Julia Herzensbrecher Band 28

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HEIRATE MICH, PRINZESSIN! von OLIVIA GATES
Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. Doch Prinzessin Clarissa hat ihn eiskalt abgewiesen. Jetzt ist Ferruccio ein erfolgreicher Mann – und der nächste König von Castaldinien. Das will er allerdings nur unter einer Bedingung: Clarissa soll seine Königin werden!

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HEIMLICHE LIEBE IM INSELPARADIES von LEANNE BANKS
Am Hofe des Königreichs Marceau fällt Maggie aus dem Rahmen: Sie hat wilde Locken, kleidet sich lässig und pfeift aufs Protokoll. Selten fand Prinz Michel eine Frau so … aufregend! Eigentlich soll er eine Contessa heiraten – doch sein Herz sehnt sich nach der hübschen Hauslehrerin.


  • Erscheinungstag 24.02.2023
  • Bandnummer 28
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519687
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Olivia Gates, Susan Mallery, Leanne Banks

JULIA HERZENSBRECHER BAND 28

PROLOG

Sechs Jahre zuvor

„Es gibt also tatsächlich Götter, die auf Erden wandeln!“

Der atemlose Ausruf ihrer Freundin veranlasste Clarissa D’Agostino dazu, die Stirn zu runzeln, während sie weiterhin vergeblich auf einem Fleck auf dem Oberteil ihres lavendelfarbenen Chiffonkleides herumrieb. Warum hatte sie auch so lustvoll in diese überreife Pflaume gebissen! Das gehörte sich nicht für eine castaldinische Prinzessin. War es nicht ihre Pflicht, überall und zu jeder Gelegenheit hoheitsvoll und makellos zu erscheinen? Doch auch nach vier Jahren Harvard Business School und einem Einser-Examen schaffte sie es einfach nicht, bei öffentlichen Veranstaltungen eine gute Figur zu machen.

Sie schnitt eine Grimasse, als sie erkannte, dass der Fleck nicht rausgehen würde. „Was redest du da?“, fragte sie die Freundin.

„Schau doch mal da drüben! Dieser göttliche Mann!“

Clarissa folgte dieser Aufforderung nicht, sondern musterte Luci, die sich enthusiastisch Luft zufächelte, kritisch.

„Ich dachte schon, sein Profil sei das Tollste, aber du musst ihn mal von vorne sehen. Sein Gesicht ist einfach ’ne Wucht“, schwärmte Luci weiter.

Entsetzt starrte Clarissa ihre Freundin an. Was war nur mit Luciana Montgomery los, der feministisch angehauchten Amerikanerin, die zwar castaldinische Wurzeln besaß, doch noch nie zuvor beim bloßen Anblick eines Mannes so ausgeflippt war? Clarissa und Luci waren zusammen aufs College gegangen. Dort hatte Luci, die lebhafte Rothaarige, viele gut aussehende Verehrer gehabt, doch noch immer war sie der Meinung, dass außer Clarissas Brüdern und Cousins keine begehrenswerten Männer existierten. Und jetzt flippte sie wegen eines völlig Fremden schier aus.

Gleich darauf wurde es völlig absurd, denn Luci packte Clarissas Arm und rief aufgeregt: „Er schaut dich an!“

„Ich hätte schwören können, dass du nur ein einziges Glas Champagner getrunken hast“, erwiderte Clarissa trocken. Um herauszufinden, was ihre Freundin in ein geradezu hysterisches Schulmädchen verwandelt hatte, wandte sie sich um. „Wahrscheinlich meint er jemand ganz and…“

Die Worte blieben ihr im Hals stecken.

In diesem Ballsaal waren so viele Männer, die sie nicht kannte. Zu lange war sie weg gewesen. Hinzu kam, dass sie früher nur selten am höfischen Leben teilgenommen hatte. Sie war jenes Mitglied der königlichen Familie, das man am ehesten vergaß, und das war ihr nur recht. Doch in diesem Saal hier befand sich nur ein einziger Mann, der Lucis Enthusiasmus wert gewesen wäre.

Zumindest war er der einzige, den Clarissa sah.

Er war kein Gott. Keines der Abbilder göttlicher Wesen, die Clarissa jemals gesehen hatte, hielt einem Vergleich mit diesem Mann stand. Nie hätte sie gedacht, dass eine derartige Attraktivität möglich war. Sie blinzelte, um sich zu vergewissern, dass er keine Fata Morgana war.

Nein. Er war Wirklichkeit. Und er schaute ihr direkt in die Augen.

Ihr Herz machte einen Sprung, und sie verlor das Gefühl für Raum und Zeit. Zitternd begegnete sie seinem Blick und meinte, ihre eigenen Gefühle darin gespiegelt zu sehen. Zwischen ihnen herrschte eine elektrisierende Spannung, eine geradezu magische Verbindung, die die Distanz spielend zu überbrücken schien.

Doch plötzlich wandte er sich ab, und die Verbindung brach ab. Clarissa war einen Moment verstört, aber dann sah sie, weshalb er den Blickkontakt unterbrochen hatte.

Ihr Vater war neben ihm aufgetaucht und lächelte den Mann so herzlich an, dass es Clarissa einen Stich versetzte. Seit sie ein kleines Kind gewesen war, hatte König Benedetto sie nicht mehr so angelächelt.

Der Mann schaute den König kühl an, als stehe er einem Fremden gegenüber. Benedetto sprach, der Mann hörte zu. Sofort setzte sich Clarissa in Bewegung, um hinüberzugehen. Sie wollte dem Mann nahe sein, herausfinden, was gerade zwischen ihnen geschehen war. In diesem Moment wandte er sich zu ihr um, und erneut schauten sie sich in die Augen.

Sie blieb stehen. Ihr Atem stockte, ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen, und ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.

Was sie in seinem Blick las, war unmissverständlich: Kälte, ja, Feindseligkeit lag darin. Das bedeutete, dass sie falsch gelegen hatte. Offensichtlich gab es zwischen ihnen keinerlei Magie, keinerlei Anziehungskraft. Oder wenn, dann nur auf ihrer Seite.

Ehe sie sich von der Demütigung erholt hatte, wandte der Mann sich ab und ließ ihren Vater stehen.

„Du meine Güte, was war das?“, hörte sie Lucis Stimme wie von weither zu sich durchdringen.

Clarissa konnte keinen klaren Gedanken fassen, und noch weniger brachte sie ein Wort über die Lippen.

„Das war der wilde Mann mit der eisernen Hand.“

Clarissa kannte die sanfte Stimme mit dem bösartigen Unterton seit ihrer Kindheit, und wie immer schauderte sie innerlich. Stella. Zum Glück waren sie nur entfernt miteinander verwandt. Das bedeutete, dass sie ihr nicht allzu oft begegnete. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte sie auf Stellas Gesellschaft gerne ganz verzichtet.

Stellas Worte ergaben keinen Sinn, aber es war Luci, die ungeniert fragte: „Hä?“

„Das war Ferruccio Selvaggio, der erfolgreiche Reeder, der schon mit zweiunddreißig einer der reichsten Männer der Welt ist. Sein Name ist Programm, denn er kennt keine Gnade mit denen, die sich ihm in den Weg stellen.“

„Zumindest behauptest du das“, warf Luci ein.

„Nicht nur ich. Es ist allgemein bekannt, wie gefährlich er ist. Aber der König scheint ja unglaublich von ihm angetan zu sein. Anscheinend hat er vor, sich nicht um Ferruccios Ruf zu scheren, genauso wenig wie darum, dass er unehelich geboren wurde. König Benedetto will unbedingt, dass er in Castaldinien investiert.“

„Du meine Güte, Stella“, erwiderte Luci zynisch, „du bist wirklich kein Paradebeispiel für die Tugenden einer Person von rein königlichem Geblüt. Es wäre doch unfair, wenn eine untadelige Geburt uns alle zu gemeinen Zicken machen würde.“

Stella machte einen Schmollmund. In Gegenwart von Männern zeigte sie nur beste Manieren, doch unter ihresgleichen ließ sie die Maske fallen. „Da du einer Mischehe entstammst, brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen, Luciana“, rief sie. „Aber warte, vielleicht bist du ja die perfekte Beute für ihn, denn du hast immerhin genug verdünntes blaues Blut in den Adern, um ihm zu mehr Legitimität zu verhelfen. Und da er ja auch einiges zu bieten hat, empfehle ich dir: Schnapp ihn dir.“

Während Luci ihren verbalen Schlagabtausch mit Stella fortsetzte, entfernte sich Clarissa, weil sie keine Lust auf Stellas giftige Bemerkungen hatte. Außerdem hallte jener magische Moment von vorhin noch in ihr nach. Es war egal, dass es nur eine Illusion gewesen war, denn sie besaß eine ungeheure Kraft.

Clarissa hatte sich bereits ein ganzes Stück durch die Menge gebahnt, als sie sich plötzlich beobachtet fühlte und sich umdrehte. Und tatsächlich. Sie sah, dass der Mann hinüber zu der Stelle ging, an der sie vorhin gestanden hatte, und zu ihr herüberblickte. Kam er zu ihr? Hatte sie sich getäuscht, als sie in seinem zweiten Blick nur Kälte gelesen hatte? Unwillkürlich machte sie kehrt, blieb aber stehen, als er zu Luciana und Stella trat. Ob er wohl nach ihr fragen würde?

Der Blick, mit dem die beiden Frauen ihn empfingen, sprach Bände. Clarissa stand jetzt nah genug, um genau mitzubekommen, wie schnell sie in den Bann seiner tiefen, samtweichen Stimme gerieten. Jedes Wort war eine Einladung zum Flirt.

Ihr wurde flau im Magen, und sie wandte sich fluchtartig ab. Fast rannte sie hinaus aus dem Ballsaal und eilte auf die Terrasse. Dort rang sie nach Atem, sog begierig die frische Nachtluft ein.

Reiß dich zusammen, du Dummkopf! schalt sie sich. Du hast dir das alles nur eingebildet. Sowohl die Anziehungskraft als auch die Ablehnung. Wahrscheinlich hat er die ganze Zeit nur Luciana angesehen. Oder er schaut jede Frau, die ihm begegnet, auf diese Weise an.

Sie musste sich zusammenreißen.

Also trat sie in den Schatten und unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Sie war eine lausige Prinzessin, aber ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie eine aktive Rolle am Hof und im Königreich übernahm. Die Rolle der fehlenden Königin. Ihrer Mutter. Es war seit ewigen Zeiten das, was er von ihr verlangte, und sie hatte nicht vor, es ihm abzuschlagen.

Daher straffte sie sich und wollte mit energischen Schritten zurück in den Ballsaal gehen, doch gleich darauf prallte sie gegen einen muskulösen, stahlharten Körper. Es war der Fremde.

Sie taumelte, wollte sich entschuldigen und an ihm vorbeischlüpfen, doch er vertrat ihr den Weg. Es gab kein Entrinnen. Clarissa hob den Blick, und was sie in seinen Augen las, verschlug ihr den Atem.

Wieder spürte sie diese magische Anziehungskraft, diese elektrisierende Nähe. Ihr wurde schwindlig, doch sie hörte seine dunkle, warme Stimme genau, mit der er nun sagte: „Ich gehe. Da dieser Empfang Sie genauso zu langweilen scheint wie mich, sollten Sie mit mir kommen.“

Sie sah ihn an. Kein Mensch konnte über all diese Vorzüge verfügen. Nicht über alle auf ein Mal. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, sein Körper der eines Athleten, seine Züge schön wie die eines Racheengels. Atemlos schaute sie zu ihm auf und spürte die Macht, die er über sie besaß. Sein Blick war so besitzergreifend, dass sie erschauerte.

Ja, diese Intensität war es, die sie schon zuvor empfunden hatte. Doch sie erinnerte sich auch an den zweiten Blick, den er ihr zugeworfen hatte und der voller Kälte gewesen war. Ebenso wenig, wie sie vergaß, wie rasch er sich den beiden attraktiven Frauen zugewandt hatte, die in seiner Nähe standen.

Was für ein Spiel spielte er? Wollte er beweisen, dass in seiner Gegenwart jede Frau dahinschmolz? Erst Luci, dann Stella. Kam jetzt sie, Clarissa, an die Reihe? Aber weshalb?

Er trat einen Schritt näher auf sie zu, wie ein Raubtier, das sich seiner Beute sicher ist. Clarissa konnte sich nicht rühren. Sie stand einfach nur da und wartete, was als Nächstes geschehen würde.

Plötzlich zog er eine Augenbraue hoch und fragte: „Sie wissen nicht, ob Sie mir trauen können?“

Er sprach, als würden sie sich bereits kennen. Wenn diese Begegnung direkt nach ihrem ersten Blickkontakt stattgefunden hätte, dann wäre es Clarissa ganz natürlich vorgekommen, denn vorhin hatte sie tatsächlich eine unglaubliche Nähe empfunden. Doch jetzt schaute sie nur stumm zu ihm auf.

„Ich dachte, zwischen uns wären keine Förmlichkeiten nötig“, fuhr er fort. „Ich dachte, das, was unsere Herzen verbindet, reicht, um offen miteinander zu sprechen. Aber vielleicht erwarte ich zu viel.“ Er atmete tief durch. „Lassen Sie uns reingehen. Irgendwo treffen wir bestimmt Ihren Vater. Er wird für mich bürgen.“

Offenbar wusste dieser Mann, wer sie war. Und das war auch der Grund, weshalb er sich mit ihr abgab und nicht mit den schönen Frauen im Saal. Er hatte es auf sie abgesehen, weil sie die Tochter des Königs war, Prinzessin Clarissa D’Agostino. Und darin unterschied er sich nicht von anderen Männern, die sich für sie nur deshalb interessierten, weil sie königlichen Geblüts war.

Hatte Stella nicht erwähnt, dass er auf der Suche nach einer blaublütigen Frau war, die seine uneheliche Geburt wettmachen konnte? Vielleicht lag Stella falsch. Aber Clarissa wusste eines ganz genau: Es ging ihm nicht um sie, Clarissa. Weshalb auch?

Niemand hatte sie je gewollt.

Verletzt und gedemütigt antwortete sie endlich: „Das wird nicht nötig sein, Signor Selvaggio.“

Einen Moment lang wirkte er nicht mehr ganz so selbstsicher. „Sie kennen mich?“

„Ich weiß zumindest, wer Sie sind. Ferruccio Selvaggio. Der berühmte Reeder und vielleicht der neue Investor in Castaldinien.“

Ernst sah er sie an. „Im Augenblick bin ich nur ein Mann, der für den Rest des Abends Ihre Begleitung sucht. Essen Sie mit mir.“

Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Unter anderen Umständen wäre sie sofort darauf eingegangen, doch sie dachte daran, wie er sich zuerst um Luci und Stella bemüht hatte, ehe er die lukrativere Beute zu verfolgen begann.

Arrogant reckte sie das Kinn in die Höhe, wie man es Prinzessinnen beibrachte, die lernen mussten, unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen, und bemühte sich, so kühl und bestimmt zu wirken, wie es ihr die zwei Dutzend höfischen Lehrmeister mühsam eingetrichtert hatten. „Danke für Ihre Einladung, Signor Selvaggio. Aber meine Situation erlaubt es mir nicht, mich an Ihrer Seite zu zeigen. Ich bin sicher, Sie finden eine andere Begleiterin, die erfreut über die Einladung sein wird.“

Sie sah, wie er unmerklich zusammenzuckte. Dann straffte er die imposanten Schultern. Er hatte verstanden, und sein Zorn über die Zurückweisung war deutlich spürbar.

Doch dann zuckte er die Achseln. „Zu schade. Aber irgendwann kommt die Zeit, in der Ihre … Situation Ihnen keine andere Wahl lässt, als mit mir zusammen zu sein.“ Damit nickte er kurz, drehte sich auf dem Absatz um und ging ein paar Schritte, ehe er sich noch einmal zu Clarissa umwandte. Bedrohlich sanft murmelte er: „Bis dann.“

1. KAPITEL

In der Gegenwart

Endlich.

Das Wort klang wieder und wieder in Ferruccio Selvaggios Kopf, und es erfüllte ihn mit bitterer Genugtuung.

Endlich hatte er Clarissa D’Agostino da, wo er sie haben wollte. Sie würde als Bittstellerin zu ihm kommen, und zwar – er warf einen Blick auf seine Rolex – in genau zwanzig Minuten.

Und auch das ging ihm noch nicht schnell genug, denn er hatte auf diesen Moment sehr lange warten müssen. Sechs Jahre, um genau zu sein. In all diesen sechs Jahren hatte Clarissa ihn gemieden. Arrogant und kühl hatte sie ihm klargemacht, dass sein hart erarbeitetes Vermögen und die Macht, die er besaß, nicht ausreichten, um die Prinzessin dazu zu bewegen, sich in seiner Gesellschaft zu zeigen. Er war und blieb der Mann ohne Herkunft, nicht wert, dass Clarissa ihn auch nur eines Blickes würdigte.

Jetzt aber kam die hochmütige Prinzessin zu ihm, und wenn alles nach Plan lief, woran es für Ferruccio keinen Zweifel gab, dann würde Clarissa ab sofort tun, was auch immer er von ihr verlangte.

Denn er bekam immer, was er wollte. Und damit basta.

Und er wollte sie haben, seit er ihr vor sechs Jahren bei Hofe das erste Mal begegnet war. Damals hatten sie einander in die Augen gesehen, und er war sicher, dass sie genau gespürt hatte, was in diesem Moment zwischen ihnen geschehen war.

Es war das erste Mal gewesen, dass er sich bei Hofe gezeigt hatte. Ohne zu wissen, wie man ihn dort empfangen würde. Die meisten der Anwesenden gehörten zur weitverzweigten Familie der D’Agostinos. Zu seiner Familie.

Doch er trug ihren Namen nicht, weil seine leiblichen Eltern nicht miteinander verheiratet gewesen waren. Andere Menschen hatten ihm irgendeinen Nachnamen verpasst, und weil er sich daran gewöhnt hatte, dass man ihn so nannte, hatte er diesen Namen irgendwann offiziell angenommen und auch dann noch benutzt, als klar wurde, dass er ein D’Agostino war. Denn obwohl er forderte, diese Tatsache bekannt zu geben, wurde ihm die offizielle Anerkennung verweigert. Damals hatte er sich vorgenommen, es allein zu schaffen, die Erfolgsleiter ganz allein zu erklimmen.

Und nun, auf dem Gipfel des Erfolgs, wollte er seine Neugier befriedigen, wollte den Ort betreten, der sein Zuhause hätte sein können. Er wollte die Menschen kennenlernen, die seine Verwandten waren, und herausfinden, ob es einen Grund dafür gab, sie zu mögen. Ob es sich lohnte, Wurzeln zu schlagen und seinen Platz unter ihnen zu finden, so etwas wie eine Heimat.

Daher war er unangemeldet bei Hofe erschienen. Er war mittlerweile so reich, so mächtig, so bekannt, dass ihm alle Türen offen standen. Und man hatte ihn willkommen geheißen. Bis zum heutigen Tag allerdings erinnerte er sich an keine Namen, an keine Gesichter. Der König hatte ihm ein paar Minuten gegönnt, aber was sich in Ferruccios Gedächtnis eingebrannt hatte, war die Begegnung mit Clarissa gewesen.

Er hatte sie von Weitem gesehen. Sie rieb mit konsternierter Miene an einem Fleck auf ihrem elfenhaften fliederfarbenen Kleid herum. Alles an ihr hatte ihn sofort fasziniert, und er sehnte sich danach, ihr Gesicht zu sehen, ihr in die Augen zu schauen.

In diesem Moment hatte sie den Blick gehoben und seinen Wunsch erfüllt. Etwas, von dem er nie geglaubt hatte, dass es existieren könnte, geschah in diesem Moment mit ihm. Er spürte eine elektrisierende Nähe, und ihm wurde klar, dass hier die Frau war, die all seine Träume wahr werden ließ.

Sie war eine bezaubernde Mischung aus Zerbrechlichkeit und femininer Stärke, aus natürlicher Schönheit und Eleganz. Ihr Haar war hell wie die goldenen Strände Castaldiniens, ihr Körper grazil, und doch hatte sie verführerische Rundungen. Ihr Gesicht war hinreißender als alles, was er jemals gesehen hatte.

Doch es waren ihre veilchenblauen Augen, die ihn am meisten faszinierten, und er meinte, in ihnen eine Spiegelung seiner Empfindungen lesen zu können. Und da war noch etwas im Blick dieser schönen jungen Frau: Verletzbarkeit.

Insgeheim schalt Ferruccio sich einen Narren. Clarissa D’Agostino war so verletzbar wie ein Eisberg, der von der Titanic gerammt wurde.

Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er ihr gefolgt war, wie er ihr seine Gefühle offenbart hatte, weil er, dumm wie er war, davon ausging, dass es ihr ebenso ging. Immer noch wurde ihm heiß, wenn er daran dachte, wie sie ihn hatte abblitzen lassen. Kalt und mit dem ganzen Hochmut ihres gesellschaftlichen Standes.

Seit dieser ersten Begegnung war daraus ein böses Spiel geworden. Immer wieder hatte er sie eingeladen, immer wieder hatte sie ihn zurückgewiesen. Manchmal fragte er sich, ob er vielleicht Masochist war. Doch er war entschlossen, irgendwann zu bekommen, was er wollte.

Und nun war es so weit. Sie kam zu ihm.

Er hatte vor, ihr eine Lektion zu erteilen. Es war Zeit, dass Clarissa D’Agostino endlich von ihrem hohen Ross herunterstieg.

Ferruccio stützte sich auf die Balustrade der Aussichtsplattform und schaute auf den Horizont, wo die Abendsonne langsam im Meer versank und alles in sanftes goldenes Licht tauchte. Er stand hier oben auf dem Turm seines Palastes, erwartungsvoll und erfüllt von Bitterkeit. Von hier konnte er die gewundene Straße am besten überblicken …

Man würde Clarissa zu ihm bringen. Das hatte einen unangenehmen Beigeschmack. Sie kam nicht aus freiem Willen zu ihm, war nicht ungeduldig, ihn endlich zu sehen, auch wenn er sich danach in unzähligen Träumen gesehnt hatte.

Wie sehr wünschte er sich, dass es anders wäre. Dass sie lachend auf ihn zulaufen, sich ihm in die Arme werfen würde, hungrig, leidenschaftlich …

Ferruccio presste die Lippen aufeinander und riss seinen Blick von der Straße los, auf der sie kommen würde. Clarissa hatte ihm ihre Haltung immer unmissverständlich klargemacht. Selbst wenn sie sich jetzt anders entschied, war es zu spät. Für ihn zählte nur noch eins: dass sie keine Wahl hatte. Und er nahm sich vor, jeden Moment ihrer Erniedrigung zu genießen. Ungeduldig warf er einen Blick auf seine Rolex. In zehn Minuten würde es endlich losgehen.

Energisch wandte er sich ab und eilte davon, weil es noch etwas zu tun gab, um seinem Plan den letzten Schliff zu verleihen.

„Bis dann.“

Noch immer hatte Clarissa Ferruccios letzte Worte im Ohr, auch wenn seither bereits sechs Jahre vergangen waren. Aus heutiger Sicht wirkten sie wie eine Unheil verkündende Prophezeiung. Es war erst vierundzwanzig Stunden her, seit sie herausgefunden hatte, dass der Tag X gekommen war. Ferruccio Selvaggio hatte sie endlich da, wo er sie haben wollte.

Sie atmete tief durch und schaute, geschützt durch ihre Sonnenbrille, aus dem geöffneten Wagenfenster. Die schwarze Limousine fuhr in rasendem Tempo die Uferstraße entlang, und der Fahrtwind zerzauste Clarissas Haar. Sie wusste, dass sich zu ihrer Linken das türkisfarbene Mittelmeer erstreckte. Die Sonne stand tief und würde den Himmel bald in einen Farbenrausch tauchen, bis sie hinter dem Horizont verschwand und das Wasser dunkel und geheimnisvoll wurde.

Doch Clarissa nahm davon nichts wahr, denn sie war tief in Gedanken versunken, und in ihr war alles grau. Vergeblich atmete sie tief durch und versuchte, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Eine Nervosität, die sie erfasst hatte, als sie am Vortag von ihrer ersten offiziellen Reise als Botschafterin ihres Landes aus den Vereinigten Staaten zurückbeordert worden war. Ihr Vater hatte sie angerufen und ihr die Neuigkeiten verkündet. Es wurde der Schock ihres Lebens.

Nie hätte sie gedacht, dass ihr Vater bei seiner verzweifelten Suche nach einem Kronprinzen so weit gehen würde. Die Krone Castaldiniens wurde nicht aufgrund eines Geburtsrechtes verliehen, sondern musste durch Verdienste erworben werden. Und der Kronrat musste die Wahl des Königs einstimmig billigen. Der Kandidat war üblicherweise ein Mitglied der königlichen Familie, ein D’Agostino mit tadellosem Ruf, von bester Gesundheit sowie makelloser Herkunft, tugendhaft, eine Führungspersönlichkeit mit einwandfreiem Charakter, Charisma und selbst erworbenem Vermögen.

Clarissa war nicht erstaunt gewesen, als ihr Vater seinen ersten Kandidaten vorschlug, Prinz Leandro, den er acht Jahre zuvor aus Castaldinien verbannt hatte. Sie hielt Leandro für eine hervorragende Wahl. Es war Zeit, alte Fehden zu begraben und an das Wohl des Landes zu denken. Doch als der König den Kronrat so weit hatte, dass er die Wahl akzeptierte, tat Leandro das Undenkbare. Er trat von seinem Anspruch zurück.

Danach ließ ihr Vater eine weitere Bombe platzen und verkündete, er habe sich nun für ihren ältesten Bruder, Durante, entschieden. In der Geschichte von Castaldinien war dies ein Präzedenzfall, denn eigentlich durfte kein Sohn des Königs Thronfolger werden. So stand es im Gesetz. Doch es handelte sich zweifelsfrei um eine Notsituation, und daher gelang es König Benedetto, den Kronrat zu einer Gesetzesänderung zu bewegen.

Clarissa hatte sich unendlich darüber gefreut. Schon immer hatte sie es gemein gefunden, dass Durante, obwohl er ihrer Meinung nach der beste Kandidat für die Thronfolge gewesen wäre, von ihr ausgeschlossen war.

Dann war Durante mit seiner Braut aus den USA nach Castaldinien zurückgekehrt, und das Wunder geschah: Er und ihr Vater versöhnten sich. Doch kurz darauf erklärte Durante, dass er nicht Kronprinz werden würde.

Clarissa versuchte, ihn umzustimmen, aber er war ihren Argumenten nicht zugänglich, beschäftigte sich lieber mit den Hochzeitsvorbereitungen und verschwand mit seiner jungen Frau in die Flitterwochen. Als Clarissa ihre Mission in den Vereinigten Staaten begann, versicherte König Benedetto ihr, dass er fieberhaft auf der Suche nach einem neuen Kandidaten sei. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es außer Leandro und Durante noch jemand Geeigneten geben konnte, doch dann rief der König Clarissa zurück und berichtete ihr von den ungeheuren Neuigkeiten.

Er hatte den Kronrat dazu bewegen können, ein weiteres Auswahlkriterium zu streichen – das der untadeligen Herkunft. Jetzt konnte er seinen neuen Kandidaten präsentieren.

Ferruccio Selvaggio.

Sie war so verstört und geschockt gewesen, als sie es erfuhr, dass sie kaum wusste, was sie erwidern sollte. Aus den Medien hatte sie erfahren, dass Ferruccio ein Mann mit ungeklärter Herkunft war. Angeblich war er sofort nach seiner Geburt in Neapel zur Adoption freigegeben worden. Doch er war nie adoptiert worden, sondern wuchs zu einem schwierigen Jungen heran, der mit sechs Jahren im Heim landete. Es sollte die erste Station von vielen werden, bis er mit dreizehn davonlief und fortan auf der Straße lebte. Während der nächsten zwanzig Jahre gelang es ihm trotzdem, Bildung zu erwerben, lukrative Geschäfte zu machen und sich einen Weg an die Spitze zu bahnen.

Sobald an seiner Macht und seinem Status nicht mehr zu rütteln war, war er nach Castaldinien gekommen und hatte begonnen, eine Rolle bei Hofe zu spielen. Clarissa hatte den Beginn davon erlebt, und seitdem war Ferruccio ein ständiger Gast in ihren Träumen und auch ihren Albträumen. Vor Kurzem hatte sie erfahren, dass Ferruccios Geschäfte in Castaldinien mittlerweile bis zu einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts ausmachten.

Als sie ihrem Vater mitteilte, dass dies allein noch nicht ausreichte, um Thronfolger zu werden, versetzte Benedetto ihr den größten Schock.

Ferruccio war ein D’Agostino.

Der König war mit dieser Tatsache konfrontiert worden, ehe Ferruccio das erste Mal nach Castaldinien gekommen war. Er gab die Information an ein paar ausgewählte Personen weiter, darunter Clarissas Brüder Durante und Paolo. Doch Benedetto schwieg sich über die wahren Eltern Ferruccios aus, um, wie er sagte, „keine Leichen aus dem Keller zu holen“.

Nach seinem Schlaganfall gab er dem Kronrat sein Ehrenwort, dass Ferruccio tatsächlich ein D’Agostino war. Das musste genügen, und obwohl der Kronrat einwandte, dass eine uneheliche Geburt bei Weitem der schlimmste Makel war, der einem Kandidaten für den Thron anhaften konnte, überzeugte der König ihn schließlich doch. Ferruccio habe alles, was ein zukünftiger König brauche, argumentierte er. Er habe sich aus eigener Kraft ein Imperium geschaffen, sei eine außerordentliche Führungspersönlichkeit und besitze weitreichende Kontakte in der internationalen Politik.

Im Gegensatz zu Durante und Leandro war Ferruccio sofort bereit, sich auf Verhandlungen einzulassen, doch ehe er sich konkret um die Thronfolge bewerben würde, gab es Verhandlungsbedarf. Und er stellte eine Bedingung.

Die einzige Person, mit der er verhandeln würde, sei Clarissa D’Agostino.

Clarissa schloss einen Moment die Augen. Dieser arrogante Mistkerl! dachte sie wütend. Wie kann er es wagen!

Castaldinien gewährte ihm die Ehre, ihn als zukünftigen König zu akzeptieren, und er stellte Bedingungen! Was wollte er denn noch? Das Land seinem Imperium einverleiben?

Das war gar nicht so abwegig. Sie hatte herausgefunden, dass er schon vor Jahren einen nicht unerheblichen Teil des Landes gekauft hatte. Vierhundert Quadratkilometer von einem Land, das nur siebentausend Quadratkilometer groß war. Es war egal, dass es sich bei seinem Grundbesitz um das unwegsame Gebiet im Südosten handelte. Fünf Prozent waren fünf Prozent.

Weshalb wollte er ausgerechnet mit ihr verhandeln? Sie war die Jüngste im Kronrat und erst kurz vor ihrer Abreise in die USA ernannt worden.

Doch wenn sie ehrlich zu sich war, wusste sie genau, weshalb.

Jetzt, da Ferruccio die Oberhand besaß, wollte er sie spüren lassen, dass alle D’Agostinos nach seiner Pfeife zu tanzen hatten. Und was sie betraf – sie war sicher, dass sie die einzige Frau war, die ihn je hatte abblitzen lassen. Nun war die Zeit seiner Rache gekommen. Er wusste ja nicht, wie schwer es ihr gefallen war, ihn zurückzuweisen. Wenn sie nicht vorgewarnt gewesen wäre, hätte sie sich ihm damals, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, an den Hals geworfen.

Aber er war bloß ein rücksichtsloser, stinkreicher Emporkömmling, der annahm, dass Frauen nur dazu da waren, ihn zu bewundern und seine Bedürfnisse zu befriedigen. Clarissa war sicher, dass ihre Zurückweisung ihn keine Sekunde Schlaf gekostet hatte. Schließlich war er danach ständig in Begleitung einer anderen hübschen Spielgefährtin gewesen. Er schien seine Begleiterinnen ebenso oft zu wechseln wie seine Hemden.

Allerdings hatte er ihr Nein nicht akzeptiert. Es schien den Jagdinstinkt in ihm geweckt zu haben, und seitdem erneuerte er seine Einladung in regelmäßigen Abständen, völlig unbeeindruckt von ihrer wachsenden Ablehnung. Er bot ihr an, mit ihm nach Mailand zu fliegen, nach Monaco oder nach Madrid, er lud sie zum Essen ein oder schlug ein Wochenende in Hongkong, Tokio oder Rio de Janeiro vor. Jedes Mal lehnte sie ab, bestimmt, aber höflich, denn er war in kürzester Zeit ein wichtiger Mann in Castaldinien geworden.

Und doch gingen ihr seine Worte nicht mehr aus dem Kopf, die er bei jener ersten Begegnung wie eine düstere Prophezeiung ausgesprochen hatte. Sie wusste, dass er auf den Zeitpunkt wartete, an dem sie sich erfüllten.

Dieser Zeitpunkt schien nun gekommen.

Clarissa fragte sich, wie er es wohl geschafft hatte, ihren Vater zu überzeugen, dass nur sie die Verhandlungen führen konnte. Es musste ihm etwas Triftiges eingefallen sein, sonst wäre ihr Vater nicht so kompromisslos gewesen.

Also musste sie sich in die Höhle des Löwen begeben und seinen Triumph über sich ergehen lassen. Mittlerweile hatte er es nicht mehr nötig, sich gesellschaftliche Vorteile durch sie zu verschaffen, denn er war ein D’Agostino, und darüber hinaus würde er höchstwahrscheinlich der nächste König von Castaldinien werden.

Die Limousine verlangsamte ihre Fahrt, und Clarissa, deren Gedanken einen Moment abgeschweift waren, weil der Sonnenuntergang so traumhaft war, wurde bewusst, dass das Ende der Reise fast erreicht war. Sofort kehrten ihre Nervosität und ihre Wut zurück, die sie bereits verspürt hatte, als sie an Bord des Privatjets geleitet worden war und Ferruccio dort nicht vorgefunden hatte. Ohne weitere Begründung hatte man sie in den Südosten der Insel gebracht.

Hier war sie nun und näherte sich dem einzigen Gebäude, das es in diesem abgelegenen Gebiet zu geben schien. Jedenfalls war ihr, seitdem sie auf dem Privatflughafen in die Limousine umgestiegen war, kein anderes aufgefallen.

Es gab keine Zäune, keine Mauern, kein Tor. Sie fuhren eine Zypressenallee entlang, und Clarissa stellte fest, dass sich das Anwesen über Hunderte Hektar erstrecken musste. Das zentrale, mehrgeschossige Gebäude, das auf der höchsten Erhebung des Geländes lag, war auf der einen Seite von gepflegten Gärten umgeben, die bis hinunter zum langen weißen Sandstrand reichten. Auf der anderen Seite gab es Orangenhaine, so weit das Auge reichte. Der frische süße Duft drang durch die geöffneten Wagenfenster, und Clarissa atmete tief ein.

Gleich darauf hielt der Chauffeur am Anfang eines gepflasterten Wegs, und sie stieg sofort aus, weil sie keine Lust auf irgendein Zeremoniell hatte. Der Chauffeur holte sie jedoch ein und begleitete sie bis zum Eingang des Gutes, das mit seinen neugotischen Zinnen, den spitzbogigen Fenstern und dem zentralen Turm eher wie ein Märchenschloss wirkte. Überall blühte Oleander in vielen Farben, hohe Palmen flankierten den Weg, Agaven und bunte mediterrane Flora gaben dem Ort etwas Paradiesisches. Außen am Turm prangte ein großes Wappen, dessen Symbole nicht mit denen der D’Agostinos übereinstimmten. Wollte Ferruccio damit deutlich machen, dass er der Familie ebenbürtig, aber trotzdem ein Außenseiter war?

Clarissas Überlegungen endeten abrupt, als der Chauffeur die massive Eichenholztür für sie öffnete. Er ließ sie eintreten, folgte ihr jedoch nicht, sondern schloss die Tür, sobald sie in der Vorhalle stand. Sie hörte seine eiligen Schritte, als er sich entfernte.

Clarissa verzog spöttisch den Mund. Er hat das Paket abgeliefert, dachte sie, jetzt rennt er weg, als sei der Teufel hinter ihm her. Nervös schaute sie sich um, aber da war niemand. Anscheinend hatten die übrigen Angestellten dieselben Befehle von Ferruccio erhalten.

Also wartete sie darauf, dass der Hausherr erschien. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als ihr einfiel, dass sie noch nie mit ihm allein gewesen war. Selbst an jenem allerersten Abend, als er ihr auf die Terrasse gefolgt war, waren Dutzende von Leuten in der Nähe gewesen. Seitdem hatte sie dafür gesorgt, dass sie in seiner Gegenwart immer in Begleitung war. Doch hier, in seiner Welt, regierte er, und sie fühlte sich mit einem Mal verlassen. Das konnte nur Absicht sein. Dafür hasste Clarissa Ferruccio nur umso mehr.

Und das Schlimmste war, dass sie ihn diese Antipathie nicht spüren lassen durfte, denn ihr offizieller Auftrag gebot ihr, diplomatisch zu sein. Was sie persönlich empfand, hatte hier nichts zu suchen.

Die Sekunden schienen endlos langsam zu verstreichen, und während sie so dastand und wartete, begann ihr das Blut in den Ohren zu rauschen. Niemand kam. Von draußen hörte sie schwach die Meeresbrandung. Die große, von einem Kreuzgewölbe überspannte Vorhalle war mit Lavagestein gepflastert. Durch die hoch gelegenen spitzbogigen Fenster fiel das goldene Licht der untergehenden Sonne herein.

Irgendwann wurde Clarissa die Warterei zu dumm, und sie begann, ihre Umgebung zu erkunden. Sie ging zum einen Ende der Vorhalle, öffnete Türen und fand zu ihrer Überraschung eine Olivenpresse und Räume, in denen offenbar Wein gekeltert wurde. Anscheinend stellte Ferruccio hier auf dem Gut eigenen Wein und eigenes Olivenöl her.

Sie dachte über diese neue Facette des Hausherrn nach, während sie zur anderen Seite der Vorhalle wanderte, wo eine säulengetragene Arkade in fünf Stufen endete. Diese führten in einen Wohnbereich in römischem Stil, mit feinem Stuck an der Decke und möbliert mit Sofas, vor denen niedrige Tische standen.

Ob er wohl oft Gäste hatte? Clarissa fragte sich, ob er sie wohl hierher mitgenommen hätte, wäre sie, naiv und ohne seine wirklichen Absichten zu kennen, seinen Einladungen gefolgt. Und was wäre dann passiert? Sie wäre ja, ehe sie die Wahrheit erfahren hatte, nur zu bereit gewesen, sich von ihm verzaubern zu lassen und seiner Magie zu erliegen.

Unwillig schüttelte sie den Kopf. Das waren fruchtlose Überlegungen, und sie durfte sich nicht von „was wäre, wenn“ beeinflussen lassen. Entschlossen durchquerte sie den Wohnbereich und betrat ein atemberaubendes Speisezimmer mit einem runden Tisch aus Bronze, der auf einer runden steinernen Plattform stand, umgeben von mittelalterlichen Stühlen, auf denen weiche Kissen lagen. An den Wänden steckten Fackeln in ihren Halterungen, und der Fußboden war mit antiken sizilianischen Kacheln ausgelegt, deren Ornamente ständig variierten. An beiden Enden des Raumes gab es je einen riesigen offenen Kamin, wobei ihr geschultes Auge auch die gut versteckte moderne Elektroheizung entdeckte.

Ihr wurde klar, dass Ferruccio Millionen in dieses Anwesen investiert haben musste. Abgesehen von der Landwirtschaft, die offenbar recht ernsthaft von seinen Angestellten betrieben wurde, war es wohl so etwas wie sein privates Paradies, in das er sich zurückzog, wann immer es seine Zeit erlaubte.

Plötzlich begriff sie, weshalb er sie hierher hatte einfliegen lassen. Er wollte ihr seinen Reichtum und seine Macht demonstrieren.

Doch da hatte er sich die Falsche ausgesucht. Seit sie denken konnte, lebte Clarissa in einem Palast. Reichtum und Luxus bedeuteten ihr nichts, denn sie verband damit nur das Leid, das sie in ihrer Kindheit erfahren hatte. Sie genoss es fast, dass ihr Vater seit Langem kaum noch etwas tat, um den Palast zu erhalten. Die verblassende Pracht hatte für Clarissa etwas Beruhigendes.

Allerdings gestand sie Ferruccio zu, dass er Geschmack besaß. Dieses Anwesen hier war weder prätentiös noch extravagant. Die Architektur des Hauses war meisterhaft, aber jedes Detail fügte sich in ein wunderschönes Ganzes, das befriedigte, ohne die Sinne zu überreizen.

Ohne dass sie ein Geräusch gehört hatte, spürte sie mit einem Mal, dass sich etwas im Raum verändert hatte. Ihr Körper begann zu prickeln, und wie magisch angezogen, drehte sie sich um.

Da stand er. Der Mann, der ihr seit der ersten Begegnung nicht mehr aus dem Sinn ging. Der Macht über sie besaß, der sie mit Sehnsucht erfüllte und sie verträumt, wütend und traurig zugleich machte.

Er stand oben auf der Galerie, die die gesamte Vorhalle umgab, und sah aus wie ein römischer Gott, der sich seinen Jüngern zeigt.

Als sie schon dachte, er würde tatsächlich warten, bis sie ihn anflehte, zu ihr herunterzusteigen, setzte er sich endlich in Bewegung und kam die steinerne Treppe herunter. Dabei sah er Clarissa unverwandt in die Augen. Seine Bewegungen waren geschmeidig, fast geräuschlos.

Dann kam er mit langen Schritten auf sie zu, und Clarissa konnte nur hoffen, dass er nicht merkte, wie sehr sein Anblick sie aufwühlte. Er war die Erfüllung all ihrer Träume, und jedes Mal, wenn sie ihm begegnete, entdeckte sie etwas Neues, Aufregendes an ihm. Machte er schon in seinen dunklen Anzügen, die sie bisher an ihm gesehen hatte, eine prachtvolle Figur, war er jetzt, in Jeans und halb aufgeknöpftem Jeanshemd, fast verboten sexy.

Als er vor ihr stehen blieb, sah sie zögernd zu ihm auf, und sein Lächeln, das erste, das er ihr gönnte, verschlug ihr den Atem.

„Principessa Clarissa“, begrüßte er sie leise, doch der gefährliche Unterton, der in seiner Stimme mitschwang, war unüberhörbar. „Ich freue mich, dass Ihre … Situation es Ihnen endlich erlaubt, mit mir zusammen zu sein.“

2. KAPITEL

Ferruccio erinnerte sich tatsächlich an das, was sie, Clarissa, damals bei ihrer ersten Begegnung zu ihm gesagt hatte.

Wie auch nicht? Und jetzt versuchte er, sich mit dieser Bemerkung an ihr zu rächen. Sie hätte wetten können, dass er all die Jahre nur deshalb so hartnäckig gewesen war, weil sie seinen Stolz verletzt hatte und er sich bei ihr revanchieren wollte.

Diese Gelegenheit war nun da. Er konnte Clarissa seine Bedingungen aufzwingen. Ihr war klar, dass er seine Chance nutzen würde, denn nicht umsonst hielt man ihn allgemein für einen Mann, der unbesiegbar war.

Trotzdem hatte sie immer gehofft, der Kelch würde an ihr vorübergehen. Dass sich die Gegebenheiten so ändern würden, hatte sie nicht voraussehen können. Doch selbst wenn ihm die Situation nicht in die Hände gespielt hätte, hätte er sein Ziel vermutlich irgendwann erreicht. Hatte sie seine Methoden nicht genau studiert? Und wusste sie durch ihr Studium nicht über langfristige Planung und konsequente Umsetzung, die zwangsläufig zum Erfolg führen mussten, genauestens Bescheid?

Es gab keinen Zweifel: Ferruccio genoss seinen Triumph, aber sie hatte nicht vor, seine Steilvorlage zu nutzen, sondern wusste, dass sie neutral bleiben und wenn möglich das Thema wechseln musste.

„Was soll ich dazu sagen?“, erwiderte sie betont gleichgültig und zuckte die Schultern. „Das Leben nimmt mitunter äußerst bedauerliche Wendungen. Manchmal geht’s bergauf und dann wieder steil bergab.“

Beinah hätte sie laut geflucht über ihre Unvorsichtigkeit. Wie konnte sie nur so etwas sagen! Noch dazu in diesem vorwurfsvollen Ton. Er würde es als Provokation auffassen, und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken.

Ferruccio lächelte kühl. „Tatsächlich? Aber bedauerlich kann ich das nicht finden. Ich liebe Achterbahnfahrten.“

Sie hätte schweigen sollen und alles abnicken, was er sagte. Ihm das Gefühl geben, dass er die Oberhand besaß. Wenn das die „Verhandlungen“ waren, die er führen wollte, dann bitte schön. Sie war hier zu seinen Bedingungen, konnte ihm nichts abschlagen und nicht einfach aufstehen und gehen. Wenn er seinen Sieg genug ausgekostet hatte, würde er sie wohl endlich in Ruhe lassen.

Doch das Nächste, was ihr herausrutschte, war: „Das kann ich mir denken. Allerdings geht es bei Ihnen seit einiger Zeit nur noch aufwärts. Kaum vorstellbar, dass dieser Trend sich umkehrt.“

Er lächelte spöttisch. „Das denke ich auch. Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, aus solcher Höhe abzustürzen?“

Dio mio, hier kam das nächste Stichwort für sie. Clarissa nahm es nur zu bereitwillig auf. „Oh ja, und wie ich das kann.“

Diesmal ließ er seine weißen Zähne blitzen. Er sah unwiderstehlich gut aus, als er amüsiert erwiderte: „Ich sehe, Sie haben lange und ausführlich über die Sache nachgedacht. Es scheint, als würden Sie sich bereits über alle Details dieses Events freuen.“

Sie gab es auf, ihre Angriffslust unterdrücken zu wollen. „Das Wort ‚Freude‘ trifft es nicht ganz. Es ist eher so, dass es mir ein außergewöhnliches Vergnügen bereitet.“

Sie hörte den harten, bösen Klang ihrer Stimme und wusste, dass Ferruccio ihn ebenfalls wahrnahm. Er schien zu erstarren, als ob er es nicht fassen könne, dass sie auf diese Weise mit ihm sprach.

Dann warf er plötzlich den Kopf zurück und lachte schallend.

Nun war es an ihr, überrascht zu sein. Gleichzeitig erschütterte es den Rest an Selbstbeherrschung, den sie noch besaß. Sie hatte ihn noch nie lachen sehen, wusste gar nicht, dass er zu einer solch menschlichen Verhaltensweise fähig war. Aber nun, da er es tat, war es mitreißend und erregend.

Sein Lachen ging Clarissa durch und durch. Es wirkte ansteckend in seiner Ehrlichkeit und sinnlich. Der ganze Mann war eine erotische Zeitbombe, und Clarissa fühlte, wie Verlangen in ihr aufstieg. Gleichzeitig ärgerte sie sich, weil sie ihm durch ihre Bemerkung Anlass gegeben hatte, sie bei ihrem Vater und beim Kronrat anzuschwärzen und ihnen mitzuteilen, dass das jüngste Ratsmitglied unfähig und untauglich war, die Interessen des Landes würdig zu vertreten.

Doch es war ihr egal, denn sie wusste, dass Ferruccio gewonnen hatte. Sechs Jahre lang hatte er sich selbst als Köder ausgelegt, hatte ihr vorgeführt, wie begehrenswert er war, bis sie es kaum noch aushielt vor Sehnsucht. Bisher hatte sie noch geglaubt, ihm widerstehen zu können. Doch sie begriff, dass es längst zu spät war.

Ferruccio lachte immer noch. „Hätten Sie denn kein schlechtes Gewissen, wenn mein Untergang Sie mit ‚außergewöhnlichem Vergnügen‘ erfüllen würde? Schließlich bin ich ein Familienmitglied.“

Entnervt verdrehte Clarissa die Augen. „Erinnern Sie mich bloß nicht daran.“

Er lachte erneut. „Da kommt sie endlich zum Vorschein, die Löwin. Ich wusste immer schon, dass unter der selbstbeherrschten Oberfläche eine temperamentvolle Frau lauert, und habe mich gefragt, was geschehen muss, damit Sie mal die Klauen ausfahren.“

Kopfschüttelnd seufzte sie auf. „Gratuliere. Sie haben es herausgefunden. Ich hoffe, Sie genießen Ihren Erfolg.“

„Ich habe wirklich noch nie etwas so genossen. Noch nie!“

Wieder brach er in Gelächter aus. „Was sind Sie bloß für eine grausame Cousine.“

„Eine sehr entfernte Cousine.“

Der Ausdruck seiner Augen veränderte sich, wurde hart. „. In jeder Hinsicht.“

Damit bezog er sich darauf, dass sie ihn seit Jahren auf Abstand hielt und ihm geschickt aus dem Weg ging.

„Aber gerade jetzt sind Sie nicht weit entfernt, jedenfalls in einer Hinsicht.“ Er kam einen Schritt näher, bis er sie fast berührte. Clarissa zog sich hastig zurück und sah, dass Ferruccio drauf und dran war, den Abstand erneut zu verringern. Doch dann schaute er sie nur an, und sein Blick hätte sie beinah dahinschmelzen lassen. Mit samtweicher, tiefer Stimme bemerkte er: „Sehen Sie, wie einfach das ist?“

„Was ist einfach? Dass Sie mich hier einfliegen lassen, so wie ein Paket, das auf Ihrer Türschwelle abgesetzt und dort liegen gelassen wird, bis Sie endlich geruhen, es zu bemerken? Klar, dazu brauchte ich nicht viel zu tun.“

„Sie glauben, ich hätte gezögert? Nachdem ich den Kronrat düpiert hatte, weil ich darauf bestanden habe, nur mit Ihnen zu verhandeln?“

„Das beweist noch lange nicht, dass mein Empfang freundlich war. Düpiert haben Sie mich, Signor Selvaggio, denn der Kronrat denkt jetzt, dass Sie mich als Verhandlungspartnerin gewählt haben, weil ich eine junge Frau bin, und mit jungen Frauen kennen Sie sich ja aus. Sie glauben, dass Sie mich leicht über den Tisch ziehen können, weil ich noch unerfahren im Verhandeln bin. Wahrscheinlich denken Sie, dass ich Ihnen bereitwillig die Seelen aller Einwohner von Castaldinien verkaufe.“

Er lächelte. „Ich werde überlegen, ob ich das will.“ Ehe sie ihrem Impuls nachgeben konnte, ihn zu ohrfeigen, fuhr er fort: „Aber wenn irgendjemand annimmt, man könne Sie in Verhandlungen leicht über den Tisch ziehen, dann ist er dumm. Und was immer Sie von mir denken, Principessa – Sie müssten eigentlich wissen, dass meine geistigen Fähigkeiten nicht zu unterschätzen sind.“

„Dann denkt der Kronrat eben noch viel Schlimmeres. Zum Beispiel, dass Sie die Gelegenheit nutzen, um ein persönlicheres Ziel zu verfolgen. Und auch das hätte damit zu tun, dass ich eine junge Frau bin. Damit würden Sie meine Position im Rat noch weiter untergraben.“

Sobald sie das Wort „Positio“ ausgesprochen hatte, sah sie, wie Ferruccio seinen Blick anzüglich über ihren Körper wandern ließ. Ihr wurde heiß, und als sie kurz darauf erneut seinem Blick begegnete, las sie darin dasselbe Verlangen, das sie schon damals bei ihrer ersten Begegnung in seinen Augen hatte aufblitzen sehen. Damals hatte sie noch geglaubt, es sich nur eingebildet zu haben. Doch das hier war unmissverständlich.

„Ihre … Position ist gefestigt, das versichere ich Ihnen. Sie sollten mittlerweile genug Erfahrung haben, um zu wissen, dass das Persönliche im Geschäftsleben endet, sobald die Verhandlungen beginnen. Und falls der Kronrat denkt, ich hätte persönliche Absichten, dann ist das nur logisch. Schließlich wäre ich nicht da, wo ich heute bin, wenn ich meine Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen würde.“

„Ich hätte wissen müssen, dass Sie sich nicht einmal die Mühe machen würden, es zu leugnen“, erwiderte sie indigniert.

Er warf ihr einen rätselhaften Blick zu. „Aber ich gebe es auch nicht zu. Sie können hineininterpretieren, was Sie wollen. Es gibt übrigens noch einen dritten Aspekt: Ich wollte mit einer Person reden, die etwa gleichaltrig ist, nicht mit den übrigen Mitglieder des Kronrats, die so alt sind wie mein nicht vorhandener Vater oder älter.“

Clarissa traf seine Bemerkung an einer empfindlichen Stelle, denn seit sie wusste, dass Ferruccio elternlos aufgewachsen war, konnte sie ihn nicht mehr aus ganzem Herzen hassen. Oft hatte sie sich vorgestellt, wie einsam und verlassen er sich als Kind gefühlt haben musste. Er hatte sicher unendliches Leid erfahren, bis er sich jene raue Schale zulegte, die ihm seinen kometenhaften Aufstieg ermöglicht hatte. Sie war nicht in der Lage, ihr Mitgefühl für das unglückliche Kind zu unterdrücken, auch wenn sie den Mann, zu dem Ferruccio geworden war, nicht mochte.

Als sie nicht antwortete, legte Ferruccio nach. „Hier kommt ein viertes Argument. Sie sind dasjenige Mitglied des Kronrats, das mir am meisten gefällt.“

Sie war froh über seine leicht dahingeworfene Bemerkung. „Das glaube ich gern, wenn man die Alternativen bedenkt.“

Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch. „Glauben Sie wirklich, ich hätte Sie nur ausgewählt, weil die Alternativen Tattergreise und alte Jungfern gewesen wären?“

Ich glaube es nicht, ich weiß es, hätte sie am liebsten gerufen, aber sie verkniff es sich, denn hatte er es nicht mehr oder weniger zugegeben? Und selbst wenn es anders gemeint gewesen war, wusste sie, dass sie für ihn Luft war, sobald es attraktivere Optionen gab. Denn das wusste sie aus erster Hand.

Nach dem Ball, auf dem sie Ferruccio das erste Mal begegnet war, hatte sie ihre Freundin Luci ausgefragt. Zu gern hätte sie gehört, dass sie sein Verhalten missdeutet hatte. Doch Luci hatte ihren Verdacht bestätigt.

Ferruccio hatte sich Luci und Stella in eindeutiger Absicht genähert. Luci gab sogar zu, sie hätte kurz darüber nachgedacht, ihn mit Stella zu teilen, diesem Ekelpaket, wenn sie ihn schon nicht für sich allein haben konnte. Doch plötzlich habe er sich abgewandt und sei verschwunden.

Jahrelang hatte er Clarissa gegenüber so getan, als habe er die beiden Frauen nicht angemacht. Doch was sie von Luci erfuhr, machte ihr klar, dass er wohl einfach davon ausging, dass alle Frauen, die er haben wollte, zur Verfügung standen. Der einzige Reiz, den sie, Clarissa, auf ihn ausübte, war, dass sie die Tochter des Königs war, und später, dass sie die einzige Frau war, die ihn zurückwies. Und das Verlangen, das sie jedes Mal, wenn sie ihm begegnete, in seinen Augen zu lesen glaubte, war höchstwahrscheinlich reine Einbildung. So wie jetzt.

„Kein Widerspruch mehr, Principessa?“, fragte er. „Hm, ich glaube, ich weiß, warum.“ Er richtete seinen Blick auf ihren Mund, bis sie das Gefühl hatte, seine Lippen auf ihren spüren zu können. „Sie sind … hungrig.“

Alarmiert, weil sie annahm, er habe erkannt, was sie fühlte, wollte sie leugnen, doch er nahm ihren Arm und sagte: „Kommen Sie. Sie müssen etwas essen, damit Sie wieder angriffslustig werden.“

Essen. Das war es, was er gemeint hatte.

Während Clarissa ihm folgte, verlor sie bald jeglichen Orientierungssinn. Das Anwesen war riesig. Endlich erreichten sie ein großes Tor aus Eichenholz. Ferruccio öffnete es, und Clarissa ließ sich willenlos von ihm leiten.

Kurz darauf betraten sie eine erhöhte Terrasse, von der man einen herrlichen Blick auf den großen rechteckigen Pool hatte, der wie ein Aquamarin inmitten blühender, geometrisch angelegter Gärten lag. Dahinter erstreckten sich Olivenhaine, und in einiger Entfernung erhoben sich die von wilder Vegetation bewachsenen Berge. Zu ihrer Linken aber erhoben sich flache Dünen, ehe sich der Blick in der Weite des Meeres verlor.

Clarissa blieb verblüfft stehen, weil der Anblick, der sich ihr bot, so traumhaft war. Sie war auf dieser Insel geboren, aber sie hatte nicht gewusst, dass es hier noch eine solch ursprüngliche, wildromantische Landschaft gab. Der Kontrast zu der märchenhaften Architektur und den formellen Gärten hätte nicht reizvoller sein können. Aber das, was sie am meisten verzauberte, war die völlige Abgeschiedenheit. Es schien, als seien sie und Ferruccio die einzigen Menschen auf der Welt.

Verwirrt blickte sie zu Ferruccio auf und entdeckte, dass er sie die ganze Zeit angeschaut haben musste. In seinem Blick las sie so viel Gefühl, dass sie erschauerte. Er streckte eine Hand aus, als wolle er ihr Gesicht umfassen, doch dann, im letzten Moment, strich er ihr nur eine Haarsträhne hinters Ohr. „Gefällt es Ihnen hier?“

Sie schluckte. „Ja, sehr.“

Er lächelte, und sein intensiver Blick schien bis zu ihrer Seele vorzudringen. Dann nahm er ihre Hand.

Es war eine elektrisierende Berührung, und sie musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Clarissa murmelte etwas in der Art, dass er längere Beine habe als sie, und er verlangsamte sein Tempo sofort. Sie umrundeten den Pool und bogen in einen Weg ein, der sie durch den Olivenhain hinunter zu den Dünen führte. Dort blieb Ferruccio stehen.

Ohne Vorwarnung ging er in die Hocke, nahm Clarissas Hände, legte sie auf seine Schultern und griff dann nach ihrem rechten Fuß. Aufreizend langsam streifte er ihr die hochhackige Sandalette ab und strich dabei zärtlich über ihren Spann. Clarissa keuchte überrascht auf. Er schaute sie an und sah, wie nervös sie war. Dann umschloss er ihren Fuß, hob ihn an, und als Ferruccio seinen Mund sinnlich öffnete, war klar, was er vorhatte.

Vor Schreck verlor Clarissa die Balance, sodass er ihren Fuß loslassen musste, oder sie wäre hingefallen. Sie hielt sich an ihm fest, spürte seine muskulösen Schultern, und als er ihr auch noch die zweite Sandalette auszog, wurde sie von solchem Verlangen erfasst, dass ihr schwindelte.

Doch da ließ er ihren Fuß los, und sie stand wieder mit beiden Beinen auf der Erde. Während sie um Fassung rang, zog er seine Sneakers aus, stellte sie neben Clarissas Sandaletten, richtete sich auf und streckte Clarissa die Hand hin, um sie zu einem Spaziergang am Strand einzuladen.

Sie stolperte ein paar Schritte hinter ihm her, doch dann war sie wie erstarrt. Da war feiner weißer Sand unter ihren Füßen, er war warm und weich, und was ihre Fußsohlen beim ersten Kontakt spürten, verstärkte den Aufruhr ihrer Gefühle.

Als Ferruccio ihren Gesichtsausdruck sah, fragte er besorgt: „Sind Sie irgendwo draufgetreten? Haben Sie sich wehgetan?“

Ehe sie antworten konnte, kniete er sich vor sie hin und inspizierte erst den einen Fuß, dann den anderen.

Es war eine so liebevolle und fürsorgliche Geste, dass Clarissa nicht wusste, wie ihr geschah. Und er ließ ihr keine Zeit, zur Besinnung zu kommen, denn sobald er sich aufgerichtet hatte, hob er sie mühelos auf seine Arme.

Entsetzt spürte sie, wie viel Macht er über sie besaß, wenn er sie berührte. Nie zuvor hatte sie ihn so nah an sich herangelassen. Sie hatte früher sogar vermieden, ihm die Hand zu geben. Und jetzt war sie ihm so nah, fühlte die harten Muskeln seines Oberkörpers, wurde festgehalten von starken Armen, nahm seinen männlichen Duft war, seine Wärme … Es war zu viel für sie.

„Lassen … lassen Sie mich runter“, stammelte sie. „Es ist alles okay.“

„Weshalb sind Sie dann so erschrocken stehen geblieben? Warum haben Sie so verstört gewirkt?“

„Ich war nur … überrascht, weil … weil ich so etwas noch nie gemacht habe.“

„Sie haben noch nie die Schuhe ausgezogen und sind barfuß am Strand entlanggelaufen?“

Clarissa schüttelte den Kopf. „Ich … nein, noch nie.“

„Aber Sie sind auf einer Mittelmeerinsel aufgewachsen, die berühmt ist für ihre schönen Strände. Sind Sie etwa auch nie im Meer geschwommen?“

„Es hat sich nie ergeben“, erwiderte sie lahm. „Das Meer hat in meinem Leben keine Rolle gespielt.“

„Das glaub ich nicht“, wandte er ein. „Ich weiß genau, dass Durante und Paolo als Kinder oft am Strand waren.“

Clarissa war diese Diskussion peinlich. „Ich kriege leicht einen Sonnenbrand.“

Er musterte sie, und sie konnte seinen Blick förmlich auf der Haut spüren. „Sie haben die zarteste Haut, die ich jemals gesehen habe, aber Ihr Typ bekommt keinen Sonnenbrand. Ich bin sicher, Sie bräunen hervorragend.“

Sein Kompliment bewirkte, dass die Sehnsucht, sich einfach in seine Arme zu werfen, nur noch stärker wurde. „Wahrscheinlich habe ich als Kind mal zu viel Sonne abbekommen. Meine Mutter war extrem fürsorglich. Sie hat vermutlich dafür gesorgt, dass ich meist im Haus blieb.“

„Und das haben Sie sich gefallen lassen? Das hört sich aber nicht nach jener Clarissa D’Agostino an, die ich kenne.“

„Dann haben Sie ein ziemlich rosiges Bild vom Leben einer Prinzessin“, gab sie zurück.

„Wenn Sie damit meinen, dass ich mir nicht vorstellen kann, welchen Zwängen Sie ausgesetzt waren und sind, dann haben Sie vermutlich recht. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass zu den Verboten und Geboten gehört, den Strand und das Meer zu meiden. Scheint, als hätte ich wirklich keine Ahnung.“

Es war verrückt. Er fand genau die richtigen Worte. Sonst behaupteten die Leute, besonders die Männer, immer, sie könnten nachempfinden, was sie durchgemacht habe, und gaben ihr das Gefühl, eine arme, unterdrückte Prinzessin zu sein. Nicht so Ferruccio, und Clarissa war ihm gegen ihren Willen dankbar dafür. „Wie auch immer“, meinte sie. „Jedenfalls ist mir das Meer fremd geblieben.“

„Und jetzt?“, wollte er wissen. „Fasziniert es Sie?“

Sie vermied es, ihn anzublicken, weil er offenbar bis in ihre Seele schauen konnte. Ja, sie war fasziniert. Über alle Maßen. Von dieser Landschaft. Von diesem Mann. All ihre Sinne schienen lebendig geworden zu sein. In diesem Augenblick fiel ihr ein, dass sie immer noch in Ferruccios Armen lag.

Hastig wollte sie sich befreien, doch da flüsterte er plötzlich: „Schauen Sie.“

Sie folgte seinem Blick, der auf den Horizont gerichtet war, wo gerade die Sonne unterging. Meer und Himmel waren in einen wahren Farbenrausch getaucht, so als feierten sie ihre himmlische Vereinigung.

Lange schauten Clarissa und Ferruccio auf dieses magische Schauspiel, doch endlich bestand Clarissa darauf, abgesetzt zu werden.

Er hielt sie fest. „Sind Sie sicher, dass es Ihnen nicht unangenehm sein wird, barfuß durch den Sand zu laufen?“

„Ich war doch bloß überrascht, wie gut es sich anfühlt“, sagte sie lächelnd.

Ferruccio ließ sie sanft auf die Füße gleiten und sah ihr dabei in die Augen. Zum ersten Mal bemühte sie sich nicht mehr, ihre Gefühle vor ihm zu verbergen. Als ihre nackten Fußsohlen den Sand berührten, seufzte sie glücklich auf. Es war so neu, so aufregend. Plötzlich fühlte sie sich frei und so lebendig wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Sie jubelte laut und rannte los.

Hinter sich hörte sie Ferruccio lachen, und sie lachte auch, während sie ihr Tempo beschleunigte. Es war verrückt, was sie hier tat, aber es fühlte sich so gut an, so richtig.

Als sie die nächste Düne passiert hatte, sah sie es. Auf dem flachen Strand zwischen Dünen und Meer stand zwischen hohen Messingfackeln eine gedeckte Tafel für zwei Personen. Clarissa wandte sich kurz zu Ferruccio um, ehe sie hinüberrannte, um sich das exquisite Arrangement näher zu betrachten. Das lavendelfarbene Tischtuch wehte leicht in der sanften Brise. Edles schwarzes Porzellan kontrastierte mit kostbarem Silberbesteck. Die Kristallgläser fingen das gleißende Licht der letzten Sonnenstrahlen auf. Ein Büfett war seitlich aufgebaut.

Ferruccio kam zu ihr. Seine Augen funkelten. „Erstaunlich, wie geschmeidig Sie in diesem engen Rock laufen können“, bemerkte er. „Und vor allem: wie schnell! Ich konnte kaum Schritt halten. Wie schnell sind Sie erst, wenn Sie Sportklamotten anhaben?“

Ihr Atem hatte sich noch nicht beruhigt, und nun errötete sie auch noch. „Der Rock ist gar nicht so eng. Außerdem haben Sie gar nicht versucht, mich einzuholen.“

Er lachte. „Stimmt nicht. Ich habe es versucht, und ich laufe ziemlich schnell. Aber Sie sind unschlagbar.“

Sie lächelte ihn an, weil es ihr gefiel, wie locker er zugab, dass sie ihn besiegt hatte. Es schien ihm sogar Spaß zu machen. „Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, damit Sie nicht traurig sind. Beim Hallenfünfkampf war ich auf der Universität Rekordhalterin. Drei Jahre lang. Und zwei Jahre bei den Regionalmeisterschaften.“

Ferruccio wirkte beeindruckt, obwohl sie das Gefühl hatte, dass er es bereits wusste. „Sieht so aus, als wären Sie immer noch gut in Form.“ Die Art, wie er das letzte Wort betonte, sagte Clarissa deutlich, wie sehr er diese „Form“ genoss. „Und ab sofort wird Sport an der frischen Luft auf Ihrem Programm stehen, und zwar inklusive Schwimmen im Meer. Mit mir zusammen.“ Sie wollte etwas erwidern, doch die Bilder, die sie vor ihrem geistigen Auge sah, ließen sie verstummen. Ferruccio lächelte. „Ich wette, mittlerweile sind Sie fast am Verhungern.“

Er nahm ihre Hand und zog sie hinüber zum Büfett. Dort hob er den Deckel von warmen und kalten Gerichten und füllte einen Teller für sie. Alles sah so lecker aus, und Clarissa, die seit der Unterredung mit ihrem Vater am Vortag nichts mehr gegessen hatte, knurrte wirklich der Magen.

Was folgte, war etwas, das sie sich selbst in ihren wildesten Träumen nicht ausgemalt hätte.

Der Abend verlief so entspannt, so fröhlich, dass sie es kaum glauben konnte. Sie aßen gemeinsam, erzählten sich Anekdoten aus ihrem Leben, tauschten Ansichten über alles und jedes aus, waren sich einig oder widersprachen einander, lachten, neckten sich, waren einen Moment ernst, um dann den Faden wieder aufzunehmen. Hier war diese magische Nähe, die Clarissa damals bei ihrer ersten Begegnung gespürt hatte. Und es schien, als seien die vergangenen sechs Jahre wie weggewischt, als sei dieser Abend einfach nur die Fortsetzung dessen, was damals auf dem Ball begonnen hatte. Ferruccios Offenheit erstaunte sie, aber noch mehr verblüffte sie, dass es ihr überhaupt nicht schwerfiel, sich ihm zu öffnen. Und immer war da dieses sinnliche Prickeln zwischen ihnen …

Der Sonnenuntergang war einem atemberaubenden Zwielicht gewichen. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen. Sanfte Farben, zarte Wolken, der Himmel ein einziges Gemälde. Später, als es Nacht wurde, verschwanden die Wolken, und am Firmament glitzerten die Sterne. Clarissa war verzaubert von ihrer Umgebung, doch noch mehr von dem Mann, der ihr gegenübersaß.

Er hatte gerade eine Melone zerteilt und ein saftiges Stück für Clarissa auf einen Teller gelegt, als er in Erwiderung auf ihren Kommentar zu einer seiner Firmenübernahmen sagte: „Meine Gegner dürfen sich immer an mir abarbeiten, bis sie erschöpft und froh darüber sind, wenn sie endlich tun dürfen, was ich will. Sobald ich erkenne, dass sie diesen Punkt erreicht haben, wende ich mich ihnen zu und stelle immer wieder fest, dass sie sich dann nur zu bereitwillig auf meine Bedingungen einlassen.“

Seine Worte schockierten Clarissa, weil sie begriff, dass das, was er sagte, auch auf sie selbst zutreffen könnte. Ja, sie war sogar sicher, dass es genau das war, was er beabsichtigte.

Wie dumm war sie doch gewesen. Sie hätte wissen müssen, dass diese plötzliche Offenheit Ferruccios, diese Nähe, die er zuließ, nur eine große Täuschung war, um sie weichzuklopfen. Und genau das war bereits geschehen. Sie hatte ihre Vorbehalte ihm gegenüber aufgegeben, hatte jede Vorsicht vergessen und nicht gemerkt, wie sie ihm auf den Leim ging.

Nun musste sie zusehen, wie sie ihre Haut retten konnte.

„Interessant zu hören, wie Sie Ihre Gegner zu willigen Werkzeugen machen. Danke, dass Sie mir diese Einsicht in Ihre Methoden gewährt haben. Es erlaubt mir, diesen charmanten Abend zu beenden und auf den Punkt zu kommen. Da Sie jetzt das Dinner mit mir hatten, um das Sie sich seit Jahren bemüht haben, hoffe ich, dass Sie zufrieden sind und wir nun zum eigentlichen Grund meines Hierseins kommen können.“ Sie sah, dass alle Wärme aus seinem Blick gewichen war. Es tat weh, aber sie konnte nicht anders. „Also fangen wir mit den Verhandlungen an. Ich kann es kaum erwarten, Ihre Bedingungen zu hören. Bestimmt wird es sehr … amüsant.“

Ferruccio wäre beinah zusammengezuckt. Ihre Worte trafen ihn hart und unvorbereitet. Doch als die Überraschung verflogen war, erfasste ihn blinder Zorn. Ja, er hatte vorgehabt, Clarissa zu schmeicheln, sie dazu zu bringen, ihren Widerstand aufzugeben. Aber dann war alles anders gekommen.

Seit Stunden hatte er nicht einen einzigen Gedanken an Rache verschwendet, sondern schlicht und einfach das Zusammensein mit ihr genossen. Alles, was er bei ihrer ersten Begegnung in ihr gesehen hatte, hatte sich bestätigt. Sie war eine starke Frau, aber sie war auch verletzbar. Sie war humorvoll, schlagfertig, voller Wärme und Leidenschaft.

Jetzt war ihm klar, dass sie ihm erneut etwas vorgespielt hatte.

Wie hatte sie es geschafft, ihn so zu täuschen? Ihr Sarkasmus verletzte und verärgerte ihn gleichermaßen. Ihre Verachtung machte ihn blind vor Wut. Der Umstand, dass er ein D’Agostino war, interessierte sie nicht im Geringsten. In ihren Augen war und blieb er ein Bastard.

Sie wusste nicht, mit wem sie es zu tun hatte. Sie kannte nur seine kultivierte Oberfläche, doch darunter schlummerte der Straßenkämpfer, bereit, aufzustehen und sich gegen jede Übermacht zu wehren. Er hatte noch jede Schlacht gewonnen, und auch diese würde er für sich entscheiden.

Es wurde allerhöchste Zeit, sie für ihre Überheblichkeit büßen zu lassen.

Ferruccio lächelte kalt. „Sie möchten verhandeln, Principessa? Aber gern. Und da Sie so wild darauf sind, meine Bedingungen zu hören: Hier sind sie. Oder sagen wir lieber: Hier ist sie. Ich nehme die Krone nur an, wenn ich auch Sie bekomme, Clarissa.“

3. KAPITEL

„Sie sind offenbar völlig verrückt geworden.“

Ferruccio lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schien Clarissas Schock zu genießen. „Bin ich das?“, fragte er gelassen. „Die Finanzwelt ist nicht Ihrer Meinung.“

„Nur weil Sie intelligent genug sind, um Ihre Geistesgestörtheit zu verbergen. Im Übrigen ist es durchaus möglich, ein Finanzgenie und ein Psychopath zu sein.“

Er tat, als langweilten ihn ihre Ausführungen, konnte jedoch nicht verhindern, dass ihre Worte ihn trafen. „Kann sein. Aber Sie haben meine Bedingung gehört, Clarissa. Was ich Ihnen gesagt habe, sollte Ihnen die Frage beantworten, weshalb ich Sie hierherbestellt habe. Ich wollte Ihnen die Ehre erweisen, meinen Anspruch aus erster Hand und nicht durch den Kronrat zu erfahren.“

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schwieg jedoch. Ferruccio schaute sie voller Verlangen an. Zu gern hätte er diese vollen Lippen geküsst. In den vergangenen Stunden hatte er gesehen, wie Clarissa lächelte, wie sie die Lippen schürzte, wenn etwas sie amüsierte, wie sie sich mit den weißen Zähnen auf die sinnliche Unterlippe biss, wenn sie nachdachte, und wie sie urplötzlich aus vollem Halse lachen konnte.

Und ihre Figur … Konnte etwas noch verführerischer sein als diese Rundungen, die er heute zum ersten Mal in seinen Armen gespürt hatte? Und er hatte gemerkt, dass er Clarissa nicht gleichgültig war. Mit einem Mal war sein Wunsch, sie zu besitzen, zu einer Notwendigkeit geworden. Und er wusste, dass es all seine Träume übersteigen würde.

Das bedeutete: Er musste ihren Widerstand überwinden. Um jeden Preis.

Als sie die Sprache wiederfand, sagte Clarissa: „Glauben Sie etwa, der Kronrat hätte sich auf Ihre verrückte Bedingung eingelassen? Wir leben nicht mehr im Mittelalter.“

Er schenkte sich ein Glas Granatapfelsaft ein, trank einen Schluck und warf Clarissa über den Rand des Kristallglases einen vielsagenden Blick zu. „Dieser Saft hat viel mit Ihnen gemein. Es ist eine intensive Mischung unterschiedlichster Aromen. Süß und sauer zugleich. Sehr reizvoll.“

„Ersparen Sie mir dieses Süzholzgeraspel“, gab sie entnervt zurück.

„Ich werde Ihnen überhaupt nichts ersparen“, erwiderte er sanft und beobachtete, welche Wirkung seine Worte auf Clarissa hatten. Sie errötete, und in ihre Augen trat ein seltsamer Schimmer. Am liebsten wäre Ferruccio aufgesprungen und hätte sie jetzt und hier genommen. „Glauben Sie wirklich, dass ich eine solche Forderung stellen würde, wenn ich nicht genau wüsste, dass man sie mir erfüllen wird?“, fuhr er fort. „Sie behaupten, Sie hätten meine Methoden studiert, Clarissa. Haben Sie dabei nicht herausgefunden, dass ich niemals etwas tue, wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher bin, erfolgreich zu sein?“

Sie biss sich auf die Unterlippe, damit sie nicht zitterte, und Ferruccio erfreute sich an den widerstreitenden Gefühlen, die er in ihren Augen entdeckte.

„Meine Studien haben mir unter anderem gezeigt, dass selbst die Götter der Finanzwelt sich ab und zu vergaloppieren. So wie Sie in diesem speziellen Fall, Signor Selvaggio. Ich bin kein Objekt, das der Kronrat Ihnen als kleines Extra schenken könnte. Und ich habe nicht die geringste Lust, mich freiwillig als Bonus zu offerieren, damit Sie unser Land retten.“

Es gefiel ihm, dass sie nicht so leicht in die Defensive zu drängen war, denn er hasste Siege, die ihm einfach so in den Schoß fielen. Und nach all den Jahren, in denen sie ihn auf frustrierende Weise von sich ferngehalten hatte, war es nur gerecht, wenn sie ein wenig kämpfen musste, ehe sie aufgab. Denn dass sie schließlich aufgeben würde, war nur eine Frage der Zeit. Wenn es dann so weit war, würde sein Lohn umso größer ausfallen.

Er hatte vor, seinen Sieg auf jede erdenkliche Weise auszukosten.

Aber vorher musste er die Daumenschrauben noch etwas anziehen. „Darf ich Ihnen eine Tatsache mitteilen, Principessa? Ich brauche die Krone nicht. Castaldinien dagegen ist auf mich angewiesen. Deshalb sind Sie hier, und deshalb haben Sie keine andere Wahl, als meine Bedingungen anzunehmen und zu tun, was ich von Ihnen verlange.“ Er lächelte vielsagend. „Und zwar alles.“

Clarissas Herz vollführte seltsame Sprünge. Das alles konnte nicht wahr sein. Was Ferruccio sagte, war doch völlig verrückt. Und jetzt war sein Blick so kalt wie damals im Ballsaal. Das machte es noch widersinniger. Weshalb stellte er diese unmögliche Bedingung, wenn er gar keine Gefühle für sie hatte?

„Sehr amüsant, was Sie da vortragen. Sie denken, Sie sind unersetzlich, nicht wahr? Aber das sind Sie nicht. Mein Vater hat eine lange Liste von möglichen Kandidaten. Falls Sie es nicht wissen – Sie kamen für ihn erst an dritter Stelle.“

Ferruccio trank noch einen Schluck Saft und fuhr sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen. „An dritter und letzter Stelle.“

„Sie haben eine zu hohe Meinung von sich selbst, Signor Selvaggio. Ich nehme an, Milliardär zu sein verstellt einem irgendwann den Blick auf die Wirklichkeit.“

„Finden Sie nicht, dass Milliarden, die durch harte und legale Arbeit erworben wurden, etwas über den positiven Charakter und den Wert jenes Menschen aussagen, der sie sich verdient hat?“

„Legal?“, bemerkte sie zynisch. „Sind Sie sicher?“ Als sie seinen Blick sah, merkte sie, dass sie zu weit gegangen war. Doch es war ihr egal. „Sie mögen ein wertvoller Mensch sein, Signor Selvaggio, aber wir brauchen Sie nicht. Auf einen Mann, der unlautere Spiele spielt, statt sich der Ehre würdig zu erweisen, die man ihm erweist, kann Castaldinien verzichten.“

Sein Blick war nicht mehr länger zornig, sondern freundlich, beinah zärtlich, was noch viel schlimmer war. „Dann viel Glück“, sagte er gelassen.

Ihr wurde kalt. „Was soll das bedeuten? Drücken Sie sich deutlicher aus. Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sagen Sie es.“

Er zuckte die Achseln. „Ich habe alles gesagt, was es zu sagen gibt. Den Rest können Sie sich selbst zusammenreimen. Im Gegensatz zu Ihnen spiele ich kein Spiel, und das wissen Sie genau.“

„Wovon reden Sie eigentlich? Welchen Rest soll ich mir zusammenreimen?“

Im Licht der Fackeln wirkte sein Lächeln fast diabolisch. Doch dann warf er den Kopf zurück und lachte. Aber sein Lachen klang diesmal hart und desillusioniert. „Dio, siete seria. Sie meinen es ja ernst. Die alten Schakale haben Ihnen nichts erzählt. Das erklärt vieles. Zum Beispiel, weshalb Sie denken, Sie können mich immer noch so arrogant abfertigen wie früher. Man hat Ihnen nicht gesagt, dass das die letzte Chance für Castaldinien ist. Und dass Sie sie nicht verspielen dürfen. Wie dumm von Ihren Leuten.“

„Das kann nicht wahr sein“, fuhr sie auf. „Es muss noch jemand anderen …“

Er unterbrach sie. „Jemand anderer wäre das Ende für das Königreich Castaldinien, wie wir es kennen. Kein anderer D’Agostino, ganz gleich, ob er legitim oder in fremden Betten gezeugt wurde, besitzt die Macht und das Geld, um das Land gegen seine inneren und äußeren Feinde zu schützen und die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Ich habe mein eigenes Imperium geschaffen, und hier liegen meine Verpflichtungen. Im Übrigen wissen Sie ganz genau, dass ich Castaldinien und den D’Agostinos nichts schuldig bin. Also sprechen Sie mir nicht von Ehre und Privilegien. Wenn ich die Krone akzeptieren sollte, dann verlange ich genau jenen Bonus, wie Sie es nennen. Und dieser Bonus sind Sie.“

Clarissa sah ihn an und versuchte, ihre Fassung zu bewahren, doch es gelang ihr nicht. Sie begann zu zittern.

In leichtem Ton, als berichte er über den Ausgang eines Fußballspiels, fuhr er fort: „Wenn Sie sich weigern, dürfen Sie zu Ihrem Vater und zum Kronrat zurückkehren und ihnen mitteilen, dass sie sich jemand anderen für die Aufgabe, Castaldinien zu retten, suchen dürfen. Von mir aus kann das Königreich zur Hölle gehen.“

Konnte es sein, dass er log? Aber vielleicht hielt er das, was er sagte, gar nicht für Lügen, sondern nur für erforderliche Maßnahmen, um Clarissa dahin zu bringen, wo er sie haben wollte?

Er fuhr fort, und sie fand schnell heraus, dass er sich das Schlimmste für zuletzt aufgespart hatte. „Wenn Castaldinien dann am Boden liegt und einer der Anrainerstaaten es geschafft hat, sich das Königreich einzuverleiben, dann werde ich Sie immer noch verfolgen, Clarissa. Bis Sie mir gehören. Die Krone wird dann verloren sein, aber Sie gehören am Ende mir.“

Sie zitterte immer mehr, und dann brach es aus ihr heraus: „Sie sind derjenige, der zur Hölle gehen wird, Ferruccio Selvaggio oder D’Agostino oder wie auch immer Sie heißen. Inklusive Ihrer brutalen Methoden. Castaldinien wird ohne Sie überleben, und wehe, Sie kommen mir zu nah, dann …“

Clarissa brach ab, weil die Bedrohung, die von Ferruccio ausging, immer stärker zu werden schien. Und das, obwohl er völlig ruhig und gelassen blieb. Er stellte sein Glas auf den Tisch, stand auf und bewegte sich langsam auf sie zu – wie ein Raubtier, das sich Zeit lässt, ehe es über seine Beute herfällt.

Als er Clarissa erreicht hatte, blieb er neben ihr stehen, nahm ihre Hand und zog sie hoch.

„Was … was soll das?“, stammelte sie.

„Ich mache nur, was ich schon vor Jahren hätte tun sollen.“

Mit diesen Worten riss er sie an sich, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, griff er in ihr Haar, während er die andere Hand besitzergreifend auf ihren Po legte. Gefangen, wie sie nun war, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm in die Augen zu schauen, und was sie dort sah, erschreckte und erregte sie zugleich.

Langsam senkte er den Kopf, um sie zu küssen, doch im letzten Moment wandte Clarissa sich ab, und der Kuss landete auf ihrer Wange. Zum ersten Mal spürte sie seine Lippen auf der Haut, und Clarissa erschauerte lustvoll. Gleichzeitig spürte sie, wie erregt Ferruccio war, denn er drückte sie fest an sich. Er schien sich seiner Sache so sicher zu sein, dass er den Griff in ihrem Haar lockerte und begann, zärtlich durch ihre blonden Strähnen zu streichen. 

Sie stöhnte leise, als er ihren Rücken streichelte und mit der Hand unter ihr Top fuhr. Heißes Verlangen stieg in ihr auf, seine Finger auf der nackten Haut zu fühlen war einzigartig. Das Gefühl war so stark, dass Clarissa beinah fliehen wollte. Gegen ihren Willen, gegen jede Vernunft tat sie jedoch genau das Gegenteil und drängte sich leidenschaftlich an ihn.

Er nahm es als Aufforderung, schob ihren Rock hoch, packte sie und hob sie hoch. Instinktiv schlang sie die Beine um seine Hüfte, presste die Brüste an seinen muskulösen Oberkörper.

Seufzend genoss sie es, wie ungestüm er Küsse auf ihrem Hals verteilte, doch Ferruccio beließ es nicht bei sanften Zärtlichkeiten. Clarissa keuchte, als sie die sanften Bisse spürte, die Leidenschaft, die ihre Spuren hinterlassen würden. Mit allen Sinnen nahm sie ihn wahr, und sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach mehr.

Sie ließ zu, dass er gleich darauf ihr Top hochschob und ihre Brustspitzen durch den dünnen Stoff des BHs mit Lippen und Zunge reizte. Gleichzeitig bewegte Ferruccio aufreizend seine Hüfte und steigerte Clarissas Begehren, bis sie alles, wirklich alles getan hätte, um Erfüllung zu finden. Ihr Verlangen wurde fast unerträglich, sie drängte sich ihm wieder entgegen und rief laut seinen Namen. Da erst küsste er sie das erste Mal, nahm ihren Mund in Besitz, wie ein Verdurstender einen Schluck Wasser trinkt, und sie erwiderte den Kuss mit aller Leidenschaft, derer sie fähig war, überwältigt von ihren Gefühlen.

Autor

Olivia Gates
<p>Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind. Sie fragen sich jetzt bestimmt...
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