Julia Gold Band 110

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IN DEN ARMEN DES SCHEICHS von CAROL MARINELLI
Sie ist schöner als die Sterne über der Wüste! Scheich Xavian ringt nach Atem, als er zum ersten Mal Laylas Schleier lüftet. Die Hochzeitsnacht beginnt … Doch das Königreich in Laylas Armen könnte das Einzige sein, das Xavian bleibt, wenn jemand sein Geheimnis erfährt …

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  • Erscheinungstag 12.05.2023
  • Bandnummer 110
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519632
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Marinelli, Lucy Gordon, Melissa McClone

JULIA GOLD BAND 110

PROLOG

Layla dachte nicht daran, die Augen zu schließen, während ihre Zofen sie verschleierten, sondern beobachtete im Spiegel, wie nach und nach ihr hübsches Dekolleté, die langen, schlanken Beine und kunstvollen Henna-Tattoos hinter mehreren goldenen, mit Juwelen besetzten Stofflagen verschwanden.

Als Letztes waren das lange rabenschwarze Haar, ihr perfekt geschminktes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem vollen Mund dran, bis nur noch die Augen zu sehen waren.

Beim Gedanken, dass diesmal nicht die gewohnte Erleichterung eintreten würde, wenn sie endlich wieder aus ihrer goldenen Hülle schlüpfen konnte, blinzelte sie nervös. Denn dann war sie nicht wie gewohnt zu Hause, im Palast von Haydar, sondern in der Qusay-Wüste, wo die Schleier vor den Augen ihres neuen Ehemannes fallen würden … in ihrer Hochzeitsnacht!

König Xavian Al’Ramiz, der Mann, dem sie seit ihrer Kindheit versprochen war, hatte nach all den Jahren, in denen er ihre Existenz standhaft ignorierte, plötzlich beschlossen, sie zu seiner Braut zu machen. Nicht nur, dass Xavian durch die lange Wartezeit sie und ihr Land im Unklaren über die Zukunft ließ, Layla fühlte sich verständlicherweise auch persönlich gedemütigt.

Ihr Leben verlief – oder besser war verlaufen – in einer endlosen Warteschleife.

Sie war die Älteste in einer langen Reihe von Schwestern. Beim siebten Versuch, einen männlichen Erben zu produzieren, verstarb ihre Mutter. Layla erinnerte sich noch sehr gut daran, wie wenig die traditionsbewusste Bevölkerung von Haydar sich mit dem Gedanken abfinden konnte, eines Tages von einer Königin regiert zu werden.

Aber ihr Vater, ein weiser Mann, überzeugte den König von Qusay, stolzer Vater eines männlichen Thronfolgers, von der Idee, den Prinzen mit seiner ältesten Tochter zu verheiraten. Und der männliche Nachkomme, den sie natürlich liefern würden, sollte später, zu aller Zufriedenheit, über beide Königreiche herrschen.

Ein guter Plan, der bisher allerdings an Xavians Unentschlossenheit scheiterte, sodass Layla nach dem Tod ihres Vaters Königin von Haydar wurde. Allerdings setzten die bisherigen Regierungsberater darauf, dass sie dieses Amt nur nominell ausüben würde und sich nach ihren Ratschlägen richtete, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern. Doch damit war die neue Herrscherin absolut nicht einverstanden.

Die Bevormundung des Ältestenrates erbitterte sie ebenso wie Xavians Desinteresse, der seinen Status als Junggeselle und Womanizer offenbar zu sehr genoss, um ihn gegen unbequeme Ehefesseln eintauschen zu wollen.

Erst der unerwartete Tod beider Elternteile zwang ihn quasi zum Handeln. Allerdings war Layla inzwischen durch die Verantwortung für ihr Land und Volk, die sie sehr ernst nahm, schneller erwachsen geworden als erwartet. Und damit natürlich auch nicht mehr bereit, die erkämpfte Position so ohne Weiteres an einen Mann abzutreten, dem weder an Haydar noch an ihr wirklich etwas lag.

Doch offensichtlich hatte der überraschende Verlust seiner Eltern den umschwärmten Playboy-Prinzen aufgeschreckt. Zum Erstaunen aller erwies er sich als der geborene Führer, der, trotz des persönlichen Verlustes, das trauernde Volk mit starker Hand um alle innenpolitischen und wirtschaftlichen Klippen schiffte, die eine derart einschneidende Katastrophe häufig mit sich bringt. In beeindruckend kurzer Zeit mauserte Prinz Xavian sich zu einem echten König, und als solcher benötigte er eine Frau an seiner Seite.

Es war ein rein geschäftlicher Deal.

Dessen war sich Layla absolut bewusst. Und trotzdem stieg so etwas wie Eifersucht in ihr auf, während sie das freie Leben ihres zukünftigen Gatten aus der Ferne verfolgte. Anstatt verärgert zu sein, beneidete sie ihn eher. Zum Beispiel um das Recht, sich Geliebte zu nehmen, wann immer ihm danach war, während sie brav in ihrem goldenen Käfig verharren und auf ihn warten musste.

Inzwischen war sie sechsundzwanzig – und immer noch Jungfrau!

Doch heute würde sich alles ändern! Endlich war ihre große Stunde gekommen! Egal, ob es sich um eine Vernunftehe handelte und sie die nächsten Jahre möglicherweise mehr getrennt als gemeinsam verbrachten … heute, an ihrem Hochzeitstag, in der Wüste von Qusay, stand sie ihrem zukünftigen Mann endlich Auge in Auge gegenüber!

Plötzlich war sie sehr froh über die üppigen Lagen goldener Schleier, die ihre Gefühle vor neugierigen Blicken verbargen. Denn Layla wurde ganz heiß bei dem Gedanken, was in dieser Nacht geschehen würde.

König Xavian Al’Ramiz würde ihr erster Liebhaber sein und ihr einziger! Bizarrerweise wünschte sie sich, er wäre weniger gut aussehend und sein Gesicht, das sie von unzähligen Zeitungsfotos, Fernsehauftritten und aus dem Internet kannte, hätte nicht diesen hochmütigen, grüblerischen Ausdruck, der ihr stets eine leichte Gänsehaut verursachte.

Wie oft hatte sie seine arroganten Züge studiert und mit angehaltenem Atem versucht, dem eindringlichen Blick der schwarzen Augen standzuhalten, der einen selbst vom Foto bis in die Seele zu dringen schien …

Königlich wirkte Xavian in jedem Fall. Angefangen bei der klassisch romanischen Nase über die hohen Wangenknochen, dem schwarzen Haar und den ebenso dunklen Augen, die mit dichten Wimpern umrahmt waren, was ihnen einen melancholischen, fast schwermütigen Ausdruck verlieh. Auf jeden Fall entstammte er unübersehbar einer guten Linie.

Außerdem verfügte er über eine unglaubliche Präsenz. Sobald er anwesend war, wandten sich die Menschen ihm instinktiv zu. Und die natürliche Aura von Selbstsicherheit und Souveränität, die ihn umgab, war umso anziehender, weil er sich seiner Wirkung gar nicht bewusst zu sein schien.

Layla hatte mehrfach eine Kostprobe davon spüren können, wenn sie ihn, anlässlich irgendwelcher öffentlichen Events, zu dem sie beide eingeladen waren, aus dem Hintergrund beobachtete. Wie oft hatte sie davon geträumt und sich heimlich gewünscht, er würde ihre Anwesenheit spüren und sich wenigstens einmal umdrehen und mit seinen nachtschwarzen Augen ihren Blick suchen …

Natürlich blieb das ein Traum. Und das lag ganz sicher nicht nur an ihrer Verschleierung, die zu derartigen Anlässen obligatorisch war. Anders als sie verspürte Xavian offensichtlich keinerlei Bindung oder auch nur Interesse für sie, obwohl sie seine zukünftige Frau und Königin war.

Anlässlich der Krönung Stefanias von Aristo im letzten Jahr hatte Layla sogar direkt neben ihm am roten Teppich gestanden, und Xavian hatte sie komplett ignoriert. Die Scham und Demütigung, die sie an jenem Tag empfand, brannte immer noch in ihr. Warum konnte sie sich nicht endgültig damit abfinden, dass es zwischen ihm und ihr einfach keine Seelenverwandtschaft gab …?

„Eure Hoheit?“

Layla seufzte. Es nervte sie, mit welcher Penetranz man sie mit letzten Instruktionen und Bedenken bombardierte und Klärungen für akute Probleme einforderte. Und alles nur, weil sie eine Woche Auszeit von ihren royalen Verpflichtungen nehmen würde.

„Wir brauchen dringend eine Unterschrift, um den Vertrag bezüglich der Saphir-Minen abschließen zu können“, drängte Imran.

Lieber Himmel! Es war ihr Hochzeitstag!

Doch wie stets stand die Pflicht an erster Stelle. Nicht einmal anlässlich ihrer offiziellen Hochzeitsreise war es ihr gelungen, ihren Hofstaat abzuschütteln. Und so wurde die Braut von etlichen Beratern, Dienstboten und von Baja, ihrer Hofdame und altvertrauten Zofe, begleitet.

Obwohl die königlichen Berater allmählich einsahen, dass der Entschluss der jungen Königin, die Regierungsgeschäfte in die eigenen Hände zu nehmen, beileibe nicht nur vorübergehend war, konnten sich die zumeist alten Männer nur sehr schwer damit abfinden. So blieb es ein stetes Tauziehen, das Layla abwechselnd erschöpfte oder, in guten Zeiten, noch darin bestärkte, die Zügel auf keinen Fall wieder aus der Hand zu geben.

Während die Traditionalisten jeden Reformversuch abwehrten und forderten, alles so zu belassen wie gewohnt, war Layla geradezu begeistert von den vielfältigen Möglichkeiten des reichen Landes, sich einer modernen Zukunft zu öffnen.

„All das kann bis zu meiner Rückkehr warten …“, informierte sie ihren perplexen Berater und sah, wie sich seine Lippen zu einem schmalen, missbilligenden Strich verzogen. „Heute werde ich gar nichts unterzeichnen.“

„Die Probebohrungen sind nämlich abgeschlossen und haben ergeben …“

„Wenn ich zurück bin …“, unterbrach Layla ihn in scharfem Ton, „… werde ich mir den Vertrag durchlesen, und wenn … wenn ich mit allem einverstanden bin, ihn auch unterschreiben!“ Damit wandte sie sich brüsk ab und trat ans Fenster, um ihre Tränen zu verbergen, die sie nicht länger zurückhalten konnte. Aus schwimmenden Augen schaute sie über den azurblauen Ozean, am Rande der Wüste.

Es war ihr Hochzeitstag!

Hatte sie nicht wenigstens einen Tag und eine Nacht lang das Recht, einfach nur Frau zu sein? Offenbar nicht!

„Aber wir müssen unbedingt noch über eine Ausdehnung des geplanten Besuchs König Xavians in Haydar diskutieren …“

„Ganz sicher nicht vor der Eheschließung“, befand Layla, Imran immer noch den Rücken zuwendend. Sie durfte kein Zeichen von Schwäche zeigen, wenn sie nicht riskieren wollte, dass sich der Ältestenrat wie eine Horde Hyänen auf sie stürzte, um die Macht wieder an sich zu reißen. „Lassen Sie mich eines ganz klarstellen, Imran“, gab sie deshalb noch einmal über die Schulter zurück. „Während meiner Abwesenheit wird nichts, aber auch gar nichts entschieden!“

„Natürlich, ganz wie Sie wünschen, Eure Hoheit …“, murmelte er aalglatt. „Obwohl, wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte, gehe ich doch davon aus, dass sie dem Ältestenrat genügend vertrauen, um …“

„Imran!“ Abrupt wandte Layla sich nun doch um. Die Tränen waren versiegt, und der Blick, mit dem sie den Berater bedachte, glasklar und kalt wie Gletschereis. „Ich werde ständig meinen Laptop bei mir haben, und sollte es Verbindungsschwierigkeiten geben, dann setzen Sie sich gefälligst in einen Helikopter und suchen mich persönlich in der Wüste auf! Haben wir uns jetzt verstanden?“

„Ich dachte, Sie wünschten, nicht gestört zu werden“, konnte sich ihr Peiniger nicht verkneifen.

„Ich warne sie nicht zum ersten Mal … versteigen Sie sich nicht dazu, meine Gedanken zu kennen und womöglich noch interpretieren zu wollen …“

„Verzeihung, Eure Hoheit …“ Damit zog er sich endlich zurück.

„Atmen, Layla … tief durchatmen“, mahnte Baja sanft.

Wider Willen musste Layla lächeln.

Baja, liebe gute Baja, die sich immer im Hintergrund hielt und dennoch alles mitbekam. Baja, die von ihren Tränen wusste, die sie nachts weinte. Baja, die einzige Person, die sie verstand und die von der täglichen Last wusste, die ihre Schultern drückte.

„Sie werden meine Abwesenheit ausnutzen, um ihren Willen durchzusetzen“, seufzte Layla.

„Sie wären verrückt“, sagte Baja ruhig. „Deine Befehle waren glasklar.“

„Man dreht mir ständig die Worte im Mund herum.“

„Dann schreib sie nieder.“

Layla war so dankbar für die Weisheit ihrer alten Zofe, für ihre klugen Ratschläge und die große Geduld. Sie war der Mensch, dem sie fast ihr ganzes Vertrauen schenkte. Aber auch nur fast, da Layla früh lernen musste, dass man nur sich selbst wirklich trauen konnte.

„Das werde ich tun.“

„Aber erst wird geheiratet“, entschied Baja mit einem Lächeln.

Nach einem letzten Blick in den Spiegel wurde Layla durch die langen Gänge des Palastes von Qusay hinaus in den Garten geführt. Die sengende Wüstenhitze nahm ihr den Atem und brachte ihren Puls zum Rasen. Fasziniert schaute sie sich in der zauberhaften Wüstenoase um. Winzige Vögel, bunt und schillernd wie kostbare Juwelen, schwirrten zwischen exotischen Blüten und grünen Blättern umher, wobei ihre Flügel so aufgeregt flatterten wie Laylas Herz, als sie endlich zum Stehenbleiben aufgefordert wurde, um auf ihren Bräutigam zu warten.

Die Zeremonie würde kurz und schlicht sein.

In der nächsten Woche sollte es, so wie es seit jeher in Haydar Tradition war, einen festlichen offiziellen Empfang geben. Dabei würden Xavian und sie hohen Würdenträgern und Herrschern anderer Königreiche als Paar präsentiert. Doch heute waren die einzigen Zeugen ihrer Vereinigung der Friedensrichter und die Ältesten beider Länder.

Layla stand stocksteif im Schatten eines Orangenbaumes und wartete inmitten verführerischer Düfte, die Blüten und Früchte um sie herum verströmten. Und wartete und wartete …

Mehr als zehn Jahre hatte sie bereits diesem Augenblick entgegengefiebert. Was bedeuteten da schon zehn weitere Minuten?

Oder noch einmal zehn!

Man brachte ihr einen Stuhl, doch Layla lehnte brüsk ab. Hoch aufgerichtet, das Kinn stolz erhoben und brennend vor Scham stand sie da und rührte sich nicht. Konnte dieser Mann noch deutlicher machen, was er von ihr hielt?

Am liebsten wäre sie einfach gegangen. Hätte der Tradition den Rücken gekehrt, Xavian schriftlich hinterlassen, was sie von seinem rüden Benehmen hielt, und einen Helikopter verlangt, um augenblicklich nach Haydar zurückzufliegen.

„Der König wird jeden Moment erscheinen.“

Layla senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände, die sie so fest zu Fäusten geballt hielt, dass die zarten Knöchel weiß hervortraten.

„Vielleicht sollten Eure Hoheit sich doch lieber setzen?“ Erneut wurde ihr ein Stuhl angedient, den Layla nicht eines Blickes würdigte. Der alte Richter hatte den Vorschlag längst akzeptiert und schien mit auf die Brust gesunkenem Kinn friedlich vor sich hinzudämmern.

Warum bietet man uns nicht auch noch Erfrischungen an? dachte Layla aufrührerisch. Oder pflückt zumindest ein paar Orangen vom Baum. Dann könnten wir wenigstens an den saftigen Fruchtspalten lutschen und dabei diskutieren, wie man sich am besten verhält, wenn der König beschließt, seiner eigenen Hochzeit fernzubleiben!

Dies hier war jedenfalls die Hölle! Stehen … sich zutiefst gedemütigt fühlen und warten, warten, warten …

Layla tat es allein für ihr Volk, das fest mit der Bereitschaft seiner Königin rechnete, sich um seinetwillen der Tradition zu beugen und die von ihrem Vater arrangierte und von allen ersehnte Vernunftehe einzugehen. So blieb sie geisterhaft blass und mit zusammengepressten Lippen stehen und schwor sich innerlich, dass er für all dies würde bezahlen müssen …

König Xavian hätte lieber sorgfältiger recherchieren sollen, dann wüsste er nämlich, dass sich unter den undurchsichtigen goldenen Schleiern eine selbstbewusste, stolze Frau verbarg, die man nicht ungestraft demütigte!

Er hat wirklich keine Vorstellung, was ihn erwartet, dachte Layla mit einem siegessicheren Lächeln, das allerdings langsam verebbte, als ihr zukünftiger Gatte sie auch weiterhin warten ließ …

1. KAPITEL

König Xavian Al’Ramiz las den Brief wieder und wieder. Es war einer von vielen mit Glückwünschen zu seinem heutigen Hochzeitstag.

König Zakari von Calista war der Absender. Zusätzlich zu den formellen guten Wünschen drückte er seine Freude darüber aus, ihm anlässlich des offiziellen Empfangs in einer Woche noch einmal persönlich gratulieren zu können.

Es war bereits sein dritter Brief an Xavian.

Als Erstes erreichte ihn eine Beileidsbekundung zum Tod seiner Eltern, verbunden mit einer Einladung in den Palast von Calista, auf die Xavian nicht antwortete. Er hatte sie einfach verbrannt.

Dann folgte eine Danksagung für das Geschenk des Königreiches Qusay zur Geburt seines Sohnes, Prinz Zafir. Auch darauf reagierte Xavian nicht, obwohl er den Brief tagelang mit sich herumtrug und ihn immer wieder las, bis er auch ihn dem Feuer überantwortete.

Und nun dies.

Die freundlichen Zeilen enthielten nichts Unerwartetes oder gar Beunruhigendes, wie er sich immer wieder versicherte, trotzdem las er das Schreiben zum x-ten Mal. Hunderte solcher Briefe mit Glückwünschen hatte er erhalten, doch in diesem versuchte Xavian verzweifelt, zwischen den Zeilen zu lesen. Warum, konnte er sich allerdings auch nicht erklären …

Seine Braut erwartete ihn. Er war längst unentschuldbar zu spät dran, dennoch klammerte er sich wie ein Ertrinkender an jedes einzelne Wort des formellen Glückwunschschreibens des Königs von Calista und seiner Frau, Königin Stefania von Aristo. Ihre Verbindung hatte die beiden Mittelmeerinseln wieder zum vereinten Königtum Adamas zusammengeschlossen.

Doch warum hatte Zakari, anstatt Adamas’ Wappen zu benutzen, den Brief mit dem von Calista versiegelt?, grübelte Xavian und fuhr mit der Fingerspitze über die erhabenen Konturen. Da ihm das Wappen nichts sagte, hätte es ihn kaltlassen müssen, stattdessen spürte er einen seltsamen Schauer über den Rücken rinnen. Irgendetwas beunruhigte ihn zutiefst und schien ihn regelrecht zu verfolgen. Und zwar seit der Krönung von Zakaris Frau, Stefania von Aristo, im letzten Jahr. Vielleicht war es der schockierte Ausdruck in ihren klaren blauen Augen gewesen, als sich ihre Blicke begegneten?

Unsinn!, rief er sich zur Ordnung. Sie war nicht schockiert gewesen, sondern nahe davor, in Ohnmacht zu fallen. Er hatte sie nur gestützt und mit ihr gesprochen, bis ihr Gatte zur Stelle war und ihm die Verantwortung abnahm. Wie sich später herausstellte, war sie zu dem Zeitpunkt bereits schwanger, was im Nachhinein alles erklärte.

Außer für ihn.

Denn die quälende Unruhe in seinem Herzen hatte begonnen, noch ehe er Stefania zu Hilfe kam. Und zwar in dem Moment, als er Zakari aus der beigen Luxuskarosse steigen sah, wie er sich freundlich der jubelnden Menge zuwandte, ehe er seiner Frau aus dem Wagen half.

Von einer Sekunde zur anderen hatte sich Xavians Herzschlag verdoppelt. Ein seltsames Gefühl zwischen Panik und Erregung hatte ihn überfallen. Und genau das war es auch, was ihn nach fast einem Jahr immer wieder nachts hochschrecken ließ und was er beim Lesen dieses Briefes fühlte. Es war keine Angst, sondern eher wie ein Warnsignal, ein Vorzeichen … aber wofür?

„Alles ist bereit, Eure Hoheit.“ Xavian wandte sich nicht einmal um, als Akmal, sein Großwesir, die königliche Privatsuite betrat. „Ihre Braut wartet.“

Der drängende Unterton in Akmals Stimme war nicht zu überhören. Okay, seine Braut, Königin Layla von Haydar, wartete bereits eine ganze Weile auf ihn. Als wenn er das nicht selbst wüsste!

„Ich werde gleich da sein.“

„Eure Hoheit, dürfte ich vielleicht vorschlagen …“

„Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?“ Als Xavian sich jetzt umdrehte, funkelten seine nachtschwarzen Augen vor Wut und erinnerten den Großwesir höchst wirksam daran, wer hier der König war.

In der olivengrünen Militäruniform, die Brust mit Orden bestückt, die langen, muskulösen Beine in schwarzen Lederstiefeln, mit einem Schwert an der Seite und einer goldenen Kordel um den traditionellen Kafeya, gab Xavian eine wahrlich imposante Erscheinung ab.

Aber das tat er eigentlich immer. Dank seiner beachtlichen Größe von annähernd einem Meter neunzig, den breiten Schultern und einem durchtrainierten Körper brauchte er weder Waffen noch irgendwelche Auszeichnungen, um sich Respekt zu verschaffen.

„Sie kann warten, bis ich so weit bin“, erklärte er arrogant.

„Eure Hoheit …“ Akmal wusste, wann er geschlagen war, und wagte keinen weiteren Vorstoß, sondern zog sich nach einer knappen Verbeugung zurück. Wieder allein trat Xavian erneut ans Fenster und starrte hinaus auf den Ozean.

Sie würde warten, immerhin war sie es seit Jahren gewohnt. Von Kindertagen an füreinander bestimmt, hätte er sie bereits vor zehn Jahren heiraten sollen, hatte sich aber anders entschieden. Stattdessen genoss er lieber rund um den Globus seine Freiheit als begehrter Junggeselle.

Doch damit war es jetzt vorbei.

Xavian trat hinaus auf den Balkon und wünschte, er könne von hier aus in die Wüste schauen und nicht zum Meer. In der Wüste fand er den Frieden, den er suchte und ersehnte. Und dorthin würde er heute Nacht seine Braut entführen …

Wie müde und lustlos er sich bei diesem Gedanken fühlte.

Seit seine Eltern bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen waren, machten seine Berater ständig Überstunden. Sein Playboyleben hatte er von heute auf morgen aufgeben müssen. Er war jetzt König und hatte die Pflicht, Thronerben zu produzieren. Nach drei Monaten tiefer Trauer sollte die Hochzeit, der er bisher erfolgreich ausgewichen war, endlich stattfinden.

Es würde keine große Angelegenheit sein. Angesichts der besonderen Umstände schickte sich einfach kein rauschendes Fest. Der Bevölkerung wollte man morgen mitteilen, dass der König geheiratet habe, und die wenigen Tage bis zum offiziellen Empfang würden seine frisch angetraute Gattin und er in der Wüste verbringen.

Nach einer angemessenen Zeit der Staatstrauer war eine feierliche Krönungszeremonie geplant, anlässlich derer auch das Volk seiner Begeisterung Ausdruck geben konnte. Möglicherweise gab es neun Monate nach der Eheschließung ja bereits einen weiteren Anlass dazu, lautete ein diskreter Wink des Ältestenrates. Zum Beispiel, wenn ein kleiner Prinz unterwegs war …

Um die Chancen dafür zu optimieren, war Xavian sogar vom Großwesir angewiesen worden, mindestens eine Woche vor der Hochzeit sexuell enthaltsam zu leben, was er natürlich ignorierte. Auf diesem Gebiet hatte es nie ein Problem gegeben.

Seine Hochzeit würde ein geschäftlicher Deal sein, mehr nicht. Und natürlich würde er für seine privaten Bedürfnisse auch Geliebte haben.

Die Unruhe, die Xavian momentan empfand, war also kaum mit amourösem Lampenfieber zu erklären. Schon lange, ehe die Hochzeit geplant war, und lange, bevor seine Eltern tödlich verunglückt waren, zerfraß eine quälende Unrast seine Seele.

Es war wie ein verborgener Ort, den er nicht besuchen oder erforschen wollte. Häufig, während der Nacht, wenn er aus einem Albtraum hochschreckte, oder jetzt, beim Lesen dieses Briefes, überfiel ihn eine namenlose Panik, und er fürchtete, den Verstand zu verlieren.

Wie oft hatte er versucht, in den Armen seiner jeweiligen Geliebten Ruhe und Trost zu finden. Doch wenn er von seinem eigenen rasenden Herzschlag erwachte, klatschnass geschwitzt, fluchend aus dem Bett sprang und sich anzog, schickte er die Schönen der Nacht angewidert dahin zurück, woher sie gekommen waren. So wollte er von ihnen nicht gesehen werden.

Auch jetzt schlug sein Herz wie ein Vorschlaghammer, und sein schwerer Atem drohte ihm den Brustkorb zu sprengen, während er mit düsterem Blick auf die bewegte Wasserfläche starrte. Er fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, als würde er selbst von den rollenden Wogen des Ozeans hin- und hergerissen. Die wulstigen Narben an seinen Handgelenken brannten und schmerzten, wie sie es manchmal ohne ersichtlichen Grund taten.

Xavian wandte sich ab und ging zurück in seine Suite. Er presste die heiße Stirn gegen das kühle Fensterglas, schloss die Augen und versuchte, sich mit einer angenehmen Erinnerung abzulenken. Doch dabei kam ihm nicht das Bild seiner Braut in den Sinn, sondern die endlose Weite der Wüste …

Ja! Er wollte die Hochzeit so schnell wie möglich hinter sich bringen, seine Braut mit in die Wüste nehmen, die Ehe vollziehen und ab morgen die geliebte Einöde durchwandern, um Ruhe für seine gepeinigte Seele zu finden. Nur so würde er die nötige Kraft tanken können, seinen Pflichten als König und Herrscher eines Volkes nachkommen zu können, das auf ihn angewiesen war.

Allein der Entschluss verschaffte ihm schon spürbare Erleichterung. Den Brief immer noch in der Hand durchquerte Xavian das Zimmer, blieb vor dem Kamin stehen und warf das Schriftstück ins züngelnde Feuer. Aus schmalen Augen beobachtete er, wie das schwere Büttenpapier zusammenschrumpfte und der Siegellack über dem Wappen von Calista kurz aufloderte, bevor er zu einer unförmigen Masse verschmolz.

Und nach diesem rituellen Akt war er endlich so weit, sich der nächsten Herausforderung zu stellen … seiner Hochzeit.

Als er die Tür seiner Suite öffnete, fiel Akmal ihm förmlich in die Arme. Xavian bedachte seinen Großwesir mit einem vernichtenden Blick, ehe er voller Elan an dem armen Mann vorbei und durch die langen Gänge des Palastes schritt, vorbei an der Galerie seiner Ahnen, quer durch den blühenden Garten, endlich bereit, seiner Pflicht nachzukommen.

Alle erhoben sich von ihren Plätzen, sobald sie ihn kommen sahen. Seine Braut drehte sich nicht einmal nach ihm um. In schimmernder goldener Robe stand sie unbeweglich wie eine Statue und heftete den Blick auf den Boden, als er an ihre Seite trat.

Xavian konnte gerade noch einen dumpfen Seufzer ersticken.

Haydar war in vieler Hinsicht ein sehr altmodisches und in Traditionen erstarrtes Königreich. Die Frauen mussten bis zu ihrer Verheiratung verschleiert bleiben und lange Gewänder tragen. Doch selbst unter den vielen Lagen Stoff konnte er die sehr fraulichen Kurven seiner zukünftigen Frau erahnen.

Freude über Freude!, dachte Xavian zynisch. Was für eine Hochzeitsüberraschung! Eine Braut, die nicht nur sexuell unerfahren, sondern dazu noch mehr als üppig war! Nahmen seine anstrengenden Pflichten denn gar kein Ende?

Zu allem Unglück hatten die Ältesten aus Haydar, in einer Art Konzession an moderne Zeiten, nach langem Zögern zugestimmt, die öffentliche Bekanntgabe der Vermählung sogar mit Fotos des Brautpaares zu garnieren. Es war zwar nicht die Zeit für große Feste und Freudenkundgebungen, aber sowohl die Bevölkerung von Haydar wie die Menschen in Qusay konnten endlich wieder einmal gute Nachrichten gebrauchen.

Der Richter fragte Layla, ob sie ihrem Gatten ein loyales Weib sein, ihn ehren, ihm Kinder schenken und für ihn und ihre Nachkommen da sein wolle.

Mit sanfter Stimme erklärte sie sich dazu bereit.

Er fragte sie ein zweites Mal, und abermals bestätigte sie es mit einem Ja. Beim dritten Mal sah Xavian, wie sie kurz blinzelte, ehe sie antwortete.

„Ja, ich will.“

Dann kam er an die Reihe.

War er bereit, sie zu versorgen und zu unterstützen?

Mehr wurde er nicht gefragt, und das auch nur einmal. Ein König brauchte sich nicht zu wiederholen.

„Ja.“

Zum ersten Mal schaute Layla auf, und das Augenpaar, das seinem gelangweilten Blick begegnete, war von einem so tiefen Violettblau, dass Xavian überrascht den Atem anhielt. Ehe er sich darüber klar war, wie er den Ausdruck darin interpretieren sollte, verbarg sie ihn schon wieder hinter den dichten schwarzen Wimpern.

Und dann war der kurze Moment auch schon vorbei. Er hatte kaum länger als zwei, drei Sekunden gedauert, war aber von einem Fotografen für die Nachwelt festgehalten worden und würde bis morgen via Satellit und Druckpresse einmal um den ganzen Globus gewandert sein …

Scheich König Xavian Al’Ramiz von Qusay – und jetzt auch von Haydar – und seine Braut, Königin Layla Al’Ramiz von Haydar – und jetzt auch Qusay …

Die lang erwartete Union war endlich offiziell.

„In einer Stunde werden wir in die Wüste aufbrechen …“, wandte sich Xavian zum ersten Mal direkt an seine Frau. „Ich hoffe, mein Personal war dir bisher eine Hilfe?“

Sie antwortete nicht. Immer noch mit gesenktem Blick nickte Layla kaum merklich.

„Brauchst du noch irgendetwas?“ Da versuchte er sein Bestes, um die Situation aufzulockern und seine schüchterne Frau ein wenig zu entspannen, und was erntete er dafür? Nicht mehr als ein vages Nicken oder Kopfschütteln! Sie verwehrte ihm sogar einen zweiten Blick in ihre hübschen violetten Augen! „Okay, dann sehen wir uns in einer Stunde.“

Na, diese Nacht kann nur ein Reinfall werden!, dachte er verstimmt. Bei jedem ausholenden Schritt in Richtung seiner Suite knallten die Absätze seiner Stiefel aggressiv auf den kostbaren Marmorboden.

„Ich werde keinen ganzen Monat dort verbringen!“, informierte er Akmal kurz darauf mit gefurchter Stirn, während einer seiner Kammerdiener ihm aus der engen Militäruniform half. Ungeduldig riss er dem Mann das traditionelle Gewand aus der Hand, das für die Wüstenreise bestimmt war. „Eine Woche in Haydar reicht!“

„Ich verstehe Eure Hoheit sehr gut, aber unsere Berater reagieren nur auf das, was sie haben läuten hören …“ Unbehaglich zuckte Akmal die mageren Schultern. „Die Königin hat die Presseverlautbarung gelesen und fragte …“

„Was?“ Xavian, der gerade zufrieden sein bevorzugtes Outfit im Spiegel begutachtete, fuhr herum. „Warum beunruhigt ihr sie überhaupt mit derart unwichtigen Details?“

„Sie hat ausdrücklich darum gebeten“, entschuldigte sich Akmal etwas pikiert. „Und sie hat ebenso deutlich ihren Wunsch kundgetan, Sie für mindestens vier Wochen in ihrem Land sehen zu wollen. Königin Layla ist der Meinung, die Bevölkerung von Haydar möchte ihren neuen König so lange wie möglich in der Nähe haben.“

Xavian zeigte sich von dem verständlichen Wunsch seiner neuen Untertanen wenig beeindruckt. Eine Woche Honeymoon in der Wüste, das hatte er gerade noch akzeptieren können – mit seiner neuen Frau an der Seite in der Nacht und einsamen Wanderungen tagsüber.

Um den Menschen in Haydar entgegenzukommen, fand er sich sogar dazu bereit, eine weitere Woche Gemeinsamkeit in seinem neuen Königreich zu demonstrieren. Das musste reichen, um sich dem Volk zu präsentieren, notwendige Dokumente zu unterzeichnen und ein oder zwei weitere Nächte mit seiner Ehefrau zu verbringen, sollte sie zu der Zeit in ihrer fruchtbaren Phase sein.

Danach würden sie beide wieder ihre gewohnten Pflichten aufnehmen. Die für einen König vermutlich ungleich leichter zu tragen waren als für eine Königin…

Mit einem leichten Schmunzeln überlegte er, dass es für eine Frau möglicherweise ziemlich anstrengend war, den Respekt der Regierungsberater zu erlangen, geschweige denn, den der Bevölkerung. Vielleicht sollte er sich seiner frisch Angetrauten gegenüber doch etwas kooperativer zeigen.

„Also gut, zwei Wochen …“, lautete sein Kompromiss, „… aber keinen Tag länger!“ Angesichts Akmals zweifelnd gefurchter Stirn bereute er seine Großzügigkeit fast schon wieder. „Das kannst du meiner Gattin ausrichten“, fügte er hinzu, in der Hoffnung, den Großwesir auf diese Weise schnell wieder loszuwerden.

Doch Akmal hatte das kurze, prägnante Gespräch mit der Königin von Haydar noch gut im Ohr und öffnete den Mund bereits zu einem vorsichtig formulierten Protest, als sich in seinem Rücken eine sanfte Stimme zu Wort meldete.

„Vier Wochen wären eine weisere Entscheidung …“ Unbemerkt von beiden Männern, und vor allem unangemeldet und ohne erteilte Erlaubnis, hatte Layla die königliche Privatsuite betreten.

Sobald Akmal seinen Schock einigermaßen verdaut hatte, durchquerte er den Raum mit ausholenden Schritten. „Sie dürfen hier nicht einfach …“

„Ich wünsche von Ihnen mit Eure Hoheit angesprochen zu werden!“, bremste Layla ihn sehr wirkungsvoll aus. Und diesmal war keine Spur von Sanftheit in ihrer Stimme zu hören. Immer noch verschleiert nahm sie in stolzer Haltung Akmals zögernde, aber tiefe Verbeugung zur Kenntnis.

Der arme Mann war ganz offensichtlich zwischen dem Hofprotokoll und dem brennenden Wunsch hin- und hergerissen, seinen Herrn zu schützen. Doch entgegen seiner Annahme war Xavian von Laylas ungewöhnlichem Verhalten nicht geschockt oder gar verärgert, sondern amüsiert und fühlte zum ersten Mal so etwas wie Interesse für seine Ehefrau in sich aufkeimen. Und während er Akmals verkrampftes Bestreben beobachtete, es beiden Seiten recht zu machen, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln.

Eure Hoheit, ich … ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen, um Sie von der Entscheidung des Königs zu unterrichten“, stammelte der Großwesir.

„Wie lästig …“, murmelte Layla, schaute dabei aber nicht Akmal an, sondern spürte ein seltsames Ziehen im Magen, als sie das Lächeln sah, das Xavians finsteres Gesicht erhellte. „Und wie ermüdend, sich mit seinem Ehemann mittels eines Zwischenträgers unterhalten zu müssen.“ Während sie sprach, senkte sie nicht einmal den Blick. „Aber bitte … teilen Sie dem König mit, dass die Königin nicht bereit ist, seinen halbherzigen Kompromiss zu akzeptieren. Die Bevölkerung von Haydar muss ihn in seiner neuen Rolle als ihren König sehen und beurteilen können, um zu glauben und zu akzeptieren, dass er willens und in der Lage ist, sie zu führen und ihnen zu helfen. Dazu ist eine kurze Stippvisite kaum geeignet.“

Akmal schluckte heftig und wandte sich zu seinem König um. „Eure Hoheit, die Königin sagt …“

„Schon gut!“, knurrte Xavian gereizt. „Lassen Sie uns allein.“

Als sein Großwesir daraufhin dem Leibdiener des Königs einen Wink gab und sich beide Männer hastig zurückzogen, trat Xavian dicht an Layla heran, die trotz ihres wild klopfenden Herzens keinen Millimeter zurückwich. Mit erhobenem Kinn stand sie vor ihm, hielt seinem eindringlichen Blick offenbar mühelos stand und blinzelte nicht einmal.

„Ich habe deinen Wunsch sehr genau überdacht und meine Entscheidung nach reiflicher Überlegung getroffen“, behauptete ihr Gatte mit seidenweicher Stimme. „Und ich nehme meine neue Stellung durchaus ernst …“

„So ernst, dass du nicht einmal zu deiner eigenen Hochzeit pünktlich erscheinst?“, unterbrach sie ihn spöttisch.

Wie konnte sie es wagen?

Es stand ihr weder an, ihm direkte Fragen zu stellen, und schon gar nicht, ihm einfach ins Wort zu fallen! Anstatt stolz und glücklich zu sein, den König von Qusay als Ehemann gewonnen zu haben, überfiel sie ihn gleich nach der Hochzeit mit Vorwürfen und Forderungen!

„Ich hatte meine Gründe fürs Zuspätkommen“, hörte er sich sagen.

„Die da wären …?“

Er konnte es nicht fassen!

Sie erwartete doch wohl nicht, dass er sich ihr erklärte? Was er gesagt hatte, war schon viel zu viel und wurde von ihr offensichtlich als Schwäche ausgelegt. Wie konnte sie nur so dreist sein, ihn auch noch aufzufordern, ihr seine Gründe darzulegen, die absolut seine Privatangelegenheit waren?

Immer noch starrte Layla ihn aus ihren violettblauen Augen abwartend an. Sie rechnete offenbar wirklich mit einer Antwort!

Was würde sie wohl sagen, wenn er ihr tatsächlich die Wahrheit gestand? Dass ihr neuer Ehemann manchmal befürchtete, den Verstand zu verlieren. Dass seine Narben oft derart schmerzten und brannten, sodass er die gerötete Haut um die Handgelenke herum fast aufgekratzt hätte? Oder wie er sich immer öfter dabei ertappte, dass er den Atem anhielt und lauschte, weil er vermeinte, irgendwo in der Ferne ein Kinderlachen zu hören, das ihm kalte Schauer über den Rücken jagte!

Xavian konnte sich Laylas Reaktion nur zu gut ausmalen! Besonders, wenn er ihr auch noch gestand, dass er überzeugt war, selbst dieses Kind zu sein …

„Du hast mich über eine Stunde warten lassen.“ Ihre wundervollen Augen erschienen ihm jetzt noch leuchtender und intensiver. „Und das ohne die geringste Erklärung oder Entschuldigung. Und dann erwartest du von mir zu glauben, dass du deine Pflichten tatsächlich ernst nimmst? Unsere Hochzeit heute war auch ein Pflichttermin! Und du …“

„Schweig!“ Seine Hand zuckte nach oben, als wolle er sie schlagen. Doch Layla wich nicht zurück, und Xavian, der noch nie eine Frau misshandelt hatte und es auch in Zukunft nicht beabsichtigte, wusste in einem Augenblick der Selbsterkenntnis, dass die heiße Wut, die unkontrolliert in ihm aufflammte, eigentlich ihm selbst galt.

Layla war im Recht. Er hatte seine Pflichten heute sträflichst vernachlässigt. Sonst grundsätzlich pünktlich, immer gut vorbereitet und eher akribisch genau bis pedantisch, und keineswegs so lässig wie in seinen Zeiten als Playboy, war er heute seiner neuen Rolle als verantwortungsvoller König und Herrscher nicht gerecht geworden.

Und deshalb sah er sich zu etwas gedrängt, was er nie zuvor getan hatte.

„Es lag nicht an dir“, sagte er ruhig und sah, wie sich eine kleine, steile Falte zwischen ihren Augen bildete. „Es war nicht meine Absicht, dich warten zu lassen. Oder meine königlichen Pflichten zu verletzen und unsere Hochzeit damit womöglich zur Farce zu machen …“

Xavian hörte sich selbst wie aus der Ferne reden und konnte kaum fassen, was er da gerade sagte. Zum ersten Mal gab er einem anderen Menschen eine Erklärung über sein Verhalten ab, die schon fast an eine Entschuldigung grenzte! Und es fühlte sich nicht einmal schlecht an.

„Es … ich habe unerwartet einen Brief erhalten.“ Die winzige Falte zwischen Laylas Brauen vertiefte sich. „Ich hätte ihn später, nach unserer Trauung lesen sollen. Ich wusste, er würde mich nicht unberührt lassen und womöglich beunruhigen.“ Xavian schluckte heftig, bevor er fortfuhr. „Und so war es dann auch.“

„Ich bin sicher, dass dir momentan viele Dinge im Kopf herumgehen“, sagte sie verständnisvoll. „Ich vermisse meine Eltern auch sehr, aber dein Verlust ist noch viel frischer und damit ungleich schmerzhafter. Deshalb akzeptiere ich deine Entschuldigung.“

Entschuldigung? Er hatte sich doch gar nicht bei ihr entschuldigt! Oder doch? Musste man das Wort Verzeihung überhaupt aussprechen, um sie zu erlangen?

Xavian verzichtete darauf, dieses Problem laut zu erörtern, räusperte sich kurz und fuhr einfach fort. „Wenn du wirklich der Ansicht bist, mehr Zeit mit seinem neuen König würde dem Volk auch mehr Sicherheit geben, dann sollst du deinen Monat haben“, versprach er hoheitsvoll. „Natürlich will auch die Bevölkerung von Qusay ihre neue Königin kennenlernen. Deshalb schlage ich vor, dass wir nach der Woche in der Wüste noch weitere sieben Tage hier im Palast anhängen, bevor wir in Richtung Haydar aufbrechen.“

Verdammt! Was war denn nur in ihn gefahren?

Seine Lippen bewegten sich wie von selbst, und es kamen Worte heraus, die nicht aus seinem Hirn zu stammen schienen, denn seine Gedanken rasten und überschlugen sich fast angesichts dieses ungewöhnlichen Verhaltens.

Hatte er sich etwa gerade verpflichtet, sechs lange Wochen an der Seite dieser Frau zu verbringen, die ihn absolut respektlos behandelte und sich auch jetzt noch weigerte, den Blick zu senken, während sie ihm antwortete?

„Ich bin sehr froh darüber, mehr Zeit in Qusay verbringen zu dürfen, um deine Heimat und dein Volk besser kennenzulernen …“

„Gut“, brummte er und fühlte sich irgendwie manipuliert. Misstrauisch versuchte er, in ihren wundervollen Augen zu lesen, und verspürte plötzlich den kaum bezwingbaren Wunsch, in dieser Sekunde die Schleier zu lüften, um mehr von dem seltsamen Wesen zu sehen, das jetzt seine Frau war. Doch das würde gegen jede Etikette verstoßen. Also öffnete er energisch die Tür, und wieder fiel Akmal fast ins Zimmer.

„Ich gehe davon aus, Sie haben alles Notwendige mitbekommen“, hielt Xavian seinem Großwesir sarkastisch vor. „Wie beschlossen, werden die Königin und ich nach der Zeit in der Wüste und dem öffentlichen Empfang eine weitere Woche in Qusay bleiben, bevor wir für einen Monat nach Haydar reisen. Sie können diese Information zusammen mit dem Hochzeitsfoto an die Presse weitergeben.“

Layla nickte ihrem Mann kurz zu und machte Anstalten, die Suite zu verlassen. Xavian starrte ihr verblüfft hinterher. Im Rausgehen wandte sie sich an den mindestens ebenso befremdeten Akmal.

„Bevor Sie den formulierten Text an die Medien weiterleiten, möchte ich ihn sehen.“ Dann wandte sie sich ihrem Mann zu. „Ich bin es gewohnt, alle Presseveröffentlichungen vorher persönlich zu prüfen. Du hältst es doch sicher genauso …“

2. KAPITEL

Xavian schäumte immer noch innerlich vor Wut und Frust, als sich der Helikopter in die Lüfte hob, um sie in die Wüste zu fliegen.

Was hatte Layla nur dazu getrieben, unangemeldet in seinen Privatbereich zu platzen und Forderungen an ihn zu stellen? Und wie kam sie dazu, ihn einfach wie ihresgleichen zu behandeln? Er war ein Mann und König von Qusay! Der Herrscher eines reichen, aufstrebenden Landes, das sowohl Öl wie die begehrten Smaragde für den internationalen Markt produzierte. Dessen Bevölkerung sich unter seiner strengen, aber gerechten Führung dem Fortschritt geradezu verpflichtet fühlte.

Sie war es, die ihn brauchte! Ihr Land war in Schwierigkeiten! Ihr Volk streckte sich nach seiner festen Hand aus, die es aus dem finsteren Mittelalter in eine helle Zukunft leiten sollte!

Aber es war nicht nur Laylas unangemessenes Verhalten, das ihn noch nachträglich in Rage brachte … nein, Xavian haderte auch mit sich selbst. Wie hatte er sich so weit vergessen können, ihr derartige Zugeständnisse zu machen? Die seit Jahren geplante Verbindung endlich wahr werden zu lassen, hatte ihn schon genügend Überwindung gekostet. Aber keinesfalls wollte er, dass ihm irgendjemand so nahe kam, wie es dieser Frau … seiner Frau heute gelungen war.

Und er hatte sich nicht bei ihr entschuldigt, egal, wie sie die Tatsachen hinterher zu verdrehen versuchte! Am liebsten hätte er ihr jetzt gleich auf die Schulter getippt und ihr das mit allem Nachdruck mitgeteilt.

Nicht einmal die endlose Sandwüste unter ihnen konnte heute sein aufgewühltes Inneres zur Ruhe bringen. Xavian war ernsthaft verärgert und bereit, Layla an den Platz in seinem Leben und ihrer Ehe zu erinnern, der ihr zustand.

Baja, die alte Zofe und offenbar Laylas engste Vertraute, begleitete ihre Herrin auf dem Flug, und Xavian konnte ihre stumme Missbilligung förmlich spüren, als er nach der Hand seiner Frau griff. Er war überrascht von den schlanken, perfekt manikürten Fingern, die sich wie ein zartes Vögelchen in seine warme Handfläche schmiegten.

Zum ersten Mal verspürte er nicht nur Neugier, sondern eine gewisse Vorfreude auf den Moment, wenn die Schleier fallen und er herausfinden würde, was sich hinter den goldenen Stofflagen verbarg.

„Weißt du eigentlich, dass uns ein richtiges Festmahl erwartet?“, fragte er spontan und lächelte amüsiert in sich hinein, als er sah, wie ihre Lider nervös flatterten, ehe sie den Blick senkte. Seltsam berührt von dem ersten Anzeichen bräutlicher Nervosität lehnte er sich zu ihr hinüber, ehe er fortfuhr. „Und nach dem Essen erwartet uns erst das eigentliche Fest …“

Nachdem sie gelandet waren, wurden sie von allen Bediensteten empfangen und begrüßt, die für das Wohlergehen des Brautpaares in Xavians luxuriöser Oase verantwortlich waren. Das prächtige Wüstendomizil glich weit mehr einem Palast als einem Zelt, sowohl von der Größe wie von der Ausstattung her. Und die Dienerschaft war so umfangreich, dass sie den roten Teppich, der vom Helikopter bis zum Eingang der beeindruckenden Behausung ausgelegt war, zu beiden Seiten säumte.

Laylas zierliche Füße, in den mit Juwelen besetzten goldenen Slippern, beim Betreten des Zeltes direkt neben seinen zu sehen, war für Xavian irgendwie befremdlich. So, als wenn sich allein durch ihren Eintritt die Atmosphäre seines geliebten Zufluchtsortes für immer veränderte. Bisher war er hierhergekommen, um allein zu sein … außer natürlich was seine temporären Geliebten betraf, denen er ab und zu die Gunst eines Tête-à-Tête in der Wüste gewährte.

Aber in erster Linie war es sein privater Rückzugsort, und Xavian wusste noch nicht, ob es ihm gefiel, ihn plötzlich teilen zu müssen. Doch zumindest für die nächsten Tage war es wohl unvermeidlich.

Er war jetzt ein verheirateter Mann!

Entlang der Zeltwände waren vom Boden bis zur Decke kleine Glöckchen befestigt worden, um das frisch vermählte Paar vor nahenden Dienstboten zu warnen. Doch jetzt läuteten sie, weil die Brautleute auf das Herz der Wüstenresidenz zusteuerten. Die Luft war erfüllt vom betäubenden Duft unzähliger Rosenblütenblätter, die großzügig auf den dicken Perserteppichen verstreut worden waren.

Und während Xavian einen schweren Seidenvorhang lüftete und zur Seite hielt, beobachtete er aufmerksam die Reaktion seiner Frau, als sie den Salon des riesigen Zeltes betrat. Er war traditionell dekoriert – antike Bilderteppiche zierten die Wände. Niedrige Sofas aus kostbaren Hölzern, versehen mit komplizierten Schnitzereien und Intarsien, prunkten mit Überwürfen aus Samt und Brokat. Darauf verteilt lagen dicke Seidenkissen, die in allen Farben des Regenbogens leuchteten.

Vervielfältigt wurde das prächtige Interieur, zu dem auch verschiedenste Instrumente gehörten, durch riesige Spiegel. Im sanften Schein der Öllampen und unzähligen Kerzen wirkten die massiven Goldteller und mit Juwelen besetzten Tassen und Schalen, die auf einem niedrigen Tisch standen, wie Kunstwerke.

Layla betrachtete mit gemischten Gefühlen die üppig aufgetragenen Köstlichkeiten des Hochzeitsmahles, während im Hintergrund Qusays berühmteste Musiker den Qanoon anstimmten, eine traditionelle Musik auf zitterähnlichen Instrumenten.

Xavian runzelte die Stirn. Alles war perfekt. Warum sagte Layla nichts dazu?

Vielleicht war sie ja schlichtweg überwältigt? Oder bedrückte es sie, dass ihr Wüstendomizil in Haydar mit seinem einfach nicht mithalten konnte? Oder stand sie deshalb so steif und starr da, weil sie Angst davor hatte, sich ihrem Mann später hingeben zu müssen?

Dafür konnte er sogar Verständnis aufbringen!

Interessiert beobachtete Xavian, wie Baja ihrer Herrin behilflich war, einen Schleier nach dem anderen abzulegen. Nach einiger Zeit wurde ihm bewusst, dass sich sein Herzschlag beschleunigte und er plötzlich sogar den Atem anhielt, als er feststellen musste, wie sehr er sich in der Einschätzung von Laylas Figur geirrt hatte.

O ja, ihre herausfordernd weiblichen Kurven waren nicht zu leugnen, doch sie zierten einen schlanken, biegsamen Körper. Langsam und voller Bewunderung schritt Xavian um seine Frau herum, um sie von allen Seiten begutachten zu können. Zum Vorschein gekommen war inzwischen ein kostbares, mit winzigen Juwelen besticktes goldenes Kleid, das ihre unglaublich hellen Arme freiließ und kurz unterhalb der Knie endete. Die zierlichen Fesseln schmückten rötliche Henna-Tattoos. Winzige Blüten an zarten Stengeln wuchsen von dort empor und zogen seine Aufmerksamkeit auf die wohlgeformten Waden.

Doch er bekam keine Gelegenheit, diese aufregenden Attribute seiner Frau noch ausgiebiger zu genießen, da Baja sich inzwischen anschickte, die Schleier vor Laylas Gesicht zu lüften. Und in der Sekunde, als Xavian zum ersten Mal in das zarte Antlitz seiner Frau schaute, war er verloren …

Sie war so unglaublich schön, dass es ihm den Atem verschlug. So unendlich viel attraktiver und hinreißender, als er es sich in seinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können.

Dichtes rabenschwarzes Haar fiel wie ein schillernder Wasserfall in sanften Wellen über ihre Schultern bis auf den Rücken hinab. Die hohen Wangenknochen zierte eine sanfte Röte, der großzügige Mund wirkte so weich und voll, dass er unbedingt zum Küssen reizte. Als Xavian sah, wie Laylas Unterlippe zitterte, schluckte er mühsam und fragte sich ernsthaft, ob er sich ihre harschen Worte von zuvor nicht eingebildet hatte. Diese anbetungswürdigen Lippen konnten doch sicher nur süße Liebesworte formen.

Er bot ihr seine Hand, um sie zu Tisch zu führen, doch Layla zögerte. „Ich möchte mich erst noch ein wenig umschauen.“

„Natürlich“, gab Xavian lächelnd nach und gratulierte sich zu seiner Menschenkenntnis. Sie war überwältigt von der Pracht um sie herum, wie er es bereits vermutet hatte! Ebenso wie von dem Gedanken, mit ihm allein an der Hochzeitstafel zu dinieren, und natürlich in Erwartung dessen, was danach folgen würde …

„Ich werde dir alles zeigen.“

Doch das kam zu spät, da Layla bereits im Zelt umherschlenderte, alles neugierig, und wie er langsam argwöhnte, womöglich kritisch inspizierte, hin und wieder anfasste und zwischen den Fingern prüfte. Zum Beispiel die kostbare, bestickte Überdecke auf einem der geschnitzten Sofas. Sie beendete ihren Rundgang so spontan, wie sie ihn begonnen hatte, und als sie sich ihrer Zofe Baja zuwandte, sah Xavian wieder die kleine steile Falte zwischen ihren wunderschön geschwungenen Augenbrauen.

„Wo ist mein Laptop?“

Die ältere Frau murmelte etwas Unverständliches, das nach einer Entschuldigung klang, und plötzlich reichte es Xavian.

„Wir sind hier in unseren Flitterwochen“, erinnerte er seine Gattin kühl. „Da wirst du sicher keinen Gedanken an Arbeit verschwenden wollen, oder?“

„Oh …“ Layla wandte sich um und schaute ihn überrascht an. So wie ihr weicher Mund das kurze Wort formte, war es die reinste Versuchung. Doch der verlockende Eindruck hielt nicht an, als sie weitersprach. „Ich wusste nicht, dass wir die ganze Woche brauchen, uns näher kennenzulernen, sondern hatte es so verstanden, dass du viel Zeit allein in der Wüste verbringen würdest …“

„Tagsüber werde ich natürlich unterwegs zu sein“, bestätigte Xavian steif. „Ich bin es gewohnt, in der Einsamkeit der Wüste nach Weisheit und Führung für meine Pflichten als König und Herrscher zu suchen.“

„Und … erwartest du von mir, dass ich dich dabei begleite?“, fragte Layla mit dem Ansatz eines Stirnrunzelns. „Ich wäre selbstverständlich glücklich …“

„Nein!“, kam es brüsk zurück. Das Entsetzen bei diesem Gedanken stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „In dieser Zeit der inneren Einkehr und Besinnung bin ich grundsätzlich allein.“

Layla nickte anscheinend gleichmütig. „Verstehe“, sagte sie knapp und wandte sich wieder Baja zu. „In diesem Fall verlange ich umgehend meinen Laptop.“

„Der Helikopter ist aber bereits zum Palast zurückgeflogen“, sprang ein Diener für die unglückliche alte Zofe ein. „Eure Hoheit …“, setzte er hastig hinzu, als ihn Laylas sengender Blick traf.

„Dann wird er bald dort ankommen. Also sorgen Sie dafür, dass er so schnell wie möglich mit meinem Notebook wieder hier ist. Immerhin …“, das war jetzt an Xavian gerichtet, „… kann wohl niemand von mir verlangen, den ganzen Tag hier nutzlos zu vertändeln, während mein Gatte Rat und Weisheit in der Wüste sucht. Schließlich habe auch ich ein Land zu regieren!“

Layla wusste sehr wohl, dass ihr Auftritt wenig Sympathie in den Anwesenden weckte. Ihr Verhalten war unweiblich und zumindest in den Augen der Männer anmaßend. Aber genau das war ihr Plan. Alles war besser, als dass Xavian die Wahrheit auch nur ahnte. Sie war ja selbst noch völlig überwältigt und schockiert von dem Ansturm der heftigen Emotionen, die sie verstörten, seit sie in seiner Nähe weilte.

Anscheinend ruhig und gelassen schlenderte sie weiter ins opulent ausgestattete Schlafgemach. Doch in Wahrheit war ihr Hals wie zugeschnürt, und sie brachte es nicht fertig, sich das riesige Bett näher anzuschauen, sondern wandte rasch den Blick ab und begutachtete stattdessen den angeschlossenen Badetrakt. In der Mitte, umgeben von hohen Spiegeln, stand eine tiefe Wanne. Zu beiden Seiten gab es niedrige Hocker, auf denen ihre Zofen sitzen würden, um sie zu waschen.

„Darf ich dir vielleicht noch den zauberhaften Garten zeigen?“, fragte Xavian gedehnt. Sein beißender Sarkasmus entlockte Layla das erste echte Lächeln.

„Ich habe den feinen Sand bereits nach unserer Landung gebührend bewundert“, entgegnete sie in leichtem Ton. „Ihn so sorgfältig zu sieben, damit er so fantastisch aussieht, muss ziemlich lange gedauert haben.“

„Stunden … Tage …!“, behauptete Xavian lachend und rollte sprechend mit den dunklen Augen.

Wie gern hätte Layla in sein Lachen eingestimmt, doch das wagte sie nicht. Auf keinen Fall durfte sie ihre Maske fallen lassen. Sie war diejenige, die hier den Ton vorgab. Die Bevölkerung von Haydar mochte sie für schwach halten, ihre Berater für manipulierbar, doch wenigstens ihr Mann sollte gleich von Anfang an wissen, dass sie kein kleines Mäuschen war, mit dem er umspringen konnte, wie er wollte!

„Jetzt werden wir das Hochzeitsmahl zu uns nehmen …“ Xavians dunkle Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. Und was er sagte, hörte sich mehr nach einem Befehl als nach einer Einladung an. Layla fühlte einen heißen Schauer über ihren Rücken rinnen, kehrte aber brav in den Hauptraum zurück und kniete sich vor dem niedrigen Tisch auf ein seidenes Polster.

Stumm und mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie einer der Diener zwei Kelche aus massivem Gold mit einem ebenfalls goldenen Nektar füllte. Dank ihrer sorgfältigen Recherche und Bajas unerschöpflichem Wissen über alte Traditionen wusste Layla, dass es sich dabei um einen seltenen und deshalb sehr kostbaren Honig handelte, der mit zwanzig fein gemahlenen Mandeln und hundert Pinienkernen vermengt war. Ergänzt wurde die brisante Mischung, die zur Steigerung der Libido gedacht war, noch mit Mohnsamen, die das Brautpaar zusätzlich enthemmen sollten.

Daran sollten ihr Gatte und sie sich gegenseitig laben, solange ihre Flitterwochen in der Wüste andauerten.

Ergeben ließ Layla sich die süße Mixtur, die ihm zügellose Hingabe von ihrer Seite garantieren sollte, von Xavian einflößen. Für ihr Empfinden viel zu schnell. Ihr Hals war derart zugeschnürt, dass sie Mühe hatte, nicht zu würgen. Als ein paar Tropfen ihr Kinn entlangliefen, fing Layla sie mit dem Finger auf und kostete davon. Denn der Brauch besagte, dass sie nicht einen Tropfen verschwenden durfte.

Als sie schließlich an der Reihe war, Xavian das Potenzmittel zu verabreichen, bebten ihre Hände. Wofür den Liebestrank geben? Er war auch so bereits viel zu … männlich!

Bald wirst du froh darüber sein, versuchte Layla sich einzureden. Und dankbar, dass der einzige Mann, mit dem du je Sex haben wirst und der mit dir königliche Erben zeugen will, ein derartiges Prachtexemplar ist!

Sie brauchte nur die erste Nacht zu überstehen, in der sie ihn völlig nackt sehen und seine … Liebesbezeugungen über sich ergehen lassen musste, und dann – nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung – würde er auch nicht länger ein Fremder für sie sein.

Die Musiker spielten immer noch unverdrossen den Qanoon, wobei sie die dünnen Saiten ihrer Instrumente viel sanfter zupften, als Laylas Herz in ihrer Brust schlug. Die harfenähnlichen Klänge füllten die mit Rosenduft geschwängerte Luft und zerrten an ihren Nerven.

Mit zitternden Fingern hielt sie Xavian den Becher an die Lippen und schaute fasziniert zu, wie sich sein Adamsapfel auf und ab bewegte, während er schluckte. Sein gut geschnittener herber Mund würde bald auf ihrem liegen, und der kraftvolle Körper, deren Hitze sie über die kurze Distanz zwischen ihnen auf ihrer Haut spürte, sie tief in die Kissen der dekadenten Lustwiese pressen, die nebenan auf sie wartete …

Layla fühlte eine Panik in sich aufsteigen, die von zu vielen langen und einsamen Nächten genährt war, in denen sie sich genau diese Situation immer wieder in der Fantasie ausgemalt hatte. Baja hatte ihr ein wenig darüber erzählt, was sie erwartete, und versprochen, sie weiter aufzuklären, wenn sie ihre Herrin für die Hochzeitsnacht vorbereiten würde.

Nachdem der Becher leer war, stellte Layla ihn auf den Tisch zurück und verharrte demütig und abwartend an der Seite ihres Mannes, so, wie es der Brauch verlangte. Ihr Hochzeitsmahl war sehr bedacht und voller Sorgfalt zusammengestellt worden. Ganz anders, als es bei dem noch folgenden aufwändigen und verschwenderischen Fest sein würde, das sie nach dem offiziellen Empfang in einer Woche erwartete und wo sich die Tische unter den reichhaltigen und opulenten Speisen förmlich biegen würden.

Heute gab es nur leichte Kost, die einzig und allein danach ausgesucht worden war, das Brautpaar zu stimulieren und auf die Hochzeitsnacht einzustimmen.

In kostbaren Schalen lagen hauptsächlich süße, reife Früchte, die ihnen als Energielieferanten dienen sollten und mit den Fingern gegessen wurden. Es gab keine Konversation, dafür aber einen nie abreißenden Augenkontakt, den Layla als viel sprechender empfand, als wenn Xavian mit ihr geplaudert hätte. Wenn er sich vorbeugte, um sie mit saftigen Fruchtspalten zu füttern, starrte er wie hypnotisiert auf ihre vollen Lippen, die unter dem glühenden Blick nervös zu beben begannen.

Die Wärme ihrer seidigen Haut, als er ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht strich, damit es nicht vom Fruchtsaft benetzt wurde, berauschte seine Sinne. Ganz tief inhalierte er ihren betörend femininen Duft, der wie ein Versprechen auf das war, was gleich folgen würde …

Und für Layla war jede Sekunde, die sie in seine dunklen Augen schaute, wie eine kleine Ewigkeit, in der unmerklich ihre Angst und ihr Widerstand einer wachen Neugier und Aufregung wichen, die nie geahnte Gefühle in ihr wachriefen. Es war wie die Antwort auf ein Geheimnis, dem sie schon seit langer Zeit auf die Spur kommen wollte.

Immer wieder wurden kleine Teller und Schälchen aufgetragen, geleert und wieder abgeräumt, bis Xavian die letzte, übrig gebliebene Frucht auf dem Tisch mit seinen schlanken Fingern zerteilte und ihr eine Hälfte des Granatapfels anbot. Die glatten roten Kerne glitten wie verführerisch süße Perlen über ihre Zunge, doch Layla brauchte gar kein weiteres Stimulans. Der betörende Rosenduft und die Melodie des Qanoons, die immer aufreizender und drängender wurde, taten ihr Übriges.

Layla nahm noch einen Schluck von dem frisch aufgebrühten köstlichen Pfefferminztee, um ihren Mund zu spülen, und beobachtete Xavian dabei aus den Augenwinkeln. Sein Blick ruhte auf ihren Brüsten, die sich seltsam schwer anfühlten, und augenblicklich schoss heiße Röte in Laylas Wangen. Mit Entsetzen spürte sie, wie sich ohne ihr Zutun die empfindlichen Brustspitzen verhärteten und steil aufrichteten.

Als sie Xavian leise auflachen hörte und das triumphierende Blitzen in seinen nachtschwarzen Augen sah, verschränkte sie instinktiv die Arme vor dem Oberkörper.

O ja! Xavian hegte nicht den leisesten Zweifel. Seine Braut war bereit für ihn – so bereit, wie man nur sein konnte …

Und dann war es endlich so weit. Plötzlich wünschte sich Layla, noch länger am Tisch verweilen und das harmlose und trotzdem unglaublich erregende Vorspiel verlängern zu können, das sie für Xavians Bett vorbereiten sollte. Und wenn nur, um den überraschenden Anflug von Lust und einer unbekannten Erregung auszukosten, die seine verlockende Nähe in ihr ausgelöst hatte.

Doch dann stand Baja plötzlich neben ihr, um sie ins Bad zu entführen, während Xavian scheinbar völlig gelassen aufs Bett zuschlenderte. In Bruchteilen von Sekunden war die Panik wieder da, stärker denn je. Gleichzeitig verspürte Layla eine prickelnde Aufregung, die ihr das Atmen schwer machte. Sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Drang, in die Wüste zu fliehen und Baja anzutreiben, damit sie endlich in den Genuss von Xavians ungeteilter Aufmerksamkeit kam.

Und Layla war sich ganz sicher, dass dieses Gefühl absolut nichts mit Granatäpfeln oder Mohnsamen zu tun hatte.

Im Baderaum wurde sie von eifrigen Dienerinnen gewaschen und mit duftendem Öl abgerieben. Ihren gertenschlanken Körper hatte Layla bereits in Haydar für ihren zukünftigen Gatten mit Henna-Tattoos schmücken lassen. Neben den Blütenranken, die sich von ihren Knöcheln und Handgelenken über Beine und Arme hochzogen, gab es noch einen kunstvoll ziselierten Schmetterling in Höhe ihres Bauchnabels.

Und gerade, als Layla sich zurücklehnte, die Augen schloss und sich ihrer Fantasie über einen dekadenten Kuss ihres Liebhabers an genau dieser delikaten Stelle hingeben wollte, platzte Baja mit äußerst nüchternen Fakten über die Brautnacht in ihren Tagtraum und zerstörte ihn aufs Brutalste.

Es würde möglicherweise ein paar eher funktionale Küsse geben, verriet sie der enttäuschten Braut, während sie ihr aus der tiefen Wanne half. Und danach würde der König die Initiative für das Gelingen des notwendigen Aktes übernehmen. Sie selbst würde dafür sorgen, dass in Griffnähe des Bettes noch mehr Öl zur Verfügung stand, das Seine Hoheit hoffentlich auch zu benutzen gedachte. Layla selbst solle einfach nur die Augen schließen, ihr Nachthemd anheben und tief atmen. Dann würde es nicht länger als notwendig dauern, bis sie ...

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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