Julia Extra Band 521

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EINMAL UM DIE GANZE WELT MIT DEM MILLIONÄR von NINA SINGH
Um die ganze Welt fliegt Staranwalt Zeke Manning mit der unkonventionellen Vivi. Sie sind auf der Suche nach der verschwundenen Halskette einer Klientin, bei der Vivi ein und aus geht. Ist ihre beteuerte Unschuld echt – oder verliebt er sich gerade in eine raffinierte Betrügerin?


IM PALAST DES FEURIGEN WÜSTENPRINZEN von CATHY WILLIAMS
Jener sinnliche Sommer auf Ibiza endete für Georgie voller Tränen: Ihr Geliebter verschwand spurlos! Jetzt steht Abe plötzlich vor ihr. Als Kronprinz eines fernen Wüstenreichs fordert er nach Jahren des Schweigens ein gemeinsames Leben in seinem Palast – aus Pflicht, aber ohne Liebe!


NUR DAS MEER KENNT UNSERE TRÄUME von SCARLET WILSON
Ein Picknick unter Palmen – und dann eine Liebesnacht unter tausend Sternen: Das Wiedersehen mit Nathan im exotischen Inselparadies erschüttert Rachel zutiefst! Sie liebt den attraktiven Arzt genau wie damals. Aber niemals darf er erfahren, warum sie ihn verlassen hat …


STÜRMISCHE BEGEGNUNG AUF SARDINIEN von ROSANNA BATTIGELLI
Sie ist so verführerisch – der zurückgezogen lebende italienische Milliardär Massimo DiLuca verflucht seine Idee, der Journalistin Ella Rossi ein Interview zu geben! Er hat sich geschworen, nach dem Tod seiner Frau für immer allein zu bleiben. Doch Ella bringt seinen Schwur in Gefahr …


  • Erscheinungstag 19.07.2022
  • Bandnummer 521
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512138
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nina Singh, Cathy Williams, Scarlet Wilson, Rosanna Battigelli

JULIA EXTRA BAND 521

NINA SINGH

Einmal um die ganze Welt mit dem Millionär

Unter dem blauen Himmel der Provence verliebt Vivi sich rettungslos in den sexy Staranwalt Zeke Manning! Dabei glaubt er doch, dass sie hinter dem Verschwinden einer wertvollen Halskette steckt …

CATHY WILLIAMS

Im Palast des feurigen Wüstenprinzen

„Heirate mich!” Der feurige Wüstenherrscher Abe braucht dringend eine Königin: Georgie, die ihm eine uneheliche Tochter geschenkt hat. Aber sie verlangt von ihm das Eine, das er nie geben kann … Liebe.

SCARLET WILSON

Nur das Meer kennt unsere Träume

Ist es das Glitzern der Wassertropfen auf ihrer zarten Haut? Der Wind in ihrem Haar? Vergeblich kämpft Nathan gegen sein Begehren an! Aber kann er Rachel verzeihen, dass sie ihn damals verriet und wortlos verließ?

ROSANNA BATTIGELLI

Stürmische Begegnung auf Sardinien

Das romantische Sardinien, das blaue Mittelmeer – und der sexy Milliardär Massimo DiLuca! Es könnte für Ella der Himmel auf Erden sein. Hätte Massimo nicht eine Mauer um sein Herz errichtet …

1. KAPITEL

Etwas fehlte. Ein sehr wertvolles Stück.

Zeke Manning nahm die Inventurliste, die von einem Kollegen vor ein paar Jahren angefertigt worden war, und glich sie erneut mit den Gegenständen vor sich auf dem Schreibtisch aus edlem Mahagoni ab.

Ganz sicher: Irgendetwas stimmte hier nicht.

Er unterdrückte einen Fluch.

Er war bei Esther Truneau, der besten Freundin seiner Großmutter, um deren Anwesen zu schätzen.

Als Inhaber einer Kanzlei machte er solche Arbeiten normalerweise nicht mehr, er tat es nur seiner Großmutter zuliebe. Er war davon ausgegangen, dass er diesen Gefallen rasch erledigen könnte, doch jetzt sah es so aus, als habe er ein gewaltiges Problem.

Er hoffte inständig, dass es sich nur um ein Missverständnis handelte.

Vielleicht wusste Esther, wo die Halskette war – vielleicht trug sie das Schmuckstück ja sogar gerade und hatte nur vergessen, es ihm zu sagen. Esther vergaß ziemlich viel in letzter Zeit.

Seufzend machte Zeke sich auf den Weg in den Salon, wo die alte Dame gerade ihren Nachmittagstee trank. Sie war das weibliche Oberhaupt der alteingesessenen und sehr angesehenen Truneau-Familie in New Orleans.

Als Zeke den Raum betrat, wurde gerade von einem Hausmädchen Tee in einem filigranen Porzellanservice serviert. Der Duft von frisch aufgebrühtem Earl Gray hing in der Luft.

Zeke war aufgefallen, wie schreckhaft Esther war, deshalb räusperte er sich erst vorsichtig, bevor er sie ansprach. „Hallo, Esther.“

Sie blickte auf, und Zeke wartete einen Moment, bevor er weitersprach. Es dauerte einen Augenblick, bis sie ihn wiedererkannte. Dann schenkte sie ihm ein warmes Lächeln.

„Zeke, mein Lieber. Ich hatte schon ganz vergessen, dass du ja hier bist.“

Er bemühte sich, seine Besorgnis zu verbergen. Ihr Zustand hatte sich in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert. Zeke würde dafür sorgen, dass sie die Unterstützung bekam, die sie brauchte.

Er erwiderte das Lächeln und setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel.

Die junge Hausangestellte schenkte Zeke ebenfalls eine Tasse Tee ein und verließ dann den Raum.

Zeke betrachtete die alte Dame. Esther Truneau war seit über einem halben Jahrhundert die beste Freundin seiner geliebten Großmutter.

„Ich würde mich gern ein bisschen mit dir unterhalten.“

„Natürlich, mein Lieber. Es ist schön, dass du mich mal besuchen kommst. Bist du beruflich in New Orleans?“

Das war gar nicht gut.

Sie hatte anscheinend vergessen, weshalb er hier war. Er hatte gehofft, schnell wieder abreisen zu können, aber wie es schien, hatte er sich geirrt. Er würde auf jeden Fall einen Facharzt für sie suchen und sich auch in Zukunft um ihr Wohlergehen kümmern. Soweit er wusste, hatte Esther keine näheren Angehörigen in den Staaten.

Er lehnte sich vor und sagte ruhig: „Esther, du hast mich hergebeten, erinnerst du dich? Du hattest vorher mit Großmutter darüber gesprochen.“

Sie sah ihn verwirrt an und blinzelte unsicher. Das reichte Zeke als Antwort auf seine Frage.

Schließlich fing sie sich und sagte: „Oh ja, Norma hat gesagt, dass du kommst. Dann war das heute, ja?“

Zeke nickte und erklärte geduldig: „Ja, das war heute. Du hast mich gebeten, eine Inventarliste anzufertigen, um den aktuellen Wert deines Hauses und deines Besitzes zu ermitteln.“

Esther blinzelte erneut. „Habe ich das?“

„Ja, das hast du – nachdem du mit Norma gesprochen hast.“

„Ich kenne Norma!“, rief sie erfreut und klatschte in die Hände. Dann tätschelte sie Zekes Knie. „Du bist ihr Enkel, nicht wahr? Sie hat dich und deine Schwester großgezogen.“

Er nickte nur. Es widerstrebte ihm, seine Vergangenheit heraufzubeschwören.

„Sie hatte so Angst davor, zwei Jugendliche aufzunehmen und zu erziehen. Sie war ja auch nicht mehr die Jüngste zu der Zeit. Wir haben damals fast jeden Tag am Telefon darüber gesprochen.“

„Sie hat das ganz gut hinbekommen mit uns beiden“, erwiderte Zeke. In Gedanken fügte er hinzu, dass sie eine bessere Mutter gewesen war als ihre eigene Tochter – seine leibliche Mutter. Die hatte ihre Kinder nämlich einfach im Stich gelassen, nachdem sie die Familie zerstört hatte.

„Norma hat gesagt, dass du mir helfen kannst, meine Angelegenheiten zu regeln.“

„Deshalb bin ich hier“, sagte er sanft.

„Das ist wirklich lieb von dir. Dann will ich dich nicht davon abhalten.“

Er räusperte sich. „Wir müssen uns erst kurz unterhalten.“

„Worüber denn?“

„Über dein Haus – oder besser gesagt über die Dinge, die dazugehören.“

„Welche Dinge?“

Wie sollte er es ihr nur sagen? Er wollte nicht, dass sie sich zu sehr aufregte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie das überaus wertvolle Stück hatte verlieren können. Vielleicht hatte es auch jemand gestohlen. So etwas offenbarte man schließlich nur ungern einer freundlichen alten Dame beim Tee. „Mir ist aufgefallen, dass ein wertvoller Gegenstand fehlt.“

Für einen Augenblick schien sie relativ klar zu sein. „Wertvoll, sagst du?“

„Ja, sehr wertvoll.“

„Um was für einen Gegenstand handelt es sich?“, erkundigte sie sich mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Um ein Schmuckstück. Eine Goldkette mit Rubinen aus dem 18. Jahrhundert aus Frankreich. In deinen Unterlagen habe ich gelesen, dass sie seit vielen Generationen im Besitz deiner Familie ist. Ich habe sie nirgends finden können. Laut den Unterlagen sollte sie im Safe sein.“

Esther sah ihn schockiert an. Zum ersten Mal seitdem er am Morgen hier angekommen war, wirkte die alte Dame ganz klar.

„Oh nein, wie furchtbar. Das ist ziemlich schlimm, nicht wahr?“

Zeke ergriff ihre Hand und tätschelte sie beruhigend. „Ich bin mir sicher, dass alles nur ein Missverständnis ist.“ Er hatte nicht beabsichtigt, sie zu beunruhigen. „Ich brauche aber deine Hilfe, um herauszufinden, was genau damit geschehen ist.“

„Natürlich“, sagte sie nickend.

„Kannst du dich erinnern, wann du die Kette zum letzten Mal gesehen hast?“

Esther zuckte mit den Schultern, und auf ihrer Stirn bildeten sich tiefe Falten. „Der Schmuck ist eigentlich immer hinter Schloss und Riegel und wird nur zum Reinigen herausgenommen. Das dürfen auch nur die Mitarbeiter machen, die schon viele Jahre bei mir sind.“

Er würde alle Angestellten genau unter die Lupe nehmen müssen. Die Polizei würde er aber erst einschalten, wenn er wirklich wusste, was los war, denn vorher gab es noch ein paar Möglichkeiten, die er ausschließen musste.

„Okay. Ist es möglich, dass du sie verliehen hast? An eine Galerie zum Beispiel oder an ein Museum?“

Esther schüttelte den Kopf. „Nein, ich verleihe keine Wertgegenstände.“

Zeke grübelte gerade über andere Möglichkeiten nach, als ihre nächsten Worte ihn aus seinen Gedanken rissen.

„Aber ich bin bekannt dafür, dass ich gern mal etwas verschenke.“

Eine Viertelstunde später saß er vor dem Laptop und googelte einen Namen. Die Suchmaschine zeigte ihm das Foto einer jungen Frau Mitte bis Ende zwanzig mit schulterlangen dunklen Locken. Ihre braunen Augen hatte sie mit schwarzem Eyeliner stark betont.

Sie sah aus, als könne sie eine dieser Frauen sein – eine, die nahm und nahm, bis es nichts mehr zu nehmen gab.

Zeke kannte diesen Typ Frauen nur zu gut.

„Ich bin mir sicher, dass er mir diese Woche einen Antrag macht. Was meinst du, Vivi?“

„Schauen wir mal, was die Karten dazu sagen“, erwiderte Vivienne Ducarne und legte sechs Tarotkarten in einem Halbkreis auf die Tischdecke aus dunklem Samt. Ihre Stammkundin beobachtete sie dabei aufmerksam.

Sally McNeill kam jeden Donnerstag und ließ sich von Vivi die Karten legen. Sie stellte immer die gleiche Frage, seitdem sie ihren Lance getroffen hatte. Oder hieß er Luke? Vivi schämte sich ein wenig, dass sie sich seinen Namen nicht merken konnte, aber Sally sprach von ihm meistens nur als ihrem Kuschelbärchen.

Sally berichtete zu gern von ihrer turbulenten Romanze und sparte dabei auch nicht mit Details. Vivi wusste, wie sehr sich Sally nach etwas Festem sehnte, deshalb hatte sie es bisher auch nicht übers Herz gebracht, ihr die Wahrheit zu sagen: Sallys Beziehung mit dem Kuschelbärchen hatte kein echtes Potenzial für eine Ehe. Aber es wäre gemein, Sallys Hoffnungen völlig zu zerstören – also musste sie es ihr irgendwie schonend beibringen.

„Die Kaiserin. Diese Karte kann mehrere Bedeutungen haben.“

Sally seufzte. „Was denn zum Beispiel?“

„Nun, in deinem Fall kann sie für enge Beziehungen stehen.“

Sally klatschte begeistert in die Hände. „Wie wundervoll. Ich wusste es!“, rief sie und lächelte strahlend.

Bevor Sally sich zu sehr in ihre Freude hineinsteigern konnte, fuhr Vivi fort: „Die Sieben der Münzen. Das bedeutet, dass Vorsicht geboten ist.“

„‚Vorsicht‘?“, fragte Sally mit zusammengezogenen Augenbrauen.

„Ja, es wäre besser, nichts zu überstürzen. Du musst langfristig denken.“

Sally biss sich auf die Lippe und sackte förmlich auf ihrem Stuhl in sich zusammen. „Und was rätst du mir?“

Vivi tippte sich nachdenklich ans Kinn und sagte dann: „Ich denke, es gibt vieles, auf das du dich freuen kannst.“

Sallys Lächeln kehrte wieder zurück.

„Die Karten raten dir, dich einfach noch etwas zu gedulden.“

Zehn Minuten später verließ Sally nach einigen weiteren Fragen und ein wenig Small Talk den Souvenirladen. Sie schien zufrieden mit dem, was die Karten ihr heute mitgeteilt hatten.

Selbst im spirituell geprägten New Orleans belächelten viele Menschen Tarotkarten und andere Orakel, aber für Vivi war Kartenlesen eine Kunst, die viel Geschick und Menschenkenntnis erforderte. Es ging dabei nicht nur um die Karten, sondern vor allem darum, den Kunden zuzuhören und ihnen Empathie entgegenzubringen. Oftmals brauchten die Leute einfach nur jemanden zum Reden.

Vivi musste an Esther Truneau denken.

Sie hatte der alten Dame in den vergangenen Monaten oft die Karten gelegt und hatte sich dabei häufig gefragt, ob sie der einzige Mensch war, mit dem Esther sich überhaupt regelmäßig unterhielt. Die Hausangestellten schienen ihre Arbeitgeberin weitestgehend zu ignorieren und verrichteten stumm ihre Arbeit, wann immer Vivi zu Besuch kam.

Seufzend packte sie ihre Karten zusammen und begann, den kleinen Laden aufzuräumen. Sally war an diesem Tag ihr einziger fester Termin gewesen.

Plötzlich ertönte das Glöckchen über der Eingangstür. Erfreut blickte Vivi auf. Sie war froh über den neuen Kunden, denn sie hasste ruhige Arbeitstage. Da war ihr immer sterbenslangweilig.

Ihr stockte jedoch der Atem, noch bevor sie zu einer freundlichen Begrüßung ansetzen konnte.

Der Mann, der ihren Laden betreten hatte, sah unheimlich gut aus. Da der Souvenirladen mitten im Herzen von New Orleans unzählige Touristen aus aller Welt anlockte, hatte Vivi wirklich viele Vergleichsmöglichkeiten.

Der Mann war groß, hatte rabenschwarzes Haar und ausdrucksstarke braune Augen. Sein Kinn war markant, und er hatte ausgeprägte Wangenknochen. Er war nicht übermäßig muskulös, aber sportlich und fit.

Es war offensichtlich, dass er kein Tourist war. Er trug ein schwarzes Hemd aus Seide und graue Anzughosen mit akkurater Bügelfalte. Er wirkte durch und durch wie ein erfolgreicher Geschäftsmann.

Vivi fragte sich, was jemand wie er in einer Touristenfalle wie Luciens kleinem Laden suchte. Hatte er sich auf dem Weg zu einem Akquisitionsmeeting verlaufen?

Sie unterdrückte ein Kichern, räusperte sich und sagte: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?“

Der Mann musterte sie prüfend, und auf einmal hatte sie das Bedürfnis, sich hinter dem Tresen zu verstecken. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Auch ohne ihre sogenannten hellseherischen Fähigkeiten spürte Vivi sofort die Abneigung des Fremden. Sein Blick war kalt und hart.

Sie zwang sich dennoch zu einem Lächeln. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“

„Das kann man so sagen“, erwiderte der Fremde geheimnisvoll.

„Wie bitte?“

„Sind Sie Vivienne Ducarne?“, erkundigte er sich ohne jede Freundlichkeit in der Stimme.

Vivis Herz klopfte aufgeregt in ihrer Brust. Er musste ein Kommissar sein – oder vielleicht ein Privatermittler? Aber warum ist er dann so elegant gekleidet?, überlegte sie. Pah! Als ob das in diesem Moment wichtig ist, schalt sie sich stumm. Viel drängender war doch die Frage, was er von ihr wollte.

Die Zeiten, in denen sie vor dem Gesetz hatte Angst haben müssen, gehörten definitiv der Vergangenheit an. Sie hatte ihren kriminellen Ex-Freund verlassen und ein neues Kapitel aufgeschlagen. Es gab also keinen Grund, weshalb ein Gesetzeshüter auf der Suche nach ihr sein sollte. Außerdem – je länger sie ihn betrachtete, desto sicherer war sie sich, dass er kein Cop war.

Alles an ihm strahlte Überlegenheit und Macht aus. Allein seine Hose kostete vermutlich mehr als das Monatsgehalt eines normalen Polizisten.

Was konnte er nur von ihr wollen?

Er musterte sie genauso aufmerksam wie sie ihn, und ihr fiel ein, dass er ihr eine Frage gestellt hatte.

„Ja, meine Freunde nennen mich zwar alle Vivi, aber für Sie Vivienne. Und wer sind Sie?“

„Ich heiße Zeke Manning. Rechtsanwalt.“

Aha! Ein Anwalt!

Sie hätte es wissen müssen, schließlich hatte sie schon mit vielen Rechtsanwälten zu tun gehabt. Allerdings war Zeke Manning bestimmt nicht im Strafrecht tätig.

„Was kann ich für Sie tun, Mr. Manning? Sie sind vermutlich nicht hier, um sich die Karten legen zu lassen.“

„Wie bitte?“ Er schüttelte verwirrt den Kopf, fing sich aber sofort wieder. „Nein, deshalb bin ich nicht hier.“

Sie neigte den Kopf zur Seite und gab sich völlig gelassen. Man merkte ihr zum Glück nicht an, wie aufgeregt sie war, doch der fremde Besucher brachte sie völlig aus der Fassung. Das letzte Mal, als jemand sie so missbilligend gemustert hatte, war sie ein verängstigter Teenager vor dem Haftrichter gewesen.

Dass Zeke Manning aussah, als wäre er einer Hochglanzanzeige für teures Herrenparfum entsprungen, machte die Sache nicht besser.

„Dann klären Sie mich bitte auf.“

„Ich möchte, dass Sie mir das zurückgeben, was nicht Ihnen gehört.“

Vivi versuchte verzweifelt, ihren jagenden Herzschlag zu beruhigen. Wer war dieser Mann? Und was dachte er, wer sie war? Wenn er meinte, dass er sie damit beeindrucken konnte, dann hatte er sich geirrt. Vivi hatte sich in ihrem Leben schon gegen beängstigendere Menschen behauptet. Er hatte zwar eine machtvolle Präsenz, aber Vivi ließ sich nicht einschüchtern.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Mr. Manning.“ Und das entsprach absolut der Wahrheit. „Ich muss Sie jetzt bitten, zu gehen.“

Er hob eine Augenbraue und erwiderte: „Gut, ich kann auch mit den zuständigen Beamten wiederkommen.“

Wie bitte?

Sie fragte sich, was für ein Spiel er mit ihr spielte. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, nicht in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls. Und für alles andere hatte sie voll und ganz bezahlt.

Frustriert und wütend überlegte sie, um was es bei dieser Sache überhaupt ging.

Egal! Je eher sie ihn loswurde, desto besser. Seine Anwesenheit und seine Anschuldigungen verunsicherten sie langsam doch, und sie hatte Mühe zu atmen.

„Wie gesagt, ich weiß wirklich nicht, was Sie damit meinen. Kommen Sie wieder, mit wem auch immer Sie wollen, aber jetzt möchte ich, dass Sie das Geschäft verlassen.“ Sie schaffte es, ihre Stimme fest und selbstsicher klingen zu lassen.

Die Vorstellung, ihn wiederzusehen, war mehr als beunruhigend. Sie ärgerte sich über ihre Verunsicherung. Sie hatte schon viel schlimmere Situationen gemeistert, zum Beispiel von fiesen Polizisten in dämmrigen Räumen verhört zu werden.

Ihre alten Ängste und Unsicherheiten keimten wieder auf, aber Vivi verdrängte sie tapfer. Es gab wirklich keinen Grund, sich von diesem Zeke Manning so durcheinanderbringen zu lassen. Hier, in Luciens magischem Laden, war sie in Sicherheit. Das Geschäft war für sie schon seit vielen Jahren ein Zufluchtsort – ein zweites Zuhause. Sie würde nicht zulassen, dass dieser Fremde das kaputt machte.

Zu spät, flüsterte eine leise Stimme in ihr.

Sie musste zugeben, dass sie durch die unerwartete Begegnung wirklich durch den Wind war.

In diesem Augenblick betrat der Geschäftsinhaber den Verkaufsraum. Er war im Lager nebenan gewesen.

Besorgt erkundigte er sich bei Vivi: „Ist alles in Ordnung? Belästigt dich dieser Mann?“

Anscheinend hatte sie unbewusst die Stimme erhoben. Vivi wollte auf keinen Fall, dass ihr Chef in die Auseinandersetzung mit hineingezogen wurde. Sie spürte, dass Zeke Manning sich auch nicht von dem älteren Lucien einschüchtern lassen würde.

„Er wollte gerade gehen“, sagte sie mit Nachdruck und sah Zeke Manning fest an.

Kurz schien es so, als würde Mr. Manning widersprechen wollen, doch dann überlegte er es sich offenbar anders. „Gut, ich werde gehen. Aber glauben Sie mir – ich komme wieder. Notfalls mit der Polizei.“

Seine Worte trugen leider nicht dazu bei, Vivis Unbehagen zu zerstreuen.

Vielleicht hatte er ein wenig übertrieben.

Zeke goss sich noch einen Bourbon aus der gut ausgestatteten Minibar seines Hotelzimmers ein, während er die Ereignisse des Tages Revue passieren ließ. Vielleicht war er etwas übereifrig gewesen, als er die junge Frau zur Rede gestellt hatte. Vermutlich hätte er die ganze Angelegenheit besser einem Kollegen übertragen sollen – Strafrecht war schließlich nicht sein Fachbereich. Er arbeitete im Immobilienrecht und in der Vermögensverwaltung.

Er sah immer noch Ms. Ducarnes Gesicht vor seinem inneren Auge.

Sie hatte beinahe verängstigt gewirkt.

Vielleicht war sie aber auch nur eine gute Schauspielerin, und er hatte sich von ihrem hübschen Äußeren täuschen lassen. Es hatte ihn völlig überrascht, wie hübsch sie war. Das ältere Foto, das er im Internet von ihr gefunden hatte, war ihr in keiner Weise gerecht geworden. Sie hatte wunderschöne braune Augen und perfekte Proportionen mit sanften Kurven an den richtigen Stellen. Sie war eine echte Schönheit.

Verdammt.

Es gab trotzdem keinen Grund, um sich schuldig zu fühlen – immerhin war er auf der Spur eines verschwundenen Familienerbstücks. Und nur weil Vivienne Ducarne gut aussah, bedeutete das nicht, dass sie nicht trotzdem etwas Unschönes getan haben konnte.

Er schuldete es seiner Großmutter und Esther, die Sache aufzuklären.

Wenn der Geschäftsinhaber nicht aufgetaucht wäre, hätte er den Fall vielleicht schon gelöst. Doch der Mann hätte seine Angestellte zweifelsfrei gegen ihn verteidigt, und eine Handgreiflichkeit hätte Zeke auch nicht weitergebracht.

Zeke ging Auseinandersetzungen nur selten aus dem Weg, aber heute hatte er es für das Klügste gehalten, den Laden zu verlassen. Natürlich hätte er den Ladeninhaber darüber informieren können, weshalb er da war, doch irgendetwas hatte ihn zurückgehalten. Esther hatte Vivienne die Kette nach eigenen Angaben schließlich geschenkt.

Ich komme wieder. Notfalls mit der Polizei.

Das waren seine Abschiedsworte gewesen – wie in einem schlechten Kinofilm.

Zeke fuhr sich seufzend mit der Hand durch die Haare.

Doch er hatte auf die harte Tour gelernt, dass es besser war, immer misstrauisch zu sein. Manche Menschen hatten einfach keine Skrupel und nutzten andere aus, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Auch diese Lektion hatte ihm das Leben bereits als Kind erteilt, und Ms. Ducarne war jemand, der ihn hellhörig werden ließ – aus welchem Grund auch immer.

Sicher, er hätte sich heute geschickter anstellen können, doch Tatsachen blieben Tatsachen. Vivienne Ducarne hatte es irgendwie geschafft, dass Esther ihr ein unheimlich wertvolles Schmuckstück überlassen hatte.

Vielleicht ist es an der Zeit, doch einen Profi einzuschalten, um herauszufinden, was für ein Mensch Vivienne Ducarne wirklich ist, dachte Zeke. Er nahm sein Handy und öffnete seine Kontakte. Er rief Bill Wolfson nur in wirklich dringenden Fällen an. So wie jetzt.

Sein Gesprächspartner ging schon nach dem ersten Klingeln ans Telefon. „Mit einem Anruf von dir hätte ich jetzt nicht gerechnet, Ezekiel. Was gibt’s?“

Bill bestand darauf, Zeke bei seinem richtigen Namen zu nennen. Das war eine seiner vielen Marotten, und Zeke hatte sich vor langer Zeit daran gewöhnt.

„Ich könnte bei einer bestimmten Sache deine Hilfe gebrauchen.“

„Das habe ich mir schon gedacht, sonst hättest du ja nicht angerufen. Um was geht es?“ Bill redete nicht gern lange um den heißen Brei herum.

„Ich habe einen Namen für dich. Könntest du bitte einen Background-Check für mich machen?“

Zeke hörte Bill am anderen Ende der Leitung schnauben.

„Ich vermute mal, mehr willst du mir dazu nicht verraten? Zum Beispiel, weshalb du die Informationen brauchst?“

„Zumindest jetzt noch nicht. Ich schick dir eine Nachricht mit dem Namen und der Adresse.“ Bill hatte keine weiteren Fragen. Die beiden Männer arbeiteten schon seit Jahren zusammen und kannten einander gut.

Zeke legte auf und fühlte sich schon ein bisschen besser. Bill würde hoffentlich einige Antworten für ihn ausgraben – er hoffte nur, dass es nicht zu lange dauern würde. Zeke hatte schon genug mit seinen Verpflichtungen in der Kanzlei, mit seinen aktuellen Investitionen und nicht zuletzt mit dem bevorstehenden Kauf eines französischen Weinguts durch einen seiner Klienten zu tun. Er würde in Kürze in die Provence fliegen, um den Deal zu besiegeln, und das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine Ablenkung wie Vivienne Ducarne.

Seufzend öffnete Zeke das E-Mail-Programm auf seinem Mobiltelefon, um seine Nachrichten zu checken. Neben mehreren Mitteilungen, die seine Arbeit betrafen, stach eine Mail seiner Großmutter hervor, weil sie zahlreiche Smileys in der Betreffzeile hatte.

Mein Lieber, ich hoffe, es gefällt dir in New Orleans. Danke noch mal, dass du dich persönlich um Esthers Angelegenheiten kümmerst. Sie ist eine echte Freundin und war immer für mich da, wenn ich sie im Laufe der vielen Jahrzehnte gebraucht habe.

Zeke unterdrückte einen Fluch.

Nun gut – solange er auf die Ergebnisse von Bills Recherchen wartete, konnte er genauso gut noch ein paar eigene Nachforschungen anstellen. Dafür musste er Luciens Laden in der Bourbon Street einen weiteren Besuch abstatten.

Je eher, desto besser.

Als Zeke kurz darauf am Geschäft ankam, war die Tür jedoch schon verschlossen.

Enttäuschung machte sich in ihm breit. Doch das lag nicht daran, dass er Vivienne Ducarne gern wiedergesehen hätte oder dass ihre mandelförmigen Augen und ihr strahlendes Lächeln einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten. Das war unmöglich.

Nein, er ärgerte sich nur, weil er den Weg umsonst gemacht hatte.

Es überraschte Zeke irgendwie, dass der Laden bereits geschlossen hatte. Alle Geschäfte drum herum hatten noch geöffnet, und das Leben brandete auf der Bourbon Street. Zahlreiche Einheimische und Gruppen fröhlich lärmender Touristen waren unterwegs. Die Energie war unbeschreiblich, Zeke hatte so etwas noch nie erlebt. Überall leuchteten und blinkten Neonschilder, und aus allen Richtungen drang Jazzmusik an sein Ohr. An der nächsten Straßenecke spielte eine bunt zusammengewürfelte Percussion-Band auf improvisierten Instrumenten wie Plastikeimern und Alu-Dosen.

Zeke war schon mehrfach in New Orleans gewesen, aber noch nie in diesem Teil des French Quarters. Seine Tage waren normalerweise ausgefüllt mit Meetings, und abends zog er sich erschöpft in sein ruhiges Hotelzimmer zurück.

Nun, es half nichts – er musste seine Recherche auf den nächsten Tag verschieben. Er hoffte, dass Vivi morgen wieder hier wäre. Er hatte keine Ahnung, ob Kartenlegen ihre Vollzeitbeschäftigung war.

Es war ihm sowieso unbegreiflich, dass jemand für so etwas Geld ausgab. Gutgläubige Menschen, denen Vivienne Ducarne die Ersparnisse aus der Tasche zog. Das sagte schon einiges über ihren Charakter, fand er. Er fragte sich außerdem, wie Esther und Vivi sich überhaupt begegnet waren. Und weshalb hatte die alte Dame einer Kartenlegerin ein so wertvolles Geschenk gemacht?

Zeke schüttelte konsterniert den Kopf. Weshalb faszinierte ihn diese Frau nur so? Er konnte nicht leugnen, dass sie etwas ganz Besonderes an sich hatte und während ihrer kurzen und nicht sehr erquicklichen Unterhaltung ein ungewöhnliches Interesse in ihm geweckt hatte.

Es wäre das Klügste, Esthers Anwesen fertig zu schätzen und den Rest einfach Bill und den Behörden zu überlassen. Dann könnte er schnell nach Manhattan zurückfliegen und der betörenden Ms. Ducarne den Rücken kehren.

Betörend?

Wie kam er denn auf so etwas?

Vielleicht war doch etwas daran, dass man New Orleans eine magische Atmosphäre nachsagte. Er hatte zwar nie etwas darauf gegeben, aber vielleicht hatte er sich ja geirrt. Möglicherweise lag es aber auch nur an dem Bourbon, den er vorhin getrunken hatte. Er wusste es nicht.

Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ein bunter Aushang im Schaufenster von Luciens Laden seine Aufmerksamkeit erregte. Es war Werbung für eine Vergnügungsfahrt auf einem der traditionellen Dampfschiffe auf dem Mississippi inklusive Dinner und Livemusik an diesem Abend. Ein schwarz-weißes Foto in der unteren linken Ecke zeigte eine lächelnde Ms. Ducarne – anscheinend gehörte sie auch zur Crew.

2. KAPITEL

Vivi war immer noch aufgebracht, als sie den Pier betrat, an dem das Schiff lag.

Sie musste sich irgendwie beruhigen, schließlich hatte sie nachher einen Auftritt. Sie war zwar keine Hauptattraktion, aber als Sängerin der Band stand sie trotzdem im Mittelpunkt, und es war nicht gut, wenn sie so gestresst auf die Bühne ging. Die Leute sollten sich doch amüsieren – deshalb kamen sie schließlich an Bord.

Dennoch machte die Erinnerung an Zeke Manning und sein unverschämtes Verhalten sie immer wieder aufs Neue wütend. Was dachte er, wer er war? Seine geringschätzende Art hatte einen wunden Nerv getroffen, denn in ihrer Kindheit und Jugend hatte Vivi häufig erlebt, dass man sie als wertlos und unbedeutend betrachtete. Niemand hatte damals für sie Partei ergriffen – sie war ganz auf sich allein gestellt gewesen.

Tränen brannten plötzlich in ihren Augen, und mit größter Anstrengung verdrängte sie die bitteren Erinnerungen wieder. Sie musste sich zusammenreißen. Sie war hergekommen, um zu arbeiten. Zeke Manning und ihre Vergangenheit hatten hier keinen Platz.

Es standen einige Leute an, um an Bord zu gehen – nicht schlecht für einen gewöhnlichen Donnerstagabend. Vivi war nicht erfolgreich genug, um am Wochenende auftreten zu dürfen, aber trotzdem war sie dankbar für die Chance. Sie war sogar froh, dass sie nicht so sehr im Rampenlicht stand – sie hatte viel zu große Angst, dass jemand etwas über ihre Vergangenheit herausfinden könnte. Auf einem Ausflugsdampfer singen zu dürfen war daher gar nicht so schlecht.

Es überrascht mich nicht, dass du keinen festen Job hast.

Die Worte ihres letzten Pflegevaters schossen ihr durch den Kopf, ohne dass sie es verhindern konnte. Leider begegnete sie dem Mann noch ab und zu, wenn sie in der Stadt unterwegs war. Ihre kurzen Unterhaltungen endeten immer mit einer Kritik an Vivis Lebensweg – dabei war sie schon seit Jahren volljährig und für sich selbst verantwortlich.

Es war ihr egal, ob es ein fester Job war oder nicht. Sie war stolz auf das, was sie machte. Sie hatte jede Woche zwei Auftritte als Sängerin, arbeitete nachmittags als Verkäuferin und Kartenlegerin in Luciens Laden und kellnerte mittags im Crawdad Café. Sie verdiente damit zwar nicht viel, aber es reichte, um die Miete und ihren Lebensunterhalt zu bezahlen. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sie nicht gewusst, wo ihre nächste Mahlzeit herkommen sollte – etwas, was Zeke Manning sicherlich nie erfahren hatte.

Schluss damit! Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich wiedersehen würden – aber bis es so weit war, konnte sie seine Existenz getrost ignorieren.

Vielleicht fand er auch heraus, dass sie nichts getan hatte, und sie sahen sich nie wieder. Die Vorstellung war nicht so befriedigend, wie sie sein wollte – er war schließlich ein attraktiver Mann.

Oh nein, denk nicht mal drüber nach!

Sie hatte schon einmal bewiesen, wie dumm sie war, wenn es um Männer ging. Es war egal, wie gut Zeke Manning aussah. Außerdem hatte er sich echt danebenbenommen.

Als sie das Schiff betrat, kreisten ihre Gedanken immer noch um ihn.

Die Crewmitglieder grüßten sie freundlich auf ihrem Weg in die Mitarbeiterkabine. Der Schiffsmotor erwachte zum Leben, und weiße Dampfwolken stiegen in die Luft. Die Passagiere kamen nun an Bord, und Vivis Aufregung wuchs. Sie liebte es, auf der Bühne zu stehen, aber Lampenfieber gehörte auch jedes Mal dazu. Doch sobald sie die ersten Töne gesungen hatte, vergaß sie alles um sich herum. Dann war sie ganz in ihrer eigenen Welt.

Viele Menschen hatten in der Vergangenheit versucht, sie kleinzumachen, und Vivi zweifelte oft an sich selbst – aber nie daran, dass sie singen konnte. Vielleicht genügte es nicht, um reich und berühmt zu werden, aber das war ihr gleichgültig. Hauptsache, sie durfte auftreten.

Sie hoffte, dass sie auch heute alles um sich herum vergessen konnte und nicht ständig an Zeke Manning denken musste.

Er hätte es fast verpasst.

Zeke hielt einen Augenblick inne, um etwas zu Atem zu kommen, und beobachtete, wie das Schiff langsam ablegte.

Er war nie besonders impulsiv gewesen, deswegen staunte er über sich selbst. Er hatte die Ticketverkäuferin mit viel Charme überredet, ihm noch eine Karte zu verkaufen, weil das Schiff schon im Ablegen begriffen war. Und jetzt stand er neben zahlreichen Touristen aus aller Welt auf einem Ausflugsdampfer auf dem Mississippi – dabei hatte er eigentlich genug andere Dinge zu tun. Doch es gab schlimmere Arten, seinen Abend zu verbringen, und außerdem war das Dinner unterwegs mit inbegriffen.

Er betrachtete die anderen Gäste. Es waren neben ihm fast nur Pärchen und ein paar Familien mit Kindern an Bord. Er war der einzige Single. Ich habe anscheinend nicht alles bedacht, stellte er unangenehm berührt fest. Es störte ihn zwar nicht, allein zu sein, aber er stach ungern aus der Menge hervor. Sein Nacken begann zu kribbeln. Er hatte in seiner Kindheit die Fähigkeit perfektioniert, nicht aufzufallen.

Die Bar erschien ihm der einzig geeignete Ort zu sein – dort konnte er sich mit dem Barkeeper unterhalten. Zum Glück war Small Talk eine seiner leichtesten Übungen.

Er setzte sich auf einen Barhocker, und der Barkeeper kam sofort. Ein großer, breitschultriger Mann mit einem Pferdeschwanz. An seinen Armen klimperten Goldkettchen.

„Ich weiß, was Sie nehmen“, sagte er grinsend zu Zeke. „Unsere Spezialität, den Bourbon Punch.“

„Einverstanden, Sie sind der Experte“, erwiderte Zeke.

Er schaute zu, wie der Barkeeper den Drink zubereitete und in ein hohes Cocktailglas goss. Er war froh, dass der Mann so gesprächig war. So fühlte er sich weniger wie ein einsamer Tourist. Er konnte zwar immer noch sein Handy herausholen, aber es war ein viel zu schöner Abend, um auf ein Display zu starren. Kleine weiße Wölkchen standen am dunkelblauen Himmel, und die Sonne war im Begriff, unterzugehen. Der Fluss unter ihnen wirkte majestätisch und ruhig.

„Sind Sie beruflich in NOLA?“, fragte der Barkeeper und schob Zeke seinen Drink zu.

NOLA – so nannten die Einwohner New Orleans’ ihre Stadt.

„Ja, aber ich dachte, ich könnte auch mal etwas unternehmen, während ich hier bin.“

„Gute Idee. Viel zu viele Geschäftsleute schaffen es nie, sich die Stadt mal anzuschauen. Dabei ist New Orleans echt toll. Ich bin übrigens Thomas“, sagte er lächelnd.

Zeke nahm einen Schluck von seinem Cocktail. Er schmeckte wirklich gut – fruchtig und ein bisschen herb. „Ich bin ehrlich gesagt auf der Suche nach jemandem. Wir müssen noch etwas klären. Irgendwie haben wir uns bei unserem ersten Treffen auf dem falschen Fuß erwischt.“ Zeke wusste selbst nicht, warum er das so bereitwillig einem Fremden erzählte.

„So etwas kommt vor. Möchten Sie darüber reden?“, erwiderte Thomas freundlich.

Bevor Zeke darauf antworten konnte, erklang eine bekannte Stimme neben ihm.

„Hallo, Thomas. Schöner Abend, nicht wahr? Gibst du mir bitte ein Zitronenwasser?“

Das Lächeln des Barkeepers wurde noch ein wenig breiter, und Zeke konnte die Zuneigung in seinem Gesicht deutlich herauslesen.

„Kommt sofort, Vivi.“

Zeke drehte sich langsam zu ihr um. Er beobachtete, wie sie erst desinteressiert an ihm vorbeischaute, nur um ihn dann Sekunden später mit vor Schreck geweiteten Augen anzustarren.

„Sie?“

„Verfolgen Sie mich etwa?“

Vivi spürte, wie ihr Puls raste. Wut machte sich in ihr breit.

Zeke hob abwehrend die Hände. „Nein, es ist nicht so, wie es aussieht.“

„Wie denn dann?“, fragte sie angespannt. Er war schließlich zum zweiten Mal innerhalb eines Tages unangekündigt an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht.

„Wir hatten heute Nachmittag keinen besonders guten Start.“

Das könnte man so sagen. „Ich möchte, dass Sie sofort das Schiff verlassen“, ereiferte sie sich.

„Aber wir sind mitten auf einem Fluss.“

„Das ist mir völlig egal.“ Vivi wusste selbst, dass ihr Verhalten irrational war, aber sie war so überrumpelt, dass sie nicht klar denken konnte. Sein unerwartetes Auftauchen brachte sie aus dem Konzept. Weshalb war er hier? Was wollte er von ihr?

Sie spürte zwar, dass von ihm keine Bedrohung für Leib und Leben ausging, aber das bedeutete nicht, dass er ihr nicht trotzdem gefährlich werden konnte.

„Schauen Sie, ich bin zum Geschäft in der Bourbon Street zurückgekehrt und habe den Aushang im Fenster gesehen. Dort stand, dass sie heute Abend hier auftreten.“

Vivi schüttelte verwirrt den Kopf, um den Nebel darin zu vertreiben. „Aber dann sind Sie mir ja doch gefolgt.“

Thomas brachte Vivis Wasser. „Gibt es hier irgendein Problem?“, erkundigte er sich.

Na toll! Vivi stöhnte. Sie wollte auf keinen Fall, dass einer ihrer Freunde in diese Sache – um was auch immer es eigentlich ging – hineingezogen wurde. Keiner, außer Bessa, ihre Mitbewohnerin und beste Freundin, wusste von Vivis unrühmlicher Vergangenheit. Und das sollte auch so bleiben.

Vivi atmete tief durch. Sie wollte hier keine Szene verursachen.

„Danke, Thomas. Ich habe alles im Griff.“

„Bist du sicher?“, fragte der Barkeeper wenig überzeugt und musterte Zeke mit unverhohlenem Misstrauen.

Vivi war dankbar für seine offen gezeigte Sorge um sie. Es war immer noch ein fremdes Gefühl für sie, dass es Menschen gab, denen ihr Wohlergehen am Herzen lag.

„Ja, danke.“

Thomas nickte knapp und machte dann an Zeke gewandt eine unmissverständliche Geste – er deutete mit Zeige- und Mittelfinger auf seine eigenen Augen und dann auf die Brust seines Gegenübers. Er würde ihn im Auge behalten.

Vivi musste bei diesem Anblick schmunzeln.

Dann wandte Thomas sich ab und ging zu einem anderen Kunden.

„Schade, wir hatten uns gerade so nett unterhalten“, sagte Zeke wehmütig.

„Es fällt mir schwer, das zu glauben“, entgegnete Vivi sarkastisch.

„Was? Dass man sich mit mir gut unterhalten kann?“

Er wirkte völlig entspannt, während Vivi innerlich bebte. Er hatte eine unerklärliche Wirkung auf sie. Was hatte er nur an sich – abgesehen von seinem wahnsinnig guten Aussehen? Er besaß eine gewisse Aura. Man spürte sofort, dass man sich mit ihm lieber nicht anlegen sollte.

Finde einfach raus, was er von dir will, und reiz ihn besser nicht unnötig.

Doch dann konnte sie nicht an sich halten: „Offensichtlich habe ich Ihre nette Seite noch nicht zu Gesicht bekommen.“

„Da haben Sie recht. Genau deshalb bin ich hier.“

„Wenn Sie hier sind, um sich zu entschuldigen, dann tun Sie das doch einfach.“

Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Vivi vermutete, dass er nicht oft Widerworte zu hören bekam.

Dann hob er sein Glas und sagte: „Es tut mir leid, dass ich mein Anliegen vorhin nicht besser kommuniziert habe.“

Vivi verdrehte die Augen.

Es war klar, dass es ihm nicht leidtat, dass er sie verdächtigte. Doch sie hatte jetzt keine Zeit mehr für eine weitere Unterhaltung, ihr Auftritt begann in zwanzig Minuten. Was auch immer er von ihr wollte – es musste warten.

„Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend, Mr. Manning. Ich muss mich jetzt vorbereiten.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und ging zur Treppe, die zum unteren Deck führte.

Sie hatte Schneid, das musste man ihr lassen.

Zeke beobachtete ihren Abgang, und dabei entgingen ihm die bewundernden Blicke der anderen männlichen Gäste nicht. Vivienne Ducarne hatte eine natürliche Anmut, die unheimlich sexy war. Lange, wohlgeformte Beine, ein hübscher, praller Hintern und eine feminine Taille, die sie mit einem schmalen Goldkettchen über ihrem schlichten schwarzen Seidenkleid dezent betonte.

Er fuhr sich über die Augen. Es sollte ihm egal sein, wie sie aussah.

Thomas starrte ihn noch immer von der anderen Seite der Bar aus feindselig an.

Zeke hob in gespielter Abwehr die Hände. Er hatte ja schließlich nichts falsch gemacht. Er versuchte nur, Esther zu helfen, und offensichtlich hatte Vivi die Hilflosigkeit der alten Dame ausgenutzt. Wobei langsam leise Zweifel an ihrer Schuld in ihm aufkamen. Es wunderte ihn, dass sowohl der Ladeninhaber als auch Thomas ihr sofort zu Hilfe geeilt waren. Wenn sie ein schlechter Mensch wäre, wären ihre Kollegen ihr gegenüber sicherlich nicht so loyal. Wobei Zeke in seiner Kindheit auch erlebt hatte, wie niederträchtige Menschen mit ihrer manipulativen Art andere um den Finger wickeln konnten.

Aber Vivi hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit Rex.

Allein der Gedanke an diesen Mann löste bei Zeke Übelkeit aus. Er riss sich zusammen.

Da Thomas nun nicht mehr mit ihm plaudern wollte, konnte Zeke genauso gut zahlen und sich Vivis Auftritt auf dem unteren Deck ansehen. Dort im Ballsaal gab es Dinner, während die Band spielte. Da das Essen im Ticketpreis inbegriffen war, konnte er auch daran teilnehmen.

Hoffentlich bot sich danach endlich eine Gelegenheit, mit Vivi über Esther und die verschwundene Halskette zu sprechen. Je eher die Angelegenheit geklärt war, desto eher konnte er wieder nach New York fliegen. Es gab einiges, was in der Kanzlei seine dringende Aufmerksamkeit verlangte, und außerdem stand in ein paar Tagen sein Trip nach Frankreich an, um das Weingut zu kaufen. Dafür mussten die Dokumente noch fertig vorbereitet werden.

Ein köstlicher Duft kam ihm entgegen, als er auf dem unteren Deck die doppelte Schwingtür öffnete und den Ballsaal betrat. Die Band begann gerade ein neues Stück – eine schnelle Jazznummer. Auf der anderen Seite des Raumes war ein Büfett aufgebaut, und die dampfenden Speisen, die auf silbernen Platten angerichtet waren, sahen wirklich verlockend aus. Es gab verschiedene Salate, Meeresfrüchte, Reis, Gumbo – ein in den Südstaaten typischer, würziger Eintopf – und eine Obstplatte.

Zeke konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal von einem Büfett gegessen hatte. Seine Reise nach New Orleans hielt so einige Überraschungen für ihn bereit. Er nahm sich einen Teller und stellte sich an.

Vor ihm stand eng aneinandergeschmiegt ein Pärchen, das sich ständig kleine Küsschen gab. Wie es wohl war, so verliebt zu sein? Nicht wie seine Mutter und Rex, die eine sehr ungesunde Beziehung gehabt hatten, sondern echte Liebe.

Er riss sich von dem Anblick los und füllte seinen Teller, als er an der Reihe war. Dann suchte er sich einen Sitzplatz und begann zu essen. Es schmeckte hervorragend, und auch die Musik gefiel ihm gut. Er musste zugeben, dass er den Abend langsam genoss.

Gerade als er überlegte, ob er sich noch einen Nachschlag holen sollte, wurde das Licht im Raum etwas gedimmt, und Vivi betrat die Bühne.

Zeke war froh, dass sein Teller leer war, denn er hätte keinen Bissen mehr runterbringen können. Sie trug zwar dasselbe Kleid wie an der Bar, hatte aber ihre Chucks gegen hohe Stilettos getauscht, ihr Haar hochgesteckt und roten Lippenstift aufgelegt. Die erotischste Farbe, die er je gesehen hatte. Vivi war unglaublich sexy.

Zeke rutschte auf seinem Stuhl hin und her, um das unerwartet aufflammende Begehren zu unterdrücken. Das musste die Atmosphäre auf dem Schiff sein, er war schließlich von lauter Pärchen umgeben. Er sagte sich, dass sich seine Faszination für Ms. Ducarne schnell legen würde, sobald er wieder in Manhattan war.

Doch dann begann sie zu singen.

3. KAPITEL

Es war ihr noch nie so schwergefallen, sich auf ihren Auftritt zu konzentrieren. Sie wusste nicht, wie viele Töne sie bereits verhauen hatte – dabei kannte sie den Song eigentlich in- und auswendig.

Doch ihr war vollkommen klar, woran das lag.

Sie bemühte sich, nicht ständig in Zekes Richtung zu schauen. Er saß nahe der Bühne und blickte Vivi unverwandt an. Es brachte sie völlig durcheinander – dabei war sie es mittlerweile gewohnt, auf der Bühne angestarrt zu werden.

Das weiche Licht betonte seine maskulinen Züge vorteilhaft, und sie musste dauernd daran denken, wie er gerochen hatte, als sie oben an der Bar neben ihm gestanden hatte. Herb und ein bisschen nach Pfefferminze. Sein dunkles Haar fiel ihm in die Stirn, und zu gern hätte Vivi die Strähne mit den Fingerspitzen beiseitegestrichen.

Mist. Schon wieder ein schiefer Ton. Das Publikum schien es zum Glück nicht bemerkt zu haben, aber der Schlagzeuger und der Pianist warfen Vivi unter ihren Strohhüten fragende Blicke zu.

Es gelang ihr irgendwie, das Set ohne größere Patzer fertig zu singen, aber ihre miserable Darbietung brachte sie fast zur Verzweiflung.

Es reicht!

Sobald der letzte Song vor der Pause ausgeklungen war, eilte sie zu Zeke an den Tisch. „Warum sind Sie immer noch hier?“

„Haben Sie etwa gehofft, dass Thomas mich über Bord geworfen hat?“, entgegnete er, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Die Vorstellung ist irgendwie verlockend.“

„Tut mir leid, da muss ich Sie enttäuschen.“

Er schob ihr mit dem Fuß einen Stuhl zu und sagte: „Nehmen Sie doch Platz.“

„Genau das werde ich tun“, entgegnete sie.

Es war wirklich höchste Zeit, dass Zeke Manning ihr sagte, was er von ihr wollte. Vivi ahnte, dass es ihr nicht gefallen würde, aber es war besser, das Ganze einfach hinter sich zu bringen. Sie zog sich einen eigenen Stuhl etwas weiter entfernt hervor und setzte sich.

„Weshalb sind Sie hier, Mr. Manning?“, fragte sie ohne Umschweife.

„Ich bin im Immobilienrecht tätig und habe mich auf Wertgutachten spezialisiert. Ich bin in New Orleans, um meiner Großmutter einen Gefallen zu tun“, begann er.

Vivi blinzelte verwirrt. Er wirkte nicht wie jemand, der etwas seiner Oma zuliebe tat.

„Sie ist eine gute Freundin von Esther Truneau“, fügte er hinzu.

„Oh, die nette Dame, der ich jede Woche die Karten lege?“

„Ja, genau die. Mir wurde gesagt, dass sie zu ihr nach Hause kommen?“

In Vivis Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. „Das stimmt. Sie kam lange zu mir ins Geschäft, aber ich habe ihr irgendwann angeboten, es bei ihr zu machen, weil der Weg so beschwerlich für sie war. Sie ist nicht mehr besonders gut zu Fuß, falls Ihnen das noch nicht aufgefallen ist.“

Zeke strich sich übers Kinn und lenkte Vivis Aufmerksamkeit auf den leichten Schatten seiner dunklen Bartstoppeln. Es verlieh ihm noch etwas extra Markantes. „Hmm“ war alles, was er dazu sagte.

„Was soll das heißen?“, erkundigte sie sich angespannt.

„Nur so aus Neugierde: Wie viele Wahrsagerinnen machen denn Hausbesuche?“

Vivi verschränkte empört die Arme vor der Brust. Das klang ja so, als würde sie bei einem Wanderzirkus in einem schummrigen Zelt den Leuten mit einer Glaskugel die Zukunft prophezeien. „Ich bin keine Wahrsagerin, sondern lege meinen Kunden die Karten.“

Sie hatte sich viele Jahre mit dem Tarot befasst, nachdem eine ihrer Pflegemütter ihr die Grundlagen gezeigt hatte. Es war ihr wichtig, die Karten immer auf den jeweiligen Menschen bezogen zu interpretieren und alles genau zu erklären.

„Und es ist nicht Ihre einzige Einnahmequelle“, fügte er hinzu und deutete auf die Bühne.

Das klingt sehr herablassend, dachte Vivi. Aber natürlich schaute er auf sie herunter – er war schließlich ein erfolgreicher Anwalt, der für die Reichen und Mächtigen arbeitete. Er hatte es ganz sicher nicht nötig, Fernsehwerbung zu schalten, in der er versprach, jeden Fall zu gewinnen.

Er lehnte sich zu ihr hinüber und sagte: „Esther sagt, dass sie Ihnen auch ab und zu etwas geschenkt hat.“

Die Alarmglocken in Vivis Kopf schrillten erneut, aber diesmal noch lauter und drängender. „Das stimmt“, gab sie zu. „Sie hat gesagt, dass sie sich von einigen Dingen trennen möchte, um sich von unnötigem Krimskrams zu befreien.“

Zeke stieß ein zynisches Lachen aus. „Sie hat Ihnen vor Kurzem eine Kette gegeben, nicht wahr?“

Vivi nickte. „Ja. Sie meinte, die roten Steine würden gut zu meinen dunklen Haaren passen.“

Zeke hob eine Augenbraue. „Bei diesen roten Steinen handelt es sich um Rubine.“

Vivi erstarrte. „Wie bitte? Echte Rubine?“

„Ja. Es handelt sich um ein antikes Collier aus dem 18. Jahrhundert aus Frankreich.“

Vivi schluckte schwer. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals. „Ich dachte, es sei billiger Modeschmuck, mit dem Esther einfach nur ihre Zuneigung ausdrücken wollte“, sagte sie gequält.

Zeke lehnte sich noch näher zu ihr. Vivi musste sich zusammenreißen, um seinem eindringlichen Blick nicht auszuweichen.

„Dieser billige Modeschmuck, wie Sie ihn nennen, würde bei einer Auktion locker eine hohe sechsstellige Summe einbringen.“

Sie ist verdammt gut, das musste Zeke ihr lassen. Entweder war Vivienne Ducarne eine Oscar-verdächtige Schauspielerin, oder die Enthüllung hatte sie wirklich zutiefst schockiert. Sie saß ihm mit offenem Mund und offensichtlich sprachlos gegenüber.

„Ist das irgendein bescheuerter Witz?“, fragte sie schließlich.

„Nein, das ist kein Witz. Sie sind im Besitz einer Antiquität, die fast eine Million Dollar wert ist“, erklärte Zeke schroff.

Vivi schloss die Augen und atmete tief durch. Dann fragte sie entgeistert: „Weshalb sollte Esther mir etwas so Kostbares schenken?“

Zeke überlegte, ob ihr der schlechte geistige Zustand der alten Dame nicht aufgefallen war. Esther vergaß viele Dinge und erzählte manchmal wirres Zeug. „Ich fürchte, sie wird dement.“

„Die arme Esther“, sagte Vivi betroffen. Dann weiteten sich ihre Augen entsetzt. „Aber Sie denken jetzt nicht, dass ich sie irgendwie ausgetrickst habe, um an die Kette zu kommen, oder? Ich wusste wirklich nichts davon!“ Dann dämmerte es ihr. „Oh mein Gott! Sie glauben, ich hätte Esther bestohlen. Deshalb haben Sie mir mit der Polizei gedroht. Aber sie hat mir die Kette wirklich von sich aus gegeben.“

Zeke räusperte sich verlegen. „Schauen Sie, ich bin heute Nachmittag ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen.“

„Tatsächlich?“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Sie haben mir weder gesagt, worum es überhaupt geht, noch haben Sie sich für meine Version der Geschichte interessiert.“

„Das mag sein.“ Vivi wirkte ehrlich verletzt. Zeke fragte sich erneut, ob sie vielleicht wirklich unschuldig war.

„Es fällt Ihnen ziemlich schwer, sich zu entschuldigen, nicht wahr? Ich vermute, Ihnen fehlt einfach die Übung“, stellte sie fest.

Er musste über diese Bemerkung lachen. Vivi hatte keine Ahnung, wie oft er sich als Kind hatte entschuldigen müssen – für jeden kleinen Fehler.

„Es tut mir leid. Vielleicht können wir noch einmal von vorn anfangen?“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „Hallo, ich bin Ezekiel Manning – aber alle nennen mich Zeke.“

Skeptisch musterte sie seine Hand und ergriff sie schließlich kurz.

„Ich heiße Vivienne Ducarne, aber alle nennen mich Vivi. Und ich habe die teure Kette nicht vorsätzlich genommen.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Vivi. Jetzt, wo Sie wissen, um was es geht, sagen Sie mir bitte, dass das Schmuckstück sicher verwahrt ist.“

„Ja, die Kette ist bei mir zu Hause, aber ich habe sie meiner Mitbewohnerin geschenkt, weil sie ihr so gut gefallen hat“, gab Vivi geknickt zu.

Zekes Magen krampfte sich vor Schreck zusammen. „Sie haben was?“

„Keine Sorge, Bessa hat heute Nachtschicht im Crawdad Café, da hat sie die Kette bestimmt nicht um. Ich trage auch nie Schmuck, wenn ich dort arbeite.“

„Sie haben noch einen dritten Job?“

„New Orleans ist eine teure Stadt, Mr. Manning. Es ist schwer, hier überhaupt über die Runden zu kommen.“ Sie klang gekränkt. Er hatte ihren Stolz verletzt.

Sie ahnte natürlich nicht, dass er auch aus einfachen Verhältnissen stammte. Er hatte nur immer darauf geachtet, dass es nicht publik wurde.

„Die Kette liegt bestimmt auf Bessas Kommode, bei ihren anderen Schmuckstücken. Wenn wir anlegen, fahre ich sofort nach Hause und suche sie. Dann können wir sie Esther heute noch zurückbringen. Ich möchte so etwas Wertvolles keine Sekunde länger bei mir haben. Oh Mann, Bessa wird mir das nie glauben.“

Sie nahmen ein Taxi und fuhren zusammen zu Vivis Haus.

Die Straße bot eine reizvolle Mischung aus Wohn- und Geschäftshäusern. Vivis schmales Häuschen quetschte sich zwischen ein Restaurant und ein Geschäft für handgemachte Kerzen. Auf der Veranda standen zwei identische Schaukelstühle, und es hingen Blumenampeln mit Grünlilien von der Decke. Die Fensterläden waren rosa und weiß gestrichen und die Wände in hellem pudrigem Blau.

Es war bereits dreiundzwanzig Uhr, aber die Gegend war noch immer belebt, und aus den geöffneten Fenstern drangen Gelächter und Musik. An einem Haus standen Schilder mit der Aufschrift „Zu verkaufen“ und „Hier spukt es“. Eine interessante Art, Werbung zu machen, fand Zeke.

„Warten Sie bitte kurz“, bat Vivi, als sie aus dem Taxi gestiegen waren.

Eine fröhlich plaudernde Gruppe junger Menschen kam an ihnen vorbei. Einer trug eine große, gelbe Pythonschlange um seinen Hals.

Vivi hatte Zekes Blick bemerkt und sagte: „Das ist Nessie. Sie können Sie bestimmt streicheln, wenn Sie Tim fragen.“

„Nein danke, ich verzichte“, murmelte Zeke.

Vivi lachte und schloss ihre Haustür auf.

Ihr Lachen ist herzlich und melodisch, stellte er fest. Doch dann schüttelte er den Kopf. Es war völlig egal, wie ihr Lachen klang – Hauptsache, er fand die Rubinkette. Was war nur mit ihm los? Er benahm sich wie ein Teenager.

Vielleicht lag es einfach daran, dass er schon ewig kein Date mehr gehabt hatte. Er war beruflich immer so eingespannt, dass er für Privates gar keine Zeit hatte. Vermutlich ging er zu selten unter Leute – das hatte ja auch Marnie, seine Ex-Freundin, behauptet, als sie ihn verlassen hatte.

Im zweiten Stock von Vivis Haus ging jetzt das Licht an. Zeke schaute auf die Uhr. Esthers Angestellte waren sicher noch wach, sodass er das Collier noch heute zurückbringen konnte.

Und Vivi?

Die Frage nagte an ihm.

Doch er rief sich zur Ordnung. Er kannte sie noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden, es konnte ihm egal sein, was sie machte. Wenn bei dem Background-Check über sie etwas Bedenkliches herauskam, würde er Esther warnen – aber das war es dann auch. Er würde Vivienne Ducarne nach dem heutigen Tag nie wiedersehen.

Die Vorstellung löste eine unerklärliche Wehmut in ihm aus.

Was, wenn sie sich unter anderen Bedingungen kennengelernt hätten? Sie kamen aus unterschiedlichen Welten, und Vivi traf sich bestimmt nicht mit Businesstypen wie ihm – aber dennoch regte die Vorstellung, ihr unter weniger komplizierten Umständen begegnet zu sein, seine Fantasie an.

Der Taxifahrer riss ihn aus seinen Gedanken. „Wie lange dauert es denn noch? Ich habe noch andere Aufträge“, rief er.

Zeke sah auf die Uhr. Vivi hätte längst zurück sein müssen. „Sie ist bestimmt gleich wieder da.“

Doch auch zehn Minuten später war Vivi immer noch verschwunden. Hatte sie ihn ausgetrickst und war heimlich durch die Hintertür entwischt? Aber warum sollte sie das tun? Er wusste ja jetzt, wo sie arbeitete und wohnte.

Als sie endlich zurückkam, merkte Zeke ihr selbst im dämmrigen Licht der Veranda an, dass etwas nicht stimmte.

„Sie ist nicht hier“, stieß Vivi hervor.

4. KAPITEL

Zeke wunderte sich, warum er überhaupt davon ausgegangen war, dass alles glatt gehen würde. Seit der ersten Begegnung mit Vivi war nichts wie geplant verlaufen.

„Sind Sie sicher?“

Sie nickte. „Ich habe überall gesucht, aber die Kette ist weg.“

In diesem Moment hupte der Taxifahrer. Sein Timing war miserabel. Genervt hielt Zeke eine Hand hoch und bedeutete ihm, zu warten.

„Haben Sie Ihre Mitbewohnerin angerufen?“

„Natürlich! Aber sie ist nicht ans Telefon gegangen – sie arbeitet ja gerade.“

Das Taxi hupte erneut. Zeke gab dem Mann einige Scheine, die als Trinkgeld gedacht waren, doch der Fahrer nahm das Geld und fuhr wortlos davon.

Zeke fluchte leise.

Vielleicht war es ein Fehler, Vivienne Ducarne zu vertrauen, aber es blieb ihm gerade nichts anderes übrig, also würde er einfach weiter mitspielen.

„Wir müssen zu Bessa und mit ihr sprechen“, sagte sie.

Zeke nahm sein Handy und wollte ein neues Taxi rufen, doch Vivi legte ihm sanft die Hand auf den Arm.

„Es ist nicht weit, wir können zu Fuß gehen.“

Die Berührung jagte einen kleinen Stromstoß durch seinen Körper.

„Aber ich muss Sie warnen. Das French Quarter ist um diese Tageszeit eine ziemlich verrückte Partymeile“, fügte sie hinzu.

Ihre Bemerkung überraschte Zeke. „Weshalb meinen Sie, mich warnen zu müssen?“

„Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass Sie ein Party-Typ sind.“

Damit hatte sie durchaus recht. Zeke mochte keine Menschenansammlungen und kein Durcheinander. Struktur und Ordnung waren ihm sehr wichtig – sie gaben ihm Sicherheit. Er hatte in seiner Kindheit schon genug Partys und Chaos erlebt.

Vivi hatte nicht übertrieben. Als sie sich der nächsten Querstraße näherten, nahm der Geräuschpegel deutlich zu, und die kleinen Grüppchen verdichteten sich zu einer großen, ausgelassenen Menschenmenge.

„Sie müssten die Stadt mal an Mardi Gras erleben“, sagte Vivi.

„Woher wollen Sie wissen, dass ich noch nie beim Karneval war?“

„Wieder nur so ein Gefühl“, erwiderte sie grinsend.

„Aber Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Sie haben doch auch vorschnelle Schlüsse über mich gezogen“, konterte sie.

Sie kamen an einem Mann vorbei, der mit mehreren scharfen Objekten jonglierte. Um ihn herum hatte sich eine Gruppe Schaulustiger gebildet, die seine Vorstellung mit lauten „Aahs“ und „Oohs“ quittierte.

Vivienne Ducarne spielt die Rolle der Unschuldigen sehr überzeugend, dachte Zeke. Sie schien ihm seinen Auftritt am Nachmittag nach wie vor übel zu nehmen – dabei war die teure Halskette noch immer nicht wieder aufgetaucht.

Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück, weil eine Unterhaltung durch den Lärm mittlerweile unmöglich war. An einer Straßenkreuzung kamen sie an einer Gruppe Stepptänzer vorbei, die sich ihre Steppschuhe mit flach gehauenen Limonadendosen selbst gebaut hatten. Schließlich erreichten sie einen halben Block weiter ihr Ziel.

Das Crawdad Café hatte eine große Fensterfront und davor einen Außenbereich. Jeder Tisch war besetzt, und in der Luft lag das Gewirr vieler Stimmen. Auf einer kleinen Bühne in der Ecke spielte ein Pianist Klavier. Seine Finger tanzten in atemberaubender Geschwindigkeit über die Tasten, und nach genauem Hinhören stellte Zeke fest, dass es sich um die Jazz-Version eines bekannten Hip-Hop-Songs handelte.

Zwischen den Tischen und Stühlen tanzten sogar zwei Pärchen zu der schnellen Nummer. Tanz und Musik schienen in New Orleans fest dazuzugehören.

Vivi entdeckte einen Tisch, der gerade frei wurde, und setzte sich schnell. Zeke folgte ihr. Der Duft von frischem, in Fett gebackenem Gebäck und Zucker lag in der Luft, und Zeke lief das Wasser im Mund zusammen. Er aß selten Süßes, aber der Duft von Beignets war einfach unwiderstehlich.

Bessa war für die Tische in einem anderen Bereich zuständig, deswegen hielt Vivi nach ihr Ausschau. „Dort ist sie!“, rief sie plötzlich. „Bessa!“

Die andere Frau lächelte erfreut, als sie Vivi erkannte, und kam zu ihnen herüber. Die beiden Frauen umarmten sich, so, als hätten sie sich seit Wochen nicht gesehen. „Und wer ist dieser attraktive Gentleman?“, erkundigte sich Bessa danach grinsend.

Zeke stellte sich vor und wollte ihr die Hand reichen, aber Bessa nahm ihn kurzerhand ebenfalls in den Arm.

„Bessa, ich weiß, du hast viel zu tun, aber hast du einen kurzen Augenblick Zeit?“

„Ein paar Minuten kann ich mir nehmen. Ist alles in Ordnung?“

Sie setzten sich, und Vivi erklärte ihr, was passiert war.

Bessas Augen weiteten sich, während sie zuhörte. „Oh Mann“, murmelte sie händeringend, als Vivi fertig war.

„Es stimmt wirklich“, sagte Vivi. „Die Kette ist wahnsinnig viel wert, und wir müssen sie Ms. Truneau zurückgeben. Ich weiß, ich habe sie dir geschenkt, aber ich mach es wieder gut.“

„Das ist es nicht, Süße, aber ich habe die Kette nicht mehr.“

Zeke erstarrte. Er hätte es wissen müssen.

Anscheinend war seine Reise doch noch nicht vorbei.

Vivi spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. Sie hätte sich am liebsten zu Hause verkrochen. Zeke neben ihr rieb sich die Stirn und wirkte kaum überrascht über die aktuelle Entwicklung.

„Wie meinst du das: Du hast sie nicht mehr?“, fragte Vivi mit belegter Stimme.

Bessa lehnte sich vor. „Du weißt doch, dass Roxy heiratet. Ich hatte ja keine Ahnung, wie wertvoll diese Kette ist. Ich habe sie ihr zur Hochzeit geschenkt.“

Oh nein! Vivi stockte das Blut in den Adern. Das konnte unmöglich wahr sein.

„Wer ist Roxy?“, mischte sich Zeke ein.

„Sie ist auch eine Arbeitskollegin aus dem Crawdad Café. Sie hat vor zwei Monaten ihren Traumprinzen kennengelernt – einen Automechaniker, der sie damals wortwörtlich abgeschleppt hat. Die beiden wollen quasi durchbrennen, um irgendwo ganz allein zu heiraten.“

Zeke stieß einen derben Fluch aus.

Vivi war in New Orleans aufgewachsen und die derbe Sprache der Seemänner gewohnt, doch von jemandem wie Zeke Manning hätte sie so etwas nicht erwartet. Aber sie konnte es ihm in dieser Situation wirklich nicht verdenken.

Bessa sagte schnell: „Macht euch keine Sorgen. Sie sind, glaube ich, noch nicht los. Ich hole schnell mein Handy und rufe sie an. Wartet kurz und entspannt euch.“

Leichter gesagt als getan, dachte Vivi, während sie ihrer Freundin nachsah.

„Möchten Sie ein Beignet, während wir warten? Es geht auch auf mich, Mitarbeiterrabatt“, schlug sie vor.

„Klar, warum nicht?“

Vivi bestellte bei der Kellnerin, die für ihren Bereich zuständig war, Beignets und Kaffee. Es war zwar schon recht spät, aber Vivi fand, ein Kaffee könnte nicht schaden. Sie hatte das Gefühl, schon seit einer Ewigkeit auf den Beinen zu sein – auch wenn die Nacht nach NOLA-Standard natürlich noch jung war.

Bessa war noch immer nicht zurück, als ihre Bestellung kam. Zeke trank einen großen Schluck Kaffee und schaute dann auf seine Uhr. Vivi vermutete, dass er sich genauso sehr wie sie wünschte, dass der Tag bald ein gutes Ende nahm.

Um sich abzulenken, nahm sie sich eins der duftenden, goldgelb frittierten Gebäckstücke und biss hinein. Heute stand Jess am Herd, da waren sie besonders gut. Vivi seufzte genussvoll.

„So gut?“, erkundigte sich Zeke amüsiert.

Sie nickte lächelnd. „Auf jeden Fall. Probieren Sie mal.“

Zeke nahm sich auch ein Beignet, und er wirkte überrascht, als er gekostet hatte. „Wow!“

Er sah aus wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal Eis aß. Vivi konnte ein fröhliches Kichern nicht unterdrücken. „Bitte, nehmen Sie auch die anderen beiden – ich habe diese Köstlichkeit ja täglich.“

„Gern“, erwiderte er.

Plötzlich starrte er wie gebannt auf ihren Mund.

Vivi ahnte, was los war. Wenn sie die echten Louisiana-Beignets von Jess aß, hatte sie hinterher immer überall Puderzucker kleben. Sie griff schnell nach einer Serviette aus dem Spender und wischte sich den Mund ab.

„Da ist noch ein bisschen“, sagte Zeke, und bevor sie reagieren konnte, hatte er die Hand ausgestreckt und strich ihr sanft über die Oberlippe.

Die Berührung seiner warmen Finger löste ein aufregendes Kribbeln in Vivis Bauch aus. Sie nahm einen Hauch seines Aftershaves wahr, und die Zeit schien stillzustehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Zeke seine Hand wieder sinken.

Was war das denn?

Klar, Zeke Manning war ein sehr attraktiver Mann, aber sie konnte sich doch schlecht in einen reichen Anwalt aus Manhattan vergucken. Zwischen ihnen lagen Welten – sie kam gerade so mit drei Jobs über die Runden, während er dagegen sein Leben offensichtlich voll im Griff hatte.

Zum Glück kam Bessa in diesem Moment zurück.

Vivi ließ die benutze Serviette auf ihren Teller fallen und stand hastig auf. „Hast du Roxy erreicht? Was hat sie gesagt?“

„Es tut mir leid, Süße. Ich habe noch mehr schlechte Nachrichten für dich“, verkündete Bessa mit kummervoller Miene.

5. KAPITEL

„Wenn ihr die Kette holen wollt, müsst ihr zu den Niagarafällen reisen.“

Zeke glaubte, sich verhört zu haben. „‚Niagarafälle‘?“, wiederholte er entgeistert.

„Ja, aber keine Sorge – auf der amerikanischen Seite. Ihr müsst also nicht über die Grenze nach Kanada.“

Als ob das Zekes größte Sorge wäre.

Was hatte ihn nur geritten, Vivi zu berühren? Er hätte sie auch einfach nur auf den Puderzucker hinweisen können. Aber seine Finger hatten sich wie von selbst bewegt.

Himmel, er hätte sie gern noch viel länger angefasst, sie gestreichelt und ihre weiche Haut gespürt. Am liebsten hätte er den Rest Puderzucker einfach fortgeküsst.

Nein, er durfte diese verräterischen Fantasien nicht weiterdenken. Er hatte die Frau schließlich gerade erst kennengelernt, und außerdem hatte sie maßgeblich mit dem Verschwinden einer extrem teuren Kette zu tun – einem Wertgegenstand, den er unbedingt wiederfinden musste.

Bessa sprach gerade über eine kleine Kapelle in der Stadt Niagara Falls im Bundesstaat New York, wo Roxy und ihr Freund heiraten wollten.

„Ich dachte, die Leute brennen nur nach Las Vegas durch, um zu heiraten“, sagte Zeke.

„Anscheinend gibt es auch dort oben im Norden viele kleine Kapellen, in denen man sich ohne Voranmeldung trauen lassen kann. Niagara Falls ist wohl sehr beliebt, um zu heiraten. Die Paare verbringen dann direkt vor Ort ihre Flitterwochen. Roxy und Rocky machen das auch so“, erklärte Bessa.

Er hatte schon davon gehört, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, was an tosenden Wassermassen romantisch sein sollte.

„Hast du gerade gesagt, dass Roxys Mann Rocky heißt?“, fragte Zeke amüsiert.

Die beiden Frauen sahen ihn verständnislos an.

„Schon gut“, murmelte er und unterdrückte sein Grinsen.

„Jedenfalls hat es eben so lange gedauert, weil ich Roxy selbst nicht erreicht habe. Ich musste ihre Mutter anrufen, die mir das alles erzählt hat. Roxy möchte wohl in den Flitterwochen nicht gestört werden und hat ihr Telefon deshalb ausgeschaltet. Es tut mir wahnsinnig leid, Vivi. Hätte ich das gewusst, hätte ich die Kette nie weiterverschenkt.“

Vivi strich ihr tröstend über den Oberarm. „Das ist doch nicht deine Schuld, Bessa. Wenn, dann ist es meine.“

„Ich muss jetzt leider wieder rein, Süße. Meine Gäste werden langsam unruhig.“ Bessa drückte noch einmal aufmunternd Vivis Hand und eilte dann davon.

Vivi seufzte schwer und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Und was machen wir jetzt?“, fragte sie matt.

Zeke musterte sie prüfend.

Die ganze Sache war dermaßen skurril und verworren, dass er nicht glaubte, dass es ein abgekartetes Spiel war. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Vivi so eine abgebrühte Schauspielerin war, um ihn auf diese Weise hinters Licht zu führen. Esthers Kette schien wirklich den weiten Weg von New Orleans in Louisiana bis zu den Niagarafällen im Bundesstaat New York gereist zu sein.

Die Situation war fast schon komisch – auch wenn ihm überhaupt nicht zum Lachen war.

Er überlegte, welche Optionen er jetzt hatte. Er könnte jemanden engagieren, der Roxy und Rocky ausfindig machte. Wieder musste er kurz wegen der beiden Namen schmunzeln. Es war jedoch unwahrscheinlich, dass die beiden einem Fremden einfach so glaubten und ihm ohne Weiteres das wertvolle Schmuckstück überließen.

Zeke könnte auch in New Orleans auf das frisch verheiratete Paar warten, aber die Gefahr, dass das Collier währenddessen verloren ging, war ihm viel zu groß. Es dachten schließlich alle, dass es sich bei der Kette nur um billigen Modeschmuck handele. Er hatte mal irgendwo gelesen, dass die Leute allen möglichen Schmuck und Geld in die Niagarafälle warfen, weil sie dachten, das bringe Glück. Zeke wurde ganz anders beim Gedanken daran, dass die Rubine in den tosenden Wassermassen landen könnten.

Seufzend setzte er zu einer Antwort an: „Es bleibt uns nichts anderes übrig – wir müssen den beiden hinterherreisen und sie finden.“

Vivi sah ihn fassungslos an. „Nicht wirklich, oder?“

Ihr Gesichtsausdruck spiegelte Zekes eigene Gefühlslage wider.

„Ich fürchte doch. Wenn wir Esther die Kette zurückbringen wollen, müssen wir so schnell wie möglich nach Niagara Falls.“

Morgen um diese Uhrzeit wären sie bereits dort.

Sprachlos verließ Vivi das Café. Die ganze Situation hatte etwas Tragikomisches. Es schien einfach nicht möglich, Esther ihre Kette zurückzugeben.

Zeke folgte ihr. „Wir sollten uns einen Plan zurechtlegen“, sagte er, als sie den Gehweg erreicht hatten. „Außerdem könnte ich jetzt gut einen Drink gebrauchen.“

Vivi wusste, dass sie sowieso nicht würde einschlafen können. Zudem hatte Zeke recht – sie hatten einiges zu besprechen, bevor sie nach Niagara Falls flogen. „Ich kenne den richtigen Ort dafür. Kommen Sie mit“, sagte sie.

Auf den Straßen war immer noch sehr viel los. Sie kamen an einem Saxofonspieler vorbei, der ein gefühlvolles Stück spielte, und Zeke legte ein paar Dollar in den geöffneten Instrumentenkoffer vor dem Musiker. Etwas weiter die Straße hinauf zeigten ein paar Jugendliche auf einem Grasstreifen akrobatische Kunststücke, und die Zuschauer applaudierten begeistert.

Vivi führte ihn durch einen Park bis zur Canal Street. Dann bogen sie in die Bourbon Street ein, wo der Lärmpegel um einiges höher war. Für einen gewöhnlichen Wochentag war wirklich viel los.

„Sie haben anscheinend einiges an Konkurrenz“, stellte Zeke fest und zeigte auf ein Geschäft, das Tarot und Handlesen anbot. „Wie kommt man überhaupt zu so einem Beruf?“

Vivi glaubte, einen Hauch von Spott in seiner Stimme zu hören.

Es überraschte sie selbst, aber sie wollte ihm gern erklären, was es mit den Tarotkarten auf sich hatte. Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Zeke sah sie fragend an.

„Eine meiner Pflegemütter kannte sich gut damit aus und hat es mir beigebracht. Es geht um viel mehr als nur die Karten, wissen Sie. Es geht um den Menschen, für den man die Karten legt. Dessen Ängste, Wünsche und Hoffnungen. Viele Leute brauchen einfach nur mal jemanden, dem sie sich anvertrauen können. Sie wollen sich insgeheim die Sorgen von der Seele reden.“

Zeke musterte sie prüfend. „Dann verstehe ich, warum Sie darin so gut sind“, sagte er schließlich.

Eine wohlige Wärme erfüllte Vivi. „Das klingt ja fast wie ein Kompliment.“

„Das ist es auch.“

Ihr wurde ein wenig schwindelig, dabei war es absolut lächerlich. Um bloß nichts Peinliches zu sagen, drehte sie sich schnell wieder um und ging weiter.

Nach einer Weile fragte Zeke vorsichtig: „Wir haben einen ziemlichen Umweg gemacht, um zur Bourbon Street zu gelangen. Gibt es dafür einen Grund?“

„Ich dachte, ein bisschen frische Luft würde uns guttun“, sagte Vivi achselzuckend. Sie würde ihm nicht verraten, dass sie den Bereich, wo sie damals festgenommen worden war, immer noch mied. Man hatte sie in Handschellen vor dem Pfandleiher abgeführt – dabei hatte sie nichts weiter getan, außer einem Mann zu vertrauen, der es nicht verdient hatte.

Sie bekam immer noch Angstzustände, wenn sie daran zurückdachte.

„Man sagt, New York sei die Stadt, die niemals schläft – aber New Orleans könnte ihr mühelos den Rang ablaufen“, stellte Zeke beeindruckt fest, als sie durch die belebten Straßen gingen.

„Das kann ich nicht beurteilen, ich war noch nie in New York.“

„Schade“, erwiderte Zeke. Er hätte ihr gern irgendwann einmal seine Stadt gezeigt, aber das war natürlich Unsinn. Sie würden sich wohl kaum noch einmal wiedersehen, wenn die Sache mit dem Collier abgeschlossen war. Dafür gab es schließlich überhaupt keinen Grund. Der Gedanke war irgendwie bedrückend, deshalb verdrängte er ihn schnell wieder.

Sie kamen an zahlreichen gut besuchten Bars vorbei, aber Vivi betrat schließlich eine verrauchte kleine Kneipe, die ziemlich leer wirkte.

Die Wände waren blau gestrichen, und an der Decke hingen verspiegelte Paneele.

„Warum haben Sie gerade diese Bar ausgesucht?“, erkundigte sich Zeke neugierig.

„Weil es hier die besten Drinks, das beste Essen und die beste Musik gibt. Außerdem ist es hier nicht so voll wie in den Touristenfallen.“

Das waren gute Gründe. Zeke setzte sich auf eine vinylgepolsterte Bank, und augenblicklich erschien die Bedienung.

„Hallo, Vivi“, grüßte die Frau freundlich. „Für dich wie immer, vermute ich? Und was darf ich diesem gut aussehenden Herrn bringen?“, fragte sie augenzwinkernd.

„Ich nehme das Gleiche“, antwortete Zeke.

Vivi sah ihn überrascht an. „Ich bin beeindruckt. Das ist wirklich spontan von Ihnen. Sie haben nicht einmal gefragt, was ich immer trinke“, sagte sie mit einem breiten Lächeln.

Das war es in der Tat. Seitdem er ihr begegnet war, benahm er sich überhaupt nicht mehr wie er selbst. Er war sonst nie spontan, aber heute hatte er eine ungeplante Dampferfahrt gemacht, saß mit Vivi in einer versteckten Kellerbar auf der Bourbon Street und würde am nächsten Tag einen Kurztrip an die kanadische Grenze machen.

„Werde ich es bereuen?“, erkundigte er sich und wusste selbst nicht genau, ob er den Drink oder das ganze Drumherum meinte.

In diesem Moment brachte die Bedienung jedoch schon ihre Cocktails und stellte vor jeden ein Glas mit einem roten Getränk und ein Minifläschchen mit scharfer Soße. „Bitte schön, zwei Cajun Cannons.“

Vivi dankte ihr und gab die scharfe Soße in ihr Glas. Dann trank sie genüsslich einen Schluck. Zeke tat es ihr nach und kostete sein Getränk. Es schmeckte erstaunlich gut, scharf und herb – genau das Richtige nach den süßen Beignets.

„Also fliegen wir morgen wirklich nach Niagara Falls?“, erkundigte sie sich ungläubig.

„Ja, ich werde Sie morgen von einem Wagen abholen lassen, der sie zum Jet bringt.“

Vivi blinzelte. „‚Zum Jet‘?“

„Wir fliegen privat. Ich hoffe sehr, mein Pilot kann bis morgen alles regeln.“

„Bedeutet das, dass wir morgen in Ihrem eigenen Privatjet reisen werden?“

Zeke nickte nur. In Momenten wie diesem wurde ihm wieder einmal bewusst, dass viele Dinge, die er erreicht hatte, schon ganz selbstverständlich für ihn waren.

„Ich erstelle für Investoren Wertgutachten für Immobilien. Dabei habe ich quasi nebenbei gelernt, wie man sein Geld clever anlegt. Das hat sich bezahlt gemacht.“

„Ich verstehe“, murmelte Vivi und nahm einen großen Schluck von ihrem Cocktail.

Doch sie hat keine Ahnung, aus was für widrigen Verhältnissen ich ursprünglich komme, dachte Zeke. Plötzlich hatte er das Bedürfnis, es ihr zu erklären. Doch wo sollte er anfangen?

„Manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie aussehen, Vivi.“

Sie überraschte ihn mit einem perlenden Lachen. „Das müssen Sie mir nicht erzählen.“

Er bezweifelte nicht, dass ihre Geschichte seiner in nichts nachstand. Er hoffte, sie eines Tages zu hören.

Auf einer kleinen Holzbühne in der Ecke begann eine Band ihre Instrumente aufzubauen, und kurz darauf erfüllte Bluesmusik den Raum. Vivi wiegte sich im Rhythmus der Musik, und es fiel Zeke sehr schwer, sie nicht bewundernd anzustarren.

„Wir müssen tanzen“, forderte sie ihn auf.

„‚Tanzen‘? Jetzt?“

„Klar, Sie sind doch so spontan.“ Sie stand auf und ging zur Tanzfläche.

Was blieb ihm anderes übrig? Er folgte ihr.

Der Cocktail musste stärker gewesen sein, als Zeke angenommen hatte, denn nach der zweiten Nummer lag Vivi plötzlich in seinen Armen, während sie sich gemeinsam zur Musik bewegten. Zeke hatte ganz vergessen, weshalb sie hier waren – er genoss nur noch Vivis Nähe. Es fühlte sich richtig an, sie im Arm zu halten – so, als würde sie dort hingehören.

Für einen Außenstehenden sahen sie bestimmt aus wie ein Liebespaar mit einer Nacht voller Möglichkeiten vor ihnen. Aber darüber wollte Zeke besser nicht nachdenken.

„Für einen Anwalt sind Sie gar kein so schlechter Tänzer“, neckte sie ihn.

„Danke schön. Vermutlich brauchen wir Anwälte einfach nur die richtige Partnerin.“

Vivi schnappte kaum hörbar nach Luft bei dieser Bemerkung, und instinktiv zog er sie näher an sich. Er spürte ihre Wärme und nahm den fruchtigen Duft ihres Shampoos wahr.

Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und Zeke überlegte, wie es wohl wäre, sie zu küssen. Er ahnte jedoch, dass es danach kein Zurück mehr gäbe – deshalb begnügte er sich damit, sie einfach nur in den Armen zu halten.

Er wünschte, die Nacht würde nie zu Ende gehen.

Als schließlich der letzte Song ausklang, löste sich Vivi langsam aus seiner Umarmung. Zeke empfand den Verlust wie einen kalten Windhauch.

„Ich denke, wir sollten uns jetzt mal auf den Weg machen“, sagte sie, ohne ihn dabei direkt anzusehen. „Ich schätze, es liegt morgen ein langer Tag vor uns.“

Sie hatte recht. Es fiel Zeke dennoch schwer, sich von ihr zu verabschieden. Er ballte die Hände zu Fäusten, um Vivi nicht wieder an sich zu ziehen. Wie schwer würde es erst werden, ihr endgültig Lebewohl zu sagen? Wer hätte das für möglich gehalten, als er ihr vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden in Luciens magischem Laden begegnet war?

Was war nur in sie gefahren? Warum hatte sie Zeke Manning zum Tanzen aufgefordert? Und wie um alles in der Welt war sie hier gelandet, in einem Privatjet auf dem Weg nach Buffalo, New York? Buffalo – die Stadt kannte sie bisher nur aus dem Fernsehen aus Reportagen über Rekordschneefälle.

Vivi konnte die paar Mal, die sie geflogen war, an einer Hand abzählen. Sie hatte die ganze Nacht vor Aufregung kaum ein Auge zugemacht. Sie hatte überlegt, einfach abzusagen. Sie hatte sogar mehrfach ihr Handy in der Hand gehabt, doch schließlich hatte ihr Gewissen gesiegt – sie mussten unbedingt Esthers Collier zurückbringen. Sie fühlte sich schrecklich schuldig deswegen.

Und wenn die Kette nicht wiederauftauchte und Zeke doch die Polizei einschaltete, konnte das Ganze für sie eine gefährliche Wendung nehmen. Alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte, ihr friedliches und ruhiges Leben, stand auf dem Spiel.

Natürlich konnte sie Zeke nichts davon erzählen. Er würde es bestimmt nicht verstehen und nur die falschen Schlüsse über sie ziehen, ohne ihre Geschichte bis zum Schluss anzuhören. Er war zwar am gestrigen Abend ein charmanter und aufmerksamer Gesprächspartner gewesen, aber sein Auftritt in Luciens Geschäft war ihr noch gut in Erinnerung. Zeke würde – wie viele andere auch – automatisch das Schlimmste annehmen. Er durfte nie von ihrer Vergangenheit erfahren.

Doch jetzt war es sowieso zu spät, um es sich anders zu überlegen – sie rollten bereits über die Startbahn, und das Flugzeug würde in ein paar Sekunden abheben.

„Ich habe etwas für das Frühstück vorbereiten lassen“, riss Zeke sie aus ihren Gedanken. „Sobald wir unsere Reisehöhe erreicht haben, wird der Flugbegleiter es zusammen mit frischem Kaffee servieren.“

Das klang traumhaft. Einen Kaffee konnte sie nach ihrer ruhelosen Nacht gut vertragen.

Die ganze Nacht lang hatte sie sich gefragt, ob es wirklich eine gute Idee war, Zeke zu begleiten. Ihr gemeinsamer Abend im Blues Club hatte wirklich einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. Zeke konnte so charmant sein, dass sie sich selbst nicht über den Weg traute. Doch sie kamen aus zwei völlig verschiedenen Welten – wie die Tatsache, dass sie im Privatjet reisten, bewies.

„Sie sehen etwas beunruhigt aus. Fliegen Sie nicht gern?“ Zeke musterte sie aufmerksam.

„Ich fliege eigentlich nie“, gestand Vivi. „Ich habe den Bundesstaat Louisiana noch nie verlassen.“

„Möchten Sie vielleicht lieber einen Mimosa, um Ihre Nerven zu beruhigen?“

„Nein danke.“ Die Situation war wirklich surreal – in einem luxuriösen Privatjet zu sitzen und von einem gut aussehenden Anwalt Drinks angeboten zu bekommen. Normalerweise war sie diejenige, die die Leute bediente.

Plötzlich fühlte Vivi sich völlig deplatziert. Sie kam aus einfachsten Verhältnissen und war als Teenager von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht worden. Eigentlich war sie stolz auf das, was sie erreicht hatte, aber verglichen mit Zeke Mannings Lebensstil war das gar nichts.

Sie hatte in ihrer Aufregung gar nicht weiter darüber nachgedacht, was sie anziehen und mitnehmen sollte. Sie hatte einfach ihre Kosmetikartikel, etwas zum Wechseln und zusätzliche Unterwäsche eingepackt – mehr nicht. Jetzt kam sie sich absolut underdressed vor. Sie trug ein Tanktop mit einem Cartoon darauf und darüber eine Sweatjacke, dazu ihre Lieblingsjeans und bequeme Chucks. Gegen ihren Reisebegleiter wirke ich fast schon ärmlich, überlegte sie.

Zeke trug wieder eine akkurat gebügelte Anzughose und ein dunkelblaues Seidenhemd, das die dunkle Farbe seiner Augen vorteilhaft zur Geltung brachte. Seine schwarzen Schuhe waren frisch poliert und glänzten.

Er hatte am Vortag zwar behauptet, dass es im Zweifel immer für den Angeklagten stand, aber sie bezweifelte, dass jemand wie er jemanden wie sie nicht automatisch vorverurteilen würde.

„Wird man Sie vermissen?“, erkundigte er sich. Als ihm bewusst wurde, dass die Frage sehr doppeldeutig klang, fügte er schnell hinzu: „Ihre Arbeitgeber, meine ich. Die Reise ist ja sehr spontan.“

Vivi erwiderte schulterzuckend: „Lucien hat auf der Internetseite bekannt gegeben, dass ich in den nächsten Tagen keine Tarotkarten legen werde, und im Café hat die neue Aushilfskraft netterweise angeboten, meine Schichten zu übernehmen. Und Auftritte habe ich bis nächste Woche keine.“

„Ich würde Sie gern für Ihre finanziellen Einbußen entschädigen. Sie begleiten mich schließlich, um mir zu helfen.“ Er hatte sich abgeschnallt und lehnte sich lässig in seinem bequemen Ledersitz zurück.

Er hätte Vivi genauso gut eine Ohrfeige verpassen können.

Sie riss sich zusammen, um ihm nicht zu zeigen, wie sehr seine Bemerkung sie verletzt hatte. Er betrachtete sie als Angestellte – mehr nicht. Ein hübsches Mädchen aus einfachen Verhältnissen, das es sich kaum leisten konnte, eine Schicht bei der Arbeit ausfallen zu lassen.

Vielleicht tat es auch nur so weh, weil es viel zu sehr der Wahrheit entsprach.

Unfassbar, dass sie am Abend zuvor gehofft hatte, dass sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen ihnen entwickeln könnte. Wie dumm von ihr.

Zeke war ein reicher Anwalt, der insgeheim auf sie herabsah und ihre Jobs lächerlich fand. Dass er gesagt hatte, sie sei bestimmt eine gute Kartenlegerin, hieß noch lange nicht, dass er ihre Arbeit respektierte.

Vivi hatte sich immer bemüht, sich ihre Selbstachtung zu bewahren. Sie arbeitete hart, aber es waren ehrliche Jobs. Sie bestand auf ihre Prinzipien, statt es sich leicht zu machen. Wenn man allerdings in ihrer Vergangenheit wühlte, wirkte das vermutlich anders. Sie hoffte sehr, dass Zeke das nie tun würde.

„Das ist nicht notwendig“, erwiderte sie kühl und verkniff sich den Dank, denn sie war nicht dankbar für das Angebot. „Und Sie? Verpassen Sie nicht gerade unzählige wichtige Meetings?“

Zeke lachte über ihren spöttischen Tonfall. „Ich habe meine Assistentin gebeten, all meine Termine zu verschieben.“

„Warum ist es Ihnen so wichtig, Esthers Kette selbst zu suchen? Sie könnten die Aufgabe doch problemlos delegieren, aber es scheint für Sie von persönlicher Bedeutung zu sein.“

Zeke schwieg auf ihre Frage. Schließlich sagte er stattdessen: „Wir haben genug Höhe erreicht – wir können jetzt frühstücken.“ Er drückte auf einen Knopf an seiner Armlehne, und augenblicklich erschien der Steward mit einem Tablett. Es duftete köstlich nach frischem Kaffee, der in einer silbernen Kanne serviert wurde. Es gab Rührei, Toast, frische Croissants und Obst.

Vivi seufzte. Anscheinend war sie nicht die Einzige, die gut darin war, unangenehme Themen zu übergehen. Sie beschloss, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.

Sie hatte wirklich ein erstaunliches Gespür für ihre Mitmenschen.

Zeke konnte sich nicht erinnern, wann ihn überhaupt einmal jemand durchschaut hatte. Vivi dagegen kannte ihn kaum und hatte bereits mühelos hinter seine Fassade geschaut. Vielleicht war am Kartenlegen doch mehr dran, als er vermutete. Sie war sehr intuitiv, und möglicherweise konnte sie die Karten so interpretieren, dass sie wirklich für den jeweiligen Menschen eine individuelle Lösung aufzeigten.

„Wie lange kennen Sie Esther schon?“, erkundigte er sich. Er wollte sie ein bisschen kennenlernen, um sie besser einschätzen zu können. Mit einer gemeinsamen Bekannten zu beginnen schien dafür ein guter Ausgangspunkt zu sein.

Vivi aß gerade eine Scheibe Toast mit Marmelade und schluckte erst ihren Bissen herunter, bevor sie antwortete.

„Sechs Monate in etwa. Sie kam eines Tages in den Laden, um ein bisschen zu stöbern und Geschenke für ihre Angestellten zu kaufen. Dabei hat sie meinen Tisch entdeckt und bat mich, ihr die Karten zu legen. Danach kam sie regelmäßig einmal pro Woche zu mir.“

Zeke goss ihnen beiden noch einen Kaffee ein.

„Irgendwann sagte sie mir, dass sie nicht mehr kommen könne, weil der Weg ins French Quarter einfach zu mühsam geworden war. Sie schien darüber wirklich traurig zu sein …“

Zeke vervollständigte ihren Satz: „Also haben Sie angeboten, sie zu Hause aufzusuchen.“

Vivi legte ihr Toastbrot auf ihren Teller. „Es ist für mich kein großer Aufwand, mit der Straßenbahn zu ihr zu fahren. Ihr waren die Karten eigentlich unwichtig, sie genoss einfach die Unterhaltung dabei. Ich hatte den Eindruck, dass sie oft sehr einsam ist.“

„Das war freundlich von Ihnen“, sagte Zeke und meinte es auch so. Es gab vermutlich wenige junge Menschen Mitte zwanzig, die einmal die Woche einer alten Frau aus Mitgefühl Gesellschaft leisten würden.

Doch die Vorsicht mahnte ihn, achtsam zu sein. Es gab so manchen Glücksritter, der genau das tun würde, um sich dann an der hilflosen Seniorin zu bereichern. Er schob den Gedanken beiseite. Bisher hatte Vivi ihm keinen Grund gegeben, um so etwas von ihr anzunehmen.

Sie tat seine Bemerkung achselzuckend ab. „Wie gesagt, es ist überhaupt keine Mühe für mich. Es ist auch nicht schlimm, dass sie mich für das Kartenlegen, für das ich ja offiziell zu ihr komme, nicht bezahlen kann.“

Überrascht sah Zeke sie an. „Wie meinen Sie das?“

„Esther sagt, ihr Neffe habe das Personal angewiesen, ihr nur geringe Bargeldbeträge zur Verfügung zu stellen. Sie darf auch keine Schecks mehr ausstellen, weil sie schon zu oft Fehler gemacht hat. Sie müsste immer jemanden bitten, mir das Geld zu geben. Dafür ist sie verständlicherweise zu stolz – sie will auf keinen Fall, dass ihre Angestellten Einblick in ihre Privatangelegenheiten bekommen. Ich glaube, es ist ihr peinlich, dass sie jemanden dafür bezahlte, sich einfach nur mit ihr zu unterhalten.“

„Ich verstehe.“

„Deshalb hat sie mir ab und zu etwas geschenkt – weil sie mich nicht bezahlen kann und ihr das unangenehm ist.“

Autor

Cathy Williams
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