Julia Extra Band 526

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DAS FEST DER KLEINEN UND GROSSEN WUNDER von MAISEY YATES
Eine einzige Nacht hat Eloise mit Prinz Vincenzo verbracht. Allerdings mit süßen Folgen! Und weil sie weiß, dass er niemals eine Familie haben will, verschwindet sie aus seinem Leben. Doch zum Fest der Liebe steht der Prinz unvermittelt vor ihrer Tür …

DIESES GLÜCK KENNT KEIN VERGESSEN von SHARON KENDRICK
„Hilf mir, mich zu erinnern.“ Entgeistert starrt Louise ihren Mann an. Auch wenn Giacomo sein Gedächtnis verloren hat – zu gern würde sie selbst vergessen, dass ihre Ehe gescheitert ist. Was unmöglich ist, denn die Leidenschaft für ihn brennt noch immer in Louise …

BLEIB, BIS DER SCHNEE TAUT von DANI COLLINS
Rebeccas Neujahrs-Vorsatz: Scheidung von ihrem Noch-Ehemann Donovan! In seinem Chalet in den Bergen will sie die Papiere unterschreiben. Doch dabei schneit sie mit dem attraktiven Ski-Champion ein. Der verführerisch alles daransetzt, sie von einem Neuanfang zu überzeugen …

STERN DER LIEBE ÜBER JOHANNESBURG von JOSS WOOD
Sie hat einen Shop für Brautmoden geerbt? Die schöne Dodi kann es nicht fassen. Sie glaubt nicht an romantische Liebe. Doch das könnte eine Hochzeit jetzt ändern! Denn die Braut, die ihren Laden betritt, wird von ihrem Bruder, dem sexy Multimilliardär Jago Le Roux, begleitet …


  • Erscheinungstag 08.11.2022
  • Bandnummer 526
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512183
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maisey Yates, Sharon Kendrick, Dani Collins, Joss Wood

JULIA EXTRA BAND 526

MAISEY YATES

Das Fest der kleinen und großen Wunder

Prinz Vincenzo hat sich geschworen, niemals zu heiraten. Doch als er unvermittelt vor der schönen und sehr schwangeren Eloise steht, erkennt er, dass er seinen Schwur vielleicht brechen muss …

SHARON KENDRICK

Dieses Glück kennt kein Vergessen

Ein Jahr in seinem Leben ist ausgelöscht. Nur seine Ehefrau kann Giacomo helfen, sich zu erinnern. Aber warum schaut Louise ihn so ablehnend an, als er sie um Antworten bittet? Verbirgt sie etwas?

DANI COLLINS

Bleib, bis der Schnee taut

Warum Rebecca sich scheiden lassen will, versteht Donovan einfach nicht. Ihre Liebe war doch so groß! Dass sie gemeinsam über Silvester einschneien, ist seine letzte Chance, Rebecca zurückzuerobern …

JOSS WOOD

Stern der Liebe über Johannesburg

Gefühle sind gefährlich! Weshalb für Jago Le Roux nur ein One-Night-Stand mit der bezaubernden Dodi infrage kommt – aus dem mehr Gefühle entstehen, als er sich jemals erträumt oder gefürchtet hat!

PROLOG

Sie waren die berüchtigtste Gruppe von Draufgängern, die je durch die heiligen Hallen von Oxford gezogen war. Das wollte angesichts der langen Geschichte der Universität etwas heißen!

Natürlich hätten weder Prinz Vincenzo Moretti, Thronfolger von Arista, noch seine Freunde – Scheich Jahangir Hassan Umar Al Hayat, Prinz Zeus und Rafael Navarro, uneheliches Kind eines Königs von Santa Castelia – sich als Draufgänger bezeichnet.

Das war auch nicht nötig. Ihr Ruf eilte ihnen voraus.

Andere Männer priesen die exzessiven Partys der tollkühnen Gruppe – und die Frauen tuschelten über die legendären sinnlichen Fertigkeiten der verwegenen Royals.

Vincenzo hatte keine Skrupel, diesen zweifelhaften Ruf für seine Zwecke zu nutzen.

Sein Vater nahm nämlich an, dass sein Sohn genauso lebte, wie er selbst es heimlich schon seit Jahren tat. Dass er sich in Vergnügungen suhlte und seine eigenen Taschen füllte, während sein Volk in spartanischen Verhältnissen lebte.

Vincenzo hatte jedoch angefangen, gegen diese Ungerechtigkeit vorzugehen, indem er Wohltätigkeitsorganisationen gründete und verdeckte Netzwerke außerhalb seines Landes nutzte, um Mittel zu beschaffen. Geld, das wie Auslandshilfe aussah und von dem sein Vater die Finger ließ, um gute Beziehungen zu anderen Nationen nicht zu beeinträchtigen.

Doch das war nur ein Teil von Vincenzos Plan.

Er verfolgte eine langfristige Strategie. Noch konnte er sie nicht umsetzen, nicht jetzt. Die Gesundheit seiner Mutter war angeschlagen, sowohl seelisch als auch körperlich. Besonders nach dem Skandal, der Arista vor drei Jahren erschüttert hatte. Der Skandal um …

Eloise.

Er unterdrückte den Gedanken an sie.

Das Ende der Monarchie wäre auch das Ende seiner Mutter. Das könnte er nicht ertragen.

Sie hatte Arista, hatte den Palast einst geliebt. Nur ihre Rolle als Königin brachte noch etwas Freude in ihr Leben. Er konnte nicht zulassen, dass sie miterlebte, was er der königlichen Familie antun würde, der königlichen Linie.

Denn er würde keinen Erben zeugen. Niemals. Die Dynastie von Arista würde mit ihm enden. Stattdessen würde er dafür sorgen, dass sein Land in die Hände des Volkes überging – und sicherstellen, dass sein Vater noch vor seinem Tod davon erfuhr. Denn sein Vermächtnis war das Einzige, was seinem Vater wichtig war.

Und Vincenzo würde es zerstören.

„Ein Trinkspruch“, sagte er und sah sich in dem Raum um, der ihnen als Clubhaus diente. Sie alle machten inzwischen ihr eigenes Geld und hatten sich längst ihren Platz in der Welt verdient, unabhängig von ihren dubiosen Vätern. „Auf das Unerwartete!“

„Man könnte argumentieren“, schob Rafael ein, „dass deine Rebellion vollständig erwartbar ist.“

„Unsere Väter würden aber im Leben nicht damit rechnen. Sie sind viel zu stolz, um auch nur in Betracht zu ziehen, dass jemand sie überraschen könnte. Aber ich kann warten.“

„In der Tat“, sagte Zeus und sah auf sein Glas Scotch herab. „Aber du wirst feststellen, mein Freund, dass ich kein geduldiger Mann bin. Meine Pläne sind schnell und brutal.“

„Da bin ich ganz bei dir. Aber ich finde Brutalität effektiver, wenn sie strategisch eingesetzt wird.“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht strategisch vorgehe“, erwiderte Zeus und grinste. „Ich habe lediglich gesagt, dass ich nicht geduldig bin. Jetzt brutal, später brutal, immer brutal.“ Er machte eine lakonische Handbewegung und sank tiefer in den Sessel.

„Ich bewundere deine Art zu denken“, bemerkte Jag ironisch, den Arm lässig über die Couchlehne drapiert.

„Ich für meinen Teil beabsichtige, das Reich meines Vaters …“ Vincenzo schwenkte das Glas und beobachtete das Wirbeln der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. „Ich werde keinen Erben zeugen. Niemals.“

„Gut, dass das von mir nicht erwartet wird“, sagte Rafael. „Als Bastard wird mein jüngerer legitimer Bruder die Herrschaft über das Königreich erben. Es ist seine Verantwortung, die Linie fortzuführen. Nicht meine.“

„Mein Vater sorgt sich so sehr um den Ruf unseres Landes“, sagte Jag. „Mein größtes Vergnügen wäre es, eine möglichst unpassende Frau zu finden.“

„Nur eine?“, fragte Zeus. „Ich will einen ganzen Harem. Aber keinen Erben. Das auf keinen Fall.“

„Darauf trinken wir“, ergänzte Vincenzo. „Auf unpassende Frauen, heiße oder kalte Rache – und darauf, sich nie unterzuordnen!“

1. KAPITEL

Eloise St. George war weder froh noch munter zumute. Der Schnee draußen war ihr zuwider, genau wie das prasselnde Feuer, die festliche Girlande und die beschwingte Weihnachtsmusik. Dabei hatte sie das alles selbst so inszeniert! Mal abgesehen vom Schnee …

Denn Eloise wollte mit aller Macht gegen die schreckliche Traurigkeit ankämpfen, die sie zu verschlingen drohte.

Es war Heiligabend – und sie hatte keinen Weihnachtsbaum. Denn der war in Arista.

Bei ihm.

Bisher hatte Eloise Weihnachten jedes Jahr zu einem frohen Fest für sich gemacht. Sie war zufrieden damit gewesen, allein zu feiern. Allein in ihrem historischen Steinhaus in Virginia, das nicht malerischer hätte sein können.

Doch dieses Jahr fühlte es sich zum ersten Mal einsam an.

Wegen des Schneetreibens hatte sie ihren Findelkater Schreckchen dazu gebracht, ins warme Haus zu kommen. Das kleine Geschöpf lag zufrieden schnurrend vor dem Kamin.

Es sollte heimelig und wunderbar sein.

Aber das war es nicht.

Sie legte die Hand auf ihren runden Bauch.

Es hätte alles so schön sein können! Aber nicht mit Vincenzo Moretti.

Denn es war sein Kind, das Eloise unter ihrem Herzen trug. Sie war schwanger mit dem Erben, den er geschworen hatte, niemals zu zeugen.

Sieben Monate zuvor …

Das war die Adresse, die man ihm gegeben hatte. Doch Prinz Vincenzo Moretti konnte das verfallene Anwesen beim besten Willen nicht mit Eloise St. George in Verbindung bringen.

Eloise war im Alter von sechs Jahren in den Palast gezogen. Vincenzo war vier Jahre älter als sie und schon mit zehn sehr ernst gewesen. Er hatte von Anfang an vermutet, dass ihre Anwesenheit bedeutete, dass im Palast irgendetwas nicht stimmte.

Er sollte recht behalten.

Ihre Mutter war als Geliebte seines Vaters in den Palast gekommen. Das hatte er natürlich nicht offen verkündet – nicht der aufrechte und ehrenwerte König Giovanni Moretti. Er gab ihr einen offiziellen Jobtitel, um ihre wahre Funktion zu verschleiern. Aber selbst mit zehn wusste Vincenzo Bescheid. Und die schwindende Gesundheit seiner Mutter bestätigte seine Vermutung.

Zuerst hatte er Eloise verachtet.

Aber widerwillig, ganz allmählich und über Jahre hinweg, waren sie tatsächlich Freunde geworden. Was ungewöhnlich war für einen arroganten Prinzen, der bis dato keine einzige Freundschaft geschlossen hatte.

Später war er zwecks Auslandsstudium an die Uni gegangen, wo er Rafael, Zeus und Jag kennengelernt hatte. Als er schließlich nach Hause zurückgekehrt war, war aus Eloise eine junge Frau geworden. Und etwas Entscheidendes hatte sich verändert.

Er fand sie wunderschön, geradezu betörend. Doch sie wirkte auch extrem zerbrechlich und unschuldig. Deswegen hatte er sie auch abgewiesen, als sie ihm sagte, dass sie ihn wollte.

Eloise hatte sich das Leben im Palast schließlich nicht ausgesucht. Sie hatte sich nicht für ein Leben entschieden, in dem sie gezwungen war, in seiner Nähe zu sein und Zeit mit ihm zu verbringen. Vincenzo hatte das Gefühl, dass sie in die Welt hinausziehen und Erfahrungen machen sollte. Männer treffen, für die sie sich aus freien Stücken entschieden hatte.

Doch danach hatte sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Weder war sie unschuldig noch eine gute Freundin …

Doch das lag alles weit in der Vergangenheit. Eloise spielte keine Rolle mehr. Außer, dass sie bei seinem Plan nützlich sein würde.

Denn sein Vater war nur in einen einzigen Skandal verwickelt gewesen.

Eloise.

Sie war zum Sinnbild für die Torheit eines alten Mannes geworden, der den Verlockungen einer verführerischen 18-jährigen Schönheit nicht hatte widerstehen können.

Es war der einzige öffentlich bekannt gewordene Fehltritt seines Vaters.

Vincenzo hingegen beging in der Öffentlichkeit unzählige Sünden.

Vor den Augen der Welt war er ein junger Mann, der sich offen all den Vergnügungen hingab, die sein Vater nur heimlich beging.

Doch hinter den Kulissen war es Vincenzo, der Arista rettete.

Nur würde er es nicht auf die Art retten, die sein Vater gern hätte. Denn er würde keinen Erben zeugen. Vincenzo wollte die Monarchie brennen sehen …

Sein Vater war inzwischen ein alter Mann. Es war an der Zeit, mit der Zerstörung seiner Fassade zu beginnen. Denn er wollte, dass sein Vater den Niedergang der Monarchie bewusst miterlebte. Vincenzo wollte endlich das finanzielle Versagen des Königs und die jahrelange Vernachlässigung seiner Ehefrau publik machen.

Denn auf den Tod seiner Mutter hatte sein Vater nicht etwa mit Reue, sondern mit Vorwürfen reagiert.

Sein Vater hatte dem Königreich weisgemacht, dass allein der schwache Charakter seiner Frau sie in ihre Depressionen gestürzt hätte. Er hatte das Andenken seiner Mutter besudelt. Damit würde ihn Vincenzo nicht davonkommen lassen! Er hatte vor, das Andenken seines Vaters gründlich zu zerstören.

Und es begann hier und jetzt.

Allerdings hatte er nicht diese von Efeu umrankte, baufällige Ansammlung von Steinen erwartet. Ebenso wenig das alte schmiedeeiserne Tor, an dessen Türmchen sich rechts und links üppiges Geißblatt entlangschlängelte.

Nein, er hatte Eloise St. George in einer hochmodernen Wohnung gesehen, finanziert von ihrer letzten Eroberung. In der Nähe von Clubs und luxuriösen Einkaufsmöglichkeiten, mit denen sich Frauen ihrer Sorte die Zeit vertrieben. Nicht in diesem Nest im Nirgendwo. Natürlich war ihm auf der Karte aufgefallen, dass es hier weit und breit nichts gab, aber zumindest hatte er mit einem modernen Anwesen gerechnet.

Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass das Mädchen, das er einst gekannt hatte, sich einfach auf das Land zurückgezogen hatte.

Er stieß das Tor auf. Es quietschte und verfing sich in einer Ranke, die aus dem gepflasterten Pfad wucherte.

Dieser Ort war lebensgefährlich! Er kickte das Tor hinter sich zu und schritt den Weg entlang. Dabei achtete er darauf, nicht über die unebenen Steine zu stolpern. Der Großteil des verwilderten Gartens lag im Schatten; doch jedes Mal, wenn ein Windhauch durch die Blätter ging, brach die goldene Maisonne durch.

Warum sie sich als Fluchtort diese abgelegene Ecke in den USA ausgesucht hatte, wusste er nicht. Es ergab keinen Sinn. Was an sich schon merkwürdig genug war, denn Eloise sollte durchschaubar sein. So wie ihre Mutter. Soweit er es beurteilen konnte, stand Eloise ihr in nichts nach.

Ihre Mutter, gedeckt durch ihren Jobtitel als „Persönliche Assistentin“ hatte verschwenderisch Geld ausgegeben und ihre Sonderstellung weidlich ausgenutzt. Auch gegenüber den Angestellten des Königs.

Eloise, da war er sich sicher, wurde von den gleichen Motiven angetrieben. Es gab mal eine Zeit, da hatte er geglaubt, dass sie anders war.

Doch er hatte dazugelernt.

Eloise war kein Stück besser als ihre Mutter. Deshalb war er zuversichtlich, dass er ihre Dienste problemlos in Anspruch nehmen könnte, im Notfall eben durch Erpressung oder Bestechung. Welches davon war ihm herzlich egal.

Er stand vor der blauen Tür, in deren Mitte ein bunter Kranz hing. Seltsam. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Eloise sich die Zeit nahm, einen Kranz an ihrer Tür aufzuhängen.

Vielleicht hatte ein Gönner sie hier untergebracht. Nah genug für sein Vergnügen, aber weit genug weg von seiner Frau und den Kindern.

Er läutete die Klingel. Keine Antwort.

Vielleicht war sie nicht zu Hause?

Er ging zur Seite des Gebäudes, um nach einem Lebenszeichen Ausschau zu halten. Unvermittelt hörte er ein leises Geräusch.

Jemand summte eine Melodie.

Es war ein ziemlich schiefes Summen.

Und doch hatte es etwas Bezauberndes. Da schwang so viel Lebensfreude mit. Vincenzo konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so bezaubert gefühlt hatte. Erst recht nicht von etwas Fröhlichem.

Als er um die Ecke bog, traf ihn der Anblick bis ins Mark. Es war die rundeste Rückseite, die er je gesehen hatte. Die Frau war nach vorn gebeugt, um im Garten zu arbeiten, und ihre Hose schmiegte sich auf verlockende Weise an ihren Hintern. Sie hatte üppige Hüften und eine schmale Taille. Er konnte es nicht abwarten, einen Blick auf ihre Vorderseite zu werfen.

Sein zweiter Gedanke war, dass er das falsche Haus angesteuert haben musste. Die Eloise, die er kannte, hatte die hagere Anmutung ihrer Mutter. Den ausgehungerten Look einer Frau, die größeren Wert darauf legte, auf Fotos attraktiver auszusehen als in natura.

Es musste die Gärtnerin sein.

Das Summen hörte abrupt auf und die Frau drehte sich um. Ihre blauen Augen weiteten sich. Sie hielt eine Topfpflanze in der Hand, doch bei seinem Anblick ließ sie den Topf fallen und er zerschellte laut scheppernd auf den Steinen.

„Vincenzo.“

2. KAPITEL

Eloise konnte das verräterische Klopfen ihres törichten Herzens nicht verhindern. Das hier war wie ein Traum. Wie einer dieser beschämenden Träume, von denen sie allabendlich hoffte, dass sie im Schlaf nicht auf sie warten würden. Vergeblich.

Denn sie hatte ihn keine Sekunde vergessen.

Diesen Mann mit den dunklen, fesselnden Augen, der Gefühle in ihr auslöste, die sie nie für einen anderen empfunden hatte. Diesen Mann, der in ihr schon mit 15 ein brennendes Verlangen geweckt hatte, das sie seitdem nicht losgeworden war. Obwohl ihr Verführungsversuch mit einer Zurückweisung geendet hatte, verstand sie dies inzwischen besser als damals mit 18.

Doch das war nicht ihre schmerzhafteste Erinnerung an Vincenzo. Nein, ihre schmerzhafteste Erinnerung war die an den Augenblick, als er sie weggeschickt hatte.

Die Tatsache, dass er alles glaubte.

Alles – mit Ausnahme dessen, was sie ihm sagte. Bis dahin war sie überzeugt gewesen, dass sie Freunde waren. Aber dieser letzte Augenblick zwischen ihnen hatte ihr klar gezeigt, dass sie ihm nie etwas bedeutet hatte.

Hielt das ihren Körper davon ab, auf die heißen nächtlichen Visionen von ihm in ihrem Unterbewusstsein zu reagieren?

Nicht im Geringsten.

Vincenzo belagerte ihre Träume, ihre Fantasien.

Und jetzt belagerte er ihren Garten.

„Eloise?“, sagte er.

Sie konnte sehen, dass er sie erst nicht erkannt hatte.

Das war ihr unangenehm, aber nur kurz. Denn sie mochte die Form, die ihr Körper in den vergangenen Jahren angenommen hatte. Sie mochte die Veränderungen. Sie waren eingetreten, als sie ihr Leben endlich selbst bestimmen konnte. Als sie nicht mehr im Schatten ihrer Mutter mit ihren unerfüllbaren Ansprüchen leben musste.

Trotzdem versetzte es ihr einen kleinen Stich festzustellen, dass sie offenbar nicht wiederzuerkennen war.

„Ja“, erwiderte sie. „Aber du … du kannst auf keinen Fall zufällig hier sein. Dieses Haus liegt weit ab von allem. Erst recht von allem, das du ansteuern würdest.“

„Allerdings“, sagte er, ließ seine dunkle Jacke von den breiten Schultern gleiten und warf sie mit einer unachtsamen Bewegung auf einen weißen Eisenstuhl.

Er drehte sein Handgelenk, öffnete den Manschettenknopf, krempelte den Ärmel hoch und gab den Blick auf einen muskulösen Unterarm frei, bevor er das Gleiche auf der rechten Seite tat. Sie blinzelte und sah mit großem Interesse zu. Ein Interesse, das sie auf keinen Fall spüren wollte. Geschweige denn zeigen.

„Warum bist du hier?“

Der Blick aus seinen dunklen Augen ließ ihr Herz stürmisch schlagen. Vincenzo war immer noch das perfekte Bild männlicher Schönheit. Und sie fürchtete, dass er das in ihren Augen immer bleiben würde. Die Art, wie seine gebräunte Haut im Sonnenlicht schimmerte. Wie das gleiche Licht sich in seinen fast schwarzen Augen verfing und dort ein gefährliches Feuer entfachte. Seine Augen waren für sie schon früher unwiderstehlich gewesen. Sie sehnte sich danach, in ihrer Tiefe zu versinken.

Als Teenager hatte sie ihn oft angestarrt. Er hingegen hatte sich so verhalten, als wäre sie unsichtbar. Dafür war sie im Nachhinein dankbar. Wenn sie nicht diesen einen fürchterlichen Fehler gemacht hätte …

Auch nach Jahren fühlte sie noch die Scham. Dass sie geglaubt hatte, ihn zu lieben. Dass er sie lieben würde.

Nein. Vergib dir selbst!

Sie hatte ihr Leben geändert. Den Pfad verlassen, den ihre Mutter für sie vorgesehen hatte. Sie hatte herausfinden wollen, wer Eloise St. George wirklich war. Kein Mädchen, das im Palast im Schatten der einschüchternden Schönheit ihrer Mutter lebt. Kein Mädchen, dem man beigebracht hatte, dass sein einziger Wert sein Äußeres war. Sie hatte Arista in Schande verlassen. Jede Zeitung der Welt hatte Lügen über sie gedruckt und als Wahrheit verkauft.

Das hatte sie tief verletzt. Genauso wie der Umstand, dass Vincenzo alle davon glaubte. Doch dann fand sie ein Leben außerhalb des Palastes. Weit weg von ihrer Mutter, Vincenzos Vater und Vincenzo …

Sie entwickelte eine neue Perspektive. Sie erkannte, wie viele Dinge im Palast nichts mit der Realität zu tun hatten. Die verqueren Vorstellungen ihrer Mutter hatten keinen Platz in ihrem neuen Leben zwischen Blumen und Pflanzen. Die lüsternen Blicke des alten Königs konnten sie nicht bis hierher verfolgen. Mittlerweile war genug Zeit vergangen und sie hatte es geschafft, sich auf ihrem Fachgebiet einen guten Ruf zu erarbeiten. Ihre Realität war vielschichtig und warm – weit weg vom kalten Stein des Palastes. Ihr altes Leben fühlte sich wie eine Einbildung an.

Nur in einem war Eloise sich sicher: Ihre Gefühle für Vincenzo waren echt gewesen und hatten nichts damit zu tun gehabt, sich einen reichen Gönner zu angeln. Seit sie ihn als Sechsjährige zum ersten Mal gesehen hatte, stand sie in seinem Bann. So albern das auch klingen mochte. Natürlich hatte das damals nichts mit Leidenschaft zu tun gehabt. Sie fand ihn einfach … wunderbar. Er erinnerte sie an einen Ritter in glänzender Rüstung. Er war gütig und nett zu ihr gewesen. Eine ihrer wenigen Begegnungen mit aufrichtiger Freundlichkeit. Und in ihrer Erinnerung war er trotz allem, was vorgefallen war, immer noch diese fast mythologische Figur.

Doch wie er sie jetzt ansah …

Da war nichts Heldenhaftes. Und sie war sich sicher, dass er nicht hier aufgetaucht war, um sie zu retten.

Du brauchst keinen Retter.

„Ich bin hier, um dich mit zurückzunehmen, Eloise.“ Er wandte den Blick nicht von ihr ab. Sie spürte, wie ihr Hals eng wurde und ihr Innerstes zitterte.

„Nach Arista?“

Der Gedanke an Arista ließ sie frösteln. Warum wollte er, dass sie zurückkam, wo er sie doch für ihre Abreise bezahlt hatte?

„Ja“, sagte er.

„Vincenzo … Ist was mit deinem Vater? Oder meiner Mutter?“

„Nein“, sagte er. „Aber ich brauche dich für einen bestimmten Zweck. Du wirst eine entscheidende Rolle bei der Rache an meinem Vater spielen.“

Sie blinzelte. „Werde ich?“

„Ja“, sagte er. „Und ich denke, du wirst zu dem Schluss kommen, dass es genug Gründe gibt, mitzukommen. Ob du willst oder nicht.“

„Vincenzo“, sagte sie mit einem halb gezwungenen Lächeln, schließlich gab es keinen Grund, jetzt verbittert zu sein. „Wenn du meine Hilfe brauchst, musst du nur fragen.“

Sie hatte keine Ahnung, was sie antrieb. Sie konnte sich sagen, dass sie sich lediglich Sorgen um ihn machte.

Was sie sich jedoch nicht eingestand: Dass ihre Reaktion etwas mit dem lustvollen Kribbeln zu tun hatte, das sich in ihrem Bauch ausbreitete, wenn sie an Rache dachte.

Vincenzo gab ein bezwingendes Bild ab. Ein dunkler Racheengel, der sie dazu einlud, sich ihren niedersten Instinkten hinzugeben.

Dieser Schmerz gehört nicht mehr zu dir. Diese Wut auch nicht. Du hast sie losgelassen.

„Ich muss nur fragen?“

Wieder zwang sie sich zu einem Lächeln. „Klar. Ich bin sicher, dass wir über deine Pläne reden können. Es gibt keinen Grund, mir zu drohen. Kannst du eben da drüben in den Schuppen gehen?“

„Wie bitte?“

„In den Schuppen. Da steht mein Besen. Wegen dir ist mir vorhin der Topf aus der Hand gerutscht!“

Vincenzo sah sie ungläubig an. „Hast du etwa vergessen, wer ich bin?“

„Keinesfalls. Du scheinst vergessen zu haben, wer ich bin. Ich habe dich sofort erkannt, anders als du mich. Ich würde dich jederzeit und überall erkennen. Und jetzt hol mir meinen Besen.“

„Und …“

„Und dann besprechen wir dein Komplott.“

„Es ist kein Komplott.“

„Es klingt aber danach. Vincenzo, ich bin kein Fan deines Vaters, auch meine Mutter mag ich nicht sonderlich. Es gibt einen Grund, warum ich in all den Jahren nicht nach Arista zurückgekehrt bin. Je nachdem, was du vorhast, werde ich dir helfen.“

„Einfach so?“

Sie zögerte kurz. „Klar.“

„Gut, ich hol dir den Besen – und dann erklärst du mir, was du in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten gemacht hast.“

„Oh, eine Menge“, sagte sie und ging ihm nach, als er sich Richtung Schuppen bewegte. Er öffnete die Tür und kramte herum, bis er einen Besen fand.

„Warum bist du mir hinterhergekommen, wenn ich das Ding für dich holen sollte? Dann hättest du es ja gleich selbst holen können.“

„Ich bin halt neugierig. Was ist passiert, was hast du vor? Sag schon.“

„Nicht viel mehr als das, was in meinem Land schon seit Jahren passiert. Seit mein Vater den Thron bestiegen hat. Er ist korrupt. Er hat deine Mutter heimlich als Geliebte gehalten, während er sich vor aller Welt als frommer Führer ausgegeben hat. Er hat dem Land eine falsche Moral aufgedrückt, an die er sich selbst nicht hält. Und das, was er meiner Mutter über Jahre hinweg angetan hat, war skrupellos. Das werde ich aufdecken. Und zwar, indem ich ihn öffentlich bloßstelle und vernichte.“

Als sie ihn das sagen hörte, wurde Eloise doch etwas schwindelig. „Und was habe ich damit zu tun?“

„Tatsache ist, dass die … Liaison meines Vaters mit dir ein weiteres Beispiel dafür ist, warum er abgesetzt werden muss. Der einzige Mensch, für den die Sache Konsequenzen hatte, warst du. Nicht er. Findest du das nicht unfair?“

Und wie. Vor allem, wenn man bedachte, dass sie seinen Vater nicht mal angefasst hatte. Und das auch nie tun würde. Doch die Wahrheit hatte die Presse nicht interessiert. Ebenso wenig wie Vincenzo.

„Das Leben ist nun mal unfair, Vincenzo. Oder hat dir das noch nie jemand gesagt?“

„Ich versuche, die Ungerechtigkeit auszugleichen. Indem ich meinem Vater alles nehme.“

In seinem dunklen Blick flackerte eine schwarze Flamme und in ihrem Bauch glühte die dazu passende Hitze. Doch sie ließ sich nichts anmerken.

Stattdessen rümpfte sie die Nase und sah zu ihm auf. „Das klingt alles ziemlich hart. Ich nehme nicht an, dass du je in Therapie warst?“

„Therapie“, wiederholte er tonlos, den Besen noch in der Hand. Ein unpassender Anblick. Sie fragte sich, ob Vincenzo in seinem bisherigen Leben schon mal einen Besen gehalten hatte. Wohl kaum.

„Ja. Ich habe festgestellt, dass das sehr hilfreich ist. Ich werde nicht mehr so wütend, jetzt gärtnere ich.“

„Du gärtnerst.“

„Ja“, antwortete sie und nahm ihm den Besen ab, um die Scherben des kaputten Topfes aufzufegen. „Nachdem ich Arista verlassen habe, bin ich auf die Gartenbauschule gegangen. Ich bin herumgereist. Ich…“

„Mit meinem Geld?“

Sie spürte, wie Wut in ihr aufstieg. „Du hast es mir freiwillig gegeben!“

„Ich habe dich ausgezahlt. Du klingst so, als hättest du das alles allein geschafft – dabei wissen wir beide, dass das nicht stimmt.“

„Guck mich nicht so an“, sagte sie. „Wie hast du denn bitte dein Leben finanziert?“

„Ich bin meinen eigenen Weg gegangen.“

„Ja, aus der Startposition des milliardenschweren Prinzen heraus“, sagte sie. „Dein Vater, deine Herkunft – das hat dir einen gewaltigen Vorsprung im Leben verschafft. Ich musste das Beste aus dem machen, was ich hatte. Dafür werde ich mich nicht entschuldigen!“

Sein Blick war entschlossen und kalt. „Ich brauche keine Entschuldigung von dir.“

„Und ich brauche keine Zustimmung von dir. Da das jetzt aus dem Weg ist: Was willst du von mir?“

„Es ist im Grunde sehr einfach“, sagte er.

Sein Ton gefiel ihr nicht. Denn für einen Mann mit so viel Macht wie Vincenzo Moretti bedeutete dieses Wort längst nicht das Gleiche wie für Normalsterbliche wie sie.

„Einfach“ könnte beispielsweise heißen, mit einem Privatjet auf eine ebenso private Insel zu fliegen. Oder eine Leiter hochzuklettern, um ein paar Sterne vom Himmel zu pflücken.

Für Eloise war „einfach“ etwas anderes. Ein Abend zu Hause mit einer Tasse Tee, ein Nachmittag im Garten.

Er sah sie unverwandt an, als ob er bereits alles gesagt hätte, was sie wissen müsste.

„Wenn ‚einfach‘ beinhaltet, deine Gedanken zu lesen, hast du eine falsche Vorstellung von ‚einfach‘.“

„Das hier ist keine Verhandlung“, sagte er. „Ich bitte dich auch nicht um Hilfe, sondern ich verlange, dass du mitkommst. Und ich sehe keinen Grund, weiter in deinem Garten rumzustehen und zu reden.“

„Ich habe schon gesagt, dass ich dir helfen werde. Du kannst also mit dem Säbelrasseln aufhören.“ Sie machte auf dem Absatz kehrt und schritt auf das Haus zu, stieß die Hintertür auf und ging hinein.

Das Haus hatte keine Klimaanlage und am späten Nachmittag konnten nicht einmal die dicken Steinwände die Hitze in Schach halten. Doch das machte ihr nichts aus. Es war ihr Zuhause. Vincenzo mochte das bestreiten; sie hatte in der Tat das scheußliche Geld von ihm genommen und einen Teil davon verwendet, um dieses Haus zu kaufen. Aber es fühlte sich trotzdem wie ihres an.

Dennoch gab er ihr das Gefühl, mit einem Bein wieder in ihrem alten Leben zu stehen.

Du hast eingewilligt, ihm zu helfen …

Mit ihrem bereitwilligen Angebot, ihm zu helfen, hatte sie ihn geschockt.

Ihr ganzes Leben in Aristas Palast hatte sie damit zugebracht, immer auf der Hut zu sein. Sie war in jeder Hinsicht fehl am Platz gewesen. Ihre Mutter betrachtete Eloise als ein Accessoire, mit dem sie sich schmückte, wenn es ihr passte. Etwas, das sie achtlos weglegte, wenn es ihr nicht passte. Wie eine Puppe.

Der König hatte ihr nie Beachtung geschenkt. Bis er es eines Tages leider doch tat.

Und Vincenzo? Er war ihr einziger Verbündeter gewesen. Bis er es nicht mehr war.

„Tja, dann muss ich wohl packen. Und ich muss gucken, ob meine Nachbarin Schreckchen füttern kann.“

Er runzelte die Stirn. „Schreckchen?“

„Meine Katze. Na ja, nicht wirklich meine Katze. Er hängt bei mir im Garten rum – so ähnlich wie du – und ich füttere ihn.“

Er hob eine Augenbraue an und sah plötzlich schelmisch aus. „Mich hast du bis jetzt aber noch nicht gefüttert. Sollte ich mich gekränkt fühlen?“

„Möglicherweise“, entgegnete sie abwesend. Sie war damit beschäftigt, ihrer Nachbarin Paula eine SMS zu schicken, um zu fragen, ob sie den kleinen Kater füttern könnte.

Paula antwortete mit einem schnellen Ja. Und als Eloise wieder zu Vincenzo aufsah, konnte sie die Ungeduld spüren, die in Wellen von ihm ausging.

„Es gibt da eine Atemübung, die ich gelernt habe“, sagte sie. „Die hilft bei Anspannung.“

„Du bist nicht meine Therapeutin.“

„Du hast ganz sicher keine Therapeutin“, sagte sie.

„Stimmt. Und wenn wir nach Arista zurückkehren, wirst du die Rolle meiner Geliebten spielen.“

Da konnte Eloise nicht anders: Sie lachte schallend.

„Deine was?“ Sie lachte so sehr, dass ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Das konnte auf keinen Fall sein Ernst sein.

In den vergangenen gut zehn Jahren hatte sie seinen Werdegang in der Presse verfolgt. Sie hatte ihn in den Medien mit einer endlosen Parade von Frauen gesehen. Alle perfekt. Alle hinreißend. Alle ganz anders als sie.

„Ich habe nichts gesagt, was besonders schwer zu verstehen ist.“

„Oh, nein! Ich verstehe sehr gut. Ich denke nur, dass du danebenliegst. Niemand würde ernsthaft glauben, dass ausgerechnet ich deine Geliebte bin.“

„Die Welt weiß nichts von unserer Geschichte, mia cara.“

So hatte er sie früher nie genannt.

Der Kosename hallte in ihr nach und machte sie benommen.

Sie schüttelte es ab. „Alle wissen nur zu gut um …“

„Deine Affäre mit meinem Vater? Genau deshalb habe ich dich ausgesucht. Du musstest damals die ganze Häme allein auf dich nehmen. Eine 18-jährige Versuchung, der kein Mann widerstehen konnte.“

Ihm dabei zuzuhören, wie er den Mist aus der Klatschpresse wiederholte, war nicht leicht für sie. „Warum holst du mich zurück?“

„Es wird eine triumphale Rückkehr, Eloise. An meinem Arm. Es wird zugleich eine Erinnerung daran, wann seine Fassade den ersten Riss bekam. Wir werden ihm gemeinsam die Maske herunterreißen. Wir werden den Menschen die Wahrheit zeigen. Es sind andere Zeiten. Auch ich habe meine Sicht der Dinge geändert. Ein Mann in seinem Alter hat Macht, ein Mann in seiner Position noch mehr. Du warst ein 18-jähriges Mädchen und bei allem, was ich an der Geschichte auch verurteilen mag, hast du allein die Schuld bekommen. Aber wenn die Welt die Sache heute noch mal neu betrachtet, dann wird sie ihn als das sehen, was er ist: ein Raubtier ohne Moral.“

Er lag nicht falsch. Die Welt hatte sich verändert.

„Warum sollte jemand glauben, dass du mit mir zusammen bist?“

„Ich bin ein Mann, der ein ausschweifendes Leben führt – es wird niemandem schwerfallen zu glauben, dass ich die ehemalige Geliebte meines Vaters verführt habe … Dich.“

„Nein, das meine ich nicht.“

Sie starrte ihn an und wartete, dass er von selbst darauf kommen würde. Er starrte nur zurück. Undurchschaubar und hart, wie eine Felswand.

„Willst du mich echt zwingen, es auszusprechen, Vincenzo? Ich bin nicht schön! Nicht nach den Maßstäben dieser Leute. Und Standardgrößen wird es für meine Figur auch kaum geben.“

Er lachte. Er wagte es zu lachen! Ein tiefes, sattes Lachen, das sie wie eine Stichflamme durchfuhr. „Standardgrößen? Was immer ich für dich besorge, wird speziell auf deine exquisiten Kurven zugeschnitten sein.“

„Exquisit?“ Sie war noch nie exquisit genannt worden. „Ich bin nicht dein Typ“, sagte sie.

„Schön, sinnlich, begehrenswert – das soll nicht mein Typ sein?“

„Ich bin ziemlich rundlich“, erwiderte sie tonlos.

„Sinnlich“, wiederholte er. „Die engstirnige Auffassung von Schönheit, die dir deine Mutter vermittelt hat …“

„Um eins klarzustellen“, sagte sie bestimmt. „Ich bin nicht unsicher. Ich mag mein Leben. Ich mag meinen Körper. So sehr, wie ich Kekse mag. Aber ich möchte mich nicht dem aussetzen, was zweifellos brutale Kritik in der Presse sein wird. Ich habe das alles schon einmal durchgemacht. Und dieses Mal weiß ich genau, was kommt. Glaubst du nicht, dass sie alte und neue Fotos von mir nebeneinanderlegen und über meine Gewichtszunahme spekulieren werden?“

„Aber du bist keine 18 mehr“, sagte er grimmig. „Lass uns los.“

„Ich sollte eine Tasche packen.“

„Es wird dir an nichts fehlen. Im Flugzeug werden nachher nicht nur jede Menge Kleider auf dich warten, sondern auch ein Schneider. Auf dem Weg nach Arista wirst du perfekt eingekleidet. Wenn wir ankommen, wirst du ganz und gar aussehen wie meine Geliebte.“

Meine Geliebte.

Sie zitterte.

Er mochte ein Prinz sein, aber sie hatte das Gefühl, dass er weniger ein Ritter in glänzender Rüstung war als vielmehr ein Drache, der sie bei lebendigem Leib verschlingen könnte.

3. KAPITEL

Es schien, als hätte Eloise Unberechenbarkeit zu ihrem Motto erklärt. Er hatte zwei Reaktionen erwartet: Entweder würde sie hysterisch weinen und ihn als Unmenschen beschimpfen, bevor sie nachgab – oder sie würde mit ihm flirten und sich dann seiner Bestechung fügen.

Sie tat weder das eine noch das andere.

Stattdessen sah sie mit großen Augen arglos zu ihm auf und sagte, sie würde ihm helfen.

Damit erinnerte sie ihn mehr an das Mädchen, das er früher gekannt hatte, als an die Frau, zu der er sie nach der Entdeckung ihrer Affäre mit seinem Vater in seiner Vorstellung gemacht hatte.

Er fragte sich, ob sie sich verändert hatte oder er.

Selbst jetzt, als sie an Bord seines mit allen Annehmlichkeiten ausgestatteten Privatjets gingen, überraschte sie ihn. Denn Eloise hatte den Gesichtsausdruck einer Frau, die von ihrer Umgebung überrascht und begeistert war.

Begeistert war vielleicht übertrieben. Aber es lag etwas Fasziniertes in ihrem Blick. Nicht die Art von offener Gier, die er bei einer Frau wie ihr erwartet hätte. Nein, es schien echtes Interesse zu sein. Aufrichtige Freude.

Ihre Reaktion hatte etwas Ehrliches an sich, das ihn überrumpelte.

„Möchtest du was sagen?“, fragte er, während er sich auf dem weichen Ledersofa im Sitzbereich des Jets niederließ.

„Nur, dass es großartig ist“, antwortete sie. „Also, das Flugzeug.“

„Wenn ich reise, muss alles an seinem Platz sein. Mein Leben muss so funktionieren, als wäre ich in meinem Haus.“

„Kann ich mir vorstellen“, sagte sie. „Es muss anstrengend sein, so viel zu reisen wie du.“

Er konnte beim besten Willen nicht durchschauen, welches Spiel sie hier spielte. Das machte ihm Sorgen. Und er war weder Besorgnis gewohnt noch das Gefühl, einen anderen Menschen nicht lesen zu können.

Er wusste genug über Eloise. Nur eine Woche, nachdem sie in sein Zimmer gekommen war und versucht hatte, ihn zu verführen – nachdem sie ihn geküsst und ihm gesagt hatte, dass sie ihn liebte –, war die Geschichte über ihre Affäre mit seinem Vater bekannt geworden.

Und er hatte … Nun ja, er hatte sich für einen Heiligen gehalten, weil er sie weggeschickt hatte. Das Verlangen hatte wie ein wildes Tier in ihm getobt. Aber sie war viel zu jung gewesen. Sie hatte lediglich geglaubt, dass sie ihn liebte. Weil sie zu unschuldig war, um es besser zu wissen.

Deshalb hatte er Nein gesagt. Ihr gesagt, es wäre unmöglich …

Was für ein Idiot er gewesen war! Und ein noch größerer Idiot wegen seines Schmerzes, als er herausgefunden hatte, dass sie ihn nie geliebt hatte, sondern dass sie nur hinter der Krone her gewesen war.

Er hatte seine Lektion gelernt.

„Nimm dir einen Drink“, sagte er.

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, erschien die Stewardess und ging zur Bar. „Was möchte die Dame trinken?“, fragte sie.

„Oh“, sagte Eloise. „Eine Selter wäre nett.“

„Eine Selter?“, sagte er. „Halte dich meinetwegen nicht zurück.“

„Ich trinke nicht oft.“

Das überraschte ihn. Er hatte sich in seinem Kopf eine Frau vorgestellt, die nicht zu existieren schien. Das war die Erkenntnis, mit der er zu ringen hatte.

Er hatte sich Eloise so kalkuliert ausgemalt wie ihre Mutter. Er hatte gedacht, sie würde in seinem Flugzeug Langeweile vortäuschen, seine gesamte Bar leer trinken und verlangen, dass er sie für die vielen Unannehmlichkeiten entschädigt.

Aber Eloise war anders. Sie sah anders aus. Sie redete anders, verhielt sich anders.

Bisher war er überzeugt davon gewesen, dass er sich im Leben selten irrte. Doch bei ihr schien er mit allem falschzuliegen.

„Wenn du nur zu besonderen Anlässen trinkst, dann lass uns das hier zu einem machen. Denn wir kehren ja triumphierend nach Arista zurück, nicht wahr?“

„Ich weiß nicht, wo der Triumph sein soll.“

Er machte eine knappe Handbewegung, woraufhin die Stewardess zwei Gläser Champagner einschenkte und sie auf einem Tablett zu ihm brachte. Er nahm beide und reichte eines an Eloise weiter, die auf die sprudelnde Flüssigkeit blickte.

„Du fühlst dich nicht nach Triumph, Eloise?“

Er wartete, dass die Wahrheit über sie ans Licht kommen würde. Es war ungewöhnlich, das musste er sich eingestehen, dass er vorher keine gründlichen Nachforschungen über sie angestellt hatte. Denn unter normalen Umständen hätte er alle Antworten gehabt, bevor er sich in diese Situation begeben hätte. Doch er war sich so sicher gewesen, dass Eloise St. George ihn nicht überraschen könnte. Dass sie aus dem gleichen geschmacklosen Stoff gemacht wäre wie ihre Mutter. Warum also Nachforschungen anstellen?

„Nichts von dem, was ich bin, dient dazu, meine Mutter stolz zu machen“, sagte Eloise und hob den Champagner an ihre Lippen. Sie sah einigermaßen erstaunt aus, als die Flüssigkeit ihre Zunge berührte. Er musste zugeben, dass sie entweder eine verdammt gute Schauspielerin war oder wirklich nicht oft trank.

„Du weißt, wie ich zu ihr stehe“, fügte sie leise hinzu.

„Ich dachte, ich wüsste es“, sagte er. „Aber ich dachte auch, ich kenne dich.“

„Ich habe nie gelogen, Vincenzo“, flüsterte sie, „was immer du auch denken magst.“

Ihre Augen waren aufrichtig, doch …

Er hatte eine fiktive Eloise in seinem Kopf erschaffen, weil er alle Bilder von dem Mädchen von früher verbannen wollte. Er hatte sie in eine Form gegossen, die ihm genau das leicht machen würde. Die gleiche Form wie ihre Mutter.

Aber wenn …

In jener Nacht, als sie ihn geküsst hatte. Als er sie einen Augenblick lang in seinen Armen gehalten hatte, bevor er sie hatte wegschicken müssen. Wenn er sich damals vorgestellt hätte, wer sie einmal sein würde, dann hätte er vermutlich die Person gesehen, die jetzt vor ihm saß.

Er riss sich zusammen. Das war eine hübsche Fantasie, aber mehr auch nicht. Er wusste genau, wie geschickt manche Menschen ihr Umfeld täuschen konnten.

Eloise hatte ihn einmal manipuliert. Er würde nicht zulassen, dass sie es ein zweites Mal tat.

„Lügen, Wahrheit – das bedeutet alles nichts mehr.“

„Mir schon. Es macht keinen Spaß, neben einem Mann zu sitzen, der mich verachtet.“

„Trotzdem hast du eingewilligt, mir zu helfen. Warum, wenn du nicht zurückkehren wolltest? Warum würdest du das tun, wenn du mich hasst?“

„Ich habe nie gesagt, dass ich dich hasse.“

Er ließ seinen Blick über sie wandern und ihre Wangen färbten sich rosa. Er merkte, wie ihm heiß wurde.

„Das solltest du aber.“

„Wieso? Weil du mich hasst? So funktioniert das nicht.“

„Ich hasse dich nicht, Eloise. Wenn ich dich hassen würde, hätte ich die Sache ohne dich in Angriff genommen. Was mich interessiert, ist deine Motivation.“

„Ich habe immer gedacht …“ Sie sah ihn nicht an, sondern blickte über den Rand ihres Champagnerglases hinweg auf die Rückwand des Flugzeugs. „Wir waren gar nicht so verschieden, Vincenzo. Dein Vater hat sich genauso wenig um dich gekümmert wie meine Mutter um mich. Deshalb konnten wir Freunde werden. Ich, ein Mädchen aus Amerika, das nicht einmal wusste, dass es Prinzen außerhalb von Märchen gibt. Und du, der Erbe eines Landes. Es war nur unsere Freundschaft, die mich damals durchgebracht hat. Und darum würde ich dir jetzt gern eine Freundin sein.“

Das Wort traf ihn.

„Eine Freundin“, wiederholte er lang gezogen.

„Bitte mach mich jetzt nicht verlegen“, sagte sie mit belegter Stimme. „Bitte fang nicht davon an.“

Es war Wut, die ihn jetzt im Griff hatte. Dazu fühlte er eine unangenehme Scham. Er stand normalerweise über solchen Dingen. Er war kein Mann, der sich von Emotionen leiten ließ. Und doch kam er jetzt nicht dagegen an.

„Sprichst du von unserer letzten Begegnung, als ich dich aus Arista weggeschickt habe – oder von der Nacht, als du …“

Er sah zur Stewardess auf und gab ihr ein Zeichen, den Raum zu verlassen.

Er richtete seinen Blick wieder auf Eloise. „In der Nacht, als du dich mir mit einer ziemlichen Dreistigkeit an den Hals geworfen hast …“

„Oh ja, total dreist“, sagte sie säuerlich. „Dich mit all meiner Erfahrung zu küssen und zu sagen, dass ich dich liebe.“

Auf gewisse Weise war er überrascht, dass sie sich überhaupt daran erinnerte. Und er fragte sich, was der Grund dafür war, es ausgerechnet jetzt zu erwähnen. Aber er hätte es irgendwann zur Sprache gebracht, da lag sie richtig. Also war es vielleicht ihr Schachzug, es gegen ihn zu verwenden, bevor er es gegen sie verwenden konnte.

„Es ist bloß eine verschwommene Erinnerung für mich“, log er. „Viele Frauen haben sich mir an den Hals geworfen, Eloise. Du warst nur eine davon.“

Sie sah verletzt aus, und einen Moment lang bedauerte er, dass er ihr diesen Schlag versetzt hatte. Denn der Schmerz in ihren blauen Augen schien nicht gespielt zu sein.

„Dann ist ja alles bestens“, sagte Eloise und nippte am Champagner. Sie saß auf der Couch, die Füße in ihren weißen Turnschuhen dicht aneinandergepresst, ebenso wie ihre Knie. Ihre Schultern schienen zusammengezogen zu sein. Als würde sie versuchen, zu schrumpfen.

Er nahm sich einen Augenblick, um sie in Ruhe anzuschauen.

Sie hatte ein rotes Tuch um den Kopf gebunden und ihr blondes Haar zu einer altmodischen Tolle geformt. Sie trug ein hellblaues, geknotetes Hemd. Es war so geschnitten, dass es ihre volle Oberweite und ihre schmale Taille betonte. Ihre Caprihose war so rot wie das Tuch in ihrem Haar. Sie sah aus wie ein Pin-up aus den 1950er Jahren. Er bräuchte nur die obersten Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, um ihr pralles Dekolleté zu bewundern … Schade, dass ihre Bluse so hochgeschlossen war und er nicht mehr davon sehen konnte.

Es ärgerte ihn, dass er dasaß, ihre Knöpfe zählte und versuchte abzuschätzen, wie viele er öffnen müsste, um ihre Pracht zu enthüllen.

Sie trug kein Make-up, aber ihre Haut war hell und klar, ihre Augen strahlten in einem wunderbaren Kornblumenblau. Ihre Lippen waren zartrosa und voll, die Oberlippe rund und etwas voller als die Unterlippe.

Er erinnerte sich daran.

Die Farbe ihrer Augen, die Form ihres Mundes.

Doch ihr Gesicht war damals schmaler gewesen. Ihre Wangenknochen waren noch immer hoch und elegant, aber nicht mehr rasiermesserscharf, und er fand ihre weicheren Gesichtszüge äußerst ansprechend.

Er konnte sich keinen Mann vorstellen, dem es nicht so gehen würde.

Tatsächlich war Eloise ein ganz und gar reizendes Geschöpf. Er war bereit gewesen, der Kreatur zu widerstehen, zu der er sie in seiner Vorstellung gemacht hatte.

Er war jedoch nicht auf die Frau vorbereitet gewesen, die sie wirklich war.

„Erzähl mir von deinen aktuellen Verstrickungen.“

„Verstrickungen?“

„Liebhaber. Arbeitgeber.“

„Ich bin Gärtnerin. Aber im Moment bin ich zwischen Jobs.“

„Jobs?“

„Ich habe bis vergangenen Monat auf einem großen Anwesen gearbeitet. Aber der Besitzer hat es verkauft, und … Das Gewächshaus, für das ich zuständig war, ist einfach abgerissen worden. Da steckte eine Menge Arbeit drin, ich hatte einige wunderbare alte Pflanzen. Die sind jetzt alle weg – nur, damit jemand einen neuen Pool bauen kann. Ich hatte genug Geld, sodass ich nicht sofort neue Arbeit brauchte. Also habe ich mir überlegt, meine eigene Gärtnerei zu gründen. So weit bin ich noch nicht, aber ich befinde mich im Planungsstadium.“

Vincenzo versuchte sich daran zu erinnern, ob sie Pflanzen schon damals gemocht hatte, doch er konnte sich nicht erinnern. „Und wieso ausgerechnet Gärtnerin?“

„Mir gefällt die Vorstellung, Dinge wachsen zu lassen. Die Welt ein bisschen schöner zu machen. Meine Mutter hat alles in meinem Leben kontrolliert – was ich dachte, was ich tat, was ich aß, was ich trug. Und ich mag es, ich selbst zu sein. Ich mag es, die Welt erfüllter zu hinterlassen, anstatt nur von ihr zu nehmen.“

Er fragte sich, ob der Besitzer des Anwesens auch ihr Geliebter gewesen war. Es würde Sinn ergeben, dass sie nicht nur ihre Stelle verloren hatte, sondern auch als Liebhaberin abgesetzt worden war.

Eventuell befand sie sich im Moment auch zwischen zwei Männern.

Sie schien sich wenig um Geld zu kümmern. Er war gezwungen, sie noch mal anzusehen und sich zu fragen, für welchen Lebensstil sie tatsächlich bezahlte. Die Kosten für ihre Kleidung brauchte er nicht aufzuschlüsseln. Sie trug das Outfit, in dem sie im Garten gearbeitet hatte.

„Bist du mit deinem Champagner fertig?“

„Ich schätze schon.“

„Dann lass uns zu deiner Anprobe gehen.“

„Anprobe?“

„Ich habe dir doch gesagt, dass du hier im Flugzeug neu eingekleidet wirst.“

„Ach ja. Aber …“

„Deine Kleidung ist schon im Arbeitszimmer, zusammen mit dem Schneider.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das fühlt sich übertrieben an.“

Er ging zu ihr und reichte ihr die Hand. Sie sah zu ihm auf, als wäre er ein Hai.

„Du wirst dich mit meiner Berührung wohlfühlen müssen.“

Ihre Augen weiteten sich. „Muss ich das?“ Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihn aufzog.

„Du musst wenigstens den Anschein erwecken“, ergänzte er.

Sie nahm seine Hand. Die Berührung ihrer weichen Haut hatte einen unwiderstehlichen Effekt. Wie gern er es doch gehabt hätte, wenn sie ihn mit ihren Händen an anderen Stellen berührt hätte!

Vincenzo hatte zu viel Erfahrung mit Frauenkörpern, um sie in diesem Outfit zu sehen und nicht genau zu wissen, wie sie nackt aussehen würde.

Sie war die Verkörperung von purem Sex.

Sex, den er nur zu gern haben würde. Ziemlich viel davon, um genau zu sein. Und das machte ihn rasend.

Er hatte gedacht, er wäre immun gegen Eloise.

Um sein Verlangen zu kontrollieren, rief er sich den Moment ins Gedächtnis, in dem er von ihrem Verhältnis mit seinem Vater erfahren hatte.

Es sollte ihr nicht so leichtfallen, ihn zu erregen!

Als sie das Arbeitszimmer betraten, sah sich Eloise erstaunt um. „Das ist unglaublich!“, sagte sie. „Ich hatte keine Ahnung, dass ein Privatflugzeug so groß sein kann.“

„Wie ich schon sagte: Ich verbringe viel Zeit in der Luft.“

Eine gut gefüllte Kleiderstange und ein Mann warteten auf sie.

Vincenzo ging zu seinem Schreibtisch und setzte sich. „Fangen Sie bitte an, Luciano“, sagte er.

„Du kannst unmöglich erwarten, dass ich mich vor dir ausziehe“, sagte Eloise ungläubig.

Warum war sie so schüchtern? Damals war sie zu ihm ins Bett geklettert, hatte sich rittlings auf ihn gesetzt und ihn geküsst, und jetzt wollte sie sich nicht vor ihm ausziehen?

„Nur keine Panik, du wirst dich natürlich hinter einem Paravent umziehen. Aber ich will jedes Kleidungsstück an dir begutachten.“

Wie sich herausstellte, war es die reinste Folter.

Er hatte nicht vor, sie dezent einzukleiden. Darum waren die Outfits, die Luciano mitgebracht hatte, golden und glitzernd, hell und eng. Formen, die ihre Kurven betonten. Ausschnitte, die gefährlich damit kokettierten, Teile ihres Körpers zu enthüllen, die nur ein Liebhaber sehen sollte.

„Ich …“ Sie sah sich im Spiegel, und ihr Gesicht verzog sich vor Schreck.

Sie trug ein goldenes Kleid, das den runden Ansatz ihrer Brüste zeigte. Auch der Rücken war extrem tief ausgeschnitten, und der Anblick der beiden Grübchen, von denen er wusste, dass sie direkt über ihrem kurvigen Hintern lagen, machte Vincenzo sofort hart.

„Sorry, aber das ist zu freizügig“, sagte sie.

„Fühlst du dich unwohl?“

„Und wie.“

„Findest du, dass du nicht gut darin aussiehst?“ Er hatte das Bedürfnis, sie zu trösten, und er konnte seine Gefühle für sie nicht sortieren.

„Frauen mit meiner Figur tragen solche Kleider nicht“, sagte sie.

„Und warum nicht?“

„Ich bin nur einen Windhauch von einer peinlichen Klamottenpanne entfernt und das ist nur das erste Problem. Zweitens ist das hier eindeutig für extrem dünne Laufstegfrauen gemacht und nicht …“

„Ja, aber was Laufstegtauglichkeit bedeutet, das ändert sich – oder hast du das noch nicht gemerkt?“

Ihre Wangen wurden rosa und er fragte sich, ob er etwas Falsches gesagt hatte. Seiner Meinung nach war es eine willkommene Veränderung.

„Es ist egal, ob sich Schönheitsideale ändern“, sagte sie. „Ich wäre immer noch eine Ausnahme, nicht die Regel. Ich werde im selben Raum sein wie meine Mutter und aussehen wie …“

„Wie was?“ Als er sie aus ihrem Garten geholt hatte, war sie selbstbewusst und glücklich gewesen. Er konnte direkt zusehen, wie sie sich veränderte. Je näher sie ihrer Mutter kam, desto weiter entfernte sie sich von ihrem Selbstvertrauen.

Als er beschlossen hatte, dass sie eine Lügnerin war, hatte er beschlossen, dass alles an ihr eine Lüge war.

Ihre Freundschaft. Ihre Beziehung zu ihrer Mutter. Ihre Gefühle für ihn.

Doch was, wenn sie die Wahrheit sagte?

„Also, ich finde es verwegen“, sagte Luciano.

Eloise zog eine Grimasse. „Ich weiß das zu schätzen. Aber ich fühle mich nicht verwegen. Ich fühle mich … drall.“

„Du sagst das, als wäre es etwas Schlechtes“, sagte Vincenzo.

„Spiel nicht den Ahnungslosen“, sagte sie. „Du weißt, dass Hüftknochen angesagter sind als Hüften.“

„Das mag die Vorliebe deiner Mutter sein, aber die hat wenig mit wahrer Schönheit zu tun. Wahre Schönheit ist in den unterschiedlichsten Formen zu finden. Ich möchte dich der Welt zeigen, und ich garantiere dir, dass dein Sexappeal nicht zu übersehen sein wird.“

„Die Leute werden vergleichen. Und sie werden Kommentare abgeben.“

„Schon möglich. Aber ich bin dein Liebhaber“, sagte er bestimmt. „Und ich finde dich herrlich. Wenn Luciano nicht hier wäre, würde ich dir das Kleid ausziehen und mich auf der Stelle über dich hermachen!“

Das sollte nur Show sein. Aber es fühlte sich echt an. Zu echt.

Er ging näher zu ihr, was er nicht beabsichtigt hatte. Sie duftete noch genauso wundervoll wie damals.

Das katapultierte ihn zurück zu dem Mädchen, das sie gewesen war.

Schlimmer noch – zu dem Jungen, der er gewesen war.

Vincenzo beugte sich vor und strich mit seiner Fingerspitze sanft ihren Hals entlang und über ihre nackte Schulter. Er flüsterte ihr ins Ohr: „Ich würde dich innerhalb von dreißig Sekunden meinen Namen schreien lassen. Das ist es, was ich sehe, wenn ich dieses Kleid anschaue.“

Er vergaß alles um sich herum. Wieso sie hier waren. Dass er sie auf Abstand halten sollte.

Sie wurde scharlachrot. Vom Ansatz ihres hellen Haares bis zu den herrlichen Kurven ihres Körpers.

„Ich … Ich frage mich nur, ob es eventuell einen subtileren Weg gibt, das zu erreichen.“

„Ich habe eine Idee“, sagte Luciano.

Er nahm ein smaragdgrünes Kleid von der Stange und reichte es ihr.

Als sie wieder hinter dem Wandschirm hervorkam, war sie aus unerfindlichen Gründen auf noch atemberaubendere Weise schön. Das Kleid war aus schimmerndem Samt und schulterfrei. Es schmiegte sich an ihre Kurven, ohne zu viel Haut zu zeigen. Es war bis zu den Knien eng und wurde dann nach unten weiter.

„Das hier gefällt mir“, sagte sie.

„Es wird seinen Zweck erfüllen“, sagte er und blieb diesmal auf Distanz. „Passen Sie trotzdem auch das goldene Kleid an und benutzen Sie die Maße für ein paar Alltags-Outfits.“

„Ich mag den Retro-Look“, warf Eloise ein.

„Anhand des Outfits, das Sie heute anhaben, kann ich Ihren Stil einschätzen“, sagte Luciano. „Die Abendkleider werden fertig sein, wenn wir landen. Der Rest sollte innerhalb eines Tages da sein. Ich werde gleich im Atelier anrufen und mein Team dransetzen.“

„Danke“, sagte Vincenzo. „Du kannst dich wieder anziehen“, sagte er zu Eloise.

„Oh, kann ich das?“

„Ja.“

„Darf ich auch auf die Toilette?“, fragte sie und verschwand hinter dem Wandschirm.

„Du brauchst dafür keine Erlaubnis.“

„Na, da bin ich aber froh.“

Einen Augenblick später erschien sie wieder in ihrem alten Outfit mit dem über der Taille zusammengebundenen Hemd. Vincenzo wollte um den Schreibtisch herumgehen, seinen Finger durch den Knoten stecken und ihn aufmachen. Und dann alle Knöpfe. Und dann …

Leider war Luciano im Raum.

Das ist doch abwegig, dachte er. Aber in gewisser Weise auch erwartungsgemäß. Er war ein Adliger, ihm war nur weniges versagt. Also war der einzige verbotene Apfel natürlich der, nach dem er sich sehnte.

Eloise huschte aus dem Arbeitszimmer und Vincenzo bedankte sich bei Luciano und wartete dann vor dem Waschraum auf sie.

Als sie rauskam, rannte Eloise fast in ihn hinein und errötete.

„Lass mich dir dein Zimmer zeigen. Das Bad dort wird dir bestimmt besser gefallen.“

„Ich wüsste nicht, was mit dem Waschraum hier nicht stimmt.“

„Vielleicht möchtest du baden“, sagte er.

„Möchte ich das?“

Er biss die Zähne zusammen und wies mit einer Geste den Flur hinunter zu einer glänzenden Mahagonitür: „Da ist dein Zimmer.“

Er öffnete die Tür und gab den Blick auf eine geräumige Suite mit einem großen Bett frei.

„Vielleicht musst du mir kurz erklären, was genau du von mir erwartest“, sagte sie.

Sie sah verwundbar aus. Absolut nicht wie die Tochter ihrer Mutter.

War das die Art, wie eine Frau ihre Krallen in einen Mann grub?

Das ist nicht fair und das weißt du auch.

Die Krallen ihrer Mutter waren nicht weniger in seinen Vater gegraben als dessen Reißzähne in sie. Die zwei waren aus freien Stücken in einer toxischen Beziehung. Und während Cressida St. George seiner Mutter übel mitgespielt hatte, hatte sein Vater gewissenlos beide Frauen verletzt.

„Ruh dich aus“, sagte er. „Es sind noch fünf Stunden, bis wir in Arista landen. Wir fahren zuerst in meine Wohnung, dann zum Palast. Auch die Presse wird anwesend sein!“

Sie nickte, aber sie sah verängstigt aus. Und er fragte sich, ob ihre Angst echt war. Es wirkte so.

„Du brauchst dir keine Gedanken zu machen“, sagte er. „Du brauchst nur zu tun, was ich sage. Schau mich einfach an, als wäre ich die Sonne, der Mond und die Sterne.“ Und dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten. „Das hast du ja schon einmal getan“, sagte er leise.

„Ja“, sagte sie und ihre Augen schimmerten plötzlich verdächtig. „Aber in dieser Nacht, an die du dich kaum erinnern kannst, wurde ich aus dem Himmel verstoßen. Und seitdem habe ich nicht mehr versucht, nach den Sternen zu greifen.“

Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu und überließ es ihm, sich zu fragen, wo der Schmerz in seiner Brust herkam.

4. KAPITEL

Eloise nahm tatsächlich hoch über den Wolken ein Bad, aber von Entspannung konnte keine Rede sein. Mit dem Wissen, dass sie bald in Arista landen würde, war das unmöglich. Vor allem nach dem, was eben passiert war!

Sie hatte sich lächerlich gemacht. Sie hatte ihre Unsicherheit offenbart und war viel zu direkt gewesen. Sie hatte ihn auf diese eine Nacht angesprochen.

Und er erinnert sich nicht mal genau.

Sie hatte Vincenzo damals mehr geliebt als alles auf der Welt. Dabei hatte sie nie gedacht, dass sie je einen Mann wollen würde. Sie verabscheute die Art, wie ihre Mutter mit Männern umging. Obwohl Eloise erst sechs gewesen war, als ihre Mutter mit ihr nach Arista gezogen war und sich mit dem König eingelassen hatte, konnte sich Eloise noch sehr genau an die vorherigen Partner ihrer Mutter erinnern.

Sie hatte sich schon früh geschworen, dass sie nie an einem Mann zerbrechen würde. Doch mit Vincenzo hatte es sich anders angefühlt.

Zuerst war er für sie ein Freund gewesen, ein Beschützer.

Mit fünfzehn veränderte sich das. Plötzlich fühlte es sich an, als würde ihr Herz zerspringen, wenn er in der Nähe war. Als er zum Studieren wegging und nur noch selten zurückkam, dachte sie, sie müsste vor Sehnsucht sterben.

In diesen einsamen Jahren hatte Eloise niemanden gehabt. Sie lebte förmlich für Vincenzos Besuche. Deshalb beschloss sie, sich ihm hinzugeben, als er nach seinem Uni-Abschluss damals wieder nach Arista kam. Sie hatte ihm endlich zeigen wollen, wie sehr sie ihn liebte.

Um Mitternacht war sie in sein Zimmer geschlichen. Er lag im Bett, ohne T-Shirt, und war so schön, dass ihr Herz sich zusammenzog.

„Was machst du denn hier, Eloise?“

„Ich musste dich sehen.“

„Du hättest doch bis zum Frühstück warten können.“

„Nein.“

Langsam durchquerte sie sein Zimmer, kletterte mit zitternden Beinen aufs Bett und setzte sich auf ihn. „Ich … ich will dich, Vincenzo. Ich liebe dich.“

Sie beugte sich hinunter und küsste ihn. Es war ihr erster Kuss, und er war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Weil es Vincenzo war.

Er legte seine Hand auf ihren Hinterkopf und erwiderte ihren Kuss. Sie spürte, wie er hart wurde, und das jagte einen wohligen Schauer durch ihren Körper.

Doch dann schob er sie plötzlich weg.

„Eloise. Nein. Du bist zu jung. Du hast keine Ahnung, was du willst.“

„Doch“, sagte sie und ließ ihre Hände über seine Brust gleiten. „Dich. Ich will dich. Ich liebe dich.“

„Du kennst keine anderen Männer. Geh zur Uni. Geh weg von hier. Küss andere Männer. Und wenn du zurückkommst und dann immer noch denkst, dass du mich liebst … Du wirst immer meine Eloise sein.“

Doch es war anders gekommen.

Viel zu leicht hatte Vincenzo all die Lügen geglaubt, die seine Mutter über sie erzählt hatte. Lügen, die auch die Presse über Eloise verbreitet hatte. Nie würde sie ihre letzte Begegnung vergessen!

„Geh weg von hier, Eloise.“ Sein Gesicht war wie versteinert gewesen.

„Vincenzo, ich habe nicht … Das würde ich nie tun.“

„Hier, nimm das.“ Er hatte ihr einen Scheck vor die Nase gehalten. „Geh – und komm nie wieder!“

Damals war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht liebenswert war.

Mittlerweile war ihr klar, wie unsinnig das war. Sie konnte ihr Selbstbild nicht davon abhängig machen, was andere Menschen ihr geben wollten. Das lag nicht in ihrer Verantwortung. Sie hatte eine Therapie gemacht und viel dazugelernt.

Aber hier und jetzt in Vincenzos Nähe fühlte sie sich wieder so unwissend wie mit 18.

Die Art, wie er sie angesehen hatte …

Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, lagen zu ihrer Überraschung eine weiche, weiße Leinenhose und ein weißes Leinentop für sie bereit, zusammen mit einem weißen Spitzen-BH und passendem Höschen.

Das Outfit sah fast brautmäßig aus – was lächerlich war. Er wollte sie vor aller Welt als seine Geliebte zur Schau stellen, nicht als seine Braut. Sie wusste, dass er dabei an die Rolle ihrer Mutter dachte. Sie verstand das; sie beide waren durch gewisse Dinge in ihrem Leben traumatisiert worden.

Es war bloß so … Sie hasste es, wie klein sie sich dadurch fühlte. Das hatte nichts mit ihren Bedenken bezüglich der Presse zu tun. Sie hatten sie schon zerfleischt, als sie jünger und zerbrechlicher gewesen war.

Nein, diese ganze Angelegenheit erinnerte sie zu sehr an das bedürftige, einsame Mädchen von damals, das es allen rechtmachen wollte. Doch inzwischen war sie die Frau geworden, die sie selbst sein wollte. Damit war sie glücklich. Sie hatte den Teil von sich abgeschaltet, der von Männern attraktiv gefunden werden wollte.

Doch jetzt fühlte sie sich fast so unsicher und unwohl wie früher. Sie sah ihren Körper wieder durch fremde Augen. Dabei hatte sie sich fest vorgenommen, das nie mehr zu tun.

Meinst du wirklich fremde Augen oder seine?

Zum Glück schien Vincenzo ziemlich begeistert zu sein von ihren Kurven!

Der Gedanke daran ließ ihr Gesicht glühen …

Es klopfte energisch an der Tür. Als sie sie aufmachte, stand er vor ihr – strahlend und erhaben in einem schwarzen Anzug. In seinem Blick lag etwas Rätselhaftes.

„Wir werden bald landen“, sagte er. „Komm und setz dich.“

Ihr Magen zog sich zusammen.

Arista.

Bis zu ihrem sechsten Lebensjahr war Eloise in den USA aufgewachsen – bis ihre Mutter ausgerechnet Giovanni Moretti, den König von Arista, auf einer Party kennengelernt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt führte Eloise ein komfortables Leben mit einem Kindermädchen, das sich liebevoll um sie kümmerte.

Dann hatte der König sie nach Arista geholt, um dort zu leben. Das hatte alles verändert. Eloise war plötzlich ein Geheimnis gewesen. Isoliert vom Rest der Welt.

Ihre Handflächen fühlten sich verschwitzt an. Sie hätte nie gedacht, dass sie je nach Arista zurückkehren würde. Es war leicht, in Virginia selbstbewusst, gesund und glücklich zu sein. In dem neuen Leben, das sie sich aufgebaut hatte und das aus ruhigen Abenden und Gartenarbeit bestand. Sie hatte sich ein einfaches Leben ausgesucht. Umgeben von Menschen, die keine Ahnung hatten, wer sie war. Wer ihre Mutter war. Was in ihrer Jugend passiert war.

Doch jetzt ging sie zurück zu den garstigen Sticheleien ihrer Mutter und der eiskalten Gleichgültigkeit seines Vaters. Zu langen, einsamen Fluren.

Allein die Vorstellung war abscheulich.

Was, wenn er recht hat? Wenn das die Chance für Wiedergutmachung ist? Für Rache?

„Du siehst nicht gut aus“, bemerkte Vincenzo, als sie sich auf das Ledersofa setzte.

„Ich fühle mich auch nicht gut“, sagte sie. „Die Aussicht, wieder nach Arista zurückzukehren, gefällt mir nicht.“

„Du hast doch gesagt, du hättest eine Therapie gemacht.“

„Habe ich auch. Und das hat mir gutgetan, weit weg von meiner Mutter und dem Ursprung meines Traumas.“

„Trauma?“

Er stellte die Frage mit einem Anflug von Spott in seiner Stimme, aber es war ihr egal, was er dachte.

„Ja, ich fand das Leben im Palast ziemlich traumatisierend. Du nicht?“

„Ich definiere mich nicht über irgendein Trauma“, erwiderte er und hob das Whiskyglas an seine Lippen.

„Kannst du etwa behaupten, dass du da glücklich warst? Wenn ich mich recht erinnere, warst du öfter weg als in Arista. Ungewöhnlich für einen Thronfolger, meinst du nicht?“

„Ich werde den Thron nie besteigen. Und ich werde nie einen Erben haben. Die Linie stirbt mit mir – und Arista wird ans Volk übergeben.“

„Dein Vater wird am Boden zerstört sein.“

Er lächelte finster. „Das hoffe ich doch.“

„Ah, Rache“, sagte sie. „Das meintest du also damit.“

„Macht dir das denn kein Vergnügen, nicht das kleinste bisschen?“

Sie runzelte die Stirn. „Wenn ich ehrlich zu dir bin – ich weiß nicht. Ich bin mitgekommen, also vielleicht will ein Teil von mir den beiden tatsächlich wehtun. Aber ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass …“

„Du hoffst, dass du reflektierter bist als ich – während du mir gleichzeitig anbietest, mir als Freundin bei meiner Rache zu helfen?“

„Ja“, sagte sie. „Tut mir leid, wenn du das nicht verstehst. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich grad irgendetwas verstehe, wenn es um meine Gefühle geht.“

„Ein Problem, das ich nicht kenne. Aber ich glaube, das liegt daran, dass ich ehrlich bin. Ich bin ehrlich in Bezug auf das, was ich will und wer ich bin.“

„Und du glaubst, dass ich das nicht bin?“

Er sah sie unverwandt an. „Du bist vieles, mia cara. Ehrlich gehört meiner Meinung nach nicht dazu. Aber du bist wunderschön. Und du bist eine ausgezeichnete Waffe gegen meinen Vater. Das ist alles, was ich von dir verlange.“

Und mit diesen Worten, die sich wie glühende Pfeile in ihr Herz gruben, landete das Flugzeug.

Sie wurden zu einem Auto geführt und fuhren über die engen, gepflasterten Straßen. Es kam ihr wie ein Traum vor. Wie das Leben einer Person, die sie nicht mehr kannte.

Eloise St. George.

Die so schön sein wollte wie ihre Mutter. Die sich nach allem sehnte, was ihr das Gefühl von Ganzheit geben könnte.

Die Anerkennung ihrer Mutter.

Die Aufmerksamkeit von Prinz Vincenzo.

Das arme Mädchen. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, was Liebe ist!

Weißt du das denn jetzt?

Zumindest wusste Eloise inzwischen, was Liebe nicht war. Das betrachtete sie als Fortschritt.

„Ich habe damals kaum Zeit in der Stadt verbracht“, murmelte sie und blickte gebannt aus dem Autofenster, während sie sich von kleinen Backsteinhäusern in Richtung gläserner Wolkenkratzer bewegten. Das Geschäftsviertel von Arista war so glänzend und modern wie in jeder anderen Großstadt. Nur am Stadtrand existierte noch der alte Charme.

„Natürlich hast du das nicht.“

„Wenn, dann sind wir mit dem Stab deines Vaters gereist. Die meiste Zeit waren wir in Paris“, sagte sie. „Ich war nicht mehr in Paris, seit ich fünfzehn war.“

„Warum nicht?“

„Das habe ich dir doch gesagt. Ich habe in Virginia gelebt und gearbeitet. Glaubst du, ich habe das Geld, um das Leben einer Jetsetterin zu führen? Ich habe deinen Scheck genommen und mir damit was aufgebaut. Das war allerdings kaum genug, um mich für den Rest meines Lebens wohlhabend zu machen. Ich muss mit meinem Geld haushalten.“

„Und deine vielen Gönner sind seitdem nicht mit dir nach Europa geflogen?“

„Meine Gönner? Meinst du meine Arbeitgeber? Dann: nein.“

„Nein, ich meine deine Liebhaber.“

„Wie kommst du darauf, dass ich Liebhaber habe, die für mein Leben bezahlen?“

Er starrte sie an. „Willst du mir etwa weismachen, dass du keine hast?“

„Ich will dir gar nichts weismachen“, erwiderte sie. „Ich stelle dir eine Frage. Was genau an meiner Person oder an meinem Leben, das du gesehen hast, verleitet dich zu der Annahme, dass ich eine endlose Reihe von Sugar Daddys hätte, die mich um den Globus kutschieren?“

„Es ist nur so, dass deine Mutter …“

„Genau. Meine Mutter. Wir sind nicht dieselbe Person. Wir sehen nicht gleich aus. Wir verhalten uns nicht gleich. Meine Mutter hat die vergangenen zwanzig Jahre in einem kranken Doppelleben mit deinem Vater verbracht. Zur Jahrtausendwende war sie die schillerndste und kontroverseste Prominente Amerikas. Jetzt ist sie in Vergessenheit geraten. Dafür hältst du mich also – eine Kurtisane? Eine, die sich aus der Klatschpresse raushält, weil sie sich mit einem so prominenten Mann eingelassen hat, dass sie ein Geheimnis bleiben muss? Oder siehst du mich eher als ein so gewöhnliches Flittchen, dass keiner meiner sogenannten Gönner in den Medien eine Rolle spielt?“

Es war nicht das erste Mal, dass die Leute wegen ihrer Mutter Mutmaßungen über sie anstellten. Sie hasste es.

„Du vergisst etwas“, sagte er in düsterem Tonfall. „Das, von dem alle wissen, dass es wahr ist.“

„Du hältst mich für eine Hure. Nur zu. Sag es!“

„Ich bin davon ausgegangen, dass du den Lebensstil, den du im Palast begonnen hast, weitergeführt hast.“

„Weil du meinst, du kennst die Wahrheit? Wegen etwas, das dir deine Mutter erzählt hat? Als hätte sie je einen Grund gehabt … Als ob sie je gewollt hätte, dass du mich magst, Vincenzo.“

„Sei vorsichtig, was du meiner Mutter vorwirfst“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.

„Warum? Sie war ja auch nicht vorsichtig mit dem, was sie mir vorgeworfen hat. Aber selbst, wenn es wahr wäre – bist du etwa besser als ich?“

„Eloise …“

„Nein! Gibs doch zu. Du bist genau wie dein Vater. Genau wie alle Männer. Du glaubst, du kannst eine Frau danach beurteilen, wie sie sich kleidet. Du denkst, du kennst ihren Charakter – wegen der Anzahl der Männer, mit denen sie deiner Meinung nach geschlafen hat. Aber das sagt gar nichts über eine Frau aus. Mit wie vielen Frauen hast du denn geschlafen? Was sagt mir das über deine Moral?“

Er lachte. Es klang hart und bitter. „Du verstehst mich falsch. Ich habe nie gesagt, dass ich besser bin als mein Vater oder du. Ich bin einfach anders. Ich führe kaum das Leben eines Heiligen, das liegt nicht in meiner Natur. Ich lebe unmoralisch und habe nie etwas anderes behauptet. Das ist der große Unterschied zwischen mir und meinem Vater. Und ich werde nicht versuchen, Macht über mein Volk auszuüben. Ich habe genug Macht und Geld. Ich habe keine Angst, meinen Status zu verlieren. Ich weiß genau, wer ich bin. Mein Vater ist klein und schwach. Er hat Angst, abgesetzt zu werden. Er fürchtet, dass alles, was ihm wichtig ist, und alles, was er zu sein vorgibt, aufgedeckt wird. Zerstört wird. Und ich werde dafür sorgen, dass genau das passiert. Seit Jahren arbeite ich hinter den Kulissen daran, Arista wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Ich werde dem Land und seinem Volk alles geben, was es zu geben gibt. Es interessiert mich nicht, was du tust. Es interessiert mich nicht, mit wem du geschlafen hast. Und es ist mir auch egal, wer dein Leben finanziert. Ich will nur nicht angelogen werden.“

„Du hast meine Ehrlichkeit nicht verdient“, sagte sie, und ihre Brust fühlte sich eng an. „Ich gebe anderen Menschen nicht leichtfertig Einblick in mein Leben und meine Geheimnisse.“

„Ach, und warum?“

„Abgesehen von der Tatsache, dass die Presse bereits versucht hat, aus mir eine öffentliche Attraktion zu machen? Ich werde mich dem nicht aussetzen. Ich weigere mich. Ich werde mich nicht zum Vergnügen eines Mannes erniedrigen. Am allerwenigsten für dich.“

„Solange du eine gute Schauspielerin bist, ist mir das herzlich egal.“

Er bewegte sich, und sie atmete seinen würzigen Duft ein. Eloises Innerstes vibrierte. Ihr größtes Problem war, dass sie sich gar nicht verstellen musste, um so zu tun, als ob sie sich zu ihm hingezogen fühlte.

Ihr größtes Problem war, dass es jeder sehen können würde.

Allen voran er.

Der Wagen hielt vor einem Hochhaus aus Glas und Stahl, in dessen Fenstern sich die Berge spiegelten. Die Intensität des Anblicks nahm ihr die Luft. Das hier war also sein privater Palast. Ganz anders als der traditionelle Palast, in den sie heute Abend gehen würden. Die Zurschaustellung seiner Macht war offensichtlich. Ein Mann, der sein eigenes Geld verdient und es nicht den Bürgern von Arista aus der Tasche gezogen hatte. Die Türen des Gebäudes öffneten sich automatisch. Die Lobby war grandios. Hochmoderne Architektur, die golden schimmerte und nicht im erwarteten Chrom. Dabei war nichts daran kitschig, es hatte etwas Warmes an sich.

Die Türen zum Aufzug hatten den gleichen, mattglänzenden Goldton. Vincenzo hielt seinen Finger einige Sekunden an die Bedienungsoberfläche und die Türen öffneten sich.

„Das hier ist mein Privatfahrstuhl. Der einzige Weg zu meinem Penthaus.“

„Du hast dich also doch zum König von Arista gemacht.“

Die gläserne Rückwand des Fahrstuhls gab den Blick auf die Stadt frei. Sie schwiegen. Dann bemerkte Vincenzo: „Unsere Sachen kommen bald. Du kannst dich gleich ausruhen.“

„Ich würde gern was essen.“

„Wir essen später im Palast.“

„Ja, aber bis dahin habe ich nur Angstgefühle im Bauch. Ich möchte vorher was essen.“

Im Penthaus angekommen, machte Vincenzo eine einladende Geste in den kahlen, modernen Raum hinein. Der Boden war schwarz, die Theke aus Zement. Auch hier waren die Details aus Gold. „Fühl dich wie zu Hause.“

Sie ging in den Küchenbereich und öffnete den Kühlschrank, ebenfalls mit goldenen Griffen. Darin befanden sich Obstteller, Aufschnitt- und Käseplatten – als hätte jemand Snacks für eine Party vorbereitet. Sie nahm alles heraus und begutachtete die Häppchen begeistert. „Das sollte reichen.“

Sie stellte die Platten auf der Arbeitsfläche ab und deckte sie auf. Dann kramte sie nach einem Teller und füllte ihn mit einer großzügigen Portion von jedem Tablett.

Er beobachtete sie, mit dem Rücken an die Kücheninsel gelehnt.

„Dafür habe ich eigentlich Personal“, sagte er.

„Ich kann mir allein einen Teller füllen, ohne dass du jemanden herbeirufen musstest. Alles gut.“

Sie schaute sich um und stellte fest, dass es in dem Raum keinen Esstisch gab. Also nahm sie alles mit auf die niedrige Ledercouch mit Blick auf die bodentiefen Fenster.

Sie setzte sich und steckte sich eine Weintraube in den Mund. „Das ist lecker.“

„Danke“, sagte er trocken.

„Ich versuche immer, höflich zu sein.“

„Was für ein Spiel spielst du?“

„Ich spiele kein Spiel. Ich glaube aber, dass du selbst ein Spieler bist und es dich deshalb nervös macht, dass du nicht genau weißt, was ich vorhabe. Was dich dabei wohl am meisten verwirrt, ist, dass ich gar nichts vorhabe. Nichts. Ich bin keine Bedrohung. Ich bin bloß ich. Ich habe mich verändert und hart daran gearbeitet, die Eloise zu werden, die ich heute bin. Also hör auf, nach der Schlange im Gras zu suchen. Es gibt keine.“

„Wie soll ich …“

„Du bist zu mir gekommen, Vincenzo. Sonst wäre ich nie hierher zurückgekehrt.“

„Du hast sofort eingewilligt.“

„Ja, und das habe ich auch so gemeint. Wenn du Hilfe brauchst, helfe ich dir. Du versuchst, dein Land zu retten – zumindest, soweit ich das zwischen deinen Drohungen erkennen kann. Das respektiere ich. Dein Vater ist mit diesem Land nicht gut umgegangen. Für mich klingt es, als wärst du die einzige Person, die was unternehmen will. Und die Tatsache, dass du bereit bist, die Macht an das Volk abzugeben … Trotz deines Rumgetönes glaube ich, dass du es gut meinst. Ich glaube, dass du das Richtige für dein Land tun willst. Und Arista ist immerhin für viele Jahre meine Heimat gewesen. Also werde ich dir helfen. Aber ich will mich nicht bereichern.“ Sie aß ein Stück Käse. „Obwohl ich gutem Essen nicht abgeneigt bin.“

Zum ersten Mal in seinem Leben war Vincenzo so verblüfft, dass ihm die Worte fehlten.

Doch es dauerte nicht lange, bis ihre Kleidung eintraf, und Eloise wurde weggebracht, um sich umzuziehen. Sie kam zurück in dem herrlichen grünen Kleid, das ihr nun perfekt auf die Kurven geschneidert war.

Als sie das Hotel verließen, wartete die Presse schon auf sie. Das Blitzlichtgewitter ging los und das Gedränge um sie herum war groß.

„Ist das Eloise St. George? Die Geliebte deines Vaters? Wo hat sie sich all die Jahre versteckt?“ Die Presse bestürmte sie mit Fragen. Es war wie eine unaufhörlich hämmernde Trommel. Der ungewohnte Rummel warf Eloise auf einen Schlag zurück in die Zeit, als sie 18 gewesen war, mit gebrochenem Herzen und unerwiderten Gefühlen für Vincenzo. Die Zeit, als sie sich in der Rolle der Hure wiedergefunden hatte.

Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie kurz dachte, sie müsste sich übergeben.

„Ja, das ist Eloise St. George“, antwortete Vincenzo gelassen. „Und Sie kennen sicher die alten Geschichten über sie. Doch Sie kennen nicht die Wahrheit, wie sie in den Palast kam. Ihre Mutter ist die Geliebte meines Vaters, seit Eloise sechs Jahre alt war. Eloise und ich kennen uns seit unserer Kindheit. Wie viele von Ihnen gab ich ihr damals die Schuld für das Verhalten meines Vaters. Doch sie war 18. Mein Vater war ein König. Die Presse hat sie gejagt und wie eine Sünderin behandelt. Wir sind hier, um den wahren Schuldigen zu entlarven.“

„Eloises Mutter ist die Geliebte Ihres Vaters?“, fragte einer der Männer. „Es hieß, dass die Indiskretion mit Eloise St. George die einzige war …“

„Sie werden feststellen, dass mein Vater mit der Wahrheit flexibel umgeht, wenn es ihm passt. Dass der König sich nicht an die gleichen Maßstäbe hält wie sein Volk. Es wird Sie schockieren, wenn Sie erfahren, wie sehr mein Vater Arista im Stich gelassen hat.“

„Haben Sie Beweise?“, fragte ein anderer Reporter.

„Ich habe jede Menge Beweise“, sagte Vincenzo. „Ich werde sie Ihnen auch geben. Aber jetzt muss ich Eloise zum Essen in den Palast bringen. Sie hat schon lange darauf gewartet. Ich bin hier, um meinem Vater zu sagen, dass er erledigt ist.“

Dann lächelte er, grausam wie ein Raubtier. „Sie werden alle Informationen bekommen, die Sie brauchen, um seinen Ruin zu vollenden.“

5. KAPITEL

Er hatte fast Mitleid mit Eloise. Sie war blass, angespannt und schweigsam, während sich die Limousine unweigerlich dem Palast näherte.

Seit die Reporter sie vor seinem Penthaus überfallen hatten, hatte sie kein Wort gesagt. Er konnte die Angst, die von ihr ausging, förmlich fühlen.

„Bist du nervös?“, fragte er.

Zum ersten Mal dachte er, dass er sich verkalkuliert haben könnte. Sie wirkte von all dem tief verletzt. Er hatte Annahmen über sie angestellt, die alle auf seinem Glauben an ihre Schuld an der Affäre mit seinem Vater basierten.

Das hatte jahrelang sein Bild von ihr geformt.

Als sie ankamen, spürte er, wie sich sein Magen verkrampfte. Gleichzeitig merkte er, wie sich ihr Körper versteifte.

Vincenzo war seit dem Tod seiner Mutter vor einem Jahr nicht mehr hier gewesen.

Selbst damals war er nur hergekommen, um sich von ihr zu verabschieden. Er konnte sich noch genau an das schale Gefühl erinnern, das ihn damals an diesem Ort erwartet hatte. Die Bitterkeit aus vielen Jahren steckte in den Mauern, in der Luft. Und in ihm.

Sie stiegen an der Vorderseite des strahlend weißen Palastes aus – ein Zeugnis der vermeintlichen Reinheit seines Herrschers.

Als sie an der Schwelle zum Palast standen, nahm er ihren Arm. Und plötzlich – fing Eloise an zu lachen.

„Was ist denn jetzt los?“

„Oh, ich wollte nur … Genau das hier wäre mein Traum gewesen, als ich sechzehn war. Mit dir an meiner Seite den Palast zu betreten. Ich wäre das glücklichste Mädchen der Welt gewesen.“

Vincenzo runzelte die Stirn. „Also, im Moment untergräbst du unsere Wirkung. Sie sollte bedrohlicher sein. Kichern ist nicht der Ton, den wir anschlagen wollen.“

„Was du der Welt zu sagen hast, ist schon bedrohlich genug. Müssen wir es noch schlimmer machen, indem wir uns wie auf einer Beerdigung verhalten?“

„Dachtest du, dass das hier ein gemütliches Familientreffen wird?“

„Wohl kaum.“ Sie gab einen seltsamen, erstickten Laut von sich. „Wir sind praktisch Stiefgeschwister.“

Er zuckte fast zurück. „Wir sind nichts dergleichen. Unsere Eltern sind nicht verheiratet.“

Sie blieben stehen und sahen sich einen Augenblick lang an. Er spürte, wie sein Blut zu kochen begann. Doch es war nicht nur das. Da war auch eine unerwartete Solidarität. Er hatte gedacht, sie hierherzwingen zu müssen – aber sie hatte angeboten, freiwillig mitzukommen. Als Freundin.

Selbst nach allem, was passiert war …

Sie wurden offiziell angekündigt und durch die langen Gänge in den prunkvollen Speisesaal geführt, wo sein Vater am Kopfende der Tafel saß. Zu seiner Rechten Eloises Mutter.

Sie blickte auf und ihre Augen funkelten kalt wie Diamanten.

Als Vincenzos Mutter noch am Leben war, hatte die Geliebte seines Vaters nie an dieser Stelle sitzen dürfen!

„Wie schön, dass du heute Abend bei uns sein kannst, Vincenzo“, säuselte sie und spielte die großzügige Gastgeberin.

Ihm wurde schlecht vor Wut.

„Die anderen Gäste werden auch gleich eintreffen“, sagte sein Vater.

Es dauerte einen Moment.

Nur einen Augenblick, bis Eloises Mutter ihre Tochter erkannte. Und noch eine weitere Sekunde, bis es auch sein Vater tat.

„Was soll das sein?“, fragte sein Vater.

„Oh, das“, sagte Vincenzo. „Ich habe Eloise mitgebracht. Als Geliebte. Ich habe festgestellt, dass ich großen Gefallen an ihr gefunden habe.“

Eloises Mutter bedachte ihre Tochter mit einem abschätzigen Blick.

„Ausgeschlossen“, sagte sie. „Sie hat mindestens 15 Kilo zugenommen. Ich hätte gedacht, dass ein Mann deiner Herkunft einen besseren Geschmack hat.“

Was ihn ebenso überraschte wie der Anflug von Solidarität vor einigen Minuten, war die Wut, die er auf einmal gegenüber ihrer Mutter empfand. Wie sie Eloise ansah …

Sie hasste ihre Tochter, das wurde ihm klar. Weil sie jung und schön war. Ihre eigene Tochter stellte sie in den Schatten und das konnte sie nicht ertragen.

„Keine Sorge, mein Geschmack ist unfehlbar“, sagte er. „Und ich habe beschlossen, mit unserer Beziehung an die Öffentlichkeit zu gehen.“

Sein Vater musterte ihn kühl. „Alle Gäste heute Abend sind sich über die Art meiner Beziehung zu Cressida St. George im Klaren. Es ist mein engster Kreis.“

„Da bin ich sicher, Vater“, sagte er. „Aber dein Klüngel ist eine Sache – die Öffentlichkeit eine andere. Ich habe bereits mit der Presse gesprochen. Natürlich erinnern sie sich alle an die einzige Sünde, bei der du je erwischt wurdest. Du hast es so aussehen lassen, als wärst du ein Opfer gewesen. Ich kann das Gegenteil beweisen und ich werde dafür sorgen, dass die Welt es erfährt. Nicht nur von deiner sexuellen Indiskretion, sondern von allem, was du Arista gestohlen hast. Du hast dieses Land und sein Volk betrogen, und ich werde dafür sorgen, dass dieses Unrecht aufgedeckt und wiedergutgemacht wird.“

Das Gesicht seines Vaters entwickelte einen besorgniserregenden Rotton, doch da trafen bereits neue Gäste ein und setzten sich nach und nach an den Tisch.

Eloise wirkte verhalten. Während Vincenzo mit den Männern neben sich über Aristas Wirtschaft redete, spürte er, wie sie neben ihm immer mehr in sich zusammenschrumpfte.

Schon wieder erwachte in ihm dieser Drang, sie zu beschützen. Er konnte sich das nicht erklären; er war hier, um sich zu rächen. Er war auf einer Mission für sein Land. Trotzdem fühlte er sich in ihren Bann gezogen. Das war nicht Teil seines Plans.

Vincenzo beschloss, heute Abend nichts mehr zu seinem Vater zu sagen. Er verließ die Tafel zur gleichen Zeit wie der Rest. Doch sein Vater erwischte ihn beim Gehen.

„Eloise und ich fahren ins Penthaus“, sagte Vincenzo. „Ich würde gern früh ins Bett mit ihr. Das kannst du sicher gut verstehen.“

„Du bist mit ihr aufgewachsen“, erwiderte sein Vater.

„Und du hast sie ausgenutzt“, sagte Vincenzo.

„Du wirst damit nicht an die Öffentlichkeit gehen“, sagte sein Vater.

„Bin ich bereits.“

Plötzlich streckte sein Vater die Hand aus und packte Eloise am Arm. „Wenn du die Hure spielen willst …“

„Das habe ich nie getan“, sagte sie bedrohlich ruhig. „Und das weißt du auch genau. Aber als ich dir einen Korb gegeben habe, hast du die Story über unsere angebliche Affäre nach außen getragen, weil du dachtest, dass sie von der Wahrheit ablenken würde. Jemand ist damals der Wahrheit über das Verhältnis zwischen dir und meiner Mutter gefährlich nah gekommen. Die Lügengeschichte über deine Liaison mit der blutjungen Eloise St. George ist die perfekte Ablenkung gewesen!“

Vincenzo stand wie erstarrt da.

Er hatte ja keine Ahnung gehabt!

„Erst wusste ich nicht genau, warum ich zurückgekommen bin“, sagte Eloise, ihre Stimme klang kalt und distanziert. „Aber jetzt ist es mir klar. Ich wollte bei deiner Absetzung in der ersten Reihe sitzen. Du hast meinen Ruf vor den Augen der Welt zerstört. Und ich will nicht, dass du das letzte Wort hast. Nein, das letzte Wort werde ich haben. Du konntest mich nicht zwingen, deine Geliebte zu sein. Und du wirst mich nicht zum Schweigen bringen. Du bist ein kranker, perverser alter Mann. Mag sein, dass du meine Mutter zu deiner Marionette gemacht hast – aber mit mir hast du das nie geschafft. Du übrigens auch nicht, Mutter“, sagte sie und sah ihr fest in die Augen. „Alles, was ich heute bin, habe ich mir selbst zu verdanken.“

Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus dem Ballsaal. Vincenzo blieb eine Sekunde stehen – bis er begriff, dass sein Platz jetzt an ihrer Seite war. Hatte er sie nicht hierhergebracht? Waren ihr Kummer und ihr Schmerz nicht auch seine Schuld?

Jahrelang hatte er eine Lüge geglaubt. Genau wie alle anderen war er bloß eine Schachfigur im Intrigenspiel seines Vaters gewesen. Das tat ihm fast so weh wie das Schuldgefühl, das ihn jetzt überkam.

„Eloise“, sagte er atemlos und kam ihr hinterher. „Erzähl mir, wie es wirklich war.“

„Ach, jetzt willst du mich anhören? Du hättest es immer wissen müssen, Vincenzo. Gerade du hättest es immer wissen müssen.“

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