Julia Extra Band 529

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IN DEN ARMEN DES GEHEIMNISVOLLEN MILLIONÄRS von DANI COLLINS
Dass die sexy Unbekannte ihn nach einer einzigen Nacht wortlos verließ, kann Ex-Agent Everett Drake nicht vergessen. Obwohl er nur ihren Namen kennt, gelingt es ihm, Bianca aufzuspüren. Sofort prickelt es wieder zwischen ihnen, doch die Schatten der Vergangenheit drohen ihr Glück zu zerstören …

AUF DER JACHT DES ITALIENISCHEN TYCOONS von CATHY WILLIAMS
Single Dad Niccolo Ferri braucht dringend eine Nanny für seine Tochter. Doch statt der erfahrenen Kinderfrau tritt die junge Sophie den Job an. Wie soll er dieser blonden Versuchung nur aus dem Weg gehen? Denn eins darf er nicht: sich noch einmal verlieben …

HEISSE KÜSSE - NUR AUS RACHE? von JACKIE ASHENDEN
Fünfzehn Jahre galt Valentin Silvera als vermisst. Damals täuschte er seinen Tod vor, um seinem machtbesessenen Vater zu entkommen. Jetzt ist der Selfmade-Millionär zurück und will sich holen, was ihm gehört: sein rechtmäßiges Erbe und seine Jugendliebe Olivia – die Verlobte seines Bruders!

AFFÄRE GESUCHT, LIEBE GEFUNDEN! von MICHELLE DOUGLAS
Ella muss beweisen, dass sie endlich bereit für einen Neuanfang ist! Nur deshalb lässt sie sich auf den Flirt mit Playboy Harrison Gillespie ein. Doch was als prickelnde Scharade auf der exotischen Strandhochzeit ihrer Freunde beginnt, entwickelt sich zu einem sinnlichen Spiel mit ganz eigenen Regeln …


  • Erscheinungstag 03.01.2023
  • Bandnummer 529
  • ISBN / Artikelnummer 9783751518093
  • Seitenanzahl 450
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Dani Collins, Cathy Williams, Jackie Ashenden, Michelle Douglas

JULIA EXTRA BAND 529

PROLOG

New York, vor sechs Monaten.

Everett Drake war in der denkbar schlechtesten Stimmung. Er langweilte sich.

Du hast Glück. Du wirst es genießen!

Die wenigen Menschen, die von seinem vorzeitigen Ruhestand erfahren hatten, hatten alle begeistert auf diese Neuigkeit reagiert.

„Ich bin so froh, dass du raus bist“, waren die Worte seiner Mutter gewesen. Sie war einfach nur erleichtert, dass er nicht länger Agenten für den amerikanischen Geheimdienst betreute.

Everett hingegen war nicht froh über sein Karriereende. Er war wütend. Nach Miami ziehen und an Autos herumbasteln – das war etwas für Männer, die doppelt so alt waren wie er! Er dagegen stand in der Blüte seines Lebens. Und er sollte etwas Sinnvolles tun.

Er wollte etwas Sinnvolles tun.

Aber gut. Er würde sich schon daran gewöhnen, ein ruhiges Leben zu führen. So wie normale Leute. Na ja, reiche normale Leute. Er besaß so viel Geld, dass er tun und lassen konnte, was immer er wollte. Er könnte sogar weiter der verschwendungssüchtige Playboy bleiben, als der er in den letzten fünfzehn Jahren gelebt hatte, jedenfalls zur Tarnung.

Leider hatte ihm nichts an diesem Leben gefallen. Nicht die Reisen, nicht die Partys. Alles fühlte sich sinnlos an. Autorennen, das hätte ihm vielleicht Spaß gemacht, aber das konnte er seiner Mutter nicht antun … Und er konnte sie sogar verstehen.

Als er das Charterflugzeug bestieg, übergab er der Stewardess sein Handgepäck. Die Ersatzteile für seinen Oldtimer, für die er persönlich nach New York geflogen war – weil er so dringend etwas zu tun brauchte –, waren bereits im Gepäckraum verstaut.

Aus alter Gewohnheit warf er einen Blick auf die Passagierliste, um die Namen seiner Mitreisenden zu lesen. Dort stand nur einer: Bianca Palmer. Den Namen hatte er noch nie gehört.

Das spielt auch keine Rolle mehr, erinnerte er sich. Er musste sich keine Gedanken mehr darüber machen, dass er enttarnt werden könnte. Er war nicht mehr in der Branche.

Er betrat die Kabine und warf der Frau in einem der Sitze links von ihm einen Blick zu. Augenblicklich begann es in seinen Ohren zu rauschen, als ob sein Blut schneller strömte. Die instinktive Reaktion eines Mannes auf eine schöne junge Frau …

Verführerische Kurven und ein geschmeidiger Körperbau. Schlanke Waden unter einem engen Rock. Ihre Seidenbluse war am Hals geöffnet und gab den Blick auf ein goldbraunes Dekolleté frei. Ihre Kleidung war vermutlich ähnlich kostspielig wie sein eigener Maßanzug und seine italienischen Schuhe.

Beruflich erfolgreich, schloss er kurz, aber ihrer Frisur nach zu urteilen, irgendetwas im kreativen Bereich. Das lange brünette Haar trug sie seitlich gescheitelt und von einem Ohr um den Hinterkopf zum anderen zu einem Zopf geflochten, dazu goldene Creolen in den Ohren. Sie mochte sieben oder acht Jahre jünger sein als er.

Raffiniertes Make-up betonte ihre Züge, und ein verspielter, lang gezogener Lidstrich zierte die Augenwinkel. Ihr makelloser goldbrauner Teint wirkte fast olivfarben. Die Nase war elegant geschwungen und die Kinnpartie kräftig, aber sehr weiblich. Weinroter Lippenstift bedeckte ihren breiten Mund, glänzend genug, um ihre Lippen verführerisch schimmern zu lassen.

Einladend.

Als sie etwas in ihre Handtasche fallen ließ, sah sie auf, und ihre Blicke trafen sich. Und hielten einander instinktiv fest. Er konnte sehen, wie sie schluckte, und eine Welle der Erregung erfasste ihn.

Chemie. Eine wunderbare Sache, wenn sie beide Parteien gleichermaßen empfanden, wie es jetzt gerade der Fall war.

„Guten Morgen.“

„Guten Morgen.“ Ihre Stimme hatte einen heiseren Unterton.

Er war sich nicht sicher, ob dieser natürlich war oder ob es daran lag, dass er ihr so gefiel wie sie ihm. Sie senkte den Blick auf ihre Hände, die sie auf dem Schoß gefaltet hatte.

In diesem Augenblick traf ihn mit Wucht ein anderer Eindruck, einer, der noch intensiver war als sein Verlangen.

Er spürte die Spannung hinter ihrer makellosen Fassade. Verletzlichkeit, Vorsicht.

Geheimnisse.

Seine Nackenhaare stellten sich auf. Sein Talent, Gefahren zu wittern, hatte ihn und andere am Leben erhalten, öfter, als er zählen konnte.

Ihm wurde bewusst, dass sein erotisches Interesse an dieser Frau von einem Teil in ihm ausging, der der Gefahren liebte, nach Antworten suchte, immer.

Er war süchtig nach Adrenalin. Das wusste er schon lange. Aber was auch immer mit dieser Frau los war: Es war nicht sein Problem.

Ignoriere sie. Geh, leb dein Leben, befahl er sich.

Aber welches Leben? Die Langeweile würde ihn wahrscheinlich schneller umbringen, als es sein altes Leben hätte tun können.

„Darf ich Champagner bringen? Oder einen Cocktail?“, fragte die Stewardess und nahm die Jacke entgegen, die Everett auszog.

„Nicht für mich, danke“, erwiderte Bianca mit ihrer sinnlichen Stimme.

„Kaffee“, sagte Everett. Er setzte sich und widerstand dem Drang, seinen Sitz zu drehen, damit er sie besser sehen konnte. Sie war nichts für ihn. Nicht heute. Niemals.

Die Frau wandte das Gesicht zum Fenster und verschränkte wieder die Hände im Schoß. Ringlose Hände, bemerkte Everett.

Hätte sie doch nur einen Ehering oder Diamanten getragen. Dann wäre es so viel leichter für ihn, die Anziehungskraft ohne einen weiteren Gedanken abzutun. Er hatte in seinem Leben nie mehr als absolut nötig gelogen. Und sich mit einer Frau einzulassen, die ihren Partner betrog, kam nicht für ihn infrage.

Aber so? Auch wenn er sich als ausschweifender Playboy ausgab, hatte er nicht annähernd so viel Sex, wie man vermuten würde. Also: Warum zum Teufel sollte er nicht eine Nacht mit ihr verbringen, wenn sie es auch wollte? Vielleicht in einem Hotel, nur für diese eine Nacht.

Nur ein Drink. Ein Abendessen. Gerade genug, um ihre Story herauszufinden.

Nein.

Er sollte die Finger von ihr lassen. Aber er konnte sie einfach nicht ignorieren.

Jetzt wurde die Leiter eingefahren und die Tür geschlossen. Ihr Kopf war immer noch zum Fenster geneigt, aber er wusste, dass sie ihn genauso intensiv wahrnahm wie er sie. Da war eine Spannung zwischen ihm und ihr, die sich nicht ignorieren ließ. Er wusste, dass sie ihm heimliche Blicke aus den Augenwinkeln zuwarf, weil er dasselbe tat.

Schätzte er sie richtig ein? Vielleicht war sie einfach nur nervös, weil sie Flugangst hatte.

Als das Flugzeug anrollte und die Stewardess sich auf ihrem eigenen Sitzplatz anschnallte, drehte er sich zu ihr: „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich fliege ständig mit dieser Charterlinie. Diese Jets sind sehr zuverlässig. Sie werden keine Turbulenzen spüren.“

Sie warf ihm einen schuldbewussten Blick zu. „Ist das so offensichtlich?“

Sie setzte sich auf, ihre Haltung veränderte sich, und plötzlich wirkte sie ganz gelassen.

Beeindruckend. Eine so meisterliche Selbstbeherrschung, als würde sie an einem Pokerspiel mit hohen Einsätzen teilnehmen.

Finger weg! sagte sein Verstand energisch. Doch er verdrängte den Gedanken.

Ihre heitere Maske, hinter der sie ein Geheimnis verbarg, faszinierte ihn viel zu sehr. Nur mit Mühe wandte er den Blick von ihren Brüsten ab, die unter ihrem raschen Atem bebten.

„Ich könnte Sie ablenken“, schlug er vor. „Fahren Sie geschäftlich oder zum Vergnügen nach Miami? Familienbesuch?“

Er sah ihren überraschten Blick, als sie merkte, dass er mit ihr flirtete.

Wie konnte sie überrascht sein? Frauen mit so viel Sexappeal wurden mit Annäherungsversuchen überschwemmt. Mit angehaltenem Atem wartete er auf ihre Reaktion.

Sie blinzelte verwirrt. Während sie offensichtlich überlegte, wie sie mit seiner Aufmerksamkeit umgehen sollte, rieb sie ihren Ringfinger.

Ah. Es gab zwar keinen Ring, aber vielleicht war der Finger noch nicht lange ungeschmückt.

Das war der Punkt, an dem er sich zurückziehen sollte. Aber er konnte sich nicht erinnern, wann er jemals ein so unwiderstehliches Verlangen gespürt hatte. Er zwang sich, seinen Kaffee heiß herunterzustürzen, um die Enttäuschung in seiner Kehle wegzubrennen, während er sie weiter beobachtete.

Sie klammerte sich nicht an die Armlehne, zeigte keine Angst, als das Motorengeräusch lauter wurde und das Flugzeug an Fahrt gewann. Selbst als sie beim Abheben in ihre Sitze gedrückt wurden, wirkte sie vollkommen entspannt.

Er bildete sich jedoch nicht ein, dass seine Aufmerksamkeit sie von ihrer Angst abgelenkt hatte. Wovor auch immer sie Angst hatte: Offenbar hatte es nichts mit dem Fliegen zu tun.

Die Erkenntnis verstärkte die Alarmsignale in seinem Kopf, aber seine ganze Willenskraft schien auf dem Boden zurückgeblieben zu sein. Er fühlte sich so wach und lebendig wie schon seit Monaten nicht mehr.

„Ich weiß nicht genau, was ich darauf antworten soll“, kam sie auf seine Frage zurück, als sie in der Luft waren. „Ein bisschen von allem. Geschäft, Vergnügen und Familie. Meine Großmutter ist vor Kurzem gestorben.“

„Das tut mir leid“, sagte er höflich.

„Ich kannte sie nicht“, entgegnete sie. „Sie hatte den Kontakt mit meiner Mutter abgebrochen. Wir haben uns ein paar Mal bei ihr gemeldet, aber nie eine Antwort bekommen. Dann bekam ich aus heiterem Himmel einen Brief, in dem stand, dass meine Großmutter mir ihre Wohnung hinterlassen hat. Jetzt fliege ich nach Miami, um sie zu verkaufen.“

E sah ihr in die Augen und … verdammt.

Er kannte diesen Blick. Sie hoffte, dass er sich mit der Erklärung zufriedengab. Sie verschwieg ihm etwas.

Aber das musste nichts bedeuten. Sie waren Fremde. Manche Menschen öffneten sich gerade deshalb rückhaltlos, aber nicht alle.

„Das hört sich nach einer schwierigen Situation an.“

„Das ist es. Schön, dass Sie das verstehen.“ Sie lächelte, doch dann zogen sich ihre Brauen verärgert zusammen. „Alle scheinen zu denken, ich hätte im Lotto gewonnen. Aber ich hätte eine Beziehung zu meiner Großmutter vorgezogen. Ich meine, sie hat mir nicht einmal eine Karte geschickt, als ihre eigene Tochter starb, aber sie hat mich zu ihrer Erbin gemacht? Das ist bizarr, oder nicht?“

Vielleicht war das die Ursache ihrer Anspannung. Die Zerrissenheit dabei, etwas von jemandem anzunehmen, der ihre Mutter verletzt hat.

„Es gibt viele Gründe, warum jemand andere auf Distanz hält. Scham. Wut. Geheimnisse.“

Und Selbsthass.

Schuld.

Aus all diesen Gründen vermied Everett intime Beziehungen.

„Ich weiß, aber …“ Sie verzog den Mund.

Als sich dieses Mal ihre Blicke trafen, erkannte er Neugierde in ihren Augen. Sie ließ ihren Blick über sein glatt rasiertes Gesicht gleiten, dann musterte sie im Bruchteil einer Sekunde seine Schultern, Brust und Oberschenkel. Es war ihm nicht unangenehm. Durch sein Kampftraining hielt er sich perfekt in Form.

Dann blickte sie rasch auf seine linke Hand.

Everett hatte es mit langfristigen Beziehungen versucht. Sie waren immer gescheitert, hauptsächlich weil seine Arbeit im Weg stand und die Frauen sich vernachlässigt fühlten. Jetzt hatte er jedoch alle Zeit der Welt, und ihr Interesse freute ihn genauso wie ihre nächsten Worte.

„Und Sie? Warum fliegen Sie nach Miami?“

Ich lebe dort.

Das hätte er sagen sollen, aber jahrelang antrainierte Instinkte ließen ihn ausweichend antworten. „Dort liegt eine Jacht, die ich vielleicht kaufen möchte. Ich bleibe nur eine Nacht …“

Grenzen ziehen. Immer zog er von Anfang an klare Grenzen. Aber in diesem Flugzeug hätte er schon vor zehn Minuten den Mund halten sollen. Doch in ihm tobte es. Er wusste, dass er seinen Verstand nicht ignorieren durfte, aber seine Lust hatte besseres Wissen längst besiegt.

„Ich bin um sechs Uhr frei und esse allein. Es sei denn, Sie würden mir Gesellschaft leisten?“

Sie neigte den Kopf, während sie über seine Einladung nachdachte. Eine Sekunde lang hatte er den Eindruck, in einen Spiegel zu schauen. Sie versteckte eindeutig mehr, als sie zeigte.

Ein Teil von ihm hoffte auf eine Abfuhr. Das kam selten vor, aber wenn, störte es ihn normalerweise nicht. Aber diesmal … wenn sie ablehnen würde, wäre er mehr als enttäuscht.

Doch sie lächelte ihn fast schüchtern an. „Das würde mir gefallen.“ Sie beugte sich vor und reichte ihm ihre Hand. „Ich bin Bianca.“

Als er ihre Hand nahm, durchzuckte ihn pures Verlangen. Ihr Atem stockte, als hätte sie etwas Ähnliches empfunden. Bevor er ihre Hand losließ, fuhr er mit seinem Daumen über ihre Fingerknöchel.

Er sollte sich wirklich zurückziehen. Diese Frau stellte eine Gefahr dar, wie er es noch nie erlebt hatte. Es wäre Wahnsinn, sich mit ihr einzulassen.

„Everett“, erwiderte er. „Ich reserviere einen Tisch in meinem Hotel.“

1. KAPITEL

Miami, sechs Monate später.

Bianca Palmer hatte den idealen Job gefunden für eine Frau, die sich verstecken musste, vor Kriminellen, die sie verraten hatte, und vor Reportern und dem Gesetz.

Als sie in einem Café in der Nähe ihres schäbigen Zimmers ein Inserat mit dem Titel „Wir finden Arbeit für Sie“ entdeckt hatte, hatte sie kurzentschlossen die Nummer angerufen.

In Miami gab es zahllose Firmen, die Schwarzarbeiter in Privathaushalte vermittelten, und hinter der Annonce verbarg sich eine davon.

Obwohl sie ihr Haar blau gefärbt und kurz geschnitten hatte, fühlte sie sich nicht sicher, also setzte sie auch noch graue Kontaktlinsen ein und sprach mit dem puerto-ricanischen Akzent einer alten Schulfreundin.

Bei ihrem Wunsch, nur in bar bezahlt zu werden, zuckte der Arbeitsvermittler nicht mit der Wimper. Und als sie dem Manager noch besondere Diskretion als Bonus anbot und eine Geschichte über ihre kranke Großmutter erzählte, die sie unterstützen musste, hatte sie den befristeten Job als Vertreterin der Haushälterin bekommen.

Dazu gehörte auch, dass sie im Poolhaus der Villa ihrer Arbeitgeber leben durfte. Es war nicht das extravaganteste Haus in der Nachbarschaft, aber sehr elegant mit einem Pool, fünf Schlafzimmern im Haupthaus, neun Bädern, einem Heimkino und einem Aufzug zu einer Bar auf der Dachterrasse.

Der Fuhrpark in der Garage war beeindruckend: ein Motorrad, ein SUV, ein moderner Sportwagen und zwei Oldtimer in unterschiedlichen Stadien der Restaurierung.

Das Anwesen war extrem gut geschützt. Jede Tür und jedes Fenster waren mit einer Alarmanlage gesichert. Eine hohe Ziegelmauer umgab das Grundstück, und Überwachungskameras überwachten jeden Winkel des Geländes.

Über ihre Arbeitgeber wusste Bianca nur, dass sie sich gerade scheiden ließen und das Haus während der Zeit unbewohnt blieb. Sie hatte den Arbeitsvermittler nicht nach weiteren Informationen gefragt. Der Job war einfach perfekt gewesen.

Die Unterkunft im Poolhaus war Teil ihres Gehalts, und ihre Aufgaben bestanden darin, Staub zu wischen, Staub zu saugen, den kleinen Rasen zu mähen und die Fenster zu polieren.

Es gab so viele Fenster. Alle boten eine atemberaubende Aussicht und waren gegen die intensive Sonne Floridas getönt. Sie war vor neugierigen Blicken sicher, wenn sie in der Lounge neben dem Flügel stand und darüber nachdachte, wie all die Menschen in den Wolkenkratzern in Miami Beach ihrem ganz normalen Leben nachgingen, mit Freunden, Familie, Kollegen.

Sie versuchte, so wenig wie möglich darüber nachzudenken. Sonst sehnte sie sich zu sehr nach Lebendigkeit. Nach einem Leben, im dem sie in einer überfüllten U-Bahn sitzen und lebhafte Gespräche in Sprachen belauschen konnte, die sie nicht kannte. Durch die Straßen der Stadt zu schlendern, würzige Aromen einzusaugen und schließlich eine Haustür zu öffnen und zu rufen: „Ich bin zu Hause!“

Sie sehnte sich danach, dass ihr jemand antwortete.

Stattdessen reinigte sie den Pool, machte Yoga unter den Orangenbäumen und versuchte sich einzureden, dass diese Isolation ein Geschenk war. Sie wurde gut bezahlt und bekam ein großzügiges Budget für Lebensmittel. Die Lieferungen wurden zum Tor gebracht, sodass sie kostenlos und unentdeckt leben konnte.

Es war perfekt gewesen, als sie verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht hatte, Geld zu verdienen und gleichzeitig unterzutauchen. Aber nachdem etwas Zeit vergangen war, fragte sie sich, wer ihre Arbeitgeber sein mochten und womit sie ihr Geld verdienten.

Hatte sie das eine Verbrechen aufgedeckt, nur um jetzt für einen anderen Kriminellen zu arbeiten? Reiche Leute konnten Schwerverbrecher sein.

Das hatte Bianca auf die harte Art gelernt. Ihr Ex-Verlobter stammte aus einer Familie mit altem Geld, er hatte an einer der besten Universitäten des Landes studiert, war charmant und gut aussehend, aber er hatte die Leute mit seiner Firma Morris und Ackerley trotzdem um ihre Ersparnisse betrogen.

Noch immer kam sie sich so dumm vor, dass sie sich auf ihn eingelassen hatte! Sie hatte seine Schmeicheleien geglaubt und zugelassen, dass er ihre Trauer um ihre Mutter ausnutzte.

Seufzend pflückte sie die reifen Orangen, brachte sie wie jeden Morgen in die Küche im Haupthaus, presste den Saft aus und fror ihn in Eiswürfelbehältern ein.

Während sie arbeitete, träumte sie davon, wohin sie gehen würde, wenn sie frei wäre. Darüber dachte sie jeden Tag nach, genau wie über einen neuen Beruf, denn ihre alte Karriere hatte sie gründlich ruiniert.

Wo und wie könnte sie von vorne anfangen? Und würde irgendjemand etwas mit ihr zu tun haben wollen?

Es war schwer, die ganze Zeit allein zu sein. Sie fühlte sich schrecklich einsam. Abgesehen davon, dass sie die Gegensprechanlage beantwortete, wenn die Fahrer sie über Lieferungen benachrichtigten, hatte sie seit dem Tag, an dem sie diesen Job angenommen hatte, mit niemandem gesprochen.

Überhaupt hatte sie kaum Kontakt mit der Außenwelt, blieb offline, und um sich abzulenken, bestellte sie zusammen mit ihren Einkäufen Liebesromane.

Anfangs hatte sie noch die Nachrichten verfolgt, aber inzwischen konnte sie sich kaum noch dazu durchringen.

Gegen Morris und Ackerley wurde ermittelt. Das Unternehmen leugnete alles und zog Biancas Namen öffentlich in den Schmutz. Es war genau das, was sie erwartet hatte.

Aber es war schwer mitanzusehen. Am liebsten hätte sie sich verteidigt, ihre Stimme erhoben, aber sie nahm niemals mit irgendjemandem Kontakt auf. Ihre Angst, dass man sie entdecken könnte, war zu groß. Sie rief nicht einmal ihre eigenen Social-Media-Accounts auf.

Oder stellte Nachforschungen über ihn an.

Everett.

Bei der Erinnerung schloss sie die Augen. Nach ihrer Begegnung auf dem Flug nach Miami hatte sie nach Informationen über ihn gesucht. Sie war unschlüssig gewesen, ob sie ihn wirklich zum Abendessen treffen sollte.

Laut der Artikel in den Zeitschriften, war sein Vater ein bekannter Rennwageningenieur aus der Schweiz gewesen. Vor zwei Jahren hatte er bei einem Unfall während einer Probefahrt eine Hirnverletzung erlitten. Die Familie besaß Geld wie Heu, von dem Everett mit Anfang zwanzig einen großen Teil erhalten hatte.

Und er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Playboy geworden. Er bereiste die ganze Welt und wurde auf allen wichtigen Anlässen der Prominenz gesehen. Man sah ihn in den teuersten Nachtclubs und den bekannten Skiorten, immer mit diesem oder jenem Model oder Filmstar im Arm.

Früher war er selbst Autorennen gefahren. Ein Foto zeigte ihn als sehr jungen Mann in Monte Carlo, ohne Hemd und mit zwei extrem schönen Frauen in goldenen Shorts und Bikini-Tops im Arm.

Vom ersten Moment an war ihr klar gewesen, dass er es gewohnt war, Frauen anzusprechen. Sie hatte ihre Gründe gehabt, seine Einladung zum Abendessen anzunehmen, aber bei dem Essen hätte es bleiben sollen. Dates mit Fremden waren nicht ihre Art.

Doch sie hatte unterschätzt, wie viel Angst ihr der große Schritt machte, den sie im Begriff war zu tun. Sie konnte etwas Ablenkung gut gebrauchen. Darum war sie das Risiko eingegangen, sich von einem Fremden verführen zu lassen.

Vielleicht hatte sie es auch nur gebraucht, in den Armen gehalten zu werden.

Seine charmante Art hatte sie entwaffnet, und gegen ihren Willen hatte sie ihm vertraut. Seine Intelligenz und seine klugen Meinungen waren genauso faszinierend gewesen wie sein scheinbar echtes Interesse an ihr.

Es hatte sie fast übermenschliche Anstrengungen gekostet, nicht mit ihren Plänen herauszuplatzen. Nur ihre lebenslange Gewohnheit, Geheimnisse zu bewahren, hatte es ihr ermöglicht, ihm nichts zu verraten.

Sie hätte sich ausgenutzt fühlen sollen, aber sie hatte ihre Nacht einfach nur genossen. Es war eine einzigartige Erfahrung gewesen. Ihr war, als hätte die lodernde Leidenschaft ihr Herz berührt. Als sie sein Zimmer verlassen hatte, fühlte sie sich im tiefsten Inneren verändert. Zentriert und selbstbewusst. Neu geboren.

Oder sie hatte sich alles eingebildet, und er war einfach nur richtig gut im Bett. Sie sehnte sich danach, ihn wiederzusehen und es herauszufinden, während ein weitaus vernünftigerer Teil von ihr vermutete, dass sie schrecklich enttäuscht sein würde.

Wahrscheinlich hatte er seitdem nicht einen einzigen Gedanken an sie verschwendet. Vielleicht erinnerte er sich nicht einmal an sie!

Was würde er wohl von den Autos hier in der Garage halten? ging es ihr durch den Kopf. Sie dachte viel zu oft an ihn, als wollte ihr Verstand ihr einen Streich spielen, wahrscheinlich weil sie so hungrig nach Gesellschaft war.

Aber sie konnte ihr Versteck sowieso nicht aufgeben. Vielleicht würde man sie nicht strafrechtlich verfolgen, wenn sie bereit war, gegen Troy Ackerley und seinen Partner Kirk Morris auszusagen. Aber sie würde den Rest ihres Lebens in Angst vor der Rache der beiden verbringen.

Nein, sie war genau dort am sichersten, wo sie war. Auch wenn sie verzweifelt einsam war.

Sie presste den letzten Tropfen Saft aus der Orangenhälfte und versuchte, nicht zu weinen.

Oh, hör auf. Selbstmitleid hat noch nie weitergeholfen.

Sie griff nach der letzten Orange.

Als sie mit der Messerklinge die Frucht berührte, drang ein leises Geräusch an ihre Ohren, ein gedämpftes, rhythmisches Klopfen. Sie stand ganz still, lauschte und versuchte, das Geräusch einzuordnen. Kein Vogel. Vielleicht – oh Gott, nein! – ein Alligator?

Ihre Muskeln spannten sich an, als es lauter wurde. Jetzt sah sie, dass die Schiebetüren zum Innenhof und dem Pool offen standen.

Sie ließ niemals Türen offen, nur diese und das auch nur, wenn sie aus ihrer Unterkunft in die Küche des Haupthauses ging. Normalerweise fühlte sie sich sicher. Die Überwachungskameras waren immer eingeschaltet und nahmen den gesamten Außenbereich auf – abgesehen von dem Tor zum Strand. Aber das Tor war immer abgeschlossen.

Sie warf einen Blick auf den Computer in der Nische neben der Speisekammer. Der Monitor zeigte den Bildschirmschoner, nicht die einzelnen Bilder der Kameras. Diese wurden nur eingeblendet, wenn eine Bewegung das System auslöste. Also musste alles in Ordnung sein.

Aber da draußen war etwas. Jemand?

Als das Geräusch näher kam, stockte Biancas Atem. Waren das Schritte? Nein, irgendwie ähnlich, aber …

Ein Mann auf Krücken stand vor der offenen Schiebetür. Bei ihrem Anblick blieb er abrupt stehen. Sie starrten einander an.

Er trug ein graugrünes Hemd mit Palmblattmuster und hellgraue Shorts. Eines seiner Knie war bandagiert, ebenso seine Fingerknöchel. Seine Wangenknochen leuchteten grell violett. Bei Biancas Anblick verengten sich seine Augen und strahlten die Wärme eines eiszeitlichen Gletschers aus.

Doch Bianca durchfuhr wilde Freude.

„Everett!“ Sie freute sich so sehr, ein Gesicht zu sehen, das sie kannte, auch wenn sie entsetzt über seine Verletzungen war. Hatte er einen Unfall gehabt?

Sie war froh, ihn zu sehen, nachdem sie so viel an ihn gedacht hatte, seit …

Dann setzte ihr Verstand wieder ein … Er sollte nicht hier sein. Er stammte aus ihrem alten Leben. Dies war ihr neues. Wie hatte er sie gefunden?

Ihr Herz hämmerte. Adrenalin schoss durch ihre Adern.

Denk nach, Bianca. Lauf!

Im Poolhaus stand eine gepackte Reisetasche, aber Everett humpelte in die Küche und stellte sich zwischen sie und die Tür zum Hof. Sein Blick wanderte umher, als suchte er nach versteckten Gefahren.

„Hallo Bianca.“ Seine Stimme klang härter, als sie sie in Erinnerung hatte.

Trotz allem nahm sie wahr, dass er noch attraktiver geworden war. Seine Schultern wirkten breiter, und seine Oberarmmuskeln traten hervor, als er sich auf seine Krücken stützte. Sein finsterer Blick war ein Hollywood-Killer-Blick, sexy genug, um ihre Knie in Pudding zu verwandeln. Gleichzeitig setzte ihr Überlebensinstinkt ein.

Sie wirbelte herum und rannte durch die hintere Tür in die Garage. Keine Tasche, kein Bargeld, aber immerhin hatte sie einen Notfallplan. Das war ihre einzige Chance.

Sie riss den Schlüssel vom Haken und rannte zu dem eleganten Sportwagen …

„Bianca!“ Sein donnernder Ruf wurde von einem Klappern begleitet.

Reflexartig schaute sie über ihre Schulter, stolperte und krachte mit der Hüfte in den Seitenspiegel des Cabrios.

„Komm ja nicht auf den Gedanken, mein Auto zu stehlen“, warnte er sie mit eiskalter Stimme. „Ich bin sowieso schon sehr ärgerlich.“ Er benutzte seine Schulter, um die Tür zur Küche aufzuhalten, während er versuchte, die Krücke aufzuheben, die er fallen gelassen hatte.

Dein Auto?“ Ihr Gehirn versuchte, das Durcheinander aus Schock und Unglauben, Angst und Fluchtzwang zu ordnen.

„Ja. Mein Auto. Mein Haus.“

Aber – das war nicht möglich. Das konnte kein Zufall sein!

Konnte er Gedanken lesen? Hatte er gewusst, wer sie war, als sie sich geliebt hatten? Dass sie nach Miami gekommen war, um unterzutauchen?

Aber woher? Niemand hatte gewusst, was sie plante.

Nichts ergab Sinn. Sie konnte nur herausplatzen: „Wie?“

Er stieß die Luft aus, als hätte er endgültig die Geduld verloren. „Komm rein. Wir müssen reden.“

„Nein.“ Sie machte Anstalten, die Autotür zu öffnen.

„Ich meine es ernst. Nimm ja nicht mein Auto.“ Er stützte sich auf beide Krücken und humpelte in die Garage. Hinter ihm knallte die Tür zur Küche zu.

Sie konnte vielleicht ins Auto springen und die Türen verriegeln, bevor er den Wagen erreichte, aber was dann? Er würde das Tor des Grundstücks verschließen, bevor sie es über die kurze Auffahrt erreichte.

Das hatte er sich offensichtlich schon selbst ausgerechnet. Seine Haltung entspannte sich leicht, während er sie musterte. „Wie geht es dir? Du siehst gut aus.“

Das bezweifelte sie. Sie wünschte sich plötzlich, sie sähe aus wie sie selbst, nicht wie ein Mitglied einer Punkrockband. Ihr braunes Haar mit den verblichenen blauen Spitzen hing in krausen Locken wirr um ihr Gesicht.

Sie besaß kein Make-up mehr, und die abgewetzten Shorts und das T-Shirt hatte sie vor sechs Monaten in einem Second-Hand-Laden gekauft.

„Wie …“ Ihre Kehle wurde immer trockener.

Mit seinen blauen Augen und seiner wachsamen Miene sah er sehr gefährlich aus. Mörderisch. Sie holte tief Luft.

„Wie bist du hereingekommen? Das Sicherheitssystem ist eingeschaltet.“

„Ich bin mit dem Boot gekommen und habe es per Telefon deaktivieren.“ Er zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte. Sein Mund verzog sich zu einer sehr schwachen Andeutung eines Lächelns. „Jetzt ist es wieder aktiviert.“

Das bedeutete, dass die Garagentore den Alarm auslösen würden, sobald sie sie öffnete.

All dies war zutiefst beunruhigend. Adrenalin schoss durch ihre Adern, ihre Brust verkrampfte sich. Dann war da noch dieser andere Teil von ihr, der einfach nur glücklich war, ihn wiederzusehen. Diese sexy Lippen, mit denen er jeden Zentimeter ihres Körpers geküsst hatte. Das Licht in seinen Augen zeigte, dass er sich genauso lebhaft erinnerte wie sie.

Sie hatte viel zu viel Zeit damit verbracht, ihre gemeinsame Nacht in Gedanken zu wiederholen. Oft hatte sie sich in der Dunkelheit der Nacht eingebildet, zwischen ihnen wäre mehr gewesen als Chemie und ein freier Abend.

Im hellen Tageslicht wusste sie jedes Mal wieder, dass er nur ein Playboy war, der mit ihr gespielt hatte. Er war viel zu gut im Bett gewesen, um etwas anderes zu sein.

„Ich dachte, dieses Haus gehört einem geschiedenen Paar.“ Ihre Stimme schwankte trotz ihrer Bemühungen, ruhig zu klingen. „Okay, wie hast du dafür gesorgt, dass ich herkomme?“

Doch sie wusste es bereits.

Das Angebot war einfach zu schön gewesen, um wahr zu sein, und sie war darauf hereingefallen! „Die Haushälterin, die ich vertrete …“

„Ihre Tochter bekommt ein Baby. Sie war froh über einen langen Urlaub.“

„Warum, Everett? Oh Gott, arbeitest du für Troy?“

„Nein.“ Seine selbstgefällige Belustigung verschwand. „Ich habe erst ein paar Tage, nachdem wir zusammen waren, erfahren, wer du bist.“

Seine Lippen wurden schmal, und ein zynischer Ausdruck trat in seine Augen. „Als mir klar wurde, dass du untergetaucht bist, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, dich zu finden.“

„Warum?“

Er hob die Brauen. „Warum bist du untergetaucht?“ Sein herausfordernder Ton zeigte, dass er die Antwort schon kannte.

„Verräter leben gefährlich.“ Sie versuchte, es mit einem Achselzucken abzutun – als würden ihre Knie nicht vor Angst zittern, weil man sie entdeckt hatte.

„Viele der reichen und mächtigen Leute, die ich angezeigt habe, haben dadurch eine Menge Geld verloren, manche wurden angeklagt.“ War Everett etwa einer von ihnen? „Da ich mir keine Bodyguards leisten kann, blieb mir nur, unterzutauchen.“

„Vergiss nicht die Paparazzi. Für ein Foto von dir wird eine sechsstellige Summe geboten.“

„Du brauchst es nicht so klingen zu lassen, als wäre ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt.“

„Aber so ist es.“ Er näherte sich ihr.

Sie setzte einen Fuß ins Auto. Wenn sie schnell war, konnte sie es vielleicht schaffen. Er blieb wieder stehen, aber so, dass sie nicht aus der Garage herauskam, ohne ihn zu überfahren. Wahrscheinlich war er viel schneller, als er sich anmerken ließ.

Sie warf einen Blick auf seine muskulösen Beine, und in ihrem Inneren stieg Sehnsucht auf. Damit er nicht sah, was sie dachte, wandte sie hastig den Blick ab.

„Beim Verwischen deiner Spuren hast du dich geschickt angestellt.“ Er hörte sich an, als würde er sie dafür bewundern. „Ich habe mehr als eine Woche gebraucht, um dich zu finden.“

„In einer Woche hast du mich gefunden?“ Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie hatte sich so sehr bemüht, ohne eine Spur unterzutauchen.

Dann fragte sie sich, warum er nach ihr gesucht hatte. Aber so schnell zaghafte Freude in ihr aufstieg, so schnell verschwand sie auch wieder. Hätte er sie sehen wollen, wäre er nicht erst nach sechs Monaten gekommen.

„Ich kann Leute besser aufspüren, als sie untertauchen können“, sagte er, als wäre das eine Tatsache. Wie er an dem Motorrad lehnte, sah er mit seinen Bartstoppeln und blauen Flecken wie der Held aus einem Abenteuerfilm aus. Für diesen Typ hatte sie nie etwas übrig gehabt.

Bis jetzt.

Jetzt konnte sie nur an seine Hände auf ihrer Haut denken, an sein Gewicht auf ihrem Körper.

War die Garage luftdicht verschlossen? Ihr war, als bekäme sie plötzlich keine Luft mehr.

„Wenn eine so hohe Belohnung ausgesetzt wird, neigen Vermieter und Arbeitgeber dazu, ihre eigenen Taschen zu füllen. Ich musste dich irgendwo sicher unterbringen.“

„Aber ich habe die Nummer zufällig in einem Inserat in einem Café gesehen! Woher konntest du wissen, dass ich ausgerechnet diese Stellenanzeige finde und dort anrufe?“

„Das wusste ich nicht. Es war ein Versuch. Einer von vielen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Du hattest deinen Job verloren, und ich bin davon ausgegangen, dass du Geld brauchst. Darum habe ich Inserate in sämtlichen Lokalzeitungen und Anzeigenblättchen hinterlassen. Hundesitter, Kinderbetreuung, Computerjobs … alles, was vielleicht deine Aufmerksamkeit erregen könnte. Innerhalb einer Woche hast du dich gemeldet.“

„Du hast dir die ganze Mühe gemacht, um mich hierherzuholen, und dann meldest du dich nicht mal?“ Sie versuchte zu verarbeiten, wie viel Zeit, Mühe und Geld er in die Suche gesteckt haben musste. „Warum? Bist du ein Privatdetektiv oder so was?“

Er öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. „Nicht mehr.“

„Was heißt das?“

„Das heißt, ich habe aufgehört. Es ist eher ein Hobby geworden.“

„Ein ziemlich seltsames Hobby!“

„Ich habe dir einen Job und ein Dach über dem Kopf gegeben. Du konntest jederzeit gehen. Es ist nicht so, als hätte ich dich beobachtet.“

„Hast du nicht?“

„Nein.“ Er verdrehte die Augen, als wäre sie die Verrückte.

„Und das soll ich dir glauben?“

„Das muss du selbst wissen. Wenn du gehen willst, hast du meinen Segen. Aber nicht mein Auto“, ergänzte er warnend.

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Was willst du?“, fragte sie misstrauisch.

„Dass du aus deinem Versteck herauskommst.“ Er lächelte humorlos und deutete an seinem lädierten Körper herunter. „Ich bin in dein Verschwinden verwickelt worden, Bianca. Ich muss meine Unschuld beweisen.“

Er war ihretwegen angegriffen worden? Bei dem Gedanken wurde ihr übel. „Was ist passiert?“

„Du hattest dein Gepäck an der Rezeption in meinem Hotel gelassen. Schließlich ist dein … verstehe ich das richtig? Troy Ackerley ist dein Verlobter?“

„Ex.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob er das auch weiß. Er tritt sehr besitzergreifend auf.“

Sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht erkennen, aber sie war sicher, dass er genauso kalt geworden war wie sein Tonfall.

Everett verzog den Mund. „Seine Leute wollten mir eine Botschaft übermitteln. Und wissen, wo sie dich finden.“

„Hast du …“ Ihr wurde schwindelig. Sie könnte ihm keinen Vorwurf machen, aber kalte Angst durchflutete sie. Die Garage verschwamm vor ihren Augen. Wieder sah sie zum Garagentor und rechnete sich aus, ob sie es bis zur Straße schaffen konnte. Sie würde weitaus lieber Everetts Zorn auf sich ziehen, als von Troy hier entdeckt zu werden.

„Ich bin kein Anfänger, Bianca“, sagte Everett kühl. „Natürlich habe ich ihnen nicht gesagt, wo du bist.“

„Aber …“ Sie sah auf sein bandagiertes Knie. „Bist du schwer verletzt? Ist es gebrochen?“

„Nein. Es wird heilen. Die beiden Männer sind länger außer Gefecht.“

Er hatte sie besiegt. Sie sollte das nicht sexy finden. Gewalt war nie eine Lösung, aber er war ihretwegen zusammengeschlagen worden, und jetzt versuchte er es abzutun, als wäre nichts Schlimmes passiert.

Sie konnte nicht anders, es berührte sie. Und es war sexy.

„Sie wissen jetzt, wer du bist. Wenn sie denken, dass du etwas mit meinem Verschwinden zu tun hast, werden sie zu deinem Haus kommen“, stellte sie fest.

„Meine Häuser sind nicht unter meinem Namen zu finden. Und wenn man bedenkt, dass er sechs Monate gebraucht hat, um mich zu finden, obwohl wir im selben Flugzeug gesessen haben und dein Gepäck in meinem Hotel an der Rezeption stand, mache ich mir keine Sorgen, dass er uns in der näheren Zukunft findet. Aber er stochert in meiner Vergangenheit herum und versucht, mir Schwierigkeiten zu machen. Langsam wird es wirklich ärgerlich. Wir beide müssen uns einen Plan überlegen. Du musst aus deinem Versteck herauskommen, sonst werde ich ihn nie los.“

Schon bei dem bloßen Gedanken, stieg Panik in Bianca auf. Sie schüttelte wild den Kopf. „Das kann ich nicht.“

2. KAPITEL

Sie wartete darauf, dass er ihr widersprach. Aber er schwieg nur, als gäbe es nichts zu sagen. Was in diesem Fall auch stimmte. Außerdem sagte es nach seiner Erfahrung eine Menge über Menschen aus, wie sie mit Schweigen umgingen.

Und es gab ihm die Chance, in Ruhe ihren Anblick zu genießen. Sie sah bezaubernd aus. Diese Lippen! Jetzt biss sie sich auf die Unterlippe, und er wollte sie nur noch küssen. Wieder küssen. Nach sechs Monaten Enthaltsamkeit hätte er fast aufgestöhnt, so schön war sie.

Er wollte sie berühren. Ihr formloses T-Shirt und die abgetragenen Shorts kamen ihm aufregender vor als die verführerischsten Dessous. Sie trug keinen BH, ihre Brüste hoben das T-Shirt an und boten einen Blick auf ihren Bauch. Die endlos langen, gebräunten Oberschenkel sahen unendlich weich aus.

Alles an ihr war verführerisch, endlos, sinnlich. Viel zu viele Nächte hatte er ihre Begegnung in seinem Kopf wieder und wieder durchlebt. Und doch hatte er vergessen, welche Wirkung sie auf ihn besaß.

Er hatte es unterschätzt, gedacht, er könnte ihre Wirkung auf ihn dieses Mal kontrollieren, so wie er alles andere kontrollierte. Aber ihre Gegenwart überwältigte ihn sogar noch mehr als beim ersten Mal.

Schon damals hatte sein Verlangen alle Alarmglocken in seinem Kopf übertönt. Sie hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und wenn sie lachte oder ihm widersprach, war es, als strahlte sie pures Sonnenlicht aus.

Er dachte an den wehmütigen Ausdruck in ihren Augen, als sie über ihre Zukunft gesprochen hatte. Meine Arbeitssituation ist kompliziert. Ich habe gerade meine Verlobung gelöst, und er war mein Arbeitgeber. Ich muss mein ganzes Leben neu aufbauen.

Nach dem Essen waren sie Händchen haltend am Hotelstrand spazieren gegangen, bevor sie sich im Mondlicht küssten. Noch jetzt wurde ihm heiß, wenn er an ihre Hüften an seinen dachte.

In jener Nacht hatte sie seine Ansprüche an One-Night-Stands auf den Kopf gestellt. Seitdem konnte er sich mit keiner anderen Frau mehr zufriedengeben. Alle kamen ihm nur wie blasse Imitationen vor.

Doch so nah sie sich in der Nacht auch gekommen waren, hatte sie mit keinem Wort den gewaltigen Schritt verraten, den sie plante.

Als er einige Tage später ihr Gesicht und ihren Namen in den Schlagzeilen sah, war er überrascht gewesen. Andererseits auch wieder nicht. Er war freiwillig in ihr Minenfeld gerannt, obwohl ihm all seine Instinkte gesagt hatten, dass sie etwas zu verbergen hatte. Und doch war er wütend auf sich selbst gewesen und sich dumm vorgekommen. Wie hatte sie es geschafft, ihm so gründlich etwas vorzumachen?

Er hatte seinen Beruf aufgegeben, um nicht mehr für das Leben anderer Menschen verantwortlich zu sein. Aber jetzt konnte er nicht einfach seiner Wege gehen und sie in ihren Schwierigkeiten sitzenlassen. Ein Teil von ihm bewunderte ihren Mut. Sie besaß weder Geld noch Macht oder Beziehungen, und doch hatte sie es gewagt, sich der Korruption der Mächtigen entgegenzustellen.

Sie hier in seinem Haus unterzubringen, war ein Kompromiss gewesen. Er war in New York geblieben, mit der halben Ostküste zwischen ihnen, während er sich mit den Anklagen gegen Morris und Ackerley befasste, um den Fall besser zu verstehen. Um ihr zu helfen.

Weil sie seine Gedanken beherrschte, ganz egal, wie sehr er sich bemühte, sie zu vergessen.

Dann war er gestern in eine Gasse gezerrt worden und hatte um sein Leben kämpfen müssen. Und um ihres. Das hatte ihm die Kraft gegeben, diese Männer zu überwältigen.

Everett hatte Angst um Bianca gehabt, sodass er sich selbst davon überzeugen musste, dass sie wirklich in Sicherheit war.

Was keinen Sinn machte. Wie konnte es ihm so wichtig sein, was mit einer Frau passierte, mit der er einmal geschlafen hatte? Okay, sie hatten sich dreimal geliebt, aber er kannte sie kaum.

Und sie hatte ihn in diesen ganzen Ärger hineingezogen. Das ärgerte ihn zutiefst.

Schlimmer noch, sie hatte ihn dazu gebracht, sich mit ihrem Fall zu befassen, obwohl er geschworen hatte, keine Verschwörungen mehr aufzudecken. Er hatte seiner Mutter ein Versprechen gegeben und sich selbst.

Jetzt, nachdem er wusste, dass sie unverletzt war, würde er darauf bestehen, dass er aus der Sache wieder herauskam. Danach würde er sie nie wiedersehen.

Bei dem Gedanken verkrampfte sich sein Magen, aber er ignorierte es.

„Ich könnte …“ Sie brach das Schweigen, verschränkte die Arme und sah ihn an. „Pressemitteilungen sind meine Stärke. Ich könnte eine Aussage machen und klarstellen, dass ich dich kaum kenne.“

Sie sah ihn an, als wäre das ein hilfreicher Vorschlag.

Er schnaubte.

„Das ist die Wahrheit“, sagte sie abwehrend, aber ihre Wangen färbten sich rosig, und ihr Atem ging schneller.

Wenigstens das war erfreulich. Auch wenn er immer noch nicht gegen ihre Anziehungskraft immun war, ging es ihr wenigstens genauso.

Sie strich ihr kinnlanges Haar hinter die Ohren. Was verdammt sexy aussah. Er fand es umwerfend, dass es an den Wurzeln dunkel und an den Spitzen blau war wie eine ausgebleichte Jeans. Es war jetzt viel kürzer, aber noch immer roch es nach Mandeln und Zitrusfrüchten.

Everett erinnerte sich so genau an das Gefühl, ihre weichen Locken zu streicheln, dass er in diesem Moment glaubte, sie wirklich unter seinen Fingern zu spüren. Er schüttelte den Kopf, um die Fantasie zu zerstreuen.

„Das ist ein sehr naives Angebot. Hast du keine Nachrichten gesehen?“

„Nicht in letzter Zeit.“ Ihr Mund verzog sich. „Es war zu deprimierend.“

Zweifellos. „Nicht einmal die Schlagzeilen im Internet?“

„Ich gehe nicht online. Ich hatte Angst, digitale Fußabdrücke zu hinterlassen. Ich habe sogar die Kamera am Computer abgeklebt.“ Sie deutete mit dem Kinn auf die Küchentür, dann blitzte sie ihn an. „An die Überwachungskameras habe ich nicht gedacht, sonst hätte ich damit das Gleiche gemacht.“

„Ich habe dich nicht beobachtet.“

Sie hob nur die Brauen.

„Morris und Ackerley tun so, als gäbe es keine Probleme, aber ihre Anwaltskosten steigen, und jeder, der sein Geld aus dem Unternehmen ziehen konnte, hat das inzwischen getan“, brachte Everett sie auf den aktuellen Stand der Dinge. „Ihr Vermögen ist eingefroren, sie können ihre Angestellten nicht bezahlen, immer mehr Opfer melden sich, und die meisten gehen mit ihren Beschwerden an die Presse. Dein Verlobter …“

„Ex“, erinnerte sie ihn.

„Ackerley ist wohl klar geworden, dass man auch noch wegen Mordes gegen ihn ermitteln könnte, falls du nicht gesund und munter wieder auftauchst. Jetzt hat er mir ein Ultimatum gestellt. Entweder ich sage ihm, wo du bist, oder er gibt die Information weiter, dass ich der Letzte war, der dich gesehen hat. Wenn er Medien und Polizei auf mich hetzt, lenkt er die Aufmerksamkeit von sich ab, und für mich wäre das ausgesprochen unangenehm. Darum musst du wieder auftauchen und klarstellen, dass ich nichts mit der ganzen Sache zu tun hatte.“

„Es tut mir wirklich leid. Ich hatte nicht vor, dich in meine Schwierigkeiten hineinzuziehen.“

„Nein? Warum hast du dann mit mir geschlafen?“ Hatte sie ihn von Anfang an in eine Falle locken wollen?

Sie errötete, wandte aber nur den Blick ab und presste die Lippen zusammen.

„Du hast es so dargestellt, als hättest du vor Kurzem deine Verlobung gelöst und wolltest jetzt ein neues Leben aufbauen. Dabei warst du immer noch mit ihm verlobt.“ Everett wusste nicht, warum er ausgerechnet darüber am meisten empört war.

Als er sie mit auf sein Zimmer genommen hatte, hatte er nicht vorgehabt, sie jemals wiederzusehen. Auf keinen Fall hatte er erwartet, so einen Besitzanspruch zu verspüren.

Zu seinem Entsetzen musste er sich eingestehen, dass er eifersüchtig war.

„Das war nicht gelogen. Aber warum ich mit dir …“ Sie räusperte sich, bevor sie mit erstickter Stimme zugab: „Ich fühlte mich zu dir hingezogen.“

Er wollte ihr Gesicht mit seinen Handflächen umschließen und ihr in die Augen sehen. Er wollte herausfinden, ob diese Sache zwischen ihnen so echt gewesen war, wie sie sich angefühlt hatte. Aber er blieb stehen, wo er war.

„Das war der einzige Grund? Körperliche Anziehung? Du hast mich nicht absichtlich in die Sache hineingezogen?“

„Was? Nein!“ Ihre Augen blitzten entsetzt auf. „Warum in aller Welt hätte ich das tun sollen?“

Ja, warum eigentlich? Es war nicht so, als könnte sie irgendetwas über seine geheime Vergangenheit wissen. Wie hätte sie auf den Gedanken kommen sollen, dass sie von ihm profitieren könnte?

Sie hielt seinem Blick stand. „Mir war vollkommen klar, dass ich deine Einladung nicht annehmen sollte.“ Ihre Stimme klang angespannt. „Ich wollte nach der Landung einfach nur meine Dateien an die Polizei schicken und untertauchen, aber als du mich zum Essen eingeladen hast …“

Sie wandte den Blick ab. „Ich wollte unbedingt von Troy und allem anderen weg, aber ich hatte auch Angst.“ Sie ballte die Hände, als würde sie sich wieder an ihre Not erinnern. „Ich dachte, es wäre eine gute Idee, mein Gepäck in deinem Hotel zurückzulassen, wenn ich dich zum Abendessen treffe. Damit es sicher untergebracht war und ich es jederzeit wieder abholen konnte.“

Clever. Und es klang wie die Wahrheit. „Du hast die Nacht mit mir verbracht.“

„Das gehörte nicht zu meinem Plan. Wirklich nicht. Ich schlafe nicht mit Männern, die ich nicht kenne oder die ich nicht mag.“ Sie errötete wieder.

Da tickte sie offenbar nicht anders als er. „Hast du noch mit deinem Verlobten geschlafen?“ So absurd es war und so unwichtig es gerade war: Er konnte sich nicht verkneifen, ihr diese Frage zu stellen.

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, als wäre es ihr genauso wichtig wie ihm, diesen Punkt zu klären. „Ich hätte die Verlobung am liebsten gelöst, aber ich hatte Angst, er könnte vermuten, dass ich vorhatte, ihn anzuzeigen. Darum habe ich mich in der letzten Zeit mit Ausreden herausgezogen.“

„Kopfschmerzen?“, vermutete er trocken.

Sie verzog das Gesicht. „Ich habe so oft behauptet, ich hätte Migräne, dass er einen Termin beim Arzt für mich vereinbart hat.“

Er wollte nicht lachen, aber vor Erleichterung stieß er die Luft aus. Das war es, was ihn an jenem Abend so fasziniert hatte. Langeweile gab es nicht mit ihr, bei ihr kam alles unerwartet. Sie wechselte mühelos von nachdenklich zu verspielt, von aufrichtig zu sarkastisch, dann wieder war sie warm und sinnlich.

„Warum hast du dich überhaupt mit ihm verlobt?“ Das war die letzte Frage, die er ihr stellen sollte, aber er wollte es wissen. „Hast du ihn geliebt?“

„Nein. Nicht wirklich. Es ist einfach so passiert.“ Sie rümpfte die Nase, als würde sie die Entscheidung bedauern. „Als er mich nach meinem Praktikum eingestellt hat, fühlte ich mich geschmeichelt. Und ja, mir war klar, dass er mich nicht wegen meiner Referenzen eingestellt hat.“ Sie verdrehte die Augen.

Keine falsche Bescheidenheit. Sie wusste, dass sie schön war, wusste, dass es ein Vorteil war. Auch das gefiel ihm an ihr.

„Troy hat sich persönlich für meine berufliche Entwicklung interessiert. Er hat mir immer mehr Verantwortung übertragen und mich in andere Abteilungen versetzt. Ich habe Betriebswirtschaft studiert, mit Fachgebiet Marketing, also dachte ich, ich würde meine Fähigkeiten verbessern. Was ich auch getan habe. Irgendwann wurde mir dann klar, dass ich seine Arbeit erledige. Dann wurde meine Mutter krank, und als sie starb, war er wirklich nett zu mir. Er schickte mir Blumen nach Hause und sagte, meine Abwesenheit habe ihm klargemacht, dass ich eine Gehaltserhöhung verdient habe. Im Nachhinein sehe ich natürlich, dass er meine ‚verbesserten Fähigkeiten‘ nicht verlieren wollte.“ Sie schrieb die Anführungszeichnen mit den Fingern in die Luft. „Aber damals tat es mir gut, in schicke Restaurants zu gehen und mich abzulenken.“

„Es tat dir gut, ausgenutzt zu werden, als du verletzlich warst?“ Er schüttelte den Kopf. Für Männer, die Frauen derart manipulativ behandelten, hatte er nichts als Verachtung übrig.

„Damals habe ich es nicht so gesehen, aber ja, jetzt weiß ich, dass er mich nur ausgenutzt hat. In der letzten Zeit war ich mir sicher, dass er Affären hatte, aber anfangs fühlte es sich wirklich echt an. Ich hätte allerdings nie daran gedacht, dass es in einer Ehe enden könnte. Nicht bevor er mich in eines der größten Büros im Haus geführt hat und sagte: ‚Das kann dir gehören, wenn du Ja sagst.‘“

„Und ist er auch auf die Knie gefallen? Was für ein Mistkerl!“ Manchmal schämte er sich für sein eigenes Geschlecht.

„Stimmt. Aber wenn man bedenkt, wie hart ich gearbeitet hatte, fand ich, dass ich mir eine Beförderung verdient hatte. Ich dachte nicht, dass ich sie nur wegen meiner Verlobung bekommen würde. Er sagte, er wollte mich nicht an eine andere Firma oder einen anderen Mann verlieren. Ich dachte, all diese großen Gesten würden bedeuten, dass er mich liebt … Meine Mutter war nicht mehr da, und ich wollte eines Tages eine Familie haben. Er schien ein fürsorglicher Mann zu sein und ein guter Versorger. Ich dachte, wegen meiner Trauer könnte ich mich nicht richtig verlieben, aber mit der Zeit würden die Gefühle schon kommen. Also warum sollte ich Nein sagen?“

„Und dann hast du gemerkt, warum“, stellte Everett grimmig fest.

„Habe ich“, sagte sie. „Ich bin auf einige Transaktionen gestoßen, die ich für ihn gemacht hatte und … Im Grunde waren sie Diebstahl. Mir ist klar geworden, dass er mich dazu gebracht hat, die dreckige Arbeit für ihn zu erledigen, damit er seine eigenen Hände sauber halten kann.“

„Falls es entdeckt würde, könnte er alles abstreiten.“

„Genau. Er hätte mir alles in die Schuhe schieben können. Deshalb musste ich den Betrug aufdecken.“ Sie hielt noch immer die offene Wagentür fest, als hätte sie nicht entschieden, ob sie einsteigen oder sie schließen sollte. „Es tut gut, darüber zu reden. Überhaupt zu reden. Mit einem Menschen. Aber sag mir die Wahrheit.“ Sie warf ihm einen Blick zu. „Warum bist du hier? Um herauszufinden, wie viel ich wirklich weiß?“

„Ich bin kein Killer, falls du das meinst“, sagte er trocken. „Ich bin auch kein Polizist oder Reporter.“

„Was dann? Als ich dich gefragt habe, ob du ein Privatdetektiv oder so was bist, hast du gesagt ‚nicht mehr‘?“ Ihre Augen verengten sich. „Was hast du damit gemeint?“

„Das heben wir uns für ein anderes Mal auf.“ Dieses andere Mal würde nie kommen, das wusste er.

„Aber ich soll dir vertrauen?“ Sie zuckte mit den Schultern und schloss die Autotür. Dann ging sie langsam zum Heck des Wagens und lehnte sich mit der Hüfte dagegen. Er versuchte, nicht zusammenzuzucken, als er an den empfindlichen Lack dachte.

„Gibt es einen Grund, warum du mir nicht vertrauen solltest?“, fragte er.

„Abgesehen davon, dass du mich in dein Haus gelockt und dazu gebracht hast, hierzubleiben?“

„Wo du dich sehr sicher und wohlgefühlt hast“, betonte er.

„Aber es ist verdächtig. Was hattest du davon?“ Sie verschränkte die Arme und legte den Kopf schief.

„Eine zufriedene Haushälterin. Und das Wissen, dass ich eine gute Tat getan habe.“ Es war so viel komplizierter gewesen, aber er klemmte sich die Krücken unter den Arm, um das Thema abzuschließen.

Sie sah ihn ernst an. „Wenn jemand auf Krücken landet, nur weil er mich kennt: Was werden sie dann mit mir machen, wenn ich aus meinem Versteck komme?“

„Gar nichts. Ich werde für deinen Schutz sorgen. Und für einen Anwalt, einen Pressesprecher, eine sichere Unterkunft. Alles, was du brauchst.“

„Warum? Hast du einen Groll gegen Morris und Ackerley? Warst du selbst Investor?“

„Nein.“

„Du willst das alles nur tun, um deinen Namen rauszuhalten?“

„Ja.“

„Dein Ruf muss dir sehr wichtig sein.“ Offensichtlich. „Was passiert, wenn jemand merkt, dass du für alles zahlst?“

„Das wird man nicht.“

„Denkst du, irgendjemand würde glauben, dass ich alles selbst bezahlen kann?“ fragte sie genervt. „Die Frau, die behauptet, nichts damit zu tun zu haben, dass all diese Leute um Millionen von Dollar betrogen wurden?“ Sie zeigte auf sich selbst.

„Ich habe einige Möglichkeiten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie stehst du zu einem sechsstelligen Buch-Deal? Wenn du es nicht selbst schreiben willst, kann ich einen Ghostwriter engagieren.“

„Woher kommt das Geld?“ Sie hob überrascht die Hände. „Bist du ein Drogendealer? Waffen? Oder was?“

„Nein.“ Aber gute Vermutungen. „Bist du immer so misstrauisch?“

„Ich will nur wissen, was los ist! Bist du so ein Wohltäter, dass du mir als Gegenleistung einen sechsstelligen Buchvertrag geben willst? Verdammt, du sagst mir nichts über dich. Wieso nicht? Oh Gott.“ Sie starrte ihn entsetzt an. „Du bist nicht verheiratet, oder?“

„Nein.“ Wenn er nicht so wütend auf sie wäre, hätte er sich darüber gefreut, wie verstört sie in diesem Moment aussah. „Als mir klar wurde, dass unsere Nacht in die Schlagzeilen kommen könnte, habe ich dich außer Sichtweite versteckt. Das ist alles.“

„Also ging es nie darum, mich zu beschützen, sondern immer nur um dich?“

So schlau und so nervig. „Ja.“

Schmerz blitzte in ihren Augen auf. Er spürte einen Stich in seinem Herzen.

„Du hast wirklich weder Mühe noch Kosten gescheut, um unsere Nacht zu verheimlichen.“ Sie wandte den Kopf ab. „Ich hätte niemandem davon erzählt. Es war eine einmalige Sache, die mir nichts bedeutet hat. Darum bin ich gegangen, sobald du geschlafen hast.“

„Ich habe nicht geschlafen.“

Ihr Kopf schnellte herum, ihre großen Augen verdunkelten sich.

Wütend auf sich selbst, unterdrückte er einen Fluch. Es hatte ihm nicht gefallen, zu hören, dass die Nacht ihr nichts bedeutete, darum hatte er zurückgeschlagen.

„Danke für dein Angebot, aber nein danke“, sagte sie frostig, stieß sich vom Auto ab und ging auf die Haustür zu.

„Bianca!“ Er bewegte sich so schnell, dass er taumelte. Um ihren Arm zu fassen, ließ er eine Krücke fallen. Verdammte Dinger.

Sie riss sich los und wirbelte zu ihm herum. „Ich habe mich in der Nacht mit dir nicht geschämt. Ich war einfach so, wie ich bin. Aber jetzt gibst du mir das Gefühl, ich würde dir nur Probleme machen und deinen guten Namen ruinieren. Du hättest mich nicht zum Essen einladen sollen, wenn es dir peinlich ist, mit mir in Verbindung gebracht zu werden. Hast du schon mal daran gedacht? Und sag mir nicht, ich soll dir vertrauen! Soweit ich weiß, könntest du auch Troy zu mir führen.“

Verdammt. Sie zitterte vor Angst.

Sein Herz krampfte sich zusammen. „Es ist mir nicht peinlich, dass wir zusammen geschlafen haben“, sagte er leise. „Mein Leben ist sehr kompliziert …“

„Wirklich? Wie fühlt sich das an?“

Er unterdrückte ein Lächeln über ihren bissigen Witz, aber ihm wurde klar, wie hart diese Monate für sie gewesen sein mussten. „Ich hatte die Mittel, um dir zu helfen, und ich wollte es. Ich will es immer noch.“

Da war eine warnende Stimme in seinem Kopf. Lass dich nicht weiter hineinziehen, ermahnte sie ihn. Vergiss ihren Namen, bring sie aus deinem Haus, sieh sie nie wieder.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ihr Zittern zu verbergen.

„Bianca“, sagte er und streckte, ohne nachzudenken, seinen Arm nach ihr aus. „Komm her. Du musst nicht alles allein durchstehen. Ich bin hier.“

Dummkopf, rief die warnende Stimme, aber er konnte es nicht ertragen, wie verdammt klein und verletzlich sie aussah. Er trat näher zu ihr.

Ihr entfuhr ein Schluchzen, dann lehnte sie sich an seine Brust, schlang ihre Arme um seine Taille und umarmte ihn fest. Sie kauerte sich zusammen, als suchte sie Schutz vor den Elementen, und er spürte ihr Zittern.

Die Wirkung auf ihn war katastrophal.

Er hatte ständig an sie gedacht, hatte noch einmal ihren Rücken unter seiner Hand spüren wollen, ihr Haar auf seiner Haut. Während sie zitternd an seiner Brust lag, streichelte er ihren Rücken und schwieg.

„Du bist immer noch sicher“, versicherte er ihr. „Niemand weiß, wo du bist. Noch hat sich nichts geändert.“

„Ich habe immer an dich gedacht.“ Sie löste sich gerade weit genug von ihm, um zu ihm aufzusehen. Ihre Wimpern hingen voller Tränen. „Ich wünschte, ich wäre von Anfang an ehrlich zu dir gewesen. Hätte dir alles selbst gesagt, bevor du es in den Nachrichten gesehen hast. Es kommt mir eben wie eine Halluzination vor, dass du hier bist. Dass ich die ganze Zeit in deinem Haus war. Ich möchte dir vertrauen, Everett. Das möchte ich wirklich. Aber ich weiß nicht, ob ich es kann.“

So geht es mir auch, hätte er fast gesagt. Mit allen Sinnen nahm er ihren Duft nach Orangen, Haut und Sonnenschein wahr. Er genoss den Druck ihres Körpers gegen seine Brust, seinen Bauch, seine Schenkel.

Sie war ein Puzzleteil, das genau zu seinem Körper passte. Es kam ihm vor, als wären sie eins.

Die Atmosphäre zwischen ihnen änderte sich. Ihr suchender Blick glitt zu seinem Mund. Sie schluckte. Ihre Fußspitzen berührten sich, und sie lehnten sich fester aneinander.

Vorsicht, Everett.

Nicht in einer Million Jahren wollte er eine Frau anfassen, die nur Trost bei ihm suchte. Aber als er sich zurückzog, um Luft zu holen, verblasste das Licht in ihren Augen. Ihr schöner Mund zitterte, als sie dachte, er würde sie abweisen.

Ohne nachzudenken, hielt er sie fest. Verdammt noch mal, er hatte sich so lange danach gesehnt, sie wieder zu küssen.

Als er seinen Kopf langsam senkte, blieb sie genau dort, wo sie war, warm und einladend. Als seine Lippen ihren Mund berührten, entglitt ihr ein leises Seufzen, das er so oft in seinen Träumen gehört hatte.

Dieser Kuss war das Warten wert gewesen. Er stöhnte innerlich bei dem Gedanken, dass er die ganze Zeit gewusst hatte, wo sie war, und inzwischen tausend dieser Küsse hätte bekommen können. Er hätte keine Zeit verschwenden dürfen.

Sie öffnete ihm ihren Mund, er zog sie näher, legte seinen Arm um sie und küsste sie leidenschaftlicher.

Er verlor sich so in ihrem Duft und dem Gefühl ihres Körpers in seinen Armen, dass er den Geschmack auf ihrer Zunge oder das schwache Aroma an ihrer Hand, mit der sie seine Wange berührte, erst wahrnahm, als seine Lippen zu brennen begannen.

Seine Lippen begannen zu brennen! Das … war jetzt nicht wirklich passiert …

Er packte sie an den Oberarmen und schob sie einen Schritt zurück.

„Woher wusstest du das?“, rief er.

Todesangst ließ sein Herz so hart schlagen, dass ihm war, als würde es ihm die Rippen brechen. Das Kribbeln breitete sich in seinem Mund und seiner Kehle aus.

In seinem Kopf begann eine Uhr zu ticken. Er würde es nie bis zum Boot schaffen. Gab es einen Erste-Hilfe-Kasten im Haus? Warum hatte er nicht seinen Adrenalin-Pen eingesteckt? Er war zu ungeduldig gewesen, sie wiederzusehen. Dummkopf.

„Woher wusste ich was?“, fragte sie fassungslos, als er sich wegdrehte und mit einer Krücke zur Küchentür hüpfte.

„Dass ich allergisch gegen Erdnüsse bin!“

3. KAPITEL

„Eine schwere Allergie?“ Bianca eilte vor ihm zum Haus und hielt die Tür für ihn auf. Aus Angst, ihn noch einmal zu berühren, hielt sie Abstand. „Hast du ein Medikament dabei? In der Waschküche steht ein Erste-Hilfe-Kasten.“

Ihre Gedanken rasten. Schon begann Everett zu keuchen und griff nach dem Türrahmen. Hinter der grimmigen Entschlossenheit in seinen Augen sah sie Verzweiflung.

Ohne nachzudenken schlug sie mit der Hand auf die Knöpfe des Garagentors.

Wie sie vermutet hatte, ertönten die Alarmsirenen des Sicherheitssystems in dem Moment, als das Tor anfing sich zu schließen.

Everett warf ihr einen ungläubigen Blick zu.

„Du brauchst Hilfe.“ Alles andere war jetzt nebensächlich. „Der Krankenwagen kann dich am schnellsten erreichen, wenn du hier draußen bleibst. Leg dich hin, bevor du fällst.“ Sie packte seinen Arm, denn er sank bereits zu Boden.

Als er auf dem Beton zusammenbrach, ließ sie ihn los und rannte ins Haus, um nach einem Medikament zu suchen.

Aus versteckten Lautsprechern ertönte die Stimme einer Frau, die für die Sicherheitsfirma arbeitete. „Alle Kameras sind aktiviert. Ihre Bewegungen werden aufgezeichnet.“

„Wir haben einen medizinischen Notfall“, rief Bianca. „Ein anaphylaktischer Schock. Schicken Sie einen Krankenwagen.“ Sie durchwühlte die Schränke in der Waschküche, schnappte sich das Erste-Hilfe-Set und schüttete es aus. Verbände und Scheren und Antiseptikum … aber wo war der verdammte Adrenalin-Pen?

„Ein Krankenwagen ist auf dem Weg“, sagte die Stimme ruhig. „Es sollte in vier Minuten ankommen. Ich öffne das Tor, wenn er sich nähert. Unseren Notizen nach befindet sich im Hauptschlafzimmer ein Vorrat an selbst injizierbarem Adrenalin. Die Sanitäter fragen, ob es sich um einen Insektenstich handelt …“

„Erdnussallergie.“ Bianca sprang zwei Stufen auf einmal hoch, rannte den Flur hinunter und ins Hauptschlafzimmer, wo sie eine Schachtel mit Adrenalin-Pens fand. „Um Gottes willen, schalten Sie die Sirene aus“, rief sie, als sie zurück in die Garage raste.

Das Geräusch verstummte fast augenblicklich.

Everett lag mit dem Rücken auf dem Betonboden. Seine Lippen waren blau, seine Brust zitterte, als er sich anstrengte, zu atmen. Ein Arm lag über seinem Gesicht. Er hob den Arm von den Augen, als sie erschien. Sie erkannte Überraschung in seiner Miene.

„Eine schöne Meinung hast du von mir“, murmelte sie und nahm den Pen aus der Schachtel.

Sie hob den Rand seiner Shorts an, damit sie den Adrenalin-Pen gegen seinen Oberschenkel drücken konnte. Beim Einstich zuckte er nicht zusammen, hielt nur ihren Blick fest, während sich ein Vorhang über das Blau seiner Augen zu legen schien.

„Wag es ja nicht, Everett!“

Sie wollte gerade die körperlose Stimme fragen, ob sie ihm noch eine Injektion geben sollte, als sie die Sirene des Krankenwagens näher kommen hörte.

Vorsichtig berührte sie seine Wange, wollte ihn aufwecken und sehen, ob er nur die Augen geschlossen hatte oder wirklich bewusstlos geworden war. Aber gerade rechtzeitig erinnerte sie sich daran, dass sie sich noch nicht die Hände gewaschen hatte.

Die Seife am Waschbecken war ein industrieller Fettentferner, aber sie wusch sich die Hände bis zu den Ellbogen und das Gesicht und spülte immer wieder ihren Mund aus.

Als sie zurückkam, stand schon der Krankenwagen auf dem kopfsteingepflasterten Vorplatz. Einer der Sanitäter hockte neben Everett. Hinter dem Tor blieb ein Spaziergänger stehen, um zu beobachten, was passierte.

Lauf, drängte sie eine innere Stimme. Das ist deine letzte Chance.

Bianca sah zu dem anderen Sanitäter, der Sauerstoff brachte, dann zu Everetts regloser Gestalt.

Unmöglich. Sie konnte ihn nicht so verlassen. Auch wenn sie nichts von seiner Allergie gewusst hatte: Sie war für seinen Zustand verantwortlich.

„Fahren Sie im Krankenwagen mit oder …“ Der Sanitäter warf einen Blick auf den Sportwagen.

„Ich komme mit.“ Sie war nicht fahrtüchtig. „Sichern Sie das Haus, wenn wir gehen“, rief sie laut.

„Selbstverständlich“, antwortete die körperlose Stimme. „TecSec freut sich, dass wir Ihnen heute behilflich sein konnten.“

Im Krankenhaus fragte jemand, ob sie seine Frau wäre, und Bianca sagte „Ja“, ohne zu zögern. Sie unterschrieb jeden Zettel, den sie ihr vorlegten.

Fast zwei Stunden später war Everett noch immer ohne Bewusstsein. Eine Infusion tröpfelte Medikamente in seine Blutbahn, und er war an eine Reihe von Monitoren angeschlossen.

Während Bianca zusammengesunken auf einem Stuhl neben seinem Bett saß, versuchte sie, über ihre Situation nachzudenken, aber sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Statt zu überlegen, was sie jetzt tun sollte, bestand ihr Gehirn darauf, Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht heraufzubeschwören.

Sie hatte nicht gewusst, dass eine solche Leidenschaft möglich war. Für sie war Sex immer eine angenehme, wenn auch etwas peinliche Begegnung gewesen. Manchmal hatte sie sich wie eine Trophäe gefühlt – begehrt, aber doch so, als ginge es um die Fantasie eines anderen, die sie zu verwirklichen half.

Mit Everett war es von der ersten Sekunde an anders gewesen. Er hatte keine Eile gehabt. Während er sie sanft geküsst und gestreichelt hatte, von ihrem Nacken über ihre Ellenbogen und Handgelenke, hatte er sie gefragt: „Magst du das so? Deine Haut ist so weich … nimm meine Hand, zeig mir, was dir gefällt.“

Und das hatte sie getan.

Es war ein Geben und Nehmen gewesen. Seine Reaktionen auf ihre eigenen Liebkosungen hatten sie nicht weniger erregt als sein Mund, seine Hände auf ihrer Haut. Verwegen hatte sie Dinge getan, die sie nie vorher erlebt hatte.

Die Zeit war stehen geblieben, jede Berührung so intensiv, dass es fast wehtat. Zweimal hatte er sie an den Rand der Ekstase gebracht und sich wieder vorsichtig zurückgezogen, um sie durch zartere Reize länger auf diesen Höhen der Erregung zu halten.

Als er endlich in sie eindrang, hatte sie fast geweint, so dringend brauchte sie ihn in sich. Alle Hemmungen waren vergessen. Sie gehörte ganz ihm und genoss seine langsamen, tiefen, kraftvollen Bewegungen. Ohne Zurückhaltung, ohne Scham hatte sie gestöhnt und gewimmert. Hatte wie besinnungslos Dinge gesagt, die sie nicht einmal gedacht hatte, die im Strudel ihrer Leidenschaft einfach dringend, unausweichlich waren. Jetzt. Mehr. Fester.

Irgendwann waren ihre Schreie der Lust mit seinen verschmolzen. Sie waren zusammen gewesen. Vereinigt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl gehabt, mit einem anderen Menschen zutiefst verbunden zu sein. Ganz sie selbst und unzerstörbar, weil er bei ihr war. Sie waren eins gewesen.

Dann hatte er es noch einmal getan. Und nachdem sie sich etwas ausgeruht hatten, noch einmal. Im ersten Morgenlicht hatte sie sich dazu gezwungen, aufzustehen.

Zu gehen war ihr schwerer gefallen, als ihr ganzes Leben zurückzulassen und den Mann zu verlassen, mit dem sie verlobt gewesen war. Sie hatte gewusst, dass etwas von ihr für immer bei Everett bleiben würde, aber der Gedanke hatte sie zutiefst glücklich gemacht.

Damals.

Jetzt wusste sie, dass er wach gewesen war und nur vorgetäuscht hatte zu schlafen.

War er erleichtert gewesen, dass sie ging?

Mein Leben ist sehr kompliziert.

Für einen kurzen Augenblick hatte sie ihn gehasst. Weil in diesem Licht ihre Nacht billig geworden war. Sie hatte sich billig gefühlt.

Dann hatte er sie umarmt. Du musst nicht alles allein durchstehen. Ich bin hier.

Diese Worte, die Art, wie er sie umarmt hatte … Ihre Erleichterung war so groß gewesen, dass ihre Knie fast unter ihr nachgegeben hätten.

Und dann hatte sie ihn fast umgebracht.

Jetzt saß sie an seinem Bett und hatte nicht einmal eine Münze für einen Anruf in der Tasche, und es gab nur eine Person, die sie anrufen konnte. Aber würde ihr Vater ihren Anruf überhaupt annehmen? Würde er ihr glauben, wer sie war?

Wenn sie auch nur einen Funken Selbsterhaltungstrieb besaß, musste sie gehen, bevor er wieder zu Bewusstsein kam. Aber sie konnte nicht. Sie konnte nicht einmal diesen Stuhl verlassen, geschweige denn das Zimmer oder das Krankenhaus. Sie musste sicher sein, dass er es gut überstanden hatte.

Und sie hoffte verzweifelt, dass er sie nicht hassen würde.

„Hallo.“ Eine männliche Stimme zwang sie, ihren Blick von Everett zu lösen und zur Tür zu schauen, die offen stand.

Ein attraktiver Mann um die dreißig im Rollstuhl sah sie an.

Im ersten Moment hielt Bianca ihn für einen anderen Patienten. Doch das war er nicht: Sein schmaler, schnittiger Rollstuhl war kein Krankenhausstuhl, sondern offenbar eigens für ihn angefertigt. Unter seinem weinroten Polohemd zeichnete sich ein sehr muskulöser Oberkörper ab. Er strahlte eine Selbstsicherheit aus, die der von Everett ähnelte. Geschmeidig beugte der Mann sich vor, löste den Türstopper und kam näher, während die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.

Sein Gesicht verhärtete sich, als er Everetts blaues Auge und seine verbundenen Hände wahrnahm.

„Das ist keine allergische Reaktion. Was ist passiert?“ Er sah sie kühl an.

„Er ist so nach Hause gekommen.“ Sie überlegte, wie viel sie sagen sollte.

Dem Arzt hatte sie erzählt, dass er durch einen Gärtner mit Erdnussstaub in Kontakt gekommen war. Wer würde schon glauben, dass eine Ehefrau nichts von seiner Allergie wusste?

Doch instinktiv wusste sie, dass sie bei diesem Mann, dessen Blicke intensiv in ihren Zügen forschten, nicht lügen sollte.

„Ich habe Erdnussbutter gegessen und ihn dann geküsst“, gab sie leise zu.

„Absichtlich?“ Beim Klang seiner Stimme schienen Eiszapfen in ihrem Magen zu wachsen.

„Nein, natürlich nicht. Ich meine, es war einvernehmlich. Genau genommen hat er mich zuerst geküsst.“ Sie rieb ihre klammen Handflächen an ihren nackten Armen. „Ich wusste nichts von seiner Allergie, sonst hätte ich so etwas nie in sein Haus gebracht.“

Er schnaubte leicht. „Er hat mir erst vor einem Jahr davon erzählt und heruntergespielt, wie schlimm es ist.“

„Und Sie sind?“

„Giovanni Catalano.“ Er reichte ihr seine Hand. „Ein Freund von Everett. Weshalb ich mich frage, warum ich nicht zu eurer Hochzeit eingeladen wurde. Bianca.“

„Ähm …“

„Man hat mir gesagt, dass seine Frau bei ihm ist.“ Sie sah an seinem Blick, dass er sie erkannt haben musste. Und dass ihm klar war, dass sie nicht mit Everett verheiratet war. Und dass er versuchte, sich zu erklären, was sein Freund mit ihr zu tun hatte, mit der Whistleblowerin, die inzwischen jeder aus den Medien kannte.

„Das habe ich nur gesagt, damit ich alle Papiere unterschreiben kann.“

Viel zu spät kam ihr der Gedanke, dass er ein Reporter oder Ermittler sein könnte. Sie erhob sich. Auch wenn jedes Wort wie Feuer in der Kehle brannte, sagte sie: „Aber ich denke, wenn Sie hier sind, kann ich jetzt gehen.“

Sie wollte Everett nicht verlassen. Und es gab keinen Ort auf der Welt, wo sie jetzt sicher sein würde. Sie konnte nirgendwo hin.

Giovanni bewegte seinen Rollstuhl kaum merkbar. Was er damit ausdrücken wollte, war sehr deutlich.

An mir kommst du nicht vorbei.

Bianca hob die Brauen. Wenn nötig, würde sie über das Bett springen.

„Jemand hat der Presse einen Tipp gegeben, dass Sie hier sind“, sagte Giovanni. „Ohne Hilfe kommen Sie hier nicht raus.“

Das war keine große Überraschung. Sie unterdrückte den Wunsch, durch das Fenster zu spähen, und sank in den Stuhl zurück. „Bieten Sie mir Ihre Hilfe an? Warum?“

„Ich bin Everetts Freund. Zum Glück haben Sie mit Ihrer Lüge den Grundstein gelegt. Wir bleiben dabei und können sagen, dass Sie Ihre Ehe geheim gehalten haben, um die Aufmerksamkeit der Medien zu vermeiden. Wir geben eine Erklärung ab, in der die Allergie nicht erwähnt wird. Ein Jet-Ski-Unfall“, entschied er. „Um seine Verletzungen zu erklären. Ich lasse Kleidung für Sie kommen, damit Sie sich auf dem Weg zum Auto vor der Kamera zeigen können. Wir gehen, sobald er wach ist und laufen kann.“

„Und wohin?“ Sie hatte so viele Fragen, dass sie über ihre eigene Zunge stolperte. „Sie können nicht einfach hier reinkommen und die Kontrolle übernehmen.“

„Jemand muss es tun. Ich muss ein paar Anrufe machen. Bleiben Sie hier.“

„Das werde ich nicht.“

„Bianca“, krächzte eine Stimme aus dem Bett. „Tu, was er dir sagt.“

„Ich dachte, du wärst im Ruhestand“, sagte Giovanni.

„Ich dachte, du wärst im Ruhestand“, brummte Everett.

Everett fühlte sich, als hätte man ihn eine Treppe hinuntergeworfen und seine Welt auf den Kopf gestellt.

Er saß auf einer Liege in seinem Garten, sein einziger wahrer Freund saß neben ihm. Giovannis Frau Freja und Bianca spielten im Pool mit den Zwillingen des Paares. Bianca lachte, als sie von den Zweijährigen bespritzt wurde. Ihre Stimmung hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht, seit sie das Krankenhaus verlassen hatten.

Giovanni hatte ein einfaches Wickelkleid und hochhackige Sandalen für sie organisiert. Über ihr blaues Haar hatte sie einen Schlapphut gestülpt und ihre Augen hinter einer riesigen schwarzen Sonnenbrille versteckt.

Auf dem Weg zum Wagen hatte sie Everett als Schutzschild vor den versammelten Fotografen genutzt. In Giovannis SUV wartete seine Frau mit den Zwillingen.

Gemeinsam fuhren sie zu Everetts Haus, wo ein Reinigungsteam damit beschäftigt war, jede Wand und Oberfläche in der Villa abzuwischen. Dann hatten die Zwillinge gebettelt, in den Pool gehen zu dürfen, und Bianca war von Freja beschlagnahmt worden.

„Warum bist du überhaupt hier?“, fragte er nun Giovanni.

„Unser guter Freund von TecSec dachte, ich könnte mich für das Sicherheitsvideo interessieren, das gerade auf seinem Schreibtisch lag. Er wollte schon selbst einfliegen, aber ich war näher dran. Wir waren in New York und wollten dieses Wochenende für Frejas Premiere sowieso nach Miami kommen. Wir haben unsere Reise einfach vorverlegt.“

Everett und Giovanni waren während ihrer Schulzeit beste Freunde gewesen. Giovanni hatte ihm in einer sehr schweren Zeit geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Jahre später hatte Everett seinen Freund als Agenten rekrutiert.

Sie waren lange eine Art Dreamteam gewesen. Als Giovanni irgendwann nicht in Bestform gewesen war, hatte Everett ihn weiterarbeiten lassen, statt auf einer Auszeit zu bestehen. Dabei wäre genau das seine Pflicht und Verantwortung gewesen … Bis heute konnte er sich seinen Fehler nicht verzeihen. Denn beim nächsten Einsatz war sein bester Freund beinahe ums Leben gekommen.

Everett verabscheute sich dafür, seinen Freund in Gefahr gebracht zu haben, und er konnte nicht verstehen, warum Giovanni es nicht tat. Er würde sich niemals vergeben.

„Erwarte ja nicht, dass ich dir für deine Hilfe danke“, brummte er. Er deutete mit dem Kinn zum Pool. „Und übrigens: Nein, ich brauche keine Ehefrau.“

„Du kannst nicht mitreden, solange du es nicht ausprobiert hast.“

Everett warf ihm einen finsteren Blick zu, aber Giovanni grinste nur. „Jetzt mal im Ernst. Arbeitest du wieder?“, fragte er dann.

„Nein.“

„Was machst du dann mit ihr?“ Giovanni sah zu Bianca.

„Wir sind uns über den Weg gelaufen. Sie brauchte Hilfe. Ich hatte nicht vor, es an die große Glocke zu hängen, aber dann …“ Er schüttelte langsam den Kopf. Er konnte immer noch nicht fassen, was aus diesem Tag geworden war.

„Nach deinem hübschen schwarz-blauen Lidschatten zu urteilen, geht es um mehr als um euch beide. Solltest du nicht die Finger davon lassen, wenn es so gefährlich ist und du keine Unterstützung hast?“

Aus genau diesem Grund hatte Everett Giovanni so lange wie möglich auf seiner Gehaltsliste behalten: Er hatte ein untrügliches Gespür für Gefahren, und er legte immer sofort den Finger in die Wunde.

„Was ist die Alternative? Soll ich sie alleinlassen? Dafür ist es zu spät.“ Den Schlagzeilen nach war er mit ihr verheiratet.

„Aber kannst du ihr vertrauen? Nach dem, was heute geschehen ist?“

„Sie wusste es nicht.“ Und sie hatte ihn gerettet.

Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er sich an den schrecklichen Moment erinnerte, als Bianca ins Haus gerannt war, nachdem er auf dem Garagenboden zusammengebrochen war.

Er war wütend auf sie gewesen, weil sie ihn wieder überlistet hatte, aber es war ihm nur recht geschehen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass sie gefährlich war.

Mit seiner überraschenden Ankunft hatte er sie erschreckt, und obwohl sie den Alarm für ihn ausgelöst hatte, war er fest davon ausgegangen, dass sie sich selbst retten und es darauf ankommen lassen würde, ob der Krankenwagen rechtzeitig eintraf.

Ein Teil von ihm hatte gehofft, dass sie es schaffte, zu entkommen. Sogar als er um jeden Atemzug kämpfen musste, konnte er nicht aufhören, sich um sie zu sorgen. Wer würde auf sie aufpassen, wenn er nicht da war?

Dann war sie atemlos wieder aufgetaucht und hatte ihm selbst das Adrenalin injiziert. An alles, was danach kam, erinnerte er sich nur noch verschwommen.

Giovannis Stimme hatte ihn aufgeweckt. Vielleicht hätte er sich wieder in die Bewusstlosigkeit zurücksinken lassen, nachdem er wusste, dass er in Sicherheit war, aber Biancas Stimme hatte ihn wachgerüttelt. Er hatte nicht erwartet, dass sie da war. Dass sie ihre Tarnung für ihn aufgegeben hatte. Für ihn.

„Okay, aber wenn du was brauchst …“, unterbrach Giovanni seine Grübeleien.

„Das werde ich nicht“, sagte Everett entschieden. „Halt dich da raus.“

Dio, sei testardo.“ Auf Italienisch attestierte Giovanni seinem Freund, wie stur er war.

Einen Moment blieb es still, nur das Platschen und Kreischen der Kinder war zu hören, dann fuhr Giovanni fort: „Aber irgendetwas passt nicht zusammen. Warum ist sie in Miami geblieben?“

„Weil ich es ihr ermöglicht habe“, antwortete Everett.

„Aber warum wollte sie überhaupt hierbleiben?“

Das hatte Everett sich auch schon gefragt. Während er den Fall gründlicher untersucht hatte, um zu wissen, wie er ihr helfen konnte, hatte er auch eine flüchtige Hintergrundüberprüfung von Bianca durchgeführt. Alles, was sie ihm in jener Nacht über sich selbst erzählt hatte, stimmte.

Sie war in New York geboren worden, ihre Mutter war Krankenschwester gewesen und Bianca eine vorbildliche Schülerin. Auch die Geschichte über die Großmutter in Miami, die ihr eine Wohnung hinterlassen hatte, stimmte – obwohl das Timing nicht passte. Das Erbe hatte sie zwei Jahre vor dem Treffen mit Everett erhalten. Doch darüber hinaus gab es nichts Ungewöhnliches.

Finito?“ Giovanni lächelte, als Freja und Bianca zu ihnen kamen.

Bianca hielt eines der in Handtücher gewickelten Kinder auf dem Arm. Sie trug ein weißes T-Shirt über ihrem Bikini, die nasse Baumwolle klebte an ihren Hüften und Oberschenkeln, und Wassertropfen funkelten auf ihren honiggoldenen Schenkel.

Es gelang ihr schon wieder.

Giovanni hatte Everett gerade gute Gründe genannt, ihre Motive infrage zu stellen. Aber alles, was er in diesem Moment tun wollte, war, jeden dieser Tropfen von ihrer Haut zu lecken.

„Wir sollten ins Hotel fahren“, sagte Freja zu Giovanni. „Es sei denn, ihr beiden braucht mehr Zeit?“

„Wir sind fertig“, sagte Everett knapp.

Giovanni tauschte mit Freja einen dieser Blicke aus, die ein Dutzend Gedanken gleichzeitig mitteilten.

„Ich wusste nicht, dass ihr wieder fahrt“, sagte Bianca mit einem vorsichtigen Blick zu Everett, als sie Giovanni seine Tochter reichte.

„Wir sind so eine große Truppe, es ist am besten, wenn wir die Leute dafür bezahlen, uns auszuhalten“, scherzte Freja.

Und dieses Haus war nicht wirklich für Giovanni eingerichtet. In den meisten von Everetts Anwesen war wenigstens das Erdgeschoss rollstuhlgerecht umgebaut worden. Hier war er noch nicht dazu gekommen. Und Everett fühlte sich schlecht deswegen.

„Lars ist bei uns“, sagte Giovanni. Everett wusste, dass sein Freund, wann möglich immer, mit seinem Physiotherapeuten reiste. „Soll ich ihn rüberschicken, damit er sich dein Knie anschaut? Ein paar Übungen empfiehlt?“

„Es geht mir gut.“ Hör auf, nett zu sein, sagte Everett ihm mit einem finsteren Blick.

Giovanni hob nur ungerührt eine Braue.

„Ja, ich weiß, du hast Hunger.“ Freja rieb ihre Nase an der ihrer kleinen Theresa, die sich an sie kuschelte und ihr gerade etwas ins Ohr flüsterte. „Wir trocknen euch beide jetzt ab und besorgen euch etwas zu essen für die Fahrt zum Hotel. Vielen Dank für deine Hilfe heute“, sagte sie zu Bianca. „Ich lasse dir meine Nummer hier. Ruf mich an!“

„Oh. Ja, danke. Es hat Spaß gemacht. Wirklich.“ Als Freja mit der Kleinen ins Haus ging, verblasste Biancas Lächeln. Sie zitterte vor Kälte in ihrem triefenden T-Shirt. „Die Mädchen sind bezaubernd, und Freja ist so nett. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihr zu sagen, dass ich nicht einmal ein Telefon habe.“ Der Rest ihres Lächelns erlosch, als sie seinen Blick traf.

Everett kämpfte darum, nicht auf ihre Brüste unter dem durchscheinenden Stoff ihres Hemdes zu starren.

Es war eine berechtigte Frage. Warum war sie in Miami geblieben?

„Ich denke, ich werde mich, äh, umziehen.“ Sie wandte sich zum Poolhaus.

„Deine Sachen sind in meinem Zimmer. Ich habe sie von der Haushälterin herüberbringen lassen.“

„Warum?“ Sie blinzelte erstaunt mit ihren nassen Wimpern.

„Weil wir verheiratet sind.“

4. KAPITEL

Bianca starrte ihr Spiegelbild an. Fast konnte sie sich davon überzeugen, dass alles genauso war wie heute Morgen. Fast.

Aber alles hatte sich verändert. Sie stand nicht vor ihrem kleinen ovalen Spiegel im Poolhaus, sondern vor dem riesigen Spiegel in Everetts Badezimmers im Haupthaus.

Sie hatte nicht mit ihm gestritten, ob es wirklich nötig war, dass sie sein Zimmer teilte. Ihretwegen hatte er so vieles ertragen müssen, dass sie sich furchtbar fühlte.

Aber warum verhielt er sich seinen italienischen Freunden gegenüber so abweisend? Die beiden waren sehr liebenswürdig, und er bedeutete ihnen offenbar viel. Als Bianca mit Freja und den Kindern im Pool gespielt hatte, hatte sie auch gehofft, mehr über Everett zu erfahren. Stattdessen hatten sie einfach nur Spaß gehabt.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal von ganzem Herzen gelacht oder mit einer anderen Frau über den Alltag geplaudert hatte.

Jetzt waren Freja und Giovanni mit den Zwillingen gegangen, zusammen mit den Reinigungskräften. Die Haushälterin war aus ihrem Urlaub zurück und räumte in ihrer Küche alles wieder so um, wie sie es mochte. Und die Bodyguards hatten die Fotografen verscheucht.

Und Bianca kauerte gerade angstvoll wie eine Jungfrau in ihrer Hochzeitsnacht in diesem Badezimmer.

Sie seufzte. Sie konnte sich nicht für immer hier verstecken. Nicht vor der Außenwelt und nicht vor Everett.

Sie seufzte und wünschte, sie könnten zu jenem Augenblick in der Garage zurückkehren, als er sie in den Armen gehalten hatte und sie einen Moment lang geglaubt hatte, dass mit ihm an ihrer Seite alles in Ordnung kommen könnte. Sie hatte angefangen, ihm zu vertrauen.

Nach diesem Tag würde er sie jetzt wahrscheinlich am liebsten auf die Straße setzen.

Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Sie zog eins ihrer alten Sommerkleider an, kämmte sich die Haare und ging wieder nach draußen.

Eine Sekunde lang dachte sie, er würde schlafen, dann drehte er den Kopf, und sein blauer Blick traf sie wie eine tropische Brandung. Nervös berührte sie ihr feuchtes Haar und strich eine nasse Strähne zurück.

Wie von Zauberhand serviert, standen nun eine dampfende Paella und Wein auf dem Terrassentisch.

„Hast du Hunger?“ Everett zucke zusammen, als er die Beine von der Liege schwang und aufstand.

„Ehrlich gesagt, ja.“ Bei dem Duft der Paella, die in einer Pfanne brutzelte, lief Bianca das Wasser im Mund zusammen. „Nein, danke“, sagte sie, als Everett nach der Flasche griff, um ihr einzuschenken.

Er ließ den Wein im Kühler, und sie setzten sich. Wieder verzog er dabei schmerzlich das Gesicht.

„Es tut mir leid. Wirklich.“ Sie hielt ihn mit einer Handbewegung davon ab, ihr aufzufüllen, und löffelte stattdessen Paella auf seinen Teller. „Es tut mir leid, dass du meinetwegen angegriffen wurdest. Und natürlich die Allergie. In Zukunft werde ich sehr vorsichtig sein.“

Hörte sich das an, als erwartete sie eine Zukunft mit ihm? „Und die Scheinehe“, fügte sie mit einer Grimasse hinzu und füllte ihren eigenen Teller. „Das tut mir auch leid. Ich wollte dein Leben nicht durcheinanderbringen.“

Sie spießte ein Stück Hühnchen auf die Gabel und pustete darauf. „Ich würde es sehr gut verstehen, wenn du willst, dass ich der Presse sage, wir kennen uns nicht und dass wir dann nichts mehr miteinander zu tun haben.“

„Dafür ist es zu spät“, entgegnete er knapp.

„Was soll ich dann tun?“

„Mir helfen, die Story von dem glücklich verliebten Paar in den Flitterwochen zu verkaufen.“

„Wirklich? Wie?“

„Wir fangen damit an, dir eine neue Garderobe zu kaufen und deine Haare … in Ordnung zu bringen. Dann zeigen wir uns in der Öffentlichkeit.“

„Ich meinte, wie können wir so tun, als wären wir glücklich verheiratet, wenn wir uns nicht einmal kennen? Und meine Garderobe … ich verstehe, dass du dich nicht so mit mir sehen lassen kannst, aber ich kann mich nicht neu einkleiden.“

Er seufzte, als wäre er mit seiner Geduld am Ende. „Ich bin sehr reich, Bianca. Ich kann es mir leisten, dich neu einzukleiden. Das ist nötig für mein Image, und du kannst es als Rüstung betrachten. Troy Ackerley wird jede Schwäche ausnutzen, die er finden kann. David und Goliath mag ja eine sehr herzerwärmende Geschichte sein, aber Ackerley glaubt, dass ihm seine Macht helfen wird. Und er hat recht. Wenn du gegen ihn ankommen willst, brauchst du genauso viel Macht und Geld. Mehr noch. Sonst bleibst du auf der Strecke.“

„Eine nette Weltsicht.“

„Die Wahrheit.“

„Und was hast du davon? Was schulde ich dir im Austausch für eine neue Garderobe?“

„Gar nichts.“ Ein Muskel in seiner Wange zuckte. „Spiel einfach deine Rolle gut.“

War dieser Stich in ihrer Brust Enttäuschung? Hatte sie gehofft, er würde etwas von ihr erwarten? „Woher stammt dein Vermögen?“

Sein Gesicht wurde ausdruckslos. „Meine Großväter waren beide erfolgreiche Industrielle. Mein Vater hat sich einige Automobiltechnologien patentieren lassen, für die ich immer noch eine Menge Geld bekomme. Und abgesehen davon, dass ich einen Teil meines Vermögens für Autos ausgebe …“, er deutete mit dem Kopf zur Garage, „investiere ich klug und lebe von den Gewinnen.“

„Hattest du noch nie einen richtigen Job?“

Sie sah ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen, bevor er seinen Blick auf seinen Teller senkte. „Du meinst so etwas wie Zeitungen austragen?“, fragte er gedehnt. „Nein.“

„So geht das nicht, Everett.“ Sie warf ihre Gabel auf den Tisch. „Wenn du willst, dass ich dir vertraue und das alles mitmache, musst du ehrlich zu mir sein.“

Sie sah ein Flackern in seinen Augen, als würde er das Für und Wider abwägen.

„Ich hatte einen richtigen Job“, sagte er schließlich. „Fünfzehn Jahre lang habe ich für die amerikanische Regierung gearbeitet. Ich kann dir darüber nicht viel sagen, das musst du akzeptieren, aber deswegen kann ich nicht zulassen, dass Reporter in meinem Privatleben herumschnüffeln.“

Sie beugte sich vor: „Willst du damit sagen, du warst ein … Geheimagent?“

„Es war nicht so aufregend, wie es sich vielleicht anhört.“ Seine Mundwinkel zuckten. „Mein Job hat vor allem aus vielen langweiligen Reisen und noch langweiligerem Papierkram bestanden. Mir ist egal, ob mein Martini geschüttelt oder gerührt wird.“

„Nein“, entgegnete sie. „Wäre es langweilig, hättest du es nicht gemacht.“

Er lachte leise, als wäre er erwischt worden. „Es gab einige … Herausforderungen.“

„Warum hast du aufgehört? War es gefährlich?“

„Manchmal.“

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. „Hat Giovanni mit dir zusammengearbeitet?“

Er blinzelte. Plötzlich war jede Offenheit aus seiner Miene verschwunden. „Siehst du, genau diese Art von Fragen möchte ich nicht gestellt bekommen“, erwiderte er knapp. „Und darum musst du sehr überzeugend meine liebende Frau spielen, für die ich alles tun würde, auch wenn sie in Schwierigkeiten gerät.“

Sein Sarkasmus tat weh. Insgeheim sehnte sie sich danach, eine liebende Ehefrau zu sein. Sie sehnte sich danach, dass jemand bereit war, alles für sie zu tun, umso mehr, nachdem sie Freja und Giovanni zusammen erlebt hatte.

Sie sah auf die duftende, mit Safran gewürzte Paella auf ihrem Teller und hatte das Gefühl, dass sie keinen einzigen Bissen mehr herunterbringen konnte.

Außer Everetts Hilfe anzunehmen, blieben ihr nicht mehr viele Möglichkeiten. Sie konnte zu ihrem Vater gehen oder fliehen und wieder untertauchen – noch weniger verlockend als das, was Everett ihr anbot. Wenigstens bot er ihr Schutz, mehr noch: juristische Hilfe.

Und sie war es ihm schuldig, ihm zu helfen. Sie war dankbar für die Sicherheit, die sie in den letzten Monaten genossen hatte. Abgesehen von der Sehnsucht, ihn wiederzusehen, hatte sie sich hier wohlgefühlt.

Bei dieser Erkenntnis zuckte sie leicht zusammen. In all den Monaten hatte sie sich eine Chance gewünscht, ihm nah zu sein, ihn wirklich kennenzulernen. Das tat sie immer noch, aber sie fragte sich, ob er das jemals zulassen würde.

Als sie aufschaute, sah sie seinen ärgerlichen Blick. Sie war eine Belastung für ihn, und der Gedanke tat weh. „Wie lange müssten wir so tun, als wären wir verheiratet?“, fragte sie. Ihre Stimme klang heiser vor Schmerz.

„Ein paar Wochen. Sobald sich die Lage beruhigt hat, können wir eine Erklärung abgeben, dass die mediale Aufmerksamkeit unsere Ehe sehr belastet hat und wir etwas Abstand voneinander brauchen. Irgendwann können wir dann die Scheidung bekanntgeben.“

Er hatte es offensichtlich sehr eilig, sie loszuwerden.

„Und während wir … ein Ehepaar spielen …“ Sie räusperte sich. „Wie sind die Regeln?“

„Regeln?“ Er hob die Brauen.

„Ich weiß, du willst keinen Sex, aber wenn wir uns das Schlafzimmer teilen …“

„Ich habe nie gesagt, dass ich keinen Sex will. Ich sagte, ich würde keinen Sex von dir erwarten.“

Autor

Dani Collins
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