Julia Extra Band 556

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NACH JENER NACHT IN VENEDIG von CAITLIN CREWS

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  • Erscheinungstag 13.08.2024
  • Bandnummer 556
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525688
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caitlin Crews, Dani Collins, Kali Anthony, Justine Lewis

JULIA EXTRA BAND 556

1. KAPITEL

Ein Angebot des als hart und unnachgiebig bekannten Cesare Chiavari hatte noch nie jemand abgelehnt, aber die Internatsleiterin Beatrice Mary Higginbotham versuchte es wenigstens.

„Es tut mir wirklich leid“, erklärte sie dem Gesandten des italienischen Milliardärs, der unangemeldet in ihrem Büro, das sie schon sehr bald räumen würde, aufgetaucht war. Es gehörte zur Averell Academy in England, einer exklusiven Privatschule für schlecht erzogene reiche Töchter und angehende Erbinnen. „Aber ich bin nicht daran interessiert, Privatunterricht zu erteilen.“

Schon gar nicht der Fünfzehnjährigen, um die es ging, Mattea Descoteaux. In dem einen Jahr, das Mattea in Averell verbracht hatte, war es ihr gelungen, sich einen gewissen Ruf zu erwerben, allerdings keinen, der ihr schmeichelte.

Vielleicht war es kein Zufall, dass Matteas erstes Jahr dort zugleich Beatrices letztes war.

Sie behielt ihr höfliches Lächeln bei und wappnete sich innerlich für die Diskussion, die jetzt unweigerlich folgen würde. Denn diese bedeutenden steinreichen Männer – und ihre Repräsentanten wie der, der ihr gegenübersaß – diskutierten immer.

Nicht so Cesare Chiavaris Gesandter. Er versuchte nicht, sie zu überreden. Jedenfalls nicht mit Worten. Schweigend schrieb er eine Zahl auf den vor ihm liegenden Block. Eine sehr hohe Zahl.

Jedes Mal, wenn sie höflich ablehnte, fügte er eine Null hinzu. Und noch eine. Irgendwann murmelte Beatrice nur noch, dass sie den Job wirklich nicht übernehmen konnte, um zu sehen, wie weit er gehen würde. Er schien jedoch keine Grenze zu kennen.

Bis sie schließlich vollkommen eingeschüchtert war von seiner schieren Gleichgültigkeit gegenüber der Summe, die er ihr bot.

„Dann sind wir uns also einig?“, fragte er ruhig, als Beatrice ungläubig auf die lange Reihen von Nullen blickte. Sie konnte kaum glauben, wie sehr ihr Leben sich verändern würde, wenn sie einfach … Ja sagte.

Während sie auf die absurd hohe Summe starrte, wurde ihr bewusst, dass der Job nicht einmal besonders schwierig war. Sicher, Mattea war ein äußerst anstrengendes Kind, aber Beatrice würde nur einen Sommer lang mit ihr arbeiten müssen. Es würde keine aufwendigen Abschlusstests geben, keine Gespräche mit unzufriedenen Eltern oder Vormunden, die nicht weniger erwarteten als die vollkommene Verwandlung der jungen Mädchen, für deren schwieriges Verhalten sie in erster Linie selbst verantwortlich waren. Alles, was Beatrice tun musste, war, dafür zu sorgen, dass Cesares aufsässige Halbschwester keine Probleme machte – was laut dem Mann ihr gegenüber vor allem hieß, sie aus der Presse und Cesares Sichtfeld herauszuhalten, damit der in Ruhe seine Hochzeit vorbereiten konnte.

Versteckt hinter ihrem Schreibtisch legte Beatrice sich eine Hand auf den Bauch und den wahren Grund, warum sie ihre Stelle in der Averell Academy gekündigt hatte. Noch immer war sie damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was diese unerwartete Schwangerschaft alles für sie bedeutete, doch sie hatte bereits entschieden, das Geld, das sie für die Rente zurückgelegt hatte, zu benutzen, um ihr Kind großzuziehen. Und vielleicht könnte sie irgendwo anders als Lehrerin arbeiten. Irgendwo, wo sie – eine alleinerziehende Mutter ohne Mann an ihrer Seite – nicht wie hier als moralische und sittenstrenge Instanz auftreten musste.

Aber dieses Vielleicht war groß. Wie konnte sie diese sich ihr bietende Gelegenheit ablehnen, die die Lebensumstände ihres Kindes drastisch zum Besseren verändern würde?

„Wann soll ich anfangen?“, fragte sie den Gesandten des Milliardärs.

„Mr. Chiavari wäre entzückt, Sie in zwei Tagen auf seinem Anwesen in der Toskana begrüßen zu können.“ Er wirkte, als wäre er nicht besonders überrascht über ihre Meinungsänderung. Offenbar war er ohnehin davon ausgegangen, dass sie einwilligen würde. „Ihre Anreise wurde bereits organisiert. Suchen Sie einfach diese Adresse in London auf.“ Er notierte etwas auf dem Block neben der Zahl mit den vielen Nullen. „Sie werden um Punkt neun Uhr morgens mit allem, was Sie für einen Sommer im Ausland benötigen, erwartet. Wenn Sie Fragen haben, können Sie jederzeit Kontakt zu mir aufnehmen.“

Er schrieb seine Telefonnummer auf das Blatt, das er aus dem Block riss und ihr zuschob.

„Mr. Chiavari freut sich auf eine fruchtbare Zusammenarbeit“, beendete er dann das Gespräch.

„Ich mich auch“, murmelte Beatrice.

Wenn es das Blatt Papier nicht gäbe, würde sie glauben, sich alles nur eingebildet zu haben.

Beatrice brauchte sehr viel weniger Zeit als gedacht dafür, die Spuren ihres Lebens in der Schule zu tilgen, in der sie seit Abschluss ihres Studiums gearbeitet hatte. Zuerst als Lehrerin, dann – in den vergangenen sechs Jahren – als Rektorin. Trotzdem dauerte es nicht lange, sich von ihren Mitarbeiterinnen zu verabschieden, weil sie eingewilligt hatte, niemandem den wahren Grund für ihre Kündigung zu verraten. In dieser Hinsicht war das Aufsichtsgremium sehr eindeutig gewesen. Denn wie sollte die Averell Academy ihren Schülerinnen sittliches Verhalten beibringen, wenn die Rektorin höchstpersönlich sich schwängern ließ, ohne dass ein Ehemann auch nur in Sicht war.

Ich verstehe es ja selbst nicht, wie es dazu kommen konnte, dachte sie abends in ihrem Londoner Hotelzimmer. Sie hatte die kleine Wohnung geräumt, die die Schule ihr zur Verfügung gestellt hatte, was bedeutete, dass sie ihre Habseligkeiten in drei Koffer gepackt hatte, auf die sie nun starrte, während sie auf dem Hotelbett saß.

Eigentlich sollte eine Frau in den Dreißigern über mehr weltlichen Besitz verfügen, als in so wenig Gepäck passte, doch sie tat es nicht. Ihre Eltern waren gestorben, als sie noch sehr jung gewesen war. Andere Verwandte hatte Beatrice nicht, weshalb sie in Pflegefamilien aufgewachsen war. Was sie seither im Leben erreicht hatte, hatte sie sich selbst erarbeitet, zielstrebig und entschlossen. Bis vor vier Monaten.

Sie streckte sich im Bett aus. Morgen würde sie neue Kleidung kaufen, weit genug, dass sie ihren Zustand in den kommenden Monat verbergen würde. Das dürfte nicht allzu schwierig werden. Ihrer Erfahrung zufolge wurde Hausangestellten nie viel Aufmerksamkeit zuteil. Vor allem nicht durch Menschen wie Cesare Chiavari. Um das zu wissen, musste Beatrice ihn nicht persönlich kennen. Alles, was sie zu tun hatte, war, unter dem Radar zu bleiben und den Betrag mit den vielen Nullen zu verdienen.

Das war sie dem Kind schuldig, das zu zeugen sie nie geplant hatte. Ein Kind, das sie bedingungslos lieben würde, egal wie sehr es ihr Leben veränderte.

Dabei hatte alles so unschuldig begonnen. Beatrice war eine der Betreuerinnen gewesen, die eine Gruppe von Schülerinnen der Abschlussklasse nach Venedig begleitet hatten. Die Mädchen hatten sich durch ihr vorbildliches Verhalten ausgezeichnet und waren beispielhaft für all das gewesen, was die Academy leisten konnte. Die Reise war ihre Belohnung gewesen. Gemeinsam wohnten Lehrerinnen und Schülerinnen in einem noblen alten Haus an einem ruhigen Seitenkanal, das ihnen der dankbare Vater einer Schülerin zur Verfügung gestellt hatte. Am letzten Abend, nachdem sie auf einer Piazza ein fröhliches gemeinsames Essen unter einem funkelnden Sternenhimmel genossen hatten, waren die Mädchen im Wohnzimmer des Hauses zusammengekommen und hatten beschlossen, dass es an der Zeit war, die Rektorin zu schminken und zurechtzumachen.

Normalerweise zog Beatrice klare Grenzen zwischen sich und den Schülerinnen, denn nur so ließ sich für Ordnung sorgen. Doch bei diesen Auslandsreisen mit den Mädchen, die es verdient hatten und bald ihren Abschluss machen würden, machte sie eine Ausnahme. Außerdem war dieses Schuljahr mit der Unruhestiftern Mattea Descoteaux, die alles und jeden in Mitleidenschaft zog, besonders anstrengend gewesen. Vielleicht war Beatrice deshalb noch großzügiger als sonst gewesen. Jedenfalls hatte sie den Mädchen erlaubt, ihr das Haar zu lösen und es mit einem Lockenstab zu bearbeiten. Sie hatte zugelassen, dass sie ihr die Brille abnahmen und sie schminkten, wie Beatrice selbst es noch nie getan hatte und auch nie wieder tun würde. Sie hatte sich sogar damit einverstanden erklärt, ein außerordentlich provokantes Kleid in einem schockierenden Rotton anzuziehen.

Als sie in den Spiegel sah, hatte sie eine laszive Fremde erblickt.

„Jetzt müssen Sie auch den letzten Schritt gehen“, hatte das mutigste der Mädchen mit vor Aufregung geröteten Wangen gefordert. „Sie müssen sich so in der Öffentlichkeit zeigen und sehen, was passiert.“

„Das wird ein wahnsinniges Abenteuer“, hatte eine der romantischeren Schülerinnen seufzend prophezeit.

„Das werde ich mit Sicherheit nicht tun“, lehnte Beatrice ab, wenn auch mit einem Lächeln im Gesicht. Dabei hatte sie überhaupt nichts gegen ein Glas Wein an einem ruhigen Ort, an dem niemand sie kannte und etwas von ihr erwartete.

„Denken Sie an das, was Sie uns bei unserem letzten Projekt eingebläut haben“, beharrte das erste Mädchen. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“

Darüber musste Beatrice lachen. „Jetzt werde ich noch mit meinen eigenen Waffen geschlagen.“

Sie beschloss, diesen Abend als Geschenk zu betrachten. Sie würde einen Spaziergang durch das warme, frühlingshafte Venedig unternehmen. An den Kanälen entlangbummeln, die Stadt, die allein der Fantasie entsprungen zu sein schien, und die Freude, die sie immer empfand, wenn sie auf Reisen war, genießen.

Niemand hier kannte sie.

Und das ist auch gut so, dachte sie, als sie ihr Spiegelbild in einem Schaufenster sah. Denn wie eine Schulleiterin sah sie nicht aus.

Wenn sie mit den Mädchen unterwegs war, gingen sie immer zuerst zum Markusplatz. Jetzt aber wandte Beatrice sich in die entgegengesetzte Richtung und schlenderte durch ein pittoreskes Gewirr aus Gassen, bis sie schließlich vor einer kleinen Vineria stand. Sie ging hinein.

Drinnen war es hell und laut, die Stimmung fröhlich. Sie ließ sich an einen kleinen Tisch in einer Ecke führen. Links davon saß eine ausgelassene Familie, rechts ein Mann allein für sich.

Tausende Male hatte Beatrice sich seither vorgestellt, wie sie einfach einen Wein trank und zu den Mädchen zurückging. Danach hätte sie ihr Leben genauso weitergeführt, wie sie es bisher getan hatte.

Stattdessen jedoch hatte der Mann an dem Einzeltisch sich zu ihr umgedreht und ihren Blick mit seinen unfassbar blauen Augen aufgefangen – und damit ihr Leben verändert.

Noch immer konnte Beatrice nicht glauben, dass es wirklich passiert war. Sie war so sorglos gewesen, so leichtsinnig …

Aber zwischen ihnen hatte eine derart elektrisierende Anziehungskraft bestanden, dass sie beide hatten lachen müssen. Vielleicht hatte es an der Weise gelegen, wie er sie angesehen hatte. Oder daran, dass sie die Rolle einer Fremden spielte, die sich nicht zurückhalten musste. Jedenfalls hatte sie gar nicht versucht, ihr Lachen zu unterdrücken. Dafür aber gönnte sie sich ein zweites Glas Wein und genoss Käse und Honig, die der Mann ihr anbot.

An diesem Abend gönnte die Fremde in dem roten Kleid sich alles.

Als er sie fragte, ob sie Lust hätte, mit ihm tanzen zu gehen, fielen der Rektorin Higginbotham hundert Gründe ein, aus denen sie Nein sagen sollte, die fremde Frau jedoch, die sie an diesem Abend war, sagte Ja.

Sie tanzten in einem heißen, vollen Club, umgeben von anderen Menschen, aber Beatrice sah nur ihn. Sie tanzten auf einer Brücke, an der ein Straßenmusiker für den stillen Kanal spielte und die Nacht mit seiner Kunst verzauberte.

Beatrice war ebenfalls verzaubert. So sehr, dass sie sich schön fühlte, als er sie in seinen Armen hielt. Mit ihm verschmolz, als er sie küsste.

Als er sie gefragt hatte, ob sie mit ihm in sein Hotel käme, hatte sie eingewilligt, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Es hatte sie glücklich gemacht.

Seither versuchte sie sich einzureden, sie hätte sich entwürdigt, als sie sich mit ihm in den Laken gewälzt hatte. Doch bis heute konnte sie sich nicht dazu bringen, es wirklich so zu sehen. Wann immer sie an das Kind dachte, das sie in sich trug, verspürte sie denselben Zauber noch immer.

Es war das Kind eines Mannes, dessen Namen sie nicht einmal kannte. Was sie kein bisschen besser machte als die jungen Frauen, die sie zu Damen zu erziehen versuchte, mit wesentlich besseren Manieren, als Beatrice selbst in jener Nacht gezeigt hatte.

Dennoch: Als sie in dieser Nacht in ihrem Londoner Hotelzimmer in den Schlaf fiel, träumte sie von Venedig. Wie jede Nacht seither.

Den nächsten Tag verbrachte Beatrice mit Einkaufen. Sie entschied sich für Kleidungsstücke, die sie in jeder Hinsicht rundlich wirken ließen, denn je mehr sie den Sommer über zunehmen würde, desto weniger würde es auffallen. Am Morgen danach fuhr sie zu der Adresse, die der Gesandte ihr genannt hatte, und wurde zu einer wartenden Limousine geführt. Man brachte sie zu einem Flugplatz, wo ein Privatjet auf sie wartete, mit dem sie zum Anwesen der Chiavaris in der Toskana gebracht wurde – einem Ort, der so berühmt war, dass sie sicher schon viele Bilder von ihm gesehen hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Cesare Chiavari kannte sie nicht persönlich, sie hatte nur von ihm gehört. Aber unter den zahllosen reichen und mächtigen Männern, die ihre Kinder auf Beatrices Schule schickten, nahm er einen ganz besonderen Rang ein. An den Luxusartikeln seines Imperiums führte kein Weg vorbei. Der Familienname wurde vor allem mit Schokolade, Seide, Immobilien und Sportwagen in Verbindung gebracht. Beatrice war die Marke – wie jedem ihrer Mitmenschen – ein Begriff gewesen, schon bevor Mattea im letzten Herbst an der Schule abgeliefert worden war. Von einer brüsken Frau, die eine ganze Liste von Anweisungen ihres Auftraggebers herunterleierte und Beatrice wissen ließ, dass Mr. Chiavari Beatrice persönlich verantwortlich machen würde, wenn die Schule ihre zahlreichen Versprechungen nicht einlöste.

Und da Mattea nichts unversucht gelassen hatte, um diese Aufgabe so schwierig wie möglich zu machen, hatte Beatrice viel Zeit damit verbracht, über Cesare Chiavari nachzudenken.

Der Anflug auf sein Anwesen war spektakulär. Sanfte, mit Zypressen bestandene Hügel erhoben sich unter einem makellos blauen Himmel. Es sah aus wie ein Postkartenbild. Und hier würde sie den Sommer verbringen …

… mit der unausstehlichsten Fünfzehnjährigen der Welt.

Als das Flugzeug zur Landung ansetzte, schloss Beatrice die Augen. Sie stellte sich ein gemütliches kleines Cottage direkt am Meer vor. Im Sommer würden die Blumen im Garten blühen, während sie in der kalten Jahreszeit von einem Kaminfeuer gewärmt wurde.

Sie würde das Geld nehmen, das sie in diesem Sommer verdiente, und sich genau so ein Haus kaufen. Sie würde ihr Kind fernab von Milliardären und deren fünfzehnjährigen Halbschwestern aufziehen. Beatrice würde kochen lernen und ihr eigenes Brot backen, so wie es ihre eigene Mutter getan hatte, sofern sie ihren verschwommenen Erinnerungen trauen konnte. Sie würde ihrem Kind das Zuhause geben, von dem sie als Waise immer geträumt hatte.

Alles, was sie dafür tun musste, war, einige wenige Monate in einem toskanischen Traumhaus zu überleben.

Sie öffnete die Augen, als der Jet auf dem Boden aufsetzte. Der Job, der auf sie wartete, würde nur schwierig sein, wenn sie es zuließ. Und das hatte sie nicht vor. Immerhin hatte sie die Academy jahrelang erfolgreich geleitet und zahlreiche junge Frauen auf die Zukunft vorbereitet, die ihre Familien für sie vorgesehen hatten. Und sie war ausgesprochen gut in dem, was sie tat, sonst hätte man sie nicht so lange in Averell behalten.

Summend verließ sie das Flugzeug und stieg in das SUV, das samt Fahrer auf sie wartete. Auf engen Straßen fuhren sie durch Weinberge und Zypressenhaine, in denen ab und zu rote Hausdächer aufblitzten.

Als ihr Reiseziel in Sicht kam, verfiel Beatrice in Ehrfurcht. Denn dass es sein Haus sein musste, schien offensichtlich: Es nahm die ganze Kuppe eines Hügels ein. Die Auffahrt führte an einem glitzernden See vorbei, der inmitten von Olivenhainen lag. Der Anblick war so schön, dass es beinahe schmerzte.

Dass das Haus Besucher einschüchtern sollte, war ihr bewusst, doch gleichzeitig war es ein atemberaubendes Kunstwerk.

Der Wagen hielt vor einer prachtvollen Flügeltür, an der zwei Frauen mit ausdruckslosen Mienen und in gestärkten Hausuniformen bereitstanden. Der Chauffeur stieg aus und öffnete die Wagentür für Beatrice, was sie ein wenig aus dem Gleichgewicht brachte.

Sie bedankte sich bei ihm und versuchte das Fahrzeug so würdevoll wie möglich zu verlassen. Sie hatte noch nicht viel Gelegenheit gehabt zu üben, wie man möglichst elegant aus einem Wagen stieg.

„Der Aufwand ist wirklich nicht nötig. Zeigen Sie mir einfach den Personaleingang.“

„Die Anweisungen unseres Dienstherren sind sehr eindeutig“, sagte die ältere der Frauen. Höflich ausgedrückt hätte Beatrice gesagt, dass sie äußerst kampflustig aussah. Tatsächlich wirkte sie so, als hielte sie Beatrice eine Streitaxt unter die Nase.

Doch Beatrice lächelte nur, denn vor Streit hatte sie keine Angst.

„Wie dem auch sei“, erklärte sie gelassen. „Wir leben nicht mehr im Viktorianischen Zeitalter. Ich bin kein in Not geratenes Fräulein, sondern Lehrerin und stolz auf das, was ich tue. Ich brauche keine Sonderbehandlung.“

Die ältere Frau schnaubte nur, doch die Jüngere verfügte anscheinend über weniger Selbstbeherrschung, denn sobald ihre gestrenge Kollegin sich einer Seitentür neben dem prachtvollen Hauptportal zuwandte, erschien ein breites Lächeln in ihrem Gesicht.

„Das hat ihr jetzt den Wind aus den Rudern genommen“, verkündete sie mit leuchtenden Augen. „Schon seit Tagen macht sie sich Gedanken über Rang und Position und alles.“

Beatrice unterließ es, die junge Frau darauf hinzuweisen, dass es Segel heißen musste. Immerhin hatte sie wegen ihr Englisch gesprochen, was eindeutig nicht ihre Muttersprache war.

Sie erwiderte das Lächeln. „Sie wissen genau, was meine Position ist“, entgegnete sie. „Und die möchte ich auch behalten, solange ich hier bin.“

Dem Chauffeur, der sich benahm, als sei er ein Diener, den sie nun wirklich nicht brauchte, die drei Koffer abzunehmen, gelang ihr allerdings nicht. Ihr blieb nichts anderes übrig, als der älteren Frau – vermutlich die Haushälterin – ins Innere des hochherrschaftlichen Hauses zu folgen.

Sie passierten eine riesige Eingangshalle, die es spielend mit denen der Palazzos aufnehmen konnte, die sie in Venedig besichtigt hatten. An der mit Fresken verzierten Decke hingen prachtvolle Kronleuchter, deren Kristallanhänger wie Diamanten aussahen. Die Halle, deren Mittelpunkt ein Atrium bildete, wirkte beinahe höhlenartig, dabei aber außerordentlich elegant. Es sah aus wie eine Opernkulisse.

Die Haushälterin erklomm die Stufen einer Seitentreppe, die den Dienstboten vorbehalten zu sein schien, und betrat einen der Hauptgänge. Beatrice folgte ihr. Auf der einen Seite des Flurs befand sich eine Bibliothek, auf der anderen eine weitläufige Terrasse mit Blick auf die herrliche Landschaft. Es folgten mehrere Wohnzimmer und mit Kunstwerken und erlesenen Möbelstücken eingerichtete Räume.

Als sie schließlich stehen blieben und die Frau die Flügeltür zu einer großzügigen Suite am Ende des Flurs aufstieß, schüttelte Beatrice den Kopf.

„Das sieht aus wie etwas, das man einem hochgeschätzten Gast zur Verfügung stellt“, stellte sie fest, nachdem sie einen Blick hineingeworfen hatte.

Die Decken waren hoch, und die geöffneten Fensterläden gaben den Blick frei auf die atemberaubende Aussicht, Blumenspaliere und einen Infinity-Pool.

„Sie sind doch zu Gast bei den Chiavaris, oder etwa nicht?“, gab die Haushälterin betont neutral zurück, aber ihr Blick war abschätzend.

„Mich ehrt das Angebot, in einem Bett zu schlafen, das schon zahlreiche gekrönte Häupter benutzt haben und noch benutzen werden, wenn man sich hier schon lange nicht mehr an mich erinnert“, sagte Beatrice, wohl wissend, dass das Grinsen der jungen Hausangestellten noch breiter wurde. „Aber angesichts der Arbeit, für die ich hier bin, wäre alles andere als ein Zimmer im Dienstbotenflügel unangemessen. Da sind wir uns doch sicher einig.“

Wieder schwieg die Haushälterin, doch dieses Mal musste Beatrice nicht sicherheitshalber die jüngere Frau ansehen, um zu wissen, dass sie soeben eine Art Test bestanden hatte.

„Das ist eine wunderschöne Suite in einem atemberaubenden Haus“, erklärte sie der Haushälterin, während sie zurück zur Dienstbotentreppe gingen. „Aber ich nehme an, dass sich derart erlesene Räume nahe denen der Familie befinden. Angesichts dessen, warum ich hier bin, wäre das unpassend.“

Die Haushälterin blieb stehen und mit ihr Beatrice und die jüngere Frau. Die drei warfen sich einen vielsagenden Blick zu.

„Das ist in der Tat so“, sagte die Haushälterin nach einer Weile und deutete mit dem Kopf den Flur hinunter. „Miss Matteas Zimmer befinden sich nur zwei Türen weiter.“

Wieder wechselten sie einen Blick.

Beatrice neigte leicht den Kopf. „Es geht mir so viel besser, jetzt, da ich weiß, dass die für mich vorgesehenen Räume jemandem zur Verfügung stehen, der einen solchen Komfort wirklich verdient.“

Damit hatte sie den beiden Hausangestellten deutlich gemacht, dass sie, Beatrice, genau wie die Frauen zum Arbeiten hier war. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie in ein Zimmer unter dem Dach geführt wurde, spärlich eingerichtet und sauber, genau das Richtige für sie. Nicht mehr und nicht weniger als das, was sie brauchte.

„Wenn Sie sich hier eingerichtet haben, erwartet Mr. Chiavari Sie um Punkt zwölf im großen Saal. Möchten Sie während der Dauer Ihres Aufenthalts eine Dienstbotenuniform tragen?“

„Lieber nicht“, antwortete Beatrice voller Bedauern. „Ich fürchte, das bisschen Autorität, das ich gegenüber meiner Schülerin noch habe, sollte ich nicht aufs Spiel setzen. Sie soll ja nicht glauben, sie könnte mich hier auf eine Weise herumkommandieren, wie ich es an der Academy niemals zugelassen hätte.“

„Verstehe“, sagte die ältere Frau und neigte den Kopf. „Ich bin Mrs. Morse. Wann immer Sie etwas brauchen, können Sie sich an mich wenden.“

Damit ließ sie Beatrice und die jüngere Angestellte zurück.

„Ich glaube, Sie haben sie beeindruckt“, sagte Letztere in ehrfürchtigem Ton. „Dabei ist sie Engländerin und sonst durch nichts zu beeindrucken. Ich heiße übrigens Amelia. Ich werde Ihnen später hier alles zeigen, aber wir dürfen den Hausherren nicht warten lassen. Niemals. Ich begleite Sie später in den großen Saal, denn hier verläuft man sich leicht. Mir passiert es ständig, obwohl ich hier großgeworden bin.“

Beatrice nickte, obwohl dieses Bekenntnis ihr Vertrauen in die Fähigkeiten der jungen Frau nicht eben stärkte.

Nachdem Amelia sie allein gelassen hatte, machte sie sich rasch frisch. Sie musste zugeben, dass sie neugierig auf den Hausherren war. Das war sie immer, wenn es darum ging, etwas über den Hintergrund ihrer Schützlinge herauszufinden. Es interessierte sie, wer sie wie erzogen hatte.

Mit Männern wie Cesare Chiavari umzugehen war ihre leichteste Übung. Sie hatte wütende Eltern aus den höchsten Gesellschaftsschichten aller Herren Länder dazu gebracht, beschämt den Blick zu senken. Der einzige wirkliche Unterschied war, dass sie sich hier in Chiavaris altehrwürdigem Familiensitz befanden, in dem sie die nächsten Monate wohnen würde.

Sie bürstete sich die Haare und band sie zu dem üblichen strengen Knoten, denn schon vor Langem hatte Beatrice festgestellt, dass sie eher wie eine Schuldirektorin behandelt wurde, wenn sie äußerlich dem Stereotyp entsprach. Ihre Kleidung war im besten Fall unauffällig zu nennen, weshalb die Mädchen in Venedig auch so begeistert über das gewagte rote Kleid gewesen waren.

Wenn es gegangen wäre, hätte sie wirklich am liebsten die Hausuniform angezogen. Darin wäre sie in den Augen der reichen Hausbewohner mit der Tapete im Hintergrund verschwommen, was für eine Frau in ihrer Situation ein Segen gewesen wäre. Niemand würde bemerken, ob eine Angestellte zunahm oder nicht. Nicht in Häusern wie diesen. Von Dienstboten nahm überhaupt niemand Notiz.

Sie musste einen Weg finden, beide Rollen zu spielen – die der Lehrerin und die der Dienstbotin. Sie brauchte die Autorität einer Rektorin und die Unsichtbarkeit der Bediensteten. Zum Glück nur für wenige Monate.

Sie hatte sich in Rekordzeit fertig gemacht. Als sie ihr Zimmer verließ, fand sie Amelia vor, die wie versprochen auf sie wartete.

Im Prinzip sind diese alten Anwesen Museen, dachte Beatrice, als sie die Galerie einmal umrundeten, um zu der imposanten Treppe auf der gegenüberliegenden Seite zu gelangen, die wie ein Y geformt war. Eine Galerie war es wirklich, denn das Licht, das durch das mehrere Stockwerke höher gelegene Glasdach fiel, war gerade richtig für die zahllosen Gemälde, die an den Wänden hingen. Man brauchte keinen Abschluss in Kunstgeschichte, um zu erkennen, dass es sich um wahre Schätze handelte.

Leicht beeindruckt – ehrfürchtig würde sie niemals sagen – begann sie, die Treppe hinunterzugehen. Eine plötzlich eingeschüchtert aussehende Amelia winkte ihr scheu hinterher.

Als sie den Absatz dort, wo sich die beiden Treppenabgänge teilten, erreichte, schlug eine stattliche Standuhr, die dort stand, Punkt zwölf.

Sie wählte die linke Treppe und ging nach unten.

Und da stand er.

Einen Moment lang hörte die Erde auf sich zu drehen.

Beatrice war wieder in der Weinbar in Venedig.

Es gab nur sie beide. Seinen Blick aus unglaublich blauen Augen, so intensiv und tief. Und es gab nur sein Gesicht, kantig und schön, einschüchternd und wie ein Kunstwerk zugleich.

Sie kannte es, hatte es berührt.

Obwohl Teile ihres Körpers unmittelbar auf ihn reagierten und ihr Inneres in Aufruhr war, trat sie auf ihn zu, erst einen Schritt, dann noch einen. Sie spürte, wie ihre Augen sich weiteten, sie am ganzen Körper zu beben begann. Sie spürte auch die Hitze, an die sie sich noch zu gut erinnerte. Wie damals breitete sie sich in ihr aus.

Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch er sah sie nur … höflich interessiert an. Keine Spur von der Intensivität von damals.

Das war falsch. Es ergab einfach keinen Sinn …

„Willkommen, Miss Higginbotham“, sagte er mit dieser Stimme, von der sie nach all den Monaten immer noch träumte. Sie hatte sie nah an ihrem Ohr gehört, an ihrem Hals, als heiseres Lachen zwischen ihren Beinen. „Ich freue mich, dass es zu diesem Arrangement gekommen ist. Wie Sie ja bereits wissen, ist meine Schwester nicht ganz einfach. Alles, was ich von Ihnen erwarte, ist, dass Sie sie unter Kontrolle behalten, bis ich geheiratet habe.“

In ihren Kopf drehte sich alles zu schnell, als dass sie seine Worte hätte verarbeiten können. Denn das alles ergab noch immer keinen Sinn. Oder vielleicht wollte Beatrice einfach nicht, dass es das tat.

Doch als der Groschen fiel, verwandelte sich die Hitze in ihrem Inneren in Eiseskälte.

In einem einzigen Moment begriff sie plötzlich.

Das hier war Cesare Chiavari, daran bestand kein Zweifel. Und er war nicht nur ihr neuer Arbeitgeber, sondern auch der Mann, den sie in Venedig kennengelernt hatte. Der Einzige, mit dem sie je geschlafen hatte. Der Vater ihres Kindes.

Und sein leicht ungeduldiger, arrogant höflicher Gesichtsausdruck verriet ihr auch, dass er sie nicht wiedererkannte.

2. KAPITEL

Cesare war der legendären Leiterin der Averell Academy nie persönlich begegnet, aber ihr Ruf und der des Internats waren ihr vorausgeeilt. Nachdem Mattea innerhalb eines einzigen Jahres von vier anderen Schulen geflogen war, war nur noch Averell übrig geblieben.

Der Ort könnte genauso gut ein Knast sein, hatte Mattea protestiert.

Averell oder ein echtes Gefängnis, hatte Cesare ihr beschieden. Deine Entscheidung.

Und da Mattea tatsächlich das ganze Schuljahr in Averell verbracht hatte – ein neuer Rekord für sie –, hatte es für Cesare auch keinen Grund gegeben, mit der Rektorin oder sonst jemandem die Sünden seiner Halbschwester zu diskutieren. Ein Bild verband er also nicht mit der Frau.

Als sie jetzt vor ihm stand, fand er, dass sie exakt so aussah, wie man sich eine Rektorin vorstellte. Das schwarze Haar hatte sie so straff zurückgekämmt, dass allein das Hinsehen wehtat, und – zu einem strengen Knoten gedreht – am Hinterkopf befestigt. Sie trug eine altmodische Brille, deren riesige Gläser einen Großteil ihres Gesichts bedeckten. Es musste am Lichteinfall liegen, dass ihre Haut unglaublich zart und geschmeidig wirkte.

Er beschloss, dieser letzten Beobachtung keine weitere Bedeutung beizumessen, und setzte seine Betrachtung der Frau fort. Nach Matteas Beschreibung hatte er so etwas wie ein Hexe, zumindest aber Warzen im Gesicht erwartet. Die Frau, die vor ihm stand, war jedoch deutlich jünger, als er sie sich vorgestellt hatte. Und rundlich. In der dunklen Kleidung, die sie trug, erinnerte sie insgesamt an eine Eule.

Ohne ihn anzulächeln, sah sie ihn sehr direkt an, als unterzöge sie ihn einer Inspektion, bei der er nicht gut wegkam.

Eine ungewohnte Erfahrung, aber Cesare beschloss, dass es gut so war. Sie schien genau die Frau zu sein, die er brauchte, um Mattea in Schach zu halten, während er sich der lästigen, aber notwendigen Aufgabe widmete, das Fortbestehen des Familienvermächtnisses sicherzustellen.

„Wo ist Ihre Schwester?“, fragte die Frau, und etwas an ihrem Tonfall … rührte an ihm, obwohl sie ganz normal gesprochen hatte. Vielleicht war es ja ihre Stimme. Jedenfalls hatte etwas tief ihn ihm auf sie reagiert.

Cesare sagte sich, dass sich seine Nackenhaare nur aufrichteten, weil es lange her war, dass ihm jemand beim ersten Kennenlernen nicht ehrfurchts- und respektvoll begegnete. Schon gar nicht jemand, der für ihn arbeitete.

Aber vielleicht war es ja gut für ihn, mit jemandem zu tun zu haben, der ihn nicht wie ein gottähnliches Wesen behandelte – wie es die Menschen hier in seiner Umgebung taten. Doch er würde sich erst noch daran gewöhnen müssen.

„Ich nehme an, dass sie noch tief und fest schläft“, antwortete er leicht überrascht darüber, dass er sich um einen ungerührten Tonfall bemühen musste. Normalerweise gab er sich nie damit ab, neues Personal persönlich zu begrüßen. Das überließ er der resoluten Mrs. Morse.

Noch immer sah die Rektorin ihn mit festem Blick an. „Haben Sie Regeln für Mattea, nach denen sie ihren Tag strukturieren kann?“

„Höre ich da etwa einen Tadel heraus?“, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen.

„Das wird allein aufgrund meiner Position häufig unterstellt. Dabei behalte ich den ausschließlich meinen Schützlingen vor. So sind alle zufriedener, finde ich.“

Er fühlte sich trotzdem getadelt.

„Der Vater meiner Schwester ist vollkommen nichtsnutzig und nur an sich selbst interessiert, während ihre Mutter für ihre ausgesprochen schlechten Entscheidungen berühmt war“, erklärte er.

Ihre Mutter?“, fragte die Schulleiterin. Konsterniert sah er sie an, doch sie hob leicht die Mundwinkel. „Sie und Mattea haben doch dieselbe Mutter, oder?“

Cesare nahm an, dass sie genau über Matteas und seine Familienverhältnisse Bescheid wusste und etwas in die Tatsache hineininterpretierte, dass er sich nicht gleich zu seiner Mutter bekannte. Er spürte einen Muskel an seinem Unterkiefer zucken.

„Mattea wurde beigebracht, sich über Wutausbrüche und fragwürdiges Benehmen mitzuteilen. Genau genommen wurde ihr das schon in die Wiege gelegt.“

Was er eigentlich sagen wollte, war: Sie ist genau wie ihre Mutter. Doch das tat er nicht. Und zwar, weil er der Rektorin gefallen wollte. Oder zumindest nicht missfallen. Und das entsetzte ihn.

„Ich kenne Matteas Kommunikationsstil, Mr. Chiavari.“

Dieses Mal bildetet er sich den Tadel in ihrer Stimme nicht ein. So, wie sie seinen Namen ausgesprochen hatte, klang es, als nähme sie Anstoß an ihm. Vermutlich gehörte sie zu den Menschen, die sich an dem schieren Reichtum seiner Familie störten. Das konnte er ihr nicht einmal verübeln. Manche Leute fanden es eben obszön, wenn einige wenige so viel besaßen.

Trotzdem wunderte ihn diese Reaktion bei einer Frau, die ihren Lebensunterhalt mit reichen Menschen wie ihm verdiente.

Aber warum sollte sie persönlich werden?

„Ohne Küchenpsychologie betreiben zu wollen, hatte ich doch den Eindruck, dass meine Schwester meinen Wunsch, zu heiraten, nicht besonders gut aufgenommen hat. Ich gehe davon aus, dass sie das zum Anlass nehmen wird, sich noch schlimmer zu benehmen als sonst.“

Dieses Mal bestand kein Zweifel: Die Haltung der Frau versteifte sich, und der Blick aus überraschend klaren braunen Augen wurde kühl. „Veränderungen sind immer schwierig, egal ob man ein einsamer Teenager ist oder nicht.“

Cesare hob eine Schulter. „Wenn man sie ließe, würde sie all ihre Freundinnen hierher einladen und eine Party nach der anderen schmeißen, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht.“

„Dadurch wäre sie nicht weniger einsam. Ich nehme eher an, dass solche Eskapaden ihre Einsamkeit noch verschlimmern.“

Stirnrunzelnd sah er auf das bebrillte Wesen vor sich herab. Er wusste nicht, warum er sich so … verunsichert fühlte.

„Wie Sie meinen“, hörte er sich sagen, als hätte sie ihn direkt herausgefordert. „Gehen wir sie wecken. Wenn es das ist, was Sie möchten.“

Er fand, dass diese Frau – Rektorin Higginbotham – ihn merkwürdig ansah. Viel zu direkt.

Als würde sie Dinge an ihm erkennen, von denen niemand sonst wusste. Nicht einmal er selbst.

Ein anderer Mann als er würde sie vermutlich beunruhigend finden, doch er tat das nicht. Bei dieser Verunsicherung, die er tief in seinem Innern empfand, handelte es sich gewiss um Gereiztheit.

Er neigte leicht den Kopf und bat sie, vor ihm die Treppe zurück nach oben zu gehen.

Als sie es tat, fand er, dass selbst ihr gerader Rücken Missbilligung ausdrückte, während sie überraschend geschmeidig eine Stufe nach der anderen erklomm.

Nichts an seinen Beobachtungen ergab irgendeinen Sinn, und Cesare mochte keine Dinge, die er nicht sofort einordnen konnte, denn er liebte Ordnung. Genau deshalb stiftete seine Schwester – ebenso wie seine Mutter vor ihr – so gerne Chaos und belastete ihn mit ihren ausufernden Gefühlen.

Aber an der kleinen Eule, die die Treppe vor ihm hochstieg, als führte sie ihn irgendwohin, war nichts Chaotisches.

Sie war die erste Schulleiterin, mit der er zu tun hatte. Im Alter von acht Jahren war Cesare auf ein Jungeninternat in England geschickt und mehr oder weniger von den Lehrern dort erzogen worden, weit weg von zu Hause, in einem kalten Land. Der Regen schien ihm damals bis in die Knochen zu dringen und hatte ihn frieren lassen.

Diese kalten Jahre, weit weg von seiner Familie, hatten ihn geprägt.

Cesare waren seine Lehrer – gute, schlechte und mittelmäßige – lieber gewesen als sein ältlicher Vater und seine sprunghafte Mutter. Seine Unabhängigkeit hatte ihm gefallen. Er hatte gelernt, stolz darauf zu sein, dass er auf niemanden angewiesen war.

Dort, wo andere Menschen Schwächen zeigten, war Cesare stark.

Er wünschte nur, diese Lektion könnte er auch seiner Schwester beibringen.

Anders als Mattea hatte Cesare nie gegen die Erwartungen angekämpft, die die Geburt in eine alte, reiche Familie mit sich brachte – genauso wenig, wie er sich dadurch Vorteile verschafft hatte. Selbst wenn er Lust gehabt hätte, mit diesem Leben zu experimentieren – er hatte gar keine Zeit gehabt, über die Stränge zu schlagen.

Seine Mutter hatte gewartet, bis er volljährig gewesen war, bevor sie zum zweiten Mal geheiratet hatte. Natürlich nicht aus Rücksichtnahme, sondern weil der Vertrag es so vorsah, den sie unterschrieben hatte, als sie zu Vittorio Chiavaris Frau geworden war. Sobald Cesare achtzehn gewesen war, hatte sie allerdings mit viel Tamtam von Neuem geheiratet. Cesare glaubte, dass sie nur aus Angst bei Matteas Vater geblieben war. Angst davor, dass die Öffentlichkeit ihr die Schuld geben würden, wenn die Ehe scheiterte.

Cesare hatte sich sogar eingeredet, es sei nicht sein Problem, denn so war es leichter gewesen, dabei zuzusehen, wie seine Mutter um die Aufmerksamkeit eines Mannes buhlte, auf den Cesare schon mit nur achtzehn Jahren herabgeblickt hatte.

Was aber zählte, war, dass niemals ein anderer als ein Chiavari Hand an das legendäre Familienerbe legen würde.

Mit achtzehn, einige Jahre nach dem Tod seines Vaters, hatte Cesare die Führung der Familienholding übernommen. Womöglich war ihm der Verlust beider Elternteile innerhalb kurzer Zeit dadurch etwas leichter gemacht worden, dass er schon in jungen Jahren von zu Hause fortgeschickt worden war. Er war schließlich zur Selbstständigkeit erzogen worden, oder etwa nicht?

Er hatte davon geträumt, zu studieren, doch ohne die Unterstützung seiner Mutter war das unrealistisch gewesen. Es war nicht das erste Mal, dass er ein Opfer für das Familienvermächtnis gebracht hatte. Und nicht das letzte.

Manchmal dachte er, dass es für Mattea ein Segen war, nicht dasselbe tun zu müssen. Und manchmal beneidete er sie um diese Freiheit, die sie überhaupt nicht zu würdigen wusste. Auch er hätte sich gerne einmal einem Wutausbruch hingeben, aber der Unterschied zwischen ihm und seiner reichlich verwöhnten Schwester war, dass er der Einzige war, dem er damit wehtun würde. Wenn er sich benähme wie sie, würde er all den Geiern, die seinen Aufstieg verfolgten, nur beweisen, dass er für seine Aufgaben ungeeignet war.

Er würde sich zum Gespött machen.

Und das würde nie passieren.

Jetzt lag der letzte Akt zum Erhalt des Familienvermächtnisses vor ihm. Nicht, dass er ihn bisher gemieden hätte. Er hatte nur beschlossen, dass er sich zuerst um anderes kümmern musste. Wie etwa darum, ein eigenes Vermögen zu verdienen, damit er mit dem Erbe nichts anderes anstellen musste, als es wachsen zu lassen.

Das war ihm äußerst erfolgreich gelungen und hatte die Geier verstummen lassen, die anfangs über ihm gekreist waren, also war es jetzt an der Zeit.

Ob er wollte oder nicht.

Er würde sich nicht gestatten, von dem Weg abzuweichen, der für ihn – ebenso wie für alle Chiavari-Erben vor ihm – vorgesehen war. Seine Frau würde in jeder Hinsicht pflichtbewusst und fügsam sein. Wenn nötig, würde er ihr Hilfestellung leisten, damit sie ihre Rolle mit der Ernsthaftigkeit ausfüllen konnte, die seine Mutter hatte vermissen lassen. Zusammen würden sie für die nächste Generation Chiavari sorgen.

Pflicht erfüllt.

Wenn er heute weniger … begeistert von dieser Pflicht war als vor seinem Ausflug nach Venedig vor einigen Monaten, war es eben so. Das ging nur ihn etwas an.

Er hatte keine Ahnung, warum er gerade jetzt an jene Nacht denken musste.

Im oberen Stockwerk angekommen, überholte er die runde Eule, die er angeheuert hatte, und führte sie zum Familienflügel des Anwesens, in dem Mattea Zimmer zugewiesen worden waren, die so weit entfernt wie möglich von seinen entfernt lagen.

Sobald er verheiratet wäre, würden seine Frau und er der Familientradition folgen und die Master Suite beziehen, die sich über die gesamte Etage dieses Flügels erstreckte. Dort gab es getrennte Wohnbereiche für Mann und Frau, und sobald die gewünschten Erben geboren waren, konnten die Ehepartner getrennt voneinander so viel Privatsphäre für sich beanspruchen, wie sie wünschten.

„Wann ist die Hochzeit?“, fragte die kleine Eule neben ihm, während sie den Korridor entlang gingen.

„Irgendwann im August vermutlich.“

Es war kaum zu glauben, aber sie gab ein mitfühlendes Geräusch von sich. „Ich weiß, einen passenden Termin zu finden, ist nicht immer leicht.“

„Der Termin ist nicht das Problem.“ Er fand es zunehmend befremdlich, sich ständig erklären zu müssen. „Ich muss erst noch einen Heiratsantrag machen.“

„Verstehe.“

Er musterte sie von der Seite und hob eine Braue, als er den Ausdruck sah, den sie beinahe im Gesicht trug, soweit er es bei der großen Brille erkennen konnte.

„Und schon wieder habe ich mir Ihre Missbilligung eingehandelt, Miss Higginbotham.“

„Überhaupt nicht, Mr. Chiavari.“ Erneut war da dieser Unterton, als sie seinen Namen aussprach. Es gefiel ihm nicht, aber er konnte kaum darauf beharren, dass sie ihn tadelte, wenn sie es abstritt. Das ließ ihn nur paranoid dastehen, oder, noch schlimmer, emotional. „Ich hatte bloß den Eindruck, die Hochzeit stünde bereits fest.“

Verwundert sah er sie an. „Ich gehe nicht davon aus, dass mein Antrag abgelehnt wird.“ Allein die Vorstellung war absurd!

„Haben Sie schon eine Braut? Oder gibt es erst noch einen Auswahlprozess?“

Ihre Miene war freundlich und undurchdringlich, aber irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass sie sich über ihn lustig machte.

Doch damit hatte er keinerlei Erfahrung. Wahrscheinlich irrte er sich.

„Ich weiß Ihr Interesse an meinem Privatleben sehr zu schätzen“, erwiderte er in diesem kühlen und doch höflichen Tonfall, den die meisten Menschen als das erkannten, was es war: eine vernichtende Abfuhr. Diese Frau aber wirkte gänzlich unbeeindruckt, weshalb er mit zusammengebissenen Zähnen fortfuhr: „Ich versichere Ihnen, dass ich bis zum Ende des Sommers standesgemäß verheiratet sein werde. Mit den Details müssen Sie sich nicht belasten. Ihre einzige Aufgabe ist es, meine Schwester beschäftigt genug zu halten – oder eingesperrt genug, da bin ich nicht wählerisch –, damit sie während der Festlichkeiten nicht eine ihrer typischen Bomben hochgehen lässt. Oder es davor in die Schlagzeilen schafft.“

Letzten Sommer war Mattea vierzehn gewesen. Damals hatte sie einen gestohlenen Ferrari in Rom in einen Brunnen hinein und zu Schrott gefahren und war danach zu Fuß in einem Outfit geflohen, das Cesare im besten Fall als Yoga-tauglich bezeichnet hätte. Seither hatte er in ihrem Namen etliche sogenannte Model-Anfragen ablehnen müssen.

„Ich glaube nicht, dass sie sich die Zeit nehmen würde, eine echte Bombe zu zünden“, gab die nervige Frau an seiner Seite fröhlich zurück. „Und das ist doch schon mal positiv.“

Vor einer Tür am Ende des Gangs blieb er stehen und machte eine Handbewegung. Es gab keinen Grund, das Offensichtliche auszusprechen. Beide hörten sie die Musik, die krachend laut durch die Tür drang.

Auf diese Weise begrüßte Mattea jeden neuen Tag, um ihn fast jeden Abend auch so zu verabschieden.

„Das ist wirklich laut“, sagte die Rektorin, allerdings mit einem leichten Zungenschnalzen, als sei er schuld daran, weil er es nicht verbot. Diese Dreistigkeit war atemberaubend.

Er zwang sich, nicht darauf einzugehen. „Meiner Erfahrung nach spielt meine Schwester diese Musik nur hier zu Hause, um damit so vielen Mitgliedern des Haushalts wie möglich auf die Nerven zu gehen.“

Die Rektorin schien darüber nachzudenken. Oder über ihn. Vielleicht betrachtete sie auch die Zierleisten an der Wand. Mit der großen Brille war das unmöglich festzustellen.

„Und wohin geht sie, wenn sie nicht zu Hause ist?“

„In der halben Woche, die sie jetzt in den Schulferien hier ist, hat sie Fluchtversuche in mindestens fünf europäische Städte unternommen“, erklärte er milde. „Mit oder ohne die liebeskranken jungen Männer, die versucht haben, sich Zugang zu meinem Anwesen zu verschaffen. Alleine hat sie, in dieser Reihenfolge, einen kleinen Traktor gestohlen, der in den Weinbergen eingesetzt wird, ein Fahrrad, das dem Postboten gehört, einen Lieferwagen und den Jeep des Grundstücksverwalters. Sie versucht natürlich nie, zu Fuß zu fliehen. Sie sagt, das wäre Arbeit. In jedem dieser Fälle konnte sie aufgehalten werden, bevor sie das Grundstück verlassen hat.“

Cesare wusste nicht genau, wie er damit umgehen sollte, dass nichts davon die Frau wirklich zu überraschen schien. Er selbst geriet schon in Rage, wenn er nur davon erzählte.

Und Mattea war erst seit wenigen Tagen wieder hier!

„Aber das Grundstück ist ja auch ziemlich groß, oder?“, fragte Miss Higginbotham. „Man könnte tagelang laufen, bis man auf Anzeichen von Zivilisation stößt.“

„Eine Tatsache, derer meine Schwester sich bewusst ist, die sie aber lieber ignoriert.“ Er hob eine Schulter. „Vielleicht, weil sie sich eigentlich nur Aufmerksamkeit wünscht.“

„Haben Sie schon einmal überlegt, ihr diese Aufmerksamkeit zu schenken?“

Er blickte hinab auf die kleine eulenhafte Frau, die seit nicht einmal einem Tag für ihn arbeitete. Sie war nicht hier, weil sie ein tiefergehendes Interesse an seiner Schwester hegte, sondern weil er sie fürstlich dafür bezahlte.

„Ihr diese Aufmerksamkeit zu geben, ist Ihr Job, Miss Higginbotham“, sagte er leise, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, seine Ungeduld zu verbergen. „Genau wie sie von mir und meiner zukünftigen Frau abzulenken. Deshalb sind Sie hier. Haben Sie mich verstanden?“

„Vollkommen“, gab sie zurück.

An der Art, wie sie das Wort aussprach, war nichts Unhöfliches oder Scharfes.

Für Cesare gab es also nicht den geringsten Grund, das Gesicht zu verziehen, als hätte sie zu einer Ohrfeige angesetzt. Und ihn getroffen.

So schnell es ging, eilte er zur Treppe und ließ den Gebäudeflügel hinter sich. Ob er vor etwas floh, wusste er nicht.

Vielleicht lag es daran, dass er grundsätzlich keine Zeit mit Frauen wie der Rektorin verbrachte. Er mochte sanfte, fügsame Frauen, keine scharfzüngigen. Und er sah gerne ihre Gesichter, denn er liebte weibliche Schönheit.

Doch damit war es jetzt vorbei. In Vorbereitung seiner Zukunft hatte er einen Schlussstrich unter sein bisheriges Liebesleben gezogen. Ihm gefiel fantastischer Sex mit Frauen, die wussten, dass sie von ihm keinen Ehering zu erwarten hatten, doch jetzt, da er eine Heirat plante, hatte er aufgehört, sich bei ihnen zu melden.

In der Generation seines Vaters hatte es keine Erwartungen an Treue in der Ehe gegeben, doch heutzutage war das anders. Zumindest am Anfang. Cesare war bereit, bis zum Ende des Sommers enthaltsam zu leben und danach nur mit seiner Frau zu schlafen, bis sie für Erben gesorgt hatten.

Er ging davon aus, dass sie beide sich danach ein anderes Arrangement wünschen würden.

Aber selbst in der Zeit, als er seinen Appetit so gestillt hatte, wie es ihm gefiel, hatte er Frauen gemieden, die solche Reaktionen in ihm hervorriefen wie die kleine Eule.

Bei diesem Gedanken blieb er stehen und schüttelte den Kopf. Er reagierte doch überhaupt nicht auf sie. Er war Cesare Chiavari. Er gab sich nicht mit steifen Rektorinnen ab, die ihre Untergebenen tyrannisierten. Allein die Idee war absurd.

Er zwang sich, stattdessen an die entzückende Marielle zu denken, die sanftmütige Erbin, die in seinen Augen perfekt war für die Rolle seiner Ehefrau.

Dabei war die Auswahl nicht leicht gewesen. Die Mutter seiner Kinder musste rein sein. Unschuldig. Sie musste über Tugend verfügen, nicht weil es die Tradition so vorsah, sondern weil Cesares Mutter in dieser Hinsicht ein schlechtes Beispiel abgegeben hatte. Vittorio war so von ihrer Schönheit verzaubert gewesen – und von der Präsenz, die sie ihren Filmrollen verliehen hatte und die sie in ganz Italien berühmt gemacht hatten –, dass er jede Vorsicht hatte fahren lassen.

Aber er hatte ihr nie vertraut.

Die Schauspielerin, von der Vittorio besessen gewesen war, wurde zu einer Ehefrau, über die er eifersüchtig wachte. Er war überzeugt gewesen, dass sie mit jedem Mann, dem sie begegnete, auch ins Bett ging – bis sie wohl beschlossen hatte, dass sie es auch genauso gut tun konnte, wenn es ihr ohnehin unterstellt wurde.

Cesare hatte nicht vor, die Fehler seines Vaters zu wiederholen. Er würde eine Frau heiraten, die zu ihm passte, und keine, bei der er in Flammen aufging.

Eine solche Leidenschaft hatte er stets gemieden. Er hatte seinen Vater leiden sehen, genau wie seine Mutter. An einem solchen Leben hatte er kein Interesse.

Wenn er und seine Frau als rationale Erwachsene beschlossen, dass es Zeit für einen anderen Partner im Bett war, würde es keine Eifersucht geben. Sie würden diskret vorgehen und darauf achten, dass die Kinder nichts mitbekämen.

Eheschließungen in einer Dynastie waren immer ein Geschäftsabkommen. Liebe und Emotionen wollte Cesare nicht. Er würde seine Frau achten und erhoffte sich dasselbe von ihr.

Er wollte keine Besessenheit. Nicht in seinem Büro oder Haus sitzen und über eine Frau nachdenken, die er kaum kannte. Und auch nicht näher kennenlernen wollte.

Er hatte genug Zeit damit verbracht, genau das wegen Mattea zu tun. Aber die war fünfzehn. Er hatte vor, ihr ihre Dummheiten auszutreiben, und wenn das passiert war, würde es keine Störungen mehr in seinem Leben geben.

Es würde Frieden herrschen. Verlässlicher Wohlstand. Perfektion.

Er musste nur die unerwartet irritierende Miss Higginbotham dazu bringen, ihren verfluchten Job zu machen.

3. KAPITEL

Länger als nötig blieb Beatrice vor Matteas Zimmertür stehen. Zum Glück sah sie niemand, denn üblicherweise war es ihr wichtig, dass sie den Eindruck erweckte, die Situation völlig unter Kontrolle zu haben.

Aber das hier …

Sie war froh, dass die Musik im Zimmer so laut war, denn dadurch konnte sie ihr Blut nicht rauschen hören, obwohl ihr Atem viel zu schnell ging und ihr Puls raste.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie es geschafft hatte, ein Gespräch mit Cesare zu führen, und zwar so, als seien sie sich noch nie begegnet.

Zuerst hatte sie sich gefragt, ob er eine Art Spiel mit ihr trieb. Hatte er sie ausfindig gemacht und hierher gelockt? Bei dieser Vorstellung hatte ihr Herz einen Sprung gemacht. Aber er war ernst geblieben. Hatte sie nicht einmal cara genannt, wie er es in Venedig getan hatte.

Sie konnte einfach nicht fassen, dass er sie nicht wiedererkannte. Sah sie in dieser Aufmachung wirklich so anders aus? Andererseits: Wenn er sie nicht wegen ihrer gemeinsamen Nacht nach Italien geholt hatte, ergab es Sinn, dass er nicht die Frau aus Venedig zu sehen erwartete. Und Beatrice wusste sehr gut, dass niemand sie als Individuum sah, sondern alle nur als Rektorin. Bei ihrem Anblick sahen die Leute das Internat. Und das war immer das Einzige gewesen, was sie die anderen hatte sehen lassen wollen.

Trotzdem hatte sie erwartet, dass er irgendetwas an ihr erkennen würde. Die Stimme, die Augen. Sie. Aber während sie sich unterhalten hatten, war mehr als deutlich geworden, dass er das nicht tat. Wahrscheinlich war das auch besser so, denn sonst würde er vermutlich annehmen, dass sie herausgefunden hatte, wer er war, und sich Zutritt zu seinem Haus verschafft hatte, in das er sie sonst niemals eingelassen hätte. Er gehörte zu der Art von Männern, die dachten, dass jeder, der weniger reich war als sie – was auf den Großteil der Menschheit zutraf –, automatisch versuchte, so viel wie möglich aus einer Verbindung mit ihnen herauszuschlagen.

Bei der Vorstellung, er könnte sie für eine Goldgräberin halten, wurde ihre Haut ganz klamm.

Sie musste eine Lösung für diese Situation finden … aber ihr fiel einfach keine ein.

Beatrice hatte den Vater ihres Kindes gefunden. Doch anstatt das zu feiern – so, wie sie es sich immer vorgestellt und erhofft hatte –, hatte sie herausfinden müssen, dass er nicht wusste, wer sie war, als sie vor ihm stand. Dass sie zu unscheinbar war, als dass er sich an sie erinnern würde.

Oder vielleicht erlebte er solche Nächte ja auch so oft, dass die eine, die sie zusammen verbracht hatten, kein besondere Rolle spielte. Bei diesem Gedanken hätte sie am liebsten laut gegen die Musik angeschrien.

Oder geweint.

Hinzu kam ja auch noch, dass er von seiner zukünftigen Frau gesprochen hatte, der er noch nicht einmal einen Heiratsantrag gemacht hatte.

Eine Frau, die er erst noch auswählen musste.

Sie hasste diese Information. Ihr war der Mann lieber, an den sie seit Venedig denken musste. Der mysteriöse Traummann, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und dem sie die schönste Nacht ihres Lebens verdankte. Und der sie für immer verändert hatte.

Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, wollte Beatrice sich einfach nur umdrehen und weglaufen. Fort von diesem Haus. Von diesem Mann, der sie so tief berührt hatte und jetzt nicht einmal wusste, wer sie war. Fort, bevor er doch noch herausfand, dass er ihr schon einmal begegnet war – und dass sie sein Kind in sich trug –, und er ihr Leben noch einmal auf den Kopf stellen würde.

Doch sie rührte sich nicht von der Stelle. Denn Beatrice Mary Higginbotham floh nicht vor Problemen. Sie löste sie.

Also richtete sie sich auf, straffte die Schultern und zwang sich, tief Luft zu holen. Denn ob es ihr gefiel oder nicht – ihre Gefühle spielten hier keine Rolle. So viel hatte sie heute begriffen.

Zur Wahrheit gehörte allerdings auch, dass sie romantische Vorstellungen über den Vater ihres Kindes entwickelt hatte. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie nach der Geburt nach Venedig fahren und ihn suchen würde, auch wenn die Erfolgsaussichten gering waren. Sie hatte sehen wollen, ob es das, was da in dieser einen Nacht zwischen ihnen gewesen war, noch gab.

Jetzt wusste sie, dass er, hätte sie ihn gefunden, zu diesem Zeitpunkt schon verheiratet gewesen wäre.

Wieder wuchs ihr Bedürfnis, einfach fortzulaufen, doch sie rang es nieder.

Denn die praktischen Erwägungen, die sie dazu bewogen hatten, hierherzukommen, gab es noch immer. Außerdem hatte sie ohnehin erwartet, dass die Zeit in Italien anstrengend sein würde, weil Mattea anstrengend war und sie ihre Schwangerschaft verbergen musste, solange sie hier war.

Und egal, wie sie sich jetzt fühlte, es ging nur um einen Sommer. Einige wenige Monate.

Und wenn sie ihrem Kind schon kein Leben mit Vater bieten konnte, dann zumindest eines ohne finanzielle Sorgen, ermöglicht durch das Geld ebendieses Vaters.

Gestärkt durch diesen Gedanken klopfte sie laut an Matteas Tür und wartete. Wenig überrascht davon, dass nichts geschah, klopfte sie ein zweites Mal.

Außer dem Wummern der Musik war nichts zu hören, also drückte Beatrice die Klinke und trat ein.

Verblüfft stellte sie fest, dass Matteas Suite noch viel spektakulärer war als die luxuriöse Gästesuite, die man Beatrice gezeigt hatte. Sie bahnte sich den Weg durch ein Labyrinth aus miteinander verbundenen Zimmern, Salons, einer Sauna mit Whirlpool, einer Bibliothek und einem riesigen Medienraum.

Schließlich fand sie das Mädchen, nicht gerade zu ihrer Überraschung, im Schlafzimmer. Dort lag Mattea unter einem Berg von Decken in einem hohen Himmelbett, doch sie schlief nicht. Sie hatte die Knie angezogen und hielt ein Mobiltelefon in der Hand. Anscheinend hatte sie noch nicht bemerkt, dass sie nicht länger allein war.

Wie auch, bei der lärmenden Musik?

Beatrice sah sich nach der Quelle dieses Radaus um. Bald hatte sie zwei winzige Lautsprecher entdeckt, die auf die polierte Oberfläche einer antiken Kommode gestellt worden waren, mit einer Nachlässigkeit, die von einem Menschen zeugte, der sich noch nie im Leben Gedanken darüber gemacht hatte, was eine Sache kostete.

Beatrice regelte die Lautstärke herunter.

Als es stiller im Zimmer war, blieb sie stehen, wo sie war, und betrachtete den Kissenberg im Bett.

Mattea stöhnte auf, als hätte man sie geschlagen. Genervt richtete sie sich auf …

… und entdeckte Beatrice.

Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an.

Wie so viele ihrer Schülerinnen war auch Mattea nicht nur mit einem Vermögen, das sie vermutlich noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag verprassen würde, sondern auch von Mutter Natur großzügig bedacht worden. Anders als ihr dunkler, ernster Halbbruder hatte sie das Gesicht eines Engels, mit rosigen Wangen, einem Schmollmund und Augen, die so blau waren wie der See vor den Fenstern.

Dieses Aussehen hatte sie immer benutzt, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Dass das bei Beatrice nicht verfing, hatte ihr gar nicht gefallen.

„Ich habe ja gewusst, dass ich in einem niemals endenden Albtraum gefangen bin“, sagte Mattea auf Englisch mit kultiviertem Akzent. „Nein, warten Sie. Ist das ein schlechter Trip? Oder noch schlimmer: Ich bin gestorben und in der Hölle gelandet.“

„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Mattea Descoteaux“, erwiderte Beatrice unbeeindruckt.

Es fühlte sich gut an, wieder in die Rolle zu schlüpfen, die sie so gut beherrschte. Wenn sie die Rektorin spielte, war da kein Platz für Gefühle oder dafür, wie eine Opernsängerin zusammenzubrechen und sich die Augen auszuweinen. Es gab nur ihre Autorität und die Art, sie richtig auszuspielen.

Sie lächelte das Mädchen an. „Verstehe ich das richtig? Man hat dir nicht gesagt, dass ich dir den Sommer über Gesellschaft leisten werde?“

„Wer sollte mir etwas so Furchtbares schon beibringen wollen? Das würde sich niemand trauen.“

Beatrice tat so, als würde sie kurz nachdenken. Dann ließ sie ihr Lächeln noch breiter werden.

„Ich frage mich, ob das etwas damit zu tun haben könnte, dass du bei deiner Familie und den Angestellten das gleiche inakzeptable, furchtbare Verhalten an den Tag legst, das wir dir unter großen Mühen im Laufe des Schuljahres auszutreiben versucht haben.“

Mattea funkelte sie böse an, und selbst dabei sah sie noch süß aus. Das war eine ihre Superkräfte.

Zum Glück zeigte die bei Beatrice keine Wirkung.

„Ich dachte, Sie hätten gekündigt.“ Matteas Gesichtsausdruck hellte sich auf. „Das haben alle gesagt. Die besten Neuigkeiten seit einer Ewigkeit. Für das nächste Schuljahr sind jede Menge Partys geplant, das können Sie mir glauben.“

„Es stimmt, dass ich die Averell Academy nicht länger leite, ja“, bestätigte Beatrice in mildem Tonfall. „Aber ich fürchte, dass zu viele Feiern deinerseits etwas verfrüht wären. Dein Bruder hat mich für diesen Sommer angeheuert, damit ich dir nicht von der Seite weiche. Macht diese Aussicht dich genauso glücklich wie mich?“

Sie ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Matteas Nasenflügel blähten sich, und ihre Wangen färbten sich dunkel. Offenbar fühlte sie sich hintergangen.

Beatrice konnte das nachempfinden, denn sie wusste, wie es war, wenn andere Menschen über das eigene Leben bestimmten. Sie hätte Mattea gerne Trost gespendet, wusste aber, dass sie ihn nicht annehmen würde. Nicht von ihr.

Mattea holte gefährlich tief Luft, offenbar bereitete sie sich auf etwas vor.

„Wenn du vorhast, Zeter und Mordio zu schreien, wie du es sonst so gerne tust“, erklärte Beatrice ruhig, „wirst du mit den Konsequenzen leben müssen. Darauf möchte ich dich von Anfang an hinweisen.“

„Wir sind hier nicht in diesem Knast, den Sie Schule nennen“, giftete Mattea. „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie mich nicht wie die behandeln müssen, die ich hier bin. Ein Mitglied der Familie. Und wenn Sie hier arbeiten, bin ich Ihre Chefin.“

„Dein Bruder ist mein Chef, Liebes“, entgegnete Beatrice lachend. „Und weißt du, wofür er mich angeheuert hat?“ Sie wartete Matteas Antwort nicht ab, auch wenn sie bestimmt kreativ ausgefallen wäre. „Alles, was er will, ist, dass ich dich unter Kontrolle halte. Und glaubst du wirklich, es interessiert ihn, wie ich das anstelle?“

Matteas Wangen begannen zu glänzen. Ihre Verletztheit war beinahe mit Händen zu greifen.

„Wenn ich mich beschwere …“, setzte sie an.

„Ich weiß, dass du dich gerne laut, oft und langanhaltend beschwerst.“ Beatrice hob die Brauen. „Und was haben dir diese Beschwerden bisher gebracht?“, fragte sie, dabei kannte sie die Antwort. So, wie sie auch das Profil der Mädchen kannte, die von ihren Familien an Schulen wie Averell geschickt wurden. Manchmal stellten sie wirklich eine Gefahr für sich und andere dar, aber das ließ sich normalerweise mit den Therapien in den Griff bekommen, von denen die Familien stets behaupteten, dass niemand ihrer erhabenen Abstammung so etwas bräuchte.

Viel öfter jedoch waren die Mädchen einfach verloren, so wie Mattea. Sie kämpften verzweifelt um die Aufmerksamkeit derjenigen, die sie ihnen nicht nur verweigerten, sondern sie auch auf Schulen wie Averell schickten, damit sie sich nicht mit dem Verhalten herumschlagen mussten, das sie vermutlich selbst verursacht hatten.

Wie Mattea da im Bett saß, sah sie viel zu jung aus und so, als sei ihr der Boden unter den Füßen fortgerissen worden. An dieses Mädchen hatte Beatrice auch die anderen Lehrerinnen erinnert, als Mattea versucht hatte, sich mit Mitschülerinnen in einem gest...

Autor

Caitlin Crews
Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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