Land!“

„Noch einmal: Das Internet ist in meinem Land nicht die Hauptsorge. Sie werden bald feststellen, dass für uns andere Dinge vorrangig sind.“

„Haben Sie elektrischen Strom?“, fragte Violet in gespieltem Entsetzen.

„Ja.“

„Wohnen Sie in einem halb zerfallenen Schloss?“

„Es ist nicht mehr ganz so zerfallen, seit mein Bruder den Thron bestiegen hat. Aber es ist schon ziemlich mittelalterlich, ich will nicht lügen.“

„Tja. Dieses ganze Geschäft ist ziemlich mittelalterlich, oder?“

„Ich finde es recht modern, wenn man bedenkt, dass Sie nicht für zwei Schafe eingetauscht wurden“, bemerkte Javier trocken.

„Sondern für die Spielschulden meines Vaters. Ein Handel, der ihm abgerungen worden ist, während er betrunken war. Was für ein Mann ist Ihr Bruder, dass er das tut?“

„Ein ehrenhafter, würde ich sagen. Seine Hauptsorge ist das Land. Zwar weiß ich nicht, warum er speziell Sie will, aber ich weiß, dass er seine Gründe hat.“

„Wuff!“, sagte Violet.

Unwillkürlich war Javier belustigt über ihre Unverschämtheit. Violet King hatte keine Ahnung, wer er war. Er war eine Waffe. Eine menschliche Messerklinge.

Und sie … Sie verspottete ihn.

Er war an Frauen gewöhnt, die mit Ehrfurcht auf ihn reagierten. Manchmal zitterten sie in seiner Gegenwart vor Angst, schienen es jedoch in gewisser Weise zu genießen. Er war nicht blind gegen die Wirkung, die er auf Frauen hatte. Er war ein mächtiger Mann. Ein Mann mit einem Titel. Ein Mann mit Vermögen.

Er hatte den Oberbefehl über die Armee.

Doch Violet zitterte nicht vor Angst, wenn sie ihn ansah.

Er schenkte ihr Champagner ein und stellte ihn auf den Tisch, doch sie rührte sich nicht.

„Sie müssen sich das Glas schon nehmen. Im Gegensatz zu dem, was Sie vielleicht verstanden haben, spiele ich nicht den Laufburschen.“

Mit finsterer Miene beugte sie sich vor, nahm das Glas und lehnte sich wieder in ihrem Sessel zurück.

Sie sah sich in dem riesigen Flugzeug um. „Finden Sie nicht, dass Ihr Ding ein wenig zu groß ist?“

„Ich habe bis jetzt noch nie Klagen darüber gehört.“

Farbe stieg ihr in die Wangen. „Ja, dann.“ Sie trank die Hälfte des Champagners, ohne Luft zu holen. „Ich wünschte wirklich, es gäbe eine Internetverbindung.“

„Aber es gibt keine. Außerdem haben wir Ihr Telefon sowieso in Ihrem Büro liegen lassen.“

Das versetzte sie in Panik. „Was, wenn jemand anders es nimmt? Ich kann nicht dulden, dass irgendjemand auf meinen sozialen Medien postet, dem ich es nicht genehmigt habe.“

„Seltsame Sorgen haben Sie. Ich habe während der vergangenen Jahre für das Leben und die Gesundheit meines Volkes gekämpft. Ich kann mir nicht vorstellen, mir Sorgen zu machen, dass jemand in meinem Namen etwas postet.“

„Außenwirkung!“, fuhr Violet ihn an.

„So etwas kümmert mich nicht. Ich befasse mich mit der Realität.“

„Das Internet ist nicht weniger real. Es verändert das Leben von Menschen, beeinflusst sie. Ich habe ein ganzes Unternehmen darauf aufgebaut.“

„Ich habe Sie flüchtig recherchiert, Violet. Sie stellen Produkte her. Sie posten nicht nur irgendwelche Statements.“

„Nein. Aber ohne diese Statements würden sich meine Produkte nicht verkaufen. Es ist das, was mich all den Menschen vertraut macht. Was mich bedeutend macht.“

„Ich will doch hoffen, dass mehr als ein Code im Cyberspace Sie bedeutend macht.“

Violet zuckte mit den Schultern und trank noch einen Schluck Champagner. „Ich werde darüber nicht mit einem Mann streiten, der es vernünftig findet, mich gegen meinen Willen in sein Land zu verfrachten.“

„Ich habe nicht gesagt, dass es vernünftig ist“, erwiderte Javier. „Nur, dass es erledigt wird.“

Danach sprachen sie nicht mehr miteinander …

Nach der Ankunft in Monte Blanco trennte sich Javier von Violet und ging direkt ins Büro seines Bruders.

„Ich bin wieder da.“

„Gut.“ Matteo blickte kaum vom Schreibtisch auf. „Ich nehme an, du hast die Frau mitgebracht?“

„Ja.“

„Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann. Ist sie ohne Theater mitgekommen?“

Javier dachte an die bissigen Bemerkungen, denen er auf der Reise ausgesetzt gewesen war. „Nein. Sie macht noch immer Theater.“

Sein Bruder verzog das Gesicht. „Das könnte ein Problem werden.“

„Euer Hoheit?“

Beim Klang der Hauchstimme drehte sich Javier um. Matteos Assistentin Livia war ins Zimmer gekommen. Sie war ein kleines, farbloses Geschöpf, und Javier hatte keine Ahnung, warum sein Bruder sie behielt. Aber Matteo hing an ihr.

„Ja?“, sagte Matteo. Seine Stimme wurde sofort ein wenig sanfter.

„Der Leiter des United Council hat angerufen. Er wünscht die Teilnahme von Monte Blanco an einer Sitzung. Es geht um Ihre Aufnahme.“

Darauf hatte sein Bruder gewartet. Sein Vater hatte sich aus internationalen Angelegenheiten herausgehalten, aber für Matteo und auch für Javier war es wichtig, dass Monte Blanco eine Stimme bei weltweiten Themen hatte.

„Ich werde ihn anrufen.“

„Ich weiß nicht, ob das nötig ist. Er möchte nur wissen, ob Sie seine Einladung annehmen, diese Woche zum Gipfel zu kommen.“

„Nun, ich bin ziemlich beschäftigt“, sagte Matteo und zeigte auf Javier.

„Oh?“, fragte sie.

„Ja. Javier hat mir meine Braut gebracht.“

Für einen Moment weiteten sich Livias Augen. „Natürlich.“

Ansonsten zeigte die Assistentin keine Reaktion, aber Javier konnte erkennen, dass sie verstört war.

Er sah auch, dass sein Bruder es nicht bemerkte.

„Das ist jetzt unwichtig“, sagte Matteo. „Wir müssen hinfahren. Javier, du wirst dafür sorgen, dass sich Violet einlebt, während ich weg bin.“

„Natürlich.“ Er sagte nicht, dass er kein Babysitter für verzogene Schickeriafrauen war, sondern Soldat. Aber er dachte es.

„Sofort meine Sachen zusammenpacken“, sagte Matteo zu Livia. „Um alle Details kümmern.“

Trotz seiner unvollständigen Sätze huschte sie hinaus, um zu tun, was er gesagt hatte, ohne um eine Klarstellung zu bitten.

„Findest du nicht, dass das ziemlich daneben ist, selbst für dich?“

„Meine Maus wird kein Problem damit haben, alles zu erledigen.“ Matteo benutzte seinen Spitznamen für Livia.

„Ja. Ich habe es vergessen. Sie ist deine Maus, die nur lebt, um zu tun, was du verlangst. Aber ich habe nicht davon gesprochen, wie du mit deiner Assistentin umspringst. Ich habe gemeint, dass du mich eine Frau durch die halbe Welt schleppen lässt und dann gar nicht hier bist.“

„Das ist perfekt“, sagte Matteo. „Eine eher traditionelle Beziehung, ja? Wie in alten Zeiten. Wir werden uns bis zur Hochzeit nicht begegnen.“

„Du vergisst, sie ist Amerikanerin. Eine sehr moderne.“

„Du vergisst: Sie hat keine Wahl.“

„Warum willst du eigentlich Violet King? Das ist etwas, was ich nicht verstehe.“

„Weil wir uns der modernen Zeit anpassen müssen. Weil wir ändern müssen, wie die Welt Monte Blanco wahrnimmt.“

„Mir wurde von deiner Verlobten gerade erklärt, dass die Welt Monte Blanco überhaupt nicht wahrnimmt.“

„Ein Segen“, sagte Matteo. „Weil die Welt bis jetzt keinen guten Eindruck von unserem Land gehabt hätte.“

„Und das willst du ändern.“ Javier dachte daran, was Violet im Hinblick auf das Internet zu ihm gesagt hatte. „Warum hast du kein WLAN in deinem Flugzeug?“

Matteo blinzelte erstaunt. „Was hat das damit zu tun?“

„Violet schien es seltsam zu finden. Ich habe ihr erklärt, du würdest dich mit solchen Dingen nicht befassen. Aber anscheinend tust du es.“

„In der Luft habe ich es nie gebraucht.“

„Deine künftige Braut würde es haben wollen. Ich glaube, sonst wäre das Reisen mit dir beschwerlich für sie.“

„Mir war nicht klar, dass du so besorgt um ihr Wohl bist.“

„Du hast mir die Verantwortung für ihr Wohl übertragen.“

„Und ich übertrage sie dir jetzt.“ Matteo stand vom Schreibtisch auf. „Ich verstehe, dass es nicht ideal ist, aber dies ist notwendig.“

„Ich weiß“, erwiderte Javier. „Du tust nie irgendetwas, was es nicht ist.“

„Ich bin nicht unser Vater“, sagte Matteo.

Und nicht zum ersten Mal fragte sich Javier, ob er es zu ihm oder zu sich selbst sagte. Der Spruch war ihm wohlbekannt. Er wusste, dass sein Bruder einen schweren Weg ging, aber einen anderen als er selbst.

Javier hatte der Armee seines Vaters angehört.

Unter Javiers Aufsicht waren Einsätze ausgeführt worden, die Schaden angerichtet hatten. Er hatte geglaubt, dass er im Recht war, bis er eines Tages die Wahrheit gesehen hatte. Gesehen hatte, wofür ihn Liebe und Loyalität blind gemacht hatten.

Und er hatte gelernt, dass ein Mann ein Verbrecher sein und es nicht einmal wissen konnte. Dass ein Mann mit der richtigen Lüge unzählige Verbrechen begehen und es Gerechtigkeit nennen konnte.

„Ich weiß“, wiederholte Javier. „Du hast all die vergangenen Jahre damit verbracht, dich ihm zu widersetzen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Macht dich so schnell moralisch verderben könnte.“

„Aber ich muss mich davor in Acht nehmen. Ich verstehe, dass du es vielleicht für vorsintflutlich hältst, dass ich die junge Frau zur Heirat zwinge …“

Javier zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Meinung dazu.“ Und es stimmte. Ihm war klar, dass Violet mit der Situation unglücklich war, aber ihr Glück war nicht seine Angelegenheit.

„Das behauptest du“, sagte Matteo. „Aber ich habe das Gefühl, dass du immer eine Meinung hast.“

„Ist sie von Bedeutung, mein König?“

„Wie gesagt: Ich bin nicht unser Vater. Jetzt muss ich los und nachsehen, wie meine Maus vorankommt.“

„Sagst du ihr den Spitznamen ins Gesicht?“

„Ja. Sie findet ihn liebenswert.“

Javier dachte an Livias gequälten Gesichtsausdruck, als Matteo seine Verlobte erwähnt hatte, und an die Wärme in der Stimme seines Bruders, wenn er ihren Spitznamen sagte. „Vielleicht …“

„Ich habe ihr den Spitznamen nicht gegeben, weil ich sie grau und unscheinbar finde, Javier, sondern weil sie auf mich anfangs gewirkt hat wie ein verängstigtes kleines Mäuschen! Nun gut. Du wirst alles am Laufen halten, solange ich weg bin“, sagte Matteo. Es war ein Befehl und keine Frage.

„Natürlich.“

„Und ich werde mich darum bemühen, dass diese Besprechungen gut verlaufen. Du erinnerst dich, was ich zu dir gesagt habe.“

„Selbstverständlich. Falls du jemals Charaktereigenschaften unseres Vaters zeigen solltest, wäre es besser, dass du tot wärst.“

„Ich habe das ernst gemeint.“

„Und ich würde dich höchstpersönlich töten.“

Matteo lächelte, kam vorwärts und umklammerte seinen Unterarm, und Javier umfasste Matteos Arm.

„Und deshalb vertraue ich dir, Javier. Weil ich glaube, du würdest es tun.“

Sie waren Brüder. Verbunden durch Blut, das sie hassten: das Blut ihres Vaters. Aber ihre Bindung war unerschütterlich und war es immer gewesen. Weil sie schon früh gewusst hatten, dass sie das Böse in ihrer Linie überwinden mussten.

Und das konnten sie nur gemeinsam tun.

Ihre Beziehung war das Wichtigste in Javiers Leben, weil sie der moralische Halt für sie beide war.

Ob er verstand oder nicht, warum Matteo unbedingt Violet heiraten wollte, er würde seinen Bruder unterstützen. Violets Gefühle waren kein Thema.

Nur das Königreich zählte.

4. KAPITEL

Violet war in eine reiche Familie hineingeboren worden. Deshalb war sie an Luxus gewöhnt. Aber dieser Palast hier in Monte Blanco war etwas völlig anderes.

Die Wände waren nicht vergoldet, sie waren ganz aus Gold. Der Fußboden war aus Obsidian, mit Einlegearbeiten aus Edelmetallen, Rubinen und Smaragden. Die Türrahmen waren aus Gold, durchsetzt mit Diamantenstreifen.

Nach dem, was Javier über die Limousine gesagt hatte, war Violet etwas überrascht, eine so krasse Zurschaustellung von Reichtum zu sehen. Andererseits glaubte sie, dass der Palast schon seit Jahrhunderten stand. Sie konnte es fühlen.

Der Königspalast war auf einem Berg aus weißem Granit erbaut. Wahrscheinlich stammte der Name des Landes daher.

Der weiße Berg erinnerte sie an Javier. Imposant, gebieterisch und ganz aus Stein. Der Blick nach unten war atemberaubend. Imposante Kiefern erstreckten sich bis weit ins Tal und über die umliegenden Berge. Violet machte an einer lichten Stelle in dem dichten Kiefernwald etwas aus, was eine Stadt sein könnte. Wenn es eine war, dann war sie sehr klein.

Sie hätte nicht gedacht, dass es in dieser Region kalt war, aber es war hier oben auf der Bergspitze geradezu schockierend kalt und viel wilder, als sie geglaubt hatte.

Königin der Wildnis. Javier hatte sie hierhergebracht, damit sie Königin der Wildnis wurde.

Der Gedanke ließ sie schaudern.

Violet wandte sich von der Aussicht ab und wieder dem Schlafzimmer zu, das ihr von einer Palastangestellten zugewiesen worden war. Plötzlich dachte sie nicht mehr an die Wildnis draußen, denn dieses Zimmer war prunkvoll bis zur Lächerlichkeit.

Das Bett war aus purem Gold. Der Baldachin bestand aus mehreren Schichten Stoff, einem glänzenden und einem hauchdünnen, mit schwerem Brokat darunter. Die Bettdecke war aus Samt in kräftigem Lila und Gold.

Aber sie wollte keine Zeit damit verschwenden, über das Zimmer nachzudenken. Sie musste herausfinden, wie sie dem König diese lächerliche Idee ausreden konnte, dass sie heiraten sollten. Als Erstes musste sie seine Beweggründe verstehen. Wenn er wahnsinnig vor Lust nach ihr war, gab es nicht viel, was sie ihm anbieten konnte. Zumindest nicht viel, was sie anzubieten bereit war.

Violet wusste, dass niemand es glauben würde, aber sie hatte keine sexuellen Erfahrungen mit Männern. Sie war nie von einer Welle der Leidenschaft mitgerissen worden, und sie wollte unbedingt auf solch eine Welle der Leidenschaft warten, wenn sie mit einem Mann …

Das Problem war, sie hatte so viele verschiedene Männer in ihrem Leben kennengelernt. Einfach, weil sie gute Beziehungen hatte und weit gereist war. Sie hatte reiche Männer getroffen. Talentierte. Schauspieler, Küchenchefs, Rockstars. Vorstandsvorsitzende.

Javier ist der erste Prinz, den du kennengelernt hast …

Aber das spielte keine Rolle. Der Punkt war, dass sie schon früh mit mächtigen Männern in Kontakt gekommen war, und unweigerlich von ihnen enttäuscht wurde.

Sie erwiesen sich als arrogante Blödmänner mit einem übersteigerten Selbstwertgefühl, heimliche Perverse, die vortäuschten, ihr zuzuhören, während sie sich darauf konzentrierten, sie anzumachen. Oder als aufdringliche Typen, die ein Albtraum waren, mit mehr Händen als ein Tausendfüßler und weniger Verstand.

Violet hatte immer gedacht, dass es mehr als das geben müsste. Mehr, als mit den Schultern zu zucken und einem nassen Kuss nachzugeben, den sie gar nicht gewollt hatte.

Und sie hatte nicht die ganze Zeit auf Leidenschaft bestanden, nur um sich jetzt widerstandslos einem König hinzugeben, den sie nicht einmal kannte.

Sie hätte ihn googeln können, wenn sie ihr Smartphone oder einen Computer bei sich gehabt hätte. Hatte sie aber nicht!

Bei dem Gedanken, dass der König vielleicht sexbesessen war, gruselte es sie wirklich.

Sie fuhr zusammen, als es klopfte. „Herein.“ Sie erwartete, dass es die Frau war, die sie in ihr Zimmer geführt hatte, doch es war Javier. Und als er hereinkam, brachte er die Anspannung mit, die sie die ganze Zeit gespürt hatte, während sie auf dem Flug hierher zusammen gewesen waren.

„Ich habe nicht Sie erwartet“, sagte sie.

„Sondern?“

Violet reckte das Kinn. „Wo ist Ihr Bruder?“

„Brennen Sie darauf, ihn zu treffen?“

„Nein“, sagte Violet. „Aber hat er Ihnen verraten, warum er mich heiraten will?“

Sie musste es wissen, wenn sie einen Plan ausarbeiten wollte.

„Ja“, erwiderte Javier.

Doch dann sagte er kein weiteres Wort, sondern stand einfach nur da, groß und imposant.

„Möchten Sie es mir mitteilen?“

„Ich denke nicht, dass es wichtig ist.“

„Sie verstehen nicht, dass es für mich wichtig ist, warum mich dieser Fremde heiraten will? Ich würde zum Beispiel gern wissen, ob es etwas damit zu tun hat, dass er von meinem Körper besessen ist.“

Zu Violets Empörung brachte ihre Vermutung den ernsten Javier zum Lachen.

„Nein. Mein Bruder hat es nicht auf Ihren Körper abgesehen. Er denkt, dass Sie nützlich dabei sein können, die Meinung der Welt über Monte Blanco zu verbessern. Darauf legt er den Schwerpunkt. Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass er nicht mehr hier ist.“

„Er ist gar nicht hier?“, fragte Violet verblüfft.

„Nein. Er ist gerade zum Gipfeltreffen des United Council gefahren. Es ist sehr wichtig für ihn, dass Monte Blanco in den Rat aufgenommen wird. Wir sind zu lange ohne Verbündete gewesen. Wir hatten zu lange kein Mitspracherecht dabei, wie die Welt funktioniert. Mein Bruder hält das für den Schlüssel dazu, uns ins einundzwanzigste Jahrhundert zu bringen.“

„Also will er im Grunde nur meine … Reichweite als Influencerin?“ Das war absurd. Aber damit konnte sie arbeiten. „Ich soll das Land besser aussehen lassen?“

„Ja“, sagte Javier.

„Das ist leicht. Ich kann das auch machen, ohne ihn zu heiraten.“

„Ich bin nicht sicher, ob das auf seiner Agenda steht.“

„Nun, dann muss ich ihn einfach überzeugen, dass es der bessere Plan ist. Ich bin sehr überzeugend. Ich bin in einen sehr überfüllten Markt eingestiegen, und ich habe es geschafft, ihn zu beherrschen. Sie wissen, dass ich eine der jüngsten Selfmade-Milliardärinnen der Welt bin?“

Javier nickte. „Ja. Wir haben uns tatsächlich die Schlagzeilen über Sie angesehen.“

„Dann sollten Sie wissen, dass ich als Unternehmensberaterin viel nützlicher für Ihren Bruder sein würde.“

„Sie verkaufen doch bloß Make-up.“

Violet wurde böse. „Ja. Und ich verkaufe es gut. So gut, dass er anscheinend Notiz genommen hat von dem Eindruck, den ich auf die Welt gemacht habe. Also setzen Sie es nicht herab.“ Sie holte Luft. „Jedenfalls brauche ich eine Gelegenheit, um das Land kennenzulernen.“

„Ausgezeichnet. Ich bin froh, dass Sie so denken. Weil ich glaube, dass die Maus schon ein Programm für die Zeit aufstellt, die Sie weg sind.“

„Die Maus?!“

„Ich meine die Assistentin meines Bruders. Wir haben Aufgaben, während er weg ist. Und ich habe die Aufsicht.“

„Sind Sie mein Babysitter?“

„In gewisser Weise.“

„Wissen Sie“, sagte Violet mit einem durchtriebenen Lächeln, „ich erinnere mich an einen Bernhardiner, der in einem Zeichentrickfilm als Oma fungierte …“

„Treiben Sie es nicht zu weit. Ich kann meinem Bruder jederzeit erzählen, dass Sie leider einen Unfall hatten.“

„Sie haben gesagt, Sie würden mir nichts tun.“ Violet erwiderte seinen Blick so streng sie konnte.

Javier nickte. „Das habe ich.“

„Sind Sie ein Mann von Wort?“

„Ja.“

„Irgendwie wusste ich das.“

Er kniff die Augen zusammen. „Woher?“

„Ich glaube, ich bin eine gute Menschenkennerin. Ich wurde in eine reiche Familie geboren, und das ist ein leichteres Leben, als die meisten haben. Aber die Leute waren immer hinter mir her, damit ich ihnen einen Gefallen tue. Und ich musste sehr schnell lernen, wer wirklich meine Freunde sind. Zwar sagen Sie, Sie seien kein guter Mensch, aber Sie haben moralische Grundsätze. Mein Pech, dass diese Grundsätze Ihnen gestatten, jemanden zu entführen, nur weil Ihr Bruder sagt, es sei das Richtige. Ich denke jedoch nicht, dass Sie so weit gehen, dass Sie jemandem etwas tun, der sich nicht verteidigen kann.“

Javier nickte. „Das stimmt. Meinem Vater hat es Spaß gemacht, den Schwachen Schmerz zuzufügen. Ihm hat es Spaß gemacht, seine Macht auszunutzen. Ich will so etwas niemals tun. Es ist feige.“

„Und Sie sind kein Feigling. Ich glaube, dass Sie mir vielleicht sogar helfen wollen, Ihrem Bruder zu beweisen, dass ich ihn nicht zu heiraten brauche. Damit ich in mein richtiges Leben zurückkehren kann.“

„Da irren Sie sich. Ihr Plan ist mir egal. Ihr Glück ist für mich unwesentlich. Was zählt, ist das höhere Gut. Wenn mein Bruder meint, dass diesem höheren Gut gedient wird, indem er Sie heiratet, dann ist es das, wobei ich ihm helfe.“

„Ich werde es beweisen. Ich werde beweisen, dass wir keine Heirat brauchen.“

„Fantastisch. Können Sie gern tun. In der Zwischenzeit mache ich mich daran, die Punkte auf der Liste meines Bruders umzusetzen. Weil das alles ist, was mich interessiert.“

Javier machte sich daran, das Zimmer zu verlassen, doch Violet hielt ihn mit einer Frage zurück. „Haben Sie eigentlich bei irgendetwas irgendwelche Gefühle?“

Er drehte sich wieder zu ihr um. Sein Blick war ausdruckslos. „Nein.“

„Sie müssen ja wirklich toll im Bett sein!“ Violet war nicht sicher, woher das gekommen war. Außer, dass sie wusste, dass es Männer wütend machte, wenn man ihr Können in Zweifel zog. Und wenn sie sein Mitleid nicht wecken konnte, würde sie eben Wut hervorrufen.

„Zum Glück für Sie“, sagte Javier in hartem Ton, „wird mein Können im Schlafzimmer niemals Ihre Sorge sein. Sie sind nicht für mich bestimmt.“

Dann war er weg, und Violet hatte das Gefühl, dass sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben übernommen hatte.

Nein, eigentlich war es ihr Vater, der sich übernommen hatte. Und sie musste jetzt damit fertigwerden.

5. KAPITEL

Ihre Worte hallten während des ganzen nächsten Tages in ihm nach. Und als Javier schließlich das Memo von der Assistentin seines Bruders erhielt, war er so gereizt wie noch nie. Dabei konnte es ihm doch völlig egal sein, was Violet King von ihm im Bett hielt. Sie hatte eine spitze Zunge, und sie nervte. Sie war zweifellos schön, aber sie nervte.

Javier stürmte durch den Flur zu ihrem Zimmer und klopfte laut.

„Nicht hereinkommen!“

„Warum nicht?“

„Ich bin nicht vorzeigbar.“

„Haben Sie nichts an?“ Seine Bauchmuskeln spannten sich an, als er sich Violet unbekleidet vorstellte, und er verfluchte sich, weil er sich wie ein unerfahrener Junge benahm. Sie war nur eine Frau.

„Doch“, sagte sie.

Javier öffnete die Tür, ohne auf eine weitere Erklärung zu warten. Violet saß im Bett und war …

Ungeschminkt.

Sie wirkte jünger als gestern, jünger als auf jedem Foto, das er gesehen hatte. Ihre Wimpern waren nicht mehr so übertrieben lang und weniger dunkel. Ihr Gesicht sah runder aus, die Haut zarter. Ihre Lippen glänzten nicht mehr so stark, aber sie sahen sinnlich und weich aus. Das dunkelbraune Haar fiel ihr in wilden Wellen um die Schultern.

„Ich trage kein Make-up“, sagte sie empört.

Er musste einfach lachen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt etwas lustig gefunden hatte. Bis jetzt. Die Frau war beunruhigt, weil sie ihr Make-up nicht hatte!

„Und das geht mich etwas an, weil …?“

„Es ist mein Beruf. Ich gehe nicht ohne nach draußen. Es wäre schlechte Werbung.“

„Sie denken doch sicherlich nicht, dass Sie all die Make-up-Schichten brauchen, um vorzeigbar zu sein?“

„Darum geht es nicht. Es ist nur … Es ist nicht, wer ich bin.“

„Ihr Make-up ist, wer Sie sind?“

„Ich habe mein Imperium darauf aufgebaut. Auf meinem Look.“

„Hier ist niemand, um ihren Look zu sehen. Und wir haben Aufträge.“

„Aufträge?“

„Ja. Erstens soll ich Ihnen eine Palastführung geben. Danach sollen wir über Ihr Erscheinungsbild sprechen.“

Violet deutete mit der Hand auf ihr Gesicht. „Ich habe die ganze Zeit über mein Erscheinungsbild gesprochen.“

„Das habe ich gerade nicht gemeint. Ihre Rolle als Königin erfordert einen anderen Ansatz.“

„Ich habe klar zum Ausdruck gebracht, dass ich bei dieser Königinsache nicht mitmache, und Sie reden darüber, wie Sie mein Erscheinungsbild ändern wollen?“

„Ich erzähle Ihnen nur, was auf der Liste steht. Außerdem müssen wir Bräuche durchgehen, Erwartungen, Ballsaaletikette.“

„Kommen Sie mir nicht damit, dass ich Tanzstunden nehmen muss.“

„Genau das.“

„Das ist … mittelalterlich.“

„Sagen Sie mir, was Sie von zu Hause brauchen, und ich lasse es herbringen.“ Als er ihre störrische Miene sah, erkannte Javier, dass er sie zu diesen Aufgaben schleifen konnte, während sie sich lautstark beschwerte, oder er konnte ihr auf halbem Weg entgegenkommen.

„Ich benötige alle meine Schönheitsartikel. Wenn ich mein Make-up benutze, kann ich vielleicht einen Look auf Königinniveau präsentieren, aber das macht niemand außer mir selbst.“

„Wir werden sehen.“

„Ich kann nicht die Produkte von jemand anders tragen!“

„Meine Hauptsorge ist nicht Ihr Unternehmen. Und Ihre sollte es zu diesem Zeitpunkt auch nicht sein.“

„Falsch. Meine Hauptsorge ist mein Unternehmen, weil es das ist, was ich hier anzubieten habe.“

„Warum besprechen wir das nicht beim Frühstück?“

„Ich habe es Ihnen doch erklärt. Ich kann nicht raus, wenn ich so aussehe.“

Javier drückte eine Taste an der Gegensprechanlage neben der Tür. Wenige Augenblicke später ging die Tür auf, und ein Palastangestellter schob einen Servierwagen mit Frühstück für zwei hinein.

„Oh“, sagte Violet.

„Sie sprechen ständig Probleme an, die für mich keine sind.“

„Na schön. Eigentlich ist mir mein Make-up nicht so wichtig.“

„Warum protestieren Sie dann?“

„Weil ich gewinnen will. Und ich dachte, wenn Sie mich für albern halten und unfähig, ohne Make-up zu funktionieren, schicken Sie mich vielleicht zurück.“

Insgeheim war Javier ziemlich beeindruckt, aber natürlich achtete er darauf, sich davon nichts anmerken zu lassen. „Noch einmal. Ob Sie die nächste Königin von Monte Blanco werden oder nicht, ist nicht meine Entscheidung. Also versuchen Sie ruhig, mir weiszumachen, dass Sie das dümmste Geschöpf auf dem Planeten Erde sind, aber es wird nichts ändern.“

Javier schob den Servierwagen näher an ihr Bett, und Violet sah sich das Frühstück genau an.

„Ist das Avocadotoast?“

„Ja“, sagte Javier. „Natürlich habe ich gehört, dass er auf der ganzen Welt sehr trendy ist. Wir haben ihn hier schon immer gegessen.“

„Faszinierend. Ich wusste nicht, dass ihr hier Trendsetter seid.“

Er nahm seinen Frühstücksteller und setzte sich in den Sessel neben ihrem Bett. Dann schenkte er zwei Tassen Kaffee ein. Violets Interesse wurde noch stärker.

„Ich werde Sie nicht vergiften“, sagte Javier. „Sie starren mich noch immer an, als würde ich es vielleicht tun.“

Sie krabbelte zur Bettkante, nahm den Teller mit Avocadotoast und stellte ihn auf die Bettdecke.

Ihre Blicke trafen sich, und Violet hielt seinen fest. Javier spürte ein Ziehen in seinem Bauch. Sie bewegte sich nicht. Oder vielleicht kam es ihm nur so vor. Es war, als würde der Moment zwischen ihnen hängen.

Dann streiften ihre Finger seine, als sie die Tasse nahm. Farbe stieg ihr ins Gesicht. Sie lehnte sich zurück an die Kopfkissen, weit weg von ihm. Javier stellte fest, dass der vergrößerte Abstand ein wenig gegen die Anspannung seiner Bauchmuskeln half.

Violet trank einen Schluck und lächelte. „Perfekt. Stark.“

„Haben Sie gut geschlafen?“

„So gut, wie es eine Gefangene in einem fremden Land erwarten kann.“

Sie war seltsam, diese Frau. Sie hatte Mut. Viele Menschen wären in dieser Situation völlig zusammengebrochen. Violet nicht. Sie versuchte, ihn zu ärgern. Ihn zu manipulieren. Nannte ihn einen Bernhardiner und täuschte vor, am Boden zerstört zu sein, weil sie ungeschminkt war.

Und jetzt trank sie zufrieden ihren Kaffee.

„Warum sagen Sie mir nicht einfach, woran Sie denken, Violet? Ich sehe Ihnen an, dass Sie darauf brennen, es zu tun.“

„Ich werde die Aufgaben auf Ihrer Liste ableisten. Bis hin zum Tanzunterricht. Aber ich möchte, dass Sie mir das gesamte Land zeigen. Nicht nur den Palast.“

„Wozu?“

„Ihr Bruder will das Land ins moderne Zeitalter führen. Ich bin das Aushängeschild für Erfolg im modernen Zeitalter. Und ich kann Ihnen etwas davon bringen. Ich kann das tun, ohne Ihren Bruder zu heiraten.“

„Was mich anbelangt, ist das kein Verhandlungspunkt.“

„Na gut. Wir stellen das zurück. Aber ich möchte, dass Sie mir die Mittel geben, damit ich es zu einem Verhandlungspunkt mit ihm machen kann.“

„Vielleicht“, sagte Javier.

„Selbst wenn ich Ihren Bruder heirate, werden Sie wollen, dass ich dies tue.“

„Er hat keine Anweisungen gegeben, es zu tun. Ich habe keine persönliche Meinung dazu.“

„Wenn Sie Ihren Willen bekommen, werde ich hier für den Rest meines Lebens leben“, sagte Violet, und jetzt war ihr anzuhören, wie sehr sie sich aufregte. „Und Sie wollen nicht einmal, dass ich das Land sehe? Meinen Sie nicht, ich sollte mir ein Bild von meinem zukünftigen Leben machen können?“

Das war keine Geschäftsverhandlung. Violet gab sich nicht clever oder oberflächlich. Endlich bekam er etwas Echtes von ihr. Und er stellte fest, dass er nicht immun dagegen war.

„Ich sehe mal, was ich tun kann.“

Sie biss grimmig von ihrem Toast ab. „Wenigstens mag ich Ihr Essen.“ Sie legte den Toast zurück auf den Teller und wischte sich ein paar Krümel von den Lippen.

Es gelang ihr, herrisch und lächerlich zugleich auszusehen.

Javier konnte sich nicht vorstellen, dass sein Bruder ihr etwas ein- oder ausreden könnte. Sie war ebenso launisch wie rätselhaft, und Javier hatte sich nie zuvor so intensiv mit einer Frau befassen müssen.

Denn so persönlich waren seine persönlichen Beziehungen mit Frauen nun auch wieder nicht. Es waren sexuelle Beziehungen. Plötzlich verwickelte er sich mit einer schönen Frau in etwas, was allzu viel mit ihren Gefühlen zu tun hatte.

„Essen Sie Ihren Toast auf“, sagte Javier energisch. „In einer Stunde schicke ich Ihnen einen Palastangestellten, der Sie nach unten begleitet. Und dann wird es Zeit, dass wir mit Ihrer Ausbildung beginnen.“

Violet murrte vor sich hin, als sie durch den breiten, langen Flur auf den Ballsaal zuging. „Mit Ihrer Ausbildung beginnen …“

Das war absurd. Und sie machte sich allmählich ernsthaft Sorgen. Sie war seit mehr als zwölf Stunden in Monte Blanco. Den mysteriösen König hatte sie noch nicht gesehen, und sie schien nicht damit voranzukommen, sich aus ihrer Verlobung herauszureden.

Unten angekommen, hatte sie eine gute Wegbeschreibung erhalten, aber das Schloss war riesig, und sie war ein bisschen beunruhigt, dass sie sich schließlich für immer in diesen gewundenen, glitzernden Gängen verirren würde. Als wäre sie in der Berghöhle eines Trolls, umgeben von funkelnden Edelsteinen und Gefahr.

Und als Violet den riesengroßen Ballsaal betrat und Javier in der Mitte stehen sah, war sie sicher, dass sie den Bergkönig anblickte. Sie wusste, dass er nicht der König war. Javier handelte auf Weisung seines Bruders, das hatte er viele Male gesagt. Nur war es ihr unmöglich, zu glauben, dass dieser Mann von irgendjemandem Befehle entgegennahm.

Es dauerte einen Moment, bis sie merkte, dass noch jemand im Saal war: eine kleine, rundliche Frau in einem Chiffonkleid.

„Ah! Die künftige Königin ist hier“, sagte die Fremde begeistert. „Wir können anfangen. Mein Name ist Sophie. Ich werde Ihnen die Gesellschaftstänze unseres Landes beibringen.“

„Sie könnten jedermanns Gesellschaftstänze sein“, erwiderte Violet. „Sie wären mir trotzdem völlig neu.“

„Das sagen Sie, als sollte es mich einschüchtern. Tut es aber nicht. Besonders nicht, weil der Prinz Ihr Partner sein wird.“

Violet erstarrte. „Er tanzt?“ Sie zeigte auf Javier.

„Ich gehöre zur königlichen Familie“, erklärte dieser gelassen. „Da muss man verschiedene Bräuche lernen. Und natürlich Gesellschaftstanz. Es gibt nichts, dem Sie während Ihrer Ausbildung ausgesetzt werden, dem ich nicht ausgesetzt wurde. Und sehr viele Dinge bleiben Ihnen erspart.“

Diese Erklärung hatte etwas Geheimes an sich, das sie zittern ließ. Aber bevor sie darauf antworten konnte, hatte Javier ihre Hand ergriffen und zog Violet an seine harte Brust.

Er war heiß.

Und ihr stockte das Herz.

Und sie fühlte …

Sie fühlte die Anfänge von etwas, worüber sie gelesen hatte. Wovon sie gehört hatte. Aber was sie noch nie erlebt hatte.

Als er sie für einen Moment anschaute, war das, was sie in seinen dunklen Augen sah, nicht nett. Nein. Es war etwas ganz anderes.

Sie blickte zu Boden.

Sophie klatschte leise in die Hände. „Ich starte die Musik. Javier ist ein sehr guter Tänzer. Er wird es Ihnen leicht machen, indem er sehr betont führt.“

Violet schluckte. Seine Hand auf ihrem Rücken war fest, seine andere, die ihre hielt, war überraschend rau. Violet hätte gedacht, dass ein Prinz keine Schwielen hatte. Aber er hatte welche. Sie fragte sich, was für eine körperliche Arbeit er leistete. Oder ob es von einem mörderischen Fitnesstraining kam. Zweifellos hatte er den Körper eines Mannes, der sich gern im Fitnessraum auspowerte.

Musik begann zu spielen. Ein Instrumentalstück. Und Violet tanzte.

Sophie gab Anweisungen, aber Violet fühlte sich, als würde sie schweben, als hätte sie selbst gar keine Kontrolle über ihre Bewegungen. Es war wie Magie. Zuvor hätte sie felsenfest behauptet, sie wolle nicht tanzen. Nicht in einem leeren Ballsaal, in einem Palast, in dem sie festgehalten wurde von dem Mann, der im Grunde genommen ihr Entführer war. Doch es war berauschend.

Sie hob ein wenig die Augen und konnte seinen Mund sehen. Sie fand diesen schön geschwungenen Mund so verführerisch. So faszinierend. Sie war hingerissen davon.

Während sie Javier ansah, breitete sich in ihr ein seltsames Gefühl aus, auf das sie reagierte, indem sie sich instinktiv die Lippen befeuchtete. Violet spürte, dass ihr Tanzpartner sich anspannte. Als sie den Mut aufbrachte, hoch in seine Augen zu schauen, war sein Blick nicht mehr eisig, sondern glühend.

Aber Violet fühlte sich nicht bedroht. Es war nicht Furcht, die sie fühlen ließ, als könnte sie von innen heraus verbrennen.

Sie holte tief Luft und beugte sich vor, hoffte, dass sie mit der schnellen Bewegung vielleicht verbergen konnte, wie stark sie auf Javier reagierte. Nur streiften dabei ihre Brüste seine harte Brust, und ihr war, als würde sie dahinschmelzen.

Violet schwankte, und er schien zu denken, dass sie das Gleichgewicht verlor, denn er legte ihr den Arm um die Taille und zog sie fester an sich. Sie fühlte sich schwerelos. Und sie fühlte sich geborgen. Beschützt.

Das sollte sie nicht. Dieser Mann war ihr Feind. Nach dem, wie er ihre Vorschläge abgetan hatte, einen Weg zu finden, damit sie nicht heiraten musste, war er geradezu ihr Todfeind.

Aber in seinen Armen war sie sich sicher, dass er ihr niemals etwas tun würde. Und als sie ihm in die Augen blickte, sah sie ihn im Geiste vor sich, wie er ein Schwert hielt, sie an seinen Körper drückte und jeden bedrohte, der versuchte, Anspruch auf sie zu erheben. Jeden, der versuchte, sie ihm wegzunehmen.

Sie war verrückt.

Sie hatte den Verstand verloren.

So reagierte sie nicht auf Männer. Niemals. Und auf gar keinen Fall reagierte sie so auf einen Mann, der sie gefangen hielt, bis er sie mit seinem Bruder verheiraten konnte.

Doch schon ein einziger Blick in sein schönes Gesicht machte es ihr unmöglich, daran zu denken. An irgendetwas zu denken. Daran, wie einsam sie hier war. Dass ihre Freunde und Freundinnen nicht hier waren, ihre Familie nicht hier war. Sie hatte nicht einmal ihr Telefon. Von dem Moment an, als sie heute Morgen aufgewacht war, hatte sie nicht mehr an ihr Telefon gedacht.

Sie war aufgestanden, hatte sich das Make-up vom Gesicht geschrubbt, die falschen Wimpern abgezogen und die Idee aufgegriffen, eine alberne, hilflose junge Dame zu spielen. Außer sich wegen Eyeliner. Nur um zu sehen, was sie damit erreichte.

Jedenfalls war das ihr erster Gedanke an diesem Morgen gewesen. Und dann war Javier aufgetaucht.

Javier hatte so gut ausgesehen.

Und irgendwo war dabei jede Logik auf der Strecke geblieben.

Weil sie sich mit diesem Mann verbundener, lebendiger fühlte, hier in Abgeschiedenheit, als sie es zu Hause getan hatte.

Aber du bist nicht seinetwegen hier.

Der Gedanke ließ sie schaudern und wirkte, als wäre ihr ein Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet worden.

Sie war albern. Körperlich auf Javier zu reagieren war grotesk. Nicht nur, weil er sie gegen ihren Willen hierhergebracht hatte, sondern auch, weil er nicht einmal der Grund war, warum sie hierhergebracht worden war.

Es war sein Bruder. Sein Bruder, den sie nicht einmal kennengelernt hatte.

Violet befreite sich aus Javiers Griff. „Ich glaube, ich habe den Bogen raus.“

„Sie machen Ihre Sache ganz gut“, sagte Sophie. „Meisterhaft würde ich es nicht nennen.“

„Ich leide an Jetlag. Oder haben Sie nicht gehört, dass ich gestern Nachmittag gezwungen wurde, in ein Flugzeug zu steigen, und aus San Diego eingeflogen wurde?“

Sophie blickte aufmerksam von Violet zu Javier. „Ich gebe zu, dass ich nicht die ganze Geschichte kenne.“

„Gezwungen“, wiederholte Violet. „Ich werde gezwungen, König Dingsbums zu heiraten.“

„König Matteo“, sagte Javier.

„Stimmt das?“ Sophies Miene wurde wachsam.

„Ihr geht es gut“, versicherte Javier. „Sie bekommt nur kalte Füße.“

„Oh ja, Bammel vor der Hochzeit ist ein echtes Problem für entführte Bräute“, zischte Violet.

„Zweifellos fürchten Sie um Ihr Leben“, spottete Javier. „Sie behandeln mich, als könnte ich Sie jeden Moment mit fehlendem WLAN umbringen.“

„Ich bin definitiv auf Entzug.“

„Lassen Sie uns bitte allein“, sagte Javier zu Sophie.

„Soll ich?“, fragte sie Violet.

Sie hob das Kinn. „Ich habe keine Angst vor ihm.“

Sophie nickte und verließ den Ballsaal.

„Sie haben es gerade geschafft, dass eine Angestellte eine meiner Anweisung hinterfragt“, sagte Javier grimmig.

„Und schwupp, ist eine Revolution im Anmarsch!“

Sein Blick wurde eisig. „Über so ein ernstes Thema wie Revolution macht man keine Witze!“ Erbost ging er zur Tür. „Ich muss jetzt arbeiten!“

„Wollten Sie mich nicht in die Stadt mitnehmen?“, rief Violet ihm nach.

„Ich habe keine Lust, noch mehr Zeit mit einer verzogenen Göre wie Ihnen zu verbringen.“

„Oh, wie gemein von mir. Habe ich nicht die richtige Einstellung dazu, Ihre Gefangene zu sein?“

„Dies hier ist größer als Sie. Können Sie das nicht verstehen?“

Violet war fassungslos. Er dachte wirklich, dass sie bereit sein sollte, ihr Leben wegzuwerfen, nur weil sein Bruder meinte, sie wäre die beste Königin für das Land.

Ihr wurde plötzlich klar, dass sie ebenso gut aus verschiedenen Welten stammen könnten. Javier hatte sein ganzes Leben einem größeren Ganzen gewidmet. Er konnte offenbar nicht verstehen, dass es Menschen gab, die ihr Leben auf andere Weise verbringen wollten.

„Javier“, sagte sie.

Seine Miene wurde hochmütig. „Man redet mich nicht einfach mit dem Vornamen an.“

„Wie nennt man Sie denn normalerweise?“

„Seine Königliche Hoheit, Prinz Javier von Monte Blanco.“

„Das ist ein echter Zungenbrecher. Ich bleibe lieber bei Javier.“

„Habe ich Ihnen die Erlaubnis gegeben?“

Spannungen wogten zwischen ihnen, aber es war kein Ärger. Violet hatte so eine Ahnung, was es war. Dass er vielleicht das Gleiche war wie das, was sie gespürt hatte, als sie vorhin zusammen getanzt hatten.

Sie ignorierte es lieber.

Sie machte sich lieber über ihn lustig.

„Nein. Aber andererseits, haben Sie mich gefragt, ob mir etwas daran liegt, Ihre Erlaubnis zu bekommen?“

Javier schüttelte den Kopf. „Was wollen Sie, Violet?“

Ihr Herz klopfte, als eine ungewöhnliche Frage in ihr emporstieg.

„Tun Sie eigentlich irgendetwas nur für sich selbst?“

„Nein“, sagte Javier. Dann lächelte er. „Eine Sache, ja. Aber ich trenne sie ab. Im Allgemeinen, nein. Weil so eine Selbstsucht zu der Art Katastrophe führt, vor der mein Bruder und ich unser Land gerade gerettet haben.“

„Sie wissen, dass der Rest der Welt nicht so funktioniert.“

„Der Rest der Welt ist nicht für das Schicksal von Millionen Menschen verantwortlich. Ich bin es. Mein Bruder ist es.“

„Wir in Südkalifornien erwarten das einfach nicht.“

„Das stimmt nicht. Weil Sie hier sind.“

„Wegen meines Unternehmens“, sagte Violet.

„Und wegen Ihres Vaters. Was auch immer Sie glauben, Sie fühlen sich sehr wohl anderen gegenüber verpflichtet. Gegenüber Ihrem Vater. Ihrer Familie. Sie wissen, was es heißt, für diejenigen zu leben, die Sie mehr lieben als sich selbst. Vergrößern Sie das. Das heißt es, ein Land zu beschützen.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Javier den Saal, und Violet merkte erst jetzt, dass sie den Atem anhielt.

Sie sah sich im Ballsaal um. Sie war sich selbst überlassen. Und das bedeutete … Sie konnte bestimmt einen Computer auftreiben. Und wenn sie erst einmal Internet hatte, war sie in der Lage, einige Dinge herauszufinden, die sie wissen musste.

Ihr kam der Gedanke, dass sie Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen könnte. Wenn ihr Bruder wüsste, was ihr zugestoßen war …

Sie könnte auch Kontakt mit den Medien aufnehmen. Nein. Wenn nötig, wäre es ihr möglich, einen internationalen Zwischenfall auszulösen. Aber aus irgendeinem Grund glaubte sie alles, was Javier ihr erzählt hatte. Und weil sie es tat, glaubte sie wirklich, dass die Zustände in seinem Land entsetzlich gewesen waren und dass er und sein Bruder daran arbeiteten, sie zu verbessern.

Violet wollte das nicht zunichtemachen.

Also hatte Javier wohl recht. Sie besaß durchaus Verantwortungsgefühl.

Und darum brauchte sie eine bessere Vorstellung davon, womit sie es tun hatte. Mit wem sie es zu tun hatte.

Violet nickte entschlossen. Sie würde auf Erkundung gehen.

6. KAPITEL

Javier ging sofort in den Fitnessraum. Er musste sich auspowern. Er musste die Leidenschaft zerstören, die in ihm entfacht worden war, als er Violet King berührt hatte. Es war eine Verirrung. Schließlich wusste er, dass er seine Begierden an- und auszuknipsen hatte wie einen Schalter.

Das war unbedingt notwendig gewesen. Manchmal hatte er monatelang keinen Sex gehabt, wenn Matteo und er versucht hatten, hinter den Kulissen die Pläne seines Vaters zu durchkreuzen. Wenn sie Flüchtlinge beherbergten oder zu Unrecht verurteilten Bürgern bei der Flucht aus dem Gefängnis halfen …

Javier konnte sich Sex nur sporadisch erlauben, mal war es ein Wochenende in Monaco, mal eins in Paris. Dort traf er sich mit Frauen, die Begierden hatten, die seinen entsprachen. Mit Frauen, die so unersättlich waren wie er. Es waren Erlebnisse, die zu der Finsternis in seinem Innern passten.

Und niemals, absolut niemals, würde er Sex mit einer Frau haben, die für seinen Bruder bestimmt war.

Dafür besaß Javier viel zu viel Selbstbeherrschung.

Vielleicht war das Problem, dass er schon zu lange ohne Frau war.

Es waren mehrere Monate, in denen Matteo und er daran gearbeitet hatten, den Haushalt von Monte Blanco in Ordnung zu bringen.

Javier spürte es jetzt.

Wütend machte er einen weiteren Klimmzug. Und spürte noch immer den Abdruck ihres weichen Körpers in seinen Armen. Er war seit Stunden im Fitnessraum, und sein Verlangen war noch immer nicht verschwunden.

Er musste eine Frau finden. Er würde eine einfliegen lassen.

Allerdings fühlte er sich äußerst unbehaglich dabei, sein Vergnügen mit einer Frau in seinem eigenen Land zu suchen. Das Machtungleichgewicht war hier viel zu groß.

Und er war auf der Hut davor, wie sein Vater zu werden.

Also fühlst du dich wohler, wenn du die Frau begehrst, die du gefangen hältst?

Nein, er fühlte sich nicht wohl damit. Deshalb war er ja im Fitnessraum.

Er war für die Sicherheit und das Wohlergehen von Violet King zuständig. Auf keinen Fall durfte er seine Macht missbrauchen!

„Oh.“

Javier wirbelte herum und sah den Gegenstand seiner Qualen dort stehen, die Augen vor Erstaunen weit aufgerissen.

„Was zum Teufel machen Sie hier?“

„Ich habe herumgefragt. Man hat mir gesagt, Sie seien vielleicht im Fitnessraum. Und ich habe einen Computer aufgestöbert, deshalb habe ich einen Plan des Palasts gefunden und … Jedenfalls habe ich den Weg hierher nach unten gefunden.“

„Einen Computer?“

„Ja“, sagte Violet. „Ihre Palastangestellten wissen nicht, dass ich eine Gefangene bin. Alle denken, dass ich freiwillig hier bin. Deshalb ist natürlich nichts falsch daran, mich mit einem Computer zu versorgen, der Internetzugang hat. Also wirklich. Sie sollten besser auf mich aufpassen.“

Javier verschränkte die Arme über seiner nackten Brust. „Ich höre keine Hubschrauber. Daher nehme ich an, Sie haben nicht das Einsatzkommando gerufen?“

„Nein. Ich dachte, ich warte erst noch ab.“

Ihr Blick huschte von seinem Gesicht nach unten auf seine Brust und blieb dort. Violet wurde rot.

Javier biss die Zähne zusammen. Sie spielte ein gefährliches Spiel. Ob sie es wusste oder nicht.

„Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sagen Sie es. Ich bin beschäftigt.“

„Das sehe ich. Könnten Sie vielleicht … Sie haben doch wohl ein Hemd zur Hand?“

Es kümmerte ihn nicht sonderlich, wenn sie sich unbehaglich fühlte. Nicht angesichts seines eigenen Zustands während der vergangenen Stunden. „Nein. Und ich bin mitten in einem Work-out. Deshalb werde ich kein Hemd brauchen, nachdem Sie gegangen sind. Die Mühe wäre umsonst. Weiter.“

Erst jetzt bemerkte Javier, dass Violet krampfhaft eine Mappe festhielt.

Sie trug noch immer das einfache Outfit, mit dem das Personal sie früher am Tag versorgt hatte. Ihr Haar war noch offen, das Gesicht noch immer ungeschminkt.

Es war eine Zumutung, wie attraktiv er diese Frau fand!

Er war ein viel beschäftigter Mann. Folglich waren seine Bedürfnisse einfach. Die Frauen, mit denen er sich für Sex traf, waren stets top gestylt.

Meist hatten sie einen ganz bestimmten Look mit raffiniertem Make-up, engem Kleid und High Heels.

Durchschaubar.

Violet war alles, nur das nicht, besonders jetzt, und trotzdem erregte sie ihn.

„Ich habe eine Mappe zusammengestellt. Mit allem, was ich über Ihr Land gelernt habe. Und wie ich helfen kann, indem ich mein Unternehmen hierherbringe.“

„Was meinen Sie damit?“

„Sie haben hier früher etwas hergestellt. Sie tun es nicht mehr. Ich stelle die meisten meiner Produkte in den Vereinigten Staaten her, aber da sie auch nach Europa kommen … Ich sehe nicht, warum ich nicht einige davon in Ihrem Land herstellen könnte. Dadurch könnte ich die Kosten niedrig halten. Und es würde viele Arbeitsplätze in Monte Blanco schaffen.“

„Wir sind nicht arm.“

„Nein. Aber insbesondere die Frauen hier sind unterbeschäftigt. In den Dörfern kommen immer noch Kinderehen vor. Ich weiß, dass Ihr Vater weggesehen hat …“

„Ja“, sagte Javier grimmig. „Mein Bruder und ich haben dagegen angekämpft.“

„Ich weiß. Und ich weiß, dass Sie noch immer dagegen ankämpfen. Noch einmal. Ich habe heute viel gelesen. Ich glaube, dass ich jetzt besser verstehe, was Sie hier zu erreichen versuchen. Ich halte viel davon. Und Sie haben recht. Es tut uns nicht gut, ein Leben zu führen, das nur uns selbst dient. Das ist nie mein Ziel gewesen. Wissen Sie nicht, dass ich zusammen mit meiner Schwester eine Wohltätigkeitsorganisation für alleinerziehende Mütter in prekärer Lage gegründet habe?“

Javier schüttelte den Kopf. „Leider nicht.“

„Meine Schwester zieht das Kind ihrer Freundin auf, die ihr Ex-Lover hat umbringen lassen. Wir haben ihr zu Ehren eine Stiftung gegründet. Ich hatte eine Zeit lang nur für mich selbst gearbeitet, um zu versuchen, meinen Vater … Das ist jetzt nicht wichtig. Jedenfalls … Für diese Wohltätigkeitsorganisation zu arbeiten gibt mir ein besseres Gefühl, als irgendetwas sonst es jemals getan hat. Monte Blanco zu meinem europäischen Standort zu machen, wird dem Land ganz neue Perspektiven eröffnen.“

„Sie haben eine hohe Meinung von sich.“

„Nein. Aber ich verstehe viel von öffentlicher Wahrnehmung. Ich kann helfen.“

„Tja. Ich glaube nicht, dass Matteo dagegen wäre.“

„Was denkt er sich eigentlich? Dass er mich hier einfach auf Eis legen kann, bis er zurückkommt?“

Javier lachte. „Ich garantiere Ihnen, dass er genau das denkt.“

„Und da soll ich glauben, dass er der netteste, mitfühlendste Herrscher ist, den dieses Land jemals hatte?“

„Ist er.“

Violet krauste die Stirn. „Woher wussten Sie eigentlich, dass das, was Ihr Vater tat, falsch war? Und was hat Sie dazu gebracht, zu versuchen, es in Ordnung zu bringen? Sich um das ganze Land zu kümmern, gehört zu Ihnen wie das Atmen. Für Ihren Vater war es nicht so. Sie wurden nicht dazu erzogen. Wie kam es dazu?“

„Es war eine Kinderehe. Ich bin zufällig in ein Dorf gekommen. Ein sechsjähriges Mädchen sollte verheiratet werden, und es hatte große Angst. Ich habe die Eheschließung verhindert. Als ich zu meinem Vater gegangen bin und ihm gesagt habe, ich sei entsetzt, dass so etwas in unserem Land noch passiert, hat er mich ausgeschimpft. Es sei nicht meine Aufgabe, unseren Bürgern meine Ansichten aufzudrängen. Mein Vater hielt nicht viel von Freiheit, Violet. Die Beweggründe, die sein Handeln bestimmten, waren Geld, Sicherheit und Grenzschutz. Nicht Freiheit. Als ich das erkannte, hörte ich auf, zu glauben, was ich sah. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass mein Bruder in einer ähnlichen Vertrauenskrise war. Und wir begannen beide, auf einen Wandel hinzuwirken.“

„Das ist toll“, sagte Violet. „Die meisten Menschen sehen weg.“

„Ich nicht.“

„Nein. Sie nicht.“ Violet räusperte sich. „Würden Sie … mich bitte in die Stadt ausführen?“

„Ja“, stimmte Javier zu.

Weil er jetzt ihr Ziel sah. Ihre Absicht. Und weil sie recht hatte. Es war nicht vernünftig, dass Matteo sie hier einfach auf Eis legte, bis er Zeit für sie hatte.

Zum Glück benötigte Javier nicht für jede Einzelheit die Erlaubnis seines Bruders, schließlich vertrauten sie einander!

„Perfekt. Aber ich brauche ein Telefon.“

„Ihr Smartphone ist bereits zusammen mit Ihrem Make-up auf dem Weg hierher. Sie werden es morgen haben. Und dann machen wir Ihre Exkursion.“

„Danke, Javier“, sagte Violet.

Ihm kam in den Sinn, wie absurd das alles war. Dass sie ihm dankte, obwohl sie ihn doch hasste. Dass Verlangen durch seine Adern strömte, obwohl sie doch tabu war.

Aber es war nicht wichtig. Nichts war wichtiger als Monte Blanco. Nichts war wichtiger als das Wohl der Nation.

Ganz bestimmt nicht seine eigene Begierde …

Morgen würde alles so laufen, wie es sollte.

Er hatte sich im Griff. Er war ein Ehrenmann.

7. KAPITEL

Es hatte gestern mehrere Stunden gedauert, bis Violet wieder zu Atem gekommen war, nachdem sie Javier ohne Hemd gesehen hatte.

Sie hatte gewusst, dass er atemberaubend war. Sie hatte gewusst, dass er gut gebaut war. Es war leicht zu erkennen, dass er unter seiner Kleidung in sehr guter Form war.

Aber dann hatte sie seinen Körper gesehen. Die goldbraune Haut, das schwarze Haar, das seine Brust bedeckte und in einer verführerischen Linie über die Mitte seines Bauchs nach unten verlief. Sie hatte gedacht, dass sie keine behaarte Männerbrust mochte, aber anscheinend tat sie es …

Javier war heiß.

Ihr Entführer war heiß.

Sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie hatte eine Mission.

Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ Violet ihr Zimmer. Sie hatte zu Javier gesagt, sie könnten sich im Vorzimmer treffen. Sie war ziemlich sicher, dass sie wusste, welcher Raum das war. Schließlich hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, den Grundriss des Palasts zu verstehen.

Und sie hatte ihr Telefon zurück.

Seit es ihr heute Morgen in die Hand gelegt worden war, fühlte sie sich geradezu ausgelassen.

Und trotzdem …

Ihr war keine einzige Sache eingefallen, mit der sie ihren Account auf geniale Art auf den neuesten Stand bringen könnte.

Und sie wusste immer noch nicht, ob sie überhaupt zu Hause anrufen wollte.

Weil sie nicht einmal wusste, was sie sagen sollte.

Violet steckte das Telefon in ihre Handtasche und ging zum Treffpunkt. Javier war schon dort. Sie zwang sich, den Blick nur kurz über ihn hinweggleiten zu lassen, sich nicht bei seinem durchtrainierten Körper aufzuhalten, bei seinem unglaublich schönen Gesicht.

Gerettet allein durch diese Narbe, die über seine Wange verlief.

Violet wollte wissen, woher er sie hatte, dabei sollte sie das eigentlich nicht wissen wollen. Sie sollte gar nichts über ihn wissen wollen.

„Guten Morgen. Wie Sie sehen können“, sagte sie und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum, „ist meine alte Pracht wiederhergestellt.“

Er musterte sie kühl, und Violet fühlte sich abgewiesen. Seine Reaktion sollte ihr egal sein, trotzdem war sie gekränkt.

„Wohin fahren wir zuerst?“

„In die Hauptstadt. Sie liegt bergabwärts dreißig Minuten entfernt von hier.“

„Großartig.“ Ihr Magen zog sich zusammen, und ihr zitterten die Hände. Violet wusste nicht, ob es der Gedanke war, so lange dicht neben Javier in einem Auto zu sitzen, oder ob es daran lag, dass sie zum ersten Mal den Palast verließ.

Was für eine unwirkliche Situation! In diesem funkelnden Palast aus Edelsteinen war es leicht, zu glauben, dass alles nur ein Traum war. Eine Art Kindheitsfantasie, allerdings mit der sehr erwachsenen Einbeziehung eines großen, muskulösen Mannes.

Aber wenn sie den Palast verließen, wurde die Welt größer. Und die Einbildung, dass es ein Traum war, würde sich auflösen.

Draußen wartete keine Limousine auf sie beide. Stattdessen stand dort ein schnittiges schwarzes Auto, das sehr teuer und unauffällig zugleich aussah. Violet wusste nicht, wie es beides erreichte, aber es war so.

Und es schien richtig zu sein, weil der Besitzer des Autos nicht unauffällig war und es nicht sein könnte, selbst wenn er es versuchte.

Bei seinem Anblick in dem außerordentlich gut geschnittenen dunklen Anzug hatte Violet das Gefühl, dass er es gerade versuchte. Aber er war über einen Meter neunzig groß, atemberaubend schön und sah aus, als könnte er allein mit seinem Blick eine Armee von Feinden in die Flucht schlagen. Nicht aufzufallen war keine Option für ihn.

Er öffnete die Tür für sie, und sie stieg ein. Als Javier auf der Fahrerseite einstieg, wurde Violet noch nervöser. Der Abstand war noch kleiner, als sie geglaubt hatte. Sie hatte gedacht, sie hätten einen Chauffeur. Irgendjemanden, der half, die Situation zwischen ihnen zu entschärfen.

Zwischen ihnen? Javier fühlte wahrscheinlich nichts.

Warum sollte er? Er war aus Stein gemeißelt.

Violet dachte an seine Antwort auf ihre Frage gestern. Wie er gelächelt hatte, als er erwähnte, dass es eine einzige Sache gab, die er nur für sich tat …

Eine Sache? Sie schluckte. So ein Mann war nichts für sie. Nicht einmal als Fantasie. Sie brauchte eine sexuelle Fantasie mit Stützrädern. Einen Buchhalter, vielleicht. Sanft. Einen, der eine Khakihose mit Bügelfalte trug und Rücksicht ausstrahlte. Einen netten Mann namens Stephen.

Der Typ Mann, der Zimtbrötchen ans Bett brachte. Nachdem er zärtlich Liebe mit ihr gemacht hatte.

Nichts davon reizte sie.

Sie hatte keine Ahnung, warum ihre Sexualität so speziell war. Sie hatte nie die Absicht gehabt, es bis sechsundzwanzig als Jungfrau zu schaffen.

Und es war bestimmt nicht ihre Absicht gewesen, dass ausgerechnet dieser Mann plötzlich ihr Verlangen weckte.

Nein. Es wurde einfach dadurch verschärft, dass ihr dies wie ein Traum vorkam. Und sie litt am Stockholm-Syndrom. Das war es. Mit dem eigenen Entführer zu sympathisieren, war eine reine Schutzreaktion.

Als sie losfuhren, steckte Violet den Kopf aus dem Fenster und hoffte, dass die klare Bergluft sie zur Vernunft bringen würde.

Tat sie nicht.

„Würden Sie das bitte lassen? Ich mache es mir nicht zur Regel, mit Frauen, die halb aus meinem Auto hängen, an öffentliche Orte zu fahren.“

Violet zog den Kopf zurück und warf ihm einen Blick zu. Sich Javier jetzt zu widersetzen, half ihr wirklich nicht. Sie hatte eine Mission. Sie versuchte, etwas zu beweisen. „Ich habe die Luft genossen.“

„Wer von uns ist jetzt der Bernhardiner?“

„Haben Sie gerade einen Scherz gemacht?“ Violet sah sein strenges Profil an und bemerkte, dass sich sein Mundwinkel nach oben verzog. „Haben Sie. Das ist unglaublich.“

„Gewöhnen Sie sich nicht daran.“

Sie beobachtete, wie der Wald lichter wurde. Die unbefestigte Straße wurde zu einer Schotterdecke und dann zu Kopfsteinpflaster.

Die Stadt war nicht modern. Andernfalls wäre Violet auch ein wenig enttäuscht gewesen. Die schmalen Straßen waren mit Kopfsteinen gepflastert, die Bürgersteige auch, nur in einem anderen Muster. Sie entdeckte kleine Cafés und überraschend viele reizvoll aussehende Designerläden, die sie zu gern erkundet hätte.

„Wenn die Leute wüssten, wie schön die Stadt ist, wäre sie ein sehr beliebter Touristenort“, sagte sie.

„Unter der Herrschaft meines Vaters wurde der Tourismus nicht gefördert. In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der Geschäfte wieder zugenommen, aber trotzdem …“

„Es könnte besser sein. Verstanden. Halten Sie an.“

„Was?“

„Halten Sie an!“

Violet sah ein leuchtend gelbes Fahrrad an einer Hauswand lehnen. Und direkt daneben war ein Blumenkasten, der von roten Geranien überquoll. Alles mit diesem bezaubernden grauen Stein im Hintergrund.

„Wir müssen ein Foto machen.“

Javier gehorchte, war aber offensichtlich skeptisch.

Sie stieg schnell aus dem Auto, rannte zum Fahrrad und blickte in den Hof des angrenzenden Cafés. „Entschuldigen Sie, ist das Ihr Fahrrad?“, fragte sie die junge Frau, die dort saß und an ihrem Computer arbeitete.

Die Frau musterte sie argwöhnisch, dann bemerkte sie Javier, der hinter ihr stand. Ihre Augen weiteten sich.

Autor

Kim Lawrence
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