Julia Herzensbrecher Band 17

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IM CASTELLO DES GLÜCKS von KIM LAWRENCE
Eisgraue Augen, ein verwegenes Lächeln – Maggie weiß sofort: Dieser Mann ist gefährlich! Aber als Rafael Castenadas sie auf sein einsames Schloss in den spanischen Bergen einlädt, vergisst sie für eine leidenschaftliche Nacht alle Vorsicht. Und macht eine schockierende Entdeckung!

RENDEZVOUS AM MITTELMEER von FIONA HOOD-STEWART
Die junge Hollywood-Schönheit Victoria fühlt sich wie im Märchen, als Prinz Rodolfo sie auf sein Schloss am Mittelmeer einlädt. Während er ihr die schönsten Seiten seiner Heimat zeigt, verliebt sie sich unsterblich. Aber ihrem Glück scheint keine Zukunft vergönnt …

NIMM MICH MIT AUF DEIN SCHLOSS! von JESSICA GILMORE
Ihr neuer Boss ist einfach zum Verlieben – was nicht sein darf! Denn Maddison wird nur ein halbes Jahr in London bleiben. Doch als sie mit Kit Buchanan zu seinem Schloss nach Schottland reist, geschieht etwas zwischen ihnen, das Maddisons Lebensplanung komplett in Frage stellt …


  • Erscheinungstag 22.04.2022
  • Bandnummer 17
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512404
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kim Lawrence, Fiona Hood-Stewart, Jessica Gilmore

JULIA HERZENSBRECHER BAND 17

1. KAPITEL

Vorsichtig mühte Susan Ward sich die Rampe zur Küche hinunter, während Ehemann und Tochter bereitstanden, um im Notfall helfen zu können.

Die besorgten Blicke ihrer Lieben ignorierend, lehnte sie ihre Krücken an den Tisch und ließ sich vorsichtig auf dem Stuhl nieder, den ihr Gatte fürsorglich ein Stück vorgezogen hatte.

Maggie, die ihre Mutter ängstlich beobachtete, seufzte erleichtert auf, als die endlich sicher auf ihrem Platz saß. „Du kannst ja schon richtig gut mit den Dingern umgehen, Mum.“ Wenn du nur nicht so ehrgeizig und eigensinnig wärst! dachte sie bei sich.

Ein Glück, dass ihr Vater seine Arbeit auf der Bohrinsel aufgegeben hatte und in den Ruhestand getreten war. So konnte er hier ein Auge auf alles haben, wenn sie unterwegs sein musste.

Zwölf Wochen lag die Operation bereits zurück. Doch ihre Mutter, die in den letzten achtzehn Jahren an den Rollstuhl gefesselt war, auf den eigenen Beinen stehen zu sehen – wenn auch nur für wenige Minuten – verursachte Maggie immer noch Gänsehaut. Und wenn alles weiter nach Plan verlief, würde sie in wenigen Monaten sogar ganz auf Rollstuhl und Gehhilfen verzichten können.

„Schon gut …“ Susan wehrte das Lob mit einem ungeduldigen Schulterzucken ab und musterte eindringlich ihre Tochter, die auf einem Stuhl ihr gegenüber Platz genommen hatte. „Verrate mir lieber, wie es dir geht. Wirklich geht“, fügte sie hinzu und hob die Hand, als sie an Maggies Miene sah, dass die abwiegeln wollte. „Sie sieht schrecklich erschöpft aus, findest du nicht, John?“, wandte sie sich stattdessen an ihren Mann um Unterstützung.

John Wards warmer Blick ruhte auf dem blassen, herzförmigen Gesicht seiner Tochter. „Sie sieht wunderschön aus.“

Wenigstens einen Bewunderer habe ich, dachte Maggie wehmütig, selbst wenn es nur mein Vater ist. „Danke, Dad. Das Gleiche hast du allerdings auch behauptet, als ich zwanzig Pfund schwerer war, Pubertätsakne hatte und eine Zahnspange.“

„Versuche nicht, das Thema zu wechseln“, warnte ihre Mutter sie in strengem Ton.

Maggie verkniff sich ein Seufzen. „Ich habe dir doch gesagt, mir geht es gut, Mum“, versicherte sie mit einem strahlenden Lächeln, das als Gradmesser ihres Wohlbefindens gelten sollte. Mit den Jahren hatte sie es regelrecht perfektioniert. Denn egal, wie mies ihr Tag auch gewesen sein mochte, seit klein auf war ihr stets bewusst gewesen, dass es ihrer Mutter zur gleichen Zeit viel schlechter ging.

Genau gesagt seit dem Tag, als ihr Vater mit ihrem Babybruder auf dem Arm aus dem Krankenhaus kam, und ihre Mutter nicht dabei war. Damals war sie fünf Jahre alt gewesen. Ihr anderer Bruder Ben, ein lebhafter Dreijähriger, tobte lärmend um sie beide herum, während sich John Ward mit Baby Sam auf dem Arm neben Maggie setzte und ihr die bedrückende Situation erklärte.

Ihre Mum müsse noch eine Weile im Krankenhaus bleiben, und wenn sie wiederkäme, müsse Maggie ein tapferes großes Mädchen sein und ihr helfen, da es ihr nicht gut gehe. Damals hatte sie nicht wirklich verstanden, was mit ihrer Mutter los war. Aber es musste etwas Schlimmes sein, weil sie ihren großen, starken Vater noch nie zuvor hatte weinen sehen. Es machte ihr Angst, und so hatte sie ihrem Dad versprochen, immer ein braves Mädchen zu sein, während ihr selbst heiße Tränen über die runden Wangen kullerten.

Natürlich hatte sie das kindliche Versprechen nicht immer einhalten können, aber die Entschlossenheit, ihre Mutter zu beschützen und dafür zu sorgen, dass ihr Vater niemals wieder weinen musste, wurde an jenem Tag geboren.

Und gemessen an dem, was ihre Mutter zu erleiden hatte, fielen eine geplatzte Verlobung und eine abgesagte Hochzeit doch nun wirklich nicht ins Gewicht …

„Ernsthaft, es geht mir ausgezeichnet“, versicherte Maggie noch mal mit fester Stimme, angesichts der skeptischen Blicke von zwei Seiten. Dann schlang sie das üppige dunkle Haar geschickt im Nacken zu einem Knoten zusammen und dankte lächelnd für den Becher Kaffee, den ihr Vater vor sie hinstellte. „Es tut mir nur leid, alle auf diese Art und Weise vor den Kopf schlagen zu müssen.“

Mit gefurchter Stirn versuchte sie auszurechnen, wie viel die abgesagte Hochzeit ihre Eltern wohl insgesamt kosten würde.

„Vergiss das Geld“, sagte ihr Vater ruhig, als habe er ihre Gedanken gelesen. „Das ist nicht wichtig …“

Er brach ab, als sich die Tür öffnete und mit einem Schwall eisiger Luft zwei junge Männer in verschmutzter Rugby-Montur in die Küche platzten. Ihre Schwester komplett ignorierend, riefen sie etwas Unverständliches in Richtung der Eltern und strebten zielgerichtet auf den Kühlschrank zu.

„Glas, Sam“, sagte Susan automatisch und ohne hinzuschauen, während ihr Jüngster bereits die Milchtüte zum Trinken angesetzt und sie nach einem langen Zug wieder absetzte.

„Wir haben verloren, falls das hier überhaupt jemanden interessiert“, brummte er vorwurfsvoll.

Sein älterer und etwas feinfühligerer Bruder stieß ihm einen Ellenbogen in die Rippen und senkte das Kühlpad, das er an seine aufgeplatzte Lippe gepresst hatte. „Sie sind nicht interessiert, Sam. Also, was geht hier ab?“

Maggie sprang förmlich auf die Füße. Es ihren Eltern gestehen zu müssen, war schon schlimm genug gewesen, wobei sich die beiden dankenswerterweise bisher alle Fragen verkniffen hatten, die ihnen unter Garantie auf der Zunge brannten. Aber sich dem Spott und der Häme ihrer Brüder auszuliefern – und dann noch beiden gleichzeitig –, dazu fühlte sie sich momentan absolut nicht in der Lage.

„Nichts“, beantwortete Maggie seine Frage kurz und bündig. „Zeig mal her … das kann mit einem Stich genäht werden“, beurteilte sie mit sachkundigem Blick Bens Verletzung.

Der rollte nur mit den Augen, nahm seinem Bruder die Milchtüte aus der Hand und trank gierig daraus, bevor er seine Schwester kritisch musterte. „Nichts, hmm? Und warum siehst du dann aus wie eine aufgewärmte Leiche?“

„Ich habe gerade zehn Nachtschichten in einer überfüllten Notaufnahme hinter mir“, erinnerte Maggie ihn.

„Was ist daran neu? Du arbeitest doch ständig zu den unmöglichsten Zeiten. Um Krankenschwester zu werden, muss man ohnehin verrückt sein, wenn du mich fragst.“

„Danke, Bruderherz!“ Maggies Lippen verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln.

Die perfekte Krankenschwester, hatte Simon sie genannt. Die unwillkommene Erinnerung krampfte ihren Magen zusammen. Obwohl, um bei der Wahrheit zu bleiben, er dabei nur seine Mutter zitierte – die manipulative und besitzergreifende Mrs. Greer. Maggie widerstand der Versuchung, sich die Ohren zuzuhalten, während die quälenden Details jener Unterhaltung langsam in ihre Erinnerung zurückkehrten …

„Natürlich wirst du deine Schwesterntätigkeit aufgeben, sobald wir verheiratet sind. Wenn du willst, kannst du mich während der Wahlkampagne unterstützen oder dich sonst irgendwie sozial engagieren.“

„Ich liebe meine Arbeit“, hatte sie geantwortet und sich gefragt, wie Simon darauf reagieren würde, dass sie nicht die leiseste Absicht hatte, ihren Job aufzugeben.

„Natürlich tust du das, Darling. Mutter sagt immer, du bist die perfekte Krankenschwester, und wenn sie bei uns einzieht …“

An diesem Punkt hatte Maggie ihren aufsteigenden Horror einfach nicht verbergen können. „Deine Mutter will bei uns leben?“

Und Simon gelang es erst recht nicht, seinen Unmut über die Unterbrechung für sich zu behalten. „Selbstverständlich“, lautete seine schmallippige, ultimative Antwort. Bei ihm hörte es sich an, als sei es eine ausgemachte Sache zwischen ihnen. Aber bin ich daran nicht selbst schuld? musste Maggie sich ehrlicherweise fragen. Hatte sie nicht immer viel zu leicht und schnell allem zugestimmt, was Simon für richtig erachtete und beschloss?

„Hast du auch Verletzte von dem Zugunglück behandelt, über das im Fernsehen berichtet wurde, Mags?“

Maggie zwang ihre Gedanken in die Gegenwart zurück und beantwortete Sams Frage mit einem abwesenden Kopfschütteln.

„Das würde nämlich erklären, warum du so fertig aussiehst.“

Ben schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube, das hat nichts mit ihrer Arbeit zu tun“, überlegte er in einem Anflug von Hellsichtigkeit. Plötzlich weiteten sich seine Augen. „Bist du etwa schwanger?“

Maggie spürte, wie sie rot wurde, und Susan schaute so schuldbewusst drein, dass der Schluss nahe lag, dass dies auch ihre erste Vermutung gewesen war.

„Ben!“, ermahnte ihn sein Vater streng.

„Ist schon in Ordnung, Dad, es ist ja kein Geheimnis“, seufzte Maggie und wandte sich ihren Brüdern zu. „Wenn ihr es unbedingt wissen müsst … meine Hochzeit wird nicht stattfinden.“

Sam stieß die Kühlschranktür mit dem Ellenbogen zu und ließ einen leisen Pfiff hören. „Also ist der schleimige Simon endgültig aus dem Rennen!“

„Simon ist nicht …“, setzte Maggie automatisch zum Protest an und verstummte im nächsten Moment. Und ob er das war! Es beschämte sie nur, dass ausgerechnet ihr kleiner Bruder mehr Menschenkenntnis zu haben schien als sie selbst.

Vier Jahre ihres Lebens hatte sie an Simon verschwendet, was ja noch nachzuvollziehen gewesen wäre, hätte sie ihn wenigstens heiß und innig geliebt. Aber Maggie wusste nur zu gut, das dem nicht so gewesen war. Vielleicht gehörte sie ja zu den Menschen, die gar nicht richtig lieben konnten? Ein deprimierender Gedanke, aber eine einleuchtende Erklärung, warum sie noch nie diese himmelsstürmende, blind machende Leidenschaft erlebt hatte, von der ihre Freunde immer sprachen.

„Musst du jetzt alle Hochzeitsgeschenke zurückgeben? Da ist nämlich eine Kaffeemaschine bei, die wesentlich moderner und besser als unsere alte …“

„Hat er dich etwa abserviert?“, unterbrach Ben seinen unsensiblen Bruder. „Oder … Grundgütiger!“, rief er aus, als ihm ein ungeheuerlicher Gedanke kam. „Hat dieser Mistkerl dich etwa betrogen?“

Sams höhnisches Gelächter enthob Maggie vorerst einer Antwort. „Doch nicht dieser blutleere Schlappschwanz!“, lautete sein wenig schmeichelhaftes Urteil.

Während vier Augenpaare auf ihr ruhten, hatte Maggie die kurze Pause genutzt, um sich innerlich zu wappnen. „Simon hat mit niemandem geschlafen“, erklärte sie wahrheitsgemäß.

Nicht einmal mit mir, setzte sie unhörbar hinzu und versuchte, ein hysterisches Kichern zu unterdrücken.

„Und was hat der Mistkerl dann getan?“

Maggie zögerte, senkte den Blick und verzichtete sogar darauf, Sam wegen seiner rüden Ausdrucksweise zu tadeln. Das Wissen, dass sie adoptiert worden war, hatte in der Vergangenheit nie ein Problem für sie dargstellt, abgesehen von einer unbestimmten Sehnsucht, vielleicht doch noch eines Tages ihre echte, leibliche Mutter zu suchen und kennenzulernen …

Deshalb wäre ihr auch nie in den Sinn gekommen, dass Simon in dieser Hinsicht Bedenken haben könnte. Wobei Bedenken stark untertrieben war, angesichts der Dringlichkeit und Ausdauer, mit der er versucht hatte, etwas über ihre familiären Wurzeln herauszufinden! Wenn sie jetzt daran zurückdachte, fiel ihr als Erstes ein, was er dafür als Argument anführte: Um Unannehmlichkeiten in der Zukunft auszuschließen, hatte er ihr mit selbstgefälligem Lächeln erläutert.

Maggie schloss gequält die Augen angesichts der Formulierung, wie sich, laut Simon, die Identität ihrer leiblichen Mutter auswirken könne: Irgendwann taucht die sprichwörtliche Leiche im Keller auf und ruiniert meine Karriere …

Und das dürfe er als angehender Spitzenpolitiker auf keinen Fall riskieren.

„Er hatte ein Problem mit …“ Als sie die Augen öffnete und in die erwartungsvollen Gesichter um sich herum schaute, zögerte Maggie erneut.

Mum und Dad hatten ihr schon vor Jahren signalisiert, dass sie jedes Verständnis dafür aufbringen würden, sollte sie Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter aufnehmen wollen. Doch instinktiv wusste Maggie, dass sie dieses Thema längst nicht so unberührt ließ, wie sie es ihr vorzumachen versuchten.

Dazu noch das Wissen um das ständige schlechte Gewissen von Susan, die durch ihre Krankheit mit ihren Kindern nicht so viel unternehmen konnte wie andere Mütter, hatte Maggie dazu veranlasst, darauf zu verzichten, nach einer Frau zu suchen, die vielleicht bei Spiel und Sport mithalten könnte, aber möglicherweise sonst keine mütterlichen Qualitäten aufwies.

Irgendwie wäre es ihr auch wie ein Betrug an ihren Adoptiveltern vorgekommen, die sie liebten und großgezogen hatten. Warum dann das Risiko eingehen, einer Fremden gegenüberzustehen, der nichts an ihr lag, und damit zum zweiten Mal tief verletzt zu werden?

Würden Susan und John ihr glauben, dass Simon seine Recherche ohne ihr Wissen und ihre Einwilligung durchgeführt hatte, oder dachten sie womöglich, sie hätte entschieden, dass sie ihr als Eltern nicht genügten? Nach einem schnellen Blick in die geliebten Gesichter entschied sich Maggie dafür, kein Risiko einzugehen.

„Es war kein spezielles Ereignis, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Dinge, die dazu führten, dass wir uns in aller Freundschaft trennten“, log sie diplomatisch und berührte dabei abwesend die kaum verheilten Schrammen an ihrem Handgelenk.

„Maggie wird darüber reden, wenn ihr danach ist“, kam John Ward ihr in gezwungenem Ton zu Hilfe. „Und ihr beiden habt wirklich die Sensibilität von zwei Ziegelsteinen. Eure arme Schwester …“

„… ist noch mal mit einem blauen Auge davongekommen, wenn du mich fragst“, unterbrach Benn seinen Vater. „Spar dir deinen vorwurfsvollen Blick, Dad“, forderte er unerschrocken. „Ich spreche nur aus, was alle denken. Sorry, Maggie, aber das ist die Wahrheit.“

Susan war es, die schließlich die lastende Stille durchbrach, die Bens hartem Statement folgte. „Was du jetzt brauchst, sind Ferien, mein Schatz.“

Maggie lachte. „Du meinst, ich sollte die geplante Hochzeitsreise einfach allein wahrnehmen?“ Wenn sie auf etwas verzichten konnte, dann auf diese Kreuzfahrt ins Mittelmeer, die von Anfang an ein Streitpunkt zwischen ihr und ihrem Bräutigam gewesen war. Simon konnte nämlich nur schwer einsehen, dass es vielleicht doch nicht üblich war, die eigene Mutter mit in die Flitterwochen zu nehmen. Seiner Empörung über Maggies Kleinlichkeit hatte er darin Ausdruck gegeben, dass er ultimativ von ihr forderte, ihre zukünftige Schwiegermutter beim nächsten Mal als Reisebegleitung zu akzeptieren, da sie Kreuzfahrten über alles liebe.

„Um Himmels willen, nein!“, rief Susan aus. „Auf diesen Kreuzfahrtsschiffen tummeln sich bestenfalls Leute mittleren Alters. Wo habe ich die Broschüren hingelegt, die du mir letztens gegeben hast, John? Ich glaube, drüben auf dem Klavier. Holst du sie mir bitte, Ben?“

„Mum, ich kann jetzt keinen Urlaub machen. Es gibt viel zu viel zu erledigen. Ich muss als Erstes …“

„Das werden alles dein Vater und ich für dich übernehmen, Kind.“

John nickte. „Natürlich, und wenn du schlau bist, gibst du gleich nach. Du kennst doch deine Mutter. Sie wird ihren hübschen Kopf durchsetzen, wie gewohnt“, sagte er zufrieden und küsste seine Frau auf den ergrauten Scheitel.

Und er behielt recht. Als das Wochenende vorüber war, konnte Maggie es immer noch kaum fassen, dass sie eine Bustour durch Europa gebucht hatte.

Susan nahm die Wahl ihrer Tochter mit gemischten Gefühlen auf. „Aber Maggie, in diesen vollklimatisierten Bussen wirst du niemand unter vierzig oder fünfzig antreffen“, gab sie zu bedenken.

„Wenn ich auf irgendetwas ganz bestimmt nicht aus bin, dann auf ein romantisches Abenteuer!“

„Und was ist mit Spaß?“

Das war eine Frage, die Maggie sich in den folgenden Wochen mehr als einmal stellte. Vielleicht sollte ich tatsächlich versuchen, etwas mehr Spontaneität zu entwickeln, überlegte sie. Nicht so spontan natürlich, wie es ihre Freundin Millie vorgeschlagen hatte, als sie ihr von der geplatzten Hochzeit erzählte. Spaß zu haben war eine Sache, aber eine vorübergehende Affäre mit einem völlig Fremden auch nur in Erwägung zu ziehen, kam für Maggie nicht infrage.

Auf den Einwand ihrer Freundin, sie hätte einfach noch nicht den richtigen Fremden getroffen, hatte sie nur vehement den Kopf geschüttelt. Aber woher sollte Millie auch wissen, dass sie keine Frau mit ausgeprägten sexuellen Bedürfnissen war?

2. KAPITEL

Rafael kämpfte sich durch den überfüllten Raum, in dem die Mitglieder zwei der ältesten und einflussreichsten Familien Spaniens sich eingefunden hatten, um die Geburt eines Zwillingspärchens zu feiern. Die beiden Jungen waren der sichtbare Beweis einer erfolgreichen Allianz der beiden Dynastien, geschlossen durch die Heirat ihrer Eltern.

Von der Seite näherte sich Rafaels Cousin Alfonso mit gerunzelter Stirn.

„Gibt es ein Problem?“, wollte Rafael wissen.

„Ich habe gerade eben mit dem Manager gesprochen, Rafe …“

Der nickte nur ermutigend, aber sein Cousin schüttelte den Kopf. „Ich kann dich nicht für alles bezahlen lassen.“

„Angst, ich wäre nicht solvent genug?“

Sein Cousin lachte. Die Höhe von Rafaels Vermögen war ebenso Thema in den Finanzseiten wie in den Klatschkolumnen der internationalen Presse. Doch selbst die realistischste Schätzung war eine Zahl mit so viel Nullen, dass Alfonso, der selbst nicht gerade arm war, ganz schwindelig wurde.

Wie alle Mitglieder des Castenadas-Clans stand Alfonso für altes Geld, obwohl viele der alten Familien, wie die seiner Frau, nicht mehr die Macht und finanzielle Rückendeckung von früher besaßen. Außer im Fall von Rafael, dem Familienrebell, dessen Reichtum nicht ererbt war.

Als sein Vater bei einem Segelunfall ums Leben kam, hinterließ er seinem Sohn ein riesiges Anwesen und einige tausend Hektar Land. Was davon noch nicht verkauft war, hatte er bis zum Stehkragen mit Hypotheken belastet, und das Landgut war nicht viel mehr als ein Haufen antiker Steine.

Der Besitz bedurfte einer massiven Investitionsspritze, und zwar nicht allein in Form von Bargeld, sondern Enthusiasmus, Kompetenz und Sachverstand, um den Anschluss ans einundzwanzigste Jahrhundert zu schaffen.

Rafael besaß alle drei Eigenschaften.

Erst im letzten Jahr hatte Rafael-Luis Castenadas seinem ohnehin schon breit gefächerten Firmenimperium einen Zeitungsverlag und eine Hotelkette hinzugefügt. Doch von der erwarteten Schande – die er nach der Prophezeiung seines Vaters eines Tages über die Familie bringen würde – bis dorthin, war es ein langer Weg gewesen.

„Lebte Onkel Felipe noch, wäre er ganz bestimmt stolz auf das, was du bisher erreicht hast.“

Rafaels Brauen wanderten ein Stück höher. „Denkst du wirklich?“

Alfonso schaute überrascht drein. „Aber natürlich!“

Rafael zuckte nur achtlos die Schultern und erinnerte sich daran, dass sein alter Herr den wenig traditionsverhafteten beruflichen Weg, den er einschlug, herablassend als blanken Unsinn bezeichnet hatte. „Nun ja, möglich ist so ziemlich alles, nehme ich an“, murmelte er träge.

Alles, außer der Fähigkeit, Vater auch nur irgendetwas recht zu machen! dachte er bei sich und überlegte, wann genau ihm das aufgegangen war. Doch es wollte ihm nicht einfallen. Dafür wusste er noch sehr genau, wie erleichtert er gewesen war, nachdem er endlich jeden Versuch in dieser Richtung aufgegeben hatte.

Anschließend hatte es eine kurze Zeit gegeben, während der er ein fast perverses Vergnügen daraus bezog, einen Lebensstil zu pflegen, der einzig dazu gedacht war, Felipe Castenadas auf die Palme zu bringen. Dieser spätpubertären Phase der Rebellion war Rafael zwar schnell entwachsen, zahlte aber immer noch den Preis dafür, weil er mit seinen wilden Eskapaden zum erklärten Liebling der Klatschpresse avancierte. Und die sorgte dafür, dass es ihm bis heute nicht gelungen war, sein Bad-Boy-Image endgültig abzulegen.

„Du zweifelst doch nicht etwa daran?“ Alfonsos naive Frage holte ihn in die Wirklichkeit zurück.

Rafaels Mund umspielte ein sardonisches Lächeln. „Mein Vater war ein elitärer Snob. Ein Castenadas zu sein, war seine Religion.“ Wie jemand denken konnte, allein der Zufall seiner Geburt mache ihn zu einem besseren oder wertvolleren Menschen, war für Rafael schon immer ein Rätsel gewesen.

Als er den stummen Kampf zwischen Schock und Missbilligung auf dem gutmütigen Gesicht seines Cousins sah, wurde ihm wieder einmal bewusst, wie sehr sie beide sich voneinander unterschieden. Alfonso war das Musterbeispiel eines gehorsamen Sohnes. Obwohl sie sonst gut miteinander auskamen, verstand er keinen Spaß, sobald es um die Ehre der Familie ging.

„Du wirst mir schon erlauben müssen, meinen Patensöhnen ein Taufgeschenk zu machen“, ging Rafael vorsichtshalber zu einem anderen Thema über. Nur wenige konnten seinem funkelnden Lächeln widerstehen, wenn er seinen Charme spielen ließ, und Alfonso gehörte nicht dazu.

„Aber Kisten voller Jahrgangswein …?“

Rafael machte eine wegwerfende Geste. „Eine sehr gute Investition. Es ist mir gelungen, einige seltene Exemplare aufzutreiben.“

„Nun gut, dann bedanke ich mich bei dir im Namen der Jungen, aber das ist nicht der Punkt, Rafael …“

„Ich habe Lust, etwas für meine Patenkinder zu tun. Was ist so schlimm daran? Immerhin sind die beiden meine Erben.“

Alfonso lachte hell auf. „Na, die Hoffnung werde ich auf keinen Fall in ihnen wecken! Du bist gerade mal zweiunddreißig und kannst ohne weiteres selbst noch ein, zwei Erben produzieren.“

„Heirat kommt für mich nicht infrage.“ Warum auch ein perfekt funktionierendes System ändern?

Er fühlte sich geradewegs umzingelt von gescheiterten oder unglücklichen Ehen und ruinösen Scheidungen. Wäre die Ehe ein Pferd, hätte man ihm schon vor Jahren das Gnadenbrot angedient, aber so war und blieb sie eben das Fantasieprodukt von unheilbaren Romantikern, die das Träumen einfach nicht aufgeben wollten.

Rafael zog die Realität vor.

Keine seiner Affären dauerte länger als maximal einige Monate. Auslöser für eine bevorstehende Trennung war in den meisten Fällen das fatale Wörtchen wir. Häufig begann ihn zeitgleich alles zu irritieren, was ihn zu Beginn an der jeweiligen Frau angezogen hatte.

Und als jemand, der stetig auf der Suche nach seiner Seelenverwandten, seiner zweiten Hälfte war, sah sich Rafael schon gar nicht.

„Die häusliche Idylle und das Familienglück überlasse ich liebend gern dir und Angelina“, versicherte er seinem Cousin. „So wenig, wie ich ein Restaurant kaufe, nur weil ich Hunger habe, heirate ich eine Frau, wenn ich Sex haben will.“

Alfonso lachte kehlig auf. „Netter Vergleich …“

„Nett zu sein hat mir wahrlich noch niemand vorwerfen können“, erinnerte Rafael ihn. Tatsächlich galt er allgemein sogar als arrogant und extrem rüde und skrupellos, wenn er ein bestimmtes Ziel im Auge hatte. Man war sich nur noch nicht ganz einig, ob er diesen immensen Erfolg in erster Linie seiner Rücksichtslosigkeit, seinem analytischen Verstand oder seinem Freibeutercharme verdankte, den er nach Belieben an- und ausschalten konnte. Vielleicht einer Mischung aus allen dreien.

Rafael selbst hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht. Er tat, was er tat, weil er die Herausforderung liebte. Und wenn ihn etwas zu langweilen begann, ging er einfach weiter.

Eine Stunde später plätscherte die Tauffeier immer noch friedlich und seicht vor sich hin. Letzteres war in erster Linie Rafaels Empfinden, der sich an andere Feste erinnerte, an denen er zwangsweise hatte teilnehmen müssen. Da war um diese Zeit meist schon der erste Familienzwist in vollem Gange gewesen.

Wenigstens hatte das die ganze Prozedur enorm belebt, dachte er wehmütig und schämte sich im gleichen Moment dafür. Dieser Tag bedeutete für die stolzen Eltern der beiden Täuflinge etwas ganz Besonderes, und um ihretwillen hoffte er nun doch, es würde weiter so öde bleiben.

Und mit etwas Glück gelang es ihm ja vielleicht, seine Familie bis Weihnachten nicht noch einmal sehen zu müssen. Rafael stellte den Drink ab, den er seit seiner Ankunft zwischen den Händen gewärmt hatte, schaute auf seine Uhr und überlegte, wann er sich zurückziehen könnte, ohne Aufruhr zu verursachen.

„Habe ich mich eigentlich schon für all dies bei dir bedankt?“

Rasch wandte er sich um, und der zynische Ausdruck auf seinem Gesicht, den die meisten seiner Verwandten an ihm fürchteten, verschwand gänzlich, als er Angelina zulächelte. Er hätte auch gar nicht anders gekonnt, denn die Frau seines Cousins war nicht nur außerordentlich attraktiv, sondern die großzügigste und warmherzigste Person, die er je getroffen hatte. Jeder fühlte sich in ihrer Umgebung wohl.

Angelina war groß, mit einem ovalen, ebenmäßigen Gesicht und klassisch schönen Zügen gesegnet. Eine schlanke, elegante Erscheinung, umgeben von einer Aura sanfter Heiterkeit und Gelassenheit, verkörperte sie für viele Männer ganz sicher die perfekte Frau.

Mehr als einmal hatte Rafael sich allerdings gefragt, warum er sich von ihr kein bisschen sexuell angezogen fühlte.

„Alfonso hat sich schon bei mir bedankt.“

Angesichts seines unbehaglichen Blicks lachte Angelina hell auf und umarmte Rafael spontan. „Warum möchtest du eigentlich nicht, dass die Leute merken, wie reizend du sein kannst?“

„Ich bin nicht reizend“, knurrte er. „Für alles, was ich tue, habe ich ein Motiv. Da kannst du jeden fragen.“

„Ja, du bist schrecklich selbstsüchtig“, bestätigte sie todernst. „Und ich bekomme auch sehr wohl mit, wie köstlich du dich hier amüsierst. Wann gedenkst du, die Flucht anzutreten?“, fragte sie mit übermütig funkelnden Augen, als sie seine Verblüffung sah.

Rafael erwiderte amüsiert ihren Blick. „Sollte ich dich darauf aufmerksam machen, dass du Babyspucke auf der Schulter hast?“

Hoheitsvoll hob sie die Brauen, doch die Grübchen auf Angelinas Wangen vertieften sich. „Nein, mein Bester, das sollst du nicht.“

Rafael grinste anerkennend. Als er Angelina und Alfonso das erste Mal zusammen erlebte, war es selbst für einen Zyniker wie ihn nicht zu übersehen gewesen, wie verknallt die beiden ineinander waren. Und soweit er es beurteilen konnte, hielt ihr Honeymoon immer noch an. Aber wer wusste schon, wie es zehn Jahre weiter aussehen würde?

„Die Mutterschaft steht dir.“ Er sah einen Schatten über ihr Gesicht huschen und erkannte zu spät, dass er unabsichtlich eine schmerzhafte Erinnerung geweckt hatte.

„Danke, Raffael. Die Zwillinge … es fällt mir schwer, nicht daran zu denken … diesmal war alles ganz anders.“

Es bereitete ihm keine Mühe, den verstümmelten Satz zu verstehen, doch innerlich verwünschte er sich, dass er überhaupt den Mund aufgemacht hatte. Er sah Angelinas Lippen zittern und hoffte nur, sie würde nicht zu weinen anfangen.

Rafael biss sich auf die Zunge, da er genau wusste, jedes Zeichen von Verständnis oder Mitgefühl würde die Dämme sofort brechen und die Tränen fließen lassen. Und nichts bereitete ihm mehr Unbehagen als weinende Frauen.

„Warum darüber nachdenken?“, knurrte er brüsk. „Es ändert nichts.“

Seine Philosophie besagte: Wenn du einen Fehler machst, dann lerne damit zu leben. Sich unsinnige Vorwürfe zu machen, die doch nichts änderten, hielt er für reine Zeit- und Kraftverschwendung.

„Du hast recht.“

„Ich wollte, das würden auch ein paar andere Leute so sehen“, murmelte Rafael, doch diesmal versagte sein Trick. Normalerweise goutierte Angelina seinen ironischen Humor. Heute blieb ihr Lächeln aus. Ihr umwölkter Blick ruhte auf ihrem Gatten, der mit einem Baby auf jedem Arm am anderen Ende des Festsaals stand und der hingerissenen Verwandtschaft erlaubte, die runden Wangen seiner kleinen Söhne zu streicheln und zu küssen.

„Er ist so ein guter Vater …“

„Und du bist eine gute Mutter, Angelina.“

Heftig schüttelte sie den Kopf. „Ich denke immer … habe ich vielleicht …?“ Verzweiflung stand in ihren schönen braunen Augen, als sie Rafaels Blick suchte. „Habe ich wirklich das Richtige getan?“

Rafael hatte nicht den geringsten Zweifel, was das betraf. „Das hast du.“

Verdammt! Normalerweise ließ er sich in derartige Diskussionen gar nicht hineinziehen. Er gab weder Ratschläge, noch fragte er danach. Nur hatte er in Angelinas Fall dummerweise eine Ausnahme gemacht …

„Ich hasse es zu lügen.“

Rafael unterdrückte ein Seufzen. „Ein Geständnis hätte dich möglicherweise erleichtert, aber was wäre damit anderes bewirkt worden, als dass …“

„… Alfonso unsere Hochzeit abgesagt hätte“, beendete sie dumpf seinen Satz. „Niemals würde er einen Skandal riskieren.“

„Vielleicht“, log Rafael, aber in seinem Kopf gab es kein vielleicht. Und schon gar keinen Zweifel an dem Ausgang der Geschichte, hätte Angelina damals tatsächlich ihren Verlobten vorgefunden, anstatt ihn, als sie in Alfonsos City-Apartment gekommen war, um zu beichten.

Hätte sein Cousin Mitleid für Angelina aufgebracht, die gezwungen worden war, mit sechzehn das Kind ihres verheirateten Liebhabers zur Welt zu bringen? Ja. Wäre er nach dem Geständnis immer noch bereit gewesen, sie zu heiraten? Nein.

„Du hast das Richtige getan, Angelina. Warum solltest du dein Leben lang für einen Fehler büßen, den du gemacht hast, als du noch ein Teenager warst? Jeder begeht Fehler in seinem Leben …“

„Alfonso nicht“, entfuhr es ihr spontan.

Rafael hätte versucht, ihr zu erklären, dass selbst sein braver Cousin nicht perfekt sei, aber damit würde er nur seinen Atem verschwenden. Zumindest bei Alfonsos Frau.

„Ich … ich weiß nicht, ob ich überhaupt das Recht habe, so glücklich zu sein“, flüsterte Angelina erstickt. „Immer wieder muss ich an mein kleines Mädchen denken. Ist sie glücklich? Manchmal frage ich mich …“

„Lieber nicht“, riet Rafael nüchtern. „Warum an etwas denken, das man nicht haben kann?“ Wie viele Nächte hatte er damit verschwendet, sich seine Mutter zurückzuwünschen? Aber inzwischen war er längst nicht mehr zehn und wusste es besser.

3. KAPITEL

Maggie spazierte durch die verwinkelten Straßen und sog die heimelige Atmosphäre mit allen Sinnen auf. Sie hatte den ganzen Nachmittag für sich zur Verfügung, ehe sie sich wieder im Hotel einfinden musste, um sich dem hinzugeben, was ihr Reiseführer enthusiastisch ein authentisches Paella-Vergnügen nannte.

Eigentlich war die Teilnahme keine Pflicht, aber er hatte Maggie extra gewarnt, dass die freien Plätze sehr begehrt und schnell vergeben seien.

Jetzt allerdings beschloss Maggie spontan, sich eine Pause in einem der vielen malerischen Straßencafés zu gönnen. Sie bestellte sich ein Glas Wein und zog einen Stadtplan aus ihrem Rucksack. Speziell die Straßen rund um den Marktplatz waren ihr als ein Muss angepriesen worden, soweit sie an dem echten Spanien interessiert sei, und der Karte nach schien sie nicht weit davon entfernt zu sein.

Eine halbe Stunde später hatte sich Maggie allerdings in einem Labyrinth kleiner Gässchen heillos verirrt und gab sich geschlagen. Mit der Ermahnung ihres Reiseleiters im Nacken, auf keinen Fall die Paella zu verpassen, machte sie sich entschlossen auf die Suche nach der großen Kathedrale, von der aus es nur wenige Schritte bis zu ihrem Hotel waren.

Langsam befürchtete sie, auch diesen monumentalen Prachtbau nicht zu finden, da erspähte Maggie am Ende einer Gasse die charakteristische Turmspitze. Während sie auf eine Lücke im strömenden Feierabendverkehr der kreuzenden Hauptstraße wartete, lief ihr der Schweiß in dünnen Bächen am Körper runter.

Es war ein heißer Tag gewesen, und da nicht der leiseste Windhauch wehte, hatte es sich bisher auch noch nicht abgekühlt. Die Leute um sie herum schien das nicht zu stören. Unbeirrt bahnten sie sich ihren Weg zwischen hupenden Autos, aufheulenden Motorrädern und laut fluchenden oder wild gestikulierenden Fahrern hindurch.

Entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, machte auch Maggie einen mutigen Schritt nach vorn.

Die Sicherheitsleute vor dem Hotel waren extrem angespannt, die Presse hatte man weggeschickt, und nur wenigen ausgesuchten Fotografen war der Zugang gestattet worden. Unglücklicherweise überschnitt sich ihr Eintreffen mit Rafaels Rückzug.

„Seit wann bist du kamerascheu? Wie ich hörte, sollst du sehr fotogen sein. Mit deinem Gesicht und deinem Ruf füllst du, glaube ich, mehr als die Hälfte aller Klatschgazetten.“

Rafael würdigte das meckernde Lachen seines ältlichen Großonkels mit einem schmalen Lächeln. „Wahrscheinlich ist es tatsächlich zu viel verlangt, wenigstens von meiner Familie eine Art Vertrauensbonus zu erwarten“, murmelte er ironisch.

Er liebte Frauen, er mochte Sex, doch wenn er tatsächlich so viele heißblütige Geliebte verschlissen hätte, wie ihm die Presse unterstellte, würde er gar nicht mehr aus dem Bett herauskommen.

„Du warst doch noch nie naiv, Rafael“, konterte Fernando. „Nicht einmal, als du ein Baby warst wie die beiden Täuflinge. Ich erinnere mich noch an deine Taufe, als sei sie erst gestern gewesen. Du hast die ganze Zeit über wie am Spieß gebrüllt, und dein Vater sagte nur: Elena, unternimm etwas, und das hat sie auch getan. Obwohl ich kaum glaube, dass Felipe damals eine Affäre im Sinn hatte …“ Er warf Rafael einen Seitenblick zu, der eher sensationslüstern als entschuldigend war. „Nichts für ungut“, fügte er angesichts der irritierend unbewegten Miene seines Neffen hinzu.

„Kein Problem“, murmelte Rafael, während seine Wangenmuskulatur vor Anstrengung schmerzte.

„Ihr einziger Fehler war, es ihm zu gestehen“, plauderte sein Großonkel vertraulich weiter. „Aufrichtigkeit ist nicht immer die beste Empfehlung, besonders, wenn man es mit Menschen wie deinem Vater zu tun hatte. Wie alt warst du eigentlich, als er …“

„Als er meine Mutter aus dem Haus warf? Zehn.“

Auf jeden Fall alt genug, um sich betrogen zu fühlen. Eine vage Erinnerung streifte Rafael, doch er empfand absolut nichts, während er sich selber als Zehnjährigen sah, wie er sich an seine Mutter klammerte und sie anflehte, ihn mitzunehmen. Und wie er sie voller Wut angebrüllt hatte, als sie ihm tränenüberströmt erklärte, dass dies unmöglich sei.

„Was für eine Tragödie, dass sie so jung sterben musste“, seufzte Fernando.

Besonders, bevor ich die Chance hatte zurückzunehmen, was ich ihr damals nachgerufen habe, dachte Rafael dumpf.

Geradezu sträflich unsensibel, was den rechten Moment für gewisse Themen betraf, musterte Fernando mit gerunzelter Stirn das versteinerte Profil seines Großneffen. „Was machst du denn für ein Gesicht? Es gibt doch wahrlich Schlimmeres, als von den Medien als ultimatives Sexsymbol bezeichnet zu werden.“

„Eine Klassifizierung, der man nur schwer gerecht werden kann“, erwiderte Rafael nach einer kaum merklichen Pause.

Das entlockte seinem Großonkel erneut ein meckerndes Lachen. „Bescheidenheit? Das passt so gar nicht zu dir, Rafael.“

„Du denkst also, ich verdiente eine Lektion in Sachen Demut?“ Milde und Nachgiebigkeit waren in seinem Verständnis absolut überschätzte Eigenschaften. Ihm war nie im Leben in den Sinn gekommen, auch die andere Wange hinzuhalten. Und in Zukunft würde sich daran kaum etwas ändern. In Rafaels Welt erwies sich jedes Anzeichen von Schwäche erfahrungsgemäß als äußerst fatal.

„Willst du wirklich wissen, was ich denke …?“ Fernando brach ab und blieb abrupt stehen. Irgendetwas auf der anderen Straßenseite fesselte seine Aufmerksamkeit. „Na, das nenn ich mal eine attraktive Frau! Sie erinnert mich an irgendjemand … Rafael …?“

Es war nicht schwer, das Objekt der Neugierde seines Großonkels auszumachen.

Etwas mehr als mittelgroß, stand sie an der belebten Kreuzung und suchte offensichtlich eine Lücke in dem dichten Verkehr, der sich durch die überfüllten Straßen quälte. Sie besaß eine natürliche Schönheit und Eleganz, die sie aus der Masse der wartenden Passanten heraushob, selbst in den verwaschenen Jeans und dem weiten weißen Leinenhemd, das ihre bemerkenswerten weiblichen Kurven nicht betonte, aber auch nicht zu verstecken vermochte.

Rafael wich zurück, als ein Rollerfahrer auf den Bürgersteig wechselte und ihn dabei fast umgefahren hätte. Als die schöne Fremde die Hand hob, um ihren Pferdeschwanz über die Schulter nach hinten zu werfen, sah er zum ersten Mal ihr Gesicht. Sein Atem stockte, und Rafael hatte das Gefühl, einen Fausthieb in den Magen bekommen zu haben.

„Da drüben … siehst du sie denn nicht?“

„Ich … doch … ich sehe sie.“ Er kannte seine Stimme selbst nicht wieder.

„Genau das ist es, was der Party gefehlt hat – ein hübsches Gesicht!“

„Nicht hübsch …“, widersprach Rafael automatisch.

Sein Großonkel plusterte sich empört auf. „Nicht hübsch? Was ist los mit dir? Jetzt sag nicht, du magst es, wenn sie wie Bohnenstangen aussehen. Eine Frau sollte weich und anschmiegsam …“

„Sie ist schön“, korrigierte Rafael und suchte Fernandos Blick, während er fieberhaft überlegte, wie er verhindern konnte, dass dem alten Schwerenöter vielleicht doch noch einfiel, an wen ihn die Fremde erinnerte. Ihn überraschte nur, dass sein Großonkel nicht längst darauf gekommen war.

Je eher er ihn von hier wegschaffte, umso besser.

Nur mit Mühe konnte Rafael seinen Blick von der umwerfenden Schönheit losreißen. Und offensichtlich ging es ihm nicht allein so. Sie war eine Frau, die Blicke automatisch anzog.

Fürsorglich bot er seinem Großonkel den Arm, als endlich die georderte Limousine vorfuhr, nickte dem Chauffeur zu, der die Tür aufhielt, und half Fernando beim Einsteigen. Umständlich nahm der auf dem Rücksitz Platz. Der Wagen fuhr ab, und endlich konnte sich Rafael voll und ganz auf die hübsche Dunkelhaarige konzentrieren.

Offensichtlich war das Hotel ihr Zielort. Wenn sie es jetzt tatsächlich betreten würde, konnte er sich die Reaktion der Familie lebhaft vorstellen. Dazu waren auch noch Fotografen anwesend, die sich das unvermeidbare Spektakel ganz sicher nicht entgehen lassen würden, um die Welt am nächsten Tag mit einem brandheißen Skandal zu versorgen: Die Wiedervereinigung eines unehelichen Kindes mit seiner leiblichen Mutter, unter den Augen ihres ahnungslosen Gatten, der Familie und der lokalen Prominenz!

Grundgütiger! Das Mädchen musste sich diesen Moment vollkommener Rache und Bloßstellung sorgfältig überlegt haben. Aber es waren nicht ihre Gefühle, auf die er sich jetzt konzentrieren musste, sondern auf eine maximale Schadensbegrenzung.

Wenigstens sollte Angelina diesen speziellen Tag noch ungetrübt genießen können, ehe sie das Schicksal in Form ihrer verstoßenen Tochter heimsuchte …

Aber wie sollte er denn die Frau daran hindern, das Hotel zu betreten?

Rafael wünschte sich in ein früheres, unzivilisiertes Zeitalter zurück, in dem er sich den hübschen Störenfried einfach über die Schulter hätte werfen und irgendwohin verschwinden lassen können. Doch da das keine Option war, musste ihm etwas Praktikableres einfallen. Während er seine Möglichkeiten überdachte, wurde ihm bewusst, wie sehr die bizarre Situation einer modernen griechischen Tragödie glich. Alle maßgeblichen Elemente waren vorhanden: Sex, Geld und eine schöne Frau … oder, wie in diesem Fall, zwei. Und ein positives Ende war nicht vorgesehen.

Das durfte er auf keinen Fall zulassen! Rafael versuchte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Während er sich noch den Kopf über die Motive von Angelinas Tochter zerbrach, schloss er Vokabeln wie Zufall oder lautere Absichten von vornherein aus. Er glaubte schon lange nicht mehr an den Weihnachtsmann, und die wenigen Menschen zu schützen, die ihm nahestanden, war stets Punkt eins auf seiner Prioritätenliste gewesen.

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Und als er sah, wie sie eine Lücke im Verkehrsfluss nutzte und quer über die Straße genau auf den Hoteleingang zusteuerte, bewahrheiteten sich seine schlimmsten Befürchtungen.

Er spürte ein seltsames Ziehen in der Magengegend – eindeutig Ärger, wie er sich selbst versicherte – während er ihren weichen Gang und den sanften Schwung ihrer Hüften in den engen Jeans verfolgte. Natürlich gab es dezente, zurückhaltende Frauen, wie zum Beispiel Angelina. Doch die hier gehörte eindeutig nicht dazu!

Was mochte Angelinas Tochter hierhergetrieben haben?

Rache? Habgier? Oder eine Kombination aus beidem?

Ein verlassenes Kind, dem es einzig und allein darum ging, seine Wurzeln ausfindig zu machen, würde sich niemals eine derart öffentliche Situation dafür aussuchen.

Als Rafael sah, wie sie auf dem Mittelstreifen kurz stoppte, nur um sich gleich wieder leichtsinnig mitten ins Verkehrschaos zu stürzen, hielt er den Atem an.

Lieber Himmel! Möglicherweise brauchte er sich auch gar keine Sorgen mehr um einen eventuellen Skandal zu machen! Die Wahnsinnige plante offensichtlich, die Quote der Verkehrstoten bereits in den nächsten Sekunden ansteigen zu lassen. Es war reines Glück, dass sie wenig später unversehrt seine Straßenseite erreichte.

Oder wenigstens fast!

Mit geradezu morbider Faszination sah er, dass sie erschreckt nach vorn sprang, als hinter ihr lautes Hupen ertönte, auf der Bordsteinkante den Halt verlor und wie in Zeitlupe in den fließenden Verkehr zurückfiel …

4. KAPITEL

Maggie lächelte etwas zittrig zu der Person auf, die ihr in letzter Sekunde eine helfende Hand gereicht und sie damit vor einem schweren Unfall, wenn nicht sogar vor dem Tod bewahrt hatte.

„Danke, ich …“ Die Worte und das Lächeln erstarben, als sie sah, wer sie gerettet hatte.

Das Geräusch des flutenden Verkehrs um sie herum schien in weite Ferne zu rücken, während sie wie paralysiert in das Gesicht des attraktivsten Mannes starrte, der ihr je begegnet war. Viel zu überwältigt, um ihre Reaktion verbergen zu können, tastete sie mit neugierigen Blicken die dunklen, wie gemeißelt wirkenden Züge ab.

Dies war kein Gesicht, das man schnell vergessen konnte.

Als Kind hatte sie sich immer gefragt, was ihre Mum meinte, wenn sie von guter Knochenstruktur sprach. Endlich wusste sie es!

Die Natur hat sich diesem schlanken, hochgewachsenen Spanier gegenüber wirklich außerordentlich großzügig gezeigt, dachte Maggie, angesichts dieser markanten Wangenknochen und der geradezu klassischen Nase. Unter dunklen Brauen blitzten die bemerkenswertesten Augen, die man sich nur vorstellen konnte, in einem blassen Silbergrau. Die außergewöhnliche Farbe wurde von einem dunklen Ring um die Iris und den dichten schwarzen Wimpern noch akzentuiert.

Doch in erster Linie war es sein perfekt geschnittener Mund, der sie faszinierte. Lag es vielleicht an dem kleinen grausamen Zug in den Mundwinkeln, dass er so betont maskulin wirkte?

Hör auf zu starren, Maggie! ermahnte sie sich.

Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, als könne sie so die beunruhigenden Emotionen loswerden, die sie wie eine heiße Woge überschwemmten. Wahrscheinlich habe ich zu viel Sonne abbekommen! dachte Maggie und beschattete automatisch die Augen. Doch wie sollte sie einem Fremden, der sie an einen gefallenen Engel erinnerte, ihren Ausnahmezustand erläutern, wenn sie selbst noch nach Erklärungen für ihren rasenden Puls und das seltsame elektrische Kribbeln auf der Haut suchte?

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“

Gütiger Himmel! Diese dunkle, samtene Stimme mit dem stählernen Unterton verstärkte nur noch seine fatale Wirkung auf sie!

„Soll ich irgendjemand für Sie benachrichtigen?“

Was für eine unglaubliche sexy Stimme!

„Ich … wahrscheinlich … zu viel Sonne …“

Reiß dich zusammen, Mädchen!

„Offenbar stehen Sie unter Schock“, lautete seine nüchterne Diagnose.

„Sie zittern am ganzen Körper.“

Zu seiner eigenen Überraschung musste sich Rafael angesichts ihrer Verstörtheit gegen ein aufflackerndes Gefühl von Besorgnis wehren.

Vergiss es! ermahnte er sich sogleich. Denk lieber an Angelina und die Familie!

Außerdem war seiner Ansicht nach nicht die Sonne für die Verwirrung zwischen ihnen verantwortlich, sondern eine heftige sexuelle Anziehung, die sie offenbar ebenso massiv spürte wie er. Und als Experte auf diesem Gebiet wusste er auch, dass es komplikationsloser war, sich dem hinzugeben, als dagegen anzukämpfen.

Allein schon, um zu wissen, wie es sich anfühlen würde, diese weichen, vollen Lippen zu küssen. Wären die Umstände anders gelagert, wer weiß …?

Maggie schaute auf seine schlanken braunen Finger, die immer noch ihren Unterarm umschlossen hielten, und kam gar nicht auf die Idee, den Kontakt abzubrechen. Sie genoss die verlockende Wärme auf ihrer nackten Haut und seine Körperkraft, für die auch die breitschultrige, athletische Figur des Fremden sprach. Sich von ihm beschützt zu wissen, war bestimmt überwältigend! Und eine verführerische Vorstellung …

Ein wohliger Schauer lief über ihren Rücken, trotzdem gab sie sich einen Ruck und versuchte nun doch, wenn auch widerstrebend, ihm ihren Arm zu entziehen. Als sie seinem besorgten Blick begegnete, errötete sie und schlug die Augen nieder.

„Mir geht es schon wieder … oh!“, machte sie erschrocken, als sie von einem vorbeieilenden Passanten angerempelt wurde. „Verzeihung …“

„Sie entschuldigen sich bei ihm?“ Ihr Retter murmelte etwas Unverständliches und sandte dem Tölpel, der sie fast zu Fall gebracht hatte, einen derart mörderischen Blick hinterher, dass Maggie froh war, nicht an seiner Stelle zu sein.

„Aber ich …“ Sie schluckte und riss sich zusammen. „Danke, dass Sie mich gerettet haben. Sie sind sehr freundlich.“

Ihre warme Stimme mit dem heiseren Timbre war für ihn eine Überraschung. Aber keine unangenehme.

„Sie sind Engländerin?“

Maggie nickte.

Wenn er noch eine Bestätigung gebraucht hätte – hier war sie. Rafael erinnerte sich noch sehr gut, dass Angelina von ihren Eltern nach England verschifft worden war, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen. Sie ging nicht ins Detail, als sie es ihm erzählte, aber auch so konnte er sich vorstellen, wie es für ein sechzehnjähriges Mädchen gewesen sein musste, von der Familie getrennt zu werden, wenn sie die am nötigsten brauchte.

Maggie sah das kurze Aufflackern in den silbergrauen Augen und interpretierte es als Überraschung. Ähnliche Reaktionen waren ihr während der Bustour immer wieder begegnet, wenn die Leute erfuhren, dass sie keine Südländerin war. Mehr als einmal hatte sie auf Fragen nicht antworten können, weil man sie wie selbstverständlich auf Spanisch ansprach.

So war es nur natürlich, wenn sie mehr denn je über die eigene Herkunft nachgrübelte. Zum ersten Mal im Leben unterschied sie sich wegen ihres olivfarbenen Teints und dem schwarzen Haar nicht mehr von den Menschen um sich herum.

Ungebeten stieg die Erinnerung an Simons triumphierendes Grinsen in ihr auf, als die Detektei, die er ohne ihr Wissen engagiert hatte, schließlich herausfand, dass in ihren Adern nicht nur romanisches Blut floss, sondern ihre leibliche Mutter sogar zu einer der ältesten Adelsfamilien Spaniens gehörte.

„Wie Mutter bereits vermutete, erklärt das dein Temperament und deinen bronzefarbenen Hautton“, hatte Simon ihr zufrieden eröffnet. „Wenn sich deine Familie dazu entschließen könnte, dich offiziell anzuerkennen, würde uns also kein Schaden daraus entstehen. Allerdings gilt es nach wie vor, in dieser Angelegenheit sehr sensibel vorzugehen und …“

Weiter hatte sie ihm gar nicht mehr zugehört. „Du hast darüber mit deiner Mutter gesprochen?“

Simon zeigte sich absolut unempfänglich für die unterschwellige Wut in ihrer Stimme. „Immerhin war es ihre Idee, eine Detektei zu beauftragen“, erklärte er stolz. „Und ich weiß auch, was du jetzt denkst. Wie kann es passieren, dass die Tochter einer spanischen Adelsfamilie von einem ganz ordinären englischen Paar adoptiert wurde …“

An dem Punkt hatte Maggie zum Glück ihre Stimme wiedergefunden, um weitere Spekulationen von Seiten ihres Verlobten ein für alle Mal zu stoppen. In knappen Worten teilte sie Simon mit, dass sie weder an der Familie ihrer leiblichen Mutter interessiert sei, noch an einer Heirat und zukünftigen Familie mit ihm.

Es hatte zwar noch eine Weile gedauert, bis sie ihren Verlobten davon überzeugen konnte, dass es ihr damit wirklich ernst war, doch dann entlud sich sein Frust in einem Tobsuchtsanfall, der ihr eine Seite seiner Natur offenbarte, von der sie bisher nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte.

Mit einer heftigen Geste schleuderte Maggie ihren Pferdeschwanz über die Schulter nach hinten, verbannte die unliebsamen Erinnerungen in den Hinterkopf und konzentrierte sich lieber wieder auf ihr attraktives Gegenüber.

Zum Glück sprach er so gut Englisch, dass die Verständigung zwischen ihnen kein Problem darstellte. Wenn es überhaupt eines gab, dann war es ihre überschäumende Fantasie, die Maggie dazu verführte, sich auszumalen, wie gut er wohl die nonverbale Kommunikation beherrschte.

„Sie sind mit Ihrer Familie hier?“, fragte Rafael unvermittelt.

Maggie schüttelte den Kopf und verwünschte ihre ungewohnte Schwerzüngigkeit und das verrückte Gefühl, er könne ihre Gedanken lesen.

„Mit Ihrem Freund?“

Unbewusst rieb Maggie ihren leeren Ringfinger. „Nein …“

Rafael war die kleine Geste nicht entgangen, und er machte sich einen mentalen Vermerk für die Zukunft. Eigentlich war sie zu jung, um geschieden zu sein, doch ganz ausschließen wollte er die Möglichkeit nicht.

„Ich bin allein hier. In Ferien …“ Dumme Pute! schalt sie sich in der nächsten Sekunde. Einem völlig Fremden zu signalisieren, dass sie schutzlos im Ausland unterwegs war! „Mit Freunden“, fügte sie rasch hinzu.

„Also allein mit Freunden?“

Maggie errötete und versuchte, nicht allzu schuldbewusst auszusehen. „Auf jeden Fall nicht allein.“

Rafael lachte. „Verstehe …“ Dann schaute er bezeichnend nach rechts und links, hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Öffentlicher Platz … jede Menge Menschen, und ich bin absolut ungefährlich.“

Das sah Maggie ganz anders und spürte, wie sich ihre Röte vertiefte.

„Davon bin ich überzeugt“, log sie höflich.

Als ihr Handy einen Signalton abgab, zog sie es aus der Tasche und hörte eine Nachricht ab, die ihre Mum auf der Mailbox hinterlassen hatte. Dabei musterte sie gedankenverloren die ebenmäßigen Züge ihres Retters und kam zu dem Schluss, dass er wirklich eine Augenweide war.

Viele ihrer Geschlechtsgenossinnen würden sich von der demonstrativen Männlichkeit, die dieser umwerfende Spanier so überzeugend verkörperte, sicher angezogen fühlen. Nicht so Maggie Ward! Das war eher etwas für Frauen, die den Moment lebten und sich keine Gedanken über den nächsten Tag machten.

Und sie hatte sich noch nie von einer spontanen Regung mitreißen lassen …

„Schlechte Nachrichten?“, fragte Rafael, irritiert durch ihr widerstreitendes Minenspiel. Maggie schüttelte nur vage den Kopf.

Seine Gedanken überschlugen sich. Er musste unbedingt Angelina warnen und ihr die Möglichkeit geben, mit Alfonso zu reden. Zumindest das schuldete er ihr, wenn er sie schon damals daran gehindert hatte, ihrem Mann den jugendlichen Fehltritt zu gestehen.

Das Mädchen vor ihm mochte eine gewiefte Lügnerin sein, doch etwas an ihr signalisierte ihm, dass sie wenigstens momentan ziemlich verletzlich war – und das galt es auszunutzen. Allerdings musste ihm dafür in den nächsten dreißig Sekunden ein Ort einfallen, wohin er sie, ohne irgendwelche Gesetze zu brechen, entführen konnte. Wenn dabei noch ein paar heiße Küsse für ihn abfielen … umso besser.

„Einer Ihrer vielen Freunde …?“, hakte Rafael nach, und die Röte flutete in ihre Wangen zurück, als sie nickte.

„Wir treffen uns im Hotel“, behauptete sie mit einem Blick auf ihre Uhr. „Was? Schon so spät!“

Zu ihrem Leidwesen schien er den Wink nicht verstanden zu haben, sondern blieb weiter neben ihr stehen und schaute sie an. Er starrte sie an, um es genau zu sagen. Maggie fühlte sich wie auf dem Prüfstand, und damit zunehmend unbehaglicher. Vielleicht war es ja auch das ungewohnte Gefühl, von einem attraktiven Mann eine derart ungeteilte Aufmerksamkeit zu erfahren.

Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf und lachte leise auf. Sich in Selbstmitleid zu ergehen, war nämlich gar nicht ihre Art.

„Was ist so lustig?“

„Nicht lustig … eher traurig“, gestand sie offen. Hoffentlich gab er sich mit ihrer kryptischen Äußerung zufrieden.

Rafael entging weder ihr gezwungenes Lächeln noch die Tatsache, dass es den Schatten, der ihre wundervollen Augen trübte, nicht mildern konnte. Doch er durfte nicht weich werden. Seine Besorgnis hatte der Mutter zu gelten, nicht der Tochter.

Trotzdem zog die ihn wie magisch an. Seltsam, da sie absolut nicht seinem gewohnten Beuteschema entsprach. Doch zum Glück war es ihm nie besonders schwergefallen, seine Libido zu kontrollieren, sobald die Umstände es erforderten. Wenn er Angelinas Tochter anschaute, durfte er sie eben nicht als Frau sehen und an Sex denken, sondern an Business.

Und Pflicht und Kür mixte Rafael grundsätzlich nicht.

Dumm war nur, dass seine Gedanken ständig zu ihrem weichen Mund wanderten, während er sich das Hirn nach einer akzeptablen Lösung zermarterte. Sein wachsender Hunger nach dieser Frau verwirrte und beunruhigte ihn. Zumal sie nicht die madonnenhafte Schönheit ihrer Mutter besaß. Die Ähnlichkeit frappierte ihn zwar, aber sie war keineswegs Angelinas jüngere Kopie, wie er zuerst gedacht hatte.

Dem herzförmigen Gesicht fehlte es an Ebenmäßigkeit, die reizende Nase wies an der Spitze einen kaum merklichen Schwung nach oben auf, und ihr Mund …

Seine Gedanken verebbten, während sein Blick auf diesem Wunderwerk der Natur ruhte. Er wollte sie unbedingt küssen, und dieser kaum bezwingbare Drang ärgerte ihn.

Maggie bekam von all dem nichts mit. Denn gerade eben war ihr bewusst geworden, wie sehr Simon ihr Selbstvertrauen unterminiert und sie hatte glauben lassen, ihre Wünsche und Träume wären nicht so wichtig wie seine eigenen. Und all das nur, um sie auf ein Westentaschenformat zurechtzustutzen, dem er sich gewachsen fühlte.

Und sie war so eifrig bemüht gewesen, ihm zu gefallen, dass sie ihre wilde Haarfülle fortan hochsteckte, in letzter Minute ihr Kleid wechselte, wenn er es verlangte, und komplett auf ihre geliebten High Heels verzichtete …

Da musste erst ein völlig Fremder kommen und ihr mit wenigen Worten, Gesten und Blicken ins Gedächtnis zurückrufen, wie unsichtbar sie sich lange vorgekommen war, wie sehr sie sich nach Aufmerksamkeit sehnte und dem Gefühl, eine begehrenswerte Frau zu sein.

Als sie Simon zum ersten Mal begegnete – einem Erstsemester-Studenten auf ihrer ersten Krankenstation –, war sie noch sehr jung und leicht zu beeindrucken gewesen. Der gut aussehende, ergebene Sohn einer anstrengenden Patientin, erschien ihr damals ziemlich weltgewandt. Und ja, sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, weil er sie beachtete.

Jahrelang war sie für die Jungen in ihrer Schule nur Luft gewesen. Bis zum letzten Schuljahr, als sie endlich den hässlichen Briketts auf ihren Zähnen Adieu sagen konnte. Fast zeitgleich verabschiedete sich auch ihre Pubertätsakne, und der goldene Ton ihrer samtenen Haut hob sie plötzlich aus der Masse der bleichgesichtigen Mitschülerinnen heraus.

Sogar ihre überzähligen Kilos schienen quasi über Nacht weggeschmolzen zu sein. Zum ersten Mal brauchte Maggie einen Gürtel für ihre Schuluniform, damit sie ihren Rock nicht verlor. Sie hatte eine Taille!

Plötzlich fiel sie auch den Jungen auf. Doch da sich deren Bewunderung zumeist in plumpen Anspielungen und ungeschicktem Gegrapsche ausdrückte, strafte Maggie, um ihre krankhafte Schüchternheit zu verbergen, sie mit eisiger Verachtung. Prompt hatte sie ihren Spitznamen weg: die Eiskönigin.

Im Gegensatz zu den eingeschränkten Erfahrungen als Teenie, erschien der achtzehnjährigen Maggie der zwei Jahre ältere Simon mit seinen politischen Interessen wie ein echter Volltreffer. Er war nicht plump, sondern charmant. In seiner Gegenwart fühlte sie sich nie peinlich. Sogar, als sie ihm gestand, wie unwohl sie sich mit ihren üppigen Brüsten und kurvigen Hüften fühlte, zeigte er Sympathie, streichelte ihre Hand und versicherte ihr, dass niemand perfekt sei.

Und angesichts ihrer eingeschränkten Erfahrung, was Männer und Dates betraf, war Maggie sogar erleichtert, dass er keinerlei Druck auf sie ausübte und seine Aufmerksamkeiten flüchtige Küsse nicht überschritten.

Als er sie schließlich fragte, ob sie seine Frau werden wolle, war Maggie aufrichtig davon überzeugt gewesen, ihn zu lieben. Natürlich erwartete sie, wenn auch mit gemischten Gefühlen, dass sich ihre Beziehung jetzt auf einem anderen Level abspielen würde.

Doch auf ihr zartes Vortasten erklärte Simon, er respektiere sie zutiefst und wolle warten, bis sie beide verheiratet wären. Verstört hatte sie daran einzig und allein, dass ihr vorrangiges Gefühl Erleichterung war.

Der frustrierende Gedanke, wie fügsam und unterwürfig sie sich damals gezeigt und Simon dadurch erlaubt hatte, sie zu seiner Idealfrau umzumodeln, ließ Maggie leise auflachen. Aber so etwas würde ihr kein zweites Mal passieren!

„Wollen Sie den Scherz mit mir teilen?“

Maggie schüttelte den Kopf. Wenn jemand auf keinen Fall wissen sollte, wie wenig sie daran gewöhnt war, die Aufmerksamkeit eines Mannes zu bekommen, dann dieser attraktive Spanier. Fieberhaft suchte sie nach einer Entschuldigung, um möglichst schnell flüchten zu können, ehe ihre Unsicherheit sie verriet.

Sie konnte jederzeit einfach sagen: „Gehen Sie bitte.“

Nur verboten das ihre guten Manieren. Besonders gegenüber einem Menschen, der ihr sozusagen gerade das Leben gerettet hatte.

„Erlauben Sie mir, Sie hinzubringen, wo immer Sie erwartet werden …“

Erneut schüttelte sie heftig den Kopf und lächelte, um ihrer Weigerung die Spitze zu nehmen. „Ich habe Ihnen bereits genug Mühe gemacht. Danke, dass Sie mich gerettet haben, aber ich möchte nicht länger Ihre Hilfe in Anspruch nehmen.“

Ihre kleine Rede ließ Rafael zwischen Amüsement und Verblüffung schwanken, während er von dem heftigen Heben und Senken ihrer runden Brüste unter dem losen Leinenhemd förmlich gefangengenommen war. Und die Wirkung auf seine Libido ließ ihn lautlos fluchen.

Es hatte ihn kalt erwischt. Wie lange war es her, dass er eine Frau mit dieser Intensität begehrt hatte? Und dann auch noch jemand, der sich absolut außerhalb seiner Reichweite befand.

Aber vielleicht war genau das der Reiz … die verbotene Frucht!

Maggie stieß einen unterdrückten Schmerzenslaut aus, als sich sein Griff um ihren Arm verstärkte. Rafael murmelte eine Entschuldigung.

Sanft, aber bestimmt machte sie sich von ihm frei und hielt ihm zum Abschied die ausgestreckte Hand hin. Zunächst sah es so aus, als würde er sie nicht ergreifen, doch dann schlossen sich Rafaels schlanke gebräunte Finger um ihre, und Maggie hatte das Gefühl, einen elektrischen Schlag bekommen zu haben.

Bewegungslos stand sie da, während ihre Blicke ineinander versanken. Als sie die Spannung nicht länger ertrug, senkte sie die Lider wie einen schützenden Vorhang und holte zitternd Luft.

Nur widerwillig gab er ihre Hand frei. Instinktiv wischte Maggie sie an ihren Jeans ab, um den seltsamen Zauber zu brechen, der immer noch in der Luft lag. Doch es wollte ihr nicht gelingen.

„Sie sehen nicht wohl genug aus, um allein zurechtzukommen.“ Das war nicht einmal gelogen.

„Mir geht es gut. Ich habe nur den Lunch verpasst, und wenn ich mich nicht beeile, entgeht mir auch noch die Paella.“

Die authentische Paella, fügte sie in Gedanken hinzu und versuchte, wenigstens einen Hauch von Enthusiasmus in Erwartung dieser spanischen Spezialität in sich wachzurufen. Der authentische Flamenco-Abend, mit den aus Manchester eingeflogenen Tänzern, war schließlich auch nicht so schlecht gewesen.

„Ich weiß, wo es die beste Paella gibt.“

„Wie nett.“

„Es wäre noch viel netter, wenn ich beim Essen Gesellschaft hätte“, murmelte er gedehnt. „Würden Sie mir die Ehre erweisen, eine Paella mit mir zu teilen?“

5. KAPITEL

Völlig überwältigt von der unverhofften Einladung starrte Maggie ihn an.

„Mit Ihnen?“, fragte sie, um sich zu vergewissern, dass er es wirklich ernst meinte. Nicht, dass es wichtig war, da sie ohnehin ablehnen würde.

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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