Julia Gold Band 68

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  • Erscheinungstag 13.05.2016
  • Bandnummer 0068
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707422
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Renee Roszel, Helen Brooks, Sandra Marton

JULIA GOLD BAND 68

1. KAPITEL

„Mr. Parish, heute müssen Sie sich aber wirklich eine Frau aussuchen.“ Izzy Peabody legte ihrem Chef einen in feines Leder gebundenen Katalog auf den Schreibtisch. Sie ging etwas unsanft mit der Ledermappe um, denn Gabriel Parishs Plan begeisterte sie nicht gerade. Und das sollte er ruhig wissen. Sie würde ja sowieso bald kündigen. Seit einem Monat trug sie nun ihr Kündigungsschreiben in der Handtasche, hatte bisher jedoch nicht den Mut gefunden, es ihrem Chef zu geben.

„Was sagten Sie, Peabody?“, rief Gabriel Parish aus dem Badezimmer seines Büros in Manhattan und ließ sich kurz blicken. Izzy stockte der Atem vor Begeisterung. Obwohl sie ihren Chef, der fast einen Meter neunzig maß, schon oft in dieser Pose gesehen hatte – halb rasiert und mit nacktem Oberkörper – war sie immer wieder fasziniert von seinen breiten Schultern und seinem muskulösen Körper. Von diesem Traummann wäre jede Frau hingerissen gewesen. Und Izzy erlebte ihn jetzt seit drei Jahren, aus nächster Nähe. Er war ein Arbeitstier und sie liebte es mit ihm zu arbeiten, seine Begeisterung für Projekte. Aber sie hielt es einfach nicht mehr aus.

Sein schwarzes Haar war zerzaust. Mit seinen faszinierenden smaragdgrünen Augen sah er Izzy fragend an. Es war seit Langem ihr sehnlichster Wunsch, dass Mr. Parish mehr in ihr sah als nur seine zuverlässig funktionierende rechte Hand, denn Izzy hatte sich unsterblich in ihn verliebt. Doch das ahnte er natürlich nicht, und sie ließ sich auch nie etwas anmerken.

„Ich habe gesagt, dass Sie sich heute Zeit nehmen müssen, um Ihre Frau auszusuchen“, rief sie. Ihre Stimme klang völlig gelassen.

„Meine was?“ Er sah sie erstaunt mit diesen atemberaubenden Augen an. Wäre sie weniger niedergeschlagen gewesen, hätte Izzy über seine Reaktion gelacht. Es war lächerlich, dass Mr. Parish sich eine Frau aussuchte. Er wollte gar nicht heiraten. Warum auch? Er war ja ständig von den schönsten Frauen umgeben.

Izzy hob die schwarze Mappe hoch. „Für den Yum-Yum-Auftrag. Sie wissen schon.“

Mr. Parish verzog das Gesicht. „Ach ja, stimmt.“ Er verschwand wieder im Badezimmer und rief: „Okay, bin gleich da.“

Sie wollte gerade gehen, als er hinzufügte: „Ach, Peabody? Ich habe mein Hemd vergessen. Würden Sie mir bitte ein frisches bringen?“

Auch das noch, dachte sie. Dann muss ich seinen verführerischen Körper auch noch aus nächster Nähe ansehen. „Sofort, Mr. Parish“, antwortete sie mit bebender Stimme und machte sich auf den Weg zu seinem Kleiderschrank im Schlafzimmer, das ihr Chef immer benutzte, wenn es wieder einmal zu spät geworden war, um zu seinem Anwesen auf Long Island zurückzukehren.

Ihr erster Blick fiel auf das zerwühlte Bett. Warum er wohl gestern Abend hier geblieben ist? überlegte sie. Einen Geschäftstermin hatte er nicht gehabt, das wusste sie genau.

Sie hatte ein frisches Hemd gefunden und kehrte zum Badezimmer zurück, um es durch den Türspalt zu reichen. „Hier ist das Hemd.“

„Bringen Sie es mir bitte herein.“

Izzy blickte an die Decke. Womit habe ich das nur verdient? dachte sie missmutig. „In Ordnung, Sir.“

Mr. Parish trocknete sich das Gesicht mit einem flauschigen weißen Handtuch ab. Sie atmete tief ein, ihr wurde schwindlig von dem betont männlichen Duft. Schnell versuchte sie, sich wieder zu beruhigen.

Wände, Boden und Ablagen bestanden aus weißem Marmor, die Armaturen waren vergoldet. Über dem Waschbecken befand sich ein großer Spiegel, in dem Izzy ihren Chef sah. Selbst in diesem grellen Licht wirkte er unglaublich sexy mit seinem sinnlichen Mund, dem schwarzen Haar und den dichten Wimpern, die das faszinierende Grün seiner Augen betonten. Izzy ließ den Blick weiter nach unten gleiten. Als sie es bemerkte, sah sie schnell wieder auf und konzentrierte sich auf sein Kinn. Beim Anblick der breiten, muskulösen Brust war ihr wieder schwindlig geworden.

Er hängte das Handtuch auf und griff nach dem Hemd, das sie noch immer fest hielt. Erst als er ein wenig daran zog, erwachte sie aus ihrem Tagtraum. „He, Peabody? Alles in Ordnung?“, fragte er. Als sie das Hemd losließ, fügte er hinzu: „Wir könnten uns jetzt schnell den Katalog ansehen und eine geeignete Kandidatin aussuchen. Dann wäre das auch erledigt, bevor um acht Uhr die Konferenz mit den Leuten von Baxter beginnt. Sie wissen schon, das ist der Sportgerätehersteller.“

Sie nickte, den Blick starr auf die vergoldeten Armaturen gerichtet. Nur so zur Sicherheit … Die Vorstellung, im Badezimmer gemeinsam mit ihm eine Frau aussuchen zu müssen, missfiel ihr sehr. „In der Mittagspause hätten Sie aber mehr Zeit“, gab Izzy daher zu bedenken.

„Nein, ich möchte das jetzt hinter mich bringen.“

Also holte sie den Katalog des New Yorker Begleitservice, der einen überaus seriösen Ruf genoss. Alles gut und schön, dachte sie, aber es ist wohl kaum besonders seriös, eine Frau zu engagieren, die ihn auf eine tropische Privatinsel begleitet und vorgibt, mit ihm verheiratet zu sein. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie die beiden aller Welt das glückliche Ehepaar vorspielen würden. Izzy schüttelte den Kopf. „Ich muss diesen Job endlich aufgeben“, sagte sie leise vor sich hin.

Als sie ins Badezimmer zurückkehrte, hatte Mr. Parish sich zwar inzwischen das Hemd übergezogen, es jedoch noch nicht zugeknöpft. „Legen Sie die Mappe auf den Waschtisch. Ich sehe sie beim Anziehen durch.“

Izzy gab dem Impuls nach, noch einen letzten, verstohlenen Blick auf seine nackte Brust zu riskieren, bevor sie sich auf die Fotomappe konzentrierte.

„Auf dieser Seite ist nichts dabei. Blättern Sie um.“

Sie war mit ihren Gedanken gerade ganz woanders gewesen und erschrak. Schnell gehorchte sie.

Er hatte inzwischen das Hemd zugeknöpft. „Das ist auch nichts, Peabody.“

Wie unpersönlich das klang! Wieder schwor sie sich, bald, sehr bald zu kündigen. Automatisch blätterte sie wieder um. Auf jeder Seite waren vier bildschöne Frauen abgebildet. Unter jedem Foto befand sich eine Kurzbiografie. Doch kein Mädchen schien seinen hohen Ansprüchen zu genügen. Izzy sah auf und betrachtete ihr Spiegelbild: kastanienbraunes Haar, braune Augen und ein cremefarbenes Kostüm, das ihre Figur verbarg.

So kannte Mr. Parish sie seit drei Jahren. Damals hatte sie sich um die Nachfolge seiner ältlichen Direktionsassistentin beworben, und ihr war sofort bewusst geworden, dass Gabriel Parish eine tüchtige Kraft suchte und kein Glamourgirl.

Natürlich hatte sie sich für das Bewerbungsgespräch sorgfältig zurechtgemacht, doch dann hatte sie den großen Empfangsraum, in dem ihre Mitbewerberinnen warteten, unauffällig verlassen und im Waschraum ihr Make-up entfernt und ihr langes, lockiges Haar aufgesteckt. Schon hatte sie älter als dreiundzwanzig, tüchtig und unscheinbar gewirkt.

Genau wie jetzt. Unglücklich sah Izzy in den Spiegel. Es fiel ihr von Tag zu Tag schwerer, ihre wahre Persönlichkeit zu verbergen, denn sie war temperamentvoll und lebenslustig. Das Gehalt, das sie als Direktionsassistentin verdiente, war zwar ausgezeichnet, doch Geld allein machte sie nicht glücklich. Sie wollte endlich wieder sie selbst sein und ihr Leben genießen!

„Peabody?“

Izzy sah ihn fragend an. „Ja?“

Mr. Parish band sich die Krawatte und sagte: „Die Rothaarige sieht ganz gut aus.“

Sie betrachtete das Foto, auf das ihr Chef zeigte. Die Frau war von atemberaubender Schönheit, sie hatte hohe Wangenknochen, einen sinnlichen Mund und eine rote Lockenmähne, und sie lächelte sehr geheimnisvoll. Er hat wirklich ein Auge für weibliche Schönheit, dachte Izzy. „Sir …“ Sie räusperte sich. „Vielleicht sollten Sie noch zwei andere Damen aussuchen. Falls sie schon gebucht ist, meine ich.“

Als er nicht gleich antwortete, sah sie auf. Ein wissendes Lächeln umspielte seine schönen Lippen. Bei dem Anblick klopfte ihr Herz sofort schneller. „Was ist daran so komisch?“, fragte sie verblüfft.

„Ich bin sicher, die Rothaarige wird es einrichten können.“ In seinen Augen blitzte der Schalk, und ihr wurde bewusst, dass er sich über ihre Naivität amüsierte. „Erledigen Sie das bitte, Peabody.“ Er klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter und verließ das Badezimmer. „Wenn die Leute von Baxter kommen, sagen Sie mir Bescheid, ja?“

Izzy schluckte. „Ja, Sir.“ Sie berührte die Schulter, auf die er gerade geklopft hatte, und sah nachdenklich vor sich hin. Ihr Chef zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass die bildhübsche Rothaarige sich auf seinen Handel einlassen würde. Natürlich hatte er recht. Er würde ihr für die Woche, in der sie seine Frau spielen sollte, mehr zahlen, als sie sonst in einem Monat verdienen würde. Und der Vertrag sah auch vor, dass Gabriel Parish seine ‚Ehefrau‘ von Kopf bis Fuß neu einkleiden würde. Außerdem war er ausgesprochen sexy und darüber hinaus Millionär. Keines der Katalogmädchen würde sich so etwas entgehen lassen. Wahrscheinlich wären sie sogar bereit, auf das Honorar zu verzichten.

Als ihr bewusst wurde, dass sie sich noch immer die Schulter rieb, riss Izzy sich ungehalten zusammen und verließ das Badezimmer in Richtung Büro.

„Ach, Peabody?“

Sie blieb stehen und wandte sich um. Ihr Chef zog sich gerade ein Jackett an und kam auf sie zu. „Ja, Sir?“

„Versuchen Sie, weniger missbilligend dreinzublicken.“

Izzy errötete verlegen. Und sie hatte gedacht, er würde sie nur als Arbeitsmaschine betrachten, nicht als menschliches Wesen mit Gefühlen! Sie schluckte, als er sich an seinen Schreibtisch setzte und sie noch immer musterte. „Warum sollte ich heiraten, weil ein potenzieller Kunde verlangt, dass seine Werbekampagne von einer Agentur mit Familiensinn gemacht wird? Das wäre doch albern.“

Er nahm einen goldenen Kugelschreiber und zog einen Papierstapel zu sich heran. „Ich kann auch als Junggeselle hervorragende Werbekampagnen konzipieren. Wahrscheinlich sogar bessere, als wenn ich verheiratet wäre. Frauen können einem ja so viele Schwierigkeiten machen. Finden Sie nicht auch, Peabody?“

Izzy hob herausfordernd das Kinn. Offensichtlich betrachtete er sie nicht als Frau. Hoffentlich merkt er nicht, wie sehr er mich mit dieser Bemerkung verletzt hat, dachte sie. Gleichzeitig wusste sie natürlich genau, worauf er angespielt hatte. Sowie er eine Frau eine Zeit lang mit seinem Charme bedachte, begann sie, eifersüchtig und besitzergreifend zu werden und zu verlangen, dass er nur noch mit ihr zusammen sein sollte. Izzy hatte schon einige unschöne Szenen miterleben müssen, wenn Frauen, mit denen er ausging, sich mehr oder weniger zufällig in seinem Vorzimmer begegneten.

Kein Wunder, dass er keine besonders hohe Meinung von Frauen hatte!

Deshalb war er auch auf die Idee gekommen, bei einem Begleitservice ein Mädchen zu buchen, das eine Woche lang seine Ehefrau spielen sollte. Hätte er eine seiner Freundinnen gebeten, in diese Rolle zu schlüpfen, hätte sie sich vielleicht Hoffnungen auf eine langfristige Beziehung gemacht.

„Hat es Ihnen die Sprache verschlagen, Peabody?“

Ganz im Gegenteil, Mr. Parish, hätte Izzy am liebsten gerufen. Ich halte es einfach nicht mehr aus, jeden Tag Ihr verführerisches Lächeln zu sehen, Ihre sexy Stimme zu hören und Ihren männlichen Duft zu atmen, während Sie mich als Büromaschine betrachten. Ich kündige! Und zwar noch heute! Stattdessen riss sie sich zusammen, straffte sich und erwiderte kühl seinen Blick. Es missfiel ihr, wie ihr Chef den zurückgezogen auf einer Insel lebenden Inhaber einer Firma für Babynahrung hinters Licht zu führen plante. Das hatte der arme Mr. Rufus nicht verdient. Es spielte auch keine Rolle, dass er Gabriel Parishs Spiel wahrscheinlich nie durchschauen würde, weil er stets auf seiner Insel blieb. Es ging ums Prinzip.

„Soll ich vielleicht auch noch zwei Kinder für Sie organisieren?“, fragte sie unschuldig.

Mr. Parish betrachtete sie ungerührt. „Nein, eine Ehefrau reicht.“ Er wandte sich den Dokumenten auf seinem Schreibtisch zu. „Das wäre dann alles, Peabody.“

Izzy drehte sich um und floh aus dem Büro. Der dicke jadegrüne Teppichboden verschluckte ihre Schritte.

Dreizehn Tage nachdem Mr. Parish sich die bildhübsche Rothaarige ausgesucht hatte, die Dawn Day hieß, wurde es Zeit, den betrügerischen Plan in die Tat umzusetzen.

Am Morgen des 3. Mai, einem Sonntag, standen Izzy und ihr Chef auf dem Flughafen La Guardia im Warteraum der ersten Klasse. Immer wieder blickte Gabriel Parish nervös auf seine Armbanduhr. „Sie hätte schon längst hier sein müssen“, sagte er ärgerlich. „Haben Sie James mit der Limousine auf den Weg geschickt?“

„Ja, Sir.“ Izzy klappte ihr Notizbuch zu. Hoffentlich waren das jetzt genug Aufträge für die kommende Woche. „Sie wird sicher jeden Moment eintreffen.“ Sie wollte gerade das Notizbuch in die Handtasche stecken, fragte sicherheitshalber jedoch noch kurz: „Soll ich sonst noch irgendetwas für Sie erledigen, Sir?“

Er musterte sie mürrisch. „Haben Sie etwas gesagt, Peabody?“

„Ich wollte nur wissen, ob das dann alles wäre.“

„Ach so.“ Er ließ den Blick zur Tür gleiten, die jedoch geschlossen blieb. „Ja.“

Daraufhin verstaute Izzy das Notizbuch in der Handtasche. Dabei fiel ihr Blick auf den Umschlag, den sie seit Wochen mit sich herumtrug. Jetzt wäre eigentlich der passende Zeitpunkt, endlich zu kündigen, dachte sie. Mr. Parish hätte dann eine Woche Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen.

„Was ist mit dem Flugticket?“

Sie sah erschrocken auf und machte schnell ihre Handtasche zu. Die Kündigung konnte auch noch eine Woche länger warten. „Das ist ihr per Kurier zugestellt worden. Ich habe angerufen, und sie hat mir den Eingang bestätigt.“

Gabriel Parish runzelte die Stirn. In dem edlen schwarzen Anzug wirkte er noch männlicher. Izzy hatte die interessierten Blicke der anderen Frauen im Warteraum sehr wohl bemerkt, im Gegensatz zu ihm.

Plötzlich öffnete sich die Tür, und eine bildhübsche Frau mit scheinbar endlosen Beinen, die durch die hochhackigen Pumps noch länger wirkten, eilte herein. Ihr schickes gelbes Kostüm war figurbetont, und das lange rote Haar wirkte sehr verführerisch. Lächelnd ging sie auf Mr. Parish zu.

Die beiden sind wirklich ein schönes Paar, musste Izzy zugeben. Laut sagte sie: „Sie ist da.“

„Na endlich!“ Er wandte sich um und lächelte die Frau an. Hinter ihr war James, der Chauffeur, aufgetaucht. Er machte einen besorgten Eindruck. Offensichtlich befürchtete er, man würde ihn für die Verspätung verantwortlich machen.

Die Rothaarige streckte die Hand aus. „Mr. Parish? Ich bin Dawn Day“, sagte sie mit tiefer Stimme.

Izzy musste sich sehr zusammenreißen, um kühl und gelassen zu bleiben. Diese Frau würde nun also eine Woche mit Gabriel Parish auf einer einsamen Insel verbringen.

„Entschuldigen Sie bitte die Verspätung. Ich hatte ein kleines Problem, aber das hat nichts mit Ihnen zu tun.“ Dawn hielt sich instinktiv die Hand an die Wange, ließ sie aber schnell wieder sinken, als es ihr bewusst wurde.

Merkwürdig, dachte Izzy und betrachtete sie forschend.

Mr. Parish schüttelte ihr die Hand. „Freut mich sehr, Sie kennenzulernen“, sagte er mit einem strahlenden Lächeln. Sie schien ihm zu gefallen. „Sie haben es ja noch rechtzeitig geschafft.“

Dawn erwiderte sein Lächeln, zuckte dann aber kaum vernehmbar zusammen. Wieder hielt sie sich flüchtig die Wange.

„Alles in Ordnung?“, fragte Izzy misstrauisch und ging auf sie zu.

Dawn sah sie mit ihren großen blauen Augen verunsichert an. „Ja, natürlich. Kein Problem.“

Doch so leicht ließ Izzy sich nicht abspeisen. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Mädchen.

Dann wandte sie sich wieder Mr. Parish zu. „Meine Bordkarte habe ich auch schon. Von mir aus kann es losgehen.“

Er nahm sie ihr ab und steckte sie zu seiner Bordkarte in die Tasche. „Ein paar Minuten werden wir uns noch gedulden müssen.“ Er bot ihr einen Platz an. „Setzen Sie sich doch.“

Als die Rothaarige seiner Aufforderung folgte und Izzy ihr Profil sah, bemerkte sie, dass ihre Wange leicht geschwollen zu sein schien. Wieder berührte Dawn die Stelle, und Izzy schien es, als hätte sie Schmerzen.

James berührte Izzys Schulter. „Wann soll ich die beiden wieder abholen?“

Sie betrachtete weiterhin Dawns Profil. „Heute in einer Woche um siebzehn Uhr.“

„Soll ich jetzt fahren?“

„Warten Sie lieber, bis das Flugzeug in der Luft ist.“ Sie sah den Chauffeur von der Seite an. Er war jung und sah nett aus. Er war neu in dem Job, machte seine Sache aber sehr gut. „Letztes Jahr war das Flugzeug schon auf der Rollbahn, als der Pilot bemerkte, dass irgendetwas mit dem Triebwerk nicht stimmte. Der Flug musste verschoben werden. Mr. Parish kann es nicht leiden, seine Zeit auf Flughäfen zu verschwenden, wenn er stattdessen in seinem Büro arbeiten kann. Fahren Sie also immer erst los, wenn das Flugzeug abgehoben hat.“

James nickte ernst.

Izzy lächelte ihm aufmunternd zu. „Sie können sich übrigens jederzeit an mich wenden, falls Sie Fragen haben.“ Im nächsten Moment tat es ihr bereits leid, dass sie ihm das Angebot gemacht hatte, denn ihr war eingefallen, dass sie ja kündigen wollte.

James wirkte bereits viel gelassener. Er beugte sich zu ihr herunter und flüsterte verschwörerisch: „Ich glaube, der Lady geht es nicht besonders gut.“

„Genau das habe ich auch gerade gedacht.“

„Sie fasst sich immer wieder an die Wange, und während der Fahrt hat sie eine Schmerztablette nach der anderen geschluckt. Als sie gemerkt hat, dass ich sie beobachte, hat sie mich angeschnauzt, ich solle mich gefälligst um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und zusehen, dass ich zum Flughafen komme.“

„Ach, du liebe Zeit!“ Sie hatte so eine Ahnung, was mit dem Mädchen los sein könnte. Immerhin hatte sie drei Jahre lang während der Sommermonate in der Zahnarztpraxis ihres Vaters ausgeholfen. „Wenn ich recht habe, muss sie sich schleunigst in zahnärztliche Behandlung begeben“, sagte sie leise.

„Wenn Sie mich fragen, würde sie lieber sterben, als sich diese Reise entgehen zu lassen“, antwortete James.

Izzy sah ihn nachdenklich an. Wahrscheinlich hat er recht, dachte sie. Doch Miss Days Symptome deuteten auf einen Abszess hin, und der musste schleunigst behandelt werden, sonst würden die Schmerzen bald unerträglich werden.

Mr. Parishs herzliches Lachen erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie ließ den Blick zu der Rothaarigen gleiten, die sich gerade wieder die Wange hielt. Die Wirkung der Tabletten schien bereits nachzulassen.

Na wunderbar, dachte Izzy. Für Ersatz war es zu spät, aber dieses Mädchen würde nicht ins Flugzeug steigen, dafür würde sie schon sorgen. Es wäre unverantwortlich gewesen, es zuzulassen. Sie sah James entschlossen an. „Ich muss etwas tun“, sagte sie. „Das arme Ding hat ja keine Ahnung, was ihm bevorsteht.“

Er zuckte die Schultern. „Ich beneide Sie nicht um diese Aufgabe, Madam. Die Frau hat Haare auf den Zähnen. Wenn Sie nicht aufpassen, kratzt Sie Ihnen noch die Augen aus.“

Vielleicht sollte ich den Dingen ihren Lauf lassen, dachte Izzy. Doch im nächsten Moment schämte sie sich, so einen feigen Gedanken überhaupt zugelassen zu haben. Ihr Entschluss stand fest. „Vielen Dank, James“, sagte sie ironisch. „Sie sind mir wirklich eine große Hilfe.“ Dann straffte sie sich und ging auf Miss Day zu. Das Schicksal war dagegen, dass ihr Chef seinem potenziellen Auftraggeber etwas vorspielte. Doch wie sollte sie Miss Day dazu bringen, ihre Schmerzen zuzugeben, wenn diese gerade noch behauptet hatte, alles wäre in Ordnung?

Plötzlich hatte Izzy einen Geistesblitz. Entschlossen ging sie zu der Ledersitzgruppe hinüber, auf der Mr. Parish und Miss Day es sich gemütlich gemacht hatten, und fragte höflich: „Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“ Dann beugte sie sich über die Rothaarige und gab vor, einen Schmutzfleck in ihrem Gesicht entdeckt zu haben. Sie zog ein blütenweißes Taschentuch hervor und rieb damit Miss Days geschwollene Wange. „So …“

Ein entsetzter Aufschrei, und Dawn fuhr aus dem Sessel hoch. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, als sie zurückwich und sich die Wange hielt. „Sie gemeine Hexe!“, schrie sie. In ihren blauen Augen schimmerten Tränen. „Sie haben mir wehgetan.“

Mr. Parish war aufgestanden und betrachtete sie beide verwirrt. „Was, um alles in der Welt, ist hier eigentlich los?“

Dawn stöhnte. Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Es tut so weh! Das hat die gemeine Hexe absichtlich getan.“

„Haben Sie Miss Day gekniffen, Peabody?“

„Selbstverständlich nicht, Sir.“ Mitleidig beobachtete Izzy, wie Miss Day sich in den Sessel fallen ließ, sich mit beiden Händen das Gesicht hielt und stöhnend vor- und zurückwiegte.

Izzy legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. „Es tut mir sehr leid, aber Sie müssen den Zahn sofort behandeln lassen.“

Die Rothaarige sah wütend auf. „Gar nichts behandeln lassen muss ich. Mir geht es verdammt gut. Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten!“

„Sind Sie krank?“, fragte Mr. Parish besorgt.

„Ich fürchte, sie hat eine Wurzelentzündung, Sir“, erklärte Izzy ruhig.

„Das stimmt nicht! Sie lügen!“, rief Dawn und stöhnte vor Schmerz auf.

„Sie können jetzt an Bord gehen, Mr. Parish.“ Eine hübsche Stewardess war zu ihnen herübergekommen. „Kann ich irgendwie helfen?“, fragte sie.

Mr. Parish schüttelte den Kopf. „Danke, wir haben alles im Griff.“ Er rief James zu sich und zeigte auf Miss Day. „Fahren Sie die Lady zu meinem Zahnarzt. Seine Privatnummer ist im Autotelefon programmiert.“

„Aber heute ist Sonntag, Sir“, gab James zu bedenken.

„Er ist ein guter Freund von mir. Er wird sich um sie kümmern.“ Mr. Parish reichte der Rothaarigen die Hand. „Ich bin sehr enttäuscht, Dawn, aber ich kann es nicht zulassen, dass Sie in Ihrem Zustand auf Reisen gehen.“

Sie sah ihn flehend an. „Aber ich brauche den Job.“

Izzy bemerkte, wie verstört er war. „Ich werde dafür sorgen, dass Sie angemessen entschädigt werden, Miss Day. Und nun lassen Sie bitten den Zahn behandeln.“

Er half Dawn hoch und überließ sie der Obhut seines Chauffeurs.

Die anderen Passagiere begannen, an Bord des Flugzeugs zu gehen. Izzy beobachtete, wie ihr Chef seiner ‚Ehefrau‘ nachsah. Mit ihr entschwand die Chance, den Etat für die Yum-Yum-Babynahrung zu bekommen.

Als sie ihn so sah, niedergeschlagen und offensichtlich äußerst unzufrieden mit seinem Schicksal, tat er ihr fast leid. Ihr Chef hatte sich solche Mühe gegeben, gerade diesen Kunden zu gewinnen. „Sie werden sicher einsehen, dass es so besser ist, Mr. Parish“, sagte sie langsam.

Er musterte sie wütend. Ein Gabriel Parish gab niemals auf. Er brauchte die Herausforderung, und erst wenn er sein Ziel erreicht hatte, war er zufrieden. Das Geld war dabei nur nebensächlich. Und nun entging ihm diese Chance!

Einerseits war Izzy froh, dass ihr Chef nicht mit dieser Rothaarigen auf eine tropische Insel flog, andererseits meldete sich aber auch ihr schlechtes Gewissen. Aber was hätte ich denn tun sollen? überlegte sie. Das Schicksal hatte es anders gewollt. Sie räusperte sich und begegnete seinem wütenden Blick. „Ich versuche, ihr Gepäck von Bord bringen zu lassen, Sir, aber ich weiß nicht …“

„Nein!“ Er umfasste ihren Arm. „Peabody, Sie werden meine Ehefrau spielen.“

2. KAPITEL

Sie sollte seine Frau spielen? Wie oft hatte sie davon geträumt, eines Tages seine Frau zu sein. Aber für immer, nicht nur für eine Woche!

Das war ja nun wirklich eine Ironie des Schicksals. Izzy erholte sich nur langsam von dem Schock, ins Flugzeug gezerrt worden zu sein. Erst als sie die Reiseflughöhe von dreißigtausend Fuß erreicht hatten und in Richtung Miami unterwegs waren, fand Izzy langsam in die Wirklichkeit zurück. Wütend funkelte sie ihren Chef an, der neben ihr telefonierte und sich hervorragend zu amüsieren schien. Sein Lachen wirkte so ansteckend, dass andere Passagiere sich lächelnd umdrehten.

Nur Izzy blieb ernst. Gabriel Parish hatte ihren zornigen Blick bemerkt und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Das brachte sie noch mehr auf. Wie hatte er es wagen können, sie ins Flugzeug zu zerren? Sie hatte ja nicht einmal eine Zahnbürste dabei! Erwartete er wirklich, dass sie eine Woche lang für ihn lügen sollte?

Schließlich beendete er das Telefongespräch. „Okay, Peabody“, sagte er. „Ich weiß, dass Ihnen das alles nicht sonderlich gefällt.“ Als sie etwas erwidern wollte, hob er die Hand und fuhr fort: „Mir übrigens auch nicht.“ Er setzte sich so, dass er sie besser sehen konnte. „Aber immerhin erhalten Sie eine neue Garderobe, und ich zahle Ihnen die Überstunden.“ Er lächelte charmant.

Izzy verzog keine Miene, sondern hob nur herausfordernd das Kinn und fragte mürrisch: „Der Gedanke, dass ich diese ganze Angelegenheit unfair finden und mich weigern könnte mitzumachen, ist Ihnen wohl noch nicht gekommen, oder?“

Sein Lächeln war nicht mehr ganz so strahlend. „Doch.“

„Aber Sie haben ihn gleich wieder verworfen.“

„Stimmt.“

Sie wandte sich ab und sah aus dem Fenster. Unter ihnen zogen weiße Wolken vorbei. „Es gefällt mir nicht, dass Sie sich meiner so sicher sind, Mr. Parish.“

„Sind Sie auf eine Gehaltserhöhung aus, Peabody?“, fragte er amüsiert.

Sie fuhr herum und funkelte ihn wütend an. „Im Leben gibt es wichtigere Dinge als Geld, Sir.“

„Gute Taktik.“ Gabriel Parish nickte anerkennend, „Sind Sie mit fünf Prozent einverstanden?“

Sie sah ihn sprachlos an.

Er lachte vergnügt. „Also gut. Sieben.“

Izzy gab auf. Stöhnend ließ sie sich in ihren Sitz zurückfallen. „Ich will keine Gehaltserhöhung, Mr. Parish. Allein die Vorstellung, diesen netten Mann zu belügen, ist mir zuwider.“

„Wenn Sie ihn mögen, sollten Sie bei meinem Plan mitmachen.“

„Wie bitte?“

„Er braucht mich, Peabody.“ Gabriel Parish lehnte sich vor. Instinktiv drückte sie auf einen Knopf, um die Rückenlehne ihres Sitzes nach hinten zu kippen. Er lächelte wissend. „Sie benehmen sich schon jetzt wie eine Ehefrau.“

Sie verzog das Gesicht. „Sie haben komische Ansichten von der Ehe.“

„Das spielt doch hierbei überhaupt keine Rolle.“

„Doch. Ich sollte nicht hier sein und bin es trotzdem.“ Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, weil er ihr so nahe war. Verzweifelt drückte sie wieder auf den Knopf, doch der Sitz ließ sich nicht weiter verstellen.

„Wollen Sie damit sagen, das Leben ist unfair, Peabody, und wir müssen mit den Karten spielen, die wir bekommen?“

Obwohl sie nicht wusste, was sie hatte sagen wollen, nickte sie.

Gabriel Parish sah sie nachsichtig an. „Und Sie glauben, ich würde nicht die Karten ausspielen, die ich bekomme?“

„Genau. Sie sind ein Falschspieler.“

„Das stimmt nicht, Peabody. Ich könnte niemanden betrügen.“

Izzy sah ihn einen Moment erstaunt an. „Nein? Das wage ich zu bezweifeln.“

Er lächelte verführerisch. „Ich will es Ihnen erklären, Peabody. Man kann eine Firma betrügen oder seine Ehefrau, aber niemals seine Eingebungen, seine Ideen.“ Gespannt wartete er auf ihre Reaktion. „Qualität kann man nicht betrügen. Egal, ob ich verheiratet bin oder nicht, ich werde gute Arbeit leisten für den alten Rufus.“ Er stupste sie freundschaftlich an. „Können Sie sich wirklich vorstellen, ich wollte den Mann betrügen?“

Izzy betrachtete ihn sprachlos. Wie machte er das nur? Insgeheim wusste sie natürlich, dass er exzellente Arbeit liefern würde. Die Werbekampagne für die Babynahrung des alten Rufus würde wie eine Bombe einschlagen. Gabriel Parish war sehr talentiert. Er wusste, wie man Leute dazu brachte, etwas zu kaufen, was sie gar nicht haben wollten. ‚Wer nicht wagt, der nicht gewinnt‘ war sein Motto. Okay, er meinte es also nur gut mit Rufus. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er ihm etwas vormachte. Schließlich war er nicht verheiratet und tauchte doch mit einer Ehefrau auf. „Tut mir leid, Mr. Parish. Ich mache das nicht mit.“

Mr. Parish blickte ihr minutenlang tief in die Augen. Sie wurde sich seiner Nähe immer deutlicher bewusst. Schließlich wusste sie sich nicht anders zu helfen, als ihn anzufunkeln.

Er lächelte.

Langsam geriet sie in Panik. Wenn er sie noch eine Sekunde länger so ansah, würde sie alles für ihn tun. „Würden Sie …“ Izzy räusperte sich. „Würden Sie bitte so nett sein, sich zurückzulehnen, Sir?“

Er zog eine Augenbraue hoch, lehnte sich jedoch zurück. Offenbar war er plötzlich tief in Gedanken versunken.

Was heckt er denn jetzt wieder aus? überlegte sie. Ihr Chef war scharfsinnig und bediente sich häufig ungewöhnlicher Mittel. Er war fünfunddreißig Jahre alt und wurde ‚das junge Werbegenie‘ genannt. Und das wollte in New York etwas heißen. Er war mit seinem Beruf verheiratet. In den drei Jahren, die sie nun für ihn arbeitete, hatte sie sich kein einziges Mal beschwert, obwohl er wirklich sehr viel von ihr verlangte. Sie befürchtete, er würde ihre Weigerung, bei seinem Täuschungsmanöver mitzumachen, persönlich nehmen. Vielleicht behauptete er sogar, sie würde seine Existenz aufs Spiel setzen.

Izzy sah aus dem Fenster und seufzte. Vielleicht blieb es ihr sogar erspart, ihm ihr Kündigungsschreiben zu überreichen.

Tiefe Sehnsucht erfüllte sie. Wenn Mr. Parish doch nur wüsste, wie sehr sie sich danach sehnte, seine Frau zu sein. Seine richtige Ehefrau, die er liebte und mit der er glücklich sein könnte. Doch das alles nur zu spielen überstieg ihre Kraft. Sie könnte es nicht ertragen.

Izzy atmete tief ein und versuchte, zu ihrer alten Gelassenheit zurückzufinden. Für Tränen war jetzt der falsche Zeitpunkt. Nachdem sie eine ganze Weile aus dem Fenster geblickt hatte, begann sie sich zu ärgern, dass Mr. Parish einfach schwieg. Warum sagte er nicht einfach: „Sie sind entlassen“? Aber nein, er musste sie mit seinem Schweigen um den Verstand bringen!

Sie wandte sich weitere zehn Minuten lang ab, dann hielt sie es nicht mehr aus. Ich fange gleich an zu schreien, wenn er nicht bald etwas sagt, dachte sie und riskierte einen Seitenblick auf ihren Chef.

Erstaunt bemerkte sie, dass er die Rückenlehne nach hinten gekippt hatte und zu schlafen schien. Selbst im Schlaf wirkte er sexy.

Aber wieso konnte er schlafen, wenn es die Situation doch erfordert hätte, dass er mit allen Mitteln versuchte, sie umzustimmen? Es sah ihm gar nicht ähnlich, sich kampflos geschlagen zu geben. Verwundert wedelte Izzy mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um festzustellen, ob er wirklich eingeschlafen war.

„Versuchen Sie, meine Aufmerksamkeit zu erregen, oder glauben Sie, mir wäre heiß?“

Sie fuhr erschrocken zurück. „Ich dachte, Sie schlafen.“

Mr. Parish sah sie an. „Ich habe nachgedacht.“

„Hoffentlich über etwas Schönes.“

„Ich habe über Sie nachgedacht.“ Er betrachtete sie forschend. Dabei entging ihm natürlich auch nicht, dass sie errötet war.

Izzy saß wie erstarrt da und wusste nun erst recht nicht, was sie sagen sollte.

„Wussten Sie nicht, dass ich über Sie nachdenke?“, fragte er und lächelte jungenhaft.

Sie schüttelte den Kopf.

„Das tue ich aber.“ Mr. Parish umfasste ihre Hand. „Es tut mir leid, dass Sie das Gefühl haben, ich wäre mir Ihrer zu sicher.“

Es prickelte, wo er sie berührte. Erst nur dort, gleich darauf am ganzen Körper. Behutsam zog sie die Hand weg und rieb sie geistesabwesend. Sowie er sie berührte, konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Izzy nickte, zum Zeichen, dass sie seine Entschuldigung annahm. Als sie etwas sagen wollte, brachte sie kein Wort über die Lippen. Sie schluckte.

„Sind Sie wütend auf mich?“

Wieder schüttelte sie den Kopf.

„Gut.“ Er machte die Augen zu. „Jetzt fällt mir aber ein Stein vom Herzen.“

Sie sah ihn an. „Und was wird jetzt mit der Werbekampagne für Babynahrung?“, erkundigte sie sich, bevor sie sich der Tragweite dieser Frage bewusst wurde.

Mr. Parish antwortete nicht, sondern saß einfach nur ruhig und mit geschlossenen Augen da. Wie lang und seidig seine Wimpern sind, dachte Izzy verträumt. Ob er nun doch eingeschlafen war? Sie bezweifelte es. Wahrscheinlich wollte er sich nur vor einer Antwort auf ihre Frage drücken.

Izzy wandte den Blick ab und dachte über Mr. Rufus nach. Sie kannte den älteren Herrn nur vom Telefon. Er war stets gut gelaunt und ein richtiger Schatz.

Hugo Rufus’ Babynahrung war seit den fünfziger Jahren auf dem Markt, und seine Werbung hatte sich seitdem kaum verändert. Inzwischen erschien sie altmodisch und hausbacken. Was hatte Mr. Parish vor wenigen Minuten gesagt? „Er braucht mich.“ Izzy dachte darüber nach. Ob der liebe Mr. Rufus kurz vor dem Bankrott stand? Ob seine Privatinsel mit Hypotheken belastet war?

Sie blickte gedankenverloren aus dem Fenster. War die neue Werbekampagne Mr. Rufus’ letzter Versuch, seine Firma vor dem Ruin zu bewahren?

Man musste die neue Elterngeneration mit neuen Werbemitteln auf sich aufmerksam machen, denn mit den alten Methoden ließen sich keine Umsätze mehr erzielen. Die Spots mussten eingängig und spektakulär sein, denn etwas anderes verstand die ‚Zapping-Generation‘ ja nicht.

Izzy ließ den Blick zu ihrem Chef gleiten. Sie hatte seine Entwürfe gesehen und auch den Jingle gehört. Die Erkennungsmelodie würde sich bestimmt als Ohrwurm erweisen. Er hatte sogar eine topaktuelle Rockband dafür gewinnen können. Die Mitglieder der Band waren alle vor kurzem Vater geworden, und auch die Babys sollten in den kurzen Werbefilmen mitspielen. Bei dieser Werbung musste sich die Babynahrung einfach wieder verkaufen.

Es schien, als hätte die Firma des netten Mr. Rufus wirklich nur noch mit Gabriel Parishs Werbefeldzug eine Überlebenschance. Ohne ihn würde der Babynahrungshersteller vermutlich bald Konkurs anmelden müssen. Dann würden einige Tausend Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Konnte sie das wirklich riskieren? Wollte sie die Verantwortung dafür übernehmen? Izzy überlegte verzweifelt hin und her. Wie sie es auch drehte und wendete, ihr blieb nur ein Ausweg: Sie musste bei Gabriel Parishs Spiel mitmachen, um die Firma von Hugo Rufus zu retten.

Izzy umfasste die Hand ihres Chefs, zog die Hand jedoch gleich wieder fort. „Okay, Sir. Ich bin dabei.“

Er lächelte kurz. „Ich weiß, Peabody.“ Nicht einmal die Augen schlug er auf.

Izzy, die ihre Kleider sonst nur im Kaufhaus erstand, fühlte sich in der ungewohnten Umgebung am falschen Platz. Sie saß auf einem kostbaren Stuhl aus der Zeit Ludwigs XIV. in einer exklusiven Boutique in Miami, bekam Appetithäppchen gereicht und betrachtete magersüchtige Models, die extra für sie Designermoden vorführten und Mr. Parish aufreizend zulächelten und dabei mit falschen Wimpern klimperten. Bei den Lippen schien jemand mit Collagen nachgeholfen zu haben.

Von ihr schien niemand Notiz zu nehmen, alle hatten nur Augen für den Mann an ihrer Seite. Kein Wunder, dachte Izzy. Mein graues Kostüm und meine flachen Schuhe mit Gummisohlen sind natürlich nicht gerade der letzte Schrei.

„Das nehmen wir auch“, sagte Mr. Parish.

Sie sah auf. Das Mädchen warf ihm einen so aufreizenden Blick zu, dass man nicht genau sagen konnte, ob er es oder die violette Shortskombination mit farblich dazu passenden Plateausandaletten, Hütchen und Poloschläger meinte.

„Hoffentlich fühlen sie sich auf der Insel nicht verpflichtet, ein Pferd passend einzufärben“, sagte Izzy leise vor sich hin. Seit zwei Stunden ließ sie nun geduldig die Modenschau über sich ergehen, aber dieses lila Ding da war zu viel! Sie hatte genug.

Mr. Parish betrachtete sie interessiert von der Seite. „Haben Sie ein Problem damit?“

„Womit? Mit einem lila Pferd oder dem Outfit?“

Er beugte sich vor. „Die Farbe würde wunderbar zu Ihren braunen Augen passen“, sagte er lächelnd.

Es überraschte sie, dass er ihre Augenfarbe erwähnte. „Ich wusste gar nicht, dass Sie meine Augenfarbe kennen“, antwortete sie erstaunt.

„Ich habe auf der Fahrt hierher etwas genauer hingesehen“, erklärte er und widmete sich dem nächsten Model.

„Das wäre aber nicht nötig gewesen, Sir. Ich hätte Ihnen auch eine Aktennotiz zukommen lassen können.“ Sie war beleidigt, weil sie nun seit drei Jahren für ihn arbeitete und er erst vor wenigen Stunden ihre Augenfarbe bemerkt hatte.

Mr. Parish sah sie kurz von der Seite an. „Soll ich Ihnen mitteilen, welche Farbe meine Augen haben?“, fragte er. „Als meine Frau sollten Sie darüber informiert sein.“

Izzy schluckte mehrmals. Niemals würde sie die Farbe seiner Augen vergessen können, sosehr sie sich auch bemühen würde. „Nein, danke, Sir, ich sehe sie mir nachher kurz an.“

Nun blickte er ihr tief in die Augen. Er war ihr so nahe, dass sie ihn hätte küssen können, wenn sie nur den Mund gespitzt hätte. „Warum nicht jetzt? Was sehen Sie?“

Ihr wurde heiß und kalt. Sie konnte dem Impuls kaum widerstehen, ihn zu küssen. Doch dann lehnte sie sich, so weit es ging, in ihrem Sitz zurück und gab sich so unbeteiligt wie möglich. „Grün, würde ich sagen“, antwortete sie heiser. „Ich schreibe es mir auf, damit ich es nicht vergesse.“ Sie sah schnell weg und erhaschte noch einen letzten Blick auf das Model im lila Outfit, das mit schwingenden Hüften dem Ausgang zustrebte. „Übrigens würde ich gern auf Hut, Schuhe und Poloschläger des letzten Modells verzichten.“

„Entspannen Sie sich, Peabody.“ Mr. Parish zwinkerte ihr amüsiert zu. Noch immer war er ihr viel zu nahe. „Es könnte Ihnen gefallen.“

Izzy runzelte die Stirn und kämpfte gegen die erotische Wirkung seines Vorschlags an. „Auf diesen halsbrecherischen Absätzen kann ich mich nicht entspannen. Und die armen Vögel, die ihre Federn für dieses Ungetüm von einem Hut lassen mussten. Aber über den Poloschläger kann ich ja noch mal nachdenken.“

Er lachte vergnügt und nahm ihre versteckte Drohung mit Humor. „Sie sind müde.“ An die Besitzerin der exklusiven Boutique gewandt, fügte er hinzu: „Das genügt. Lassen Sie die Sachen bis heute Abend in mein Hotel bringen.“

Izzy war entsetzt. Erstens waren die Sachen unglaublich teuer, zweitens würden sie wohl eher von einer Geliebten als von einer Ehefrau getragen werden. Dem konservativen Hugo Rufus wären sie ganz sicher zu gewagt. Da Izzy wusste, dass es zwecklos war, ihren Chef umzustimmen, griff sie zu einer kleinen List. „Mr. Parish?“

„Ja?“ Er wirkte sehr selbstzufrieden, als er sich zu ihr umdrehte.

„Ich glaube, ich sollte noch eine Weile hier bleiben – falls einige Sachen geändert werden müssen.“

„Selbstverständlich.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber Sie haben natürlich recht. Und Sie sollen sich ja in der Kleidung wohlfühlen, Peabody.“

Izzy biss die Zähne zusammen. Und wann soll ich all die Klamotten anziehen? fragte sie sich. Sie wurde ja nicht gerade täglich zu Krönungszeremonien oder zu Gartenpartys im Weißen Haus eingeladen. Und sie würden die kommende Woche auch nicht auf der Luxusjacht eines Hollywood-Schauspielers verbringen, wo die Kleidung vielleicht angemessen gewesen wäre, sondern auf der einsamen Insel des konservativen Mr. Rufus, dem es eher auf ein glückliches Familienleben ankam.

„Ich muss noch einiges ausarbeiten. Lassen Sie sich aber ruhig Zeit. Ich schicke Ihnen die Limousine zurück.“

„Danke.“ Sowie Mr. Parish verschwunden war, zählte Izzy langsam bis zehn und sprach dann die Inhaberin der Boutique an. „Ich möchte Mr. Parishs Bestellung etwas abändern“, sagte sie nervös.

Die Inhaberin zuckte kaum mit der Wimper. „Wie Sie wünschen, Miss. Wollen wir gleich anfangen?“

Izzy senkte verlegen den Blick. Die Frau wusste natürlich genau, dass sie, Izzy, nicht mit Mr. Parish verheiratet war. Natürlich war es nicht gerade hilfreich gewesen, ihren Chef mit ‚Mr. Parish‘ anzureden. Sie musste sich daran gewöhnen, seinen Vornamen zu benutzen. Sie sah auf. „Ja. Zuerst streichen Sie bitte dieses lila Polo-Ensemble von der Liste.“

Der Flug nach Tranquillity Island war für den kommenden Morgen vorgesehen. Nach dem langen, anstrengenden Tag war Izzy erschöpft. Bis kurz vor acht Uhr abends war sie in der Boutique damit beschäftigt gewesen, Änderungen vornehmen zu lassen und Kleidungsstücke aus der Bestellung zu streichen. Die Schneiderinnen machten Überstunden, um alles termingerecht zu erledigen.

Den größten Teil der Kollektion brachte Izzy selbst mit ins Hotel, der Rest wurde gegen halb zehn Uhr abends geliefert.

Izzy hatte geduscht und überlegte, ob sie in den vielen Kartons und Taschen nach einem Nachthemd suchen sollte. Als ihr Blick auf einen weißen Hotelbademantel fiel, beschloss sie hineinzuschlüpfen. Dann begann sie, ihr Haar trocken zu rubbeln. Gleich darauf klopfte es an der Tür. Das sind bestimmt die Koffer, die Mr. Parish für mich hat besorgen lassen, dachte sie, wickelte das Handtuch zu einem Turban und ging zur Tür. Da im Spion niemand zu sehen war, schob sie den Riegel vor und öffnete die Tür einen Spaltbreit. „Ja, bitte?“

Wieder klopfte es, diesmal hinter ihr. Erschrocken wirbelte sie herum. Das Geräusch kam von der Verbindungstür zu Mr. Parishs Hotelzimmer.

„Peabody?“

„Ja, Sir?“ Sie überlegte, was Mr. Parish zu dieser späten Stunde noch wollte. Musste sie sich etwa noch umziehen, um jetzt ein Diktat aufzunehmen?

„Ich habe uns etwas zu essen bestellt. Sie haben doch bestimmt Hunger.“

Verblüfft ließ sie sich gegen die Tür sinken, die prompt wieder ins Schloss fiel. „Essen?“

„Ich verstehe nicht, was Sie sagen, Peabody. Lassen Sie mich rein.“

„Einen Moment.“ Sie war so daran gewöhnt, seinen Bitten nachzukommen, dass sie zur Verbindungstür eilte und sie weit öffnete.

Lächelnd stand er vor ihr, bekleidet mit einer beigefarbenen Hose und einem kurzärmeligen grünen Hemd, das die Farbe seiner Augen betonte. Er sah einfach fantastisch aus! „Komme ich ungelegen?“, fragte er.

Im ersten Moment wusste sie nicht, was er meinte, doch dann fiel ihr ein, dass sie nur mit einem Bademantel bekleidet war und einen Frotteeturban trug. „Ich … ich habe gerade …“ Sie zeigte aufs Badezimmer.

„Das habe ich mir schon gedacht.“ Er wies auf den gedeckten Esstisch in seinem Zimmer. „Kommen Sie, Peabody. Essen Sie, solange es warm ist.“

Izzy ließ prüfend den Blick an sich hinabgleiten. Der voluminöse Bademantel reichte ihr bis zu den Füßen, die in Frotteepantoffeln steckten. Sie war also gut verhüllt. Erleichtert betrat sie das Zimmer. Erst jetzt bemerkte sie, wie hungrig sie war.

„Es war sehr nett, an mich zu denken, Mr. Parish.“ Sie hatte ihn schon auf vielen Geschäftsreisen begleitet. Meistens aßen sie mit dem Kunden zu Abend, wobei sie sich Notizen machte und Mr. Parish die Unterlagen reichte, die er benötigte. Nach dem Essen war sie bisher immer auf ihr Zimmer gegangen und hatte gelesen, bis ihr die Augen zugefallen waren. Noch nie zuvor hatte Mr. Parish vom Zimmerservice ein Abendessen für zwei Personen bringen lassen.

„Sie tun mir einen großen Gefallen, Peabody. Da ist es doch wohl das Mindeste, dass ich Ihnen wenigstens etwas zu essen bestelle.“ Er rückte ihr lächelnd den Stuhl am gläsernen Esstisch zurecht.

Izzy fühlte sich von seinem Charme wie geblendet und sah schnell aus dem Fenster, um sich abzulenken. Offensichtlich schien es ihn überhaupt nicht zu stören, dass sie nur mit einem Bademantel bekleidet war. Wahrscheinlich war er an den Anblick halb nackter Damen gewöhnt. Warum auch nicht? Schließlich war er Junggeselle.

Die Aussicht auf Miamis gewundenen Küstenverlauf vom zwanzigsten Stock war selbst bei Nacht atemberaubend. Die Lichter der Straßenlaternen am Ufer wirkten wie eine funkelnde Krone. Draußen auf dem Meer war die Beleuchtung der Schiffe zu sehen, die gerade ausliefen.

Ein Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit, und Izzy drehte sich wieder um. Ihr Chef hatte am anderen Tischende Platz genommen, das leider viel zu nahe war. Sie schlug die Beine übereinander, wobei sie mit einem Fuß versehentlich sein Schienbein berührte. Dabei verlor sie einen Pantoffel.

„Oh …“

„Wie?“ Er war gerade mit seiner Serviette beschäftigt und sah auf.

Izzy senkte verlegen den Blick. „Mein Pantoffel ist …“

Er sah zu Boden. Der weiße Pantoffel lag genau neben seinem braunen Schuh. „Moment.“ Mr. Parish bückte sich unter den Tisch.

„Das ist nicht nötig, Mr. Pa…“

Als er ihren Fuß umfasste, stockte ihr der Atem, denn im selben Moment rutschte ihr der Bademantel vom Knie und entblößte ihr Bein. Sie konnte durch den Glastisch alles ganz genau sehen. Und Mr. Parish natürlich auch.

Er hielt ihren Fuß noch einen Moment länger fest, dann zog er ihr den Pantoffel wieder an.

Izzy überlegte, ob sie sich sein Zögern nur eingebildet hatte. Ihr war von seiner Berührung ganz schwindlig geworden. Jedenfalls war sie keineswegs so reaktionsschnell wie sonst.

Im nächsten Augenblick hatte er sie losgelassen und richtete sich wieder auf. Lächelnd strich er sich das Haar aus der Stirn. „Der Pantoffel passt, Aschenputtel.“

Izzy zog den Bademantel zurecht und stellte die Füße fest auf den Teppichboden. „Eigentlich ist er ein wenig zu groß für mich.“

Mr. Parish hob die silbernen Hauben von den Tellern und warf ihr einen ironischen Blick zu. „Das ist wieder ganz die alte Peabody. Immer realistisch, keine Spur von Romantik.“

Sie senkte schnell den Blick und betrachtete das Käsesoufflé. Er sollte nicht merken, wie sehr seine Bemerkung sie verletzt hatte und wie sehr sie sich nach Zärtlichkeit und Romantik sehnte.

Ich bin überhaupt nicht realistisch, dachte sie. Im Gegenteil. Nur eine Romantikerin, die heimlich in ihren Chef verliebt ist, hatte sich auf das Abenteuer einlassen können, mit ihm auf eine einsame Insel zu fliegen und vorzugeben, mit ihm verheiratet zu sein.

Als seine Frau würde sie auch hin und wieder mit ihm allein sein. Das erwartete man von ihr. Izzy wurde von Panik ergriffen. Erschrocken sah sie auf und bemerkte, dass Mr. Parish sie ansah.

„Sie brauchen keine Angst zu haben, Peabody“, sagte er lächelnd und streckte die Hand aus, in der er offensichtlich etwas hielt. „Es wird Ihnen gefallen, Mrs. Parish zu sein.“ Er zwinkerte ihr verführerisch zu und steckte ihr einen Trauring an den Ringfinger.

Es war das Seltsamste, was Izzy je erlebt hatte. Hier war der Moment von dem sie seit drei Jahren träumte und doch war alles falsch, ganz falsch. Ein Spiel, es ist nur ein Spiel ermahnte sie sich selbst. Und doch wie wunderschön wäre es gewesen …

Sie betrachtet den Ring an ihrem Finger und schüttelte dabei geistesabwesend den Kopf.

„Was ist, Peabody? Gefällt er ihnen nicht?“, fragte Gabe interessiert.

„Er ist perfekt, Sir“, antwortete sie knapp und widmete sich entschlossen ihrem Käsesoufflé. Wie sollte sie das nur durchstehen?

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen um acht Uhr fand Izzy sich in einem kleinen, eleganten Privatflugzeug mit weißen Ledersitzen wieder. Pilot und Copilot trugen schwarze Uniformen und machten einen netten Eindruck. Die breiten Sitze waren so bequem wie Sessel. Zwischen jeweils zwei Sitzen befand sich ein Tisch. Zwei Paare saßen bereits in der Maschine.

Izzy versuchte, ihr Erstaunen zu verbergen, als ihr Boss ihr den Arm um die Taille legte zum Zeichen, dass sie zu ihm gehörte.

Jetzt hatte das Täuschungsmanöver richtig angefangen!

„Habe ich dir schon gesagt, wie hübsch du heute bist?“, flüsterte er.

Sie sah ihn starr an. „Nein.“ Sein Lächeln war unglaublich warmherzig und liebevoll. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie wäre tatsächlich davon überzeugt gewesen, dass ihr Boss sie anbetete. Ha!

„Dann sage ich es dir jetzt. Du siehst bezaubernd aus, Liebling“, sagte er, diesmal lauter.

Izzy hob das Kinn und rang sich ein Lächeln ab. Das Kompliment gebührte ihm, denn er hatte das sandfarbene ärmellose Ripsseidenkleid mit dem tropischen Blumenmuster ausgesucht. Es hatte ein sarongartiges, über dem Knie endendes Rockteil. Dazu trug sie hochhackige Sandaletten. Wie eine Direktionsassistentin war sie jedenfalls nicht aufgemacht. Man sah ihr nicht an, dass sie Diktate aufnehmen und Computer bedienen konnte.

„Danke … mein Augenstern.“ Der lächerliche Kosename kam ihr ganz geläufig über die Lippen. Es war wirklich unglaublich, wozu ihr Boss sie bringen konnte! Ärgerlich fügte sie leise hinzu: „Du weißt ja, dass ich nur für deine Zustimmung lebe.“ Dabei klimperte sie übertrieben mit den Wimpern und bemerkte voller Genugtuung, dass er kaum merklich die Stirn runzelte. Trotzdem gelang es ihm, den hingebungsvollen Gesichtsausdruck beizubehalten.

Er geleitete sie zum Sitz und flüsterte an ihrem Ohr: „Augenstern? Nicht übertreiben, Peabody.“

Dann half er ihr auf den etwas erhöhten weißen Ledersitz, den er zuvor per Knopfdruck so eingestellt hatte, dass sie sich problemlos setzen konnte.

Sehr luxuriös, dachte Izzy. Wie lange der gute Mr. Rufus sich wohl noch ein Privatflugzeug leisten konnte? Ohne eine wirkungsvolle Werbekampagne für seine Babynahrung würde er sich wohl bald davon trennen müssen.

Gabriel Parish setzte sich zu ihr. Nur der kleine Tisch mit der Marmorplatte trennte ihre Sitze. Mr. Parish hob ihre Hand und küsste zärtlich ihre Fingerspitzen. „Ich betrachte diese Reise als unsere zweiten Flitterwochen, Liebling.“ Er sah sie so liebevoll an, dass sie kaum glauben konnte, sie könnte gemeint sein. Doch in letzter Sekunde erinnerte sie sich ihrer Rolle.

Und er ermahnt mich, nicht zu übertreiben! dachte sie entrüstet, rang sich aber ein Lächeln ab. Sie zog die Hand weg und fragte: „Sollten wir uns den anderen Passagieren nicht vorstellen, mein Lämmchen?“

Mr. Parish lächelte ironisch über den vorwitzigen Kosenamen, mit dem sie ihn bedacht hatte, unterließ es allerdings, ihre Wortwahl zu kommentieren. Die anderen Fluggäste hätten es ja hören können. „Du hast recht, Liebling.“ Er umfasste wieder ihre Hand und drehte sich um, nachdem er Izzy einen warnenden Blick zugeworfen hatte.

Ohne sich etwas anmerken zu lassen, wandte auch sie sich um. Dabei war sie innerlich sehr aufgewühlt, weil er sie ständig berührte, und zwar allein in den vergangenen zehn Minuten öfter als in den drei Jahren, die sie bereits für ihn arbeitete. Sie bemerkte, dass auch die anderen beiden Paare, seine Konkurrenten, die Sitze nach außen gedreht hatten, und betrachtete sie.

Schräg gegenüber auf der anderen Seite des Ganges saßen ein Mann und eine Frau mittleren Alters, die beide dunkelblaue Anzüge trugen und humorlos vor sich hin blickten.

Das andere Paar saß auf der gleichen Gangseite wie sie und ihr Boss und schien in dessen Alter zu sein. Die beiden waren sonnengebräunt und waren typische Yuppies. Vermutlich verbrachten sie ihren Urlaub im Club Méditerranée. Die Blondine trug eine modische Kurzhaarfrisur und schien etwas arrogant zu sein. Vielleicht hat sie auch nur einen steifen Nacken, dachte Izzy großmütig.

Ihr Mann hatte die Figur eines Rugbyspielers. Sein hellblondes Haar lichtete sich bereits, und sein Gesicht hatte Ähnlichkeit mit dem eines Pitbullterriers. Beide trugen kalifornische Sommerkleidung und schienen eine Vorliebe für Goldschmuck zu haben.

Der Terrier beugte sich vor. „Mein Name ist Wirt. Fox Mc-Farland Wirt. Und das ist meine Frau Claudia.“ Er lächelte dem blassen Paar auf der anderen Seite des Ganges zu, dann ließ er den Blick zu Izzy und Mr. Parish gleiten. „Sie können Foxie zu mir sagen.“

Claudia lächelte. Ihr Lächeln war genauso künstlich wie das ihres Mannes. Allen Fluggästen war bewusst, dass es sich keineswegs um eine Vergnügungsreise handelte. Es ging um Millionen, und da hörte der Spaß auf.

„Nett, Sie kennenzulernen, Foxie.“ Mr. Parish lächelte dem Mann zu, dann dessen Frau. „Hallo, Claudia.“ Sein Lächeln ist offen und ehrlich, dachte Izzy und versuchte vergeblich, es ihm gleichzutun. „Das ist meine wundervolle Frau …“

Als er ihr die Hand drückte, sah sie ihn an. Sie hatte sich schon gewundert, warum er nicht weitersprach. Noch mehr wunderte sie sich, als er sie an sich zog und sie flüchtig, aber sehr wirkungsvoll küsste. Izzy schmolz förmlich dahin, wurde aber sehr schnell wieder mit der Wirklichkeit konfrontiert, als er an ihrem Ohr flüsterte: „Wie, um alles in der Welt, heißt du mit Vornamen, Peabody?“

Ein Wunder, dass er überhaupt reden kann, dachte sie, denn er liebkoste sie hingebungsvoll. Wie machte er das nur? Obwohl ihr etwas schwindlig war und sie sich am liebsten zärtlich an ihn geschmiegt hätte, wurde ihr bewusst, wie ärgerlich er war. Ach ja, er wollte ihren Vornamen wissen. Sie räusperte sich leise und flüsterte ihm ins Ohr: „Izzy.“

Er drehte den Kopf so, dass er ihr in die Augen sehen konnte. Es war eindeutig, dass er ihr einen so schrecklichen Vornamen niemals zugetraut hätte. Gespielt zärtlich tätschelte er ihr die Wange, lächelte strahlend und wandte sich den Zuschauern zu. „Entschuldigung. Sie macht mich verrückt. Wovon haben wir gerade gesprochen?“

Izzy hätte schreien mögen! Erst küsste er sie vor aller Augen und brachte sie halb um den Verstand, und dann fragte er sie ärgerlich nach ihrem Namen. Dieser Schuft! Am liebsten hätte sie ihm die Augen ausgekratzt. Doch gleichzeitig war sie noch wie benommen. Seine Nähe, sein Duft, seine zärtlichen Lippen berauschten sie wie eine Droge. Wie liebevoll er sie ansah!

„Sie wollten gerade Ihre Frau vorstellen“, antwortete Foxie.

Izzy blinzelte. Langsam kam sie wieder zu sich.

„Stimmt genau. Sie sind Foxie, oder?“, fragte Mr. Parish. „Meine wundervolle Frau Isabel.“

„Sie können aber ruhig Izzy zu mir sagen“, sagte Izzy und sah ihren Pseudo-Ehemann aufsässig an. „Mein Lämmchen liebt diesen Spitznamen.“

Sein vorwurfsvoller Blick war nur für sie bestimmt, in der nächsten Sekunde lächelte Mr. Parish den anderen Fluggästen bereits wieder zu. „Und ich bin Gabe Parish.“

„Aha. Jetzt weiß ich.“ Foxie schnippte mit den fleischigen Fingern. „Ich habe nur Gutes von Ihnen gehört, Mann. Das junge Werbegenie in New York.“

„Und Sie sind der angesagteste Werbemann in Los Angeles, Foxie.“

„In Kalifornien, meinen Sie wohl.“

„Klar. In Kalifornien. Pardon.“ Gabe ließ den Blick zu dem humorlosen Paar in Dunkelblau wandern. „Und wer sind Sie?“

„Wir sind Mr. und Mrs. Miles. Hedda und Roger Miles aus Chicago von der Agentur Miles and Unwin.“ Mr. Miles richtete abweisend seine Krawatte.

„Ich habe von Ihrer Firma gehört“, antwortete Gabe, der noch immer Izzys Hand hielt. „Sie hat einen guten Ruf.“

Izzy versuchte, sich auf Mr. und Mrs. Miles zu konzentrieren, was ihr jedoch sehr schwer fiel, weil sie sich Gabes Nähe nur zu bewusst war.

„Und wie sollen wir Sie nennen?“, fragte Foxie laut. „Rog?“

Roger Miles wandte sich Foxie zu und musterte ihn von oben herab. „Wir heißen Roger und Hedda.“

Foxie zog amüsiert die Augenbrauen hoch. „Auch gut, Mann. Also Roger und Hedda.“

Izzy betrachtete die Konkurrenz. Mr. und Mrs. Miles dachten offensichtlich nicht im Traum daran, die Abneigung zu überspielen, die sie für ihre Mitbewerber empfanden. Jedenfalls nicht, solange Hugo Rufus außer Sichtweite war.

Pilot und Copilot verschwanden im Cockpit, und eine attraktive brünette Stewardess betrat die Kabine, um sich nach den Getränke- und Frühstückswünschen der Fluggäste zu erkundigen.

Gabe bestellte Mineralwasser mit einem Schuss Limonensaft, und Izzy bereitete sich seelisch auf den Start vor, vor dem sie sich immer ein wenig fürchtete. Allerdings wurde sie das Gefühl nicht los, dass ihr in den nächsten Tagen weitaus größere Belastungen bevorstehen würden.

Gabe hörte nur mit halbem Ohr zu, als Claudia und Foxie Wirt erzählten, welche Berühmtheiten in Los Angeles zu ihrem Bekanntenkreis zählten. Hin und wieder lächelte er höflich. Er wusste genau, dass die beiden ihn nur beeindrucken wollten und viel heiße Luft dabei war. Der eigentliche Konkurrent war Roger Miles, der zwar steif und unnahbar wirkte, jedoch ein ausgesprochen kreativer Kopf war und schon viele Auszeichnungen bekommen hatte.

Seine Werbekampagnen waren zwar konservativ, aber außerordentlich clever und wirkungsvoll. Außerdem war er ungefähr so alt wie Hugo Rufus. So etwas verband. Doch auch Fox Wirt hatte einen guten Ruf. Gabe sah sich harter Konkurrenz ausgesetzt.

Aus den Augenwinkeln betrachtete er Izzy. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen, und ihr Rock war so weit nach oben gerutscht, dass er ihre Schenkel sehen konnte. Er konnte den Blick kaum abwenden. Wieso hatte er bisher nie bemerkt, wie hübsch ihre Beine waren? Wahrscheinlich weil er sie sonst nie zu Gesicht bekam. Peabody trug ja immer lange Röcke, die alles verdeckten. Ihre Beine waren so straff und wohl geformt, dass er annahm, sie würde regelmäßig Sport treiben. Peabody und Sport? Auch das hatte er bisher nicht für möglich gehalten.

„He, Gabe, wo sind Sie eigentlich mit Ihren Gedanken?“

Gabe sah auf und bemerkte Foxies Blick. „Wie bitte?“

Der breite Kalifornier lächelte anzüglich. „Sie haben wohl nur Augen für Ihre kleine Frau?“ Er schüttelte gespielt ungehalten den Kopf. „Es gehört sich nicht für Männer in unserem Alter, so wild auf unsere Frauen zu sein. Schlecht fürs Image.“

Izzy hatte zugehört und betrachtete verwundert ihren ‚Ehemann‘. Wie immer hatte sie das Haar aufgesteckt, jedoch etwas lockerer als sonst, sodass duftige Strähnchen ihr Gesicht umschmeichelten und es weicher erscheinen ließen.

Gabe wusste, dass sie wütend auf ihn war, weil er sie geküsst hatte. Das machte sie nur noch entzückender. Ihre Wangen waren rosig, und ihre Augen strahlten. Sie war außerdem ein prima Kumpel. Nicht jede Frau hätte sich auf so ein Täuschungsmanöver eingelassen. Gabe hob ihre Hand hoch, küsste sie zart auf die Fingerspitzen und strich sich damit über die Wange. Dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu. „Entschuldigen Sie, Foxie. Bitte wiederholen Sie Ihre Frage. Ich verspreche, diesmal genau zuzuhören“, sagte er lächelnd.

Der hellblonde Mann erzählte, mit welchen Filmstars er zum Hochseefischen gefahren war. Izzy veränderte ihre Beinhaltung, und der Rock bedeckte wieder ihre Schenkel. Erst jetzt wurde Gabe bewusst, dass er die ganze Zeit starr auf ihre Beine gesehen hatte. Verlegen wandte er den Blick ab. Und schon wieder war er so abgelenkt, dass er nicht wusste, wovon Foxie inzwischen sprach. Also wirklich, Parish, ermahnte er sich, du hast offensichtlich Entzugserscheinungen. Izzy Peabody wäre entsetzt gewesen, wenn sie seine Gedanken hätte lesen können!

Für Izzy schien der fünfzigminütige Flug nach Tranquillity Island kein Ende nehmen zu wollen. Als der Privatjet endlich zur Landung ansetzte, wusste sie mehr über Foxie und Claudia Wirt, als ihr lieb war. Das Gesicht tat ihr weh, weil sie die ganze Zeit höflich gelächelt hatte. Und dabei fing die Geschichte erst richtig an!

Beim Landesanflug verstummten die Gespräche. Die Fluggäste sahen aus dem Fenster. Als sie die Wolkendecke durchbrachen, entdeckte Izzy einen Vulkan am oberen Ende der Insel.

„Hoffentlich ist der erloschen“, murmelte sie.

„Ja, das ist er.“ Die Stewardess, die gerade das Geschirr abräumte, lächelte ihr beruhigend zu.

„Gut.“ Izzy erwiderte ihr Lächeln. „Ich habe nämlich keine Lust, im Urlaub unter einer Tonne Vulkanasche zu verschwinden.“

„Spielverderberin“, sagte Gabe neckend.

Sie sah ihn an. Genau in diesem Moment begann die Sonne in die Kabine zu scheinen, und seine Augen funkelten wie kostbare Smaragde. Der Anblick ging Izzy durch und durch. Sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht zu küssen. Deshalb wandte sie sich schnell ab und blickte wieder aus dem Fenster.

Unter ihr lag die sichelförmige, in allen Grüntönen leuchtende Insel in der Morgensonne. Wunderschön sah sie aus. Doch sie war bei Weitem nicht so beeindruckend, wie es die Augen eines bestimmten Mannes waren … Die Insel war von rosa und weiß schimmernden Stränden gesäumt, an denen sich sanft die Wellen des türkisfarbenen Ozeans brachen.

Nur der untere Teil schien bewohnt zu sein. Ein heller Landsitz erhob sich majestätisch über gepflegtem Grün, das von Kieswegen und kunstvoll angelegten Gärten durchzogen war.

„Ich habe das Gefühl, in ein anderes Jahrhundert versetzt worden zu sein“, sagte Izzy leise.

„Die Landebahn macht allerdings einen modernen Eindruck“, antwortete Gabe. „Es sei denn, sie ist früher einmal von Außerirdischen angelegt worden.“

Offenbar merkte er wie aufgeregt sie war, denn er lächelte und drückte ihr beruhigend die Hand. Ihr Herz klopfte sofort schneller. Gabe Parish hatte ja keine Ahnung, was er ihr mit seinem gespielt liebevollen Verhalten antat! Es beruhigte sie keineswegs! Sie rang um Fassung und sah schnell wieder aus dem Fenster. Am liebsten hätte sie ihm ihre Hand entzogen, aber das wäre den anderen Anwesenden aufgefallen. Also versuchte sie sich auf den Landevorgang zu konzentrieren.

Links vom Anwesen war hinter einer dichten Baumreihe ein schwarzer Asphaltstreifen zu sehen. Zweifellos war das die Landebahn. Am Rand bemerkte Izzy kleine Punkte, die sich bewegten.

Menschen!

Kurz darauf landete der Privatjet und rollte die Bahn entlang, bis er neben der kleinen Menschengruppe zum Stehen kam. Izzy traute ihren Augen kaum. Es war eine Band, die ihnen ein Begrüßungsständchen brachte. Davor winkte ein agiler Herr mit weißem Haarschopf den Fluggästen herzlich zu. Ob dieser freundliche Mann ihr Gastgeber Hugo Rufus war?

Izzy lächelte und winkte zurück, wobei sie den Mann etwas genauer betrachtete. Er hatte ein spitzes Kinn, große Ohren und ein gewinnendes Lächeln, und er trug ein hellorange-farbenes T-Shirt mit der Aufschrift: ‚Die Form war zerbrochen, bevor sie mich gemacht haben‘.

Sie lachte leise. Wenn das Hugo Rufus war, dann war sie beruhigt. Er war alles andere als ein langweiliger, verknöcherter Firmendirektor. Sie hatte ihn sofort ins Herz geschlossen.

„Soll das T-Shirt nur witzig sein, oder will er uns warnen?“, fragte Gabe leise.

Izzy betrachtete ihn. Er blickte angestrengt aus dem Fenster und versuchte offensichtlich, sich ein Bild von ihrem Gastgeber zu machen. Ein Firmendirektor, der ein witziges T-Shirt trug, war ihm wohl neu.

Sie fühlte sich durch den Anblick von Hugo Rufus an ihre Großmutter mütterlicherseits, Dora McBeal, erinnert. Sie war vor Jahrzehnten Tänzerin am Broadway gewesen. Selbst jetzt gab sie älteren Paaren noch Unterricht im Gesellschaftstanz, zu dem sie stets in Jeans und T-Shirts mit witzigem Aufdruck erschien. Granny Dorie machte das Beste aus jedem Tag, sie lachte gern und viel und nahm das Leben nicht allzu ernst. Izzy liebte ihre Großmutter von Herzen.

Nachdem sie begonnen hatte, für Gabe zu arbeiten, der sich ständig selbst unter Druck setzte, war Izzy bewusst geworden, dass die Lebenseinstellung ihrer Großmutter die einzig richtige war. In jungen Jahren war auch Granny Dorie sehr ehrgeizig gewesen, weil sie unbedingt Erfolg am Broadway haben wollte. Ihre Familie hatte sie erst später gegründet, als sie eingesehen hatte, dass Ruhm auch nicht alles war. Izzy ahnte, dass Hugo die gleiche Erfahrung gemacht haben musste. Auch er genoss jetzt das Leben, statt nur zu arbeiten ohne nach rechts und links zu sehen.

Izzy sah auf und bemerkte, dass Gabe sie beobachtete. Wortlos bot er ihr die Hand, um ihr vom Sitz zu helfen. Sie straffte sich und besann sich auf ihre Rolle. „Danke, Schatz.“ Sie lächelte. „Ich kann es kaum erwarten, Mr. Rufus kennenzulernen.“ Das wenigstens war nicht gelogen.

Foxie lachte dröhnend. „Seht euch den Blödmann an! Und ich mache mir Sorgen, dass meine Präsentation nicht stilvoll genug sein könnte.“

Claudia kicherte. „Der sieht vielleicht albern aus.“

Izzy biss sich auf die Lippe. Wie konnte man nur so gemein sein! Jetzt sanken die Wirts noch mehr in ihrer Achtung.

„Ich finde, er ist süß.“ Sie sah Gabe herausfordernd an. „Findest du Mr. Rufus nicht auch süß, Liebster?“ Sie wusste selbst nicht, was sie dazu bewog, den älteren Herrn in Schutz zu nehmen. Vielleicht tat sie es für Granny Dorie und ihre Altersgenossen, die sich ihres Lebens freuten und alles mit Humor nahmen.

Izzy bemerkte, wie Gabe fast unmerklich die Brauen hochzog. Offensichtlich hätte er es nicht für möglich gehalten, dass die gelassene Peabody sich so temperamentvoll für jemanden einsetzte. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. Wusste er eigentlich, wie unwiderstehlich sein Lächeln war? Natürlich!

Gabe stand auf und half ihr hoch. „Ich werde mich hüten, dir zu widersprechen, noch dazu am Auftakt unserer zweiten Flitterwochen.“ Er machte einen Schritt nach unten auf den Gang, drehte sich um, umfasste ihre Taille und hob sie hinunter. Als die Stewardess die Tür öffnete, ließ er die Hand über ihren Rücken gleiten und zog Izzy ein wenig näher. Ihr war von seiner sinnlichen Bemerkung und von seiner besitzergreifenden Geste ganz schwindlig geworden. Kein Wunder, dass die Frauen sich um ihn rissen! Er war wirklich gut.

Izzy verspürte noch immer ein Prickeln, als Gabe ihr aus dem Flugzeug half und sie zu Hugo Rufus und seiner vierköpfigen Band führte.

Hugo eilte ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen, um sie zu begrüßen. Eine kleine Frau mit rosigen Wangen, die ein nostalgisches hellrosa Kleid trug, begleitete ihn. Beide hatten farbenprächtige hawaiische Blumenkränze um den Hals. Die Musiker in weißen Bermudashorts und bunten Hemden spielten einen temperamentvollen Willkommensgruß.

Hugo ergriff die Hand seiner Begleiterin, und diese errötete wie ein Schulmädchen. Sie war offensichtlich seine Frau und schien ihn über alles zu lieben. Izzy hatte den liebevollen Blick bemerkt, mit dem sie ihren Mann ansah, und empfand ein wenig Neid. Gabe begann, den Takt des Lieds auf ihrer Schulter zu klopfen. Izzy schluckte. Wenn seine Geste doch nur bedeuten würde, dass … dass Gabe Parish sie wirklich … Aber das war hoffnungslos.

Die Musik verstummte, als Hugo und seine Frau die Fluggäste erreicht hatten. „Herzlich willkommen! Ich bin Ihr Gastgeber, und diese wunderbare Frau hier ist meine Ehefrau Clara.“ Er strahlte. „Ich weiß, dass dies nicht Hawaii ist, aber eine meiner Köchinnen hat viel Spaß daran, Blumenkränze zu binden, und da habe ich ihr erlaubt, welche für unsere Gäste zu binden.“

Clara ging zum einen Ende der Gruppe, Hugo zum anderen, um den Gästen die Kränze um den Hals zu legen. „Ist das nicht ein hübscher Brauch?“

Izzy erhielt zwei Kränze von Clara. Als die ältere Frau ihr den Blumenschmuck umlegte, fiel Izzy auf, wie entspannt und zufrieden diese wirkte. Es war ganz offensichtlich, wie sehr sie Hugo liebte, trotz seines etwas exzentrischen Auftretens. Izzy hoffte, sie würde auch einmal so sehr geliebt werden.

Gabe ließ sie los und beugte sich zu Clara hinunter, damit sie ihm die Kränze um den Hals legen konnte. Er erhielt drei. Izzy fing einen Blick der Eheleute Miles auf. Die beiden rangen sich ein Lächeln ab. Ihnen war das alles offenbar etwas zu albern.

Als alle Blumenkränze verteilt waren, trat Hugo einen Schritt zurück, um seine Gäste zu bewundern. „Sie sehen fantastisch aus. Der Traum eines jeden Fotografen.“ Er lachte begeistert. „Aber ich vergesse ja meine Kinderstube!“ Er reichte Roger die Hand. „Hatten Sie einen turbulenten Flug?“, fragte er und schüttelte dem Mann aus Chicago eifrig die Hand. „Sie und Mrs. Miles sehen etwas blass aus.“

„Nein.“ Roger hatte eine Braue hochgezogen. „Es war ein ganz ruhiger Flug. Danke.“

„Sind Sie sicher?“ Hugo machte einen besorgten Eindruck. „Dann bekommt Ihnen das Fliegen vielleicht nicht. Mir geht es genauso.“

„Mir geht es prima.“ Roger befreite sich aus seinem Griff. „Vielen Dank.“

Hugo schien Zweifel zu haben, widmete sich dann aber der hageren Frau in Dunkelblau. „Sie müssen Hedda sein.“

Izzy beobachtete, wie die unnahbare Frau nickte und ihm vorsichtig die Hand schüttelte.

„Und Sie, meine Liebe? Sie wirken ein wenig seekrank. Oder vielmehr luftkrank.“ Er lachte. „Das wird bald vergehen. Einige Tage in dieser guten Luft und in der Sonne, und Sie werden wieder wie neu sein.“

Hedda Miles sah ihn entsetzt an. Der Gedanke, sich der Sonne auszusetzen, schien ihr absolut nicht zu behagen.

„Nein, nein“, stritt sie schnell ab. „Ich fühle mich prächtig.“

„Wunderbar! Trotzdem werde ich Ihnen Ginger Ale aufs Zimmer bringen lassen, sowie wir im Haus sind.“

Izzy sah Gabe verstohlen an. Er amüsierte sich über Mrs. Miles, die Hugos Händeschütteln nur widerwillig über sich ergehen ließ. Offenbar fürchtete sie sich vor Körperkontakt. Wahrscheinlich hatte sie Angst, sie könnte sich anstecken. Die arme, neurotische Hedda!

Gabe hatte keine Angst vor Körperkontakt. Das hatte er während des Flugs nur zu deutlich zum Ausdruck gebracht.

Hugo widmete sich inzwischen dem breiten blonden Foxie und dessen perfekt frisierter Frau. Er schüttelte den beiden herzlich die Hand und unterhielt sich angeregt mit ihnen. Dabei schien er jedes Wort ernst zu meinen, Izzy konnte keine Spur von Sarkasmus entdecken. Er schien ein Menschenfreund zu sein und erwartete von seinen Mitmenschen das Gleiche. Hugo wurde ihr mit jeder Minute sympathischer.

Als er vor Izzy stand, ergriff er ihre Hand und sagte herzlich: „Meine liebe Mrs. Parish, seien Sie ganz herzlich willkommen.“ Er ließ den Blick über ihr Gesicht gleiten. Sie errötete. „Sie brauche ich nicht zu fragen, wie es Ihnen geht. Sie strahlen ja förmlich vor Gesundheit.“ Er hielt ihre Hand noch einen Moment fest, dann ließ er sie los. „Wie darf ich Sie anreden? Ich habe nicht genau verstanden, was Sie zu Clara gesagt haben.“

„Izzy.“

Hugo lachte fröhlich. „Der Name passt zu Ihnen, meine Liebe. Sie sprudeln ja förmlich über vor Lebensfreude.“

Izzy lächelte amüsiert. Der Mann war wirklich wunderbar! „Ihr T-Shirt gefällt mir sehr gut“, sagte sie. „Meine Großmutter hat eine ganze Sammlung witziger T-Shirts. Eins finde ich besonders komisch. Es trägt die Aufschrift: ‚Sag die Wahrheit, und lauf davon‘.“ Kaum hatte sie das gesagt, senkte sie verlegen den Blick, denn ihr war in diesem Moment bewusst geworden, dass sie diesem netten Mann während der kommenden sieben Tage eine Lüge nach der anderen würde auftischen müssen.

„Das muss ich haben!“, rief Hugo begeistert. In seinen dunklen Augen blitzte der Schalk. „Ihre Großmutter ist eine Frau ganz nach meinem Herzen.“

Izzy antwortete höflich, dann wandte er sich Gabe zu.

„Willkommen in meinem kleinen Paradies“, sagte er. „Wir werden sicher alle viel Spaß haben. So, und nun würde ich Sie gern alle ins Haus bitten, wo Sie sich erfrischen und ein wenig ausruhen können, bevor das Mittagessen serviert wird.“

Gabe legte Izzy den Arm um die Schultern, als sie mit den anderen auf leuchtend gelbe Golfwagen zugingen. Er setzte sich ans Steuer und fuhr mit ihr los. Vor ihnen war Foxie mit seiner Frau unterwegs. „Sie sprudeln also vor Lebensfreude, Peabody“, sagte er plötzlich und zwinkerte ihr amüsiert zu. „Wie haben Sie das nun wieder geschafft? Wir sind noch keine Viertelstunde auf der Insel, und Sie sind schon sein Lieblingsgast.“

„Er findet nur meinen Namen witzig.“

„Das auch, aber er hat Sie sofort ins Herz geschlossen.“

Und ich ihn in meins, dachte Izzy. Nun war es ihr noch unangenehmer, den sympathischen Mann zu hintergehen, doch sie wusste, dass ihr keine Wahl blieb, als bei dem Spiel mitzumachen.

Sie fuhren durch einen Wald, in dem es angenehm kühl war und nach Erde roch. „Lächeln, Peabody“, sagte Gabe unvermittelt. Er schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er fügte hinzu: „Mir ist auch nicht ganz wohl dabei, aber wir müssen jetzt da durch.“ Er zog sie an sich und streichelte mit der freien Hand ihren Arm. „Hugo und Clara sind hinter uns.“

Izzy atmete seinen Duft ein, der sich mit dem erdigen Geruch vermischte. Sie fühlte sich seltsam geborgen an Gabes Seite. Am liebsten wäre sie immer bei ihm geblieben. Es war so schade, dass alles nur ein Spiel war. Sie faltete die Hände im Schoß, um nichts Unbedachtes zu tun.

„Peabody“, flüsterte Gabe an ihrem Ohr. „Sie sollten mir jetzt die Hand auf den Schenkel legen.“

Izzy biss sich auf die Lippe. Hatte er ihre Gedanken erraten? Genau das hatte sie sich gerade verkniffen.

4. KAPITEL

Izzy sah Gabe schockiert an. „Haben Sie den Verstand verloren?“

Gabe lachte leise. „Das ist keine sexuelle Belästigung, Peabody“, sagte er. „Es gehört zu Ihrer Rolle als meine Ehefrau.“

„Das ist mir egal. Ich denke gar nicht daran, an Ihrem Oberschenkel herumzufummeln.“

„Davon war auch nicht die Rede.“ Er legte ihr die freie Hand aufs Knie und drückte es leicht. „Das kompromittiert uns doch nicht, oder?“

Izzy stockte der Atem. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Gabriel zog die Hand wieder zurück und begann erneut, ihre Schultern zu liebkosen. „Also?“, fragte er, den Mund an ihrem Haar.

Izzy blickte sprachlos geradeaus und wünschte, sie wäre gegen seine Liebkosungen gefeit.

„Rufus und seine Frau können nicht sehen, wo ich meine Hände habe, es sei denn, sie verfügen über einen Röntgenblick.“

Sie spürte, dass er sie von der Seite ansah.

„Sie sind prüde, Peabody.“

„Nennen Sie es, wie Sie wollen, Sir.“ Izzy blickte ihn kurz an. „Aber ich bin die einzige Ehefrau, die Sie mitgebracht haben: in guten und in schlechten Zeiten.“ Sie war überhaupt nicht prüde. Sie hatte nur keine Lust, Zärtlichkeiten mit einem Mann auszutauschen, für den alles nur ein Spiel war.

„Und was passiert, wenn wir uns küssen müssen? Geben Sie mir dann eine Ohrfeige?“

„Wir haben uns bereits geküsst, Sir.“ Izzy wandte den Blick ab. Ihr wurde plötzlich heiß und kalt.

„Das soll ein Kuss gewesen sein?“ Gabe lachte. „Aber Peabody! Ich muss mich doch sehr wundern.“ Er schüttelte den Kopf. Als sie ihn ansah, lächelte er verführerisch. „Wenn wir uns richtig küssen müssen, schlagen Sie mich nicht. Okay?“

Sie musterte ihn vernichtend. „Wenn Sie mich nicht küssen, brauchen Sie sich darüber auch keine Sorgen zu machen.“

Autor

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<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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