Julia Extra Band 554

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UNSER PALAZZO DER LEIDENSCHAFT von KIM LAWRENCE

Schockiert erfährt Tech-Mogul Theo Ranieri: Sein Vater hat ihm nur die Hälfte des Familien-Palazzos in der Toskana vermacht! Die andere Hälfte geht an die mysteriöse Grace, die sogar schon dort wohnt. Eine Erbschleicherin? Trotzdem fühlt Theo sich ungewollt zu ihr hingezogen …


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  • Erscheinungstag 16.07.2024
  • Bandnummer 554
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525664
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kim Lawrence, Kate Hewitt, Kate Hardy, Julieanne Howells

JULIA EXTRA BAND 554

1. KAPITEL

Theo stand, die Hände in den Hosentaschen, nachdenklich an einer der Wände aus Glas und präsentierte den anderen vier Männern im Konferenzraum ein perfektes Profil. Allerdings dachte Theo selten, wenn überhaupt, an sein Profil. Er hatte seine Fehler und wäre der Erste, der dies zugeben würde – natürlich ohne sich dafür zu entschuldigen –, doch Eitelkeit gehörte nicht dazu. Selbst seine größten Kritiker müssten allerdings zugeben, dass er Grund genug hatte, eitel zu sein.

Bei einer Größe von eins neunzig und einem durchtrainierten Körper, was trotz der maßgeschneiderten Kleidung nicht zu übersehen war, fiel Theo überall auf. Zusätzlich zu seiner physischen Präsenz besaß er einen messerscharfen Verstand und den Ruf, dass ihm nichts entging.

Heute jedoch funktionierte er nicht wie sonst, was auch die Anwesenden bemerkten. Die nervös wirkenden Männer in Anzügen, die ihn mit teuren Ratschlägen versorgten, erwähnten es jedoch nicht.

Theo ärgerte sich über sich selbst und die Tatsache, dass er sich einfach nicht konzentrieren konnte. Doch er wusste genau, wo seine Gedanken waren – in der Toskana.

Ein Bild des Palazzos, in dem er aufgewachsen war, kam ihm in den Sinn. Er sah sich selbst als Jugendlichen, wie er Blumen auf das Grab seiner Mutter legte und seine Tränen auf den staubigen Boden fielen, während er sich schwor, seinen Vater für immer zu hassen.

Er starrte hinaus und bemerkte zum ersten Mal, dass der Regen immer noch anhielt.

Ob es wohl in der Toskana geregnet hatte, als Salvatore in der Familiengruft neben seiner verstorbenen Frau beigesetzt worden war? Oder schien die Sonne, während ein Großteil der gehobenen Gesellschaft Italiens den Worten des Priesters lauschte, welch ein guter Mann sein Vater gewesen sei?

Er selbst hatte das auch einmal gedacht und ihn verehrt. Doch dann hatte er die Wahrheit entdeckt. Er war damals dreizehn Jahre alt gewesen und immer noch in seinem schwarzen Anzug für das Begräbnis gekleidet. Unbemerkt hatte er sich versteckt, um die Tränen vergießen zu können, die er bei dem Begräbnis zurückgehalten hatte, denn seine Mutter hatte nie gewollt, dass er weinte. Es hatte sie immer traurig gemacht.

„Warum gehst du nicht zur Beerdigung deines Vaters?“, hatte Cleo heute Morgen gefragt, bevor er ihr Apartment verlassen hatte.

Die spärlich bekleidete üppige Rothaarige hatte nur beiläufig gefragt und war auch nicht beleidigt, als er nicht antwortete, während sie sorgfältig ihren roten Lippenstift auftrug.

Zusammen mit ihrem unersättlichen Hunger nach Sex machte das Cleo zur perfekten Begleiterin für ihn. Sie hatte kein Problem mit seinem Schweigen und stellte keine Forderungen.

Hat keine Forderungen gestellt, korrigierte er sich gedanklich.

Er war bereits an der Tür gewesen, als diese Situation sich geändert hatte – als sie die vergifteten Worte ausgesprochen hatte, die ihn kurz umkehren ließen.

„Also, wie geht es denn nun mit uns weiter, Liebling?“

Seine Antwort war knapp und auf den Punkt gebracht. Andere Leute setzten Ehrlichkeit mit Grausamkeit gleich, doch nicht Theo. Für ihn ging es nicht um Emotionen, sondern um schlichte Tatsachen.

„Gar nicht“, hatte er geantwortet.

Es hatte kurz und schmerzlos geendet, genau, wie er es mochte – ordentlich und ohne durch alberne Gefühle kompliziert zu werden. Schade eigentlich, Cleo war eine schöne und begehrenswerte Frau. Bis zu dieser Frage war sie genau die Frau gewesen, zu der er sich hingezogen fühlte. Talentiert und erfolgreich, genauso zielstrebig und ehrgeizig wie er selbst, mit einem eigenen Leben. Es war ein Pluspunkt für ihn gewesen, dass sie keine gemeinsamen Freunde oder übereinstimmenden Meinungen hatten. Sie war nicht interessiert daran, mit ihm irgendwohin außerhalb des Schlafzimmers zu gehen, auch wenn sie gelegentlich mit ihm bei öffentlichen Veranstaltungen gesehen wurde.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der Theo sich Sorgen gemacht hatte, ob nicht eine gewisse Art von Chemie mit einer Frau irgendwann seine Abneigung gegen die Ehe ändern könnte.

Seine Sorge war unnötig gewesen.

Wenn so etwas geschehen sollte, wäre es seiner Meinung nach schon längst passiert. Es hatte jede Menge Frauen gegeben, aber niemals hatte er dabei vergessen, dass nichts für ewig andauerte – erst recht nicht körperliche Anziehung. Und was sonst hielt zwei Leute zusammen? Außer vielleicht noch Faulheit und ein Mangel an Möglichkeiten.

Für Theo gab es zwei Arten von Ehe: jene, die mit einer unangenehmen Scheidung endeten, und jene, die durch Lügen fortgeführt wurden.

Bei Letzterer hatte er in der ersten Reihe gesessen. Für den Rest der Welt schien die Ehe seiner Eltern perfekt – doch eigentlich war es lediglich Theater gewesen, mit dem sie ihr gegenseitiges Elend verdeckt hatten.

Ein Sonnenstrahl hatte die Wolken durchdrungen, als Theo sich schließlich wieder zurück in den Konferenzraum drehte, in dem die Rechtsanwälte versammelt waren.

„Ich möchte verkaufen.“

Seinen einfachen Worten folgte ein verblüfftes Schweigen und vielen war die Überraschung anzusehen.

„Verkaufen …?“, wiederholte einer der Anwälte zögernd.

„Einen Teil des Landes, meinen Sie?“, warf ein anderer ein, mit einem Lächeln, das sein Verständnis für ein finanzielles Genie wie Theo zeigen sollte, der sein Vermögen im IT-Bereich gemacht hatte. „Das wäre ein finanziell vernünftiger Schritt. Der bewaldete Bereich – das ist auf jeden Fall ein Stück gutes Land, bei dem viel Entwicklungspotenzial besteht …“

„Sie meinen den Wald am Nordhang?“ Theo fixierte den Mann mit kühlem Blick.

„Ja, ich denke schon. Ein Berghang, der vielleicht für ein Feriendorf geeignet wäre …“

Theo verdrängte die Erinnerungen an die grünen Oasen. „Geht nicht“, sagte er kühl. „Der Teil steht unter Naturschutz.“

Auch die Versuche der anderen, eigene Vorschläge zu machen, wurden von Theo unterbrochen. „Nein, ich will nicht nur etwas Land verkaufen, sondern alles. Den Palazzo, das Inventar, das Land, einfach alles. Ich will nichts davon.“

Nur das Porträt, das im Arbeitszimmer seines Vaters gehangen hatte. Ob es wohl noch dort war? Hatte sein Vater es dort gelassen, um sich selbst an seine Schuld zu erinnern? Oder hatte er die Vergangenheit umgeschrieben, um besser damit leben zu können?

Theo konnte die verblüfften Blicke spüren, als er nun den Raum verließ. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte, dennoch war er froh, dass er sich die unausgesprochene Erklärung verkniffen hatte, die ihm auf der Zunge gelegen hatte.

Ich möchte nichts, was mich irgendwie an diesen Bastard erinnern könnte.

Das wäre zu viel an Information gewesen.

„Die Hälfte?“, wiederholte Grace. „Sie meinen die Hälfte der Bücher?“

Sie blickte sich zwischen den Bücherregalen der Bibliothek um, in der sie saßen. Der Anwalt saß in dem Stuhl, in dem Salvatore immer gesessen hatte, wenn sie ihm vorgelesen hatte, und das machte Grace seine Abwesenheit noch bewusster als das Begräbnis.

„Wie nett. Aber ich könnte diese Sammlung nicht aufteilen … sie ist viel zu wertvoll. Aber vielleicht könnte ich ein oder zwei Bücher haben?“

„Miss Stewart, ich glaube, Sie verstehen nicht ganz“, erwiderte der Mann langsam. „Wenn ich sage ‚die Hälfte‘, meine ich die Hälfte von allem: vom Palazzo, dem Land, dem Geld. Es wurde hälftig an Sie beide hinterlassen.“

Grace starrte ihn einen Augenblick verständnislos an, dann musste sie lachen, auch wenn es nicht wirklich lustig war. Es war verrückt. Weshalb ihr Lachen wahrscheinlich genauso klang.

„Er hat mir bitte was hinterlassen …?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das kann nicht stimmen, überprüfen Sie das bitte noch mal.“ Sie machte Anstalten, aufzustehen, ließ sich dann jedoch wieder zurückfallen.

Der Mann, dessen ordentlich gestutzter Bart grau meliert war, lächelte sie freundlich an.

Grace schüttelte den Kopf und atmete tief durch. „Sie machen keine Scherze?“ Sofort entschuldigte sie sich. „Tut mir leid, nein, natürlich nicht.“

Können Rechtsanwälte Scherze machen?

Die Beobachtungen in ihrer eigenen Familie – ihr Bruder gehörte auch dieser Zunft an – legten nahe, dass dem nicht so war. Andererseits lachte auch ihr anderer Bruder, der Psychiater, nie über ihre Witze. Genauso wenig wie ihre Schwester, die Ökologin, deren TV-Serien gerade in die Staaten verkauft worden waren.

Ja, ihre Familie war eine begabte Truppe. Alle versuchten, großzügig über Grace’ Mängel hinwegzusehen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass sie sich nicht wie die anderen des Stewart-Clans durch eine akademische Karriere hervortat. Doch Grace wusste, dass ihre Eltern – ihr Vater, der Oxfordprofessor, und ihre Mutter, die Historikerin – zutiefst betroffen waren, als Grace sich zur Überraschung aller für eine Ausbildung als Krankenschwester entschieden hatte. Dabei hatte sie schon die Zulassung zu einem Studium in Oxford.

„Sie sind nun eine sehr wohlhabende junge Frau.“

Grace musste sich auf die Gegenwart konzentrieren. „‚Wohlhabend‘? Ich denke immer noch, dass da ein Irrtum vorliegt. Ich wollte heute noch abreisen. Ich habe eine Woche Ferien, bevor ich meine nächste …“ Sie hielt inne und holte tief Luft. „Das kann einfach nicht stimmen. Weshalb sollte Salvatore mir etwas hinterlassen? Ich war nur seine Krankenschwester. Ich kannte ihn erst einige Monate.“

Was werden die Leute denken oder sagen?

Grace sprach das nicht laut aus. Was hatte es für einen Sinn, wenn sie die Antwort sowieso schon kannte.

Man würde das Schlimmste annehmen und es hieße: Es gibt keinen Rauch ohne Feuer – genau wie beim letzten Mal.

Es tat weh, als diese Erinnerungen wieder hochkamen.

Damals war es der zweite Job gewesen, den ihr die Agentur für private Pflegekräfte vermittelt hatte. Eine liebevolle, dankbare Familie, mit der sie auf bestem Fuß gestanden hatte – bis eine wertvolle Kette und ein Bündel Bargeld verschwunden waren.

Es war ein Albtraum gewesen.

Grace war suspendiert worden, denn die Familie, die ihr noch Tage zuvor gedankt hatte, hatte sie plötzlich des Diebstahls beschuldigt. Die Wahrheit war sehr bald danach ans Licht gekommen und ihre Unschuld bewiesen worden, dennoch hatte der Vorfall bei ihr Narben hinterlassen.

Das ist nicht das Gleiche!

„Das fühlt sich surreal an.“

„Ich kann sehen, dass es eine Überraschung für Sie ist … aber doch wenigstens eine angenehme?“ Der Mann lächelte sie gütig an.

„Nein … ja … Aber ich kannte ihn ja nicht lange … Das kommt mir einfach nicht richtig vor. Kann ich es zurückgeben?“

„Was zurückgeben?“

„Alles … Das Personal kann es haben. Marta und …“

Der Mann hob die Hand, um die heraussprudelnden Worte einzudämmen. „Das Personal wurde im Testament bereits sehr großzügig bedacht. Ich darf Ihnen versichern, dass niemand vergessen wurde. Ich denke, Sie sollten sich etwas Zeit nehmen, um sich an den Gedanken zu gewöhnen und …“

„Nein. Ich war seine Krankenschwester und Pflegerin. Ich kann doch nicht aus dem Tod eines Patienten einen finanziellen Nutzen ziehen. Die Leute werden denken, dass ich meinen Vorteil gesucht habe.“

„Aber gar nicht“, beruhigte sie der Anwalt. Doch er sah ihr dabei nicht in die Augen. Denn natürlich lag es in der menschlichen Natur, dass manche das dennoch annehmen würden. Der Anwalt betrachtete sie einen Moment lang nachdenklich, dann sagte er: „Hören Sie, wenn Sie wirklich so verfahren möchten, gibt es vielleicht eine Option, doch ich rate Ihnen, erst einmal noch keine Entscheidung zu treffen …“

„Welche Option?“

Eine Stunde später betrat Grace die Küche, die sich zwar noch in dem ursprünglichen Küchenraum mit dem alten Kamin und dem mit Terracotta gefliesten Boden befand, aber über die neueste Technik verfügte. Niemand würde sie als gemütlich beschreiben, doch es war immer noch der Raum im hochherrschaftlichen Palazzo, der am wenigsten förmlich war.

Marta, die Haushälterin, wie üblich in eine gebügelte weiße Bluse und eine maßgeschneiderte Hose gekleidet, saß am Tisch und vervollständigte irgendwelche Listen auf ihrem Laptop, während sie eine Tasse Kaffee trank. Sie blickte auf, als Grace hereinkam.

„Ich weiß, dass Computer angeblich das Leben einfacher machen sollen, aber …“ Sie hielt inne, und ihr Lächeln schwand, als sie Grace’ Gesichtsausdruck bemerkte.

„Du liebe Güte, du bist ja kreidebleich“, sagte die ältere Frau kopfschüttelnd. „Es waren ein paar harte Tage. Ich wünschte, du hättest mir erlaubt, deinen Flug erst für später zu buchen.“

Grace lächelte gequält. Als sie vor gut zehn Wochen angekommen war, war die treue und langjährige Haushälterin ursprünglich sehr misstrauisch gegenüber der englischen Krankenschwester gewesen, die plötzlich im Palazzo wohnte. Sie verstand nicht, warum die Agentur, die auf palliative Pflege am Ende des Lebens spezialisiert war, nicht eine italienische Schwester geschickt hatte.

Grace hatte sich selbst das Gleiche gefragt und die Antwort erhalten, dass ihr Patient, der mehrere Sprachen fließend sprach, kein Problem damit hätte, dass sie nicht sehr gut Italienisch konnte.

„Wir haben hier bereits eine ganze Armee von Krankenschwestern kommen und gehen sehen. Was können Sie denn besser? Vollbringen Sie Wunder?“, hatte Marta aufgebracht gefragt. „Können Sie sein Leben verlängern?“

Grace, die wusste, dass Trauer und Schmerz aus dieser Frage sprachen, hatte verständnisvoll geantwortet. „Ich hoffe, ich kann es ihm zumindest angenehmer machen.“

Martas Haltung hatte sich geändert, als sie den Unterschied bei ihrem Arbeitgeber gesehen hatte, nachdem Grace die Medikamente und die Behandlung abgeändert hatte. Außerdem arbeitete Grace gut mit Salvatores eigenem Physiotherapeuten zusammen, der von allen Angestellten im Palazzo hochgeschätzt wurde.

Grace hatte Tränen in Martas Augen gesehen, am Tag, als die Haushälterin in die Küche gekommen war und den vorher ans Bett gefesselten Salvatore am Küchentisch sitzend vorgefunden hatte. Genau an diesem Küchentisch, an dem Marta jetzt saß.

„Zuvor hat er einfach nur überlebt“, hatte Marta nach der Beerdigung zu Grace gesagt. „Dank dir hat er in seinen letzten Wochen noch wirklich gelebt.“

Grace’ Proteste, nur ihre Arbeit getan zu haben, waren in einer dicken Umarmung erstickt worden.

„Ich muss nicht zum Flughafen. Ich bleibe“, antwortete Grace nun, nahm sich einen Stuhl und ließ sich darauf fallen.

„Wie bitte?“

„Er … Salvatore … hat mir die Hälfte von allem hinterlassen.“

Die ältere Frau schlug sich eine Hand vor den Mund und starrte Grace mit weit aufgerissenen Augen an.

„Ich habe dem Anwalt gesagt, dass ich das nicht annehmen kann. Dass es nicht angemessen ist. Er sagte, dass er …“, ihre Augen wurden schmal, „also Theo, der Sohn, mich anscheinend auszahlen will. Er hat einen absurden Geldbetrag angeboten. Aber ich will kein Geld, Marta. Ich möchte gar nichts!“, rief sie aus und ihre Stimme zitterte vor Emotionen.

„Das weiß ich doch. Alle hier wissen das. Wir kennen dich, Grace, aber vermutlich denkt Theo, dass dieser Ort so lange in Familienbesitz war, dass er das auch bleiben sollte?“, meinte Marta fast entschuldigend.

Grace nickte zustimmend. „Das dachte ich auch und sagte, er könne es zurückhaben. Auch wenn er …“

Sie biss sich auf die Zunge und erinnerte sich daran, dass das Personal im Palazzo nie ein böses Wort über den verlorenen Sohn gesagt hatte.

Grace hatte ihre eigene Meinung, was Theo Ranieri betraf, der seinen sterbenden Vater nicht ein einziges Mal besucht hatte und nicht einmal zur Beerdigung gekommen war, doch sie behielt sie für sich.

Grace atmete tief durch. „Stell dir vor: Er will mich auszahlen, aber nur, damit er alles verkaufen kann!“ Tränen der Wut stiegen ihr in die Augen. „Ich kann nicht fassen, dass jemand so sein kann. Es ist, als wolle er alles auslöschen, was sein Vater liebte!“ Ihre Lippen bebten. „Wie kann er nur?“, fragte sie.

Die Haushälterin war blass geworden. „Ich hatte so etwas befürchtet“, gab sie zu.

„Keine Sorge. Ich werde es nicht zulassen. Ich kann ihn aufhalten“, stieß Grace hervor und schob die flachsblonde Haarsträhne, die sich gelockert hatte, wieder hinter ihr Ohr. „Und das werde ich auch. Wenn ich Nein sage und hier wohne, dann kann er es nicht verkaufen. Und ich sage Nein.“

Marta sah sie zweifelnd an, ihre Hand zitterte, als sie ihr frischen Kaffee eingoss. „Theo konnte immer sehr stur sein, wenn er einmal eine Entscheidung getroffen hatte …“

„Das kann ich auch“, meinte Grace entschlossen.

„Es ist so traurig, dass es so weit gekommen ist.“

Traurig? dachte Grace. Es ist unfassbar!

Sie hatte keine Ahnung, was der Grund dafür war, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn zu Bruch gegangen war, denn sie war immer der Meinung gewesen, es stünde ihr nicht zu, danach zu fragen. Selbst jetzt, da die Dinge sich geändert hatten, brachte sie es nicht über sich, Marta danach zu fragen.

„Tja, was immer auch der Grund war“, sagte Grace und straffte die Schultern, während sie die Kaffeetasse nahm, die Marta ihr zuschob. „Sein Sohn kann nicht verkaufen, wenn ich Nein sage und hier wohne. Und ich sage Nein“, wiederholte sie entschlossen. „Er darf nicht verkaufen! Dieser Ort, der Palazzo und alles, was dazugehört“, erklärte sie entschlossen, „das war Salvatores Lebenswerk, und ich werde nicht zulassen, dass sein Sohn es zerstört. Ich ziehe hier ein und bewege mich keinen Millimeter.“

2. KAPITEL

Gleich nachdem Grace ihre Kündigung bei der Agentur eingereicht hatte, hatte sie eine Mail an ihre Eltern geschickt, in der sie ihnen mitteilte, dass sie nicht nach Hause komme. Sie hatte die Situation mit wenigen Sätzen geschildert und sich dann mit ihnen zu einem Videocall verabredet. Jetzt saß sie vor ihrem Laptop und sprach online mit ihrer ganzen Familie, die im Wohnzimmer ihrer Eltern versammelt war.

Eben hatte ihr Bruder Simon, von Beruf Anwalt, angedeutet, dass Salvatores Sohn gute Chancen hatte, das Testament anzufechten. Er warnte sie, dass es unangenehm werden könnte, und fragte, welche Medikamente Salvatore genommen habe.

„Könnte der Sohn behaupten, er sei …?“

Grace wusste sofort, worauf er hinauswollte, und unterbrach ihn. „Er war so klar bei Verstand wie du und ich.“

„Schon gut, kein Grund, sich aufzuregen. Ich möchte nur alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.“

Ihr Bruder Rob, der Psychiater, meldete sich zu Wort. „Grace braucht jetzt natürlich Unterstützung.“ Bevor sie noch dankbar sein konnte, fuhr er fort: „Hast du mit dem alten Kerl geschlafen? Nicht, dass ich darüber urteilen wollte … ich habe Fotos gesehen. Er sah immer noch sehr gut aus.“

Tja, wenn er mich nicht vorverurteilt, dachte Grace grimmig, ist er wahrscheinlich der Einzige. Vom Leiter der Agentur, die sie vermittelt hatte, waren sehr deutliche Kommentare hinsichtlich älterer Patienten und Berufsethik gekommen.

Jetzt war ihre Schwester Hope an der Reihe, und es war beinahe eine Erleichterung, dass es ihr anscheinend hauptsächlich darum ging, welche Unannehmlichkeiten Grace’ Entscheidung für ihre eigenen Pläne bedeutete.

Grace wich unwillkürlich vom Computerbildschirm zurück, als ihre Schwester sich so nahe zur Kamera beugte, dass jeder Pickel sichtbar gewesen wäre, wenn sie denn einen gehabt hätte. Doch natürlich hatte ihre perfekte Schwester so etwas nicht.

Sie hatte allerdings den einzigen Mann, den Grace je geliebt hatte.

Manchmal fragte Grace sich, ob sie George wohl immer noch liebte, ob das der Grund war, dass sie seit ihm keinen richtigen Freund gehabt hatte.

George hatte sich nicht verändert, außer, dass er nicht mehr den wilden Haarschopf hatte, der ihm immer in die Stirn gefallen war und weswegen Grace sich in ihn verliebt hatte, oder die niedliche Lücke zwischen seinen Schneidezähnen, die ihre Schwester noch vor den Hochzeitsfotos hatte korrigieren lassen.

„Aber du musst nach Hause kommen, Grace. George und ich haben doch unser Wochenende in Paris geplant, das weißt du.“

Hinter ihr verzog ihr Mann entschuldigend das Gesicht. Er hatte auch entschuldigend ausgesehen, als er ihr erzählt hatte, dass er sich in ihre Schwester verliebt hätte, aber Grace wie eine Schwester liebe.

„Ich war so mit der neuen Serie beschäftigt“, fuhr Hope fort. „Und falls es irgendjemanden interessiert, ich bin erschöpft … und George ist unglaublich gestresst.“

„Ich bin nicht …“

Seine Frau ignorierte ihn.

„Grace, du hast versprochen, bei uns zu babysitten. Du weißt, wir können Artie bei niemand anders als bei dir lassen. Er ist so sensibel. Und, na ja, Aria will uns einfach nicht entgegenkommen“, sagte sie und verzog das Gesicht bei der Erwähnung ihrer Kinderfrau. „Dabei bin ich sicher, ihre Schwester würde es verstehen, wenn sie bei ihrer Hochzeit nicht dabei wäre.“

„Tut mir leid.“ Grace verbiss sich weitere Kommentare. Artie mit seinem sonnigen Lächeln war ein Schatz und vielleicht das pflegeleichteste Baby auf dem Planeten, aber sie würde nicht nachgeben.

„Hope, es dreht sich nicht immer alles um dich.“

Dieser Einwurf kam aus einer völlig unerwarteten Richtung – von ihrer Mutter.

„Das ist eine unglaubliche Gelegenheit für deine Schwester. Sie hat keine Karriere und keinen Partner. Ich denke, es ist sehr vernünftig, wenn sie dortbleibt und zeigt, dass sie sich nicht herumschubsen lässt. Es ist eine sehr gute Taktik, um den Preis nach oben zu treiben. Versuch wenigstens einmal, es nicht immer allen Leuten recht zu machen, Grace!“

Grace seufzte. Es war selten, dass sie von ihren Eltern gelobt oder unterstützt wurde, und der einzige Grund, warum das jetzt geschah, war, dass man ihre Motive missverstanden hatte. Sie dachten wirklich, Grace’ Entscheidung, in Italien zu bleiben, sei Verhandlungstaktik.

„Gutes Mädchen, Grace“, lobte ihr Vater und sah so distinguiert und vornehm aus wie auf dem Cover seines neuesten Bestsellers.

„Lass dich von diesem Kerl nur nicht einschüchtern. Ich habe ihn eben gegoogelt. Natürlich ist er sehr erfolgreich, doch er hat den Ruf, auch rücksichtslos und manipulativ zu sein.“

„Ich will aber den Preis gar nicht in die Höhe treiben, Dad. Ich bin nicht an dem Geld interessiert. Und Salvatores Tod ist nicht das, was ihr als eine ‚Gelegenheit‘ bezeichnet.“

„Aber natürlich nicht, meine Liebe. Selbstverständlich bist du über jeden Zweifel erhaben“, unterbrach ihre Mutter. „Ehrlich durch und durch. Aber man muss im Leben auch praktisch denken, ganz besonders jemand ohne große Aussichten. Du hast ja keine Ahnung, welche Sorgen wir beide uns um deine Zukunft machen. Was wird sein, wenn wir einmal nicht mehr sind?“

Bei dieser Übertreibung ihrer energiegeladenen Mutter, die jeden Tag um fünf Uhr morgens aufstand, um Sport zu treiben, hätte Grace beinahe laut aufgelacht. Und so schwand ihr Ärger angesichts der Lächerlichkeit der ganzen Situation. Sie hatte schon vor langer Zeit beschlossen, dass sie ihre Familie liebte und ihnen alles verzieh. Die beste Möglichkeit, mit ihnen auszukommen, war für Grace, sie als eine Art Comedy-Truppe zu betrachten.

Manchmal kam sie sich vor wie ein Shetlandpony in einem Stall von Vollblutpferden.

„Ich glaube nicht, dass das schon so bald sein wird, Mum. Und was die Notwendigkeit betrifft, für mich zu sorgen, darf ich dich daran erinnern, dass ich das Haus verlassen habe, sobald ich achtzehn war.“

Als sie das ausgesprochen hatte, wusste sie, dass dieser Satz nicht sehr klug gewesen war.

Dass sie einen Studienplatz in Oxford aufgegeben hatte, um sich in London als Krankenschwester ausbilden zu lassen, hatte ihre Familie nie verstanden. Auch wenn sie alle sehr liebte, bestand ihre ganze Familie zweifellos aus ziemlich versnobten Intellektuellen. Dennoch wären sie für sie da, wenn sie einmal echte Schwierigkeiten hätte.

„Ich bin ja schließlich nicht an Geld interessiert“, fuhr sie schnell fort. „Ach du liebe Güte … ich glaube, die Verbindung bricht ab …“

Sie unterbrach die Verbindung und hatte nicht die geringsten Schuldgefühle.

Theo lockerte seine Krawatte, und im nächsten Moment lag sie schon bei seinem Jackett auf dem Rücksitz seines Wagens. Er fuhr direkt von seinem Büro in Florenz zum Palazzo. Auch wenn er dieser Tage hauptsächlich in den USA und in Großbritannien arbeitete, hatte er sein erstes Büro in Italien behalten.

Das letzte Mal hatte er diese Strecke als wütender Achtzehnjähriger zurückgelegt, allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Sein Transportmittel waren seine Füße und sein Daumen gewesen, sein Motor die reine Wut.

Er erinnerte sich an das Hochgefühl, endlich frei zu sein. Er hatte die Tage gezählt, bis er all seine Verbindungen abbrechen konnte, seit dem schicksalhaften Tag, an dem er entdeckt hatte, wer sein Vater war. Da er ein Internat in England besucht hatte, war er nur in den Ferien zu Hause gewesen. Soweit möglich, hatte er die Tage mit Freunden verbracht, doch wenn er gezwungen war, nach Hause in den Palazzo zurückzukehren, hatte er seinen Vater stets gemieden. Stattdessen wanderte er jeden Tag hinaus in die Hügel, entweder allein oder mit Nico, dem Sohn des Verwalters.

Die Wut war immer noch da, aber heute ging er nicht mehr zu Fuß, sondern fuhr ein Cabrio mit Elektromotor.

Theo hatte sich damals geschworen, niemals mehr einen Fuß in jenes Haus zu setzen. Er hatte seinem kreidebleichen Vater gesagt, dass er jetzt als Erwachsener die Wahl hatte und dies nicht länger sein Zuhause sei.

Und doch war er hier.

Und leider hieß der Grund dafür Grace Stewart. Als seine Anwälte ihm mitgeteilt hatten, dass sie nicht verkaufen wolle, war er sehr irritiert gewesen und hatte ihnen befohlen, herauszufinden, was sie wollte, und es ihr zu geben.

Sie kamen mit der Auskunft zurück, dass sie nichts wollte – was er nicht glaubte. Jeder hatte einen Preis, und diese Frau war sicher keine Ausnahme.

Die schmale Akte, die in seinem elektronischen Posteingang gelandet war, hatte kaum etwas beinhaltet. Die Frau war so langweilig, dass es einfach nichts gab, was gegen sie verwendet werden konnte. Um sicher zu sein, hatte er Rollo Eden engagiert, der ein wenig tiefer graben sollte.

Theo mochte Rollo nicht besonders, aber das war auch nicht nötig. Dank der Fähigkeiten des Privatermittlers, delikate Informationen herauszufinden, hatte Theo zumindest einen Vertrag über mehrere Millionen Dollar nicht verloren. Also was machte es schon, dass Rollo manchmal Grenzen überschritt?

Doch Theo würde nicht nur darauf warten, dass Rollo etwas lieferte. Er hatte einen Plan. Ursprünglich hatte er erwogen, persönlich mit der Goldgräberin zu verhandeln, doch dann war ihm eine andere Lösung eingefallen, brillant in ihrer Einfachheit.

Wenn sie nicht auszöge, würde er einziehen – das würde ihre Pläne jedenfalls durchkreuzen. Sie sieht sich wahrscheinlich bereits als die Schlossherrin, dachte er wütend.

Wenn er nicht ohne ihr Einverständnis verkaufen konnte, galt das umgekehrt genauso. Wenn sie für den Palazzo irgendwelche Pläne hatte, musste sie das an ihm vorbei schaffen, und sie würde ihn gewiss nicht sehr kooperativ finden.

Trotz des amüsierten Lächelns bei diesem Gedanken merkte Theo, wie seine Anspannung stieg. Er wusste, sobald er um die nächste Kurve böge, käme der Palazzo in Sicht. Er wollte ihn nicht mehr als sein Zuhause betrachten – seit der Beerdigung seiner Mutter. Er war so wütend auf sie gewesen, dass sie ihn verlassen hatte. Und dann, eher durch Zufall, hatte er den Grund dafür erfahren, und seine Wut hatte sich auf die verantwortliche Person verlagert.

Unvermittelt trat Theo auf die Bremse. Er sagte sich, er müsse sich die Beine vertreten, aber vielleicht war es auch, um den Augenblick hinauszuschieben, in dem er sein einstiges Zuhause wiedersah.

Als er aus dem Auto stieg und die warme, erdige Luft einatmete, brachen die Erinnerungen über ihn herein, ob er wollte oder nicht. Er ging ein Stück in den Wald hinein.

Sein Vater war nicht alt geworden, fünfundsechzig war heutzutage gar nichts, und sein Vater war drei Tage vor seinem Geburtstag gestorben.

Das hatte Theo nach seinem Tod von den Anwälten per E-Mail erfahren.

Warum hat er mich, seinen Sohn, nicht über seine tödliche Krankheit informiert?

Theo zuckte mit den Schultern und schob diese Frage beiseite. Spekulationen waren sinnlos. Sein Vater hatte nicht versucht, ihn zu erreichen. Das musste er akzeptieren.

Und er selbst würde sich nun auf das Hindernis in seinem Plan konzentrieren statt auf die Gefühle, die der Tod seines Vaters auslöste.

Er ging zum Wagen zurück, als er das Geräusch hörte. Also blieb er stehen und lauschte. Es konnte ein Wildschwein sein oder ein Reh.

Dann hörte er es wieder. Weder Reh noch Wildschwein. Außer diese konnten fluchen.

Grace hatte sich nicht verlaufen … sie war nur etwas vom Weg abgekommen.

Das war an sich kein Problem, wenn sie sich nicht den Fuß verstaucht hätte.

Zumindest waren die Kopfschmerzen, mit denen sie heute Morgen aufgewacht war, verschwunden. Oder sie spürte diese nur nicht, weil ihr Knöchel so schmerzte.

Seufzend blieb sie stehen und stützte sich auf dem Ast ab, den sie als Krücke benutzte. Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie sich nach vorn beugte, und ihre Zuversicht geriet ins Wanken, als sie das T-Shirt aufwickelte, das sie in den kalten Fluss getaucht und anschließend um ihren verletzten Knöchel gebunden hatte. Trotz ihrer notdürftigen kalten Kompresse verfärbte sich ihr Knöchel bereits und nahm die dreifache Größe des anderen Fußes an.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte sie sich, ohne große Überzeugung.

Von seinem Standort am Waldrand musterte Theo den verletzten Fuß ohne größeres Interesse. Doch diese Gleichgültigkeit legte sich bald und verwandelte sich in etwas anderes, als sein Blick über die Beine der Frau wanderte, die Kurven der Hüften erreichte, die unterstrichen wurden durch die schmale Taille, die er vielleicht sogar mit den Händen umfassen konnte.

In diesem Moment verlor die Frage, wer die Frau war und wie sie hierhergekommen war, an Wichtigkeit gegenüber der Tatsache, dass ein Träger ihres Tops über die Schulter nach unten gerutscht war und viel von dem Sport-BH enthüllte, den sie darunter trug. Ein Rinnsal von Schweiß bahnte sich einen langsamen Weg von der Vertiefung an ihrer Kehle bis zum Dekolleté.

Bei der Betrachtung dieses kleinen Rinnsals auf ihrer blassen Haut wurde Theo plötzlich heiß.

Für einen Moment gestattete er seiner Libido, sich zu melden, und begrüßte diese Ablenkung, während er die kurvige Gestalt mit dem schmalen Hals und dem flachsblonden Haar, das unordentlich über ihren Rücken fiel, musterte.

„Das sieht ziemlich schlimm aus.“

Beim Klang seiner Stimme zuckte die Frau wie ein verwundetes Reh zusammen und drehte den Kopf genau rechtzeitig, um Theo aus dem Wald kommen zu sehen.

Das strahlende Blau dieser aufgerissenen Augen ließ Theo stehen bleiben, während erneut Verlangen in ihm aufkeimte.

Kämpfen oder Fliehen, ging es Grace mit einem Adrenalinstoß durch den Kopf – nur dass Flucht keine Option war. Eine Tatsache, die ihr sofort klar wurde, nachdem sie es versucht hatte.

Sie schrie vor Schmerz auf und balancierte auf einem Bein. Dabei ließ sie den Mann nicht aus den Augen, der da auf sie zukam, und hob den Ast, um ihn abzuwehren. Diese Balance konnte sie genau so lange halten, wie sie Atem holte, bevor sie prompt auf dem Hinterteil landete.

Noch während sie um ihr Gleichgewicht kämpfte und verlor, fiel ihr ein Name zu dem Fremden ein.

Theo Ranieri.

Es gab jüngere und weniger bedrohliche Versionen ihres Miteigentümers in den gerahmten Fotografien im ganzen Palazzo.

Zumindest brauchte sie jetzt keine Angst mehr zu haben. Nicht, dass ihr klopfendes Herz bereits auf diese Information reagierte. Ihr Atem ging immer noch zu schnell, und ihr Puls raste.

„Das muss wehgetan haben.“

Grace drehte sich und hob das Kinn, um einen entschlossenen Eindruck zu vermitteln.

Doch ihre Trotzhaltung verwandelte sich in etwas anderes, etwas Merkwürdiges, als ihre Blicke sich trafen. Sie schirmte ihre Augen ab und schüttelte ihr Haar zurück, das sich fast vollständig aus dem lockeren Knoten im Nacken gelöst hatte.

„Mir geht es gut“, stieß sie durch zusammengebissene Zähne hervor und wischte sich mit einer Hand den Schweiß aus dem Gesicht, ohne zu merken, dass sie damit die staubige Erde an ihren Fingern im Gesicht verschmierte.

In Wirklichkeit war Theo Ranieri noch beeindruckender als auf den Fotos oder auf dem Bildschirm. Ihn anzusehen, machte sie nervös, und ihr wurde noch heißer. Doch das war gewiss nur der Schmerz. Das und eine Reaktion auf den Schock, als er wie aus dem Nichts vor ihr gestanden hatte.

Jemand von seiner Größe sollte mehr Lärm machen, fand sie, während sie ihn von den langen Beinen bis zu den breiten Schultern musterte. Der Schnitt seiner maßgeschneiderten Hose verbarg nicht seine muskulösen Oberschenkel. Seine Hüften waren schmal im Vergleich zu den breiten Schultern, und durch das weiße Hemd konnte sie einen dunklen Schatten sehen, der eine gewisse Körperbehaarung vermuten ließ.

Sie rief sich ihren berechtigten Schreck in Erinnerung, um sich von der sexuellen Anziehung abzulenken, die seine männliche Präsenz bei ihr auslöste.

Theo Ranieri musste überall einschüchternd wirken. Doch irgendwie schien er in dieser rauen natürlichen Umgebung nicht fehl am Platz, sondern vielmehr ein Teil davon zu sein.

Seine Gesichtszüge waren perfekt – hohe Wangenknochen, klassische Nase, dichte Brauen, tief dunkelbraune Augen mit unglaublich langen Wimpern, die sie jedoch nicht weicher erscheinen ließen. Und auch seine vollen Lippen erweckten keineswegs den Anschein von Nachgiebigkeit, sondern wirkten eher wie eine sinnliche Provokation und beinahe wie ein Anzeichen von Grausamkeit.

Theo hob eine Braue, und Grace senkte rasch die Lider. Wahrscheinlich betrachtete er es als Kompliment, wenn er angestarrt wurde. Doch sie wollte sein Ego gewiss nicht noch füttern.

Ironischerweise hatte sie bereits wochenlang die scharfen Bemerkungen geübt, mit denen sie Salvatores Sohn begegnen wollte, sollte sie je die Gelegenheit dazu bekommen. Jetzt konnte sie ihn endlich mit seiner Gefühllosigkeit gegenüber seinem sterbenden Vater konfrontieren. Eines Vaters, der so viel Besseres verdient hätte.

Nun war die Gelegenheit zur Konfrontation da, doch leider schaffte Grace es nicht. Sie war viel zu emotional und keinesfalls wollte sie vor diesem Mann anfangen zu weinen.

„Mir geht es gut“, log sie erneut und klang dennoch leicht atemlos.

„Was zu bezweifeln ist …“, meinte er und klang eher amüsiert als besorgt. „Haben Sie schon jemand angerufen?“

„Ich habe mein Handy vergessen.“ Dieses Geständnis kam widerwillig.

„Sorglos.“

Seine hingeworfenen Bemerkungen nervten sie. „Kein Problem. Zufällig wohne ich nicht weit von hier.“

Gelassen hielt sie seinem Blick stand, was eine echte Leistung darstellte, in Anbetracht der Tatsache, dass sie auf der Erde saß und aussah, als hätte man sie durch mehrere Hecken gezogen.

Jetzt hob er die Augenbrauen, und Grace sah, wie seine dunklen Augen sich weiteten, als ihm klar wurde, mit wem er es zu tun hatte.

„Sie sind Grace Stewart?“

Theo verspürte eine gewisse Gereiztheit, nachdem er die überflüssige Frage ausgesprochen hatte.

Wenn jemand sich die Mühe gemacht hätte, der Akte ein Foto beizulegen, hätte er zumindest nicht angenommen, es mit einer durchschnittlichen und langweiligen Person zu tun zu haben. Die Frau, die da auf dem Waldboden saß und ihn aufgebracht ansah, war weder Durchschnitt noch langweilig. Ihre Augen waren strahlend blau, und die Haut unter dem verschmierten Staub war von einer derart reinen Blässe, dass sie fast zu leuchten schien.

Diese Entdeckung bedeutete, dass er sich sofort auf die neue Situation einstellen musste – was nicht einfach war, wenn seine Libido sich dauernd verselbstständigte. War er seinem Vater vielleicht ähnlicher, als er dachte?

Er biss die Zähne zusammen und ärgerte sich, einen solchen Gedanken überhaupt zugelassen zu haben. Anders als sein verstorbener Vater hatte er nie vorgegeben, ein Heiliger zu sein, und er war definitiv kein Betrüger. Er hatte niemals einer Frau irgendetwas versprochen, nur um das nicht einzuhalten, hatte niemals eine Frau zur Verzweiflung getrieben, nachdem er behauptet hatte, sie zu lieben.

„Was machen Sie denn überhaupt hier?“

Diese beinahe vorwurfsvollen Worte lenkten seine Aufmerksamkeit zurück auf den Moment und die Person, die hier zu seinen Füßen saß. „Muss ich denn um Erlaubnis bitten?“

Sein Sarkasmus ließ Farbe in ihre blassen Wangen schießen. „Ich meine … wir hatten keine Ahnung, dass Sie kommen. Eine kurze Ankündigung wäre nett gewesen.“

Das klang gereizt, und Grace kam sich albern vor, besonders, da sie sich nicht gerade in einer vorteilhaften Position befand.

„Wollte nur mal nachsehen, ob Sie nicht das Silber mitgehen lassen.“

Sein gelassener Spott brannte wie Gift, und sie hob das Kinn. „Sehr witzig!“ Dann kam ihr der demütigende Gedanke, dass er vielleicht gar keinen Scherz hatte machen wollen. „Die Hälfte davon gehört sowieso mir“, fügte sie hinzu und schloss aus seinen aufgeblähten Nasenflügeln, dass ihm das gar nicht gefiel. Tja, gut – das freute sie.

Ihr Duell mit Blicken ging eine Weile so weiter, bis Theo schließlich das Schweigen brach.

„Wollen Sie den ganzen Tag hier sitzen bleiben, oder soll ich Sie mitnehmen?“

Sie blinzelte. Aber natürlich war er nicht einfach so hergebeamt worden. Er hatte ein Auto.

„Selbstverständlich gibt es immer noch die Option, auf Händen und Füßen zu kriechen, auch wenn es schmerzhaft sein könnte.“ Er hob wieder die Brauen. „Ihre Entscheidung.“

Sie kniff die Augen zusammen. Er war nicht so schlimm, wie sie sich vorgestellt hatte, sondern noch viel, viel schlimmer!

„Ich lasse mich mitnehmen.“

Doch würde sie auch die Hand nehmen, die er ihr entgegenstreckte?

Als sie auf Theos lange Finger blickte, kam ihr die Option, zu kriechen, plötzlich gar nicht mehr so schlimm vor …

Theo bemerkte, dass sie seine Hand mit einem Ausdruck betrachtete, der normalerweise einer gefährlichen Schlange gelten würde. Er konnte beinahe sehen, wie sie ihren Stolz hinunterschluckte, als sie schließlich ihre Hand ausstreckte, um seine zu ergreifen.

Sein Amüsement schwand, als er ihre schmale, blasse Hand mit den kalten Fingern in seiner hielt und ihn die erotische Spannung unvermittelt nach Luft schnappen ließ. Der einzige Trost war, dass sie das Gleiche empfand. Er erkannte es an der Art, wie sie die Augen aufriss.

Grace brach die merkwürdige Verbindung zwischen ihnen, sobald sie dazu in der Lage war, und wischte sich die Hand an ihrer dünnen Baumwollhose ab.

„Danke“, stieß sie hervor und versuchte schwankend auf einem Bein zu balancieren.

„Wie schlimm ist es?“, fragte er und klang ungeduldig.

„Es ist nur verstaucht.“ Sie fügte nicht hinzu, dass Verstauchungen manchmal schlimmer sein konnten als ein Bruch.

„Sind Sie Ärztin?“

„Nein, Krankenschwester.“

„Natürlich, und sicher eine Zierde Ihres Berufs“, meinte er spöttisch.

Sie ging nicht darauf ein.

„Also, soll ich Sie jetzt mitnehmen?“

Sie seufzte und antwortete höflich und formell. „Das wäre nett, Mr. …“

„Ich denke, unter den Umständen nennen Sie mich einfach Theo …“

„‚Umständen‘?“, fragte sie nach, als er losging.

„Nun, wir werden schließlich zusammenwohnen“, erwiderte er lächelnd über die Schulter.

„‚Wohnen‘? Mit Ihnen? Aber ich wohne hier, und Sie leben normalerweise in England.“

Sie musste sich über ihn informiert haben.

„Genau wie Sie“, erwiderte er. Sein selbstzufriedenes Lächeln schwand, als er ihre Bewegungen beobachtete. Unübersehbar war die Kombination aus Hüpfen und Schlurfen, mit der sie sich fortbewegte, sehr schmerzhaft.

Er fluchte leise.

Sie hatte keine Ahnung, weshalb er plötzlich auf sie zukam, bis er sie mit einem scheinbar mühelosen Schwung hochhob.

„Ich kann selbst laufen“, wehrte sie ab und versteifte sich. Gleichzeitig spürte sie jedoch seinen durchtrainierten Körper und die Wärme seiner Haut, was sie sehr durcheinanderbrachte.

„Und ich möchte gern noch in diesem Jahr ankommen.“

Sobald er sie neben seinem Auto absetzte, die Beifahrertür öffnete und sie allein einsteigen ließ, seufzte sie erleichtert.

Als Grace es schließlich geschafft hatte, saß er bereits im Auto und wartete.

„Welche Richtung?“, fragte er daraufhin und schien ihr Unbehagen zu genießen.

„Ist das Ihr Ernst?“, fragte sie, während er bereits aufs Gas trat.

„Was meinen Sie? Wegen der Richtung? Natürlich kenne ich den Weg.“

„Sie werden doch nicht wirklich hierbleiben wollen?“

Er lächelte spöttisch. „Es ist ein großes Haus. Bestimmt kommen wir gut miteinander aus.“

3. KAPITEL

Als sie vor dem Säuleneingang anhielten, sagte er, ohne sie anzusehen, den Blick nur auf das Gebäude gerichtet, dass er jemand herausschicken würde, der sie abholte.

Als wäre ich ein abzulieferndes Päckchen, dachte Grace genervt.

Noch bevor sie antworten konnte, war er hineingegangen.

Grace machte sich langsam und unter Schmerzen selbst auf den Weg und war bis zu der Treppe gekommen, als Marta herauskam.

„Oh, du armes Ding! Wie gut, dass Theo dich gefunden hat.“

Grace presste die Lippen aufeinander. Es hörte sich so an, als ob er nach ihr gesucht hätte.

„Klar, er ist mein Held“, sagte sie und akzeptierte Martas Angebot, sich auf sie zu stützen.

Marta schien den Sarkasmus nicht wahrgenommen zu haben.

„Wir haben den Arzt bereits angerufen.“

„Das ist wirklich nicht nötig.“

„Theo meinte, wir sollten es tun.“

„Mir egal, was Theo sagt. Ich will keinen Arzt.“

Sie sah den verletzten Gesichtsausdruck der Haushälterin und zwang sich zu einem Lächeln. „Alles, was ein Arzt sagen würde, ist, dass ich einen kalten Umschlag machen, mein Bein hochlegen und Schmerztabletten nehmen soll.“

„Theo …“

Oh Gott, gib mir Kraft, dachte Grace und verkniff sich eine Erwiderung.

„Na gut.“

Die Haushälterin nickte beifällig, doch als Grace nach dem Geländer der breiten Treppe in der Eingangshalle griff, um nach oben zu kommen, runzelte sie die Stirn.

„Ich hole jemand, der dich trägt.“

„Danke, aber nicht nötig. Ich komme zurecht.“ Grace setzte ein zuversichtliches Lächeln auf.

„Na gut. Ist es nicht wunderbar, dass Theo endlich zu Hause ist?“

Es ist ihr ernst, erkannte Grace, denn Marta standen die Tränen in den Augen.

„Wunderbar“, wiederholte Grace trocken und dachte, wie viel wunderbarer es gewesen wäre, wenn er rechtzeitig gekommen wäre, um sich von seinem Vater zu verabschieden.

Sobald sie sich um die erste Biegung der Treppe gekämpft hatte und damit außer Sicht war, setzte Grace sich und schob sich den Rest des Weges auf dem Po nach oben zu ihrem Zimmer im ersten Stock. Das war nicht die eleganteste Weise, doch verglichen mit der Alternative, getragen zu werden …

Die Erinnerung daran, wie Theo sie getragen hatte, war noch zu frisch, als dass Grace das Risiko erneut eingehen wollte.

Als der Arzt schließlich kam, lobte er ihre eigenen Erste-Hilfe-Maßnahmen und empfahl eine Stützbandage, wenn sie wieder laufen könne.

„So ein Jammer“, sagte Marta später, „dass du an Theos erstem Abend hier nicht mit ihm zusammen zu Abend essen kannst.“

„Du liebe Güte, nein!“, rief Grace spontan aus, dann schwächte sie ihre Reaktion ab, indem sie auf ihren hochgelegten und gekühlten Fuß blickte. „Das wäre viel zu schmerzhaft“, fügte sie hinzu.

„Eben“, stimmte Marta ihr zu und bezog Grace’ Ausruf offenbar auf die Verletzung. Grace war es ein Rätsel, warum gerade die Menschen, die Salvatore so geliebt hatten, sich freuen konnten, seinen hasserfüllten Sohn zu sehen.

Wie konnten sie ihm vergeben?

Massenhypnose, vielleicht?

Ihre erste SMS von Nic, dem Gutsverwalter, bekam Grace eine Stunde später. Sie runzelte die Stirn und antwortete ihm sofort.

Bestimmt nur ein Missverständnis.

Zwei Stunden und fünf SMS später war es selbst Grace klar, dass sie es nicht mit einem einfachen Missverständnis zu tun hatten. Die Bank hatte offensichtlich die Zahlungen an ihre Lieferanten eingestellt.

Das bedeutete, dass die Arbeiten an der neuen Olivenpresse nicht weitergingen, da die Händler nicht liefern würden. Und auch die Renovierungsarbeiten an bestimmten Gebäuden zur Umwandlung in eine Unterkunft für nachhaltiges Reisen waren eingestellt worden, da die Lieferung von Marmor aus den örtlichen Steinbrüchen gestoppt worden war.

Beides waren Projekte, die Salvatore in ihre Hände gelegt hatte.

„Es ist fast, als ob jemand uns absichtlich sabotiert“, bemerkte Nic frustriert.

Grace wusste, dass Nic zuverlässig und ihr wohlgesinnt war, und vertraute ihm.

„Überlass das mir und mach für heute Schluss“, antwortete sie. „Geh nach Hause zu deiner Familie. Es ist spät. Wir reden morgen weiter.“

Grace stieß die Kühlpads von ihrem Bein und schob sich aus dem Bett. Sie kämpfte sich in den Bademantel, nahm den Stock mit dem silbernen Griff, den Marta ihr hingelegt hatte, und schluckte noch eine Schmerztablette, bevor sie sich auf den Weg machte.

Sie schleppte sich die Treppe hinunter, indem sie sich an dem Geländer festhielt, viel zu wütend, um die Schmerzen in ihrem Knöchel zu registrieren. Anscheinend war Wut ein noch besseres Schmerzmittel als Tabletten.

Als sie Salvatores Arbeitszimmer erreichte, war die Tür offen. Mit klopfendem Herzen blieb Grace stehen, dann schob sie die Tür auf und trat ein. Das Licht über dem Porträt von Salvatores verstorbener Frau rückte deren Schönheit in den Mittelpunkt, doch das Zimmer war leer.

Auch der Salon war leer.

Die Tür zum kleinen Esszimmer, wo Grace normalerweise aß, stand einen Spalt offen. Licht fiel heraus und Klänge eines Klavierspiels waren zu hören.

Grace stieß die Tür weiter auf und sah eine halb volle Weinflasche, ein leeres Glas und die zur Hälfte herabgebrannten Kerzen im Leuchter.

Die Person am Klavier hatte die Augen beim Spiel geschlossen und schien die Zuhörerin nicht wahrzunehmen.

Die Musik war unglaublich traurig und erinnerte Grace unwillkürlich an das Porträt im Arbeitszimmer. Wie lange war Salvatores Frau schon tot? Grace hatte nie gefragt und niemand hatte je über die Umstände ihres Todes gesprochen.

Sie zuckte zusammen, als Theo mit einem misstönenden Schlag auf die Tasten aufhörte zu spielen. Der Stuhl kratzte über den Boden, und Theo stand auf, groß und elegant in einem schwarzen Hemd, das am Kragen geöffnet war, und einer maßgeschneiderten schwarzen Hose.

„Suchen Sie nach mir? Brauchen Sie etwas?“ Er hob die Augenbrauen. „Oder möchten Sie mir einen Deal vorschlagen?“

„Ich suche tatsächlich nach Ihnen“, antwortete Grace, ohne den Blick zu senken. Stattdessen musterte sie ihn durchdringend.

„Dürfen Sie denn den Fuß schon belasten?“, fragte Theo.

Ihre Füße waren, wie er bemerkte, nackt. Ihr Morgenmantel hatte das Blau ihrer Augen und reichte bis zum Boden, sodass es wirkte, als ob sie schwebe.

Er fragte sich, was sie wohl darunter trug und wie es wäre, mit den Fingern durch ihr blondes Haar zu fahren, das ihr Gesicht umrahmte wie ein Seidenvorhang.

War es da verwunderlich, dass sein Vater ihr ein Vermögen hinterlassen hatte? Natürlich würde ein älterer, verletzlicher Mann auf diese Kombination von großen Augen gepaart mit Sinnlichkeit hereinfallen.

Theo spürte einmal mehr Begehren in sich aufsteigen und wünschte, er hätte das Verhältnis mit Cleo nicht so abrupt abgebrochen. Er war weder älter noch verletzlich, aber enthaltsames Leben passte nicht zu ihm, hatte es noch nie.

Er brauchte keine Partnerin, er brauchte Sex – aber gewiss nicht mit dieser Frau.

„Ihre Sorge ist ja rührend“, erwiderte Grace mit kühler Stimme und weigerte sich, sich von seinen Blicken ablenken zu lassen.

Er schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte auf sie zu. Am liebsten hätte sie gerufen: „Halt! Stehen bleiben!“ Doch sie tat es nicht. Denn das hätte bedeutet, dass sie Angst vor ihm hatte, was nicht stimmte.

Nicht vor ihm … aber vielleicht vor den Gefühlen, die er in mir auslöst?

Sie verdrängte diesen Gedanken und schob das Kinn vor.

„Also, jetzt, da Sie mich gefunden haben, was möchten Sie denn mit mir anfangen?“

Die betont freundliche Frage ließ ihr das Blut in die Wangen steigen. Mit ihrer ganzen Willenskraft unterdrückte sie die Vorstellung, was sie am liebsten mit ihm anfangen würde.

„Ich habe einige Anrufe von Nic erhalten.“ Trotz ihres Versuchs, ruhig zu bleiben, zitterte ihre Stimme jetzt vor Wut.

„Sie haben Ihren Freund gut erzogen.“

„Nic ist der Gutsverwalter“, erwiderte sie scharf.

Theo runzelte die Stirn, doch dann gab er sich wieder gelassen. „Nach meiner Zeit.“

Zu seiner Zeit war Luis der Verwalter gewesen, der ihm immer erlaubt hatte, mit ihm und seinem Sohn mitzukommen, auch wenn die beiden Jungs sicher manchmal anstrengend gewesen waren. Zufällig war der Name des Jungen Nico gewesen.

„Er ist schon seit acht Jahren der Verwalter.“

Theos Lächeln war völlig humorlos. „Wie ich schon sagte, nach meiner Zeit.“ Er sah, wie Grace ihre vollen Lippen zu einem tadelnden Ausdruck verzog, der nicht zu ihnen passte. Der Gedanke, wofür dieser Mund allerdings gemacht war, durchdrang seinen geistigen Schutzschild, und Theos Blick verschwamm, als das Testosteron sich seinen Weg bahnte.

„Nic hatte keinen guten Tag. Es gab einige Probleme, zum Beispiel stornierte Bestellungen, Zahlungsanweisungen, die nicht durchgingen. Wissen Sie etwas darüber?“

„Ich bin nicht zum stillen Teilhaber geschaffen“, sagte er.

Er versuchte nicht einmal, es zu leugnen.

„Ich genauso wenig“, erwiderte sie scharf. „Ich verstehe es nicht … warum tun Sie das?“, fragte sie, ehrlich verblüfft über dieses Ausmaß an Bösartigkeit.

„Was geht Sie das an?“, entgegnete er.

„Die Projekte, die Sie sabotieren wollen, waren Ihrem Vater äußerst wichtig.“ Sie musterte sein Gesicht nach irgendeinem Anzeichen, welchen Eindruck ihre Worte auf ihn machten, sah jedoch nur einen eisigen Blick. „Jeder hier arbeitet so hart daran, dass all das verwirklicht werden kann, und zwar wegen Ihres Vaters. Ich … ich habe es versprochen.“

Sie biss sich auf die Unterlippe und blinzelte heftig. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte sie eine furchtbare Vermutung.

„Ist das der Grund, warum Sie das tun? Aus Trotz? Aber er ist tot!“, erinnerte sie ihn. „Sie können ihn nicht mehr verletzen. Warum hassen Sie ihn so sehr?“

Die Worte waren heraus, bevor sie es verhindern konnte … nicht, dass er die Frage zu registrieren schien.

„Es geht nicht um das Warum, ich kann es eben tun.“

Es war ihr nicht entgangen, dass er ihre Vermutung nicht abstritt.

„Genau wie Sie verhindern können, dass ich das Land verkaufe“, fuhr Theo fort, „kann ich Ihre kleinen Projekte stoppen.“

Er machte eine Pause und bemerkte, dass Grace blass wurde. Ihre weit aufgerissenen blauen Augen zeigten, wie schockiert sie war.

„Haben Sie wirklich eine dieser überhöhten Rechnungen geprüft?“, fragte er. „Oder haben Sie sie nur abgezeichnet?“

„Natürlich habe ich sie geprüft. Ich bin schließlich nicht blöde!“, antwortete Grace aufgebracht. „Und wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, sich eingehend damit zu beschäftigen“, fuhr sie fort, „dann wüssten Sie, dass es absolut Sinn macht, diese sogenannten überhöhten Preise zu bezahlen. Ja, ich bin mir bewusst, dass man auch Marmor bekommen kann, der nur ein Viertel unseres Preises kostet, aber es wäre ein minderwertiges Produkt. Und, was noch wichtiger ist …“

Ihre Lippen wurden vor Wut schmal, als Theo sie unterbrach.

„Ich vermute, Sie sind auch informiert, wie hoch die geplanten Arbeitskosten für diese … Olivenmühle sind? Wer steckt denn das Geld für diese Verschwendung ein? Das ist nicht einmal sehr kreativ.“

Grace war jetzt kreidebleich vor Zorn. „Sie können mich beleidigen, so viel Sie wollen, das macht mir nichts aus. Aber die Menschen, die hier arbeiten, verdienen mehr Respekt. Sie verdienen mehr, als der Spielball dieser kindischen Trotzreaktion zu sein. Sie können noch so sehr mit den Füßen aufstampfen, weil nicht alles nach Ihrem Willen geht, aber beleidigen Sie nicht die Menschen, die einfach nur ihre Arbeit tun.“

Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und musterte ihn voller Verachtung.

„Ist Ihnen klar, wie armselig das ist?“

Grace sah seinen verblüfften Gesichtsausdruck, doch der Schock, auf diese Weise zurechtgewiesen worden zu sein, verwandelte sich bei ihm schnell in Wut, die seine dunklen Augen wie schwarzes Eis funkeln ließ.

„So sprechen Sie nicht mit mir!“, stieß er aufgebracht hervor.

„Was wollen wir wetten?“, erwiderte sie, zu wütend, um sich vor seinem Zorn zu fürchten. „Und wie wäre es mit noch ein paar weiteren Fakten für Sie? Wie erwähnt, könnte der Marmor billiger sein. Doch dieser Marmor kommt aus genau dieser Gegend und wird den örtlichen Händlern Arbeit verschaffen. Er ist authentisch in Bezug auf die Restauration, und es entstehen keine größeren Transportkosten. Und selbst wenn Ihnen das egal ist, anderen Leuten nicht. Sie kennen sich mit Finanzen aus?“, fuhr sie fort. „Bestens. Dann werden Sie gutes Marketing erkennen. Die Arbeitskosten halten Sie für zu hoch? Diese Männer sind erfahrene Steinmetze aus der Umgebung. Es geht auch um Fähigkeiten, die verloren gehen können, und um Menschen, die in diesen restaurierten Gebäuden unter dem Motto Nachhaltigkeit gern übernachten werden. Auf lange Sicht werden wir damit die Kosten wieder hereinholen!“

Als sie ihren Vortrag beendet hatte, war Theos Ärger Erstaunen gewichen. Nicht nur über Graces Kenntnisse, sondern über ihre offensichtliche Leidenschaft.

Kann das ehrlich sein?

Er tat diese Möglichkeit ab. Bei einer Frau wie ihr gibt es immer einen Haken.

„Woher zum Teufel wissen Sie das alles?“, fragte er.

Grace holte tief Luft und fühlte sich nach ihrem Gefühlsausbruch etwas zitterig. Das Leben mit ihrer charmanten und doch anstrengenden Familie hatte sie gelehrt, dass Konfrontation keine Lösung war, und sie war stolz darauf, dass sie inzwischen auf Provokation mit ruhiger Vernunft reagierte.

Allerdings war sie bis jetzt nie Theo begegnet und hatte noch nie seinen Spott ertragen müssen.

„Ich bin interessiert“, antwortete sie und bemühte sich um mehr Gelassenheit. „Weil Interesse und Leidenschaft ansteckend sein können und Ihr Vater sehr leidenschaftlich an diesen Projekten arbeitete.“

Sie lächelte traurig.

„Er verfügte über so viel Wissen und Enthusiasmus. Er war so … ach!“ Sie brach ab, als ein Schluchzer in ihr aufstieg. „Er war so ein netter Mensch und ich vermisse ihn“, murmelte sie.

Theo hätte das idealisierte Bild, das sie anscheinend von seinem Vater hatte, mit einem brutalen Satz zerstören können.

Also warum mache ich es nicht?

Weil es ihm schließlich egal sein konnte, welche Beziehung diese Frau zu seinem Vater gehabt hatte. Es war egal, ob sie ehrlich oder eine gute Schauspielerin war. Für ihn ging es nur darum, dass sie hier und ihm im Weg war. Alles andere war nur Ablenkung.

„Tja, er ist nicht hier. Aber ich bin es. Und ein paar Tränen und ein Appell an mein ökologisches Gewissen wirken bei mir nicht. Wenn Sie meine Unterschrift haben wollen, müssen Sie mir ordentliche finanzielle Gründe nennen.“

Bei diesen unverblümten Worten hob sie den Kopf. Ihre Augen glänzten immer noch von aufsteigenden Tränen. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah ihn aufgebracht an.

„Ich dachte, das hätte ich getan.“

Verdammt. Das hat sie.

„Sie sind wirklich ein furchtbarer Mann!“

Wie, fragte sie sich beim Gedanken an sein gefühlvolles Klavierspiel, kann er gleichzeitig so kalt und grausam sein?

„Sie glauben ja gar nicht, wie sehr mich das trifft.“ Er setzte erneut sein humorloses Lächeln auf. „Ich dachte, jemand in Ihrem Job braucht professionelle Distanz. Brechen Sie jedes Mal zusammen, wenn ein Patient stirbt? Oder nur bei denen, die Ihnen ein Vermögen hinterlassen haben?“

Die Abneigung in ihren blauen Augen war unübersehbar. „In einem Punkt haben Sie recht. Ich habe tatsächlich manchmal Probleme, mich gefühlsmäßig nicht zu sehr zu engagieren. Aber nichtsdestotrotz bin ich eine gute Krankenschwester.“

Sie atmete langsam tief durch, während sie sich um genau diesen gefühlsmäßigen Abstand bemühte.

„Nicht, dass ich von Ihnen besonderes Interesse erwarte. Genau wie es mich nicht interessiert, ob Sie von Natur aus so unangenehm sind oder ob Sie sich bewusst darum bemühen. Vermutlich glauben Sie, wenn Sie nur unfreundlich genug sind und mir Steine in den Weg legen, gebe ich einfach auf.“

Sie hob die Augenbrauen und zwang sich, seinem Blick nicht auszuweichen.

„Aber ich bleibe“, erklärte sie. „Sie können so gemein und unfreundlich sein, wie Sie wollen. Ich werde Ihnen nicht erlauben, den Palazzo della Stellato zu zerstören.“

Theo wich bei ihrer Offensive unwillkürlich schockiert zurück. Das Ganze verlief nicht wie geplant.

In diesem herausfordernden Blick war nicht ein Hauch von Kompromiss zu erkennen. Das heftige Schlagen ihres Pulses, das er an ihrem Hals wahrnahm, und ihre zu Fäusten geballten Hände waren die einzigen Anzeichen, dass sie nicht so ruhig war, wie sie sich gab.

„Was ist denn überhaupt Ihr Problem?“, wollte sie wissen. „Warum wollen Sie alles zerstören? Ihr Vater hat immer nur davon gesprochen, welch ein wunderbarer Mensch Sie seien, und war so stolz auf Sie!“

Theo setzte ein falsches Lächeln auf und ging auf sie zu …

In Grace kämpften völlig gegensätzliche Instinkte – einerseits wollte sie auf ihn zugehen, andererseits aber auch zurückzuweichen –, und so blieb sie mit klopfendem Herzen wie angewurzelt stehen.

„Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf weitere nette kleine Plaudereien wie diese freue, cara“, sagte er und registrierte fast schockiert, wie die Finger seiner rechten Hand beinahe automatisch und selbstständig zu handeln schienen, indem er Graces Kinn umfasste.

Er wollte sich zurückziehen, als ihre glatte Haut seine Handflächen elektrisierte, doch noch bevor er das tun konnte, spürte er den Schauer, der ihren Körper durchlief, sah das Funkeln in ihrem Blick und wie ihr Atem schneller ging, was ihre Brüste gegen den dünnen Stoff presste.

Theos Verstand funktionierte perfekt logisch, als er die Situation analysierte.

Ja, es gab eine starke sexuelle Anziehung, eine Neugier, die nahezu greifbar war. Das bedeutete eine störende Ablenkung, und wenn er sich nicht darum kümmerte, stünde ihm das ständig im Weg. Der beste und effizienteste Weg wäre, nicht mehr darüber nachzudenken, wie Grace sich wohl anfühlte und schmeckte.

Er musste sie küssen und es damit einfach hinter sich bringen.

Die Neugier stillen und anschließend weitermachen.

Ein verblüffter B...

Autor

Kim Lawrence
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