Julia Extra Band 555

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  • Erscheinungstag 16.07.2024
  • Bandnummer 555
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525671
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julia James, Andrea Bolter, Lynne Graham, Ruby Basu

JULIA EXTRA BAND 555

PROLOG

Calanthe Petranakos stand neben ihrem Vater und begrüßte die Gäste im Festsaal des Athener Nobelhotels. Die gesamte High Society von Athen stellte sich ein, und sie war sehr froh darüber. Der sechzigste Geburtstag ihres Vaters war schließlich auch ein Grund zum Feiern!

Ein Seitenblick auf ihren Vater ließ sie jedoch die Stirn runzeln. Trotz des freudigen Anlasses wirkte er müde, und seine Schultern hingen herab, als sei er sehr angestrengt. Er sah nicht gut aus.

Der Anblick beunruhigte sie. Seit jeher war ihr Vater eine willensstarke und energische Persönlichkeit gewesen. Diese Eigenschaften hatten ihn zu einem sehr wohlhabenden Mann gemacht. Obwohl ihr eigenes Fachgebiet die klassische Kunst war und sie zwischen den Museen in London und Athen pendelte, wusste Calanthe, dass sie als einziges Kind eines Tages sein Immobilienimperium erben würde. Aber sie wollte nicht, dass dieser Tag zu früh kam. Ihr Vater sollte länger leben als ihre Mutter!

Ein düsterer Schatten huschte über ihr Gesicht. Es war kaum zwei Jahre her, dass ihre Mutter dem Krebs erlegen war, den sie so tapfer bekämpft hatte …

Energisch wies sie die trüben Gedanken von sich. Sie war als Gastgeberin hier, und sie wollte ihrem Vater Ehre machen. Schon zu Beginn des Empfangs hatte er ihr ein bewunderndes Lächeln geschenkt. „Mein liebes Kind, wie schön du aussiehst!“ Sein Kompliment war von Herzen gekommen.

Die in Blautönen changierende Seide ihres Couturekleides harmonierte mit den graublauen Augen, die sie von ihrer englischen Mutter geerbt hatte. Ihr dunkles Haar und ihr mediterraner Teint stammten von ihren griechischen Genen. Der kunstvolle Schrägschnitt des Kleides brachte ihre schlanke Figur perfekt zur Geltung, und um den Hals trug sie eine schlichte, aber sehr wertvolle Diamantkette.

Calanthe wusste, dass sie die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sich zog. Das war schon immer so gewesen. Doch ihr Lächeln war nie mehr als anmutig, ihre Ausstrahlung immer ein wenig abweisend. Ihr war klar, dass sie damit ihren Vater enttäuschte. Er wollte, dass sie heiratete, und zwar bald. Aber um zu heiraten, musste man sich erst verlieben. Das war ihr widerfahren, als sie jung, naiv und vertrauensvoll gewesen war. Dieses Erlebnis hatte ihr nicht nur das Herz gebrochen, sondern auch ihre Träume auf grausamste Weise zerstört.

Währenddessen trafen weitere Gäste ein, denen Calanthe ihre Aufmerksamkeit schenken musste. Wie immer bei gesellschaftlichen Anlässen gab sie sich als die liebenswürdige Tochter ihres Vaters. Als ein Kellner zu ihr trat und ihr ein frisches Glas Champagner anbot, nahm sie freundlich dankend an und reichte ihrem Vater ebenfalls eines. Immer wieder schweifte ihr Blick zum Eingang. Sicherlich waren alle geladenen Gäste bereits erschienen. In Kürze würde das üppige Buffet im Nebenzimmer eröffnet werden.

Sie wollte gerade einen Schluck von ihrem Champagner nehmen, als ein weiterer Gast auftauchte. Er war hochgewachsen und trug wie die meisten anderen männlichen Gäste einen Smoking. Sein Gesicht war von ihr abgewandt, während er mit einem Angestellten an der Tür sprach. Aber irgendetwas war an ihm …

Plötzlich spannte sich jeder Muskel in Calanthes Körper an. Ihr Atem stockte, und ihre Finger krampften sich um den Stiel der Champagnerflöte.

Der neue Gast hatte sich umgewandt, und sie konnte jetzt sein Gesicht sehen.

Calanthe spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich und eine tödliche Kälte nach ihr griff.

1. KAPITEL

Acht Jahre zuvor

Vorsichtig hob Calanthe die Tonscherbe mit der Spitze ihrer Kelle aus der harten, trockenen Erde heraus und bat Georgia zu sich. Sie sollte sich das Fundstück mit ihren fachkundigen Augen ansehen, denn Georgia studierte Archäologie und kannte sich besser mit Ausgrabungen aus.

Als Studentin der Kunstgeschichte hatte Calanthe wenig Erfahrung im praktischen Umgang mit alten Artefakten. Dennoch hatte sie sich gern dem Team angeschlossen, das Georgias Professor eilig zusammengestellt hatte. Die alte Kultstätte war durch den Bau einer Ferienanlage auf einer der unzähligen Inseln in der Ägäis freigelegt worden, aber nun war sie durch die fortschreitenden Bauarbeiten gefährdet.

Die Studierenden waren ein fröhliches Völkchen, das sich über einen kostenlosen, wenn auch arbeitsreichen Urlaub in Griechenland freute. Eine sonnige Abwechslung von ihrer Alma Mater, einer verregneten Universität im Norden Englands.

Calanthe half bereitwillig mit, obwohl sie viel bequemer in der Luxusvilla ihres griechischen Vaters Urlaub hätte machen können. Nur wenige wussten, dass sie neben dem englischen Nachnamen ihrer Mutter, unter dem sie bekannt war, auch noch einen griechischen Nachnamen hatte. Nicht einmal ihre engsten Freunde ahnten, wie reich ihr Vater war.

„Was hältst du davon?“, fragte sie Georgia, die den gebogenen Terrakottascherben prüfend in der Hand hielt.

Georgia musterte das Stück. „Möglicherweise korinthischen Ursprungs. Mal sehen, ob es davon noch mehr gibt, bevor wir es dem Professor zeigen“, stellte sie begeistert fest und machte sich mit Kelle und Pinsel an die Arbeit.

Plötzlich fiel ein Schatten auf die beiden knienden Gestalten. „Na, meine Damen“, erklang eine tiefe Stimme über ihnen. „Habt ihr schon Gold oder kostbaren Schmuck gefunden?“

Erschrocken hoben Calanthe und Georgia ihre gesenkten Köpfe. Calanthe stockte der Atem. Und der Fremde, der auf sie herabsah, war diese Reaktion absolut wert. Schmalhüftig und breitschultrig stand er mit gespreizten Beinen über dem flachen Graben, in dem sie knieten. Über seiner muskulösen Brust spannte sich ein staubiges T-Shirt. Mund und Nase waren wohlgeformt, das dunkle, etwas längere Haar fiel ihm in die Stirn. Das ganze Paket wirkte rau – und absolut umwerfend.

Calanthe hörte Georgia schlucken und wusste genau, warum.

„Bis jetzt nur Tonscherben“, brachte Georgia heraus und rappelte sich auf.

Calanthe tat es ihr gleich und wurde sich plötzlich brennend bewusst, dass ihre ausgebeulten Shorts mit Erde befleckt, ihr T-Shirt schweißnass und ihr Haar unschmeichelhaft zerzaust war.

Wer ist dieser Kerl? dachte sie und beantwortete sich die stumme Frage gleich selbst. Ganz offensichtlich kam er von der nahe gelegenen Hotelbaustelle. Aber was machte er hier auf der Ausgrabungsstätte? Die Ausgrabung war für alle außer dem Archäologenteam tabu.

„Sie haben hier nichts zu suchen!“, hörte sie sich schroffer als beabsichtigt sagen.

Obwohl er eine Sonnenbrille trug, spürte Calanthe, wie sein Blick sie durchbohrte. Sie schluckte wie Georgia zuvor, wenn auch hoffentlich nicht so laut.

„Ich war nur neugierig“, teilte er ihr ungerührt mit. „Es ist schließlich die Geschichte meines Landes, die Sie hier ausgraben.“

Calanthe hörte die Schärfe in seiner Bemerkung und reckte ihr Kinn. „Vielleicht sollte Ihr Land zeigen“, sagte sie und imitierte bewusst seinen Tonfall, „dass es seine Geschichte schätzt, und nicht alles mit Hotels zubauen!“

„Das Erbe unserer Vorfahren wird gewissenhaft geschützt“, schoss er zurück. „Aber die heute lebenden Griechen müssen auch ihren Lebensunterhalt verdienen. Der Fremdenverkehr ist eine wichtige Einnahmequelle, weshalb Hotels keine Geschichtsschändung sind, sondern eine Notwendigkeit.“

Er wandte sich von ihr ab und richtete seinen Blick auf Georgia. Calanthe fühlte sich, als sei sie plötzlich entlassen worden.

Als der attraktive Fremde jetzt weitersprach, klang er wieder versöhnlich. „Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht noch einen weiteren Freiwilligen gebrauchen können.“

„Das müssen Sie den Professor fragen“, erklärte Georgia. „Er ist dort drüben.“ Sie begleitete ihre Worte mit einer Geste.

Der Fremde nickte. „Danke. Das werde ich tun.“

Er ging davon, und Calanthe ließ sich wieder auf die Knie sinken. Sie weigerte sich, ihm nachzusehen.

Georgia aber tat es, und zwar ziemlich schamlos. „Oh, wow!“, seufzte sie. „Was auch immer er hat, er hat es zu zweihundert Prozent!“

„Er ist doch nur ein Hilfsarbeiter“, fuhr Calanthe heftig auf.

Georgia hob missbilligend eine Augenbraue. „Das klingt ziemlich versnobt“, bemerkte sie.

Calanthe zuckte mit den Schultern. „Was weiß denn ein Typ von der Baustelle über das, was wir hier tun?“

„Er schien interessiert“, erwiderte Georgia. „Gib ihm eine Chance!“

„Er könnte stehlen wollen“, widersprach sie. „Immerhin hat er gefragt, ob wir Gold oder Schmuck gefunden haben.“

„Das fragen bei Ausgrabungen doch alle“, erwiderte Georgia nachsichtig. „Außerdem werden wir hier weder Gold noch Schmuck finden. Nur Töpfe. Apropos … mal sehen, ob wir den Rest dieses Topfes finden.“

Calanthe machte sich bereitwillig wieder an die Arbeit. Das half ihr hoffentlich dabei, den beeindruckenden Bauarbeiter aus dem Kopf zu bekommen. Zu ihrem eigenen Verdruss gelang ihr das aber nicht sehr wirkungsvoll.

Sein Name war Nik, erfuhr sie an diesem Abend auf dem Weg zur Hafentaverne. „Er soll mit Dave und Ken zusammenarbeiten“, berichtete Georgia.

„Lieber mit denen als mit uns“, antwortete Calanthe.

„Ach komm schon! Du bist durchschaut“, scherzte ihre Freundin. „Das sagst du doch nur, weil du dich in ihn verknallt hast und es nicht zugeben willst.“

Calanthe verzog das Gesicht, aber Georgia war noch nicht fertig. „Also, ich finde ihn heiß. Allein schon die Stimme mit diesem zum Sterben schönen Akzent. Ganz zu schweigen vom Rest des Mannes!“ Sie stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Aber ich werde keine Chance bei ihm haben. Der ist eine Nummer zu groß für mich.“

Calanthe schnaubte. „Mach dich nicht selber klein!“

„Das tue ich gar nicht“, protestierte Georgia. „Ich bin nur ehrlich. Außerdem bin ich hergekommen, weil ich hoffte, dass Dave und ich zusammenkommen würden. Ich bin schon ewig hinter ihm her.“

Sie hatten jetzt das Hafengebiet erreicht. „Du hingegen“, fuhr Georgia mit einem weiteren Seufzer fort, „bist definitiv in der Liga von Nik dem Griechen.“

Calanthe stöhnte auf. „Nein danke, ich habe absolut kein Interesse.“

„Er wäre bestimmt an dir interessiert! Heißblütige Griechen verlieben sich gern in coole Engländerinnen. Aber du bist ja selbst halb Griechin, das vergesse ich immer wieder.“

„Bitte erwähne meine griechische Seite nicht vor Nik!“ Calanthe warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu. Fragen nach ihrem reichen Vater wollte sie auf jeden Fall vermeiden.

„Ja, ja, ich verspreche es“, versicherte Georgia. „Jetzt komm! Lass uns die anderen suchen und etwas zu essen besorgen. Ich bin am Verhungern.“ Sie beschleunigten ihre Schritte, bis sie die Taverne am Kai erreichten, die sie jeden Abend besuchten.

Dort trafen sie die anderen Studenten, die bei den Ausgrabungen halfen. Bei Karaffen mit lokalem Wein und üppigen Portionen von Gyros und Souflaki schlug die Stimmung bald hohe Wellen. Die lebhaften Gespräche begannen mit den Ausgrabungen des Tages und wandten sich dann allgemeineren Themen zu, die für ihre Altersgruppe von Interesse waren: von den angesagtesten Bands über Politik bis hin zur Abwendung eines katastrophalen Klimawandels.

Calanthe lehnte sich mit ihrem Glas in der Hand wohlig gesättigt zurück und überlegte, ob sie noch Platz für eines dieser süßen, klebrigen Gebäckstückchen zum Nachtisch hatte. Innerlich musste sie schmunzeln. Ihr Vater wäre verblüfft, wenn er sie in einer so bescheidenen Umgebung essen sehen könnte. Wenn sie ihn in Athen besuchte, wurde exquisit in den teuersten Restaurants der Stadt gespeist.

Mit zufriedenem Lächeln trank sie einen Schluck Rotwein, genoss die leichte Brise auf der erhitzten Haut und lauschte auf das klatschende Geräusch der Wellen an der Hafenmauer. Sie neigte den Nacken und rollte mit den Schultern, um die Muskeln zu lockern, die sie den ganzen Tag bei den Grabungsarbeiten angespannt hatte.

„Eine Massage gefällig?“ Die Stimme hinter sich kannte sie! Sie fuhr herum, und ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig.

Er trug zwar nicht mehr seine Arbeitskleidung, sondern hatte sie gegen Jeans und ein frisches T-Shirt getauscht. Dennoch war nicht zu verkennen, wer umwerfend lächelnd hinter ihr stand.

In Calanthes Kehle begann sich ein Kloß zu bilden. Nein, sie würde nicht wie all die anderen Frauen am Tisch auf diesen Mann reagieren! Sogar Georgia schien ihren Dave neben sich auf einmal nicht mehr zu sehen.

„Nik, setz dich!“, rief Ken aus und winkte zur Begrüßung.

Lässig zog Nik sich einen freien Stuhl heran und ließ sich von Ken ein unbenutztes Glas aus der Karaffe vollschenken.

„Yammas!“, rief er in die Runde und hob das Glas. Dann schaute er sich am Tisch um, und sehr zu Calanthes Verärgerung blieb sein Blick auf ihr haften. Er neigte sein Glas zu ihr hin. „Auf die Schatzsuche!“, sagte er.

In seinen dunklen Augen glitzerte es. Sie wünschte, sie wären noch von einer Sonnenbrille bedeckt. Ohne diesen Schutz waren sie … gefährlich. Sie musste schlucken.

Dann folgte noch etwas, aber diesmal leise und nicht auf Englisch, sondern auf Griechisch. „Ich glaube, ich habe gerade einen gefunden. Einen goldenen Schatz.“

Mit großer Willensanstrengung versuchte sie, eine gleichgültige Miene beizubehalten, als hätte sie nicht verstanden, was er gerade gesagt hatte. Doch das Glitzern in seinen dunklen Augen vertiefte sich und verriet, dass er sie durchschaut hatte.

Eine Sekunde lang, die sich anfühlte wie eine ganze Ewigkeit, konnte Calanthe nicht einen Muskel bewegen. Sie saß nur da, während diese unglaublichen Augen sie zu durchdringen schienen.

Glücklicherweise kam Georgia zu ihrer Rettung. „Keine Schätze, Nik“, sagte sie lachend. „Nur Tontöpfe, und wenn wir Glück haben, vielleicht etwas aus Bronze.“

Er wandte den durchdringenden Blick von Calanthe ab, und sie konnte endlich wieder atmen. Mit zitternden Fingern griff sie nach ihrem Weinglas. Was war gerade mit ihr passiert? Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken!

Nik hatte Georgias Bemerkung aufgeschnappt. „Bronze? Also kein Eisen?“

„Vielleicht etwas“, warf Dave ein. „Aber der Professor hat gesagt, dass diese Stätte wahrscheinlich an der Schwelle zwischen Bronze und Eisen liegt.“

Nik nickte. „Okay, also nicht mykenisch, sondern eher aus den dunklen Jahrhunderten?“

Erstaunt über seinen treffenden Kommentar wandte sich Calanthe zu ihm um. Wieder sah sie seinen durchdringenden Blick auf sich gerichtet. Aber glücklicherweise begannen Dave und einige andere jetzt eine Diskussion darüber, aus welcher Zeit die Fundstelle stammen könnte.

Nik, so schien es Calanthe, hielt sich wacker, obwohl er eindeutig kein Experte war. Er machte einige Bemerkungen zu den Baustilen und Methoden der damaligen Zeit, und dann hörte Calanthe sich zu ihrer eigenen Überraschung selbst sprechen: „Du hast wohl einige historische Kenntnisse auf deiner modernen Baustelle aufgeschnappt.“ Sie ließ es wie einen Scherz klingen, aber ihre Worte brachten ihr einen weiteren funkensprühenden Blick ein.

„Nein“, erwiderte er scharf. „Was ich über historische Baustile und Methoden weiß, habe ich in meinem Architekturstudium erworben.“

Calanthe versteifte sich innerlich. Das war eine klare und deutliche Abfuhr! Aber sie hatte sie verdient.

Ich habe angedeutet, dass ich ihm nichts Intellektuelles zutraue, wo er doch nur ein Bauarbeiter ist.

Verlegen griff sie nach ihrem Glas und trank noch einen Schluck Wein, um sich abzulenken. Warum war sie nur so biestig zu ihm gewesen?

Verstohlen blickte sie wieder zu ihm hinüber. Er lachte gerade mit funkelnden Augen über einen Scherz. Calanthe musste sich widerstrebend eingestehen, dass Nik wirklich ein unglaublich gut aussehender Mann war. Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch, nippte an ihrem Glas und gab sich geschlagen. Sie wollte nur noch dasitzen und ihn ansehen. Das war doch harmlos genug, oder nicht?

Athen in der Gegenwart

Harmlos …

Das Wort schoss Calanthe durch den Kopf, als sie nun neben ihrem Vater stand. Nein, es war nicht harmlos gewesen, an jenem lang zurückliegenden Sommerabend in Niks Anblick zu schwelgen. Aber was nützte es, sich jetzt zu sagen, was sie vor all den Jahren hätte tun sollen? Sie hatte es nicht getan, und ihr dummes, vertrauensseliges Herz hatte den Preis dafür bezahlt.

In ihrem Kopf hörte sie noch die Erklärung ihres Vaters zu Niks Verhalten. Wozu er sich herabgelassen hatte. Wie schamlos und bereitwillig er es getan hatte.

Sie schob die Erinnerung beiseite. Das war Vergangenheit, und dabei wollte sie es belassen. Allerdings kam die Vergangenheit jetzt auf sie zu. Geradewegs auf ihren Vater und sie selbst.

Nur einen kurzen Moment hatte sie Zeit, um sich zu wappnen. Dann stand Nik vor ihr, nur einen knappen Meter entfernt. In seinem maßgeschneiderten Smoking so groß und umwerfend gut aussehend wie früher. Sein Blick galt ihr, nicht ihrem Vater. Dann erklang leise seine vertraute Stimme.

„Hallo Calanthe, es ist schon eine Weile her.“

2. KAPITEL

Nikos sah den Schock über Calanthes Gesicht huschen. Auch er war überrascht und hatte nicht erwartet, sie hier zu sehen. Er war einfach seinem Instinkt gefolgt, geschäftliche Gelegenheiten zu ergreifen, wenn sie sich boten.

Rasch wandte er den Blick von Calanthe ab und konzentrierte sich auf den Mann neben ihr. Dabei war er sich der Ironie der Situation bewusst. Georgios Petranakos hatte keine Ahnung, wer er war. Vor acht Jahren hatte der steinreiche Geschäftsmann Handlanger ausgeschickt, um seine Tochter vor dem vermeintlichen Erbschleicher zu beschützen. Persönlich begegnet waren sie sich nie – und an seinen Namen konnte sich der ältere Mann ganz gewiss nicht mehr erinnern!

„Nikos Kavadis“, stellte Nikos sich jetzt mit einer angedeuteten Verneigung vor. Er sah, wie der alte Mann den Namen im Geiste überprüfte, die Verknüpfung zu dem erfolgreichen jungen Unternehmer anstellte und dann anerkennend nickte. „Ah, ja“, sagte er.

„Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich einfach so hereinplatze“, entschuldigte sich Nikos für sein unaufgefordertes Erscheinen. „Ich wohne zurzeit in diesem Hotel und habe Ihren Namen auf der Veranstaltungstafel in der Lobby gesehen.“

Calanthes Vater lächelte freundlich. „Ich freue mich, dass Sie uns Gesellschaft leisten können.“

Für einen kaum wahrnehmbaren Moment verfinsterte sich Nikos’ Miene. Früher wäre er diesem Mann niemals willkommen gewesen. Früher wären Schritte unternommen worden, um ihn von dieser Gesellschaft fernzuhalten.

Aber jetzt gehörte er zu den Privilegierten, die sich in Georgios Petranakos’ elitären Kreisen bewegen durften. Er hatte es geschafft, innerhalb acht kurzer Jahre zu einem sehr wohlhabenden Unternehmer zu werden. Das machte ihn zu einem Mann, der ungestraft auf der Privatparty eines reichen Mannes erscheinen durfte, ohne eingeladen zu sein. Der ebenso ungestraft seinen Blick auf die Frau an Georgios Petranakos’ Seite richten konnte. Eine Frau, von der er nicht geahnt hatte, dass er sie jemals wiedersehen würde.

Damals wusste ich nicht, wer sie war. Nicht bis …

Er verdrängte den Gedanken. Als er es herausgefunden hatte, hatte das alles verändert.

Doch eines war gleich geblieben: Ein Kick durchfuhr ihn, genauso heftig und unwiderstehlich wie damals, als er Calanthe zum ersten Mal erblickt hatte. Dabei wirkte sie jetzt in ihrem Couturekleid, mit dem makellos hochgesteckten Haar, ihrem perfekt geschminkten Gesicht und den glitzernden Diamanten an ihrem Hals ganz anders als in seiner Erinnerung.

Aber ihre Schönheit ist unverändert.

Bei diesem Gedanken spürte er die alten sinnlichen Gefühle in sich aufsteigen. Einen Moment lang gab er ihnen nach und erlaubte ihnen, Besitz von ihm zu ergreifen. Aber dann kamen auch andere, weniger erfreuliche Erinnerungen: Georgios Petranakos’ Männer, die ihm sein Angebot aufnötigten.

Gewaltsam musste er sich von diesen Gedanken losreißen. Sein Gastgeber hatte etwas gesagt, und Nikos wandte ihm seine Aufmerksamkeit wieder zu.

„Meine Tochter Calanthe“, stellte der alte Mann seine Tochter vor.

Hatte ihr Vater vorhin den gemurmelten Gruß gehört? Nikos hoffte, dass es nicht so war. Er rechnete auch nicht damit, dass Calanthe einen Hinweis auf ihre frühere Bekanntschaft geben würde.

Bekanntschaft?

Das Wort klang wie ein Hohn. Was er in jenem Sommer mit Calanthe erlebt hatte, war so viel mehr als eine Bekanntschaft gewesen!

„Kyrios Kavadis.“ Ihre Stimme war kühl, ihr Gesichtsausdruck noch kühler.

Doch in ihrem Inneren schien es zu brodeln. Ihr schlanker Körper versteifte sich, ihr Blick wurde starr. Nikos spürte ihre innere Erregung.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich ihre Wege nach so langer Zeit noch einmal kreuzen würden. Vor acht Jahren, gerade aus dem Teenageralter heraus, hatte Calanthe den natürlichen Reiz der Jugend besessen. Jetzt war sie zur perfekten Schönheit gereift. Exquisit – das war der einzige passende Begriff für sie.

Bilder aus der Vergangenheit drängten sich ihm auf. Ihr schlanker Körper in knappen Shorts, die ihre langen, gebräunten Beine frei ließen. Ein eng anliegendes T-Shirt, das ihre kleinen Brüste umschmeichelte. Das Haar zum Zopf geflochten, bereit für einen Tag bei der Ausgrabung …

Tage später hatte er sie mit in sein Zimmer in der billigen Pension genommen. Sie hatte ihm ihr hübsches Gesicht entgegengereckt, ihr Mund zart wie ein frisch gereifter Pfirsich. Ihr nackter Körper hatte sich erhitzt seinem entgegengewölbt und ihre langen Glieder sich innig mit seinen verschränkt. Solche Erinnerungen wurden in ihm wach. Und mit den Erinnerungen erwachte noch etwas anderes.

Verlangen!

Es stieg in ihm auf, holte die Vergangenheit in die Gegenwart und verschmolz beide miteinander.

Doch bevor er sich in solchen Gedanken verlieren konnte, wandte sich sein Gastgeber erneut an ihn und forderte seine Aufmerksamkeit. „Was führt Sie also nach Athen? Ihre Firmenzentrale befindet sich, soviel ich weiß, in der Schweiz?“

„So ist es“, bestätigte Nikos. „In Zürich. Aber ich bin auf Einladung der griechischen Regierung hier. Wie Sie sicherlich wissen, geht es um erschwinglichen Wohnraum, der sowohl umweltverträglich als auch erdbebensicher gebaut werden soll. Man wird mich nach den Erfahrungen meines Unternehmens im Nahen Osten befragen, wo ähnliche Probleme herrschen.“

Georgios Petranakos nickte wissend. „Ah ja, natürlich. Vielleicht können wir uns unterhalten, solange Sie in Athen sind? Es könnte für uns beide nützlich sein.“

Nikos lächelte höflich. „Sehr gern. Wann würde es Ihnen passen?“

„Kommen Sie einfach zum Mittagessen“, erwiderte sein Gastgeber freundlich. Er wandte sich zu seiner Tochter, die ihr Champagnerglas starr in der Hand hielt. „Calanthe, mein Schatz, du kennst meinen Terminkalender besser als meine Sekretärin. Können wir den jungen Kavadis diese Woche zum Mittagessen einladen? Ich dachte, vielleicht übermorgen?“

Ihre Miene änderte sich nicht, aber Nikos wusste, dass ihr die Einladung ihres Vaters nicht willkommen war. „Übermorgen hast du einen Termin bei deinem Kardiologen, Papa“, erklärte sie mit fester Stimme.

Georgios winkte ungeduldig mit der Hand. „Mir bleibt danach genügend Zeit, um zum Mittagessen nach Hause zu kommen“, wehrte er ab. Dann wandte er sich wieder Nikos zu. „Wir sehen uns dann?“ Damit schien für ihn die Angelegenheit beschlossen.

Nikos nickte und warf noch einen knappen Blick auf Calanthe. Dann schlenderte er davon, wohl wissend, dass er mehr Aufmerksamkeit von seinem Gastgeber nicht erwarten konnte.

Hinter seiner undurchdringlichen Miene flatterten die Gedanken. Das also war Georgios Petranakos in Person. Bittere Erinnerungen verbanden ihn mit diesem Mann – und honigsüße mit seiner Tochter.

Ihr Name hallte in seinem Kopf wider. Als er auf die spontane Idee gekommen war, sich mit ihrem Vater bekannt zu machen, hatte er nicht an sie gedacht. Doch jetzt, da er sie wieder gesehen hatte …

Sie war schöner denn je!

Vor acht Jahren hatte er sich entschieden und getan, was er glaubte tun zu müssen. Doch nun waren die Jahre vergangen, und vieles hatte sich verändert. Was er einst hatte loslassen müssen, war gerade wieder in sein Leben getreten.

Sein ganzes Leben lang hatte Nikos Gelegenheiten ergriffen, wenn sie sich ihm boten. Von einem bescheidenen Leben im Haus seiner Großmutter auf einer kleinen Ägäisinsel über fleißiges Lernen in der Schule und ein langwieriges Architekturstudium bis zum Einstieg in die Selbstständigkeit. Er hatte Gelegenheiten erkannt und genutzt und war so zu einem wohlhabenden Mann geworden.

Die vernüglichen, unbeschwerten Wochen mit Calanthe hatte er genauso genutzt wie alle anderen Gelegenheiten, die sich ihm boten. Dann hatte ihn der Strom seines Lebens weitergetrieben. Doch nun hatte derselbe Strom Calanthe zurück in sein Leben gebracht.

Und dieses Mal…

Seine dunklen Augen funkelten, und Entschlossenheit erfüllte ihn. Ein Plan nahm in seinem Kopf Gestalt an.

Calanthe lag im Bett und starrte schlaflos an die Decke. Ohne Vorwarnung hatte sich die Vergangenheit aufgetan und war in die Gegenwart getreten.

Nik. Der Mann, dem ich mich hingegeben habe. Dem ich mein dummes Herz geschenkt habe.

Ein Gefühl der Demütigung überschwemmte sie. Sie hatte sie fast schon vergessen, aber jetzt war der Schmerz wieder da. Sie hörte noch die Stimme ihres Vaters, der ihr verriet, warum Nik sie verlassen hatte. „Ein Mann, der so etwas tut, mein liebes Kind, ist keine Träne wert.“ Nein, Nik war keine Träne wert – aber sie hatte sie dennoch vergossen. Sie spürte, wie sich ihre Hände vor Wut verkrampften.

Nik war also wieder in ihr Leben getreten! Sie war total schockiert gewesen, als er so unvermittelt auf sie zugekommen war. Aber sie würde ihn nicht wieder an sich heranlassen. Er wird mir nie wieder wehtun, schwor sie sich. Ich habe auf bittere Art erfahren, wie er wirklich ist. Und dieses Wissen würde sie vor ihm beschützen.

Doch durch alle Bitterkeit, die sie erfüllte, drang immer wieder auch ein anderes, unwillkommenes Gefühl hindurch. Mit einem leisen, gequälten Stöhnen starrte sie blindlings an die Decke.

„Papa, was hat der Arzt gesagt?“

Nur widerstrebend hatte Calanthes Vater sich überreden lassen, seinen Kardiologen aufzusuchen.

„Mir geht es bestens! Genau wie ich es dir gesagt habe!“, kam die gereizte Antwort, während ihr Vater eiligen Schrittes aus der Klinik zum wartenden Auto marschierte.

„Wirklich?“, fragte Calanthe skeptisch. „Was hat er denn über die Atemnot gesagt? Und über den Schmerz, den du manchmal in der Brust spürst?“

Ihr Vater winkte ungeduldig mit der Hand. „Er ist genau so ein Sturkopf wie du. Er sagt, ich solle weniger arbeiten, abnehmen und mehr Sport treiben! Als ob ich Zeit für solchen Unsinn hätte!“

„Papa, er ist Arzt. Er weiß, wovon er spricht“, beharrte Calanthe.

Die Aussage des Arztes beunruhigte sie. Dass ihr Vater überhaupt zugab, dass man ihm eine Veränderung seines Lebensstils empfohlen hatte, war kein gutes Zeichen.

„Er will noch mehr Tests machen! Aber ich habe ihn abblitzen lassen. Ich habe zugestimmt, ein paar Tabletten zu nehmen, aber mehr nicht. Und du, meine Tochter, mach meinetwegen nicht so ein Theater!“ Danach wechselte ihr Vater abrupt das Thema. „Ist alles für das heutige Mittagessen mit dem jungen Kavadis vorbereitet?“

Calanthe versteifte sich sofort. Zwei Tage lang hatte sie versucht, nicht an das bevorstehende Essen zu denken.

Nik war nach acht langen Jahren aus der Versenkung aufgetaucht. Auferstanden, so schien es, als wohlhabender Mann. Ein Mann, der wichtig genug war, um von der griechischen Regierung zum Bau erdbebensicherer, ökologisch nachhaltiger und preiswerter Wohnungen konsultiert zu werden. Aber das ging sie nichts mehr an. Nik war Vergangenheit, und sie würde ihn nie wieder in ihr Leben hereinlassen.

„Du wirst uns doch beim Essen Gesellschaft leisten, Calanthe?“

Die Frage ihres Vaters schreckte sie auf. „Ich? Nein! Natürlich nicht!“

„Warum nicht?“

„Es ist ein Geschäftsessen, Papa“, antwortete sie knapp. „Da bin ich fehl am Platz.“

Ihr Vater ignorierte den Einwand. „Er ist ein gut aussehender junger Mann“, stellte er fest. „Finanziell sehr solide und auch nicht verheiratet, wie ich hörte.“

Calanthe krampfte ihre Hände zusammen. „Papa!“, begann sie warnend.

Aber er wollte nicht gewarnt werden. „Calanthe, meine geliebte Tochter, du weißt, dass ich vor allem dein Glück will. Aber die Jahre vergehen, und das nicht nur für mich.“ Sein Tonfall veränderte sich, und etwas daran ließ ihr Herz stocken. „Das Leben währt nicht ewig, mein liebes Kind. Deine Mutter ist viel zu früh von uns gegangen, und dieser Quacksalber hat mir gerade wieder vor Augen geführt, dass auch ich nicht unsterblich bin.“

Seine Stimme war immer leiser geworden. Calanthe griff nach seinen Händen, diesen großen und beruhigenden Händen, die sie immer beschützt hatten.

Sie wusste, wie sehr sich ihr Vater danach sehnte, dass sie endlich heiratete. Sie sollte sesshaft werden, glücklich sein, verliebt in den Mann, den sie heiratete.

Aber ich habe die Liebe erlebt – und wurde bitter enttäuscht.

Ihr Vater drückte ihre Hände noch einmal. Dann ließ er sie mit einem kleinen Klaps los. „Also“, sagte er und seine Stimme war wieder sanft, „wirst du heute mit uns zu Mittag essen? Mit deinem alten Papa und dem gut aussehenden jungen Herrn Kavadis?“ Er lächelte. „Schau ihn dir wenigstens einmal an“, fuhr er fort. „Das ist alles, worum ich bitte.“

Nikos stieg aus der Limousine, die ihn zur Villa Petranakos im vornehmen Vorort Kifissia gebracht hatte. Mit dem Blick des Architekten betrachtete er anerkennend das Gebäude. Diese alten Herrenhäuser waren es wert, erhalten zu werden. Dieses hier war, wie er sehen konnte, mit viel Liebe restauriert worden.

Die Eingangstür öffnete sich wie von Geisterhand, und Nikos trat ein. Die marmorne Eingangshalle war ebenso eindrucksvoll wie das Äußere des Gebäudes. Aber er war nicht hier, um ein historisches Gebäude zu bewundern. Sein Besuch hatte andere Gründe. Eine geschäftliche Verbindung mit Georgios Petranakos konnte wichtig sein. Wie die Vergangenheit bereits gezeigt hatte …

Er wischte diese unangenehme Erinnerung beiseite und kehrte in die Gegenwart zurück. Es gab schließlich noch einen weiteren Grund, warum er heute hier war.

Würde Calanthe beim Essen dabei sein? Als Tochter eines der reichsten Männer Griechenlands würde sie sicherlich viele gesellschaftliche Verpflichtungen haben und ein ausgelastetes Gesellschaftsleben führen. Oder war sie vielleicht gerade jetzt mit einem Liebhaber verabredet? Der Gedanke klang so unangenehm in seinem Kopf wie das Qietschen von Kreide auf einer Tafel.

Ein Bediensteter geleitete ihn in einen großen Raum, in dem bereits ein Tisch festlich gedeckt war. Als Nikos’ Blick auf die Frau am Fenster fiel, beschleunigte sich sein Puls. Calanthes Haltung war genauso steif wie auf der Party ihres Vaters, ihr Gesicht ebenso ausdruckslos. Und sie war genauso schön!

Sie rührte sich nicht, und obwohl sie ihn ansah, hätte sie genauso gut eine Statue aus Marmor sein können. Glücklicherweise betrat in diesem Moment ihr Vater mit einem freundlichen Gruß den Raum und verlangte Nikos’ Aufmerksamkeit.

„Ich hoffe, Sie erzählen mir etwas über die Geschichte dieses beeindruckenden Anwesens“, begann er mit aufrichtiger Anerkennung. „Es ist hervorragend restauriert worden.“

Sein Gastgeber lächelte geschmeichelt und bat höflich zu Tisch. Sofort entspann sich zwischen den beiden Männern ein interessiertes Gespräch. Calanthe hingegen blieb völlig teilnahmslos, aß nur häppchenweise und nippte an ihrem Wasser. Den Wein rührte sie nicht an. Steife Ablehnung strahlte von ihr aus.

Nikos ließ sich nicht davon einschüchtern. Er kannte ja den Grund für ihre abweisende Haltung. Er konnte nicht erwarten, herzlich von ihr empfangen zu werden, aber das sollte ihn nicht aufhalten.

Nicht jetzt, da ich sie wiedergesehen habe.

Wieder spürte er, wie sein Puls höherschlug.

Ich bewege mich jetzt in ihren Kreisen, dachte er. Er war nicht mehr der mittellose Student, der sich in den Ferien als Bauarbeiter sein Studium verdiente.

Ich habe jedes Recht, hier zu sein.

Erinnerungen stiegen in ihm auf. Vom ersten Moment an hatte er diesen besonderen Kick gespürt, als Calanthe ihn damals erschrocken aus der staubigen Grube heraus angesehen hatte. Die verräterische Erweiterung ihrer Pupillen hatte ihre hochnäsige Abfuhr Lügen gestraft. Er hatte sofort gewusst, dass er sie wollte. Ihre abfälligen Bemerkungen waren für ihn bestimmt gewesen, aber er hatte sie ignoriert, weil er wusste, warum sie ihn anschnauzte. Aus demselben Grund begegnete sie ihm jetzt so eisig.

Wenn sie nicht genauso auf mich reagieren würde wie ich auf sie, dachte er, würde sie sich nicht die Mühe machen, mich zu vergraulen.

Unter halb geschlossenen Lidern musterte er sie, während er mit halbem Ohr zuhörte, was ihr Vater über die Restaurierung der Villa erzählte.

Und wenn ich nicht so auf sie reagieren würde, würde ich meine Zeit nicht mit ihr verschwenden, führte er den Gedanken fort.

Vor acht Jahren war es zu Ende gewesen. Aber jetzt?

Jetzt könnten wir wieder zusammen sein!

Er bemerkte, dass sein Gastgeber zu einem anderen Thema übergegangen war, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

„Sie haben sich sehr schnell hochgearbeitet“, sagte Georgios gerade anerkennend. „Sie sind zwar noch jung, aber Sie haben mit Ihren innovativen Entwürfen viel für die ökologische Nachhaltigkeit erreicht.“ Er warf einen wohlwollenden Blick auf Nikos. „Außerdem war es klug von Ihnen, Ihre Methode zur energiesparenden Betonherstellung patentieren zu lassen.“

Nikos nickte und trank einen Schluck des ausgezeichneten Weins, der zum Essen gereicht worden war. Calanthe hatte ihren immer noch nicht angerührt.

Wieder kamen die Erinnerungen. Der erste Abend in der Taverne … Wie sie den billigen Wein hinunterstürzte … Das Leuchten in ihren Augen … Wie sie immer wieder herübersah … Es hatte ihn Mühe gekostet, nicht nur sie anzuschauen, sondern auch den anderen am Tisch gerecht zu werden.

Er schaltete die Erinnerung aus. Nicht jetzt! Noch nicht … Es würde die Zeit kommen, in diesen Erinnerungen zu schwelgen – und vielleicht auch neue zu schaffen.

„Ja“, stimmte er seinem Gastgeber zu. „Durch die weltweite Patentierung kann ich sicherstellen, dass mein Verfahren nur dort eingesetzt wird, wo es für die Umwelt sinnvoll ist. Die umfangreiche Verwendung von Beton ist weiterhin problematisch. Es ist ja leider noch immer nicht möglich, Beton völlig treib-
hausgasfrei zu produzieren!“

Georgios’ technische Nachfrage vernahm er kaum. In Calanthes Miene war keine Regung zu sehen. Sie ist wunderschön, dachte er, aber so kalt, als sei sie nicht aus Fleisch und Blut.

Wieder wurde er von der Erinnerung fast überwältigt. Ihr zurückgeworfener Kopf, das in Kaskaden über die Kissen fallende Haar, die Ekstase in ihrem Gesicht …

Entschlossen schob er die Erinnerung beiseite und kehrte zur Diskussion über umweltfreundliche Möglichkeiten zur Herstellung von Beton zurück.

Der Blick seines Gastgebers ruhte nachdenklich auf ihm. „Sagen Sie, Nikos, wie lange werden Sie voraussichtlich in Athen bleiben?“

„Das wird davon abhängen, wie schnell die Regierungsbeamten arbeiten“, erwiderte Nikos trocken.

„Ha, das kann Wochen dauern!“ Seinem Gastgeber schien das ganz recht zu sein. Er lehnte sich entspannt zurück und lächelte zufrieden.

Nachdem das Personal die Teller abgeräumt hatte, begann Georgios Petranakos seine Ansichten über die Minister zu äußern, denen Nikos während der Konsultationen wahrscheinlich begegnen würde. Da dies nützliche Informationen für ihn waren, hörte Nikos aufmerksam zu, bis ihn das Scharren eines Stuhls den Kopf wenden ließ. Calanthe war aufgestanden und hatte ihre Leinenserviette auf den Tisch gelegt.

„Papa, wenn du mich entschuldigen würdest? Ich bin nicht so sehr an den Feinheiten der Politik interessiert. Ich muss jetzt gehen.“ Mit einem knappen, nichtssagenden Lächeln und einem ebenso knappen Kopfnicken verabschiedete sie sich von Nikos.

Sie wartete nicht einmal, bis ihr Vater und sein Gast sich erhoben hatten, und bald war nur noch das Klappern ihrer Absätze auf dem Marmorboden zu hören.

So schnell sie konnte, eilte Calanthe die Treppe hinauf. Oben angekommen hielt sie sich am Geländer fest und atmete tief durch. Es hatte sie all ihre Kraft gekostet, stumm am Mittagstisch zu sitzen, während Nikos Kavadis kaum mehr als einen Meter von ihr entfernt über den Tisch hinweg mit ihrem Vater sprach.

Sie verzog das Gesicht. Schlimmer noch, ihr Vater freute sich offensichtlich darüber, dass Nikos wochenlang in Athen bleiben würde. Sie wusste auch, warum.

Mit klopfendem Herzen warf sie sich in ihrem Schlafzimmer auf das Bett. Am liebsten hätte sie ihre Sachen gepackt und wäre aus Athen verschwunden. Zurück nach London, zurück an die Arbeit. Doch die Sorge um ihren Vater hielt sie zurück. Der mochte herunterspielen, was sein Kardiologe ihm gesagt hatte, aber es war offensichtlich, dass es ihm nicht gut ging. Sie konnte also nicht weglaufen, nur um Nik aus dem Weg zu gehen.

Ihre Hände verkrallten sich in der Bettdecke. Calanthe würde seine Anwesenheit wohl oder übel noch öfter ertragen müssen! Er wird eine Weile hier sein, versuchte sie sich einzureden, und dann wieder verschwinden, so wie er damals verschwunden ist.

Aber dieses Mal würde er mit ihrem Segen verschwinden! Bis dahin würde sie durchhalten müssen.

3. KAPITEL

Gut gelaunt stieg Nikos in die Limousine, die ihn von der Petranakos-Villa abholte. Es gab mehrere Gründe für seine gute Stimmung. Erstens hatte er nützliche Informationen über die Politiker erhalten, mit denen er in Athen zu tun haben würde. Zweitens hatte sein Gastgeber mehr als einmal seinen Gesundheitszustand erwähnt. Er schien ernsthaft darüber nachzudenken, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und die Last auf jüngere Schultern zu verlagern. Dabei hatte er immer wieder einen prüfenden Blick auf seinen jungen Gast gerichtet.

Nikos hätte sich nicht viel dabei gedacht, wäre da nicht die Reaktion der anderen Person am Tisch gewesen. Er hatte gehört, wie Calanthe ihr Besteck mit einem entsetzten, rasch im Keim erstickten Atemzug klirrend auf den Teller fallen ließ.

Die erneute Begegnung mit ihr hatte ihm die Zeit vor acht Jahren wieder lebhaft vor Augen geführt. Es war ein goldener Sommer gewesen in den Wochen, die er mit ihr auf der Ausgrabung verbracht hatte. Einen Goldschatz hatte er sie genannt, und sie hatte sich tatsächlich als solcher erwiesen.

Eigentlich hatte er in jenem Sommer nur hart arbeiten und Geld für seine Studiengebühren zurücklegen wollen. Doch dann war Calanthe schön und leidenschaftlich in sein Leben getreten, und sie hatten einander nicht widerstehen können. Sie hatte sich ihm vorbehaltlos hingegeben, und er hatte mit ihr behutsam den Übergang vom Mädchen zur Frau gefeiert.

Plötzlich verdüsterte sich seine Miene. Sie hat mir ihren Körper anvertraut, dachte er, aber nicht mehr. Vor allem hatte sie ihm nicht verraten, wer sie wirklich war. Nämlich wahrhaftig ein Goldschatz!

Er schob den Gedanken beiseite. Das spielte jetzt keine Rolle mehr. Es zählte nur noch, wie glücklich Calanthe in jenem Sommer in seinen Armen gewesen war. Anfangs noch zurückhaltend, hatte sie mit der Zeit ihre Abwehr aufgegeben, und schließlich waren sie ein Paar geworden. Sie hatten beide die Leidenschaft ihres Liebesspiels in vollen Zügen genossen.

Die steile Falte auf seiner Stirn wurde noch tiefer. Bei der Ausgrabung hatte es auch andere attraktive Mädchen gegeben, aber er hatte nur Calanthe gesehen. Er versuchte, sich die Bilder all der Frauen ins Gedächtnis zu rufen, denen er während seines Aufstiegs zum Reichtum begegnet war, aber keine konnte es mit Calanthe aufnehmen.

Er hatte sie nie wirklich vergessen, und jetzt war sie auf einmal wieder greifbar nah. Seine Miene entspannte sich. Er war noch nie einer Herausforderung ausgewichen. Diese würde er besonders gern annehmen.

Calanthe mochte ihm jetzt eisig begegnen, aber er wusste, dass er sie zum Schmelzen bringen würde. Er war sich sicher, die glühende Geliebte zurückgewinnen zu können, die sich ihm einst so leidenschaftlich hingegeben hatte.

Entspannt lehnte Nikos sich in den Ledersitz der luxuriösen Limousine zurück. Die Frage war nur, wie und wann er den nächsten Schritt unternehmen sollte.

Calanthe stellte ihre Kaffeetasse auf das Tablett zurück und kuschelte sich in ihre Kissen. Sie gönnte sich ein Frühstück im Bett, nachdem sie am Abend zuvor mit Yannis essen gewesen war. Es gab mehrere solcher Verehrer, gut betuchte junge Männer aus den elitären Kreisen ihres Vaters, die sich Hoffnung auf mehr als eine Verabredung zum Essen machten.

Ihr Vater hoffte immer noch, dass sie sich für einen von ihnen entscheiden würde. Er machte daraus keinen Hehl, und im Laufe der Zeit hatte sie sich damit abgefunden, dass sie wahrscheinlich eines Tages einen Antrag von Yannis oder einem der anderen würde annehmen müssen. Es sollte jemand sein, der ein treuer Ehemann sein würde und ein verlässlicher Vater für die Kinder, die sie vielleicht haben würden. Eine solche Vernunftehe auf partnerschaftlicher Basis, in der brennende Leidenschaft keine Rolle spielte, war etwas, womit sie sich versöhnt hatte.

Außer …

Sie schob den Gedanken beiseite, als Gefühle in ihr aufstiegen, die sie nicht fühlen wollte. Nein, diesen gefährlichen Weg durfte sie nicht einschlagen! Nur ein Mann hatte jemals ihre Leidenschaft entfacht. Der Mann, der unvermittelt wieder in ihr Leben getreten war und von dem sie sich mit aller Kraft fernhalten musste.

Trübsinnig blickte sie zum Fenster hinaus. Ihres Vaters wegen saß sie hier in Athen fest. Sie wollte ihn nicht im Stich lassen, solange sie sich noch Sorgen um seinen Gesundheitszustand machte. Aber viel lieber wäre sie nach London verschwunden, bis Nik Athen wieder verlassen hatte. Sie hatte sich davor gefürchtet, dass ihr Vater ihn erneut zum Essen einladen würde, aber diese Tortur war ihr erspart geblieben. Glücklicherweise hatte auch Nikos nicht versucht, mit ihr in Kontakt zu treten.

Vielleicht habe ich ja doch nichts zu befürchten, dachte sie. Vielleicht war er wirklich nur an einer geschäftlichen Bekanntschaft mit ihrem Vater interessiert. Die würde bestimmt nützlich für ihn sein.

Ihre Lippen wurden unwillkürlich schmal. Ja, die Nützlichkeit ihres Vaters für Nikos war bezeugt.

Energisch verscheuchte sie die trüben Gedanken. Sie wollte nicht an Nikos Kavadis denken, sondern stattdessen lieber Pläne für den heutigen Tag machen.

Vielleicht würde sie ins Zentrum von Athen fahren und sich die Neuerungen in dem Museum ansehen, mit dem ihr Londoner Museum im Austausch stand.

Sie könnte auch eine ihrer Freundinnen auffordern, irgendwo mit ihr zu Mittag zu essen. Unten an der Athener Riviera in Glyfada zum Beispiel. Oder sie könnten ein Boot von Piräus zu einer der vorgelagerten Inseln nehmen und einen Tagesausflug daraus machen.

Während sie noch darüber nachdachte, klingelte das Telefon auf ihrem Nachttisch. Vielleicht war es Yannis, der sich für den vergangenen Abend bedanken wollte.

Doch es war Nikos.

Er hatte sie unvorbereitet erwischt. Das erkannte er an dem plötzlichen tiefen Atemzug am anderen Ende der Leitung. Nun, er hatte sie überraschen wollen, und das schien ihm geglückt zu sein. Nikos hatte sich für seinen Vorstoß bewusst eine ganze Woche Zeit gelassen.

„Geh heute Mittag mit mir essen!“, begann er ohne Umschweife.

„Ich habe wichtige Termine“, kam sofort die steife Antwort.

„Ich dachte an einen gemütlichen Ausflug aus der Stadt heraus“, überging er ihre Ablehnung ungerührt. „Wie wäre es, wenn wir nach Sounion fahren? Ein Picknick machen?“ Er legte eine kleine Pause ein, ehe er fortfuhr. „Dein Vater denkt, du solltest an die frische Luft. Mit mir.“

In der Leitung war nur Stille zu hören. Er wartete nicht lange ab. „Gut, dann ist das ja geklärt“, beschloss er kurzerhand. „Ich hole dich um halb zwölf ab.“

Damit legte er auf, und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.

Calanthe hätte sich in ihrem Zimmer verkriechen und Kopfschmerzen vortäuschen können, aber sie wollte den Stier bei den Hörnern packen. Es gab Dinge, die klargestellt werden mussten!

Nikos erschien zur verabredeten Zeit in einem tief liegenden, offenen Auto mit einem italienischen Wappen auf der langen Motorhaube. Wortlos schlüpfte sie auf den Beifahrersitz und strich ihre blassgrüne Leinenhose glatt. Nikos trug, wie sie selbst auch, eine Sonnenbrille, und sie war froh darüber. Vielleicht brauchten sie sich die ganze Zeit über gar nicht direkt anzuschauen.

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schnallte sich an. Dabei war sie sich Nikos’ Anwesenheit brennend bewusst. Obwohl sie ihn nicht ansah, nahm sie wahr, dass er ein offenes Hemd trug. Sein dunkles Haar, das jetzt viel kürzer war als in jenem Sommer, war vom Fahrtwind leicht zerzaust. Verbissen blickte sie schweigend geradeaus und verweigerte jeden Blickkontakt.

Auch er sagte kein Wort, sondern lenkte schweigend den Wagen durch den dichten Verkehr, bis sie endlich die Stadt verlassen konnten.

Calanthe versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen, um sich ihre innere Unruhe nicht anmerken zu lassen. Ob Nikos das spürte? Wenn ja, würde er ahnen, warum sie so angespannt war.

Gefühle stiegen in ihr auf, die sie schon für erloschen gehalten hatte. Wie in einem Vulkan brodelten sie wie kochendes Magma direkt unter der vermeintlich ruhigen Oberfläche.

Er war ihr so nah! Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Stattdessen saß sie ganz still, die Hände im Schoß gefaltet, und blickte starr nach vorn durch die Windschutzscheibe.

„Wie wäre es hier? Es weht eine kleine Brise, und die Aussicht ist spektakulär.“

Nikos’ Tonfall war bewusst beiläufig. Calanthes Schweigen auf dem Weg hierher hatte er geflissentlich ignoriert. Ihm war klar, dass sie seiner Einladung nur ihrem Vater zuliebe gefolgt war. Von der Küche seines Hotels hatte er sich ein üppiges Picknick einpacken lassen. Das lud er nun aus dem kleinen Kofferraum des gemieteten Wagens.

Auf dem herrlichen Picknickplatz mit Panoramablick auf das Kap und die Ägäis breitete er eine Decke aus und öffnete die Kühlbox.

„Wein, Wasser oder eine Schorle?“, fragte er und deutete auf die gekühlte Flasche Weißwein und das Mineralwasser in der Box.

„Wasser“, kam die knappe Antwort von Calanthe.

Sorgfältig auf Abstand bedacht, ließ sie sich am Rand der Decke nieder. Ihre Sonnenbrille behielt sie auf. Zwar schien die Sonne hell über dem blauen Wasser jenseits der Steilküste, aber Nikos wusste sehr wohl, dass das nicht der wahre Grund war. Die dunkle Brille war wie eine Mauer, hinter der sie sich verbarg.

Vorsichtig goss er das gekühlte Mineralwasser in eines der bereitgestellten Gläser und reichte es ihr. Als sie es entgegennahm, achtete sie peinlich genau darauf, dass sich ihre Finger nicht berührten. Nikos mischte für sich selbst eine Schorle und hob sein Glas.

„Worauf sollen wir trinken?“, fragte er ungerührt.

Er sah, wie ihre Lippen schmal wurden und ihre Finger sich um den Stiel des Glases krampften.

„Darauf, dass wir uns nie wiedersehen werden. Niemals!“

Nikos verstand. Das war die Eröffnungssalve. Dabei durchbohrte sie ihn bestimmt mit tödlichen Blicken, aber wegen ihrer Sonnenbrille blieb Nikos dieser Anblick erspart. Er reagierte auf die Herausforderung, indem er die Beine ausstreckte und sich auf seine Ellenbogen stützte. Doch hinter der entspannten Pose wappnete er sich für den Angriff.

Sie kann mir lediglich vorwerfen, dass ich sie verlassen habe. Sonst nichts.

Absolute Verschwiegenheit hatte er den Handlangern ihres Vaters zur Bedingung gemacht, bevor er auf ihr Angebot einging. Acht Jahre was das jetzt her, und es hatte keinen Sinn, sich mit der Vergangenheit aufzuhalten. Jetzt ging es nur um die Gegenwart.

Sein Blick ruhte auf Calanthe. Selbst bei all der Feinseligkeit, die sie ausstrahlte, war sie so schön, dass es ihm den Atem raubte. Er konnte den Blick nicht von ihr lassen, wollte den Anblick in sich aufsaugen – und dann die Arme nach ihr ausstrecken. Er stellte sich vor, wie ihr Widerstand schmolz, ihre Lippen sich für seine öffneten und ihr Körper sich ihm entgegendrängte.

Verlockende Gedanken gingen ihm durch den Kopf, aber er schob sie beiseite. Noch war es nicht so weit.

Calanthe hatte sich zurückgelehnt, als wolle sie sich noch weiter von ihm entfernen. „Was machen wir hier eigentlich?“ Die Frage kam wie eine Gewehrkugel, direkt auf ihn abgeschossen. „Denkst du wirklich, du kannst mich einfach zum Picknick einladen?“ Noch mehr Geschosse, die auf ihn einprasselten. „Als ob nichts zwischen uns …?“

„Aber es ist passiert, Calanthe“, schnitt er ihr das Wort ab. „Es hat unsere gemeinsame Zeit in jenem Sommer gegeben, und selbst wenn nicht …“ Er redete eindringlich auf sie ein. „Selbst wenn ich dir bei der Geburtstagsfeier deines Vaters zum ersten Mal begegnet wäre, hätte ich dich um ein Date gebeten. Auch ohne die Erinnerung an jenen Sommer hätte ich mich mit dir verabreden wollen. Weil… “ Seine Stimme wurde zu einer Liebkosung. „… du einfach die schönste Frau bist, die ich je gesehen habe.“

Calanthe verzog abfällig das Gesicht. „Tu das nicht!“

Er zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Warum nicht? Warum soll ich dir nicht die Wahrheit sagen. Du warst schon vor acht Jahren unwiderstehlich, und du bist es jetzt noch mehr.“

Sie beugte sich vor. Die Wut in ihrer Stimme war unüberhörbar. „Ach, so unwiderstehlich, dass du ohne ein Wort bei Nacht und Nebel verschwunden bist? Warum hast du das getan, Nik?“ Ihre Stimme erstarb. Sie wandte sich ab und griff nach ihrem Glas, um einen Schluck zu trinken. Nikos sah sie tief durchatmen. Dann drehte sie sich wieder zu ihm herum, bereit zum nächsten Angriff.

Aber er ließ sie nicht zu Wort kommen. Es gab nur eine Antwort auf ihre Frage, die er ihr geben konnte. Sie durfte niemals erfahren, warum er sie verlassen hatte. Was er ihr sagen konnte, entsprach zwar der Wahrheit, es würde allerdings nicht die ganze sein.

„Calanthe, was wir zusammen hatten, war gut. Unvergesslich gut! Aber“, fuhr er fort und sah sie dabei unverwandt an, „es war nur eine Sommerromanze. Wunderbar, solange sie andauerte, doch… “ Er hielt kurz inne. „… dann endete sie genauso, wie der Sommer endete.“

Als Calanthe nichts erwiderte, bemerkte er: „Und um das richtigzustellen, ich bin nicht ‚ohne ein Wort‘ gegangen. Ich habe Georgia gesagt, dass ich unerwartet abberufen wurde, und ihr eine Nachricht für dich mitgegeben. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht persönlich sagen konnte, aber ich musste die Insel sofort verlassen.“

„Warum?“, fragte sie jetzt noch einmal vorwurfsvoll. „Was war auf einmal so dringend?“ Sie sah ihn mit undurchdringlicher Miene an. Er wünschte, sie würde die dunkle Brille abnehmen, damit er ihre Augen sehen könnte. In ihnen hatte er ihre Gefühle immer gut lesen können.

Hinter dem Schutz seiner eigenen Sonnenbrille ließ er seinen Blick wieder über sie gleiten, und was er sah, war sehr verlockend. Leidenschaftliches Verlangen regte sich in ihm, doch er musste geduldig sein. Erst war die Wut aus dem Weg zu räumen, die sie offenbar für ihn empfand.

„Familienangelegenheiten“, beantwortete er ihre Frage knapp. „Meine Großmutter …“ Dabei ließ er es bewenden. Mehr konnte er nicht sagen, ohne zu viel von der Wahrheit preiszugeben.

Calanthe verzog verächtlich das Gesicht, als hätte er nur eine billige Ausrede vorgebracht.

„Ich weiß, dass dich meine plötzliche Abreise damals sehr gekränkt hat. Aber wie ich schon sagte, war es nur eine Sommerromanze. Früher oder später hätte sie ohnehin enden müssen. Am Ende des Sommers bist du in dein Leben zurückgekehrt.“

Sein Tonfall war unbewusst schärfer geworden. Ihr Leben – ihr wirkliches Leben – war nicht das gewesen, das sie ihn hatte glauben lassen. Sie war nicht nur eine britische Studentin in einem Arbeitsurlaub in Griechenland gewesen.

„Und ich bin in mein Leben zurückgekehrt“, fuhr er fort. „Es war unvermeidlich, dass sich unsere Wege getrennt haben.“

Als Calanthe nichts erwiderte, beugte er sich vor und sah sie direkt an. „Aber jetzt bin ich wieder da.“

4. KAPITEL

Calanthe sah Nikos starr an.

„Aber jetzt bin ich wieder da.“

Seine kühl ausgesprochenen Worte drohten die in ihrem Inneren brodelnden Gefühle hervorbrechen zu lassen. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Fassung zu bewahren.

„Warum bist du wieder da, Nik?“, fragte sie. Zu spät wurde ihr bewusst, dass sie ihn mit seinem Kosenamen angesprochen hatte.

Er lächelte. Der unbedarfte Teenager war von diesem Lächeln betört worden. Die erwachsene Frau war entschlossen, ihm zu widerstehen.

„Natürlich wegen dir, Calanthe“, sagte er. Eine Sekunde lang hingen die Worte zwischen ihnen in der Luft. Beide sahen sich unverwandt an.

Dann unterbrach er den Wettstreit der Blicke. Er stellte sein Glas ab, beugte sich vor und studierte den restlichen Inhalt des Picknickkorbes. „Ich habe Hunger“, verkündete er. „Lass uns essen!“

Mit eisiger Miene sah Calanthe zu, wie er eine Reihe von Köstlichkeiten auf der Decke ausbreitete. Ihr Mund verzog sich zu einer verächtlichen Miene. Jetzt, da er reich und erfolgreich war, dachte er wohl, er könnte sich einfach wieder an sie heranmachen! Weil er ein schickes Auto fuhr, im besten Hotel Athens wohnte und mit seinem Geld herumwedelte, schien er zu glauben, er könnte wieder in ihr Leben spazieren.

Was bildete er sich ein? Nach allem, was er ihr angetan hatte!

Sie würde ihn eines Besseren belehren! Sie war jetzt sicher vor ihm. Es war ein schmerzhafter Prozess gewesen. Mit jedem Jahr, das sie von jenem Sommer trennte, hatte sie sich mehr von ihm befreit.

Er kann mir nichts mehr anhaben.

Der bittere Geschmack in ihrem Mund lag nicht am Mineralwasser. Sie wusste inzwischen, was für ein Mensch Nik war. Eine Sommerromanze hatte er das genannt, was sie geteilt hatten. Für sie war es so viel mehr gewesen!

Sie spürte, wie sich ihr Herz verkrampfte. Sie hatte Nik wirklich und aufrichtig geliebt.

Und jetzt sagt er mir eiskalt ins Gesicht, es sei nur eine Sommerromanze gewesen, und er habe mich nur deshalb verlassen.

Aber sie wusste es besser. Sie konnte noch die Worte ihres Vaters hören, bei dem sie sich in ihrem jugendlichen Liebeskummer ausgeweint hatte. Er hatte sie damals darüber aufgeklärt, was für eine Art von Mann ihr den Kopf verdreht hatte.

Und Nik denkt, ich weiß es nicht!

Sie kniff die Augen hinter ihrer dunklen Brille zusammen und war froh, dass sie ihre Gefühle langsam wieder unter Kontrolle bekam. Leise atmete sie tief durch und öffnete die Augen wieder. Sollte er denken, was er wollte, schamlos und arrogant, wie er war. Sie war endgültig fertig mit ihm!

Er war mit dem Auspacken fertig und blickte zu ihr auf. „Also, womit möchtest du anfangen? Wir haben marinierte Hühnerbrust, Parmaschinken, Räucherlachs und dazu jede Menge Beilagen.“ Sein Ton war entspannt und sein Lächeln warm.

Wie aus dem Nichts tauchte die Erinnerung auf. Schon einmal hatte sie mit Nik gepicknickt, wenn auch nicht so üppig wie mit diesem Gourmetfestmahl. Sie hatten am Hafen Gyros gekauft und waren den schmalen Ziegenpfad auf die Klippe hinaufgeklettert, um das azurblaue Meer von oben zu sehen. Auch damals hatte Nik sie angelächelt. So wie jetzt.

Der Schmerz kam schnell und heftig. Sie verdrängte die Erinnerung an den Nik aus jener Zeit. Die sehnsüchtigen Flammen, die in ihrem Inneren loderten, sollten keine Nahrung bekommen. Stattdessen richtete sie ihren Blick auf die vor ihr ausgebreiteten Köstlichkeiten. Sie war hungrig und würde essen. Dass sie dies in Gesellschaft des Mannes tun musste, den sie nie wieder hatte sehen wollen, würde sie mit Selbstbeherrschung ignorieren.

Ich werde ihn nicht an mich heranlassen!

Calanthe war froh, dass sie die dunkle Brille aufhatte. Dahinter konnte sie verbergen, dass sie ihn unverwandt ansah.

Vor acht Jahren war Nik eine Augenweide gewesen. Das hatte ihr nicht erst Georgias atemlose Bewunderung bestätigen müssen. Sie hatte selbst Augen im Kopf gehabt. Stundenlang hatte sie ihn damals ansehen können. Die Magie wirkte noch immer. Ihr Blick ruhte jetzt genauso gebannt auf ihm wie in jenem Sommer.

Er ist reifer geworden, dachte sie. Die inzwischen verstrichenen Jahre stehen ihm gut.

Sie spürte wieder diese Anspannung in sich.

„Du warst schon vor acht Jahren unwiderstehlich, und du bist es jetzt noch mehr.“

Seine Worte hallten in ihrem Kopf nach. Was Nik über sie gesagt hatte, traf leider auch auf ihn zu! Ihr Verstand konnte noch so abweisend auf diesen Mann reagieren, doch ihre Gefühle sagten etwas anderes … Nur mit großer Selbstbeherrschung überstand sie den Rest des Picknicks. Sie verdrängte die Vergangenheit und verhielt sich so, als sei Nikos wirklich nur ein neuer Geschäftsfreund ihres Vaters, der dessen Tochter zu einem Ausflug eingeladen hatte.

Mein Vater wird sich Hoffnungen machen, weil ich ein Date mit Nik habe.

Bei diesem Gedanken lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, und in ihrer Magengrube bildete sich ein schwerer Kloß. Wenn ihr Vater nur wüsste …

Energisch schob sie den Gedanken beiseite. Vor acht Jahren hatte Nik sie umworben, ohne anfangs zu wissen, wessen Tochter sie war.

Jetzt wusste er es definitiv.

Aber Nikos Kavadis würde niemals erreichen, was er im Schilde führte, das schwor sie sich.

Sie leerte ihr Glas und stand auf. „Ich war schon eine Weile nicht mehr in Sounion. Wenn wir schon mal hier sind, kann ich mir den Tempel auch aus der Nähe ansehen“, verkündete sie kühl.

Nikos erhob sich ebenfalls. „Möchtest du gern bis zum Sonnenuntergang bleiben?“

Calanthe schüttelte den Kopf. Der Sonnenuntergang am Kap Seunion war ein sehenswertes Schauspiel, zu dem Touristen in Scharen anreisten.

„Ich bin heute Abend verabredet“, erklärte sie. „Ich möchte nicht zu spät zurückkommen.“

„Wer ist der Glückliche?“, fragte Nikos beiläufig, während er die Reste des Picknicks einpackte.

„Eine Freundin“, antwortete Calanthe, ohne nachzudenken. Gleich darauf ärgerte sie sich. Sie hätte Nikos gerne in dem Glauben gelassen, dass sie den Abend mit einem Mann verbringen würde. „Wir gehen ins Konzert“, fügte sie hinzu.

Als sie Nikos den schweren Picknickkorb hochheben sah, schoss ihr eine weitere Erinnerung durch den Kopf. Auf der Baustelle neben der Ausgrabungsstätte hatte er mühelos Zementsäcke in Schubkarren gehievt. Mit einem sehnsüchtigen Seufzer hatte Georgia den muskulösen Oberkörper betrachtet. „Aber weil du so gut aussiehst, Calanthe“, hatte sie hinzugefügt, „hat er nur Augen für dich.“

Und jetzt ist er zurück in meinem Leben. Er will mich zurückgewinnen.

Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken. Sie spürte die Macht seiner Worte, die er so schamlos und arrogant ausgesprochen hatte.

Auf dem Weg zurück zum Auto streckte er die Hand aus, als wolle er sie führen, doch sie ignorierte diese Geste. Sie hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. Unmissverständlich hatte sie ihm klargemacht, dass sie absolut nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Daran wollte sie sich halten.

„Der Erderschütterer.“ Nikos betrachtete ehrfürchtig die Ruinen des antiken Tempels von Poseidon, Bruder des...

Autor

Julia James
Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills & Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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Andrea Bolter
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Lynne Graham
Lynne Graham ist eine populäre Autorin aus Nord-Irland. Seit 1987 hat sie über 60 Romances geschrieben, die auf vielen Bestseller-Listen stehen.

Bereits im Alter von 15 Jahren schrieb sie ihren ersten Liebesroman, leider wurde er abgelehnt. Nachdem sie wegen ihres Babys zu Hause blieb, begann sie erneut mit dem...
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