Julia Extra Band 563

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

HAPPY END MIT EINEM PRINZEN? von JUSTINE LEWIS

Simones Leben steht kopf: Ihr bester Freund Prinz Edouard versteckt sich in ihrem bescheidenen Apartment in Paris vor den Paparazzi! Liegt es an der ungewohnten Nähe, dass es auf einmal zwischen ihnen prickelt? Gegen jede Vernunft beginnt Simone von einem Happy End mit Edouard zu träumen …


GEFANGEN ZWISCHEN HERZ UND KRONE von NINA SINGH

In letzter Sekunde rettet Elle einen attraktiven Mann vor dem Ertrinken: Nichtsahnend zieht sie den Kronprinzen des benachbarten Königreichs aus den Fluten! Die Anziehungskraft zwischen ihr und Prinz Rico ist magisch. Aber schon bald muss er aus Pflicht eine andere heiraten …

MITTERNACHTSKÜSSE FÜR CINDERELLA von MICHELLE RENAE

Wie Cinderella kommt die hübsche Barista Ivy sich vor, als ihr Lieblingsgast sie spontan auf einen glamourösen Ball in New York einlädt. Aber leider ist der Abend mit dem charmanten Milliardär Wolf um Mitternacht vorbei. Oder hat er noch Pläne, von denen Ivy nichts ahnt?


EINE LIEBE WIE IM MÄRCHEN? von RUBY BASU

Tycoon Connor Portland kann den Blick nicht von der jungen Schönheit abwenden: Wie kostbare Seide glänzt ihr dunkles Haar in der Sonne! Er wollte nur mit ihrer Familie einen lukrativen Deal abschließen – aber nun weckt Rina in ihm eine Sehnsucht, die er längst verloren glaubte …


  • Erscheinungstag 07.01.2025
  • Bandnummer 563
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534277
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Justine Lewis

PROLOG

Das verfluchte Königreich

Florenische Märchen, 1786

Es war einmal ein wunderschönes, hoch in den Alpen gelegenes Königreich. Im Sommer waren die Täler grün und üppig und die Gipfel im Winter schneebedeckt. Hoch oben über diesem Königreich ragte ein prachtvoller Palast, in dem ein König wohnte.

Der König raubte seinen Untertanen all ihr Geld, um es für Karten-, Würfelspiele und Pferde zu verschwenden. Als seine Frau ihn verließ und die Kronjuwelen mitnahm, war das Königreich fast bankrott.

Eine Hexe sagte den endgültigen Ruin des Landes voraus, sollten die männlichen Nachkommen des Königs seinem Beispiel folgen und ihren niederen Gelüsten ebenfalls den Vorrang vor ihrem Volk geben. Sie prophezeite, dass nur ein tapferer, aufrechter Prinz das Reich retten könne – jemand, für den Familie und Volk an erster Stelle standen.

Der erste Prinz war dem Wein so zugetan, dass er darüber seine Frau und sein Land vernachlässigte. Daraufhin erschütterte ein heftiges Erdbeben das Land, bis es fast komplett in Schutt und Asche fiel.

Der zweite Prinz wähnte, dem scharfen Auge der Hexe entkommen zu können, und liebte heimlich viele Frauen, die nicht seine Ehefrau waren, was ihn so zerstreute, dass Feinde unbemerkt in sein Königreich eindrangen. Ein Krieg zerstörte das Land, und der Prinz musste fliehen.

Der dritte Prinz wiederum beschloss, den Fluch ganz außer Kraft zu setzen. Er gelobte, seine Pflicht zu erfüllen und seinem Volk die Treue zu halten statt seinen niederen Gelüsten.

Nur heiraten würde er niemals.

1. KAPITEL

Nachdem Simone ihren letzten Kunden verabschiedet hatte, schloss sie die Tür ihrer Buchhandlung. In ihrem kleinen Büro hinterm Verkaufstresen schaltete sie den Fernseher ein, um nach den Tennisergebnissen zu sehen, und machte sich an die Kontenabstimmung. Sie hatte es eilig, weil sie sich gleich noch mit ihren Freunden Julia und André im Bistro am Ende der Straße treffen wollte.

Die Zählung der Tageseinnahmen dauerte länger als früher, aber Simone war froh darüber. Das Geschäft lief nämlich von Monat zu Monat besser, sodass sie genug Geld auf die Seite legen konnte, um die Buchhandlung in absehbarer Zeit hoffentlich kaufen zu können.

The Last Chapter lag in Simones Lieblingsviertel, dem Quartier Latin, auch als 5. Arrondissement bekannt. Sie liebte den Klang der Glocken der zahlreichen Kirchen, der durch die schmalen, sich zum Panthéon hochwindenden Gassen hallte, und die alten Häuser mit ihren dicken Holztüren, hinter denen sich oft verwunschene Gärten verbargen.

Schmiedeeiserne, mit von bunten Blüten nur so überquellenden Blumentöpfen geschmückte Gitter zierten die Fenster, und überall gab es nach frischen Croissants und Baguettes duftende Bäckereien und Käse- und Weinläden, in denen sich auch Studenten guten, erschwinglichen Wein leisten konnten. Schon seit Jahrhunderten war es das Viertel der Studenten, Intellektuellen, Bücherliebhaber und Träumer.

Simone fühlte sich hier so wohl, dass ihr noch nicht mal die zahlreichen Touristen etwas ausmachten. Sie brachten außerdem ihre eigenen Erfahrungen, Gedanken und Träume mit ins Viertel, und abgesehen davon machten sie die Hälfte ihrer Kundschaft aus. Seit acht Jahren arbeitete sie nun schon in der Buchhandlung und leitete sie seit fünf Jahren. Sie wohnte sogar im selben Haus – in einer kleinen Dachgeschosswohnung im fünften Stock.

Simones Chef war ein britischer Investor namens Mr. Grant, dem das Gebäude mitsamt Buchhandlung gehörte. Anfangs hatte er noch davon gesprochen, die Buchhandlung zu schließen und stattdessen einen Lebensmittelladen zu eröffnen.

„Die Buchhandlung ist über hundert Jahre alt“, hatte Simone damals protestiert. „Sie würden damit ein Stück Geschichte zerstören!“

Mr. Grant hatte vorerst Abstand von seinen Plänen genommen, was Simone genug Zeit gab, das Geld für den Erwerb der Buchhandlung und ihrer Wohnung zusammenzusparen.

Als sie einen Blick auf den Fernsehbildschirm warf und die Schlagzeile auf dem Newsticker sah, keuchte sie erschrocken auf.

Eine junge Frau behauptete, vom König von Florena schwanger zu sein. Unter normalen Umständen würde Simone auf so etwas nur mit einem Achselzucken reagieren, aber Florena war für sie nicht einfach nur irgendein kleines Königreich. Sie hatte ihre ersten sechzehn Lebensjahre in Schloss Villeneuve verbracht und kannte den König und dessen Familie persönlich. Ihre Mutter war dort immer noch Köchin. Die Nachricht musste ein großer Schock für alle sein, die im Schloss wohnten und arbeiteten.

Die Ehe von König Edouard und Königin Isabella hatte auf Simone zwar nie besonders glücklich, aber stabil gewirkt. Und jetzt hatte der König anscheinend eine Affäre mit einer anderen Frau angefangen und ein Kind mit ihr gezeugt. Die arme Königin, und armer Ed, ihr Freund und Gefährte aus Kindertagen.

Rasch griff sie nach ihrem Handy, um im Internet zu recherchieren. Anscheinend war die schwangere Geliebte des Königs eine Sechsundzwanzigjährige namens Celine. Weder der König noch dessen Familie hatten bisher Stellung zu ihrer Behauptung bezogen. Die Königin hielt sich angeblich in der Karibik auf, während der König sich im Palast verschanzt hatte.

Und der Prinz … Was Prinz Edouard anging, wusste niemand, wo er gerade steckte. Zuletzt hatte man ihn in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Handelsattaché in New York gesichtet.

Simone stöhnte genervt, als jemand an die Tür klopfte. Das Geschlossen-Schild in sieben Sprachen war ja wohl nicht zu übersehen! Sie spielte mit dem Gedanken, so zu tun, als sei sie nicht da, aber der Kunde klopfte schon wieder – so heftig, dass Simone sich Sorgen um die alte Glasscheibe machte.

Sie streckte den Kopf aus ihrem Büro.

Der Mann vor ihrer Tür war überdurchschnittlich groß gewachsen, trug eine Baseballkappe und trotz des ungewöhnlich milden Herbstwetters Mantel und Schal. Normalerweise würde sie ihn reinlassen – Kunde war schließlich Kunde –, aber sein hartnäckiges Klopfen ließ sie zögern.

„Simone, ich bin’s! Lass mich rein.“

Rasch eilte sie um den Tresen herum. Der Mann schirmte mit den Händen das Gesicht gegen das Licht der Straßenlaterne hinter ihm ab und presste die Nase gegen die Glasscheibe, um besser in den Laden sehen zu können. Als Simone seinem Blick begegnete, blieb ihr fast das Herz stehen, so wie jedes Mal beim Anblick dieser grünen Augen.

Er!

Prinz Edouard höchstpersönlich.

Ed …

„Sim, bitte!“

Was wollte er hier? Warum tauchte er ausgerechnet jetzt auf, wo es ihr endlich rundum gut ging? Simone schloss die Tür auf, aber bevor sie sie öffnete, holte sie erst mal tief Luft und wiederholte im Geiste jenes Mantra, das sie sich in Eds Gegenwart immer einschärfte.

Bloß nicht verlieben! Bloß nicht verlieben!

Ed presste die Handflächen gegen die Glasscheibe und sah Simone flehentlich aus grünen Augen an. Als sie die Tür schließlich öffnete, verlor er das Gleichgewicht und fiel fast auf sie drauf.

„Oh, Sim, Gott sei Dank!“, rief er erleichtert.

„Ed! Was um alles in der Welt machst du hier? Hast du die Neuigkeit denn noch nicht gehört?“

„Was glaubst du, warum ich hier bin?“

Ed nahm seine Mütze ab und enthüllte seine hellbraunen Locken, die Simone noch gut von früher kannte, auch wenn sie an den Seiten inzwischen kürzer geschnitten waren. Sie war sich nicht ganz sicher, ob ihr seine neue Frisur gefiel oder nicht.

Was geht dich eigentlich seine Frisur an?

Immer noch total durcheinander schloss Simone wieder die Tür hinter ihm ab. Sie fühlte sich fast benommen. Anscheinend hatte sie sich noch nicht von ihrem Schreck erholt. Und vor allem hatte sie immer noch keine Ahnung, was Ed hier machte. Er schien es auch nicht eilig zu haben, sie darüber aufzuklären. Neugierig sah er sich in ihrer Buchhandlung um.

Die Räumlichkeiten erstreckten sich über das gesamte Erdgeschoss und das erste Stockwerk des schmalen Hauses. Sämtliche Wände waren mit Secondhandbüchern in mehreren Sprachen bedeckt, sogar neben der schmalen Treppe. Der vorherige Eigentümer hatte seinen Kunden immer erzählt, dass F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway und Gertrude Stein bei ihm ein und aus gegangen waren – eine Behauptung, die Simone lieber nicht nachprüfen wollte, falls sie sich als falsch herausstellen sollte.

Ed stützte die Hände in die Hüften. „Das ist also deine berühmte Buchhandlung.“

„Ich bezweifle, dass sie berühmt ist.“ The Last Chapter lief zwar sehr gut, seit sie die Leitung übernommen hatte, war jedoch nicht Shakespeare and Company.

„Bei uns im Palast schon.“

Simone verzog das Gesicht bei der Vorstellung, dass man dort über sie redete.

„Ich freue mich jedenfalls, sie endlich mal zu sehen.“

In den acht Jahren, seit Simone hier arbeitete, hatte er sich nie die Mühe gemacht, sie zu besuchen, aber warum sollte er auch? Sie waren zwar zusammen aufgewachsen, hatten sich in den letzten dreizehn Jahren jedoch nur selten gesehen. Seit Simone in die Verbannung aufs Internat geschickt worden war, genau genommen.

„Ed, ich verstehe nicht! Was machst du hier?“

„Hübsch hier. Urig. Rustikal. Und es riecht so wunderbar nach alten Büchern.“ Ed griff nach einem Buch – einer alten Ausgabe florenischer Märchen – blätterte es durch und atmete demonstrativ den Duft ein.

Simone stöhnte genervt. „Edouard, bitte! Was willst du hier?“

Beim Klang seines vollständigen Vornamens verkrampfte er sich und stellte das Buch zurück, sagte jedoch immer noch nichts. Langsam schlenderte er am Regal entlang und ließ die Finger über die Buchrücken gleiten, als suche er etwas ganz Bestimmtes. Simone bezweifelte, dass er es ausgerechnet in ihrer kleinen Abteilung deutscher Krimis finden würde.

Schließlich blieb er seufzend stehen, ohne sich zu Simone umzudrehen. Ihr schwoll und brach das Herz gleichzeitig bei dem Anblick. Ed war hier, in ihrer Buchhandlung! Berührte mit den schönen Händen ihre Bücher. Er war so groß, dass er mit dem Kopf fast gegen die niedrige Decke stieß. Zum ersten Mal seit Jahren hielt er sich im selben Raum auf wie sie – atmete dieselbe Luft.

„Dann hast du es also auch schon gehört?“

Sie nickte. „Ja, es kam gerade in den Nachrichten.“

„Dann weiß es wahrscheinlich schon die ganze Welt.“

„Dann ist es also wahr? Dein Vater ist wirklich der Erzeuger?“

„Ich nehme es an.“ Ed versuchte, nonchalant die Achseln zu zucken, versagte dabei jedoch kläglich. Sein Stress und sein Schmerz waren ihm deutlich anzumerken.

„Seit wann weißt du ...? Ich meine, wie lange geht das schon so?“

„Eine ganze Weile.“

Simone starrte ihn verblüfft an. „Du wusstest es schon länger?!“

„Dass er etwas mit ihr hat, meinst du? Ja.“

Sie versuchte, möglichst neutral dreinzublicken, aber es gelang ihr nicht recht. „Was ist mit deiner Mutter? Wusste sie es auch?“

Ed nickte.

„Und was passiert jetzt? Was wird aus deinen Eltern und Florena … und Celine?“

„Wer weiß?“ Ed warf die Hände in die Luft. „Wäre so etwas vor zweihundert Jahren passiert, hätte man Celine mit einem Haus, großzügigem Unterhalt und einem Titel für das Kind abgefunden, aber jetzt?“ Er sah Richtung Fenster. Draußen war es inzwischen komplett dunkel, sodass die hell erleuchtete Buchhandlung gut zu erkennen war. „Können wir irgendwo ungestört reden? Ich will nicht, dass mich jemand erkennt.“

„Warte kurz in meinem Büro, während ich hier alles fertig mache und abschließe. Dann können wir hoch in meine Wohnung.“ Simone stellte Fernseher und Computer aus, checkte die Alarmanlage und nahm ihr Handy und ihren Schlüssel, bevor sie mit Ed das Lager durchquerte.

„Ganz schön viele Räume“, stellte er fest.

„Ich hoffe doch, das ist als Kompliment gemeint!“, grummelte sie.

„Klar, ich finde es ganz toll hier.“

Sein Versuch, ihr zu schmeicheln, ärgerte sie mehr, als er sollte – vermutlich, weil seine Worte den gesellschaftlichen Abgrund zwischen ihnen nur betonten. Im Gegensatz zu ihr würde er eines Tages einen ganzen Palast erben.

Sie verließen das Lager durch die Hintertür und betraten das Treppenhaus, das zu Simones Wohnung im fünften Stock führte.

„Gibt es hier denn keinen Fahrstuhl?“, murrte Ed, als sie im dritten Stock ankamen.

„Doch, aber ich dachte, du willst bestimmt an deiner Figur arbeiten“, witzelte sie.

Ed war natürlich wie immer in Bestform. Seine Beine waren genauso durchtrainiert und schlank wie sein flacher Bauch und seine breiten Schultern, die einem Profiruderer alle Ehre machen würden.

Da Simone die vielen Treppen mehrfach am Tag auf und ab lief, war sie selbst zwar auch ganz gut in Form, aber es verunsicherte sie trotzdem etwas, dass Ed direkt hinter ihr ging und ihre Beine und ihren Po selbst dann nicht übersehen könnte, wenn er wollte. Nicht, dass er je auch nur das geringste sexuelle Interesse an ihr gezeigt hätte …

Als Simone den Schlüssel ins Schloss steckte, zögerte sie einen Moment, doch dann gab sie sich innerlich einen Ruck. Sie brauchte sich ihrer Wohnung nicht zu schämen. Sie reichte für sie allein völlig aus, und sie fühlte sich hier sehr wohl. Wenn Ed das nicht passte, musste er eben wieder gehen, so einfach war das!

Ed stellte seinen Rucksack auf ihrem kleinen Sofa ab und sah sich um. Eine Hälfte ihrer Einzimmerwohnung bestand aus dem Wohnbereich mit Sofa, einem Tisch, der gerade groß genug für zwei war, ein paar Zimmerpflanzen, bunten Drucken an den Wänden und einem kleinen Bücherregal – Bücher konnte man schließlich nie genug haben, wie Simone fand, auch wenn man im Erdgeschoss eine ganze Buchhandlung zur Verfügung hatte.

Der Schlafbereich auf der anderen Seite ließ sich mit einem dünnen Vorhang vom Wohnbereich abtrennen. Eine kleine Küchenzeile mit Kühlschrank, Spüle, Herd und Sitzecke bot alles, was man in einem Singlehaushalt so brauchte. Zusätzlich gab es ein kleines Bad mit Dusche, Waschbecken und Toilette.

„Ist das alles?“, fragte Ed. „Hast du kein zweites Zimmer?“

Simone funkelte ihn gereizt an. „Das hier ist das 5. Arrondissement! Was hast du denn erwartet? Versailles?“

Ed schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Ich finde deine Wohnung sehr hübsch, wirklich.“ Er setzte sich aufs Sofa und lehnte sich entspannt zurück.

Simone betrachtete ihn etwas ratlos.

In alten Zeiten, wie man im Märchen sagte, waren sie ein Herz und eine Seele gewesen. Sie war erst vier Jahre alt gewesen, als man ihrer Mutter nach dem Tod ihres Vaters angeboten hatte, in eine der kleinen Wohnungen auf der Rückseite des Palastes zu ziehen. Obwohl Ed der Kronprinz und Simone „nur“ die Tochter der Köchin gewesen war, hatten sie praktisch jede freie Sekunde miteinander gespielt. Auch später, wenn er an den Wochenenden oder in den Ferien vom Internat nach Hause gekommen war, hatten sie oft Zeit miteinander verbracht. Er war ihr so vertraut, dass er für sie wie ein Stück Heimat war.

Nicht zum ersten Mal sagte sie sich, dass ihre Gefühle für ihn rein platonisch waren. Er erinnerte sie einfach an unbeschwerte Kinder- und Jugendtage, das war alles. Es hatte absolut nichts zu bedeuten, dass schon sein bloßer Anblick ihr Herz hüpfen ließ. Oder dass ihr von seinem Duft manchmal ganz schwindlig wurde. Oder dass sie schon allein bei der Vorstellung zitterte, sich an ihn zu schmiegen.

Ja, rein platonisch. So waren ihre Gefühle für ihn und würden auch nie etwas anderes sein. Über ihre alberne jugendliche Schwärmerei für ihn war sie jedenfalls längst hinweg.

„Willst du ein Glas Wein?“, bot sie ihm an.

Ein Grinsen breitete sich über sein Gesicht. „Ich dachte schon, du fragst nie.“

„Er ist nichts Besonderes.“

„Umso besser. Ich will mich nämlich damit zuschütten.“

Simone unterdrückte ein Lächeln. Es würde schon alles gut werden. Sie waren einfach zwei alte Freunde, die zusammen etwas tranken. Irgendwie würde sie seinen Besuch schon überstehen, ohne sich mehr zu erhoffen.

Sie nahm eine Flasche billigen Bordeaux aus ihrem Weinregal und entkorkte sie, bevor sie sich neben Ed aufs Sofa setzte, wobei sie sorgfältig darauf achtete, ihn nicht zu berühren.

Sie schenkte ihnen jeweils ein großes Glas ein und ließ ihm Zeit, ein paar Schluck zu trinken, bevor sie sagte: „Das mit dem Baby tut mir sehr leid. Die Neuigkeit muss ein echter Schock für dich sein.“

„Ja und nein“, antwortete er achselzuckend. „Ich kann mich nur noch nicht an den Gedanken gewöhnen, einen Halbbruder oder eine Halbschwester zu bekommen. Mit dreißig!“

Eigentlich war er längst alt genug für eigene Kinder, aber er war der Playboy-Prinz. Unverheiratet, ungebunden und allem Anschein nach auch noch stolz darauf.

„Hast du schon mit deiner Mutter telefoniert? Wie geht es ihr?“

„Sie ist natürlich stinksauer. Sonst war er immer viel diskreter.“

Simone blinzelte verwirrt. „Was meinst du mit ‚immer‘?“

„Na, was seine zahlreichen Affären angeht.“

„Seine zahlreichen Affären?! Dann ist Celine also nicht die erste?“

Eds starrte sie verblüfft an. „Natürlich nicht! Hast du denn nichts davon mitbekommen?“

„Na ja ... ich habe ihn nie direkt für treu gehalten. Aber zwei Jahre?! Das ist mehr als nur eine Affäre, das ist ja eine richtige Beziehung!“

„Du musst doch etwas davon mitbekommen haben!“

Ed sah sie so forschend an, als wolle er auf etwas ganz Bestimmtes hinaus. „Also, ich hatte jedenfalls nie eine Affäre mit ihm!“, platzte sie heraus.

Ed lachte schallend. „Das habe ich nicht damit gemeint.“

Was hatte er dann gemeint? Was hatten seine seltsamen Fragen zu bedeuten?

„Ed, was ist los? Warum bist du hier?“

Er stellte sein Glas ab. „Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, für eine Weile bei dir unterschlüpfen zu können.“

2. KAPITEL

„Unterschlüpfen? Hier?!

Ed entging nicht, dass Simone sich panisch in ihrer Wohnung umblickte. Hätte er gewusst, dass sie nur eine Einzimmerwohnung hatte, hätte er sich etwas anderes einfallen lassen, aber sein Wunsch, sie wiederzusehen, war so stark gewesen, dass er alles andere überlagert hatte.

Im Flieger von New York nach Paris hatte der König Ed angerufen und ihn gebeten, nach seiner Ankunft für eine Weile in Deckung zu gehen, statt wie ursprünglich vereinbart direkt zum Palast weiterzufahren. Ed hatte daraufhin beschlossen, bei Simone Unterschlupf zu suchen. Irgendwie hatte er sich plötzlich schrecklich nach ihr gesehnt. Vielleicht, weil sie inmitten des ganzen Chaos wie ein Stück Heimat für ihn war?

In den Wohnräumen seiner Eltern im Palast hatte er sich wegen der ständigen Spannungen zwischen den beiden nie richtig wohlgefühlt. Er war viel lieber bei Simone und ihrer Mutter gewesen, wo er immer willkommen und die Atmosphäre viel entspannter gewesen war.

Simone und er hatten zwar längst nicht mehr so häufig Kontakt wie damals, aber wenn es hart auf hart kam, war sie immer noch der Mensch, der ihm als Erstes einfiel. Und nach dem Anruf seines Vaters hatte er sie einfach sehen müssen, um mit ihr über die Neuigkeit zu reden.

Erst jetzt wurde ihm klar, wie selbstsüchtig das von ihm gewesen war. Simones kleine Wohnung war gerade mal groß genug für sie allein. Man musste sich schon sehr nahestehen, um es hier zusammen auszuhalten.

Sein Blick fiel auf ihr Bett. Es war das vermutlich schmalste Doppelbett, das er je gesehen hatte.

Bei der Vorstellung, es mit Simone zu teilen, durchzuckte es ihn plötzlich seltsam heiß. Wenn die Boulevardpresse davon Wind bekäme, würde sie natürlich sofort darauf anspringen und behaupten, dass der Playboy-Prinz wie immer nichts anbrennen ließ, was natürlich total übertrieben war. Abgesehen davon war Simone für ihn nicht einfach nur irgendeine Frau, sondern seine langjährigste, beste Freundin.

Das Sofa, auf dem sie gerade saßen, war ähnlich schmal wie das Bett. Simone und er saßen inzwischen Hüfte an Hüfte, was ihm keineswegs unangenehm war, ihn aber auch ziemlich verwirrte. Wie lange war ihr letztes Wiedersehen noch mal her? Zwei, vielleicht auch drei Jahre. So oder so wirkte sie irgendwie verändert, auch wenn er nicht sagen könnte, inwiefern.

„Ich weiß, das kommt etwas plötzlich“, räumte er ein. „Aber Celine ist mit der Neuigkeit an die Öffentlichkeit gegangen, bevor die Presseabteilung eine offizielle Story ausarbeiten konnte, und seitdem wird der Palast von Reportern bestürmt. Vater hat mich deshalb gebeten, vorerst in Paris zu bleiben und mich nicht blicken zu lassen. Wahrscheinlich ist es nur für eine Nacht.“

Simone seufzte. „Natürlich kannst du hierbleiben. Aber wirst du nicht im Palast gebraucht?“

„Sollte man meinen“, murmelte er vor sich hin.

Obwohl es noch Jahre – Jahrzehnte sogar – dauern würde, bis er König wurde, war er immerhin Kronprinz und noch dazu das einzige Kind des Königs. Ed wollte seinem Vater daher in dieser Krise beistehen. Der Skandal erschütterte nicht nur seine Familie, sondern auch die Monarchie. Der König brauchte dringend eine Strategie, und Ed befürchtete, dass sein Vater sich für die falsche entscheiden würde.

„Vielleicht will er dich vor dem Skandal schützen?“

„Es ist sein Skandal, nicht meiner. Wird es nicht einen negativen Eindruck machen, wenn ich nicht da bin? So, als stünde ich nicht hinter ihm?“

„Keine Ahnung.“

Simone war offensichtlich genauso verwirrt, wie Ed sich fühlte.

Nach dem Chaos der letzten Stunden empfand er ihre stille Wohnung und ihre Nähe als echte Wohltat. Er betrachtete sie verstohlen. Ihre Frisur gefiel ihm. Sie hatte sich das Haar seit ihrem letzten Treffen wachsen lassen, sodass ihr die dunkelblonden Wellen lang über den Rücken fielen. Und ihre rehbraunen Augen in dem herzförmigen Gesicht leuchteten so warm wie eh und je.

Was war sie für ein süßes Kind gewesen mit ihren großen dunklen Augen, blonden Locken und runden Wangen! Anscheinend hatte er sich immer noch nicht ganz daran gewöhnt, dass sie inzwischen erwachsen war. Manchmal sah er immer noch die Vierjährige in ihr, auf die er eines Tages zu seiner Überraschung im Palastgarten gestoßen war. Niemand hatte ihm mitgeteilt, dass ein anderes Kind einziehen würde.

Der Anblick, wie sie mit seinem Hund herumgetollt hatte, hatte ihn total verzaubert. Er hatte sich damals schon lange nach einem Freund oder einer Freundin gesehnt – nach jemandem, mit dem er Verstecken und andere Spiele spielen konnte. Nach jemandem, der das angenehme, aber ziemlich isolierte Dasein im Palast mit ihm teilte.

Simones und Aleas Wohnung war für ihn eine wahre Oase gewesen. Wenn in seiner Gegenwart jemand das Wort Zuhause erwähnte, musste er immer daran denken und nicht an die Wohnräume seiner Eltern.

Während er Simone so betrachtete, sah er Kind, Teenager und Frau zugleich in ihr. Ihre Wangen waren nicht mehr so voll wie früher, sodass sich die Wangenknochen unter ihrer Haut abzeichneten, und ihr früher hellblondes Haar war dunkler geworden. Nur ihre schönen, großen, braunen Augen waren noch dieselben. Augen, in denen sich jetzt unverhohlene Besorgnis spiegelte.

„Wie glaubst du, wird es jetzt weitergehen? Mit deinen Eltern …?“

„Du meinst, ob sie sich scheiden lassen?“ Er zuckte die Achseln. „Gut möglich. Dann müsste allerdings geklärt werden, was aus dem Vermögen wird, das sie mit in die Ehe gebracht hat und von dem das Land abhängt. Das könnte sehr unschön werden.“

„Was wird aus dem Baby?“

„Mein Vater wird bestimmt dafür sorgen wollen. Er muss es auf jeden Fall anerkennen.“

Ein Baby. Ein Geschwisterkind. Auch vierundzwanzig Stunden nach der Neuigkeit konnte Ed sich noch nicht an den Gedanken gewöhnen.

Dieser Skandal hatte die Macht, die Monarchie zu zerstören.

Die meisten Bürger von Florena waren sehr stolz auf die Unabhängigkeit ihres Landes, aber manche zögen es vor, wenn sie zu einer größeren Nation gehören würden, Frankreich oder Italien zum Beispiel. Der derzeitige Premierminister, Pierre Laurent, gehörte zu den Befürwortern. Er war schon länger dabei, die Beziehungen zu Frankreich, seinem Geburtsland, zu intensivieren. Ed sah das mit wachsender Besorgnis, aber sein Vater lachte immer nur über seine Bedenken.

„Unsinn! Die Bürger würden sich damit nie einverstanden erklären. Das Haus von Berringer existiert schon seit fünfhundert Jahren, da wird es auch noch einen Pierre Laurent überstehen.“

Simone schenkte Ed und sich nach. „Ich habe leider nicht viel zu essen im Haus, aber ich könnte uns etwas bestellen“

„Ich nehme das, was du nimmst.“

Sie senkte den Blick. „Eigentlich wollte ich zum Essen ausgehen.“

Ed kam sich total rücksichtslos vor. Eigentlich hätte er sich denken können, dass Simone schon andere Pläne hatte. Ein Privatleben.

„Das tut mir leid. Heißes Date?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nur ein Abendessen mit Freunden.“

Seine Erleichterung war so groß, dass er sie förmlich körperlich spüren konnte, aber trotzdem sagte er: „Du solltest hingehen. Ich komm hier schon allein klar.“

Wie hätte er wohl reagiert, wenn sie ihm geantwortet hätte, dass sie tatsächlich ein Date hatte? Wäre er verlegen gewesen? Traurig? Nein, das wäre ja geradezu lächerlich! Simone war nur eine Freundin.

Es gibt wahrscheinlich mehrere Männer in ihrem Leben. Sieh sie dir doch nur an, sie ist bildhübsch!

Ed vermied es jedoch lieber, Simone anzusehen, denn jedes Mal, wenn er das tat, wurde ihm ein bisschen schwindlig. Wahrscheinlich lag das am Jetlag. Das hier war Simone! Normalerweise wurde ihm nie schwindlig in ihrer Gegenwart.

„Kein Problem, ich sehe meine Freunde sowieso ständig. Dich hingegen habe ich schon seit … wie lange ist es jetzt her?“

„Zwei Jahre oder so. Aber das liegt nur daran, dass du letztes Weihnachten nicht da warst.“

„Die Buchhandlung nimmt mich eben ganz schön in Anspruch. Ich habe sie praktisch täglich geöffnet.“

„Soll das heißen, du arbeitest sieben Tage die Woche?!“

Sie zuckte die Achseln. „Ich brauche das zusätzliche Geld, um die Buchhandlung und die Wohnung kaufen zu können.“

„Echt jetzt?“

„Ja.“ Sie richtete sich auf, um sich zu ihm umzudrehen. „Was dagegen?“

„Nein, absolut nicht. Du meinst diese Wohnung?“

Sie nickte. „Und die Buchhandlung. Ich habe das Geld schon fast zusammen.“

„Wow, ich bin wirklich tief beeindruckt.“

„Du klingst ja so überrascht.“

Das war er auch, aber das lag nicht an ihr. In den letzten Jahren war sie anscheinend unbemerkt von ihm erwachsen geworden. Sie war inzwischen eine erfolgreiche, umwerfend schöne Geschäftsfrau.

„Ich bin beeindruckt, aber nicht überrascht.“

Als sie das Gesicht verzog, stellte Ed fest, dass er sie sogar dann noch umwerfend fand, wenn sie eine Grimasse machte. Er verspürte plötzlich ein ganz seltsames Ziehen in der Brust. Sie mochte heute Abend kein heißes Date haben, aber vielleicht hatte sie ja trotzdem einen Freund. Falls ja, musste er ihn unbedingt kennenlernen.

Oder besser nicht.

„Wohnst du hier eigentlich allein?“, fragte er betont beiläufig.

„Wie kommst du darauf? Meine fünf Mitbewohner sind nur gerade ausgegangen.“ Ed starrte sie so verdutzt an, dass sie lachen musste. „Natürlich wohne ich allein hier! Ich habe ja kaum genug Platz für mich!“

Er errötete. „Was ich eigentlich wissen wollte, ist … hast du jemanden?“

Sie erwiderte seinen Blick irritiert. Eigentlich ging es ihn nichts an, ob es einen Mann in ihrem Leben gab.

Ed wartete mit wachsender Nervosität auf ihre Antwort. Mit jeder Sekunde, die verging, wurde der Knoten in seinem Magen schmerzhafter. Ganz bestimmt hatte sie jemanden. Und bestimmt war es was Ernstes. Wahrscheinlich würde sie ihm gleich mitteilen, dass sie verlobt war oder kurz davor.

Aus irgendeinem Grund behagte ihm die Vorstellung gar nicht. Es käme ihm irgendwie … verkehrt vor. Simone, verheiratet mit einem Pariser? Undenkbar!

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich habe niemanden.“

Eds Erleichterung war so groß, dass er laut aufatmete.

Seine Reaktion verwirrte ihn etwas. Simone und er waren schließlich nur Freunde. Abgesehen davon würde er sich sowieso nie auf eine feste Beziehung einlassen, weder jetzt noch in Zukunft. Die Ehen von Royals wurden nur sehr selten glücklich. Rein statistisch gesehen standen die Chancen sogar noch schlechter als bei anderen Promi-Hochzeiten.

Als Edouard Henri Guillaume, Prinz von Florena, war Ed nur der jüngste in einer langen Reihe von Prinzen mit dem gleichen Namen, und kein einziger seiner Vorfahren war für seine eheliche Treue bekannt gewesen. Der neueste Skandal seines Vaters war im Grunde nur einer von vielen. Ed hatte daher nicht vor, die Zukunft seines Landes mit einer Eheschließung aufs Spiel zu setzen, die höchstwahrscheinlich in einer Katastrophe enden würde.

Seine Treue hatte bisher zwar nie auf dem Prüfstand gestanden, weil er dafür nie lange genug mit einer Frau zusammen gewesen war, aber in den Medien war er als Playboy-Prinz berüchtigt, und Playboy-Prinzen stellten das Spielen nicht einfach ein, nur weil sie verheiratet waren. Seine Gene ließen jedenfalls nichts Gutes ahnen. Nein, die beste Art, eine weitere königliche Scheidung zu vermeiden, war, gar nicht erst zu heiraten.

Das hieß dann zwar, dass er weder Ehefrau noch Kinder haben würde, aber das störte ihn nicht weiter. Er hatte Cousins, die ihn beerben konnten, und verspürte keinerlei Wunsch, einem Kind eine ähnlich lieblose Kindheit zuzumuten, wie er sie gehabt hatte. Es war kein Spaß, mit ansehen zu müssen, wie ein Elternteil ständig mit dem Personal flirtete und der andere Zuflucht im Alkohol suchte.

Simone stand auf und ging wieder zur Küchenzeile. Ed beobachtete, wie sie einen Teller mit Brot, Käse und Hummus füllte. Ihre Bewegungen waren total anmutig, und der Anblick ihrer Kurven war mehr als nur angenehm. Aber wahrscheinlich nahm er auch das nur wegen des Jetlags so wahr.

Sie kehrte zurück und stellte den Teller auf den Couchtisch.

„Das ist ja ein wahres Festmahl!“

„Haha! Ich bin nicht auf Besuch zum Essen eingestellt, geschweige denn einen Royal.“

„Das Ganze sieht sehr lecker aus, und ich bin sowieso nicht besonders hungrig.“

Simone sah ihn an, als glaube sie ihm kein Wort. Sie kannte ihn eben einfach zu gut.

„Wie schon gesagt, wir können uns auch was bestellen. Das hier entspricht nicht gerade den hohen Standards meiner Mutter.“

Ed hatte nie verstanden, warum ihre Mutter, eine renommierte Köchin, nach dem Ende ihrer Affäre mit dem König im Palast weitergearbeitet hatte. Andererseits, was wusste er schon von Liebesdingen?

Sie begannen zu essen. „Deine Buchhandlung gefällt mir. Aber warum ausgerechnet diese Branche?“

„Wie du weißt, war ich schon immer eine Leseratte, und ich teile meine Leseerfahrungen gern. Der direkte Kundenverkehr macht allerdings nur einen kleinen Teil meines Jobs aus. Vor allem helfe ich Kunden, vergriffene Bücher aufzutreiben, und zwar überwiegend online.“

„Seit wann wusstest du, dass du Buchhändlerin werden willst?“

„Das wusste ich schon, kurz nachdem man mich in die Verbannung geschickt hat.“

Verdutzt sah er sie an. „Verbannung? Du bist doch nicht verbannt worden.“

„Doch.“

„Man hat dich nur zu deinem eigenen Schutz weggeschickt.“

Simone schnaubte verächtlich. „Zu meinem eigenen Schutz?! Dafür war es ja wohl ein bisschen zu spät!“

„So war es aber. Falls jemand davon erfährt.“

Sein Vater und Simones Mutter waren sich im Laufe der Jahre immer nähergekommen und hatten schließlich etwas miteinander angefangen. Um Simone vor etwaigen Konsequenzen zu schützen, falls das Ganze aufflog, hatte der König ihr einen Internatsaufenthalt finanziert. Auch wenn Ed den Verdacht hatte, dass es seinem Vater vor allem darum gegangen war, Simone aus Aleas Wohnung rauszuschaffen.

So oder so hatte Simone die Chance, auf ein Schweizer Internat zu gehen, sofort genutzt. In Florena hatte sie sich seitdem kaum noch blicken lassen.

„Falls es jemand herausfindet? Jeder wusste doch Bescheid, als das Video online war!“, widersprach Simone.

Ed wurde immer verwirrter. „Welches Video?“ Ein Video vom König und Simones Mutter hätte er bestimmt nicht vergessen.

„Welches Video?! Na das, auf dem ich mich an deinem siebzehnten Geburtstag öffentlich blamiere!“

Ed rieb sich die Augen. Er hatte eine ganze Nacht nicht geschlafen. Anscheinend war er erschöpfter als gedacht, denn er konnte sich beim besten Willen nicht an ein Video von seiner damaligen Geburtstagsfeier erinnern. Simones fassungslosem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien es jedoch eins gegeben zu haben.

Konnte es wirklich sein, dass Simone nichts von der mindestens einjährigen Affäre ihrer Mutter mit seinem Vater mitbekommen hatte? Nein, das wäre ja geradezu absurd!

3. KAPITEL

Simone starrte Ed entgeistert an. Welches Video?! Na, das Video! Das, welches ihr Leben ruiniert hatte! Das, welches dazu geführt hatte, dass sie jetzt in Paris lebte. Das, welches den peinlichsten, schrecklichsten und herzzerreißendsten Augenblick ihres Lebens für alle Ewigkeit festgehalten hatte.

„Das hier ist nicht der richtige Augenblick, um mich zu verarschen“, sagte sie verärgert.

Abwehrend hob Ed die Hände. „Ich verarsche dich keineswegs!“

„Willst du allen Ernstes behaupten, dass du nichts von dem Video weißt, auf dem ich mich bei deiner Party öffentlich lächerlich mache?“

„Ich habe absolut keine Ahnung, wovon du sprichst, ehrlich! Was für ein Video meinst du? Verrat es mir bitte.“

Abwehrend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich will nicht mehr darüber reden.“ Wenn Ed sich nicht mehr daran erinnern konnte, würde sie seine Erinnerung ganz bestimmt nicht auffrischen. Das wäre viel zu demütigend.

Dabei hatte sie die Idee mit dem Lied seinerzeit für so großartig gehalten, verknallt, wie sie in ihn gewesen war. Es war kurz vor Eds siebzehntem Geburtstag gewesen. Seine Eltern hatten angefangen, ihm ein schönes, junges Mädchen aus gutem Hause nach dem anderen vorzustellen, und die Tochter von Freunden seiner Eltern, Morgane, hatte sich besonders an ihn rangeschmissen und jeden Vorwand genutzt, Ed im Palast zu besuchen.

Jetzt oder nie, hatte Simone sich damals gedacht. Wenn Ed erst mal zum Studium ins Ausland ging, würde sie bei ihm bestimmt keine Chance mehr haben, provinziell, wie sie war. Sie durfte ihm ihre Liebe nur nicht zu direkt gestehen, falls er ihre Gefühle nicht erwiderte. Also ließ sie sich etwas einfallen, das ihm ihre Liebe durch die Blume verriet, um notfalls alles abstreiten zu können. Glaubhafte Bestreitbarkeit und so.

Sie würde ihm einfach bei seiner Geburtstagsfeier etwas vorsingen, und wenn er sie auch liebte, würde er ihre Botschaft sofort verstehen. In ihrer Fantasie hatte sie sich ausgemalt, wie er auf sie zukommen und sie einander in die Arme fallen und glücklich bis an ihr Lebensende sein würden.

Also hatte sie Eds Assistentin angeboten, ihr bei der Vorbereitung zur Party zu helfen. Sie hatte ein Achtzigerjahre-Motto vorgeschlagen, mit Flipperautomaten, Leuchtstäben und vor allem einer Karaoke-Anlage.

Tja, so viel zu wasserdichten Plänen! Das Sound-System war nicht gerade das beste gewesen, und um das Ganze noch peinlicher zu machen, hatte Simone sich ausgerechnet einen Song ausgesucht, für den man eine richtig gut ausgebildete Stimme brauchte – I Will Always Love You, den Klassiker von Dolly Parton und Whitney Houston. Wie sich herausgestellt hatte, klang Simones Stimme im Wintergarten leider etwas anders als unter der Dusche.

Die Gäste hatten sich jedenfalls halb totgelacht. Ed zwar nicht, aber wahrscheinlich nur deshalb, weil er zu beschäftigt mit Morgane gewesen war, um auf sie zu achten. So oder so war jedenfalls offensichtlich gewesen, dass er Simones Gefühle nicht erwiderte.

Als sie nachts in ihr Kissen geweint hatte, hatte sie sich immerhin damit trösten können, ihm ihre Gefühle nicht offen gestanden und sich damit seine Zurückweisung erspart zu haben. Morgen würde wieder alles beim Alten sein.

Tja, von wegen! Beim Aufwachen am nächsten Morgen holte die Realität sie brutal ein. Ihr Ständchen war nämlich nicht nur online, sondern hatte es sogar auf die Titelseite des Daily Florenan geschafft. Man hatte ein verdammtes Hashtag aus ihr gemacht!

Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang weinte sie sich fast die Augen aus dem Kopf vor Scham. Am schlimmsten waren noch die Kommentare unter dem Video, manche davon richtig bösartig. Einige Menschen legten ihr sogar nahe, sich umzubringen.

Einem sechzehnjährigen Teenager!

Am Tag darauf war ihre Mutter zu ihr ins Zimmer gekommen und hatte sie gefragt, was sie davon halten würde, für ein halbes Jahr auf ein Internat in der Schweiz zu gehen. Simones Erleichterung war geradezu grenzenlos gewesen. Dass man sie offensichtlich nur wegen ihrer Blamage aus dem Weg schaffen wollte, war ihr in dem Moment völlig egal gewesen. Aus einem Semester waren schließlich sechs geworden, sodass ihr die endgültige Rückkehr nach Florena erspart geblieben war.

In der stillen Hoffnung, dass Ed das Thema wechseln würde, drehte sie am Stiel ihres Weinglases. Leider Fehlanzeige.

„Weißt du wirklich nicht, warum du damals aufs Internat gekommen bist?“

Wieder schnaubte sie verächtlich. „Natürlich weiß ich das! Weißt du es denn?“

Er nickte.

„Dann frage ich mich, worüber wir hier überhaupt reden.“ Genervt riss sie ein Stück Brot ab und häufte Hummus darauf. Noch vor zwei Stunden war sie mit ihrem Leben rundum zufrieden gewesen, und jetzt saß Ed plötzlich auf ihrem Sofa und riss alte Wunden wieder auf! „Jetzt sag schon!“, forderte sie ihn auf. „Was denkst du, warum ich fortgegangen bin?“

„Nein, du zuerst.“

Sie trank einen Schluck Wein. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, wenn sie anfing. Dann konnte sie ihm die Geschichte wenigstens auf ihre Art erzählen. „Erinnerst du dich noch an deinen siebzehnten Geburtstag? An die Party?“

„Klar. Ich war schließlich dabei.“

Sein Grinsen hielt sie fast davon ab fortzufahren. Ed war wirklich unmöglich! Ganz wundervoll und absolut unmöglich.

Simone richtete den Blick auf die Wand, um seine belustigt funkelnden grünen Augen nicht mehr sehen zu müssen. „Es waren sehr viele Gäste eingeladen. Freunde von dir und deinen Eltern.“

„Und du“, ergänzte er.

„Stimmt.“

Wusste er noch, was sie damals angehabt hatte? Sie hatte sich extra zu dem Anlass ein rotes Kleid gekauft, das fast ihr Budget gesprengt hatte. Natürlich war es trotzdem nicht so schick wie die Designerkleider der meisten anderen Frauen gewesen. Wusste er auch noch, welche Frisur sie gehabt hatte? Sie hatte sich das Haar geglättet, damit es mehr glänzte.

Ihre Bemühungen waren ihm bestimmt nicht aufgefallen. Andererseits … wenn er sich weder an ihr Kleid noch an ihre Frisur erinnerte, erinnerte er sich vielleicht auch nicht mehr an ihren Song.

„Wir haben im Wintergarten gefeiert…“

„Stimmt“, bestätigte er nickend. „Das Motto waren die Achtziger. Wir haben dafür extra Flipperautomaten gemietet.“

Also erinnerte er sich doch noch daran. Zumindest an ein paar Details.

Simone holte tief Luft. „Dumm, wie ich damals war, hielt ich es für eine gute Idee, Karaoke zu singen.“

Ed sagte nichts dazu, sondern wartete nur darauf, dass sie fortfuhr.

„Ich habe mir einen total peinlichen Song ausgesucht und mich damit komplett blamiert.“

„So schlimm war es bestimmt nicht.“

„Danke, dass du das sagst, aber wir wissen beide, wie schrecklich ich war. Ich wurde hinterher förmlich in der Luft zerrissen.“

„Was? Von wem denn?“

„Na, von allen! Zumindest in den sozialen Medien. Ich war sogar ein Hashtag!“

Ed starrte sie nur verständnislos an.

„Jetzt sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr daran!“

„Natürlich erinnere ich mich noch. Ich wusste nur nicht, dass es so schlimm war.“

„Nicht so schlimm?!“ Anscheinend hatte er seinerzeit nicht kapiert, was sie ihm mit ihrem Song hatte vermitteln wollen, aber der Rest der Welt schon. Alle hatten gewusst, dass sie ihm ein Ständchen gehalten hatte.

„Sim, Schatz, ich hatte ja keine Ahnung, was du damals durchgemacht hast.“

„Es war einfach nur schrecklich! Ich war #Palastserenade!“ Simone verschränkte wieder die Arme vor der Brust.

Ed beugte sich vor und sah sie ganz sanft aus grünen Augen an. Fast hatte sie den Eindruck, er wolle ihr über eine Wange streichen. Errötend riss sie den Blick von ihm los.

Bloß nicht verlieben! Bloß nicht verlieben!

„Ich war schon sehr oft die Zielscheibe von Hashtags und Memes und kann daher sehr gut nachvollziehen, dass du darunter gelitten hast. Wenn ich daraus jedoch eins gelernt habe, dann, dass der Rest der Welt einen schneller vergisst als man den. Ich wette, kein Florener erinnert sich noch an das Video.“

„Oh doch!“

Jedes Mal, wenn Simone ihre Mutter besuchte, spürten die Trolle sie wieder auf. Einmal war ein Foto von ihr im Supermarkt in den sozialen Medien veröffentlicht worden und ein anderes Mal eins von ihr und Alea in einem Café, untermalt von den üblichen hasserfüllten Nachrichten, Kommentaren und Drohungen. Dabei war sie noch nicht mal ein Promi! Sie war einfach nur jemand, der mit sechzehn Jahren bei einer privaten Party Karaoke gesungen hatte, und noch immer ließen die Trolle sie nicht in Ruhe. Ed hatte gut reden! Er hatte schon immer in der Öffentlichkeit gestanden und konnte mit so etwas umgehen. Sie hatte dafür einfach nicht die Kraft.

„Kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich habe das Video fast vergessen.“

Ehrlich gesagt hatte er es sogar komplett vergessen.

„Für dich ist das ja auch etwas anderes!“

„Warum? Weil ich ein Prinz bin? Macht mich das automatisch immun gegen Spott und Gelächter?“ Ed stellte sein Weinglas ab und machte Anstalten aufzustehen.

Simone hielt ihn an einem Arm fest. „Es tut mir leid, ich hätte das nicht sagen sollen.“ Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie nah sie ihm war … und wie unglaublich hart sich sein Bizeps anfühlte.

Ed setzte sich wieder. „Du hast ja recht, für mich ist es wirklich etwas anderes. Mir hat man von Anfang an beigebracht, mit Trollen und schlechter Presse umzugehen, und abgesehen davon, hättest du im Palast vor so etwas geschützt sein müssen. Die Party war schließlich privat.“

Simones Gedanken wanderten wieder zurück. Wie oft hatte Ed sich ihr gegenüber darüber beschwert, wie aufdringlich die Reporter waren und wie schrecklich es war, sich nirgendwo frei bewegen zu können. Im Gegensatz zu ihr hatte er nur das Glück gehabt, professionelle Unterstützung zu bekommen, um damit umgehen zu lernen.

„Trotzdem tut es mir leid.“ Wieder drückte sie ihm sanft den Arm. Verdammt, fühlte sich das gut an! Wie gern würde sie die Hand jetzt über seine Schulter zu seinem Nacken gleiten lassen …

Ed schüttelte den Kopf. „Nein, mir tut es leid. Ich wusste wirklich nicht, dass du damals so wegen des Videos gelitten hast.“

„Irgendwie schon. Ein alberner Karaoke-Song hat mein Leben zerstört, und das nur, weil ich dabei gefilmt wurde. Ohne dieses Video wäre ich jetzt wahrscheinlich gar nicht hier.“ Sie konnte von Glück sagen, dass sich alles zum Guten entwickelt hatte.

Sie unterdrückte einen Anflug von Enttäuschung, als Ed seinen Arm wegzog. Sie schenkte ihnen nach, und sie unterhielten sich über seine Auslandsreisen und seine Arbeit sowie ihre Buchhandlung, die Bücher, die sie gelesen, und die Podcasts, die sie gehört hatten. Worüber sie nicht sprachen, waren der Palast und ihre gemeinsame Kinder- und Jugendzeit.

Irgendwann klappten ihr die Augen zu.

„Du solltest ins Bett gehen“, sagte Ed. „Morgen musst du bestimmt wieder arbeiten, oder?“

Simone nickte. „Nimm du ruhig das Bett, ich schlafe auf dem Sofa.“

„Auf keinen Fall! Du hast auch so schon mehr als genug für mich getan.“

„Aber das Sofa ist viel zu klein.“

„Genau deshalb will ich dich ja nicht darauf schlafen lassen.“

Wir könnten doch beide in meinem Bett schlafen …

Aber was war, wenn ihre Hände mitten in der Nacht plötzlich ein Eigenleben entwickelten? Wenn ihr Unterbewusstsein sie dazu verleitete, auf seine Seite zu rutschen? Wie sollte sie ihm das dann erklären?

Suchend sah sie sich um. „Moment mal, hast du gar keinen Koffer dabei?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin direkt vom Flughafen aus hergekommen. Mein Kammerdiener ist mit meinem Gepäck weiter nach Florena gefahren.“

„Dann hast du also gar nichts zum Übernachten dabei?“

Er richtete den Blick auf seinen Rucksack. „Eine Zahnbürste, aber viel mehr auch nicht. Für eine Nacht wird es schon reichen. Morgen lasse ich mich sowieso abholen.“

Dann würde er also nur eine Nacht bleiben …

„Wir könnten uns doch das Bett teilen?“

Die Luft wurde plötzlich genauso dünn wie Simones Stimme. Ihr Herz klopfte heftig, während sie auf seine Antwort wartete.

„Meinst du?“

„Wir haben doch schon öfter die Nacht miteinander verbracht.“

Ihm klappte die Kinnlade nach unten.

„Als wir klein waren“, beeilte sie sich hinzuzufügen. „Bei Übernachtungsbesuchen.“

„Das ist nicht das Gleiche.“

Offensichtlich war sie gerade zu weit gegangen. „Wir sind doch bloß Freunde. Wir mögen seit damals älter geworden sein, aber trotzdem.“ Wenn sie das nur oft genug wiederholte, würde es vielleicht sogar wahr werden.

Eds Schweigen dauerte so lange, dass ihre Wangen brannten wie Feuer. „Bist du dir wirklich sicher?“

Sie seufzte ungeduldig. „Keine Sorge, ich werde es schon schaffen, die Hände von dir zu lassen!“

Er beugte sich zu ihr – dicht genug, um seine Körperwärme zu spüren – und hob eine Augenbraue. „Aber was ist, wenn ich das nicht schaffe?“

Er klang so ernst, dass es Simone heiß durchzuckte. Nein, die Vorstellung, dass Ed nicht die Hände von ihr lassen konnte, war völlig absurd. Fragte sich nur, warum er dann nicht lachte …

Forschend sah sie ihn an – so intensiv, dass sie die goldenen Flecken in seiner Iris erkennen konnte. Und dann erkannte sie plötzlich noch etwas anderes. Das Atmen fiel ihr plötzlich schwer, und sie spürte einen seltsamen Druck auf der Brust.

Erst nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er das Gesicht ab und räusperte sich. „Ich befürchte nur, dass mich dein Schnarchen wach halten wird.“

Simone musste lächeln. Der Zauber war gebrochen. Sanft stupste sie ihn an. „Ich bezweifle, dass du mich überhaupt schnarchen hören wirst, so laut, wie du selbst schnarchst.“

Sie holte ihren Schlafanzug und zog sich im Badezimmer um, bevor sie sich wie jeden Abend das Gesicht wusch und die Zähne putzte. Mit Ed hinter ihrer Badezimmertür kam ihr ihre Abendroutine merkwürdig fremd vor. Ed Berringer war gerade in ihrer Wohnung und lag vermutlich schon auf ihrem Bett, großgewachsen und athletisch.

Ach, Ed …

Es war viel einfacher gewesen, nicht an ihn zu denken und ihre Gefühle für ihn zu verdrängen, als er noch weit weg gewesen war. Eine bloße Erinnerung und kein lebendiger Mann gewesen war. Aber heute Abend war er nur allzu lebendig und noch dazu unfassbar schön, und er würde direkt neben ihr schlafen …

Kommt gar nicht infrage!

Sie war längst über ihn hinweg. Auf keinen Fall würde sie wieder den Fehler machen, sich in ihn zu verlieben.

Als sie sich vorsichtig neben ihn legte, achtete sie darauf, ihn nicht zu berühren.

Er drehte sich zu ihr um. „Danke für alles.“

„Du brauchst dich nicht zu bedanken. Du bist hier jederzeit willkommen. Ich freue mich über deinen Besuch.“

Das Lächeln, das er ihr schenkte, ließ sie förmlich dahinschmelzen.

Bloß nicht verlieben! Bloß nicht verlieben!

Sie wollte ihm gerade den Rücken zukehren, als ihr plötzlich etwas einfiel, das er vorhin gesagt hatte. „Warte mal kurz! Was glaubst du eigentlich, warum man mich aus Florena weggeschickt hat?“

„Äh … na, deswegen … wegen deines Songs. Des Videos.“

Simone seufzte. Dann hatte er also das Gleiche gemeint wie sie. Sie knipste ihre Nachttischlampe aus und versuchte, es sich bequem zu machen. „Gute Nacht, Ed“, sagte sie in die Dunkelheit hinein.

„Gute Nacht, Sim. Ich hoffe, die Füchse kriegen dich nicht.“

Sie musste lächeln, als sie die Worte hörte, mit denen sie sich als Kinder beim Zelten im Palastgarten immer eine gute Nacht gewünscht hatten. Jedes Mal hatten sie sich vorgenommen, die ganze Nacht wach zu bleiben, waren jedoch immer in den frühen Morgenstunden eingeschlafen. Wie alt waren sie wohl damals gewesen? Neun Jahre? Zehn? „Weißt du noch, wie wir früher immer im Garten gezeltet haben?“

„Natürlich weiß ich das noch. Ich kann von Glück sagen, dich damals gehabt zu haben. Und jetzt genauso. Ich weiß, in den letzten Jahren haben wir uns nicht oft gesehen, aber für mich bist du wie Familie.“

Wieder seufzte Simone. Offensichtlich hatte er nach wie vor nur brüderliche Gefühle für sie. Er war nur wegen der Umstände in ihrem Bett.

Aber so oder so würde nie etwas zwischen ihnen laufen. Das Letzte, das sie wollte, war, auf dem Radar der erbarmungslosen Presse von Florena zu landen. Man würde sie wahrscheinlich in der Luft zerreißen, wenn sie etwas mit Prinz Edouard, dem Playboy-Prinzen, anfing.

Wieder und wieder schärfte sie sich das ein, bevor sie endlich einschlief.

Manchmal war es wirklich kein Spaß, ein Prinz zu sein. An Tagen wie diesen empfand Ed das sogar als einzige Zumutung. Wer sonst machte sich so viele Gedanken um die öffentliche Meinung, dass er sich quasi freiwillig in einen Pariser Turm einsperrte?

Von seinen Eltern hatte er bisher noch nichts gehört. Nur der Privatsekretär seines Vaters hatte geschrieben, dass der König sich bald bei Ed melden würde. Während er auf den Anruf wartete, versuchte er, sich mit Arbeit abzulenken, konnte sich jedoch nicht konzentrieren, weil seine Gedanken immer wieder zu seinen Eltern wanderten.

Und zu Simone.

Er hatte sie nur unregelmäßig gesehen, seit sie in die Schweiz gezogen war. Im Grunde hätte er sie schon viel früher hier in Paris besuchen sollen, aber anscheinend hatte er seine langjährigste und beste Freundin für zu selbstverständlich gehalten, um den Kontakt zu pflegen.

Überwältigt von Schuldgefühlen griff er nach seinem Handy und suchte nach dem Video, von dem sie gesprochen hatte. Als er #Palastserenade in die Suchmaschine eingab, war er überzeugt, nichts zu finden, aber da war das Video auch schon. Und da war sie. Eine sechzehnjährige Simone, die inbrünstig I will always love you ins Mikrofon schmetterte. Ihre Stimme war gar nicht so übel, aber der Song war viel zu schwierig, vor allem, wenn sich das Publikum über einen lustig machte. Doch sie ließ sich nicht unterkriegen und hielt bis zum Ende durch.

Sein Herz blutete für sie. Ihm fiel auf, wie toll sie aussah – irgendwie anders als sonst damals. Ihr blondes Haar war geglättet, und ihr rotes Kleid zeigte überraschend viel Haut.

Was hatte sie bloß geritten, ausgerechnet diesen Song zu singen? Er sah sich das Video ein zweites Mal an und las anschließend die Kommentare. Sie waren wirklich ziemlich übel. Für eine Sechzehnjährige mussten sie geradezu traumatisch gewesen sein. Aber weder diese Kommentare noch das Video waren der Grund, warum sein Vater Simone das Internat und später ihr Studium bezahlt hatte.

Sollte er ihr von der Affäre erzählen? Nein, besser nicht. Das stand ihm einfach nicht zu.

Er verspürte plötzlich den Wunsch, Simone zu sehen. Nicht die Sechzehnjährige aus dem Video, sondern die schöne Neunundzwanzigjährige, die gerade in ihrem künftigen Laden in einer der schönsten Städte der Welt arbeitete.

Ich könnte doch einfach runtergehen.

Und erkannt werden? Nein. Ed holte wieder seinen Laptop. Er würde seine heutigen Mails beantworten. Schließlich war er immer noch Handelsattaché und hatte daher Verpflichtungen.

Entschlossen machte er sich an die Arbeit.

Simone wusste nicht, womit sie gerechnet hatte, als sie abends nach Hause kam, aber jedenfalls nicht mit frisch gebackenen Madeleines.

Ihre Wohnung duftete nach ihrer Mutter. Nach zu Hause.

„Willst du, dass ich Heimweh bekomme?“, fragte sie Ed.

„Warum fragst du? Hast du welches?“

Simone wandte das Gesicht ab, damit er nicht die Tränen sah, die ihr in die Augen schossen. Sie schloss die Augen und atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Die Madeleines erinnerten sie an ihre Mutter. Sie vermisste sie schrecklich – so sehr, dass es wehtat. Sie telefonierten zwar regelmäßig, und Alea kam, sooft es ging, nach Paris, aber so weit voneinander entfernt zu wohnen, war trotzdem hart. „Hast du schon von deinen Eltern gehört?“

Ed schüttelte den Kopf.

„Das tut mir leid.“ Mitfühlend legte sie ihm eine Hand auf eine Schulter. Er fühlte sich köstlich warm unter seinem weichen Kaschmirpullover an. Ihre Hand begann zu prickeln, vor allem, als Ed sie sanft drückte.

Wenn sie doch nur dichter an ihn heranrücken und die Hand über seine Schultern gleiten lassen könnte. Sich auf seinen Schoß setzen und …

„Sie wissen bestimmt, dass du dir Sorgen machst“, stieß sie mühsam hervor. Es fiel ihr schwer, in ihrem jetzigen Zustand einen klaren Satz zu formulieren.

„Wie es aussieht, werde ich dir noch länger zur Last fallen.“

„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mich über deinen Besuch freue.“ Es fiel ihr schwer, ihn loszulassen, aber wenn sie das nicht machte, würde sie ihre Hand womöglich noch über Eds Nacken in sein Haar gleiten lassen und …

Sie beschloss, das Thema zu wechseln. „Ich kann kaum glauben, dass du gebacken hast. Und dann auch noch Madeleines!“

„Das ist das Einzige, das ich kann. Deine Mutter hat es mir beigebracht, weißt du noch?“

Als ihre Blicke sich trafen, machte ihr Herz einen Satz. Das hier war nicht gut. Gar nicht gut.

Ihre Teenagerschwärmerei für Ed war ziemlich keusch gewesen. Echtes körperliches Verlangen hatte sie erst in Paris kennengelernt und sich zu Männern hingezogen gefühlt, die ganz anders aussahen als Ed. Sie war daher zu dem Schluss gekommen, dass sie körperlich auf einen ganz anderen Typ stand als Ed und ihre Gefühle für ihn rein platonisch gewesen waren.

Aber jetzt …

„Die Madeleines sind noch nicht alles.“ Ed trat zur Seite und offenbarte ein wahres Festmahl, bestehend aus frischem Brot, Käse und einer Flasche Rotwein. Er nahm den Deckel von einem Schmortopf, in dem ein Hähnchen brutzelte.

„Was? Du hast auch noch Coq au Vin gemacht?“, fragte Simone beim Anblick ihres Lieblingsgerichts überrascht.

Ed schüttelte den Kopf. „Ich habe es kommen lassen, zum Dank dafür, dass du mich noch eine Nacht bei dir beherbergst.“

Noch eine Nacht also. Im selben Bett. Na ja, wenigstens entschädigte er sie mit diesem Essen für alles, was er ihrem Körper zumutete.

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, nahm er ihre Hände. Seine fühlten sich wundervoll warm an. Als er ihre Handgelenke mit den Daumen streichelte, sackten Simone fast die Knie weg.

„Ich bin dir wirklich sehr dankbar“, sagte er ernst ...

Autor