Julia Gold Band 83

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  • Erscheinungstag 09.11.2018
  • Bandnummer 0083
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711092
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Miranda Lee, Carol Marinelli, Penny Jordan

JULIA GOLD BAND 83

PROLOG

Sobald sie einander vorgestellt worden waren, wusste Charmaine, dass Seine Königliche Hoheit, Prinz Ali von Dubar, ihr noch vor Ende des letzten Pferderennens Avancen machen würde. Den ganzen Nachmittag hatte er sie mit arroganten Blicken aus dunklen Augen verfolgt, sodass sie beinah bereute, den Job angenommen zu haben. So vergnüglich es auch sein mochte, zu den Juroren der „Rennbahn-Modequeen-Wahl“ zu gehören, so nervtötend war es, schon wieder von einem international berüchtigten Playboy begehrt zu werden.

Nichts stieß Charmaine mehr ab als gut aussehende und reiche Männer, die sich einbildeten, jede Frau um den Preis eines Abendessens oder womöglich noch weniger haben zu können. Und dieser arabische Prinz war nicht nur extrem reich, sondern sah auch noch super aus. Er trug einen hellgrauen Anzug zum blütenweißen Hemd, das seinen dunklen Teint, die braunen Augen und das rabenschwarze Haar noch besser zur Geltung brachte. Er war groß, schlank und durchtrainiert und besaß äußerst markante Züge.

Der Mann sah ganz anders aus als die Scheichs, die Charmaine bisher getroffen hatte, und als Supermodel bot sich ihr dazu so manche Gelegenheit. Die Reichen dieser Welt umgaben sich besonders bei öffentlichen Veranstaltungen gern mit schönen Frauen. So hatte es Charmaine weder gewundert, dass Prinz Ali sie in seine Loge einlud, noch dass er den Gedanken Ausdruck verlieh, die ihn umgetrieben haben mussten, während er sie beobachtete. Aus Erfahrung wusste Charmaine, dass milliardenschwere arabische Playboys dazu neigten, ihre angeblich unwiderstehliche Wirkung auf westliche Frauen maßlos zu über- und deren moralische Vorstellungen gnadenlos zu unterschätzen. Wahrscheinlich setzten diese Männer den Begriff „Supermodel“ mit „Superflittchen“ gleich.

Sie sollte recht behalten. Während sie zur Tribüne zurückkehrte, schien er sie mit Blicken geradezu auszuziehen. Dabei freute sich Charmaine schon darauf, diesen eingebildeten Prinzen ein wenig zurechtzustutzen und seinem aufgeblasenen Ego einen Dämpfer zu versetzen.

Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen, und nicht zum ersten Mal verwünschte sie ihre körperlichen Vorzüge: die Größe und den nordischen Hauttyp, den sie ihrem Vater, und die babyblauen Augen und weiblichen Kurven, die sie ihrer Mutter verdankte. Schon im Teenageralter hatte man sich überall nach ihr umgedreht, sodass sich ihr bereits als Sechzehnjährige die Modelkarriere eröffnet hatte.

Jetzt, neun Jahre später, war Charmaine noch schöner und vor allem fraulicher geworden. Mit ihren atemberaubenden Maßen – neunzig, sechzig, neunzig – rissen sich die Designer geradezu um sie, denn an ihr sahen alle Entwürfe unheimlich sexy aus, womit sie die noch schlankeren Kolleginnen ausstach. Besonders gern wurde sie für Bademoden und Dessous gebucht und hatte damit bereits ein kleines Vermögen gemacht.

Doch so spärlich bekleidet auf Titelbildern und Werbeplakaten zu erscheinen hatte einen unangenehmen Nebeneffekt: Männer bildeten sich ein, ihr ganzer Körper und nicht nur ein Foto davon sei käuflich. Besonders reiche Männer dachten, sie könnten sich mit ihr als Freundin, Geliebte oder Ehefrau schmücken, wenn sie genug dafür bezahlten. Aber darüber konnte Charmaine nur lachen. Sie war bestimmt das Allerletzte, was sich ein Mann im Bett wünschte. Auch der arabische Prinz, der sie nun schon so lange beobachtete, wäre bitter enttäuscht, sollte er die Wahrheit erfahren, sodass sie ihm nur einen Gefallen tat, wenn sie seine Offerte ablehnte – woran er dabei auch immer denken mochte.

Lächelnd ließ sie sich nun auf dem Sessel neben ihm nieder, den er ihr offensichtlich frei gehalten hatte – ganz dicht neben seinem, damit sie auch ja sein sündhaft teures Aftershave einatmen konnte. Sonst war niemand in der Loge, nicht einmal der Bodyguard mit dem maskenhaft starren Gesicht, der sich sonst immer in unmittelbarer Nähe aufhielt. Bestimmt hatte er schon oft eine derartige Situation erlebt und wusste, dass er sich rarmachen musste, wenn sein Boss mit einer Frau plauderte, auf die er aufmerksam geworden war.

„Ich habe schon ganz ungeduldig auf Ihre Rückkehr gewartet, meine Gnädigste“, sagte der Prinz nun so gestelzt, wie man es nur auf einer englischen Privatschule lernte. „Sind Sie für heute mit der Sichtung der Damen fertig?“

„Ja, glücklicherweise. Es ist unheimlich schwierig, bei so vielen perfekt gekleideten Frauen die Gewinnerin zu ermitteln.“

„Wäre ich Preisrichter, würde es für mich nur eine geben: Sie.“

Bitte nicht, dachte Charmaine genervt. Spar dir dein Süßholzgeraspel für eine, die sich davon beeindrucken lässt. Aber sie gab ihrer Verärgerung keinen Ausdruck, sondern wartete geduldig, während der Mann seine Avancen vorantrieb.

„Ich habe mich gefragt, ob Sie heute Abend frei sind“, fuhr er wie erwartet fort, „und würde mich freuen, wenn Sie mich zum Dinner begleiten.“

Worüber du dich freuen würdest, mein aufgeblasener Prinz, ist, mich zu vernaschen, dachte Charmaine.

Während er ihr schmachtend in die Augen sah, wurde ihr Blick eiskalt. „Tut mir leid“, erwiderte sie dann und hob das Kinn, „aber heute Abend habe ich schon etwas vor.“ Dabei wusste sie genau, dass er sich dadurch nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde.

„Dann vielleicht ein andermal. Wie ich höre, wohnen Sie in Sydney. Es mag Ihnen nicht bewusst sein, aber ich verbringe dort immer die Wochenenden.“

Das war ihr tatsächlich entgangen, aber den Prinzen hatte sie heute auch zum ersten Mal gesehen. Wie so viele Scheichs trat er nur selten in der Öffentlichkeit auf. Doch heute war von seiner Familie ein Preis gestiftet worden, den er samt Pokal übergeben hatte. Dabei war ein Pärchen aus Melbourne so freundlich gewesen, Charmaine über Prinz Ali aufzuklären. Jetzt wusste sie, dass er Mitte dreißig war und seit zehn Jahren sehr erfolgreich ein großes Gestüt im oberen Hunter Valley nordwestlich von Sydney leitete.

Hinter vorgehaltener Hand hatte sie auch von seinem Ruf als Frauenheld und Liebhaber erfahren, wobei sie nicht genau wusste, ob das als Anreiz oder Warnung gedacht war. Sollte es Ersteres gewesen sein, war es reine Zeitverschwendung. Sie dachte nicht im Traum daran, sich mit dem Mann einzulassen. Ganz im Gegenteil, sie konnte es kaum erwarten, ihm deutlich zu machen, dass er sich eine andere Bettgefährtin suchen musste.

„Ich bin morgen Nachmittag wieder in Sydney“, fuhr er jetzt mit verführerischer Stimme fort, wobei er Charmaine nicht aus den Augen ließ. „Ich pokere freitagabends immer in meiner Hotelsuite und sehe mir samstags die Pferderennen an. Hätten Sie vielleicht Zeit, übermorgen Abend mit mir essen zu gehen?“, fragte er, und Charmaine dachte: Er lässt nicht locker. Aber das hatte sie ja schon erwartet. „Oder haben Sie hier in Melbourne noch Termine?“

„Nein, ich fliege morgen früh zurück nach Sydney. Aber Samstagabend habe ich leider auch keine Zeit“, erklärte Charmaine und musste ein zynisches Lächeln unterdrücken.

Erstaunt sah er sie an. „Haben Sie eine andere Verabredung?“

„Nein“, antwortete sie kurz angebunden.

Er runzelte die Stirn. „Dann gibt es einen festen Freund, der etwas dagegen hat, wenn Sie mit mir essen gehen? Oder einen heimlichen Liebhaber?“

Charmaines Verärgerung erreichte ein bisher nicht da gewesenes Höchstmaß, hervorgerufen von seiner gestelzten Ausdrucksweise und der Annahme, es müsse einen anderen Mann geben, der sie davon abhielt, mit ihm, dem Prinzen, auszugehen. Auf die Idee, dass sie ihn nicht unwiderstehlich fand und einfach nicht mit ihm zusammen sein wollte, kam er gar nicht. Doch am meisten brachte sie seine letzte Mutmaßung auf, dass sie womöglich bereits die heimliche Geliebte eines reichen Mannes sei.

„Ich habe keinen Freund und auch keinen Liebhaber. Ich gehe einfach grundsätzlich nicht mit jemandem wie Ihnen aus. Also sparen Sie sich die Mühe und fragen Sie mich nicht mehr.“

Der Blick des Prinzen wurde hart, und er zog die Brauen zusammen. „Darf ich vielleicht fragen, was Sie mit ‚einem Mann, wie ich es bin‘ meinen?“ Er klang eisig.

„Sie dürfen“, erwiderte sie genauso kalt, „aber Sie werden keine Antwort bekommen.“

„Ich habe doch wohl ein Recht zu erfahren, warum Sie mir auf derart unhöfliche Weise die kalte Schulter zeigen!“

Sie reden von Recht?“, stieß Charmaine hervor und sprang auf, wobei sich eine Wut Bahn brach, die sie seit Jahren unter Verschluss gehalten hatte. „Was mich betrifft, stehen Ihnen überhaupt keine Rechte zu. Sie haben mich eingeladen, und ich habe abgelehnt. Sie haben mich noch einmal gefragt, obwohl ich ziemlich unmissverständlich klargemacht habe, dass ich nicht an Ihnen interessiert bin. Wenn ich dann deutlich werden muss, weil Sie einfach nicht lockerlassen, finde ich das nicht unhöflich. Es ist mein Recht, mich nicht von einem verwöhnten und arroganten Mann belästigen zu lassen, nur weil er selten ein Nein zu hören bekommt. Aber meine Antwort wird immer negativ ausfallen, Prinz Ali. Und merken Sie sich das gut, denn wenn Sie mich weiter belästigen, zeige ich Sie an!“

Charmaine machte auf dem Absatz kehrt und verließ eilends die Zuschauertribüne. Beinah erwartete sie, dass er ihr folgen würde, aber leider tat er es nicht. Hätte er es gewagt, ihre Schulter zu berühren, hätte sie ihn geohrfeigt. Sie umklammerte den Griff ihrer Handtasche, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Liebend gern hätte sie diesem arroganten Mistkerl gezeigt, was sie von ihm hielt. Worte allein waren bei Weitem nicht genug, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Am Wagen angekommen, zitterte Charmaine immer noch vor Aufregung.

Doch als sie sich hinters Steuer setzte und den Motor anließ, hatte sie plötzlich des Scheichs völlig erstauntes Gesicht vor Augen und stöhnte auf. Diesmal war sie zu weit gegangen – viel zu weit. Normalerweise formulierte sie ihre Abfuhren diplomatischer. Aber irgendetwas an dem Mann hatte sie einfach auf die Palme gebracht. Was, konnte sie nicht sagen. Wahrscheinlich war er zu attraktiv, als dass man ihm hätte widerstehen können. Allein diese Augen!

Sie fuhr aus der Parklücke. Hör auf, an den Kerl zu denken! befahl sie sich dann. Und vor allem hör auf, Schuldgefühle zu haben! Männer wie er empfinden nicht wie normale Menschen. Es hat ihn heute nur für einen kurzen Augenblick nach dir verlangt, aber heute Abend wird er weder allein zum Essen noch allein ins Bett gehen. Um sein Wohlergehen kümmern sich viele Leute. Und irgendeine Frau wird schon dumm genug sein, sein Ego und seine Wünsche zu befriedigen. Da brauchte sich Charmaine keine Sorgen zu machen und konnte getrost aufhören, an ihn zu denken.

Aber das tat sie nicht, sondern beschäftigte sich noch die ganze folgende Woche mit ihm. Das waren, wie sie annahm, ihre Schuldgefühle. Normalerweise wurde sie nie so deutlich, sondern behielt ihre Meinung für sich. Deshalb war es geradezu beunruhigend, wie sie den Scheich behandelt hatte. Doch am Wochenende verschwendete sie dann keinen Gedanken mehr an ihn. Schließlich befand sie sich auf einer Mission, die ihr keine Zeit für Männer wie Prinz Ali ließ. Mit solchen Typen hatte sie schon vor Jahren abgeschlossen und erst vor Kurzem auch den netteren für immer den Rücken gekehrt.

Die Presseleute wären sicher erstaunt zu hören, dass sie als Supermodel von „Down under“, das schon von so manchem Hochglanzmagazin zur attraktivsten Frau des Landes gekürt worden war, inzwischen sozusagen enthaltsam lebte. Sie wollte auch keinen Freund und ganz bestimmt keinen reichen Liebhaber mehr haben. Allein bei dem Gedanken lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Natürlich wäre die Neuigkeit von ihrem neuen nonnenhaften Dasein schlecht fürs Geschäft. Dem Begehren der Männer nachzugeben war Teil ihres Images. Deshalb zeigte sie sich anlässlich von Premieren und Partys auch weiterhin in Begleitung junger, gut aussehender Männer, die allerdings ihr eigenes kleines Geheimnis hatten. Sie waren schwul. So wurde Charmaine nach der Veranstaltung nicht belästigt, aber ihr Image blieb gewahrt. Und das bescherte ihr auch weiterhin hoch dotierte Modelaufträge für Dessous und Bademoden.

In der Vergangenheit hatte ihr das Millionen eingebracht, und wenn sie ihr sexy Image aufrechterhielt, würde das Geld auch in Zukunft fließen. Allein darauf kam es an. Sie brauchte Abermillionen, um die von ihr gegründete Kinderkrebshilfe-Stiftung zu finanzieren, die den Betroffenen das Leben ein wenig erleichterte und die Forschung unterstützte.

Manchmal, wenn Charmaine so darüber nachdachte, verzweifelte sie fast an der Aufgabe, die sie sich gestellt hatte. Bin ich wirklich in der Lage, etwas zu bewegen?, überlegte sie dann deprimiert. Doch meistens überwog ihr stoischer Siegeswille, und sie tat alles in ihrer Macht Stehende, um Geld für ihren ganz persönlichen Kreuzzug zu sammeln.

1. KAPITEL

Oktober, der „Mai“ Australiens, elf Monate später …

„Ich bewundere deinen Mut“, sagte Charmaines Agenturchefin Renée, als sie von der Speisekarte aufsah. „Hast du dir überlegt, dass derjenige, der bei deiner Wohltätigkeitsveranstaltung ein Dinner mit dir ersteigert, womöglich ein Mistkerl ist?“

„Hauptsache, er ist reich“, antwortete Charmaine und rang sich ein Lächeln ab. „Mit dem Essen und der Auktion am nächsten Samstag möchte ich wenigstens zehn Millionen Dollar einnehmen. Und was den edlen Spender angeht, der sich zwei, drei Stunden meiner Gesellschaft wünscht, ist mir egal, wer er ist, solange er dafür ein ordentliches Sümmchen hinlegt. Dabei brauchst du dir um meine Sicherheit keine Sorgen zu machen, Renée. In den Auktionsunterlagen steht ausdrücklich, dass das Abendessen im Restaurant Candlelight des Regency Hotels stattfindet – in der Öffentlichkeit sozusagen. Und wenn es nur den Hauch eines Problems gibt, bin ich verschwunden.“

Bestimmt, dachte Renée. Mit Charmaine hatte man kein leichtes Spiel. Sie war viel härter, als sie sich gab. Ihr Aussehen und Benehmen bediente Männerfantasien, ohne auf das weibliche Geschlecht abstoßend zu wirken. Ein Wunder! Schon oft hatte Renée überlegt, worauf es beruhte. Woher kam der Hauch von Unschuld, der Charmaine trotz des sexy Images umgab? Vielleicht von ihrem frischen Teint und dem langen blonden Haar, das ihr mädchenhaft schlicht über die Schultern fiel. Auf jeden Fall nicht von ihrem Schmollmund und der für Modelverhältnisse üppigen Figur oder den blauen Augen.

Dabei schien Charmaine an Männern nicht einmal interessiert zu sein. Die Begleiter, mit denen sie sich zeigte, waren samt und sonders schwul. Als Modelagenturchefin wusste Renée um diese Geheimnisse. Aber sie würde nie ihren Vertrag mit Charmaine – Australiens erfolgreichstem weiblichen Model – aufs Spiel setzen, indem sie es nach seinen sexuellen Vorlieben fragte. Sie konnte von Glück reden, dass Charmaine vor anderthalb Jahren überhaupt einen Vertrag mit ihr eingegangen war.

Davor hatte das Model ihren persönlichen Agenten gefeuert, weil er seine Spesenabrechnung gefälscht hatte. Wenn es ums Geld ging, war Charmaine gnadenlos. Sie wollte gut bezahlt werden und gab keinen unnötigen Cent aus. Wahrscheinlich floss ein Großteil ihrer Honorare in ihre Stiftung. Vor einem Jahr war ihre jüngere Schwester an Leukämie gestorben. Ein Verlust, der Charmaine so sehr getroffen hatte, dass sie sich mehrere Monate von sämtlichen Aufträgen freistellen ließ, um in Ruhe trauern zu können. Als sie sich wieder zurückmeldete, war sie wild entschlossen, etwas gegen die Krankheit zu unternehmen, und gründete ihre Stiftung.

Renée hatte sich von ihr sogar überreden lassen, ihren Mann Rico zu bitten, als Schirmherr und Auktionator der Wohltätigkeitsveranstaltung am kommenden Samstag aufzutreten. Sie selbst war aufgrund ihrer Schwangerschaft – Zwillinge im siebten Monat – von derartigen Aufgaben entbunden. Aber sie würde natürlich an der Veranstaltung teilnehmen und freute sich schon riesig darauf. Charles und seine Frau wollten auch kommen, dann konnte sie mit Dominique über Babys reden. Selbst Ali hatte sein Erscheinen zugesichert, wenn auch nur zur Auktion. Dazu musste Renée ihm allerdings den Hochglanzprospekt mit Charmaines Konterfei und den Zielen ihrer Stiftung zeigen.

Trotzdem überraschte sie sein Sinneswandel. Normalerweise erschien er aus Sicherheitsgründen kaum in der Öffentlichkeit, andererseits war das Regency für seinen Sicherheitsstandard berühmt.

„Übrigens“, sagte Renée nun, „es ist mir gelungen, sämtliche Plätze an meinem Tisch zu besetzen. Es kommt noch jemand von meiner Pokerrunde in der Präsidentensuite des Regency, und alle sind superreich. Da wäre zunächst Charles Brandon. Von dem hast du sicher schon gehört. Er ist der Besitzer der Brandon-Brauerei.“

„Natürlich, ich habe ihn erst kürzlich bei einer Premierenfeier getroffen. Seine Frau sieht umwerfend aus.“

„Stimmt. Sie heißt Dominique, und beide werden bei deiner Auktion einiges springen lassen. Sie haben ein Herz aus Gold, was ich von meinem anderen Pokerfreund nicht behaupten würde, obwohl er durchaus großzügig sein kann. Er heißt …“

„Haben Sie schon gewählt?“, wurde Renée in diesem Augenblick von der Bedienung unterbrochen.

„Ich fürchte, nicht“, antwortete sie, und auch Charmaine schüttelte den Kopf.

Als die Frau zum Nachbartisch ging, widmeten sich die beiden erst einmal der Karte.

„Weißt du schon, welches Geschlecht die Babys haben werden?“, fragte Charmaine, nachdem sie gewählt hatte.

Renée strahlte wie immer, wenn das Gespräch auf ihren zukünftigen Nachwuchs kam. „Ja, ein Junge und ein Mädchen. Bin ich nicht zu beneiden?“

„Wenn das mit der Schwangerschaft so ist, wie meine Mutter behauptet, unbedingt.“

Renée war erstaunt, dass Charmaine ihre Familie erwähnte. Normalerweise schwieg sie sich darüber aus, besonders nach dem Tod ihrer Schwester. Aus Zeitungsartikeln wusste Renée, dass Charmaines Eltern westlich der Great Divide – also irgendwo im Nirgendwo – eine große Baumwollfarm führten. Das nächstgelegene Städtchen besaß lediglich eine Autowerkstatt, ein Hotel und einen Kramladen. Mit fünfzehn hatte Charmaine begonnen, dort auszuhelfen, und wenn gerade niemand einkaufen kam – was wahrscheinlich meistens der Fall gewesen war –, las sie Frauenzeitschriften und träumte davon, eines Tages selbst Model zu sein. Mit fünfzehneinhalb bewarb sie sich dann auch bei einer Modegazette, für die ein neues Gesicht für das Titelbild gesucht wurde, und gewann. Mit sechzehn machte sie zum ersten Mal bei einer Profi-Modenschau mit, anlässlich Australiens „Fashion Week“.

Renée hatte früher selbst gemodelt und erinnerte sich noch gut, wie entrüstet die Kolleginnen gewesen waren, als ihnen dieser unerfahrene, kurvenreiche Teenager die Schau stahl. Doch an Charmaine sahen alle Entwürfe einfach supersexy aus. Und als sie für eine Weile wieder nach Hause zurückkehren musste, weil sie Drüsenfieber bekommen hatte, atmeten die anderen erleichtert auf. Aber im darauffolgenden Jahr kehrte sie zurück und schloss nahtlos an ihre Erfolge an.

Da war sie achtzehn und ein wenig schlanker, sah aber reifer und schlichtweg umwerfend aus. Die Journalisten der Modepresse nannten sie „hinreißend“ und „mit Potenzial für die Zukunft“, was sich bewahrheitet hatte, wie Renée aus eigener Erfahrung wusste. Inzwischen erhielt sie einen kleinen Prozentsatz von Charmaines enormen Honoraren – immer noch ein hübsches Sümmchen.

„Ähnelst du eher deiner Mutter oder deinem Vater?“, fragte Renée nun.

„Beiden, was das Aussehen betrifft. Aber von ihren Charaktereigenschaften habe ich keine geerbt. Meine Mutter ist eine ganz Liebe und mein Vater ein Softie. Vielleicht verhalte ich mich manchmal auch so, aber in Wirklichkeit bin ich ein echtes Miststück“, fügte sie lachend hinzu. „Doch das weißt du ja, oder nicht?“

„Aber woher denn?“, erwiderte Renée erstaunt. „Im Geschäftsleben magst du knallhart sein, das heißt allerdings nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Dann würdest du dich zum Beispiel nicht so für karitative Zwecke einsetzen.“

„Krebskranke Kinder tun mir einfach leid“, sagte Charmaine und wirkte einen Moment sehr nachdenklich. „Ich kann es ertragen, wenn das Leben hart zu Erwachsenen ist, die vorher Raubbau mit ihrer Gesundheit getrieben haben, aber Kinder haben diese furchtbare Krankheit nicht verdient.“ Sie schluckte und biss die Zähne zusammen.

Du weinst jetzt nicht. Damit erreicht man gar nichts. Nur Babys weinen oder Leute mit Liebeskummer. Und du bist wohl kaum noch ein Baby, und dein Herz ist auch nicht mehr gebrochen, Charmaine. Es ist wieder verheilt, und zwar so gut, dass es nie wieder brechen wird.

Sie griff zu ihrem Wasserglas und nippte daran, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann stellte sie es hin und lächelte Renée zu, die sie besorgt beobachtete. „Tut mir leid, wenn ich von krebskranken Kindern spreche, werde ich immer sentimental.“

„Das braucht dir nicht leidzutun. Ich kann dich gut verstehen.“

Als Charmaine das hörte, hätte sie beinah ein Gesicht geschnitten. Wie wollte Renée sie denn verstehen? Das konnte keiner, der nicht dasselbe durchgemacht hatte wie sie: mitansehen zu müssen, wie ein Kind litt und dann doch starb – ein süßes, unschuldiges Wesen.

Aber Renée meinte es wahrscheinlich nur gut. Wie alt ist sie eigentlich?, überlegte Charmaine dann. Anfang dreißig? Älter? Wahrscheinlich ein bisschen, obwohl sie immer noch hervorragend aussah. Manche Frauen blühten in der Schwangerschaft richtig auf.

Die Bedienung kam wieder an ihren Tisch. „Haben Sie inzwischen gewählt, Ladys?“

„Und ob“, antwortete Charmaine und bestellte einen Burger mit Pommes frites und Salat, Käsekuchen und einen Cappuccino mit Sahne zum Nachtisch.

Als Renée sie wie gebannt ansah, begann Charmaine zu lachen. „Mach dir keine Sorgen, heute Abend esse ich nichts mehr, und morgen werde ich mich im Fitnessstudio richtig schinden.“ Doch das tat sie eigentlich immer, sogar am Wochenende. Ihr ganzes Leben war inzwischen eine einzige Strafe geworden. Sie büßte für ihre Sünden, besonders für die eine, die sie sich niemals verzeihen würde.

„Das musst du auch, wenn du am Samstag in dein Kleid passen willst“, gab Renée zu bedenken. „Schon jetzt sieht es aus, als hätte man es dir auf den Leib geschneidert.“

„Verdammt, du hast recht! Daran habe ich gar nicht mehr gedacht.“ Charmaine seufzte und sah zu der geduldig wartenden Bedienung. „Könnte ich meine Bestellung noch einmal ändern und etwas weniger Fettes bekommen, ein Blatt Salat zum Beispiel?“

Die Frau lächelte. „Was bin ich froh, dass Sie auch auf Ihre Linie achten müssen. Ich dachte schon, Sie sehen so aus und können trotzdem jeden Tag Burger essen.“

„Keine Sorge“, meinte Charmaine, „was das Essen betrifft, leide ich mehr als nur ein bisschen. Okay, also bringen Sie mir den Fisch von der Tageskarte, gegrillt, mit Salatbeilage, kein Dressing, keinen Nachtisch und zum Abschluss einen Espresso.“

Die Frau nickte.

„Wie klingt das?“, fragte Charmaine dann lachend an Renée gewandt.

„Wunderbar“, erklärte diese, „das nehme ich auch.“

2. KAPITEL

Der Ballsaal im Regency Hotel war ein beliebter Veranstaltungsort der Reichen und Schönen Sydneys. Sein spektakuläres, von Versailles inspiriertes Interieur hatte schon so manchem gesellschaftlichen Ereignis den passenden Rahmen gegeben: Preisverleihungen, extravaganten Modenschauen, Produkteinführungen, Firmenweihnachtsfeiern und auch der einen oder anderen Wohltätigkeitsveranstaltung.

An diesem Abend ging es um krebskranke Kinder, ein Thema, das auch den Hartherzigsten rührte. Das hatte Charmaine schon oft festgestellt und sich diesen Umstand bei den Vorbereitungen zu ihrem ersten Wohltätigkeitsbankett mit anschließender Auktion zunutze gemacht. Es war unheimlich viel Arbeit gewesen und hatte ihre gesamte Freizeit in Anspruch genommen. In den vergangenen sechs Monaten hatte darunter nicht nur ihr Privatleben gelitten – oder besser gesagt, was davon noch übrig war –, sondern auch ihre Karriere. Angebote, die sie mehr als einige Tage ins Ausland führten, musste sie ablehnen.

Wenn sie sich aber jetzt ansah, was dabei herausgekommen war, hatte es sich gelohnt. Der Saal mit den hohen Decken und prächtigen Kronleuchtern war bis zum letzten Platz besetzt, und zwar von Menschen, die sich die tausend Dollar Eintritt locker leisten konnten. Dafür bekamen sie ein schlichtes Dreigängemenü, das sie normalerweise wahrscheinlich weniger als fünfzig Dollar gekostet hätte.

Nicht dass Charmaine und ihre Stiftung etwas dafür zahlen mussten. Der neue Eigentümer des Regency Hotels, Max Richmond, hatte die dreihundert Menüs gespendet, genauso wie die Getränke und die Nutzung des Ballsaals. Sein Bruder war als junger Mann an Krebs gestorben, eine schreckliche Tragödie, die Charmaine skrupellos für ihre Zwecke genutzt hatte.

Sie würde vor nichts zurückschrecken, um ihr Ziel des heutigen Abends zu erreichen, zehn Millionen Dollar für leukämische Kinder einzunehmen. Auch wenn das schon im Vorfeld bedeutet hatte, zwei Tage fast ohne Essen auszukommen, damit ihr das Kleid passte, das sie trug. Dafür war es allerdings auch etwas ganz Besonderes und nur schwer zu beschreiben.

„Faszinierend“ traf es noch am ehesten. Allein schon wie es in ihren Besitz gelangt war, konnte man sich faszinierender kaum vorstellen. Charmaine hatte die Besitzerin von „Campbell Jewels“ zu Hause besucht, so wie sie es bei allen Inhabern großer, in Sydney ansässiger Firmen gemacht hatte, um Spenden oder Sachpreise für ihre Auktion zu erbeten. Celeste Campbell war sehr freigebig gewesen und hatte ihr eine hübsche Schmuckauswahl zur Verfügung gestellt. Nebenbei stand sie mit beiden Beinen fest auf der Erde, ein Charakterzug, der Charmaine besonders gefiel, sodass sie rasch einen Draht zueinander gefunden hatten.

Als Celeste erfuhr, dass die Wohltätigkeitsveranstaltung im Ballsaal des Regency stattfinden würde, erzählte sie von einer anderen Auktion, die dort vor zehn Jahren abgehalten worden war. Es hatte ebenfalls ein Bankett gegeben, dem die Versteigerung des berühmten „Heart of Fire“ gefolgt war, einem schwarzen Opal, der sich nun im Museum befand.

Während des Abends hatte man versucht, so erfuhr die gespannt lauschende Charmaine, das Schmuckstück zu stehlen. Darüber war es zu einer Schießerei gekommen. Die Geschichte allein faszinierte sie, aber als ihr Celeste das Kleid zeigte, das sie an jenem Abend getragen hatte, war Charmaine hin und weg. So etwas Provokantes hatte sie noch nie gesehen.

Celeste verkündete auch sofort, sie sei zu alt, um es noch einmal anzuziehen, und Charmaine erkannte ihre Chance. Das war genau das Outfit, das irgendeinen reichen Trottel dazu veranlassen würde, ein Vermögen für ein Essen mit ihr auszugeben. Sie bat Celeste, ihr das Kleid für die Wohltätigkeitsauktion zu leihen. Doch Celeste Campbell weigerte sich … und schenkte es ihr stattdessen.

Jetzt trug Charmaine das Kleid, war aber nicht mehr überzeugt, dass es auch das richtige war. Ihr Magen schlug Kapriolen wie bei ihrer ersten Modenschau, obwohl sie heutzutage normalerweise nicht mehr interessierte, wie viel nackte Haut sie zeigte.

Nicht dass Celeste Campbells Kleid so offenherzig gewesen wäre. Seine verwegene Wirkung war viel subtiler. An dem bodenlangen, trägerlosen Satinunterkleid war nichts gewagt, außer vielleicht die etwas zu geringe Oberweite für Charmaines Brüste. Selbst dieses Problemchen wurde weitestgehend vom Chiffon des Oberkleides verdeckt, das hochgeschlossen und mit langen Ärmeln zunächst beinah züchtig wirkte.

Es war vielmehr der Farbton der Stoffe und die Perlenstickerei an ganz bestimmten Stellen, die das Kleid verwegen machten, da sie die Illusion schufen, Charmaine würde anstelle eines Ballkleides ein sehr gewagtes Badekostüm tragen. Selbst aus kurzer Distanz wirkte das hautfarbene Material wie bloße Haut, die lediglich von einigen Goldperlen bedeckt schien.

Von vorn sah es aus, als bildeten die Perlen einen Bikini. Die Rückansicht war noch provokanter, da der Rücken lediglich von dem beinah unsichtbaren Chiffon bedeckt wurde und die Perlen oberhalb des Pos ein kleines Dreieck bildeten, als würde Charmaine lediglich einen Tanga tragen. Hinzu kam der besonders hohe Schlitz des Kleides.

Wenigstens konnte sie damit ihre gewohnten, weit ausholenden Schritte machen und war mit den langen Beinen nicht zum Trippeln verurteilt. Denn laufen musste sie heute Abend viel, und zwar auf dem Steg, der für die bereits erfolgte Modenschau aufgebaut worden war. Gut beleuchtet stach er ins Auge und teilte den Raum in zwei Hälften, sodass man von jedem Platz einen hervorragenden Blick hatte.

Bei den Proben am Vorabend hatte Rico zu Charmaine gesagt, sie solle darauf auf und ab gehen, während er die Angebote für ein Abendessen mit ihr entgegennahm. Der Gedanke war ihr da nicht verwegen vorgekommen – in Jeans. Aber dieses schreiend auffällige Kleid sorgte dafür, dass sich ihr Mut verflüchtigte. Sie musste die ganze Zeit daran denken, dass sie beinah nackt aussah, und hatte dadurch kaum etwas gegessen – was gut war, denn wenn sie saß, war das Kleid noch enger. Doch jetzt stand sie auf der Bühne des Ballsaals, spähte durch einen Spalt im schweren weinroten Vorhang auf die riesige Menschenmenge im Saal und versuchte ihre Befürchtung zu verdrängen, dass sie sich gleich lächerlich machte.

Was um alles in der Welt war bloß mit ihr los? Normalerweise interessierte es sie nicht, was sie trug – oder besser gesagt, wie wenig – oder ob man sie wie gebannt ansah, vor allem Männer. Ach was, sollten sie doch denken, was sie wollten! Hauptsache, einer von ihnen rückte mit einem dicken Scheck für ihre Stiftung heraus. Bei dem Gedanken fühlte sich Charmaine gleich ein bisschen besser und warf einen Blick auf ihre schmale goldene Armbanduhr. Höchste Zeit, dass Rico auftauchte, um die Auktion zu beginnen. In diesem Augenblick hörte sie hinter sich einen anerkennenden Pfiff und wirbelte herum. Da stand Rico und lächelte sie an.

„Na, das ist vielleicht ein Kleid! Bist du sicher, dass sie dich deswegen nicht einbuchten?“

„Ich habe schon weniger angehabt.“

„Ja, aber in diesem Fall wäre mehr eher schlecht.“

„Starr mich nicht so an, Rico!“

„Das tue ich nicht.“

„Nein, das stimmt“, sagte sie und seufzte. „Tut mir leid. Ehrlich gesagt bist du viel netter, als es bei einem so gut aussehenden Mann normal wäre.“ Und er sah wirklich gut aus: groß, dunkelhaarig und sehr, sehr anziehend. Aber nicht so, dass sie hätte schwach werden können, wenn sie noch etwas von Männern gewollt hätte.

„Danke“, antwortete Rico. „Das war doch ein Kompliment, oder?“ Er rückte seine Krawatte zurecht und atmete tief durch. „Sollen wir anfangen?“

Wieder spürte sie die Nervosität und hätte sich am liebsten auf und davon gemacht. „In Ordnung!“, sagte sie dann aber.

Obwohl die Stimmung im Saal gut war, lagen sie nach einer Stunde immer noch knapp unter sieben Millionen Dollar, und Charmaine seufzte enttäuscht. Die Reise auf eine einsame Insel, die Rico gerade anbot, würde vielleicht fünfzigtausend Dollar bringen. Damit blieben bis zu ihrem gesetzten Ziel immer noch drei Millionen. So viel würde kein Mann für ein Dinner mit ihr ausgeben, selbst wenn sie splitterfasernackt auf dem Laufsteg erschien.

Die Reise ging für dreißigtausend weg. Wie schade!

„Und nun, Ladys und Gentlemen“, fuhr Rico fort, „kommen wir zum letzten Preis des heutigen Abends. Unsere wunderschöne Gastgeberin Charmaine, Australiens Supermodel Nummer eins, bietet Ihnen ein Abendessen bei Kerzenschein hier im Regency Hotel am nächsten Samstag um neunzehn Uhr. Meines Erachtens ein hervorragendes Angebot, um den heutigen Abend zu beenden, und ich erwarte entsprechende Gebote, meine Herren“, sagte er und lächelte Charmaine aufmunternd zu. „Nun aber auf den Catwalk mit dir. Zeig, was du hast.“

Charmaine verdrehte die Augen, bevor sie den Laufsteg mit diesem herrlich schwingenden Gang betrat, den Models bis zur Perfektion beherrschten. Dabei lächelte sie – so gut es mit zusammengebissenen Zähnen eben ging – und war sich bewusst, dass nun aller Blicke auf sie gerichtet waren. Nicht dass sie selbst viel gesehen hätte. Die Scheinwerfer am Rand des Laufstegs blendeten und tauchten den übrigen Saal in Dunkelheit. Charmaine konnte lediglich Umrisse erkennen, aber keine Gesichter ausmachen.

Trotzdem spürte sie, wie man sie mit Blicken auszog. In diesem Maß hatte sie das noch nie wahrgenommen. Das lag bestimmt an dem verdammten Kleid. Woran sonst?

„Darf ich Sie daran erinnern, dass Charmaine erst kürzlich von einem australischen Männermagazin zur begehrenswertesten Frau des Landes gewählt wurde?“, fuhr Rico fort, potenzielle Bieter heißzumachen. „Nun können Sie sich selbst davon überzeugen. Bestimmt ist so mancher unter Ihnen, dessen Traum wahr werden würde, ganz privat mit einer so bezaubernden Frau zu speisen. Also, meine Herren, geben Sie Ihr Gebot ab. Eine solche Gelegenheit kommt nicht mehr!“

Beinah hätte Charmaine aufgestöhnt. Du liebes bisschen, das war ja wie auf dem Sklavenmarkt! Als sollte sie selbst versteigert werden und nicht nur einige Stunden in ihrer Gesellschaft.

Was soll’s, beruhigte sie sich dann, wenn die Stiftung nachher das Geld bekommt? Trotzdem war sie froh, die Presse außen vor gelassen zu haben. Das Letzte, was sie im Augenblick gebrauchen konnte, war ein Blitzlichtgewitter. Von der Aussicht darauf, am nächsten Morgen ihr Bild in sämtlichen Zeitungen auf dem Titel zu sehen, ganz zu schweigen.

Aber das hatte sie ja glücklicherweise verhindert, und mit diesem beruhigenden Gedanken gelang es ihr sogar, ein betörendes Lächeln aufzusetzen und einen Hüftschwung hinzulegen, der seine Wirkung bisher noch nie verfehlt hatte. Als sie das Ende des Laufstegs erreichte, stützte sie die Hände in die Seiten und sah ins Publikum, als würde sie mit dem Mann, der einen Abend mit ihr ersteigerte, nicht nur essen gehen. Dann drehte sie sich langsam und aufreizend um und hörte regelrecht, wie die Menge den Atem anhielt.

Ihr Blick begegnete Ricos, und er lächelte geradezu lasziv. „Nur nicht so schüchtern“, wandte er sich dann wieder ans Publikum. „Wenn ich noch alleinstehend wäre, hätte ich längst geboten. Aber leider bin ich nicht mehr zu haben, wie Ihnen meine wunderbare Frau sicher bestätigen wird.“ Er nickte zum Tisch hinunter, der links von Charmaine stand. Automatisch folgte sie Ricos Blick … und erstarrte.

Er saß neben Renée und sah umwerfend und völlig lässig aus, während er in seinem schwarzen Abendanzug kühl und arrogant zu ihr aufblickte: Prinz Ali von Dubar.

Später an jenem Abend, lange nachdem dieser schreckliche Moment der Vergangenheit angehörte, war Charmaine dankbar, dass sie sich in diesem Augenblick nicht bewegt hatte. Denn dann wäre sie sicherlich gestolpert, vielleicht sogar gestürzt. Auf jeden Fall lähmte sie der Schreck so, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Was zum Teufel machte dieser Mann an Renées Tisch? Die beiden waren doch wohl nicht befreundet, oder?

Erst nach einigen Momenten fielen Charmaine Dinge wieder ein, die sie zunächst als nebensächlich oder unwichtig eingestuft hatte. Der Prinz selbst hatte letztes Jahr erwähnt, er komme jedes Wochenende nach Sydney, um zu pokern und zum Pferderennen zu gehen. Und beim Mittagessen mit Renée vor einigen Tagen hatte ihre Agenturchefin gesagt, sie pokere freitags immer mit einigen sehr reichen Leuten in der Präsidentensuite des Regency.

Wer konnte sich die schon leisten, wenn nicht ein Präsident oder Ölscheich oder dessen Sohn? Und dann auch noch einer, den sie so unmöglich behandelt hatte. Es konnte nur einen Grund geben, warum sich Prinz Ali heute unter den Gästen befand, um sie, Charmaine, Lügen zu strafen, indem er sie zwang, mit ihm auszugehen, weil er sich dieses Privileg ersteigern würde.

Zweifellos wäre Prinz Ali von Dubar der Meistbietende. Warum sonst hätte er kommen sollen? Bisher hatte er für nichts anderes geboten, denn dann hätte sie ihn früher bemerkt. Nach dem Zuschlag richtete man die Scheinwerfer immer kurz auf den Gewinner eines Gebots.

Sie würde am nächsten Samstag also nicht mit einem ihr völlig fremden Mann zu Abend essen, sondern mit diesem, dessen Stolz sie maßlos gekränkt hatte. Jetzt war es an ihm, sie zu demütigen, indem er sie zwang, mehrere Stunden seiner Gesellschaft zu erdulden und dabei seine eindeutig zweideutigen Blicke zu ertragen.

Bei dem Gedanken geriet sie beinah in Panik. Ihr Stolz verlangte, sich einer derartigen Situation nicht auszusetzen, aber derselbe Stolz wollte auch, dass sie sich jetzt zusammenriss und zeigte, dass sie vor nichts und niemandem Angst hatte. Denn selbst wenn der Scheich der Meistbietende sein würde – und dafür schien alles zu sprechen –, was konnte er ihr in einem Restaurant schon anhaben? Sie noch einmal fragen, ob sie mit ihm ausgehen wolle? Versuchen, sie mit seinem Charme zu verführen? Allein der Gedanke …

Als wäre nichts gewesen, lächelte sie ihm jetzt zu. Komm schon, du Mistkerl, dachte sie dabei, obwohl ihr Blick und ihre Körperhaltung alles versprachen, biete! Ist mir doch egal.

Bei ihrem Lächeln zog er kurz die Augenbrauen zusammen, um Charmaine von Kopf bis Fuß zu mustern, als wollte er feststellen, ob sie es überhaupt wert sei. Den Bruchteil einer Sekunde fürchtete sie schon, er würde kein Gebot abgeben – auch eine Möglichkeit, sie zu demütigen.

Doch während ein Wirrwarr der Gefühle in ihr tobte, sagte er mit fester Stimme: „Fünf Millionen Dollar.“ Und Charmaine stockte der Atem.

„Wow“, rief Rico, „das ist ja mal ein Gebot, Ladys und Gentlemen! Prinz Ali von Dubar hat fünf Millionen Dollar für einen Abend mit unserer wunderschönen Charmaine geboten. Irgendwie habe ich den Eindruck, es wird kein höheres Gebot geben. Wenn da draußen aber noch ein Gentleman sitzen sollte, der gewillt ist, Prinz Ali zu überbieten, sollte er es jetzt tun oder für immer schweigen.“

Charmaine seufzte. Musste Rico klingen wie ein Pfarrer bei einer Hochzeit? Was für eine Ironie, wenn man bedachte, dass das Treffen zwischen ihr und dem Prinzen unromantischer nicht hätte werden können. Seine Königliche Hoheit wollte sich nur an ihr rächen, indem er sie demütigte, und dafür war er bereit, eine enorm hohe Summe zu bezahlen.

„Keine weiteren Gebote? Wenn das so ist … erhält Prinz Ali von Dubar den Zuschlag!“

Als Rico den Hammer aufs Pult schnellen ließ, ging Charmaine der Klang durch und durch. Die Anwesenden begannen zu klatschen, und der rote Pfeil des riesigen Spendengeldmessers zeigte auf „zwölf Millionen“. Charmaine war gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, obwohl sie lieber geschrien hätte, so wütend war sie.

Aber das ging natürlich nicht. Sie musste an die Stiftung denken. Nur weil sie in ihrem Stolz gekränkt war, durfte sie die fünf Millionen Dollar nicht ausschlagen. Außerdem kam es überhaupt nicht infrage, diesem arroganten Kerl zu zeigen, wie ärgerlich sie war. Das aber zu demonstrieren bedeutete, es machte einem etwas aus. Deshalb beschloss sie, am nächsten Samstag hundertprozentig höflich zu bleiben. Es würde keine kränkenden Bemerkungen geben und auch keinen Versuch, Prinz Alis Ego einen Dämpfer zu versetzen. Sie würde es nicht zulassen, dass ihr Temperament noch einmal mit ihr durchging.

Sobald sie sich dazu entschlossen hatte, konnte sie allerdings unmöglich dabei bleiben. Denn so wie der Mann sie ansah, war es unheimlich schwierig, die Formen der Höflichkeit zu wahren. Es wird noch schwieriger sein, dich nächsten Samstag unter Kontrolle zu halten, dachte sie besorgt, während sie bei tosendem Applaus den Laufsteg verließ.

„Ich kann es immer noch nicht glauben“, sagte Rico, als sie zu ihm hinter die Bühne kam. „Der gute alte Ali bietet fünf Millionen Mäuse, nur um mit dir essen zu gehen. Der Kerl hat offensichtlich mehr Geld als Verstand. Entschuldige, Charmaine, aber selbst du musst doch zugeben, dass dieses Gebot völlig überzogen war.“

Als Charmaine das hörte, runzelte sie unwillkürlich die Stirn. Dann wurde ihr bewusst, dass nicht nur Renée, sondern auch Rico gut mit dem Prinzen bekannt sein musste. „Du klingst, als wärt ihr befreundet“, erklärte sie, trotz allem neugierig, wer da gerade fünf Millionen Dollar für ein Essen mit ihr ausgegeben hatte.

„Das sind wir“, sagte Rico. „Wir spielen jetzt seit fast sechs Jahren freitagabends zusammen Karten. Außerdem verkauft er unserer Wettgemeinschaft die Rennpferde und hält sogar noch Beteiligungen. Ali ist ein toller Typ, du wirst ihn mögen.“

Unwillkürlich verzog Charmaine die Lippen. Aber dann beschloss sie, mit der Wahrheit herauszurücken. In ihrem Privatleben wollte sie ehrlich sein können. „Der Prinz und ich sind uns schon einmal begegnet, und ich habe ihn damals genauso wenig gemocht wie heute.“

Erstaunt sah Rico sie an. „Ihr habt euch schon einmal getroffen? Wo?“

„Vergangenes Jahr beim ‚Melbourne Cup‘. Ich war dort, um die bestangezogene Frau zu küren, und dein königlicher Freund ist total auf mich abgefahren.“

„Und?“

„Nichts und. Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn nicht mag.“

„Das erstaunt mich. Normalerweise lieben ihn die Frauen.“

„Vielleicht kann ich ihn deshalb nicht leiden“, erwiderte Charmaine schnippisch. „Aber es ist egal, ob ich ihn mag oder nicht. Er hat sich einige Stunden meiner Gesellschaft erkauft, und das werde ich honorieren. Aber wenn du mit deinem arabischen Freund sprichst, schlage ich vor, dass du ihn warnst. Auch wenn er fünf Millionen Dollar bezahlt hat, kann er sich irgendwelche Privilegien – oder Anrechte – aus dem Kopf schlagen. Sag ihm das, Rico. Oh, und noch etwas, ich werde nächsten Samstag Punkt neunzehn Uhr im Candlelight sein, aber er soll bloß nicht versuchen, vorher Kontakt zu mir aufzunehmen. In diesem Zusammenhang wäre ich übrigens sehr ungehalten, wenn meine Geheimnummer irgendwie in die Hände Seiner Königlichen Hoheit gelangen würde. Verstanden, Rico?“

„Ich weiß, worauf du hinauswillst. Ich frage mich nur, ob man von dir in Bezug auf Ali das Gleiche behaupten kann.“

„Was soll das heißen?“

„Demnach zu urteilen, was du mir gerade erzählt hast, ist er heute Abend offensichtlich nur hergekommen, um sein Gebot für das Essen mit dir abzugeben. Das veranlasst mich zu der Annahme, dass er sich tatsächlich in dich verguckt hat. Wenn dem so ist, wird dein Missfallen ihm gegenüber lediglich eine kleine Hürde darstellen.“

Charmaine kochte. „Ist das eine Warnung?“

„Ich denke schon. Sieh mal, wenn du ihn wirklich nicht magst, musst du gut überlegen, wie du dich ihm gegenüber verhältst. Ali ist kein Mann, mit dem man seine Spielchen treibt.“

„Das habe ich auch nicht getan.“

„Jetzt hör aber auf, Charmaine! Ich weiß noch gut, wie du ihn da vorhin vom Laufsteg herunter angelächelt hast. Das war nicht das Lächeln einer Frau, die nichts von einem will.“

Charmaine errötete. „Das verstehst du nicht. Ich habe ihn nur … nur …“

„Gereizt?“

Sie zuckte die Schultern. „Gewissermaßen.“

„Tu das nicht“, riet ihr Rico scharf. „So benimmt man sich einem Mann wie Ali gegenüber nicht. Das … das könnte gefährlich werden.“

Sie sah ihn erstaunt an. „Inwiefern?“

Rico schüttelte den Kopf. „Sieh mal, ich rede mit ihm und sorge dafür, dass er versteht, wie der Hase läuft. Er wird deine Wünsche respektieren, wenn er glaubt, dass du wirklich kein Interesse an ihm hast.“

Sie nickte.

„Stimmt das auch?“

„Ich bitte dich! Auf einen Scheich, der sich einbildet, unwiderstehlich zu sein, kann ich gut verzichten.“

„Vielleicht hat er Grund dazu.“

Charmaine lachte höhnisch auf. „Das Einzige, worauf sich Prinz Ali bei mir etwas einbilden kann, ist die Größe seiner Brieftasche. Und dann auch nur, wenn er sie für die Stiftung öffnet. Sag ihm das, Rico. Aber jetzt muss ich wirklich gehen und dieses verdammte Kleid ausziehen.“

Dafür, dass Ali sie angeblich nicht interessiert, dachte Rico, während er Charmaine nachsah, regt sie sich viel zu sehr über ihn auf.

3. KAPITEL

Am darauffolgenden Samstag stieg Charmaine kurz vor achtzehn Uhr aus einem völlig unscheinbaren Wagen, gab dem Parkwächter in Livree ihre Schlüssel und betrat mit dem Handgepäck das im Arkadenstil gehaltene Foyer des Regency Hotels. Und das, ganz ohne einem einzigen lästigen Reporter zu begegnen.

Aus Erfahrung wusste sie, dass es verschiedene Tricks gab, Paparazzi aus dem Weg zu gehen. Man kam möglichst deutlich vor dem offiziellen Beginn einer Veranstaltung und am besten verkleidet. Dummerweise war ihr Dinner-Rendezvous mit dem Scheich doch weithin bekannt geworden. Eine Journalistin hatte sich unter die Gäste geschmuggelt und am nächsten Tag einen Artikel über den Abend verfasst. Da ihre Zeitung Frauenherzen höherschlagen lassen sollte, klang alles unheimlich romantisch, wobei die Frau besonders betonte, wie erstaunlich viel Geld Prinz Ali von Dubar für ein Dinner mit unserer Charmaine zu zahlen bereit gewesen war.

Charmaine bereute, dass Rico bei der Auktion den Zeitpunkt des Dinners bekannt gegeben hatte. Aber sie wollte auf keinen Fall den Prinzen kontaktieren, um einen anderen zu vereinbaren. Allerdings nahm sie Kontakt zum Eigentümer des Regency auf, um eine ähnliche „Panne“ wie bei der Wohltätigkeitsveranstaltung zu vermeiden. Mr. Richmond versicherte ihr, sie oder seinen hoch geschätzten Stammgast Prinz Ali von Dubar würde kein Journalist belästigen. Er versprach auch, das Sicherheitspersonal am Eingang zu verstärken, und sicherte ihr während des Essens absolute Privatsphäre zu.

Charmaine bedankte sich, buchte aber trotzdem ein Zimmer, damit sie früher kommen und sich erst vor Ort für das Dinner umziehen konnte. Außerdem hatte sie so die Möglichkeit, über Nacht zu bleiben und die Lokalität am nächsten Morgen zu verlassen, wann immer sie wollte, um unerkannt zu bleiben.

Und jetzt war sie hier in ihrer Verkleidung und ging zur Rezeption. Die nichtssagende braune Perücke und die große Sonnenbrille hatten sie davor bewahrt, von irgendwelchen Fotografen oder Kameraleuten belästigt zu werden. Glücklicherweise! Denn sonst hätte sie womöglich die Fassung verloren. Es war eine sehr anstrengende Woche gewesen, und ihre Nerven lagen blank.

Während Charmaine mit dem Aufzug in den zweiten Stock fuhr, warf sie einen Blick auf die Uhr. Es blieb ihr weniger als eine halbe Stunde. Doch das war Zeit genug, um sich fertig zu machen. Sie brauchte nur noch Ohrringe anzulegen, etwas Make-up aufzutragen und die Kleidung zu wechseln. Das wäre im Handumdrehen geschehen, denn Charmaine hatte beschlossen, sich für die Gelegenheit besonders unspektakulär zurechtzumachen.

Wenn der Scheich dachte, sie würde etwas ähnlich Aufreizendes tragen wie vergangenen Samstag, konnte er sich auf eine Überraschung gefasst machen. Heute Abend gab es keine bloße Haut, nichts, worauf sein begehrlicher Blick verweilen konnte.

Exakt fünf Minuten vor sieben Uhr befand sie sich wieder im Aufzug und hatte statt ihrer Jeans eine legere schwarze Seidenhose und eine Tunika an, die ihre Kurven ein wenig zurücktreten ließen. Das Haar hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengenommen, ihre Ohrläppchen schmückten kleine Diamantohrstecker – bezeichnender Kontrast zu den sexy Ohrhängern von vergangenem Samstag –, und sie trug kaum Make-up. Nur ein bisschen Grundierung, einen Hauch Lidschatten, etwas Wimperntusche und einen bronzefarbenen Lippenstift, der zu ihrem Nagellack passte. Aber bei einer so natürlichen Schönheit war weniger oft mehr. Dessen war sie sich allerdings nicht bewusst und dachte, sie würde so schlicht wie möglich aussehen. Hätte sie nur geahnt, wie verführerisch unschuldig sie wirkte, als sie zum Candlelight-Restaurant ging.

Der Oberkellner – ein großer glatzköpfiger Mann mit schmalem Schnurrbart und intelligent blickenden Augen – lächelte sie von seinem Pult aus an. „Mademoiselle Charmaine“, sagte er mit französischem Akzent, der echt sein konnte oder auch nicht. „Welche Freude, Sie diesen Abend bei uns begrüßen zu dürfen. Seine Hoheit, Prinz Ali, sind bereits eingetroffen. Ich bringe Sie direkt zu monsieur le prince.“

Der Prinz ist schon da, dachte Charmaine erstaunt, während sie dem Oberkellner in den hinteren Teil des Restaurants folgte, vorbei an weitestgehend leeren Tischen. Schließlich war es noch ziemlich früh am Abend. Da hatte sie angenommen, auch der Prinz würde noch ein wenig auf sich warten lassen, um sie gefügiger zu machen.

Doch dann rief sie sich in Erinnerung, dass der heutige Abend ja kein Rendezvous war, sondern seine Gelegenheit, sich zu rächen. Selbstverständlich wollte er da keinen Moment ihrer Demütigung missen. Er hatte ja keine Ahnung, mit wem er es zu tun hatte. Dieses Bewusstsein ließ sie zumindest nicht bedauern, überhaupt hier zu sein, sodass sie sogar lächelte.

Bei dem Separee, zu dem man sie brachte, handelte es sich um einen quadratischen Raum in einer stillen Ecke des Restaurants. Ein offener Bogen führte hinein, aber selbst der war von großen Palmen flankiert. Die Wände hatte man schwarz gestrichen, und lediglich einige kleine Strahler spendeten etwas Licht. Außer dem runden Tischchen und den Stühlen gab es kein Mobiliar. Auf der weißen Decke stand eine weinrote Kerze, die den Blick auf das Gegenüber nicht behinderte.

Zweifellos hatte man bei der Gestaltung des Raums an Liebespaare gedacht, die unter sich bleiben wollten. Reiche Geschäftsleute speisten hier mit ihrer Geliebten und Berühmtheiten mit dem jeweiligen Lebensabschnittsgefährten. Wahrscheinlich saß an diesem Tisch selten ein Paar wie der Prinz und sie.

Zuerst konnte sie den Mann in dem spärlich beleuchteten Raum kaum ausmachen, wozu seine dunkle Kleidung und der Teint noch beitrugen. Aber sobald sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, trat er gleichsam aus dem Schatten hervor – zunächst sein Gesicht und dann auch alles andere.

Er trug wieder einen teuren, aber lässigen Anzug und sah damit ganz wie der typische Playboy der westlichen Hemisphäre aus. Doch hoppla, was war denn das? Schlug da etwa ihr Herz höher bei seinem eleganten Äußeren? Oder war der Adrenalinschub auf die bevorstehende Gegenüberstellung zurückzuführen? Rico hatte gesagt, der Prinz sei gefährlich, und Rico war kein Narr. Auf jeden Fall hatte Charmaine das Gefühl, Prinz Alis Blick würde sie verbrennen, so wie er sie ansah. Nun, da ihre Kurven nicht gleich ins Auge sprangen, schien er sie noch mehr zu begehren.

Als er sich erhob, um sie zu begrüßen, zuckte sie regelrecht zusammen. So viel Benimm hätte sie ihm gar nicht zugetraut.

„Guten Abend, Charmaine“, sagte er und nickte leicht. Dabei fiel ihr sein wunderbar dichtes Haar auf, leicht wellig und perfekt frisiert. Dahinein hätte sie gern einmal die Hände geschoben. Wie bitte? Sie erschrak, als ihr klar wurde, was sie gerade gedacht hatte.

„Sie sehen sehr … hübsch aus“, fügte er nun hinzu und sah sie nach wie vor begehrlich an.

Charmaine war froh, dass ihr der Oberkellner in diesem Moment den Stuhl herauszog. So konnte sie beim Hinsetzen den Blick abwenden, und der Scheich sah nicht, dass sie sich über sein Kompliment freute.

„Ich schicke sofort jemanden vom personel, der Ihnen den ganzen Abend exclusivement zur Verfügung steht, Eure Hoheit“, sagte der Oberkellner und verneigte sich vor dem Prinzen, bevor er geschäftig davoneilte und die beiden allein ließ.

Charmaine war nach wie vor so geschockt über ihren Wunsch, das Haar des Prinzen zu berühren, dass ihr um nichts in der Welt einfallen wollte, was sie sagen sollte. Für einige Sekunden herrschte unangenehmes Schweigen, und Charmaine hoffte inständig, ihre Bedienung möge bald kommen. Glücklicherweise erschien gleich darauf ein schlanker junger Mann mit feingliedrigen Händen. Er reichte jedem eine Speisekarte, ratterte – ohne französischen Akzent – die Empfehlungen des Chefkochs herunter und fragte dann, ob sie einen Aperitif wünschten oder eine Flasche Wein.

„Bringen Sie mir Mineralwasser“, befahl der Prinz, ohne die Weinkarte eines Blickes zu würdigen. „Mit Kohlensäure.“ An Charmaine gewandt fügte er hinzu: „Ich trinke keinen Alkohol, aber wenn Sie einen Drink zum Essen möchten …“ Er reichte ihr die Karte.

„Ich trinke auch keinen Alkohol“, antwortete sie und gab dem Ober die Karte zurück. „Mineralwasser ist wunderbar.“ Daraufhin schenkte sie ihrem Gegenüber sogar ein Lächeln, sehr zufrieden, dass sie ihm gerade die Tour vermasselt hatte. Falls er darauf aus gewesen sein sollte, sie mit Alkohol gefügig zu machen, um sie dann in seiner Suite zu vernaschen, musste er sich etwas anderes überlegen.

Die Bedienung eilte davon, und sie waren wieder allein.

„Trinken Sie denn nie Alkohol?“, fragte der Prinz, allerdings eher erstaunt als enttäuscht.

„Nein, nie.“

„Und warum nicht?“

„Ich habe meine Gründe.“

„Die Sie mir aber nicht erzählen wollen“, meinte er daraufhin lächelnd, wodurch seine strengen Züge gemildert wurden.

„Messerscharf bemerkt“, sagte sie locker, doch im Schoß ballte sie die Hände zu Fäusten. Dieser Mann brachte sie einfach ständig auf die Palme. Das lag eindeutig daran, wie er sie ansah. So … so … begehrlich. Und gleichzeitig so verdammt vertraulich, als würde sie bereits mit ihm schlafen. Wie gern hätte sie irgendeinen Vorwand benutzt, um ihn zu ohrfeigen, damit dieser arrogante Ausdruck aus seinem Gesicht verschwand und nur noch der glühend rote Abdruck ihrer Hand zu sehen wäre.

„Es missfällt Ihnen im höchsten Maß, den heutigen Abend mit mir verbringen zu müssen“, stellte er nun fest und überraschte sie damit, dass er ihre Gedanken so gut lesen konnte. Aber vielleicht brauchte man dazu auch kein zweites Gesicht. Man konnte sich leicht vorstellen, dass sie über die Situation nicht erfreut war.

„Aber woher denn?“, log sie trotzdem und rang sich ein Lächeln ab. „Meine Stiftung ist aufgrund des heutigen Abends um fünf Millionen Dollar reicher geworden. Wieso sollte ich etwas dagegen haben?“

„Bei unserem letzten Treffen haben Sie geschworen, niemals mit mir auszugehen“, erinnerte er sie da an jene peinliche Szene vor elf Monaten und beobachtete sie genau.

Sie zuckte die Schultern. „Das war damals, und heute ist heute. Das Leben ist nun einmal nicht vorhersehbar. Da nimmt man die Dinge besser, wie sie kommen.“

Er lächelte, und das ärgerte Charmaine, weil sie nicht wusste, was er damit ausdrücken wollte.

„Was die Unvorhersehbarkeit des Lebens betrifft, haben Sie absolut recht, meine liebe Charmaine. Oder stört es Sie, wenn ich Sie so anrede? Anscheinend kennt kein Mensch Ihren Nachnamen. Da wusste ich nicht, wie ich Sie sonst nennen soll.“

„Ich heiße Christie mit Nachnamen. Aber Charmaine ist in Ordnung.“ Sie war versucht hinzuzufügen, er könne das Wort „liebe“ weglassen. Aber wenn sie einmal spitzfindig wurde, fand sie kein Ende mehr.

„Dann müssen Sie aber auch Ali zu mir sagen.“

„Ich glaube nicht, dass ich das will, Eure Hoheit“, antwortete sie scharf. „Das ist eine viel zu persönliche Anrede. Mich nennen alle Charmaine, wobei ich sicher bin, dass nur Ihre nächsten Verwandten und Freunde Sie mit dem Vornamen anreden. Und zu Letzteren zähle ich mich nun wirklich nicht.“

Kurzzeitig trat ein gefährliches Funkeln in seine Augen, und Charmaine konnte sich in etwa vorstellen, was Rico mit „der Mann kann gefährlich werden“ gemeint hatte. Offenbar wurde Prinz Ali ziemlich aufbrausend, wenn man ihm auf diese Art kam. Aber da ging es ihr nicht anders.

„Warum sind Sie eigentlich so darauf aus, unhöflich zu mir zu sein?“, wollte er jetzt wissen.

„Ganz im Gegenteil, ich bemühe mich, die Regeln des Anstands zu wahren. Manchmal hält man uns Australier für unhöflich, nur weil wir ehrlich sind. Sie haben sich meine Gesellschaft zum Essen für den heutigen Abend erkauft, aber sonst nichts. Das sollte Rico Ihnen klarmachen. Hat er es vergessen?“

„Nein, Enrico hat mir ganz genau gesagt, was Sie mich wissen lassen wollten, und ich habe gut aufgepasst. Vielleicht war es dumm von mir zu hoffen, Sie von Ihrem Missfallen meine Person betreffend abbringen zu können. Indem Sie mir heute Abend die Gelegenheit geben, Ihnen zu zeigen, dass ich nicht so bin, wie Sie es glauben. Wie haben Sie mich noch letztes Jahr genannt? Einen verzogenen, arroganten Mann, dem man nur selten etwas abschlägt?“

„Hört sich ganz danach an“, sagte Charmaine, obwohl sie genau wusste, dass es ihr exakter Wortlaut gewesen war. Offensichtlich hatte sich dem Prinzen jedes beleidigende Wort ins Gedächtnis gegraben und sein aufgeblasenes Ego nachhaltig erschüttert. Jetzt wollte er sie vom Gegenteil ihrer Behauptung überzeugen, aber das konnte er vergessen. Schließlich war sie heute Abend nur hier, weil er verzogen, arrogant und nicht in der Lage war, ein Nein zu akzeptieren.

Der Ober kam mit dem Mineralwasser und fragte, ob sie jetzt bestellen wollten. Doch der Prinz winkte ab. „Geben Sie uns noch zehn Minuten“, sagte er. „Bisher hatten wir keine Zeit, einen Blick in die Speisekarte zu werfen.“

Bei der Vorstellung, das angeschnittene Thema zu vertiefen, wankte Charmaines Entschluss, höflich zu bleiben. Vorsorglich hielt sie die in Leder gebundene Speisekarte so, dass sie ihr als Sichtschutz diente. Doch obwohl der Prinz ihr jetzt keine schmachtenden Blicke mehr zuwerfen konnte, blieb ihr die Erinnerung daran, und sie kam sich vor wie ein seltener Schmetterling, den ein fanatischer Sammler unbedingt haben wollte – tot oder lebendig –, um ihn sich unter der Lupe anzusehen.

Langsam senkte sie die Karte, nur um festzustellen, dass der Prinz sie immer noch beobachtete. Irgendwie ergriff sie dabei Panik, und das machte sie wütend. „Ich habe keine Ahnung, was ich bestellen soll“, sagte sie brüsk und schlug die Karte zu. „Würden Sie vielleicht für mich wählen, Eure Hoheit? Ich esse alles außer Backpflaumen, die kann ich nicht ausstehen.“

„Sie trinken keinen Alkohol und sind beim Essen nicht wählerisch, ziemlich ungewöhnlich für eine Frau aus dem Westen“, sagte er wie zu sich selbst, aber wenigstens wandte er sein Augenmerk jetzt der Karte zu. Charmaine verspürte eine enorme Erleichterung, seufzte unwillkürlich und lehnte sich zurück.

„Sie klingen müde“, bemerkte der Prinz, glücklicherweise, ohne aufzusehen.

„Ich hatte eine sehr arbeitsintensive Woche.“

„Wegen Ihrer Stiftung oder wegen des Modelns?“, fragte er, wiederum ohne aufzusehen.

„Letzteres. Die Marketingleiterin der angesehenen Dessousfirma Femme Fatale hat mich gebucht. Das ewige An- und Ausziehen und Schminken ist unheimlich anstrengend. Aber wenigstens durfte ich sämtliche Dessous behalten.“

Jetzt sah er allerdings doch auf, und Charmaine musste sich eingestehen, dass sie bei einem Mann noch nie so eindrucksvolle Augen gesehen hatte. Wahrscheinlich fiel es einer normalen Frau schwer, sich ihrem Zauber zu entziehen. Gut, dass sie, was das betraf, nicht normal war, sonst wäre es dem Scheich sicher gelungen, sie zu verführen. Denn das hatte er bestimmt vor. Sein Stolz verlangte mehr als nur ihre Gesellschaft bei einem miserablen Dinner.

„Ich wusste ja gar nicht, dass Femme Fatale auch Unterwäsche herstellt. Ich dachte, es sei eine Parfümfirma. Dabei habe ich Sie auch zum ersten Mal gesehen, in einem Werbespot für Unterwäsche, bei dem Sie die Salome darstellten.“

Daher also sein Interesse an ihr! Das wunderte Charmaine nicht. In dem Spot hatte sie beinah nichts angehabt. Und die Fernsehzensoren hatten befunden, ihr Tanz der sieben Schleier müsse beim fünften enden.

„Die Leute von Femme Fatale haben mit Parfüm angefangen, aber jetzt wollen sie auch eine Linie mit sexy Dessous herausbringen. Ich bin das Gesicht für ihre Sommerkollektion, die demnächst auf der Website des Unternehmens im Internet veröffentlicht wird.“

„Dann kann Sie ja alle Welt halb nackt sehen!“

„Darüber scheinen Sie ja geradezu schockiert zu sein, verehrter Prinz!“, rief Charmaine belustigt und verärgert zugleich. „Wahrscheinlich empfinden Sie es als unmoralisch, wenn sich eine Frau in Unterwäsche fotografieren lässt.“

Bemüht, seine Gefühle im Zaum zu halten, biss er die Zähne zusammen. „Ich … ich halte es für unter Ihrer Würde.“

„Ach tatsächlich! Na ja, da, wo Sie herkommen, dürfen die Männer wahrscheinlich alles, und die Frauen werden in sämtlichen Lebensbereichen eingeengt. Begründen tut man das dann mit ihrer Würde.“

„Bitte“, sagte er mit zusammengekniffenen Augen, „lassen Sie sich nicht von Ihren Vorurteilen leiten. In Dubar werden die Frauen hoch geachtet und beschützt und nicht eingeengt.“

Gern hätte Charmaine das Thema vertieft, aber in diesem Augenblick kam der Ober zurück. Was vielleicht besser war, denn sie wollte sich nicht schon jetzt mit dem Prinzen streiten.

Er bestellte drei Gänge: als Vorspeise „Garnelen, orientalische Art“, als Hauptgang „Ente“ und danach „Mousse au chocolat“. Das klang alles lecker, bedeutete aber eine zusätzliche Stunde im Fitnessstudio. Egal, morgen hatte sie ohnehin nichts vor. Am Wochenende wurde nicht gemodelt, da speziell für Außenaufnahmen viel zu viele Menschen unterwegs waren. Einen festen Freund gab es nicht, und für ihre Stiftung musste sie dank Prinz Ali erst einmal nichts mehr tun. Am Montag brauchte sie auch nicht irgendwo zu sein, sodass sie sonntagabends schon hätte an den Flug denken müssen. Eigentlich hatte sie die beiden nächsten Wochen frei, bevor es dann bis Weihnachten wieder richtig eng wurde.

Vielleicht, dachte sie jetzt, sollte ich die Zeit nutzen, um mich einmal so richtig auszuruhen. Sie könnte ihre Eltern besuchen. Aber bei dem Gedanken befiel sie sofort ein ungutes Gefühl. Nein, nein, das hatte Zeit bis Weihnachten. Da würde sich ein Besuch ohnehin nicht vermeiden lassen.

„Ich nehme an“, sagte der Prinz, sobald der Ober das Separee verlassen hatte, „es gibt keine Möglichkeit, Ihr Vorurteil bezüglich meiner Person zu revidieren. Ich bin Araber, und das genügt Ihnen, um mich zu verurteilen, ohne dass Sie je etwas von meinem Land und unserer Kultur gehört haben.“

Wie konnte er nur so etwas behaupten? Um sich zu beruhigen, nippte Charmaine mehrmals an ihrem Wasser. „Dass Sie Araber sind, hat nichts mit meiner Einstellung Ihnen gegenüber zu tun. Obwohl ich eingestehen muss, dass mir nicht gefällt, wie Frauen bei Ihnen behandelt werden. Dem können Sie noch so oft widersprechen, die Realität straft Sie Lügen. Was mich an Männern wie Ihnen aufbringt, hat aber nicht so sehr etwas mit Ihrer Herkunft, sondern mit Ihrem enormen Reichtum und den Extratouren zu tun, die Sie sich dabei herausnehmen. Milliardäre glauben, sich mit ihrem Geld alles kaufen zu können: Flugzeuge, Paläste und Frauen.“

Eine Weile sagte er nichts, dann lehnte er sich zurück, sodass sein Gesicht im Schatten lag. „Sie glauben also“, fragte er dann scheinbar gelassen, „ich würde Sie einfach nur haben wollen?“

„Das weiß ich sogar!“, entrüstete sich Charmaine bei des Prinzen Versuch, seine Beweggründe zu verschleiern. „Sie haben mich Ihre Lust von Anfang an spüren lassen und erwartet, ich würde Ja zu Ihnen sagen. Als ich Ihre Einladung zum Abendessen ausschlug, hat Sie das dermaßen gefuchst, dass Sie sogar bereit waren, fünf Millionen Dollar hinzulegen, um mich zu zwingen. Deshalb finde ich es auch ziemlich dreist, dass Sie sich einbilden, ich würde mein Missfallen heute Abend nicht zeigen. Und, um Ihre Frage zu beantworten, es gibt nichts, das meine Meinung von Ihnen ändern könnte. Ich weiß längst, was Sie für ein Mensch sind.“

„Das bezweifle ich doch sehr, Verehrteste“, sagte er in einem Ton, bei dem es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. Als er sich nun wieder vorbeugte, war sein Gesichtsausdruck hart und wirkte seltsam entschlossen. „In diesem Fall“, stieß er dann hervor, „lassen Sie mir keine Wahl.“

Charmaine schluckte und bekam eine Gänsehaut. „Was meinen Sie damit?“, fragte sie dann, obwohl sie wusste, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.

„Ich habe fünf Millionen Dollar für einige wenige Stunden mit Ihnen gezahlt. Ich zahle fünfhundert Millionen an Ihre Stiftung, wenn … wenn Sie eine Woche mit mir verbringen.“

4. KAPITEL

Charmaine brauchte sich gar nicht einzubilden, dass der Prinz nur ihre Gesellschaft wollte. Ihn interessierte nur Sex. „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?“, meinte sie schließlich entgeistert.

„Doch, mein voller Ernst.“

Charmaine musste erst einmal einige Schlucke trinken. Als sie ihr Glas hob, bebte ihre Hand. „Sie sind doch verrückt“, sagte sie dann leise.

„Vielleicht, aber das steht hier nicht zur Debatte. Mein Angebot ist ehrlich gemeint. Wie lautet Ihre Antwort?“

Im Traum dachte sie nicht daran, seinem Wunsch nachzukommen, und wollte schon ablehnen. Aber irgendwie brachte sie kein Wort über die Lippen. Fünfhundert Millionen Dollar, fünfhundert Millionen Dollar, an etwas anderes konnte sie gar nicht denken. Fünfhundert Millionen, eine halbe Milliarde – ein gigantisches Vermögen!

So viel Geld würde sie nicht auftreiben, wenn sie ein Leben lang modelte und jede Sekunde ihrer Freizeit opferte, um Gelder lockerzumachen. Doch jetzt bot sich ihr die Chance dazu, wenn sie bloß eine einzige Woche ihres Lebens im Bett des Scheichsohns verbrachte. Und wie viel Gutes sie danach tun könnte!

„Eine Woche, haben Sie gesagt?“ Als sie das triumphierende Glitzern in den Augen ihres Gegenübers sah, hätte sie die Frage am liebsten zurückgenommen. Aber weder konnte noch wollte sie es, und damit war der Deal so gut wie besiegelt.

„Eigentlich nur fünf Tage“, meinte der Prinz jetzt. „Jeden Sonntagabend, so gegen sechs Uhr, kehre ich per Hubschrauber auf mein Gestüt zurück und bin am darauffolgenden Freitag um die gleiche Zeit wieder in Sydney. Das bedeutet für Sie hundert Millionen Dollar für jeden Tag, an dem Sie mir Ihre Zeit widmen.“

„Meine Zeit?“, fragte Charmaine spöttisch. „Na, das ist ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts! Sie wollen viel mehr von mir, Eure Hoheit. Sie wollen, dass ich mit Ihnen schlafe.“

Das stritt er nicht ab, und während er nach wie vor den Blick auf sie richtete, kämpfte Charmaine mit ihrem Gefühlswirrwarr. „Ich würde das Geld vorab haben wollen“, verlangte sie schließlich, obwohl sie davor zurückschreckte, mit dem Mann ins Bett zu steigen und fünf Tage und Nächte seinen sexuellen Wünschen ausgesetzt zu sein.

Doch das ließ sie sich nicht anmerken. Scheinbar mühelos hielt sie seinem Blick stand. Verhalf ihr der Stolz dazu oder nur die Übung? Seit Langem beherrschte sie die Kunst, einem Mann nicht das Gefühl zu geben, er sei ihr überlegen.

„Selbstverständlich, wenn Sie es wünschen“, sagte er jetzt, „wird die volle Summe am kommenden Montag Ihrem Stiftungskonto gutgeschrieben. Dafür erwarte ich, dass Sie am Sonntag in acht Tagen um siebzehn Uhr in meiner Hotelsuite erscheinen und passende Kleidung dabeihaben.“

Erst am nächsten Sonntag? Da würde sie sich dann eine Woche Gedanken machen, was sie mit ihm tun musste. „Was meinen Sie mit passender Kleidung?“

„Sie brauchen Sachen für alle möglichen Aktivitäten.“

Ach tatsächlich?, dachte Charmaine spöttisch. Sie war davon ausgegangen, ihre bloße Haut würde ihm genügen. „Was zum Beispiel?“

„Freizeitkleidung für verschiedene Sportarten. Auf meinem Besitz befinden sich ein beheizter Pool, ein Tennisplatz und ein komplett ausgestattetes Fitnessstudio, die Pferde nicht zu vergessen. Können Sie reiten?“

„Ich bleibe oben, wenn das Tier nicht zu wild ist.“

„Dann wähle ich Ihnen ein sanftes aus“, versprach er. Das aufgeregte Leuchten in seinen Augen schien darauf hinzudeuten, dass er dabei an eine andere Form des Reitens und ein weniger sanftes Wesen dachte – sich selbst.

„Tun Sie das!“ Bei der Vorstellung, auf ihm zu sitzen, bekam sie Magenkrämpfe. „Wieso nicht schon morgen?“, fragte sie dann geradeheraus. Je eher sie das Ganze hinter sich brachte, desto besser.

Erstaunt sah er sie an. „Bis dahin wäre das Geld Ihrem Konto aber noch nicht gutgeschrieben.“

„Ich nehme Sie beim Wort, dass Sie es bis Montag überweisen.“

„Bei meinem Wort als Araber?“, fragte er belustigt.

„Nein, bei Ihrem Wort als Gentleman. Das sind Sie doch hoffentlich, sonst würde ich dieses Arrangement nicht einmal in Erwägung ziehen.“ Noch während sie das sagte, wurde ihr bewusst, wie lächerlich es war. Ein Gentleman würde sie doch nicht mit seinem ungeheuren Reichtum zum Sex nötigen!

Er lächelte spöttisch. „Bitte versuchen Sie nicht, mich zum Narren zu halten, Charmaine. Wir beide wissen, dass ich kein Gentleman bin. Aber ich stehe zu meinem Wort. In Rico und Renée haben wir gemeinsame Freunde. Sicher legen beide die Hand für mich ins Feuer.“

Charmaine behielt für sich, dass Rico ihr geraten hatte, sich vor Ali in Acht zu nehmen. Zu dumm nur, dass sie seine Warnung in den Wind geschlagen hatte. Aber woher hätte sie auch wissen sollen, dass der Prinz zu derartigen Mitteln greifen würde?

Wieder erbebte sie bei dem Gedanken, was ihr bevorstand. Allein bei der Vorstellung, sich vor ihm auszuziehen, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Dabei hatte sie schon oft beinah nackt gemodelt, und vor den Shows zog sie sich, ohne mit der Wimper zu zucken, vor fremden Leuten aus und zeigte sich dann ebenfalls ohne jede Scham auf dem Laufsteg. Da würde es ihr ja wohl gelingen, das Gleiche vor dem Scheich zu tun. Schließlich brauchte sie sich ihres Körpers nicht zu schämen. Schüchtern war sie auch nicht. Wahrscheinlich bereitete ihr eher der Sex danach Probleme.

Denk einfach nur an das Geld, befahl sie sich nun, und wie viel Gutes du damit tun kannst: Forschungsarbeiten in Auftrag geben, kostspieliges medizinisches Gerät anschaffen und Unterkünfte für Familienmitglieder erkrankter Kinder finanzieren, für die eine Hotelunterbringung zu teuer wäre.

Während sie diese Erwägungen anstellte, verstärkte sich ihre Überzeugung, das Angebot des Scheichs anzunehmen, egal, wie sehr es sie in ihrem Stolz verletzen mochte. Schließlich war es keine große Sache, mit ihm ins Bett zu gehen. Wenn er fett, hässlich oder unhöflich gewesen wäre … Aber er war durchtrainiert und schlank und hatte angenehme Manieren. Da war nichts, was sie abstieß.

Wenn sie vergessen könnte, dass er reich war, würde sich ihre sexuelle Begegnung kaum von den anderen unterscheiden. Dabei hatte sie sich auch nicht wohlgefühlt, geschweige denn etwas genossen. Natürlich hatte sie die Männer gemocht, mit denen sie ins Bett gegangen war, und darin lag wahrscheinlich der Unterschied.

„Ich frage Rico und Renée lieber nicht nach Ihrem Charakter. Ich möchte, dass die Sache mit nächster Woche geheim bleibt.“

„Bestimmt würde Ihr sexy Image unterstützt, wenn die Öffentlichkeit erfahren würde, dass unser Dinner zu einer Affäre geführt hat.“

„Ich bitte Sie! Dazu wird es nicht kommen.“

„Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht passen wir ja perfekt zueinander, und vielleicht genießen Sie es so sehr, mit mir zu schlafen, dass Sie sich wünschen, die Woche würde niemals enden.“

„Sie sind ja verrückt!“, sagte Charmaine, als der Ober die Vorspeise brachte. Doch ihr war der Appetit vergangen.

Prinz Ali dagegen griff herzhaft zu. „Essen Sie!“, forderte er sie auf, als er bemerkte, dass Charmaine nichts anrührte.

Autor

Miranda Lee
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