Julia Extra Band 545

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IM BANN DES SPANISCHEN PLAYBOYS von CAROL MARINELLI

Nur diese eine sinnliche Nacht? Auf einer Hochzeitsfeier in Jerez begegnet Anna dem unwiderstehlich attraktiven Spanier Sebastián Romero. Nach einem innigen Tanz lässt sie sich wie im Rausch von ihm verführen. Ein Fehler? Sebastián gilt als berüchtigter Playboy …


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  • Erscheinungstag 02.01.2024
  • Bandnummer 545
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525572
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Rebecca Winters, Tara Pammi, Caitlin Crews

JULIA EXTRA BAND 545

1. KAPITEL

„Ihr wollt heiraten?“

Im ersten Moment dachte Anna Douglas, ihre beste Freundin würde einen Witz machen. Emily war schließlich erst seit sechs Wochen in Spanien.

„Ja, ich weiß, es geht alles sehr schnell, aber es wäre so schön, wenn sich wenigstens ein Mensch für uns freuen würde!“

Annas Lächeln erlosch, als sie die Verzweiflung in der Stimme ihrer Freundin hörte.

„Seine ganze Familie ist dagegen. Sebastián glaubt, ich habe es nur auf Alejandros Geld abgesehen!“

„Was?!“

„Oh ja! Als Alejandro in den Staaten war, hat er mich praktisch vor die Tür gesetzt, um uns auseinanderzubringen!“

„Wer, Sebastián?“ Anna runzelte irritiert die Stirn. Sie hatte den Namen des ältesten Romero-Bruders in den letzten Wochen öfter gehört. Emily hatte nämlich gerade die neue Website für die Sherry-Bodega der beiden Brüder entworfen, und Sebastián schien ein richtiger Kotzbrocken zu sein. „Moment mal, wen heiratest du denn jetzt?“

„Na, Alejandro!“

Anna wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass ihre schüchterne Freundin ausgerechnet etwas mit einem der Romero-Brüder hatte. Die beiden waren berühmt-berüchtigte Playboy-Milliardäre. Anna wusste das deshalb so genau, weil sie gründlich im Internet recherchiert hatte, nachdem ihre Freundin den Auftrag angenommen hatte.

Es kam noch dicker: Die Hochzeit würde schon in zwei Wochen stattfinden, weil … tja, weil Emily schwanger war.

„Im Moment wissen es nur seine Eltern.“

Anna hatte ihrer Freundin eigentlich raten wollen, es erst mal langsam angehen zu lassen, aber das konnte sie sich anscheinend sparen. Seufzend schloss sie die Augen.

„Anna, ich brauche wirklich deine Unterstützung!“, sagte Emily flehentlich.

„Die hast du.“ Und zwar bedingungslos. Emily war nämlich die Einzige im Dorf gewesen, die Anna in der schlimmsten Phase ihres Lebens beigestanden hatte.

Emily sprudelte weiter drauflos. Sie war wegen der bevorstehenden Hochzeit im Mai so aufgeregt, dass Anna ihr Bestes gab, sich für sie zu freuen.

„Willow und du müsst unbedingt kommen!“

„Also …“ Anna verstummte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

Geld war ausnahmsweise kein Problem, weil Alejandro darauf bestand, Flug und Unterkunft zu bezahlen, aber Willow hatte ständig Mittelohrentzündungen und musste bald operiert werden.

„Bitte, Anna! Ihr müsst einfach dabei sein!“

Anna war froh, als das Telefonat schließlich vorbei war. Seufzend ließ sie sich aufs Sofa fallen und raufte sich das Haar. Tu etwas, Anna!

Entschlossen stand sie auf und setzte sich an ihren Computer – vor genau die Website, die ihre beste Freundin entworfen hatte –, um sich die Texte über den Bräutigam, seinen Bruder und deren jüngere Schwester Carmen durchzulesen, die laut Emily ebenfalls alles versucht hatte, das Paar auseinanderzubringen.

Anna betrachtete das Foto Sebastián Romeros, auf dem er mit dem Rücken gegen eine Mauer lehnte, ein golden schimmerndes Sherryglas in einer Hand. Anna ignorierte sein gutes Aussehen und seine weltmännische Ausstrahlung und betrachtete sein Lächeln, das nicht ganz aufrichtig war.

Er wirkte wie ein Mensch, den man sich besser nicht zum Feind machen sollte.

„Oh, Emily!“, seufzte sie.

Sie ging die Treppe hoch und öffnete leise die Kinderzimmertür, um nach ihrer Tochter zu sehen, die zwischen all ihren Plüschtieren auf dem Bett eingeschlafen war. Um sie nicht zu wecken, deckte Anna sie mitsamt Stofftieren zu und setzte sich auf die Bettkante. Besorgt betrachtete sie die Flasche mit den Ohrentropfen auf dem Nachttisch.

Natürlich wollte sie für ihre Freundin an deren großem Tag da sein, aber die Luftdruckveränderungen im Flugzeug würden Willow bestimmt Schmerzen verursachen, und bis zur Operation durfte sie sowieso nicht fliegen. Andererseits war Emily immer für Anna da gewesen … auch wenn Anna ihr nicht alles über Willows Vater erzählt hatte …

Im Grunde hatte sie noch mit niemandem darüber gesprochen. Sogar ihren Eltern gegenüber war sie so verschwiegen gewesen, dass die beiden falsche Schlüsse gezogen hatten und dachten, Willow sei bei einem One-Night-Stand mit einem Unbekannten entstanden. Seitdem war Annas Verhältnis zu ihren Eltern ziemlich angespannt. Aber wenigstens liebten die beiden Willow über alles und ließen sie nicht für die Sünden ihrer Mutter büßen, auch wenn sie nicht bereit waren, für Anna den Babysitter zu spielen.

Anna stand daher ein zweiter schwieriger Anruf bevor. Sie musste ihrer Mutter erzählen, dass Emily Willow und sie zu ihrer Hochzeit in Spanien in zwei Wochen eingeladen hatte.

„Was ist denn mit Willows Ohren?“, fragte Jean Douglas sofort. „Findest du wirklich, sie sollte sich in einen Flieger setzen?“

„Nein, das finde ich nicht. Deshalb rufe ich dich ja an. Ich habe mich gefragt, ob du an dem Wochenende, an dem die Hochzeit stattfindet, vielleicht auf sie aufpassen könntest. Ich würde Freitag nach Spanien fliegen und Sonntag zurückkehren.“

Ein längeres Schweigen folgte am Ende der Leitung. „Ich weiß nicht, ob wir Zeit haben. Dann ist Christi Himmelfahrt und …“

„Ich weiß“, fiel Anna ihrer Mutter ungeduldig ins Wort. Ihr Vater war der Vikar der Gemeinde; das Leben ihrer Eltern richtete sich nach dem Kirchenkalender. „Wenn es nicht geht, geht es eben nicht.“

„Und was machst du dann?“

„Keine Ahnung“, gestand Anna. „Ich könnte Willows Arzt fragen, ob sie nicht vielleicht doch irgendwie fliegen kann.“ Sie schluckte. „Falls nicht, bleibe ich eben hier.“ Auch wenn ihr bei der Vorstellung das Herz blutete. Emily war mehr für sie da gewesen als Annas Eltern, aber Willow hatte nun mal Vorrang. „Mir fällt sonst niemand ein.“

Sie hörte ihre Mutter melodramatisch seufzen. „Na gut“, sagte Jean schließlich gnädig. „Wir werden Willow an dem Wochenende nehmen.“

Anna fiel ein Stein vom Herzen. Doch noch während sie sich überschwänglich bei ihrer Mutter bedankte, kamen ihr Bedenken. Seit Willows Geburt war sie keine Nacht von ihr getrennt gewesen. Waren gleich zwei Nächte nicht viel zu viel …?

Wie Anna kurz vor ihrer Abreise von Emily erfuhr, würde sie nicht von Sevilla aus mit dem Zug nach Jerez fahren müssen, weil Sebastián Romero sie am Flughafen abholen würde. Anscheinend war es Tradition, dass der padrino so etwas übernahm – das spanische Äquivalent eines Trauzeugen.

Als Anna in weitem Rock mit Neckholdertop sowie flachen Sandaletten die Ankunftshalle betrat, hielt sie nach einem Mann mit einem Schild mit ihrem Namen Ausschau, fing jedoch fast sofort Sebastiáns Blick auf. Sie erkannte ihn sofort.

Er war großgewachsen, trug einen Anzug mit gelockerter Krawatte und wirkte gelangweilt und mürrisch. Trotzdem fand sie ihn zu ihrer Bestürzung sehr anziehend, so ungern sie sich das auch eingestand.

Er nickte ihr dünn lächelnd zu, als sie mit ihrem Koffer auf ihn zukam. Sehr dünn lächelnd.

„Hallo, Sebastián.“ Anna blieb unschlüssig vor ihm stehen. Sie wusste nicht, ob sie diesen padrino wider Willen per Handschlag begrüßen sollte oder nicht.

„Sebastián?“, fragte er stirnrunzelnd. „Das bin ich nicht.“

Anna wich erschrocken zurück. „Oh nein, sorry …“

Sein Lächeln vertiefte sich etwas. „Es broma“, sagte er. „Das war nur ein Scherz.“

Anna ertappte sich dabei, sein Lächeln zu erwidern.

Er richtete den Blick auf ihren kleinen Koffer. „Gibt es ein Problem mit Ihrem Gepäck? Ist es noch nicht da?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht mehr dabei. Ich bin ja nur zwei Tage hier.“

„Aber an einem davon findet eine Hochzeit statt.“

Anna fragte sich, ob sie das als Kritik auffassen sollte.

Er verdrehte genervt die schönen, schwarzen Augen. „Ich wollte damit nur sagen, dass bei den meisten Frauen schon allein der Kosmetikkoffer so groß ist wie Ihrer. Lassen Sie uns zu meinem Wagen gehen.“

Zu Annas Überraschung nahm sie ihm seine Bemerkung nicht übel. Sie musste sogar immer noch wegen seines kleinen Scherzes von gerade eben lächeln.

Als sie das Flughafengebäude verließen und in die strahlende Maisonne hinaustraten, befand Anna sich zum ersten Mal in Emilys neuer Welt. Fasziniert betrachtete sie ihre Umgebung.

„Anna?“

Sie drehte sich zu ihm um und stellte fest, dass sie nicht dem Menschenstrom zum Parkplatz folgten. Sebastián zeigte auf einen silbermetallicfarbenen Sportwagen. Ein Flughafenangestellter reichte ihm den Autoschlüssel und verstaute Annas Gepäck im Kofferraum.

„So“, sagte Sebastián, als sie das Flughafengelände hinter sich ließen. „Bis nach Jerez dauert es etwa eine Stunde. Ich werde Sie dort vor der Brautmodenboutique absetzen und Ihren Koffer zum Hotel bringen.“

„Das kann ich doch selbst machen.“

„Sie sind die dama de honor, also ist das meine Aufgabe.“

Seine Worte verrieten ihr, dass er nicht viel von dieser unliebsamen Tradition hielt.

„Wie war Ihr Flug?“, erkundigte er sich höflich.

„Gut, danke.“

„Das Probeessen war schon gestern Abend.“

„Ich weiß. Ich konnte nicht früher weg.“

Bei dem Gedanken an Willow bekam Anna einen Kloß im Hals. Um nicht womöglich in Tränen auszubrechen, sah sie aus dem Fenster. Sie war gerade zu emotional, um über ihre Tochter zu reden. Abgesehen davon bezweifelte sie, dass dieser kultivierte Mann sich auch nur annähernd für ihre Kinderbetreuungsarrangements interessieren würde.

Sie schwiegen fast die ganze Fahrt über. Als sie in Jerez ankamen, beugte Sebastián sich vor und streifte Annas Oberschenkel mit einem Arm. Erschrocken zuckte sie zurück, aber wie sich herausstellte, öffnete er nur das Handschuhfach, um einen Umschlag herauszunehmen.

Für sie offensichtlich. „Da ist Ihre Schlüsselkarte drin. Ihr Hotel liegt ganz in der Nähe der Kirche.“

Während er Anna die Lage beschrieb, versuchte sie, sich nicht anmerken zu lassen, wie erschreckend heftig sie auf seine unbeabsichtigte Berührung reagiert hatte.

Er streifte sie mit einem belustigten Blick. „Was auch immer Sie über mich gelesen haben – so schlimm bin ich nun auch wieder nicht“, sagte er trocken.

Anna sah ihn verwirrt an, bis ihr bewusst wurde, dass er ihr Zusammenzucken meinte. Sie musste lachen. „Sorry, es war nur …“

Er erwiderte ihren Blick lächelnd. „Ist schon okay.“

Diesmal wirkte sein Lächeln schon etwas echter.

Ein ganz kleines bisschen wenigstens.

Er richtete den Blick wieder auf die Straße. „Bei dem Probeessen haben Sie nicht viel verpasst. Sie und Emily übernachten übrigens beide im Hotel, so wie ich auch.“

„Findet die Hochzeit dort statt?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, abgesehen von der Trauung wird bei uns in der Bodega gefeiert.“

„Ach.“ Anna war eigentlich davon ausgegangen, dass Sebastián wie sein Bruder in der Bodega wohnte, aber anscheinend war das nicht der Fall.

„Ich rufe Sie an, wenn Alejandro und ich zur Kirche aufbrechen, und dann bringen Sie die Braut hin.“

„Sie hinbringen? In brandneuen Schuhen, die ich noch nie gesehen, geschweige denn anprobiert habe?“

„Beschweren Sie sich bei Ihrer Freundin. Emily ist diejenige, die es mit der Hochzeit so eilig hatte.“ Sebastián sah grimmig geradeaus. „Was wohl der Grund sein mag?“

Seine Worte trieften geradezu vor Verachtung, aber Anna sagte nichts. Er provozierte sie wahrscheinlich absichtlich, und sie weigerte sich, darauf anzuspringen.

Stattdessen betrachtete sie durchs Fenster die Stadt. Emily hatte nicht übertrieben; Jerez war wunderschön.

Sebastián war kein besonders guter Fremdenführer. Er zeigte nur einmal auf eine Sehenswürdigkeit – die Königlich-Andalusische Reitschule mit den berühmten tanzenden Pferden. „Meine Schwester Carmen lebt praktisch dort.“

Ansonsten musste Anna sich allein umsehen. Der Alcázar, der Königspalast, war wirklich beeindruckend, und überall gab es hübsche Plätze mit Springbrunnen und kleine Gassen, die sie nur zu gern erkunden würde. „Schade, dass ich nur zwei Tage hier bin“, sagte sie seufzend.

„Sie werden Ihre Freundin garantiert öfter besuchen.“ Ihre seit neuestem in Geld schwimmende Freundin schwang deutlich in seinem Tonfall mit.

Als er vor der Brautmodenboutique bremste, hielt Anna nicht mehr die Klappe. Allmählich reichte es ihr mit seinen Spitzen gegen Emily! „Oh, ich komme ganz bestimmt wieder, Sebastián! Emily ist nämlich mehr als nur eine Freundin für mich – sie ist eher wie eine Schwester. Und ob Sie es glauben oder nicht – Sie sind nicht der Einzige, der Bedenken wegen dieser plötzlichen Hochzeit hat.“

Sein sardonisches Lächeln verriet, dass er ihr kein Wort glaubte.

„Ihr Bruder hat nämlich nicht gerade den vertrauenerweckendsten Ruf, und was Sie angeht …“ Sie verstummte errötend. Den Bruder des Bräutigams wegen seiner sexuellen Eskapaden zur Rede zu stellen, gehörte wahrscheinlich nicht zu den Aufgaben einer Brautjungfer. Außerdem wollte sie ihm nicht verraten, dass sie sich im Netz über ihn informiert hatte.

Die Artikel über ihn waren geradezu schockierend skandalös. Er war anscheinend noch schlimmer als sein Bruder. Die wilden Partys auf seiner Jacht waren legendär, und die Frauen, denen er das Herz gebrochen hatte, zahllos. Am schlimmsten fand sie noch, dass er mit seiner Verlobten Schluss gemacht hatte, nachdem sie sein Baby verloren hatte.

Er erwiderte ihren Blick so kühl, dass sie errötend den Blick senkte … doch sie kam nur bis zu seinen Lippen.

Er hatte einen wirklich hübschen Mund mit vollen Lippen und einem Amorbogen, der so perfekt definiert war, dass kein Lipliner es besser hinkriegen würde.

„Sind Sie fertig?“

Anna wurde bewusst, dass sie immer noch auf seinen Mund starrte. Und nein, damit war sie noch nicht fertig. Sie sah immer noch vor sich, wie seine weißen Vorderzähne gerade beim F seine Unterlippe berührt hatten und wie er beim T mit leicht geöffneten Lippen die Zähne aufeinandergepresst …

Mühsam riss sie den Blick von seinem Mund los und hob ihn wieder zu seinen Augen. „Ja, bin ich“, sagte sie mit möglichst fester Stimme, die jedoch verräterisch zitterte. Warum hatte sie nur etwas gesagt? Warum hätte sie ihn fast auf seinen schlechten Ruf angesprochen, obwohl sein Lebenswandel sie absolut nichts anging?

„Lassen Sie uns den morgigen Tag einfach irgendwie hinter uns bringen.“ Der scharfe Unterton in seiner Stimme verriet seine Missbilligung. „Hasta luego.

Blinzelnd fragte sie sich, ob er sie gerade beleidigt hatte.

„Das heißt ‚auf Wiedersehen‘“, übersetzte er. „Oder vielmehr ‚bis später‘.“

Sebastián half Anna doch nicht mit ihrem Koffer. Er hatte keine Lust mehr, höflich zu sein, also öffnete er nur pointiert den Kofferraum und blieb ansonsten stur sitzen.

Hinter ihrer kühlen, britischen Fassade steckt ganz schön Temperament, dachte er. Er empfand fast so etwas wie widerstrebende Bewunderung, weil sie ihre Freundin ihm gegenüber verteidigte und ihm ganz offen sagte, was sie von Alejandro und dieser plötzlichen Hochzeit hielt. Aber ihre Anspielung auf sein eigenes Verhalten …

Eigentlich hatte er gedacht, immun gegen abfällige Bemerkungen zu sein. Er wusste es schließlich besser. Doch der Abscheu in ihren blitzenden grünen Katzenaugen hatte ihn irgendwie gekränkt. Um ein Haar hätte er ihr gesagt, dass sie nicht alles glauben sollte, was sie las, aber … wozu? Im Grunde war es ihm doch völlig egal, was andere Menschen von ihm hielten.

Als er beobachtete, wie sie ihren kleinen Koffer zur Boutique rollte, konnte er nicht umhin zu bemerken, was für einen schönen Rücken diese dama de honor hatte. Das war ihm schon vorhin aufgefallen, als sie vor ihm das Flughafengebäude verlassen hatte.

Sie schien seinen Blick zu spüren, denn sie versteifte sich etwas, bevor sie vor der Tür der Boutique stehenblieb. Und dann bewunderte er mehr als nur ihren Rücken, denn als sie sich für einen Moment in seine Richtung drehte, sah er, wie sich ihre Verärgerung in ein strahlendes Lächeln verwandelte, mit dem sie die Boutique betrat.

Sebastián musste ebenfalls lächeln. Und zwar überraschend aufrichtig, obwohl er genau wusste, dass Anna ihr Lächeln nur ihrer Freundin zuliebe aufs Gesicht gepflastert hatte.

Offensichtlich hatte sie wirklich die gleichen Vorbehalte gegen diese Hochzeit wie er.

Anna lächelte tatsächlich nur Emily zuliebe. So sehr sie sich auch auf das Wiedersehen mit ihrer Freundin freute – sie machte sich große Sorgen.

„Anna!“ Emily stürzte auf sie zu und umarmte sie stürmisch. „Es tut mir so leid, dass ich dir Sebastián aufgehalst habe!“

„Ach, er war eigentlich ganz okay.“

Emily schnaubte verächtlich. Offensichtlich glaubte sie Anna kein Wort. „Hätte ich mein Kleid nicht dringend weiter machen lassen müssen, hätte ich dich selbst abgeholt! Komm, ich zeig es dir!“ Emily wirkte überglücklich. Sie strahlte geradezu. „Das hier ist übrigens deins. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du dir gern ein anderes Kleid aussuchen.“

„Ich finde es ganz toll“, sagte Anna wahrheitsgemäß. Das Seidenkleid, das Emily ihr hinhielt, hatte einen dunklen Bernsteinton und war wahrscheinlich das schönste Kleid, das sie je in den Händen gehalten, geschweige denn anprobiert hatte.

Als die Schneiderin es ihr über den Kopf streifte und den seitlichen Reißverschluss zuzog, stockte Anna der Atem – und das nicht, weil das Kleid so eng saß.

Nein es war definitiv das Schönste, was sie je getragen hatte.

Emily musterte sie lächelnd. „Du siehst absolut umwerfend aus, Anna! So schick gekleidet habe ich dich nicht mehr gesehen, seit …“ Sie verstummte.

Kein Wunder, noch nicht mal Anna konnte sich an die letzte Gelegenheit erinnern. Zuletzt war sie bei der Weihnachtsfeier des Personals der Schule gewesen, wo sie halbtags am Empfang arbeitete, und dafür hatte sie kein Kleid gebraucht.

Und davor …

Ihr trostloses Privatleben verdrängend probierte sie die Schuhe an, die Emily ihr hinhielt. Sie hatten unglaublich hohe Absätze.

„Hoffentlich knicke ich damit nicht um.“ Normalerweise trug sie keine hochhackigen Schuhe.

Nach dem Boutiquebesuch wurde sie noch mehr verwöhnt. Das Hotel, in das Emily mit ihr ging, war so nobel, dass es sogar uniformierte Portiers und Pagen hatte.

Annas Suite lag direkt an der quirligen Plaza de Santiago. Sie betrachtete den Springbrunnen und die Kirche, in der morgen die Trauung stattfinden würde. Das Bauwerk war so prachtvoll, dass es eher einer Kathedrale ähnelte.

„Kommen morgen viele Gäste?“, fragte sie ihre Freundin.

Emily nickte. „Hunderte. Die Hälfte davon scheint aus Alejandros Exfreundinnen zu bestehen – zumindest kommt es mir so vor. Sogar Mariana kommt.“

„Die Frau, die er ursprünglich heiraten sollte?“

„Wenn es nach seinem Vater und seinem Bruder gegangen wäre, schon. Anscheinend hatten sie auf eine Fusion der beiden Bodegas gehofft. Ich glaube, deshalb war Sebastián auch so gegen mich. Er interessiert sich nur fürs Geschäft.“

„Emily …“ Anna holte tief Luft. Sie wollte die Chance nutzen, jetzt wo Emily und sie endlich allein waren. „Ich frage dich nur sehr ungern, aber …“

Emily wusste anscheinend schon, worauf Anna hinauswollte. Sie kannten sich einfach zu gut. „Bitte nicht! Wir heiraten nicht nur wegen des Babys. So etwas würde ich nie tun. Du kriegst es schließlich auch ganz allein hin, und das so toll …“

„Na ja, so toll nun auch wieder nicht.“

„Aber du schaffst es, und das ohne jede Hilfe. Würden Alejandro und ich uns nicht lieben, würde ich mein Kind auch allein großziehen, glaub mir!“

„Okay, dann kann die Hochzeit morgen ja stattfinden“, witzelte Anna.

Sie wünschte, sie könnte sich einfach entspannen und ihren Aufenthalt genießen, aber sogar im Hotelrestaurant noch war sie total angespannt. Ich vermisse wahrscheinlich Willow, sagte sie sich selbst, während Emily und sie Paella aßen. Andererseits hatte sie ihre Tochter gerade angerufen, und zu Hause war alles in bester Ordnung. Ob sie sich vielleicht einfach unwohl in dieser luxuriösen Umgebung fühlte?

Nein, das war auch nicht der Grund. Sie musste nur ständig daran denken, dass Sebastián ebenfalls in diesem Hotel übernachtete.

„Warum schläft Sebastián eigentlich hier?“, fragte sie. „Wohnt er nicht in der Bodega?“

Emily schüttelte den Kopf. „Nein, nur Alejandro. Sebastián hat dort nur sein Büro. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, denn ich wäre sehr ungern seine Nachbarin.“

„Was ist eigentlich mit dem Rest der Familie? Sind sie wirklich alle gegen diese Hochzeit? Hast du nicht gesagt, Alejandros Vater gewöhnt sich langsam an die Vorstellung?“

„Ja, aber nur wegen des Babys. Carmen kann mich nicht ausstehen. Die Einzige, die mich zumindest ansatzweise unterstützt, ist Maria, ihre Mutter, so unglaublich das auch ist.“

„Die berühmte Flamencotänzerin? Warum ist es so unglaublich, dass sie dich unterstützt?“

„Anscheinend ist sie nicht gerade der warmherzige Typ.“

Als sie das Restaurant verließen, stellte sich Annas Nervosität als nur allzu berechtigt heraus, denn sie liefen prompt Sebastián über den Weg. Er sprach gerade mit dem Pförtner, signalisierte ihnen jedoch zu warten, als er sie sah.

Himmel, ist er dominant! dachte Anna, als er selbstsicher auf sie zusteuerte.

„Für morgen ist so weit alles vorbereitet“, sagte er zu Emily. „Brauchst du sonst noch etwas?“

„Nein, alles bestens. Danke, Sebastián.“

Er richtete den Blick auf Anna. „Unsere Hauptaufgabe bis zur Trauung ist, dafür zu sorgen, dass Braut und Bräutigam sich nicht sehen.“

„Ich weiß.“ Anna lächelte gezwungen. „In England ist es genauso. Wir …“

„Ich rufe Sie an, wenn Alejandro und ich in der Kirche sind“, fiel er ihr ins Wort. Anscheinend hatte er keine Lust, Konversation zu machen.

„Okay.“

„Dafür brauche ich Ihre Handynummer.“

Frag doch Emily, hätte sie am liebsten pampig gesagt, aber dann merkte er womöglich, was für eine Wirkung er auf sie hatte. Sie nannte ihm ihre Nummer und beobachtete, wie er sie in sein Handy tippte.

„Danke“, sagte er, bevor er den Blick wieder auf Emily richtete. „Viel Glück für morgen.“

Er stolzierte davon – allerdings weder zu den Fahrstühlen noch zum Ausgang. Stattdessen ging er einen Korridor entlang auf eine kunstvoll geschnitzte Holztür zu.

„Von wegen, er wünscht mir Glück“, murmelte Emily abfällig.

Anna ertappte sich dabei, ihm immer noch hinterherzusehen. Sie beobachtete, wie er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche zog und die Tür aufschloss. Es fiel ihr verdammt schwer, den Blick von ihm loszureißen und sich auf Emily zu konzentrieren. „Lass uns hochgehen. Du hast morgen einen anstrengenden Tag.“

Se ve hermosa …“ Sie sieht sehr schön aus …

Sebastián Romero biss die Zähne zusammen, als er den Gang zum Altar hochsah. Widerstrebend zwang er sich zu einem Lächeln, um seiner Pflicht als padrino seines Bruders Genüge zu tun und zu sagen, was man zu diesem Anlass von ihm erwartete. Wenn auch nur heute.

Natürlich sah die Braut schön aus – wer würde nicht vor Glück strahlen, wenn er für den Rest seines Lebens ausgesorgt hatte?

Er ging davon aus, dass Emily schwanger war. Er glaubte nur nie im Leben, dass man sich binnen weniger Wochen so unsterblich verlieben konnte, dass man direkt beschloss, ein Baby zu machen.

Er sprach da aus bitterer Erfahrung. Eine Erfahrung, die ihn zu hart und zu zynisch gemacht hatte, um der Braut positive Gefühle entgegenzubringen.

Sein Blick fiel auf seine Eltern. Sein Vater war nur vier Wochen nach seiner Operation wieder auf den Beinen. Und was Maria anging, die die Bezeichnung „Mutter“ nicht verdiente – zum ersten Mal nach fünfundzwanzig Jahren war sie wieder an der Seite ihres Ehemanns.

Sebastián zweifelte nicht daran, dass sie nur zurückgekehrt war, weil José Romero im Sterben gelegen hatte. Die Tinte auf seinem frisch verfassten Testament war kaum getrocknet. Es fiel garantiert zu Marias Gunsten aus.

Verdammt noch mal, ja, er war abgestumpft und verbittert – anders als Alejandro, der gerade nicht ganz bei Verstand zu sein schien. Die Engländerin, die sie engagiert hatten, um die verstaubte Website der Romeros aufzupeppen, hatte nämlich mehr aufgepeppt als Sebastián lieb war.

Als er den Blick wieder auf die Braut richtete, um seinem Bruder widerstrebend beizupflichten, sprang ihm stattdessen die dama de honor ins Auge.

Anna.

Sie trug ihr langes, blondes Haar offen. Es wurde nur von zwei kleinen Orangenblütenzweigen aus dem Gesicht gehalten.

Ihr elegantes Kleid hatte einen dunklen Bernsteinton – fast wie der Sherry, den die Romeros produzierten. Der sich um ihren schlanken Körper schmiegende Seidenstoff schimmerte wie flüssiges, dunkles Gold, und die schmalen Träger betonten ihre zarten Schlüsselbeine und ihren langen Hals.

Sí, se ve hermosa“, bestätigte Sebastián seinem Bruder. So, er hatte endlich das Richtige gesagt – und das sogar voller Überzeugung.

Nur dass er nicht die Braut meinte.

Als Anna näher kam, sah er, dass sie Augen und Mund geschminkt und die Wangen mit Rouge versehen hatte – oder sie errötete unter seinem Blick. Er nickte ihr zu, um sich bei ihr dafür zu bedanken, dass sie die Braut zur Kirche gebracht hatte, bevor er den Blick wieder von ihr abwandte.

Ehrlich gesagt fand er es ziemlich verstörend, wie stark er sich zu ihr hingezogen fühlte … Obwohl, wenn er es recht bedachte, konnte er etwas Ablenkung an diesem schrecklichen Tag vielleicht gut gebrauchen.

Als der Priester anfing, von ewiger Liebe zu sprechen, biss Sebastián wieder die Zähne zusammen. Tief Luft holend dachte er darüber nach, ob er Anna mit oder ohne Make-up bevorzugte. Vielleicht würde er ihr später die Farbe von den Lippen küssen …

Aber jetzt bat man ihn erst mal um die Ringe.

Er wünschte, er könnte sie wegwerfen.

Wirklich.

Am liebsten würde er sie in die Gemeinde schleudern, um seinem Protest Ausdruck zu verleihen. Kein Mensch konnte ihm weismachen, dass das hier eine Liebesheirat war!

Er glaubte sowieso nicht an Liebe, keine Sekunde lang. Er selbst hatte sich seinerzeit nur aus Pflichtgefühl verlobt …

Bei der Erinnerung daran presste er die Lippen zusammen. War dabei auch nur ansatzweise Liebe im Spiel gewesen?

Nicht für Ella jedenfalls, seine Kurzzeitverlobte.

Für das Baby? Das hatte doch noch nicht mal existiert …

In diesem Moment begann eins in der Kirche zu schreien. Lauthals. Ein weiteres Baby stimmte mit ein und dann noch eins … Ihr Geschrei kam ihm in diesen heiligen Hallen vor wie bitterer Hohn – erinnerte ihn daran, dass erst eine Babylüge notwendig gewesen war, um die Ehe auch nur in Erwägung zu ziehen.

Nie wieder!

2. KAPITEL

Annas Bedenken verblassten allmählich.

Sie zweifelte inzwischen nicht mehr daran, dass ihre Freundin Alejandro aufrichtig liebte, und seinem verliebten Gesichtsausdruck nach erwiderte er ihre Gefühle eindeutig.

Es sah tatsächlich nach Liebe aus.

Nicht, dass Anna da groß mitreden konnte. Waren ihre Sorgen wegen dieser überstürzten Romanze wirklich berechtigt gewesen, oder war sie vielleicht nur neidisch? So oder so stand sie jetzt hier, in dieser schönen alten Kirche, und war Zeugin der Trauung ihrer besten Freundin.

Ihr Blick fiel auf Sebastián. Er sah starr geradeaus, sodass sie in Ruhe sein schönes, ernstes Gesicht betrachten konnte. Schräg, dass sie sich so zu ihm hingezogen fühlte.

Dass ihr auffiel, wie gut sein perfekt geschnittener Anzug seine breiten Schultern betonte. Oder dass sie darüber nachdachte, ob sie nachher zusammen tanzen würden oder nicht.

Schräg fand sie auch die Tatsache, wie sehr der Anblick seines Hinterkopfes sie faszinierte – die Art, wie sein schwarzes, frisch geschnittenes Haar im Nacken auf seiner olivbraunen Haut zu einem V zusammenwuchs. Es war geradezu bizarr, vor zweihundert Gästen im Altarraum einer Kirche zu stehen und zum ersten Mal seit Jahren so nervös wie ein Schulmädchen zu sein … oder so heftig zu erröten wie eine naive Studentin, die von einem gutaussehenden Gastprofessor angelächelt wurde.

Sie verdrängte die Erinnerung und konzentrierte sich wieder auf Sebastián. Nein, es war nicht schräg, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte, nur ungewohnt und fremd. So etwas war ihr nämlich noch nie passiert.

Aber es war nur körperlich. Rein körperlich.

Denn nach allem, was sie bisher über Sebastián Romero gelesen oder von ihm mitbekommen hatte, war er ihr noch nicht mal sympathisch. Nur ihre Lippen schienen das anders zu sehen, denn sie schienen immer wie von allein zu lächeln oder zu lachen, wenn er mit ihr sprach.

Außerdem schien ihr Herz sich dann komplett von ihrem sonst so nüchternen Verstand abzukoppeln und schlug automatisch schneller.

Sie beobachtete ihn verstohlen, als der Priester ihn um die Ringe bat. Er griff in die Tasche seines schwarzen Anzugs. Bildete sie sich das nur ein, oder zögerte er kurz, bevor er sie auf die offenen Seiten der Bibel legte? Annas Lippen verrieten sie schon wieder, denn sie musste ein Lächeln unterdrücken. Er sah wieder starr geradeaus, aber als die Gelübde gesprochen wurden und die Babys wieder zu brüllen begannen, legte er den Kopf in den Nacken und betrachtete das schöne Gewölbe über sich.

Er hasste offensichtlich jede Sekunde hiervon.

Trotzdem blieb er extrem höflich, als sie in die Sakristei gingen, um ihre Unterschriften zu leisten.

„Habe ich bei meinen Gelübden etwas falsch gemacht?“, fragte Emily. Sie hatte auf Spanisch gesprochen und Alejandro auf Englisch.

„Nein, es hörte sich ganz wundervoll an“, antwortete Anna lächelnd. „Nicht, dass ich Spanisch verstehe, aber insgesamt …“

„Meine Damen?“, fiel Sebastián ihr ins Wort. „Der Fotograf will ein Foto von uns Vieren zusammen mit dem Priester machen.“

„Natürlich.“ Emily ging zu dem großen Tisch und setzte sich, während der Fotograf auf Spanisch mit Anna sprach.

Sie verstand kein Wort. „Wie bitte?“

„Er will, dass Sie sich hinter die Braut stellen“, dolmetschte Sebastián. „Neben mich.“

„Okay.“ Als sie neben ihn trat, erschauerte sie, weil es ihr so vorkam, als würde ihre Körperwärme sich miteinander verbinden, obwohl sie sich nicht berührten.

Sebastián nahm sie an einem Arm und zog sie etwas dichter zu sich heran.

Nicht reagieren, schärfte sie sich ein. Es sollte dir noch nicht mal auffallen.

Der Fotograf schob sie beide herum wie Schachfiguren, aber nur Sebastiáns Berührung empfand sie als elektrisierend. „Más cerca“, befahl der Fotograf gestikulierend.

„Wir sollen uns dichter nebeneinanderstellen“, dolmetschte Sebastián. „Und das Lächeln nicht vergessen.“

„Das hat er nicht gesagt!“

„Aber das Erste schon“, antwortete Sebastián, und Anna ertappte sich dabei, beides zu machen: dichter an ihn heranzurücken und zu lächeln.

Und dann war plötzlich alles vorbei, und sie machten sich auf den Weg zur Feier. Die Bodega war wirklich unglaublich schön, genauso, wie Emily sie beschrieben hatte. Der sogenannte Weinkeller war in Wirklichkeit ein riesiger kirchenartiger Raum mit hohen Deckengewölben und runden Bleiglasfenstern, in dem schwarze Sherryfässer lagerten. An einem Ende befand sich eine Bühne. Es gab auch ein Restaurant und eine taberna, die Emily ihr kurz zeigte.

„Hier haben Alejandro und ich uns kennengelernt.“

Anna betrachtete die mit Flamencofotos bedeckten Wände. „So etwas habe ich noch nie gesehen.“

Kellner reichten Tabletts mit Kaffee und Sherry herum, damit die Gäste kurz verschnaufen konnten, bevor es losging. Anna hatte schon gehört, dass die Hochzeitsfeier bis tief in die Nacht dauern würde.

Als Emily fortgerufen wurde, kehrte sie in den Raum mit den Fässern zurück und nahm sich von den köstlich aussehenden Tapas.

„Lassen Sie es ruhig langsam angehen.“

Noch bevor sie seine Stimme erkannte, wusste Anna, dass er es war.

„Es gibt noch reichlich zu essen.“

„Oh …“ Verlegen betrachtete sie ihren ziemlich vollen Teller. „Ich dachte, das hier ist das Abendessen.“

„Oh nein.“ Er stibitzte eine Tapa von ihrem Teller. „Es sind nur Appetithäppchen. Das eigentliche Abendessen kommt noch, und es kann sich über Stunden hinziehen.“

„Haben Sie eine Tischrede vorbereitet?“, fragte Anna.

Er schüttelte den Kopf. „Es gibt keine Reden.“

„Schade, ich …“ Anna biss sich auf die Zunge, bevor ihr entschlüpfen konnte, dass sie sich schon darauf gefreut hatte, mehr über ihn zu erfahren. Eigentlich war es nicht ihre Art zu flirten. Niemals. Sie wüsste gar nicht, wie das ging, und trotzdem war sie gerade drauf und dran gewesen.

„Alles okay mit Ihnen?“, fragte er.

„Natürlich.“

„Mir fällt gerade ein, dass Sie hier noch niemanden kennen. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wenn Sie einen Dolmetscher brauchen oder so.“

Anna vermutete, dass er das nur aus Höflichkeit sagte. „Ich komme schon klar.“

„Soll ich ihnen ein paar Leute zeigen?“, fragte er zu ihrer Überraschung.

„Wie bitte?“

„Dann können Sie sie besser einordnen.“ Er richtete den Blick auf die Gäste. „So … sehen Sie die Frau mit dem silberfarbenen Kleid und dem auffälligen Haarschmuck?“

Anna nickte.

„Das ist Maria – unsere Mutter. Neben ihr steht mein verliebter Vater José. Sehen Sie die junge Dame mit dem schwarzen Haar?“

„Es gibt hier so viele schwarzhaarige Frauen …“

„Sie trägt ein bronzefarbenes Kleid und hat ein Glas Sekt in der Hand. Das ist Carmen – meine Schwester.“

„Okay …“ Anna war wider Willen gerührt, dass Sebastián sich die Zeit nahm, ihr die wichtigsten Hochzeitsgäste zu zeigen.

„Und das da …“ Er kehrte den anderen den Rücken zu. „Sehen Sie nicht zu direkt hin. Sie hat kürzeres schwarzes Haar, und ihr Kleid …“ Er zögerte kurz. „Ich weiß nicht, wie die Farbe auf Englisch heißt.“

„Pink?“

„Stimmt. Das ist Mariana.“

„Oh!“ Anna betrachtete fasziniert die Hauptcharaktere in Alejandros und Emilys stürmischer Liebesgeschichte, doch schon kurz darauf rief jemand nach Sebastián.

„Ich muss gehen.“ Er nahm sich noch eine Tapa von ihrem Teller. „Ich komme später noch mal zu Ihnen, wenn wir mit tanzen dran sind.“

Wie arrogant von ihm, einfach ungefragt ihren Teller leerzuessen, obwohl direkt hinter ihm der Tisch mit dem Tapasbuffet stand, aber im Grunde war Anna dankbar dafür, denn das Abendessen wurde wirklich mächtig.

Mächtig und langwierig.

Anna saß zwischen Emily und der sehr mürrischen Carmen. Sie versuchte es mit etwas Konversation. „Ich bin gestern an der Reitschule vorbeigekommen.“

Carmen würdigte sie kaum eines Blickes.

„Ich habe gehört, Sie reiten gern?“

„Das will ich doch hoffen! Reiten ist schließlich mein Beruf.“

Anna gab den Versuch auf, mit Carmen ins Gespräch zu kommen. Sie war froh, als das Essen endlich vorbei zu sein schien, doch wie sich herausstellte, freute sie sich zu früh, denn die Kellner brachten schon den nächsten Gang.

Anna fing Sebastiáns Blick auf, natürlich nur rein zufällig. „Habe ich es nicht gleich gesagt?“, formte er lächelnd mit den Lippen.

Wieder verriet ihr Mund sie, denn sie erwiderte sein Lächeln prompt.

Und was das Tanzen anging …

Anna hatte sich nicht gerade darauf gefreut. Ehrlich gesagt hatte ihr sogar schon ein bisschen davor gegraut, aber irgendetwas hatte sich verändert. Inzwischen freute sie sich geradezu darauf.

Als sie Braut und Bräutigam beim Tanzen beobachtete, sah sie Sebastián aus dem Augenwinkel näher kommen. Er blieb neben ihrem Stuhl stehen und hielt ihr eine Hand hin.

„Anna?“

Sie nahm seine Hand und stand auf. Danach ließ er ihre Hand sofort los, aber es war ihr erster richtiger Körperkontakt gewesen.

Wie konnten seine Hände an einem so warmen Abend nur so kalt sein? Sie wusste ja schon, dass er nicht gerade ein warmherziger Typ war, aber seine Finger hatten sich eisig angefühlt!

Als sie auf der Tanzfläche ankamen, nahm er wieder ihre Hand und legte ihr die andere locker auf die Taille. Es war alles sehr förmlich und sehr höflich – nur das Gespräch nicht.

„Diese Hochzeit ist wirklich schön“, sagte Anna.

„Ich bitte Sie! Sind Sie inzwischen etwa bekehrt?“

„Die beiden machen einen sehr glücklichen Eindruck.“

„Sogar die Babys haben lautstark protestiert“, wandte Sebastián ein, während er sie auf der Tanzfläche drehte.

Anna fiel wieder ein, wie er vorhin in der Kirche den Kopf in den Nacken gelegt hatte – vermutlich hatte er gen Himmel geguckt, um Kraft zu finden. „Mein Vater lässt die Kinder bei den Trauungen immer im Gang herumlaufen“, erzählte sie. „Er ist der Vikar bei uns im Dorf.“

„Ach.“ Sebastián sah sich um. „Dann würden ihm spanische Hochzeiten gefallen. Hier gibt es keine festen Schlafenszeiten für die Kinder. Leider.“

„Dann finden Sie also, Kinder haben bei Hochzeiten nichts verloren?“ Anna musste an Willow denken, die hier aufgeregt herumlaufen, Freundschaften knüpfen und viel Krach machen würde. „Ich finde das sehr schön.“

„Dann herzlich willkommen in Jerez“, sagte er trocken und lachte kurz auf. „Ich bin anscheinend ein …“ Er verstummte, um nach dem passenden Wort zu suchen. Währenddessen tanzte er mühelos weiter. Er blieb sogar im Takt und führte Anna geschickt durch die richtigen Schritte und Drehungen. „Ich bin ein Spielverderber“, hörte sie seine tiefe Stimme in ihrem Ohr.

Sie sagte nichts dazu. Als ihnen ein anderes Paar etwas zu nahe kam, war sie froh, dass Sebastián sie an sich zog. Erst als ihr auffiel, dass ihr Kopf an seiner Brust lag, ließ ihre Erleichterung etwas nach.

Er tanzte unbeirrt weiter – wich den etwas stürmischeren Tänzern geschickt aus. Obwohl sie vor zweihundert Menschen tanzten, fühlte Anna sich unsichtbar – als hätte er sie in eine Parallelwelt entführt, in der sie ganz unter sich waren.

„Vielleicht bin ich einfach zu zynisch …“ Diesmal kam er tatsächlich aus dem Takt. Seine bisher so mühelose Anmut ließ etwas nach, als sei er tief in Gedanken versunken. „Aber ich misstraue Menschen nun mal. Alle haben irgendwelche Hintergedanken …“

„Nicht alle, Sebastián. Manche Menschen sind einfach …“ Anna zögerte. Sie wollte ihre beste Freundin nicht an deren Hochzeitstag als naiv bezeichnen, auch wenn sie sie insgeheim dafür hielt.

„Manche Menschen sind einfach was?“, hakte er nach.

Anna hatte jedoch den Faden verloren. Die Musik war nämlich langsamer geworden. Sie wünschte, der Tanz würde endlich enden. Nicht, dass sie sich unwohl fühlte. Es war eher so, dass ihr Sebastiáns Nähe nur allzu bewusst war.

Sie war eine junge Frau und noch dazu Mutter, also war sie eindeutig nicht mehr naiv und unerfahren, aber trotzdem kam sie sich gerade so vor. Und zwar deshalb, weil sie sich noch nie so lebendig gefühlt hatte. Sie hatte immer gedacht, sie wüsste, wie es war, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlte, aber was sie damals empfunden hatte, kam ihr im Vergleich zu dem hier nur wie ein blasser Abklatsch vor.

„Manche Menschen …?“, fragte Sebastián wieder nach.

Sie hob den Kopf und sah ihm in die schwarzen Augen. „Sind zu vertrauensvoll.“

„Und Sie nicht?“

„Oh nein!“, sagte sie kopfschüttelnd. Nicht mehr. „Sie irren sich jedenfalls, was Emily angeht.“

„Das will ich hoffen.“

„Die beiden lieben sich offensichtlich.“

Er lachte skeptisch. „Also gut, sollte das hier tatsächlich die Liebe des Jahrhunderts sein, wünsche ich den beiden viel Glück“, räumte er ein. „Aber für mich wäre das nichts.“

„Sie wollen keine Liebe?“, fragte Anna stirnrunzelnd.

„Natürlich nicht! Noch jemand, um den man sich Sorgen machen muss? Nein danke!“

Anna lachte – aufrichtig –, weil sie wusste, was er meinte. Seit Willow auf der Welt war, machte sie sich ständig Sorgen.

Ihr Lachen machte sie plötzlich stutzig. Sie klang so sorglos … Es war schon sehr lange her, dass sie so unbeschwert gewesen war. Sie war das gar nicht mehr gewohnt. Vielleicht war ihr Lachen ja spanisch!

Mit ihrer Sorglosigkeit war es jedoch schnell wieder vorbei, denn die Musik endete, und der Tanz, der ihnen beiden so bevorgestanden hatte, war vorbei. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, dass ihm das entging … dass er einfach mit ihr weitertanzte …

Doch stattdessen bedankte er sich bei ihr und ließ sie los. Er hatte seiner Pflicht Genüge getan.

Aber wer weiß, wozu das gut war, denn von der Bühne erklang plötzlich das Stampfen von Füßen, und mehrere Gäste riefen laut Olé. Die Musik wurde schlagartig schneller. Dabei würde Anna sowieso nicht mehr mitkommen.

„Ich muss jetzt meine Pflicht erfüllen und mit meiner Mutter tanzen.“

„Ist das so Tradition?“

„Nein“, sagte er achselzuckend. „Aber es muss sein, damit sie nicht sämtliche Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Sie liebt das Rampenlicht. Wenn ich sie nicht ablenke, wird das hier gleich die Maria-de-Luca-Show.“

„Olé!“

„Olé!“

„Olé!“

Himmel, Spanier tanzen wirklich gern, dachte Anna. Von Alejandro ermuntert zeigte Emily, was sie beim Flamencounterricht gelernt hatte. Maria hatte schon angefangen, mit den Füßen zu stampfen. Sie hatte offensichtlich viel Spaß. Sogar José stand zur Freude aller Anwesenden auf und machte mit. Und Sebastián konnte es genauso gut.

Nur Carmen blieb schmollend am Tisch sitzen.

Anna tanzte mit zwei weiteren Gästen, doch ihr Blick wanderte immer wieder zu Sebastián. Er hatte eine Zigarre im Mund; anscheinend machten männliche Hochzeitsgäste das in Spanien so. Er klatschte überm Kopf in die Hände, stampfte rhythmisch mit den Füßen und sah dabei unglaublich sexy aus.

Oh je …

Willow würde sich hier pudelwohl fühlen, dachte Anna, als ihr Tanz mit einem Mann endete, der nicht Sebastián war. Sie beschloss, sich etwas von den anderen zu entfernen und ihre Tochter anzurufen.

„Vermisst du mich?“, fragte Willow.

„Sehr sogar.“ Anna betrachtete die hoch aufgetürmten schwarzen Fässer und die Bleiglasfenster. Als ihr ein junges Paar auffiel, das sich im Dunkeln küsste, kehrte sie ihm den Rücken zu. Irgendwie beneidete sie die beiden. Den ganzen Abend zu tanzen und sich zwischendurch für einen Kuss davonzustehlen …

Es war so romantisch. Ein perfekter Abend … Etwas, das sie noch nie erlebt hatte …

Dabei küsse ich eigentlich gar nicht gern, rief sie sich ins Gedächtnis.

Als sie zu ihrem Tisch zurückkehrte, kam sie sich vor wie zwischen zwei Welten – ihrem Leben in England und diesem fast unwirklichen Abend in Spanien –, aber auch einem anderen Leben … einem, an dessen Schwelle sie schon gewesen war …

In ihrem dritten Studienjahr an der Universität hatte sie beschlossen, mehr aus sich herauszugehen – Spaß zu haben und lockerer zu werden. Ihre Freundinnen hatten sie immer für offen und mutig gehalten, aber was Männer anging, war Anna ihre ganze Jungend über sehr zurückhaltend gewesen.

Sie hatte sich zum Beispiel immer züchtig und konservativ gekleidet, schon allein, weil es ihr viel zu anstrengend gewesen wäre, sich gegen ihre Mutter aufzulehnen. Außerdem war sie in ihrem Dorf als Tochter des Vikars unter Dauerbeobachtung gewesen.

Das Studentenleben hatte sie anfangs so überfordert, dass sie sich mehr auf ihre Fächer konzentriert hatte, statt ihre neue Freiheit zu genießen. In ihrem Abschlussjahr war sie dann jemandem begegnet … oder war vielmehr geschmeichelt von dessen Aufmerksamkeit gewesen.

Obwohl sie die Aufmerksamkeit genossen hatte, hatte sie zu Küssen und Berührungen überredet werden müssen. Sie hatte vergeblich darauf gewartet, Spaß daran zu haben. Vielleicht hatten ihre Schuldgefühle sie davon abgehalten … oder Sex war einfach nicht ihr Ding.

Sie setzte sich wieder an den inzwischen fast leeren Tisch. Carmen schien einfach alles auszusitzen, aber diesmal nahm sie zumindest Notiz von Anna.

„Himmel, ich wünschte, das hier wäre endlich vorbei“, stöhnte sie und verdrehte genervt die Augen, als Sebastián zu ihr kam und streng etwas auf Spanisch sagte.

Er setzte sich neben Anna, weil Carmen am Kopfende saß und ihm daher nichts anderes übrigblieb. Wenigstens entschuldigte er sich dafür, über ihren Kopf hinweg mit seiner Schwester zu reden.

„Carmen …“

Was auch immer er zu Carmen sagte, machte sie wütend. „Nein!“, protestierte sie hitzig, und die beiden stritten sich weiter.

Irgendwann wechselten sie ins Englische – vielleicht, weil ihr Vater zum Tisch zurückgekehrt war und sie nicht wollten, dass er sie verstand? Anna, die normalerweise nicht besonders neugierig war – na ja, vielleicht ein bisschen –, lauschte schamlos.

„Carmen, rede endlich mit deinem Vater!“

„Er macht sich hier doch nur zum Idioten!“

Sie sprachen anscheinend über José, der dabei zusah, wie seine Frau von männlichen Bewunderern umringt tanzte. Wie von Sebastián vorhergesagt stellte Maria sich in den Mittelpunkt. Anna fragte sich, ob die beiden Geschwister ihrer Mutter gegenüber nicht etwas überkritisch waren, aber natürlich kannte sie die Hintergründe nicht.

Emily und Alejandro schienen sich jedoch nicht an Marias Verhalten zu stören. Sie tanzten eng umschlungen und selbstvergessen zur Musik.

„Papá hat immer von diesem Abend geträumt“, sagte Sebastián.

„Quatsch, er wollte doch, dass Alejandro Mariana heiratet!“

„Aber heute siegt anscheinend die Romantik“, erwiderte er trocken. Er senkte die Stimme. „Carmen … er ist krank. Möglicherweise wird es keinen Abend mehr wie diesen geben, an dem wir alle zusammenkommen.“

„Sebastián, por favor no digas eso …“

Die Verzweiflung in Carmens Stimme verriet Anna, dass sie nicht hören wollte, was Sebastián sagte. Als José zu ihnen herübersah, wechselten sie wieder ins Englische – oder vielmehr Sebastián. Sein Tonfall war kurz angebunden und autoritär.

„Steh jetzt auf und fordere deinen Vater zum Tanzen auf. Und so sehr dir das auch widerstrebt – lächle Maria zu und rede mit ihr.“

Anna fiel auf, dass beide Geschwister das Wort „Mutter“ vermieden.

„Niemals!“, protestierte Carmen voller spanischer Leidenschaft. „Nur über meine Leiche!“

„Okay, wie du willst. Aber nach Papás Tod wirst du es bestimmt bereuen. Werd endlich erwachsen, Carmen! Du wirst es ja wohl wenigstens einen Abend lang schaffen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so wie wir alle!“

Seine scharfen Worte schienen die erwünschte Wirkung zu haben, denn Carmen warf das lange, dunkle Haar zurück, pflasterte ein Lächeln aufs Gesicht und ging zu ihrem Vater, um ihm eine Hand hinzuhalten. „Papá?“

José wirkte etwas erschöpft, aber sein Gesicht hellte sich sofort auf. Er wollte anscheinend nur zu gern mit seiner Tochter tanzen.

„Tut mir leid, dass ich über Ihren Kopf hinweg gesprochen habe“, sagte Sebastián zu Anna.

Sie schüttelte den Kopf. „Kein Problem.“

Er richtete den Blick auf die Tanzfläche. „Nicht zu fassen!“, sagte er grimmig.

Anna riss den Blick von seinem schönen Gesicht los und beobachtete, wie Maria sich – wie sollte es auch anders sein – zu José und Carmen gesellte.

„Gut gemacht“, murmelte Sebastián, als seine Schwester ihre Mutter mit einbezog, statt empört davonzustolzieren.

Wie er sich darüber freut, dachte Anna. „Sie lieben Ihren Vater sehr, oder?“

„Mal mehr, mal weniger“, sagte Sebastián kopfschüttelnd. „Aber ich liebe Carmen und will nicht, dass sie sich eines Tages Vorwürfe macht, weil sie ihn heute ignoriert hat.“

„Ist er wirklich so krank? Emily hat gesagt, er wurde gerade operiert?“

„Ja, und die OP verlief gut.“ Er zuckte die Achseln. „Aber wie ich meiner Schwester gerade gesagt habe – es wird nicht mehr viele solcher Feiern geben. Schon allein deshalb, weil ich weder heiraten noch Kinder bekommen will.“

„Sind Sie da so sicher?“

Ganz sicher“, bestätigte er. „Und da Carmen gerade eine Beziehung beendet hat …“ Er rümpfte die Nase, vielleicht wegen Carmens Ex. „Aber vielleicht gibt es ja bald eine Taufe.“ Sein zynisches Lächeln verriet Anna, dass er zu wissen glaubte, was der wahre Grund für diese Hochzeit war. „Wer weiß?“

Er ist wirklich der perfekte Trauzeuge, dachte sie. Er sorgte unter seinen Familienmitgliedern für Frieden und Harmonie. Emily ließ zwar kein gutes Haar an ihm, und Anna konnte das auch nachvollziehen, aber anscheinend hatte ihre Freundin seine positiven Seiten einfach noch nicht kennengelernt.

Die reibungslosen Hochzeitsvorbereitungen … dass er mit seiner Mutter getanzt hatte, damit sie nicht Emilys Hochzeit ruinierte … dass er drauf bestanden hatte, dass Carmen aufstand und zumindest so tat, als würde sie mitfeiern … dass er sich die Zeit nahm, mit einer Frau zu reden, die ohne Begleitung hier war …

Anna wusste natürlich, dass er das alles nur aus Pflichtgefühl machte, aber trotzdem bewunderte sie ihn dafür.

„Stehen Sie Ihrer Familie nahe?“, fragte er.

Anna nickte vage, bevor sie die Frage ehrlicher beantwortete als beabsichtigt: „Früher schon …“ Bei der Erinnerung an bessere Zeiten schossen ihr die Tränen in die Augen. „Aber inzwischen nicht mehr.“

Sie könnte hinzufügen, dass Willow jetzt ihre Familie war und sie Emily als Schwester betrachtete, aber dann würde sie wahrscheinlich in Tränen ausbrechen, und das wollte sie nicht.

Sie könnte ihre Worte auch etwas relativieren und einräumen, dass ihre Eltern und sie sich wahrscheinlich wieder näherstehen würden, wenn sie sich einfach für ihr Verhalten entschuldigen und Reue äußern würde … Aber wenn sie das machte, wäre das gleichbedeutend damit zu sagen, dass sie Willow bereute, und das konnte sie einfach nicht.

Verdammt! Ihr war wirklich nach Tränen zumute.

Rasch griff sie nach ihrem Sektglas oder einer Serviette oder ihrer Tasche – vielleicht sollte sie auf die Toilette gehen –, doch stattdessen nahm Sebastián ihre Hand.

„Lust, noch mal zu tanzen?“

„Ich glaube nicht …“

„Kommen Sie schon, wir müssen diese Party in Schwung halten.“

„Sie nehmen Ihre Pflichten als Trauzeuge ja wirklich ernst.“

„Das tue ich“, bestätigte er, während er sie vom Stuhl hoch- und dann zur Tanzfläche zog. Sie begannen, sich miteinander im Takt der Musik zu bewegen. „Aber ab Morgen werde ich meinem Bruder wieder in den Ohren liegen, was für ein Volltrottel er ist.“

„Hätten Sie es vorgezogen, wenn er Mariana geheiratet hätte?“

„Natürlich. Geschäftlich wäre das die beste Entscheidung gewesen. Das hier ist doch total unvernünftig!“

„Warum heiraten Sie Mariana nicht, wenn es so vernünftig ist?“

„Ich will mich an keinen Menschen binden. Außerdem würde Mariana Kinder von mir erwarten.“

Die plötzlich wechselnde Musik ließ sie verstummen. Wieder wurde geklatscht, mit den Füßen gestampft und laut „Olé“ gerufen. Normalerweise würde Anna sich jetzt zum Tisch zurückziehen, aber Sebastiáns fließende Bewegungen ließen sie ihre mangelnden Flamencokenntnisse vergessen. Zum ersten Mal in ihrem Leben tanzte sie mit jemandem, der das richtig gut konnte. Einmal bog er sie sogar zurück und zog sie eng an sich, als die Musik wieder langsamer wurde.

„Sehen Sie?“

„Was sehe ich?“, fragte Anna etwas benommen. Hatte sie etwas verpasst?

„Wir harmonieren gut.“

„Ich denke, das liegt vor allem an Ihnen.“

„Was machen Ihre Füße?“

Warum brachte er sie nur ständig zum Lächeln? „Schmerzen höllisch.“

„Dann lehnen Sie sich doch an mich.“

Anna legte den Kopf an Sebastiáns Brust. Sie fühlte sich, als habe er ihren inneren Dimmer gefunden und drehe ihn immer höher. Das Knistern zwischen ihnen verwandelte sich allmählich in das reinste Funkensprühen.

Er senkte den Kopf. „‚Wenn der Schuh passt, ist der Fuß vergessen …‘“, murmelte er ihr ins Ohr.

Anna fand den Klang seiner tiefen Stimme und seinen Atem an ihrem Ohr so erregend, dass seine Worte nur zeitverzögert zu ihr vordrangen. Sie hob den Kopf und erwiderte seinen Blick. „Haben Sie sich das gerade ausgedacht?“, fragte sie, wobei sie versuchte, möglichst locker zu klingen.

„Klar“, antwortete er, aber sein Lächeln verriet, dass er sie nur aufzog. „Nein, das ist von Zhuangzi, einem chinesischen Philosophen.“

„Es gefällt mir.“ Anna beschloss, sich die Worte zu merken, als sie den Kopf wieder an Sebastiáns Brust lehnte. Er duftete göttlich – nach einer Mischung aus Bergamotte und Zigarrenrauch.

Sie spürte seine Hand über ihre Rippen gleiten. „Gefällt Ihnen das?“

Er meinte wahrscheinlich, ob es ihr gefiel, dass er sie anders berührte als bei einem höflichen Pflichttanz. Anna war seit Willows Vater mit niemandem mehr intim gewesen, und er hatte sie nie so sanft, so intensiv, so verführerisch berührt wie Sebastián. Wie schaffte Sebastián es nur, sie so schnell dazu zu bringen, sich nach mehr zu sehnen?

„Ja“, antwortete sie schlicht, weil es die Wahrheit war.

Sebastiáns Art zu tanzen war sehr lehrreich, denn er brachte ihr etwas bei, das sie bisher noch nicht gewusst hatte: dass sie schon von einer bloßen Hand im Rücken weiche Knie bekommen und ihr so heiß werden konnte, dass sie sich danach sehnte, das Gesicht an seinem weißen Baumwollhemd zu kühlen … und dass das trotzdem nichts brachte …

Anna ertappte sich bei der Frage, wie Sebastián wohl ohne Hemd aussah. Ob seine Brust behaart war? Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass er seine Körperbehaarung entfernen ließ, dafür war er einfach zu männlich. Sie hätte nur nie gedacht, dass ihr so etwas gefallen würde …

„Sieh mich an, Anna“, murmelte er.

Sie musste wieder den Kopf von seiner Brust lösen, um das zu tun. Großer Gott, sah er umwerfend aus! Sein inzwischen mit Bartstoppeln bedecktes Gesicht war wunderschön. Sebastián Romero war schlicht und ergreifend der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. Sie würde ihn schrecklich gern küssen. Sie sehnte sich geradezu verzweifelt danach.

„Wir würden bestimmt auch sonst gut harmonieren.“

Sie runzelte die Stirn, weil sie nicht ganz sicher war, ob sie ihn richtig verstanden hatte, aber seine Augen ließen keinen Zweifel an seinen Absichten.

„Wie bitte?!“, fragte sie empört – oder versuchte zumindest, empört zu klingen. „Ich reise morgen schon wieder ab.“

„Eine Nacht reicht doch.“

Jeden anderen Mann würde sie jetzt wahrscheinlich stehenlassen oder ohrfeigen oder …

Aber Sebastián war nicht irgendein anderer Mann. Er ließ das bisher Unvorstellbare – einen One-Night-Stand – irgendwie verlockend erscheinen. Und warum nicht einfach mal etwas Neues ausprobieren?

Aber irgendwie machte ihr die Vorstellung Angst. Nicht die Art Angst, bei der einem die Haare zu Berge stehen, aber sie war sonst nie so leichtsinnig. Ach, war das alles verwirrend …

„Wir haben uns doch noch nicht mal geküsst“, wandte sie ein.

„Das lässt sich sofort ändern, wenn du willst.“

„Nein!“

Doch noch immer ließ sie ihn nicht stehen. Stattdessen schmiegte sie wieder das brennende Gesicht an seine Brust. Eine Nacht mit ihm …

Sein Angebot sollte sie wahrscheinlich empören, aber sie bekam es einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es würde mir so guttun …

Im Grunde kam ihr dieser ganze Abend so vor. Wie Seelenbalsam. Zu tanzen, zu lachen, zu flirten, zu begehren …

Anna war schon seit Jahren nicht mehr mit einem Mann ausgegangen. Im Dorf gab es sowieso kaum Auswahl, und abgesehen davon, dass sie eine alleinerziehende Mutter war, wurde so viel geklatscht … und dann war ihr Vater auch noch der Vikar der Gemeinde …

Es gab natürlich das Internet, aber sie konnte sich nicht vorstellen, einen Babysitter zu engagieren und Willow alleinzulassen, um sich mit jemandem zu treffen, den sie online kennengelernt hatte.

Alles, was du tust, wirkt auf uns zurück.

Dieses Mantra hatten ihre Eltern ihr schon eingeprägt, bevor sie laufen konnte, und seit sie die beiden – und sich selbst – so im Stich gelassen hatte, war sie erst recht vorsichtig.

Andererseits war sie nur noch eine Nacht in Spanien, und Willow war sicher zu Hause. Dass es nur um eine Nacht ging, diese eine Nacht, machte die Sache eigentlich angenehm unkompliziert …

Anna war auch schon allein deshalb neugierig, weil sie ihren eigenen Körper und dessen Reaktionen gerade völlig neu kennenlernte.

„Sieh nicht hin“, riss Sebastián sie aus ihren sündigen Gedanken, „aber die Braut wirkt gerade ziemlich besorgt.“

Anna sah erschrocken hoch. „Soll ich zu ihr gehen? Vielleicht gibt es ein Problem …“

„Pst…“ Er zog sie wieder an sich. „Das Problem sind wir.“

„Ach …“

„Emily ist kein Fan von mir.“

„Ich weiß.“

„Lass uns nach diesem Tanz aufhören“, sagte er mit leiser, tiefer Stimme. „Danach tanze ich mit ein paar anderen Frauen und du mit ein paar Männern, dann ist Emily bestimmt wieder beruhigt.“

„Okay …“

„Nur nicht so wie jetzt“, warnte er sie.

„Ich bezweifle, dass ich so mit jemand anderem tanzen kann“, antwortete Anna wahrheitsgemäß. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Körper geradezu miteinander verschmolzen waren.

„Maldita“, stieß er hervor. „Am liebsten würde ich dich gar nicht mehr loslassen …“

Das war jedoch nötig, und das nicht nur, um Emily zu täuschen. Wenn sie sich jetzt nicht voneinander losmachten, würden sie sich bestimmt noch hier und jetzt auf der Tanzfläche küssen, so schmerzhaft sehnte sich Annas Mund nach seinem.

„Du weißt, wo meine Suite ist“, sagte er, als der Tanz verklang.

„Nein, weiß ich nicht.“

„Anna, du hast mich selbst reingehen sehen.“

Sie musste an die Tür denken, die er gestern Abend aufgeschlossen hatte.

Ihr wurde ganz kalt an diesem warmen spanischen Abend, als Sebastián sie los- und verwirrt und aufgeregt zurückließ. So hatte sie noch nie empfunden.

3. KAPITEL

Als Anna zum Tisch zurückkehrte, um einen Schluck Eiswasser zu trinken, steuerte Emily wie zu erwarten sofort auf sie zu.

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

...

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Tara Pammi
<p>Tara schreibt sexy Romanzen mit anbetungswürdigen Helden und sexy Heldinnen. Ihre Heldinnen sind manchmal laut und rebellisch und manchmal schüchtern und nerdig, aber jede von ihnen findet ihren perfekten Helden. Denn jede Frau verdient eine Liebesgeschichte! Tara lebt in Texas mit ihrem ganz persönlichen Helden und zwei Heldinnen in der...
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Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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