Julia Herzensbrecher Band 30

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HABE ALLES – SUCHE FRAU! von PAMELA HARTSHORNE
Ungläubig hört Mary, was Tyler Watts verlangt: Sie soll dem nüchternen New Yorker Geschäftsmann die Kunst des Flirtens beibringen. Lektionen in Küssen inklusive! Und alles nur, weil er endlich heiraten und eine Familie möchte. Begreift er nicht, wie nah das Glück schon ist?

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  • Erscheinungstag 21.04.2023
  • Bandnummer 30
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519700
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jessica Hart, Janice Lynn, Barbara McMahon

JULIA HERZENSBRECHER BAND 30

1. KAPITEL

Wo hatte er sie schon einmal gesehen?

Tyler beobachtete die Frau am anderen Ende des Raums, die lächelnd einigen Männern die Hände schüttelte. Es ließ ihm keine Ruhe, dass er sie nicht einordnen konnte.

Sie war ihm sofort aufgefallen. Dabei gehörte sie nicht zu den Frauen, die normalerweise sein Interesse weckten. Abgesehen von ihrem strahlenden Lächeln hatte sie nichts Bemerkenswertes an sich. Ihr Gesicht war zwar ganz hübsch, aber ihr braunes Haar schlecht frisiert, außerdem trug sie ein zu enges Kostüm. Kurz gesagt: Sie war weder schön, noch hatte sie Stil.

Trotzdem besaß sie ein gewisses Etwas. Tyler konnte zwar nicht sagen, was es war, und das ärgerte ihn. Er wusste gern genau, womit er es zu tun hatte. Dass diese an sich unauffällige Frau seinen Blick fesselte, irritierte ihn. Vor allem, da sie ihn überhaupt nicht beachtete.

Seit fast einer Stunde machte sie in dem überfüllten Raum unbefangen die Runde. Anscheinend besaß sie die Fähigkeit, mit Leuten sofort in Kontakt zu kommen – eine Gabe, die ihm völlig fehlte. Das behauptete jedenfalls Julia, die Frau seines besten Freundes.

„Du bist ein lieber Kerl“, hatte sie mit ihrer üblichen Offenheit gesagt. „Aber in Gesellschaft benimmst du dich wie ein Elefant im Porzellanladen.“

Mürrisch trank er einen Schluck Champagner und sah sich in dem vollen Foyer seines brandneuen Firmensitzes um. Er hasste Veranstaltungen wie diese, aber sein PR-Manager hatte ihm klargemacht, wie ungünstig es wäre, zur Eröffnung des umstrittenen Gebäudes nicht zu erscheinen. So stand er nun inmitten der Honoratioren und Geschäftsleute von York, die alle auf eine Chance zu lauern schienen, sich bei ihm einzuschmeicheln und Unterstützung für ihre jeweiligen Projekte zu erbeten. Ja, alle Anwesenden wollten unbedingt mit ihm reden.

Außer dieser Frau.

Während Tyler mit halbem Ohr dem monotonen Bericht eines Gemeinderates zum öffentlichen Verkehr lauschte, fragte er sich, wie lange er noch anstandshalber dableiben müsse.

Plötzlich war die Fremde aus seinem Blickfeld verschwunden. Ist sie etwa schon gegangen?, dachte er seltsam enttäuscht. Nein, da war sie ja! Sie hatte sich in eine ruhige Ecke zurückgezogen und streifte gerade einen hochhackigen Schuh ab, wobei sie ein Gesicht schnitt. Anscheinend taten ihr die Füße weh. Wenn sie vernünftig war, würde sie die Feier bald verlassen. Und dann finde ich nie mehr heraus, wer sie ist, sagte Tyler sich eigenartig beunruhigt.

Sollte er sich bei jemandem nach ihr erkundigen? Er konnte natürlich auch zu ihr gehen und sie direkt fragen.

„Entschuldigen Sie mich bitte“, sagte er zu seinem Gesprächspartner brüsk.

Na also: Wer wollte da noch behaupten, er besäße keinen gesellschaftlichen Schliff?

Dann ließ er den Mann einfach stehen und machte sich auf den Weg zu ihr.

In der ruhigen Ecke bei den Liften bewegte Mary die Zehen ihres linken Fußes. Schade, dass sie sich nicht traute, auch noch den rechten Schuh auszuziehen. Dabei hatte sie es ursprünglich für eine gute Idee gehalten, die hochhackigen Pumps zur Eröffnungsfeier des Watts-Gebäudes anzuziehen!

Tyler Watts war ein Sohn der Stadt York, der sich zu einem phänomenal erfolgreichen Unternehmer gemausert hatte. Die Nachricht, dass er sein Hauptquartier von London zurück nach York verlegte, hatte die Geschäftswelt seiner Heimatstadt förmlich elektrisiert. Die Errichtung des ultramodernen Gebäudes am Fluss hatte jedoch die Bürger in zwei Lager gespalten. Den empörten Denkmalschützern standen diejenigen gegenüber, die das Haus als gelungenen Beweis ansahen, dass man in York architektonisch den Sprung ins einundzwanzigste Jahrhundert geschafft hatte.

Jedenfalls war der große Empfang anlässlich der Eröffnung die perfekte Gelegenheit, geschäftliche Kontakte zu knüpfen, und Mary war fest entschlossen, das Beste daraus zu machen. Natürlich war sie nicht die Einzige, die sich um einen Vertrag mit Watts Holdings bemühte, aber selbst wenn sie nicht das große Los zog, konnte sie nützliche Beziehungen anbahnen.

Sie hatte sich gut überlegt, was sie anziehen sollte. Es war ihr erster „Auftritt“ als Geschäftsfrau seit Beas Geburt, und sie wollte elegant sowie professionell aussehen. Ein schickes Kostüm und dazu passende Pumps würden, so wurde es in jeder Frauenzeitschrift behauptet, den erwünschten Eindruck erzielen.

Leider wurde in den Magazinen nicht verraten, was man tun sollte, wenn man im buchstäblich letzten Moment merkte, dass einem das einzige Kostüm, das man besaß, zu eng geworden war. Auch erinnerten die Verfasser der Artikel einen nicht daran, welche Höllenqualen man erduldete, wenn man längere Zeit in hochhackigen Schuhen herumstand oder versuchte, in ihnen einen spiegelglatten Marmorboden zu überqueren.

Seufzend zog Mary den linken Schuh an und den rechten aus, wobei sie überlegte, dass – wie so oft in ihrem Leben – Fantasie und Wirklichkeit meilenweit voneinander entfernt waren. Sie hatte sich ausgemalt, die versammelten Arbeitgeber der Stadt zu bezaubern und mit ihrer Effizienz so sehr zu beeindrucken, dass sie sich darum reißen würden, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Fehlanzeige!

O ja, alle waren sehr nett gewesen, aber niemand hatte ihr einen Job angeboten, weil sie, wie sie selbst nur zu gut wusste, in der engen Jacke alles andere als effizient und professionell aussah.

Kurz gesagt, alles, was sie von dem Abend hatte, waren Rückenschmerzen und schmerzende Füße.

Mary trank einen Schluck Champagner und zog ihren Schuh wieder an. Sie würde noch einen letzten Versuch machen, um mit dem Personalchef von Watts Holding ins Gespräch zu kommen.

Plötzlich merkte sie, wie die Leute neben ihr aufmerksam wurden, und blickte auf. Tyler Watts persönlich durchquerte den Raum, und alle wichen beflissen vor ihm zurück, was er nicht zu bemerken schien.

Typisch für ihn, dachte Mary säuerlich. Bei den kurzen früheren Begegnungen mit ihm war er ihr als der arroganteste und rücksichtsloseste Mann erschienen, der ihr jemals begegnet war. Deshalb verspürte sie nun kein Bedürfnis, die Bekanntschaft mit ihm aufzufrischen. An einem Vertrag mit Watts Holding lag ihr sehr viel, an einem Gespräch mit dem Mann an der Spitze allerdings gar nichts.

Seltsamerweise schien er genau auf sie zuzuhalten! Mary blickte sich um, ob hinter ihr jemand Wichtiges stand, aber sie war momentan ganz allein. Wenn sie nicht rasch etwas unternahm, würde Tyler Watts sie hier festnageln.

Schnell nahm sie ihr Glas und wollte sich hinter die Gruppe etwas links von ihr zurückziehen, doch sie bewegte sich zu hektisch und rechnete nicht mit dem glatten Boden Und ehe sie sich’s versah, rutschte sie aus und drohte hinzufallen.

Um sie her stöhnten die Leute auf, die einen bösen Sturz befürchteten, doch eine Hand umfasste ihren Ellbogen und hielt Mary fest, während sie mit dem freien Arm wild ruderte.

Zu Tode beschämt stand sie schließlich wieder mehr oder weniger fest auf beiden Füßen. „Vielen Dank, ich …“, begann sie atemlos und verstummte, als sie aufblickte und Tyler Watts in die Augen sah.

Er muss mit Lichtgeschwindigkeit bei mir gewesen sein, dachte sie als Erstes. Und dann, wie stark er sein musste, um sie – die wirklich kein Leichtgewicht war – mit einer Hand aufzufangen und festzuhalten!

Plötzlich bemerkte sie vorn auf seinem Hemd einen Fleck. Offensichtlich hatte sie bei ihrem Versuch, die Balance zu halten, gegen sein Glas gestoßen.

„Oh, das tut mir außerordentlich leid“, entschuldigte sie sich nervös.

Tyler Watts hatte etwas an sich, das sie kribbelig machte. Er besaß eine starke Ausstrahlung, die nichts mit dem Aussehen zu tun hatte, obwohl seine finstere Miene einschüchternd genug wirkte. Außerdem wirkte er energiegeladen, ja, er schien seine Umgebung förmlich zu elektrisieren.

„Sind Sie in Ordnung?“, fragte Tyler Watts brüsk und ließ sie endlich los.

„Ja, danke.“ Sie widerstand dem Impuls, sich den Arm zu reiben, der seltsam zu prickeln begonnen hatte. „Der Marmorboden ist zwar trendy, aber höllisch, wenn man hohe Absätze trägt“, fügte sie hinzu. Nicht dass Tyler Watts glaubte, sie hätte zu viel von dem kostenlosen Champagner gekostet! „Ich frage mich, welcher Idiot diesen spiegelglatten Boden ausgesucht hat.“

„Der Idiot war ich“, antwortete Tyler Watts trocken.

Hätte sich nun ein Abgrund vor ihr geöffnet, wäre sie mit Freuden hineingesprungen. Das Gebäude zu kritisieren, das den Höhepunkt einer spektakulären Karriere versinnbildlichte, war kein guter Schachzug gewesen.

„Sie haben wahrscheinlich noch nie versucht, mit hochhackigen Schuhen hier entlangzugehen“, versuchte sie zu scherzen.

Tyler Watts war sichtlich nicht amüsiert. „Die anderen Frauen scheinen keine Schwierigkeiten damit zu haben, auf den Füßen zu bleiben. Vielleicht sind ja Ihre Schuhe das Problem und nicht mein Fußboden?“

Mary blickte nach unten. Die Schuhe waren ihre Lieblingsstücke. Zumindest waren sie es bis zu dem Moment gewesen, als sie so fürchterlich zu drücken begonnen hatten. Sie erinnerten sie an die Zeit in London, als sie schlank – oder wenigstens schlanker – und erfolgreich gewesen war. Es waren schwarze Pumps, die zu beinah jedem Kostüm passten, aber weiß getupfte Schleifen hatten, sodass sie nicht zu korrekt wirkten.

Na ja, die Absätze sind tatsächlich ein bisschen hoch, gab Mary im Stillen zu.

Tyler blickte ebenfalls auf ihre Füße und bemerkte flüchtig, dass die Frau überraschend schlanke, wohlgeformte Beine hatte. Die Schuhe waren, wie er fand, chic, aber unpraktisch.

„Nächstes Mal sollten Sie vernünftigere Schuhe tragen“, meinte er schließlich.

„Das werde ich tun“, versicherte Mary und setzte ein Lächeln auf.

Sie musste die Gelegenheit nutzen, die sich ihr so zufällig geboten hatte. Wenn sie Tyler Watts überzeugen konnte, dass sie ein fähige Geschäftsfrau war – und nicht nur eine taktlose Idiotin in albernen Schuhen –, würde er sie vielleicht seinem Personalchef empfehlen. Und dann wären all ihre Probleme gelöst.

„Ich bin übrigens Mary Thomas“, stellte sie sich vor und hielt ihm die Hand hin.

Der Name sagt mir nichts, dachte Tyler. Es war ja kein besonders bemerkenswerter Name. Überhaupt war die Frau, auch aus der Nähe gesehen, wenig bemerkenswert. Zwar hatte sie eine schöne Haut und intelligent wirkende große graue Augen, aber das Gesicht war eher apart als hübsch, mit etwas unregelmäßigen Zügen, nach oben strebenden Brauen und Mundwinkeln – und einem humorvollen Ausdruck.

„Ich bin Tyler Watts“, erwiderte er und drückte ihr die Hand.

„Ich weiß.“ Mary war sich seines festen Griffs überdeutlich bewusst und entzog ihm rasch die Hand. „Sie sind berühmt hier in York. Alle wollen mit Ihnen reden – und mit Ihnen ins Geschäft kommen.“

„Sie auch?“

„Ich auch“, gab Mary zu. „Allerdings hatte ich eher gehofft, mit Steven Halliday Bekanntschaft zu schließen.“

Er zog die dunklen Brauen hoch. „Was passt Ihnen denn an mir nicht?“

„Oh, mit Ihnen stimmt alles“, versicherte sie schnell. „Mir wäre nur mit Ihrem Personalchef besser gedient.“

„Wieso?“

„Ich habe eine Personalagentur“, erklärte Mary und begann, in der Handtasche nach einer Visitenkarte zu suchen. Hoffentlich hatte sie noch welche übrig! Den ganzen Abend lang hatte sie die großzügig verteilt. Sie drucken zu lassen war wirklich teuer gewesen. Zu dumm, wenn ausgerechnet jetzt …

In dem Moment, als sie in dem Durcheinander in ihrer Tasche eine Karte zu fassen bekam, riss der Riemen – und beinah der ganze Inhalt fiel auf den Boden und verteilte sich dort in alle Richtungen.

O super, dachte Mary verzweifelt und schloss kurz die Augen. Als hätte sie sich noch nicht genug blamiert! Ausgerechnet vor Tyler Watts, der ihrer Agentur zum Erfolg verhelfen … oder ihr den Garaus machen konnte.

Errötend bückte sie sich und sammelte Schlüsselbund, Lippenstift und Visitenkarten ein – von denen noch ziemlich viele übrig waren. Dazu ein Sammelsurium an Stiften, Sicherheitsnadeln, Papiertüchern, Einkaufslisten und Quittungen, eine Nagelfeile und einen Plastiklöffel.

Tyler bückte sich ebenfalls und hob eine Windel auf, die er ihr kommentarlos reichte.

„Danke“, murmelte Mary und schob sie mit den anderen Sachen in die Tasche zurück.

Erstaunlich, dass er nicht schon längst angewidert das Weite gesucht hat, dachte sie. Wieso war er überhaupt zu ihr gekommen? Bis zu seinem Erscheinen war alles in Ordnung gewesen, dann hatte seine Nähe sie in eine tollpatschige Närrin verwandelt.

Tyler bedauerte inzwischen, sich auf das Gespräch mit … ach ja, Mary eingelassen zu haben. Instinktiv war er ihr zu Hilfe geeilt, als sie zu stürzen drohte, ohne zu ahnen, wie schwer sie war. Zum Glück hatte sie ihn nicht mitgerissen! Aber sie war schuld, dass er sich Champagner aufs Hemd geschüttet und seine Krawatte ruiniert hatte.

Damit nicht genug, hatte dieses unglückselige Wesen den Fußboden seines neuen Prachtbaus kritisiert, und er ließ sich Kritik nie gern gefallen – schon gar nicht von einer Frau, die lächerlich unpassende Schuhe trug und deren Handtascheninhalt so schlampig war wie die ganze Person.

Alle hatten sich umgedreht und beobachtet, wie er eine Windel aufhob. Ausgerechnet er eine Babywindel! Wahrscheinlich hatte er wie der letzte Trottel ausgesehen.

Wenn er etwas hasste, war es, sich lächerlich vorzukommen. Na gut, er hasste vieles, aber als Narr dazustehen stand ganz oben auf der Liste. Plötzlich wünschte er, er wäre Mary Thomas nie in die Nähe gekommen, aber er wusste nicht, wie er sich nun aus der Affäre ziehen sollte. Er konnte sich nicht einfach umdrehen und sie, errötet und verlegen, stehen lassen. Am besten tat er so, als wäre der Zwischenfall mit der Handtasche gar nicht passiert.

„Um was für Personal kümmert sich Ihre Agentur?“, fragte Tyler schließlich.

Mary unterdrückte gerade noch rechtzeitig einen Seufzer der Erleichterung. Sie hatte erwartet, dass Tyler sich so schnell wie möglich verabschieden würde. Dann hätte sie endlich nach Hause fahren und dort in Ruhe über ihre Blamage nachdenken können. Nun hatte sie noch eine Chance – und das Gefühl, dass alle Anwesenden sie glühend beneideten, weil sie Tylers ungeteilte Aufmerksamkeit genoss.

Sich zu Hause auf dem Sofa zu verkriechen und sich dem Selbstmitleid hinzugeben würde ihrer Agentur nicht zum gelungenen Start verhelfen. Und ohne geschäftlichen Erfolg würde nichts aus einem eigenen Zuhause und einem neuen Leben für sie und Bea werden.

Mary atmete tief durch und straffte sich. Nachdem sie Tyler eine Visitenkarte überreicht hatte, begann sie den Werbefeldzug in eigener Sache und pries ihre Fähigkeiten, die besten Leute für ihn auftreiben zu können. Außerdem erwähnte sie die Tatsache, dass sie früher selbst für Watts Holding gearbeitet habe.

„Ich weiß also, worauf in der Firma Wert gelegt wird, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist“, beendete sie ihre Ausführungen und hoffte, dass sie selbstbewusster klang, als sie sich fühlte.

„Ach, Sie haben für mich gearbeitet?“, hakte Tyler nach und betrachtete sie eindringlich.

„Ja, aber es ist schon zehn Jahre her. Sie erinnern sich bestimmt nicht mehr an mich“, meinte sie, von seinem durchdringenden Blick entnervt. „Ich war damals hier in der Personalabteilung, als Guy Mann der Chef war.“

„Doch, ich erinnere mich an Sie!“ Tyler klang zufrieden. „Sie haben mal bei einer Sitzung Kaffee über den ganzen Tisch verschüttet.“

Klar, dass er sich ausgerechnet daran erinnerte! Mary vermied es, auf den Fleck auf seiner Brust zu blicken.

„Ich bin normalerweise nicht so ungeschickt“, behauptete sie.

„Und Sie haben sich mit mir angelegt wegen dieses … Wie hieß er doch gleich?“ Ungeduldig schnippte er mit den Fingern.

„Paul Dobson“, antwortete sie, da es keinen Sinn gehabt hätte, so zu tun, als wüsste sie den Namen nicht mehr.

„Richtig! Sie haben mir vorgehalten, ich würde mich in ihm irren.“ Nun musterte er sie mit neuem Interesse. Nur sehr wenige Menschen wagten ihm zu sagen, dass er nicht recht habe.

Jetzt hatte er die Szene wieder vor Augen! Die schockierten Gesichter der Mitarbeiter am Tisch, Marys tadelnden Ausdruck … Wie verblüfft alle gewesen waren – als hätte ein süßes kleines Kätzchen ohne Vorwarnung wie eine Furie zugeschlagen.

„Ich hoffe, ich habe mich etwas diplomatischer ausgedrückt“, erwiderte Mary mit sinkendem Mut. Wenn Tyler sie als Unruhestifterin einschätzte, würde er ihr nicht zu einem Vertrag verhelfen.

„Nein, das haben Sie nicht getan, sondern mir unmissverständlich gesagt, ich sei im Unrecht und solle mich schämen.“

Ihr stand noch deutlich vor Augen, wie wütend er damals gewesen war, und wunderte sich nun, dass sie den Mut gefunden hatte, ihn zu kritisieren. Befangen sah sie ihn an und entdeckte in seinen kühlen hellblauen Augen einen Funken von Belustigung. Plötzlich wirkte er nicht mehr ganz so grimmig, sondern beinah zugänglich.

„Und Sie haben mir vorgeworfen, ich sei zu weichherzig“, konterte sie, mit einem Mal tollkühn.

„Ein richtige Sensibelchen“, bestätigte er. „Aber eins mit Durchsetzungsvermögen.“

Mary nickte. „Ja, Sie waren absolut fair.“

Es war sein großer Vorzug. Vielleicht sein einziger … Er war grob und ungeduldig, ein schwieriger und anspruchsvoller Boss, aber er war geradlinig und schob Fakten, die ihm nicht ins Konzept passten, nicht einfach beiseite. Damals war er verärgert gewesen, doch er hatte ihr zugehört, was sie über Paul Dobson zu sagen hatte, und sein Urteil dann revidiert.

Tyler war zufrieden. Endlich wusste er, warum ihm diese Frau so bekannt vorgekommen war. Jetzt hätte er sich von ihr verabschieden können, da sein Rätsel gelöst war, aber ihm fiel ein, was sein Personalchef damals über sie gesagt hatte: „Mary Thomas ist noch jung, aber sie besitzt ein ausgeprägtes Verständnis für menschliche Beziehungen aller Art.“

Wenn sie diese Fähigkeit noch immer besaß, konnte sie ihm vielleicht nützlich sein!

„Weshalb haben Sie die Firma verlassen?“, wollte Tyler unvermittelt wissen.

„Weil ich nach London wollte“, antwortete Mary, von seinem Interesse überrascht. „Ich bin in York aufgewachsen, und ich habe mich wirklich glücklich geschätzt, nach der Ausbildung einen Job in Ihrer Firma zu bekommen, aber nach drei Jahren wollte ich dann sozusagen meine Flügel ausbreiten.“

„Sie hätten sich um einen Job in der Londoner Filiale bemühen können“, erwiderte er. Es klang beinah pikiert.

Erwartet er denn, dass man sich ein Leben lang an seine Firma bindet?, überlegte Mary. Natürlich gab es damals loyale Mitarbeiter, die so zu denken schienen, doch es gab auch ziemlich viele, die einfach zu viel Angst vor Tyler Watts hatten und deshalb ausstiegen. Sie hatte die drei Jahre nur überlebt, weil sie zu unbedeutend gewesen war, um viel mit ihm zu tun zu haben.

Das durfte sie ihm aber nicht sagen. Sie hatte sich schon genug Taktlosigkeiten für einen Abend geleistet!

„Ja, schon, aber ich wollte meinen Erfahrungsschatz erweitern“, erwiderte sie schließlich diplomatisch.

„Verstehe. Jetzt leben Sie wieder in York?“

„Ja, seit einigen Monaten.“ Mary war froh, dass er zurück zum Thema kam. „Vor kurzem habe ich die Agentur gegründet. Ich spezialisiere mich auf die untergeordneten Jobs. Die meisten Firmen geben viel Geld aus, um Manager und Ähnliches zu bekommen, bei den anderen Stellen knausern sie. Das ist Sparen am falschen Platz!“, verkündete sie überzeugt. „Wenn jeder Job – auch der des Hausmeisters – mit dem am besten geeigneten Kandidaten besetzt ist, funktioniert der gesamte Betrieb effizienter.“

„Klingt teuer“, kommentierte Tyler unbeeindruckt.

„Natürlich kostet es mehr, als jeden beliebigen Bewerber anzustellen, der die Qualifikationen nachweist“, gab Mary zu, „aber es ist immer noch billiger, als irgendwann zu merken, dass man jemanden eingestellt hat, der sich nicht ins Team einordnet.“

Nun kam sie richtig in Schwung und pries ihre Dienste in leuchtenden Farben.

„Ich sehe meine Aufgabe nicht so sehr im Anpassen von Fähigkeiten an Erfordernisse“, erklärte sie hochtrabend, „sondern im Schmieden erfolgreicher menschlicher Beziehungen.“

Diesen Schluss mochte sie besonders gern.

Da war es wieder, das gefürchtete Wort, das mit B anfing! Tyler war es leid, ständig von Beziehungen zu hören. Julia hatte ihm an dem Wochenende neulich ständig damit in den Ohren gelegen und ungefragt gute Ratschläge erteilt.

„Für jemanden, der im Geschäft so gerissen ist, bist du ungewöhnlich dumm, wenn es um Frauen geht“, hatte Julia unverblümt behauptet. „Du hast keine Ahnung von Beziehungen.“

„Und ob ich die habe!“ Tyler war wütend. „Ich hatte schon Dutzende Freundinnen!“

„Ja. Und wie viele, die es länger als wenige Wochen mit dir ausgehalten haben? Das waren Affären, mein Lieber, keine Beziehungen.“

Er mochte Julia ja ganz gern, aber ihre Kommentare hatten ihn auf dem falschen Fuß erwischt. Vor allem nach dem Treffen mit ehemaligen Studienkollegen, bei dem plötzlich alle ihren Erfolg nicht mehr in Aktien, schnellen Autos und Rennpferden gemessen hatten, sondern darin, wer die beste Frau und die bravsten Kinder hatte!

Er war wie vor den Kopf geschlagen gewesen, was seinen Freund Mike köstlich amüsiert hatte. „Ja, Tyler, du wirst dir Frau und Kinder zulegen müssen, wenn du als ein Mann gelten willst, der im Leben alles erreicht hat.“

„Dazu musst du lernen, wie man eine Beziehung aufbaut“, fügte Julia hinzu. „Wenn du auch in dem Bereich der Beste sein willst, solltest du dir einen Beziehungstrainer suchen.“

Ihre Worte waren ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Er wollte der Beste sein. Er musste der Beste sein, und er konnte nicht akzeptieren, dass es einen Bereich gab, in dem er nicht an der Spitze rangierte – selbst wenn es nur um etwas so Unwichtiges wie Beziehungen ging. Versagen stand nicht in seinem Stundenplan.

„Was faseln heutzutage alle ständig von Beziehungen?“, fragte Tyler aufsässig. „Warum kann nicht jeder einfach tun, wofür er bezahlt wird, sondern muss unbedingt seine Zeit damit verschwenden, Beziehungen zu schmieden?“

„Weil andernfalls nicht effektiv gearbeitet wird“, erklärte Mary kühl und wünschte, er würde das Gespräch beenden, damit sie nach Hause konnte – und endlich die vermaledeiten Schuhe ausziehen! „Es ist auch keine große Sache“, fügte sie hinzu, als er seine Skepsis offen zeigte. „Schließlich geht es nicht darum sich ständig zu umarmen und gegenseitig das Herz auszuschütten, sondern darum, zu verstehen, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Erwartungen, Bedürfnisse und Ansätze haben. Anders gesagt, geht es darum, Menschen und ihre Eigenarten wahrzunehmen. Das ist im Beruf nicht anders als im Privatleben.“

„Glauben Sie, Sie könnten mir das beibringen?“, erkundigte Tyler sich gespannt.

„Was denn?“

„Na ja, all das, wovon Sie gerade gesprochen haben – wie man Leute wahrnimmt, sie versteht … das ganze Zeug.“

„Ja, sicher“, antwortete Mary verblüfft.

Auf dem Gebiet kannte sie sich wirklich aus, was sie Alan zu verdanken hatte. Sie hatte ihn als Leiter eines Seminars über Personalführung kennengelernt und war überwältigt gewesen von seinen psychologischen Einsichten und seinem Erfassen des komplexen Geflechts menschlicher Beziehungen.

Allerdings hatte das alles nichts genutzt, als ihre eigene Beziehung in die Brüche ging, aber so war das nun mal mit Experten!

„Ich habe schon einige Seminare über Beziehungen am Arbeitsplatz geleitet“, erläuterte sie näher. „Ich kann Menschen helfen, Ziele zu erkennen und Strategien zu erarbeiten, wie man sie erreicht.“

Endlich spricht sie meine Sprache, dachte Tyler anerkennend. Von Gefühlen verstand er nichts, aber mit Zielen und Strategien kannte er sich umso besser aus.

„Schön, in dem Fall habe ich vielleicht einen Job für Sie“, meinte er.

„Aber Sie kümmern sich doch nicht um das Einstellen des Personals“, entgegnete sie verblüfft.

„Es geht nicht um Personal. Es geht um mich!“

„Ach ja?“ Mary wusste noch immer nicht, worauf er hinauswollte.

Er kam, wie es seine Art war, direkt zur Sache. „Ich brauche eine Frau. Ich will nämlich heiraten.“

2. KAPITEL

Mary lachte herzlich. „Das Angebot kommt ein bisschen plötzlich. Ich wusste nicht, dass Sie so für mich empfinden, Mr. Watts. Da ich aber fünfunddreißig bin, darf ich nicht wählerisch sein. Also, abgemacht!“

„Ich meine es ernst!“, sagte er finster. Wie konnte sie es wagen, ihn auszulachen?

„Oh! Ich dachte wirklich, Sie erlauben sich einen Scherz mit mir, Mr. Watts.“

„Sehe ich aus wie jemand, der Witze macht?“

„Na ja, wenn Sie es schon selbst erwähnen … Ehrlich gesagt, nein.“ Unsicher lachte sie nochmals. „Aber jetzt machen Sie einen, stimmt’s? Sie können mich doch nicht wirklich heiraten wollen.“

„Du liebe Güte, nein!“ Das Missverständnis entsetzte ihn. „Natürlich will ich nicht Sie heiraten!“

Charmant formuliert, dachte Mary ironisch. Zugegeben, sie war keine Schönheit und momentan ein bisschen mollig, aber Tyler sah auch nicht gerade wie George Clooney aus!

„In Romanzen wird das auch immer behauptet, und Sie wissen ja, was am Ende mit Held und Heldin passiert!“, konterte sie aufmüpfig.

Seine Miene blieb finster. „Wollen Sie nun einen Job oder nicht?“

„Ich habe keine Ahnung, was für ein Job Ihnen vorschwebt“, gestand Mary.

Ein Ober näherte sich mit einem Tablett voller Champagnergläser. Tyler machte eine abweisende Handbewegung, aber Mary nahm sich rasch ein Glas. Ihr war mittlerweile egal, welchen Eindruck er von ihr bekam. Sie war müde und wollte nach Hause. Was immer Tyler Watts von ihr wollte, es schien nichts mit ihrer Arbeit als Personalvermittlerin zu tun zu haben, also verschwendete er nur ihre Zeit.

„Erklären Sie es doch noch mal ganz von vorn“, forderte sie ihn auf und trank einen Schluck.

Tyler atmete tief durch und zählte im Stillen bis zehn. Wenn er ein Mann gewesen wäre, der Fehler eingestand, hätte er jetzt zugegeben, dass es absolut falsch gewesen war, sich mit Mary Thomas einzulassen.

Obwohl sie auf den ersten Blick ideal geschienen hatte! Sie kannte sich mit Persönlichkeitstraining aus, sie stand direkt vor ihm, war verfügbar und begierig auf einen Job.

Und es gefiel ihm, dass sie so normal und alltäglich wirkte. Mit einer mondänen und cleveren Frau hätte er nicht so gern über seine ganz privaten Affären geredet. Er behielt gern die Kontrolle, und Mary hatte auf den ersten Blick anspruchslos sowie nachgiebig gewirkt. Sie brauchte ihm ja nur einige Tipps zu geben und dann aus seinem Leben zu verschwinden.

Je näher er sie in Augenschein nahm, desto weniger alltäglich wirkte Mary allerdings. Wenn man sich das zu enge Kostüm und die albernen Pumps wegdachte, blieben eine wohl gerundete Figur und ein Eindruck von Warmherzigkeit, der in reizvollem Kontrast zu dem kühlen Blick der grauen Augen und ihrer leicht sarkastischen Art zu reden stand. Anspruchs- und vor allem widerspruchslos würde Mary Thomas keineswegs sein.

Das war ärgerlich, denn er hatte sich eigentlich schon für sie entschieden. Und wenn er ein Ziel anvisiert hatte, ging er gern geradewegs darauf los. In seiner Unbeirrbarkeit lag das Geheimnis seines Erfolgs. Er würde seine Strategie jetzt nicht ändern, vor allem, da er keine Zeit für Zaudern und Überlegen hatte: Er wollte – mit Marys Hilfe – das Beziehungsproblem so schnell wie möglich erledigen.

„Also noch mal von vorn“, sagte Tyler schließlich. „Ich brauche eine Ehefrau.“

Mary fragte sich, was das sollte. War es ein ausgeklügelter Scherz auf ihre Kosten? Ein normaler Mann sagte doch nicht einfach so, dass er eine Frau brauche. Allerdings war Tyler Watts kein gewöhnlicher Mann.

„Sie haben vielleicht missverstanden, was ich genau tue“, erwiderte sie schließlich. „Ich habe keine Partnerschaftsagentur. Eine Sekretärin oder einen Computerfachmann kann ich Ihnen beschaffen, eine Ehefrau nicht.“

Für den Fall, dass es sich doch noch als Scherz herausstellen sollte, lächelte sie.

Frustriert stellte Tyler sein Glas ab. Sie schien ihn und sein Anliegen noch immer nicht ernst zu nehmen!

„Ich will nicht, dass Sie mir eine Frau beschaffen“, erklärte er angespannt. „Lassen Sie es mich so erklären: Mein Ziel ist es, zu heiraten. Um es zu erreichen, brauche ich ein bisschen Training. Von Ihnen. Sie haben doch gesagt, dass Sie Kurse in Beziehungstraining geben.“

Das Wort kam ihm, wie Mary feststellte, nur widerwillig über die Lippen. Ob es am Begriff „Training“ oder „Beziehung“ lag, war ihr nicht klar. Nun war ihr Interesse geweckt. Männer wie Tyler Watts diskutierten nur über Börsenkurse, nicht über Gefühle. Zuzugeben, dass er im emotionalen Bereich Nachhilfe brauchte, musste ihn einige Überwindung gekostet haben. Anscheinend steckte er tatsächlich in der Klemme.

Dabei ist er gar nicht mal unattraktiv, gestand sie sich ein. Zuerst lenkte seine kraftvolle Persönlichkeit natürlich alles Augenmerk auf sich, aber wenn man von dem eindringlichen Blick der eisblauen Augen nicht so gelähmt war wie das sprichwörtliche Kaninchen angesichts einer Schlange, konnte man dazu kommen, sein markantes Gesicht als durchaus ansehnlich einzustufen.

Es war ihr von früher her durchaus vertraut, aber bisher war ihr Tylers Mund nie aufgefallen, der eigentlich ganz nett wirkte. Mit festen, kühlen Lippen, die leider zusammengepresst waren. Wie er wohl wirkte, wenn er lächelte? Und wie würde es sein, ihn zu küssen?

Mary atmete scharf ein, als ein seltsames Prickeln sie überlief, und rief sich zur Ordnung. Was fantasierte sie da? Es ging hier um Tyler Watts, einen gefühlsarmen, harten Mann. Genauso gut konnte man sich zärtlich an einen Felsen schmiegen! Seine Zukünftige musste einem leidtun.

„Beziehungsberatung ist nicht ganz mein Feld“, erklärte Mary nun behutsam. „Wenn Sie … Probleme mit Ihrer Verlobten haben, sollten Sie sich an die entsprechenden Fachleute wenden. Ich kann Ihnen welche empfehlen, wenn Sie möchten.“

„Ich brauche keine psychologische Beratung!“ Allein der Gedanke versetzte Tyler in Wut. Und dass alles viel schwerer zu erklären war, als er erwartet hatte, machte die Sache auch nicht besser. „Ich habe keine Probleme mit meiner Verlobten. Wirklich!“, bekräftigte er, als sie ihn skeptisch ansah. „Ich habe keine.“

„Sieht Ihre Verlobte das ebenso?“, erkundigte Mary sich.

„Ich habe keine Verlobte! Das ist doch mein Problem“, antwortete er brüsk.

„Und wen wollen Sie dann heiraten?“.

„Egal, wen!“ Hastig fügte er hinzu: „Sie natürlich nicht.“

„Ihnen ist egal, wen Sie heiraten?“, hakte sie nach.

„Nicht ganz. Sie muss schon einige Bedingungen erfüllen. Ich möchte selbstverständlich eine schöne, intelligente und kultivierte Partnerin. Allerdings habe ich momentan keine konkrete Person im Auge.“

Das meint er ernst, dachte Mary ungläubig. Er war ein Geschäftsmann des einundzwanzigsten Jahrhunderts, aber er plante – so kühl und steifnackig wie ein Graf in einem historischen Liebesroman – eine Vernunftehe.

„Tut mir leid, aber ich verstehe noch immer nicht, wie ich in Ihre Pläne passe“, bekannte sie und suchte nach einem Platz, um ihr leeres Glas abzustellen.

Frustriert fuhr sich Tyler durchs Haar. „Eine Frau zu finden ist nicht das Problem.“

Er klang so eingebildet, dass sie ihm am liebsten widersprochen hätte, musste ihm jedoch insgeheim recht geben. Tyler Watts war Anfang vierzig und besaß eine der hundert erfolgreichsten Firmen des Landes, die er sozusagen aus dem Nichts aufgebaut hatte. Er war unglaublich reich, ausgesprochen intelligent und irgendwie attraktiv – wenn man den Typ rücksichtsloser Macho mochte. Und das taten viele Frauen, sogar, wenn der Betreffende kein Millionär war.

„Was ist denn dann Ihr Problem?“, hakte Mary nach.

„Eine Frau zu behalten“, gestand er. „Ich möchte heiraten, aber meine Beziehungen dauern nicht einmal so lang, dass es für eine Verlobung reicht.“

„Vielleicht haben Sie einfach noch nicht die Richtige getroffen“, versuchte sie ihn zu trösten.

„Nein, daran liegt es nicht. Ich habe durchaus einige passende Frauen kennengelernt, aber immer mache ich etwas falsch. Und da kommen Sie ins Spiel.“

„Ich wüsste nicht wie“, sagte sie ganz offen.

„Sie geben doch Kurse, in denen sie Menschen helfen, sich Ziele zu stecken und zu erreichen.“

„Ja, aber im Job! Ich helfe Leuten im Beruf, nicht in der Liebe.“

„Das ist doch ziemlich derselbe Prozess, oder? Ich habe mein Ziel schon gesteckt. Ich möchte heiraten. Nun müssen Sie mir helfen, die richtige Strategie auszuarbeiten, um es zu erreichen.“

„Aber das Gefühlsleben kann man nicht planen!“

„Wieso nicht?“ Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Alles ist Taktik. Irgendetwas mache ich falsch. Sie finden heraus, was es ist, und sagen mir, was ich stattdessen tun soll. Ich wende das Gelernte auf meine nächste Beziehung an, die daraufhin funktioniert. Ich heirate und habe damit die Ziellinie überquert. So sieht meine Strategie im Einzelnen aus.“

Mary seufzte. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, was nicht stimmt, Mr. Watts: Ihre Einstellung zu Beziehungen.“

„Was passt Ihnen nicht daran?“

„Beziehungen funktionieren nun mal nicht so einfach. Ich verstehe ja Ihren Wunsch zu heiraten, aber zuerst müssen Sie sich verlieben. Das kann man aber nicht planen, weil man nicht vorhersehen kann, wann man dem richtigen Menschen begegnet. Man stellt ja keine Liste mit erforderlichen Qualifikationen auf und interviewt dann einige Kandidaten.“

Genau das hatte ich eigentlich vor, dachte Tyler enttäuscht. „Sie sind viel zu romantisch“, warf er ihr vor. „Es geht hier ums Heiraten, nicht ums Verlieben.“

„Aber das Erste geht doch nicht ohne das Zweite!“, widersprach Mary schockiert.

„Sie glauben, man heiratet nur aus Liebe?“

„Ja, das glaube ich!“

„Ich sage ja, dass Sie eine Romantikerin sind!“ Er ließ es nicht nach einem Kompliment klingen. „Meine Ansichten sind etwas praktischer Natur – besser gesagt: realistischer. Natürlich gibt es Menschen, die heiraten, weil sie verliebt sind, aber es gibt noch genügend andere gute Gründe für eine Ehe.“

„Zum Beispiel?“

„Sicherheit. Angst vor Einsamkeit. Freiheit von existenziellen Sorgen sowie gesellschaftliches Ansehen. Finanzieller Rückhalt. Bequemlichkeit. Oder …“

„Ich bitte Sie!“, unterbrach Mary ihn. „Vernunftehen sind seit hunderten von Jahren aus der Mode.“

„Das finde ich nicht“, widersprach Tyler. „Ich glaube, sehr viele glückliche Ehen basieren auf dem Wunsch nach einem bequemen, sorgenfreien Leben, in dem man nicht alles immer allein entscheiden muss, sondern einiges dem Partner überlässt. Wilde Leidenschaft ist selten der Grund fürs Heiraten.“

Mary wollte schon widersprechen, dann fiel ihr die zweite Ehe ihrer Mutter ein. Ihre Mutter hatte offen zugegeben, dass es ihr beim zweiten Versuch mehr auf ein behagliches Zusammenleben als auf alles andere angekommen sei, und war mit ihrem Mann Bill sehr glücklich gewesen. Zumindest, bis Bill gefunden hatte, Behagen allein genüge ihm nicht mehr. Aber das war natürlich eine ganz andere Geschichte.

„Sie haben vielleicht recht, Mr. Watts“, gestand Mary ihm schließlich zu, „aber Ihnen fehlt es doch bestimmt nicht an Bequemlichkeit, Sicherheit und allem anderen. Schon gar nicht an Geld. Warum wollen Sie dann überhaupt heiraten? Außer aus Liebe – was Sie ja aber auch ausschließen.“

„Ich habe mir in den Kopf gesetzt, zu heiraten“, erwiderte Tyler schroff. Er musste sich vor Mary Thomas doch nicht rechtfertigen, oder? „Sie brauchen sich um mein Ziel nicht zu kümmern, nur darum, wie ich es erreiche.“

Mary schüttelte den Kopf. „Nein, auch das kann mir egal sein. Ich kann Ihnen nämlich nicht helfen. Mit solchen Zielen und Strategien will ich nichts zu tun haben.“

Er runzelte schon wieder finster die Stirn. „Ich dachte, Sie brauchen dringend Arbeit?“

„Nichts dieser Art, sondern Möglichkeiten, Arbeitskräfte zu rekrutieren.“

„Und wenn ich Steven Halliday anweise, Ihre Agentur auf keinen Fall in Betracht zu ziehen, wenn Jobs zu besetzen sind?“

Mary funkelte ihn böse an. „Das ist Erpressung!“

Er zuckte die Schultern. „Das ist Business. Ich will etwas von Ihnen, Sie wollen etwas von mir. Weshalb sollte ich Ihnen etwas geben, ohne dafür zu bekommen, was ich möchte?“

„Das sehe ich anders!“ Ihre Stimme bebte vor Zorn. „Ich biete demjenigen einen ausgezeichneten Service, der diesen Service in Anspruch nimmt und einen angemessenen Preis zahlt. Das ist Business.“

„Aber es nicht der Deal, den ich hier anbiete“, erwiderte er verächtlich.

„Dann vergessen Sie es. Ich brauche zwar dringend Arbeit, aber so verzweifelt dringend nun auch wieder nicht.“

Am liebsten hätte sie ihn einfach stehen gelassen. Ihr war nun egal, ob sie Tyler vor den Kopf stieß, denn sie war unglaublich wütend.

„Es wundert mich nicht, dass Sie Probleme mit Beziehungen haben, wenn Sie mit Drohungen und Erpressung reagieren, sobald man nicht tut, was Sie wollen“, fügte sie unverblümt hinzu. „Ich habe Besseres zu tun, als dabei zu helfen, eine bedauernswerte Frau in eine lieblose Ehe mit einem Gefühlskrüppel zu locken.“

In Tylers Kinn zuckte ein Muskel, und er wurde weiß um die Lippen. „Ich mag ein Gefühlskrüppel sein, aber über Business brauchen Sie mich nicht zu belehren! Ich habe eine äußerst erfolgreiche Firma, Sie haben nur eine miese kleine Personalagentur ohne Klienten.“ Er schüttelte mitleidig den Kopf. „Sie sollten Ihre Ziele niedriger stecken, denn Sie werden niemals Erfolg haben, wenn Sie bei jeder Chance so gefühlsbetont reagieren wie jetzt.“

„Das Risiko gehe ich ein.“ Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Sie sind nicht der einzige Arbeitgeber in York, und ich würde wirklich lieber mit jemandem verhandeln, der Erpressung nicht zu seinen Verhandlungstaktiken zählt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Mr. Watts! Ich möchte nach Hause.“

„War sie brav?“, erkundigte Mary sich.

Auf Zehenspitzen ging sie zum Bett ihrer kleinen Tochter und legte ihr sanft die Hand auf den Bauch. Es war albern, aber sie musste sich jedes Mal überzeugen, dass das Baby noch atmete und es ihm gut ging, wenn sie außer Haus gewesen war.

„Ja“, antwortete ihre Mutter von der Tür her. „Sie hat keinen Muckser von sich gegeben.“

Widerstrebend ließ Mary ihr schlafendes Baby allein und humpelte wieder nach unten, wo sie im Wohnzimmer, erleichtert seufzend, aufs Sofa sank und sich die schmerzenden Füße massierte.

„Danke, Mom, dass du auf Bea aufgepasst hat“, sagte sie, als ihre Mutter sich zu ihr gesellte.

„Das mache ich doch gern! Wie war denn der Empfang?“

Mary schnitt ein Gesicht. „Nicht unbedingt ein Erfolg.“

Eigentlich hätte sie den Abend als Katastrophe bezeichnen müssen, aber sie wollte nicht so negativ klingen, denn ihre Mutter hatte im Moment selbst genug Sorgen.

„Alles in allem reine Zeitverschwendung“, fügte Mary hinzu und rieb sich den Arm, wo Tyler Watts sie festgehalten hatte. Ein Wunder, dass keine blauen Flecke zu sehen waren.

„Ach, schade!“ Virginia Travers sah enttäuscht aus. „Es klang nach einer so guten Gelegenheit für dich, Kontakte zu knüpfen. Es wird also nichts aus einem Vertrag mit Watts Holding?“

Mary dachte an Tylers Ausdruck, als sie ihn stehen gelassen hatte. „Das ist zumindest unwahrscheinlich.“

„Was willst du jetzt machen, Mary?“

Dass ihre Mutter so besorgt klang, verursachte Mary Schuldgefühle. Wieso hatte sie ihre Chance verspielt, Tyler Watts zu beeindrucken? Na ja, Eindruck hatte sie vermutlich schon auf ihn gemacht. Nur leider den falschen!

„Irgendwas wird sich schon ergeben.“ Sie zwang sich, optimistisch zu klingen. „Es gibt Firmen, mit denen ich mich noch nicht in Verbindung gesetzt habe, und ich habe einige Aushilfskräfte untergebracht.“

Dass diese nur für eine Woche eingestellt waren, verschwieg sie ihrer Mutter. Diese blickte starr vor sich hin und ließ eine Hand nervös über die Lehne ihres Sessels gleiten.

„Was ist mit dir, Mom?“, erkundigte Mary sich alarmiert.

„Bill hat heute Abend angerufen.“ Virginia Travers Stimme bebte leicht. „Er möchte zu mir zurückkommen.“

„Oh, Mom!“ Rasch stand Mary auf und ging zu ihr. Sie setzte sich auf die Lehne und legte ihrer Mutter den Arm um die Schultern.

Ihre Mutter war wie am Boden zerstört gewesen, als Bill ihr verkündet hatte, er würde sie verlassen. Da zu der Zeit Mary bereits ungewollt schwanger war, hatte es nahe gelegen, dass sie nach York zurückkehrte und dort ihr Baby bekam. Sie musste irgendwo wohnen. Ihre Mutter war froh über die Gesellschaft, und so war beiden gedient.

Das Haus war ein bisschen klein für zwei Frauen und ein Baby, aber es hatte alles ganz gut geklappt. Marys Mutter hatte sich mittlerweile so weit gefangen, dass sie eine Scheidung ernsthaft in Erwägung zog.

Und nun das!

„Was hast du Bill gesagt?“, erkundigte Mary sich sanft.

„Dass ich ihn morgen treffe und wir alles besprechen.“

Sie umarmte ihre Mutter fester. „Du möchtest ihn zurück, stimmt’s?“

Virginia Travers nickte. „Ich weiß, ich müsste ihn hassen – aber ich vermisse ihn so sehr!“

„Auf jeden Fall solltet ihr über alles reden“, meinte Mary sachlich. „Ihr seid ja noch verheiratet. Vielleicht könnt ihr eure Ehe retten … wenn ihr beide es wollt.“

„Aber im Moment ist hier kein Platz für ihn“, wandte ihre Mutter bedrückt ein.

„Bea und ich ziehen aus. Es ist höchste Zeit, dass ich eine eigene Wohnung finde.“

„Die kannst du dir im Moment doch nicht leisten, Kind.“

„Mir fällt schon was ein“, behauptete Mary zuversichtlich und drückte ihre Mutter noch einmal liebevoll an sich.

Am nächsten Morgen war sie nicht mehr so optimistisch, als sie die vielen Stufen zu ihrem Büro hinaufging. Es befand sich in der Mansarde eines Hauses aus dem siebzehnten Jahrhundert, das mit den verwinkelten Räumen, den schiefen Böden und niedrigen Balken einen ganz eigenen Charme besaß.

Mit Bea auf der einen Hüfte und zwei Taschen in der Hand wünschte Mary sich allerdings, und nicht zum ersten Mal, mehr modernen Komfort. Zum Beispiel einen Lift!

Auf dem Weg nach oben ließ sie sich das Wohnungsproblem durch den Kopf gehen. Ihre Mutter wirkte zum ersten Mal seit Monaten wieder glücklich bei der Aussicht, sich mit ihrem Mann zu versöhnen. Das konnte aber nur klappen, wenn die beiden ungestört Zeit miteinander verbringen konnten.

Wenn sie, Mary, ihr Geld von Alan zurückbekäme, hätte sie auch kein Problem. Allerdings fragte sie sich mittlerweile, ob es jemals dazu kommen würde. Sie hatte ihre Ersparnisse in das Büro investiert, was nur möglich gewesen war, weil sie bei ihrer Mutter mietfrei wohnen konnte.

Sie hatte die Gründung einer Personalagentur für eine gute Idee gehalten, denn diese würde ihr ein Einkommen sichern und ihr genug Zeit für Bea lassen. Nur war es noch nicht so weit, dass die Firma Profit machte!

Vielleicht muss ich mir vorübergehend einen Job suchen, überlegte Mary. Das würde ihre momentanen Schwierigkeiten jedoch nicht beseitigen. Sie müsste genug verdienen, um Bea bei einer Tagesmutter unterzubringen und um eine Wohnung zu mieten. Vor allem brauchte sie sofort eine größere Summe für Kaution und Mietvorauszahlung, und wie sollte sie die auftreiben – außer durch einen Banküberfall?

Während sie sich noch den Kopf darüber zerbrach, mühte sie sich die letzten Stufen hoch und blieb wie gelähmt auf dem Treppenabsatz stehen, als sie sah, wer vor der Tür ihres Büros auf sie wartete.

Ihr Herz begann wie rasend zu pochen. Tyler Watts war der Letzte, den sie hier erwartet hätte. Er wirkte so missmutig wie immer – und nahezu überwältigend in dem kleinen Vorraum.

Mary war sich plötzlich überdeutlich bewusst, dass ihr Rock verknittert und ihr Haar nicht gewaschen war. Außerdem hatte sie nicht einmal Lippenstift aufgelegt, denn sie hatte nach einer unruhigen Nacht morgens verschlafen und in fliegender Hast sich und Bea fertig gemacht.

Ihre Mutter konnte sich wegen des bevorstehenden Treffens mit ihrem Mann nicht um die Kleine kümmern, die zurzeit leider selten durchschlief.

Auch ohne die Sorgen wäre Mary nach einer solchen Nacht erschöpft gewesen. Sie selbst hatte lange wach gelegen und sich immer wieder gewünscht, sie hätte bei dem Gespräch mit Tyler Watts nicht die Beherrschung verloren. Na gut, er hatte sie zu erpressen versucht – aber immerhin nur zu einem Beziehungstraining, nicht zu illegaler Prostitution oder Ähnlichem.

Wäre es denn so schwierig gewesen, ihm Tipps zu geben, wie man eine funktionierende Beziehung aufbaute? Mit ihren Freundinnen redete sie ja auch oft genug bei einem Glas Wein über dieses Thema.

Als Gegenleistung hätte Tyler Watts sie mit seinem Personalchef bekannt gemacht. Sie hätte die Chance bekommen, mit ihm einen Vertrag zu schließen, der ihre Agentur retten konnte.

Aber nein, sie hatte moralisch rechtschaffen und herablassend reagieren müssen, nur weil er sie aus dem inneren Gleichgewicht brachte.

Und jetzt auch wieder, wie Mary reuig feststellte. „Was wollen Sie denn hier?“, fragte sie schroff.

Tyler blickte von ihr zu Bea. „Sie haben ein Baby!“

„Ist er nicht scharfsinnig?“, fragte sie sarkastisch und nahm Bea auf den anderen Arm. „Wir können ihm nichts vormachen. Stimmt’s, Bea?“

„Ist das Ihre Tochter?“

„Ja, das ist sie. Und bevor Sie fragen … Nein, ihr Vater ist nicht in der Nähe.“ Sie versuchte, mit einer Hand den Schlüsselbund aus der Schultertasche zu holen.

Nachdem ich ihn einen Grobian, Erpresser und Gefühlskrüppel genannt habe, hat es jetzt wohl nicht mehr viel Sinn, mich bei ihm lieb Kind zu machen, sagte Mary sich müde und frustriert.

„Was wollen Sie hier?“, wiederholte sie, um nichts freundlicher.

„Mit Ihnen sprechen“, antwortete er und blickte vielsagend auf seine Armbanduhr. „Fangen Sie immer so spät an?“

„Nein“, antwortete sie und kramte noch immer nach dem Schlüssel. „Es war nur einer von diesen Morgen, an denen nichts richtig klappt.“

Wo, zum Kuckuck, war der Schlüssel? Gestern hatte sie ihn noch gehabt, in dieser Tasche, da sie keine Zeit gehabt hatte, sie umzupacken. Nun machte sie schon wieder keinen kühlen, professionellen Eindruck auf Tyler Watts! Er stand da und wartete ungeduldig, dass sie ihm endlich die Tür aufmachte. Die unfreundliche Begrüßung hatte ihn nicht vertrieben, wahrscheinlich, weil er ein Mann war, der erst ging, wenn er seine Mission erledigt hatte.

„Ach, würde es Ihnen etwas ausmachen, die Kleine einen Moment lang zu halten?“, fragte Mary schließlich und reichte ihm das Kind, bevor er widersprechen konnte. „Ich muss nur den Schlüssel finden.“

Entsetzt hielt Tyler das Baby mit ausgestreckten Armen von sich und betrachtete es nervös. Es sah ihn mit seinen runden Augen, die so grau wie die seiner Mutter waren, unerschrocken an.

„Ach, da ist er ja.“ Triumphierend zog Mary den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Sie öffnete die Tür zu dem hellen, von Herbstsonne durchfluteten Raum mit der schrägen Decke. „Darf ich Sie in mein luxuriöses Penthouse bitten“, sagte sie ironisch und ging voraus.

3. KAPITEL

Verblüfft stand Tyler einen Moment lang mit dem Baby da, dann folgte er Mary ins Büro. Statt ihm das Kind abzunehmen, ging sie zum Computer und schaltete ihn ein.

„Ach, Mary?“ Tyler versuchte, sie auf sich aufmerksam zu machen.

Mary blickte hoch und unterdrückte ein Lächeln. Sie hatte noch keinen Mann gesehen, dem es so viel Unbehagen bereitete, ein Kind zu halten. Sein sonst so finsterer Ausdruck wirkte nun ausgesprochen alarmiert.

Wer hätte gedacht, dass ein Baby genügt, um Tyler Watts dumm dastehen zu lassen?, dachte sie schadenfroh. Schade, dass sie Bea nicht zu dem Empfang mitgenommen hatte.

Während sie ihn beobachtete, wechselte sein Ausdruck von alarmiert zu entsetzt, als Bea das Gesicht Unheil verkündend verzog.

Tyler befürchtete, das Kind könne jeden Moment zu weinen anfangen. Vorsichtig wiegte er es ein bisschen hin und her, und zu seiner Überraschung sah es ihn fragend an, als wüsste es nicht, wie es reagieren sollte. Und dann – statt loszubrüllen – lächelte es ihn strahlend an!

Seltsam geschmeichelt wiegte er die Kleine noch ein bisschen mehr. Anscheinend gefiel ihr dieses Spiel, denn sie rief triumphierend: „Ga!“ Und sie lächelte weiterhin. Diesem Charme konnte er unmöglich widerstehen. Unwillkürlich erwiderte er das Lächeln.

Mary hatte sich am Vorabend gefragt, wie Tyler wohl aussehen mochte, wenn er lächelte. Nun wusste sie es. Ein Lächeln genügte, um ihn Jahre jünger und viel zugänglicher wirken zu lassen. Und beunruhigend attraktiv.

„Möchten Sie Kaffee?“, fragte sie betont munter.

Er hörte zu lächeln auf und wirkte plötzlich etwas unsicher. Anscheinend war es ihm peinlich, beim Spielen mit dem Baby beobachtet worden zu sein.

„Ja“, sagte er, wieder so schroff, wie es seine Art war.

Nachdem Mary die Kaffeemaschine gefüllt und angeschaltet hatte, breitete sie eine Decke auf dem Boden aus und nahm Tyler endlich das Baby ab. Dabei streifte ihre Hand seine, und ein seltsames Prickeln überlief sie. Um sich abzulenken, suchte sie Spielzeug für Bea und beschäftigte sich kurz mit ihr.

„Setzen Sie sich doch“, forderte sie Tyler höflich auf. „Ich bin gleich fertig.“

Tyler nickte, ging dann aber im Büro umher, das weiß gestrichen und mit wenigen schlichten Möbeln eingerichtet war. Man sah dem Raum an, dass Mary die Agentur erst kürzlich gegründet hatte.

Um sich von der eigenartig warmen Empfindung abzulenken, die Beas Lächeln bei ihm verursacht hatte, begann er, die Umsätze einer so kleinen Agentur zu überschlagen. Dann brauchte er auch nicht auf Mary zu achten, deren Nähe ihm allzu deutlich bewusst war.

Um nicht zu ihr zu blicken und zu registrieren, wie sich ihre Bluse über den vollen Brüsten spannte, wenn sie sich bewegte, nahm er einen Kalender vom Schreibtisch und betrachtete die Bilder.

Dabei versuchte er, sich auf den Grund seines Kommens zu besinnen, den er wegen des Babys beinah aus den Augen verloren hatte. Seltsam, wie warm und schwer sich die Kleine angefühlt hatte!

Mary beobachtete Tyler unauffällig und fragte sich, was er hier wollte. Bestand vielleicht eine Chance, dass sie ihre Fehler des vergangenen Abends ausbügeln konnte?

Als der Kaffee fertig war, setzte Tyler sich endlich auf den Sessel, den Mary für ihre Klienten bereitgestellt hatte. Sie setzte sich auf den anderen, obwohl sie lieber am Schreibtisch Platz genommen hätte, wo sie sich distanziert und professionell gefühlt hätte. Bea hätte jedoch vielleicht etwas dagegen gehabt, sie aus den Augen zu verlieren … und außerdem gönnte Mary Tyler nicht die Genugtuung zu merken, wie nervös er sie machte.

„Was kann ich für Sie tun?“, begann sie das Gespräch.

Tyler war froh, direkt zur Sache kommen zu können. „Ich möchte Ihnen einen Deal vorschlagen.“

„Was Sie unter einem Deal verstehen, haben wir bereits gestern diskutiert“, erinnerte sie ihn und unterdrückte vorsichtshalber die aufkeimende Hoffnung, doch einen Job zu bekommen.

„Ich mache Ihnen ein neues Angebot, Mary.“

„Eine neue Erpressung?“, konnte sie nicht widerstehen zu fragen.

„Nein“, erwiderte er, sichtlich mühsam beherrscht. „Ich bin bereit, Ihnen den Vertrag zur Rekrutierung des Junior-Personals hier in York zu geben, wenn Sie bereit sind, meine persönliche Beziehungstrainerin zu werden.“

„Das ist doch dieselbe Erpressung wie gestern“, wandte Mary nach kurzem Überlegen ein.

„Nein, das ist es nicht. Gestern habe ich gesagt, ich würde Ihnen den Vertrag nicht geben, falls Sie ablehnen, mich zu beraten. Das war tatsächlich eine Drohung. Heute habe ich es positiv formuliert – und das nennt man Anreiz. Ein ziemlicher Unterschied, finden Sie nicht auch?“

Er wartete, ob sie etwas sagen wollte, aber sie war fürs Erste sprachlos.

„Außerdem bin ich bereit, Ihnen eine Summe von … sagen wir zehntausend Pfund … zu zahlen, falls ich eine erfolgreiche Beziehung eingehe. Und wenn Ihre Beratung in Folge tatsächlich zu einer Verlobung führt, gibt es einen weiteren Bonus.“

Ungläubig sah Mary ihn an. Zehntausend Pfund! Plus die Einkünfte aus dem ungeheuer lukrativen Vertrag mit Watts Holding. Damit wäre ihre Agentur gemacht … und wenn sie Tyler tatsächlich erfolgreich „unter die Haube“ brachte, konnte sie für das viele Geld vielleicht sogar ein kleines Haus für sich und Bea kaufen.

Dafür brauchte sie Tyler nur beizubringen, wie er eine Frau glücklich machte. Das war ja nichts Unmoralisches, oder? Es war sogar bewundernswert, dass er sich so viel Mühe gab, endlich eine funktionierende Beziehung aufbauen zu können.

„Sie müssen dieses Beziehungstraining wirklich dringend wünschen“, sagte sie zögernd, um ein bisschen Zeit zu gewinnen. Bestimmt war an dem Angebot irgendwo ein Haken!

„Das tue ich“, bestätigte er kurz angebunden.

„Aber warum wollen Sie mich als Coach? Es gibt doch qualifiziertere Berater als mich.“

Ja, warum will ich ausgerechnet sie?, dachte Tyler. Die Frage hatte er sich schon in der vergangenen Nacht immer wieder gestellt. Weil Mary da war, hatte schließlich seine Antwort gelautet. Der Zufall hatte sie ihm über den Weg geführt, und er musste die Gelegenheit beim Schopf packen, ohne langes Suchen an eine Person zu kommen, die sein Problem lösen konnte.

Oder war die richtige Antwort die, dass ihm Marys Gesicht nicht aus dem Sinn ging? Dass er immer wieder daran denken musste, wie ihre grauen Augen vergnügt funkelten, wenn sie es wagte, ihn auszulachen?

„Weil Sie keine Angst vor mir haben“, beantwortete er schließlich ihre Frage.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte Mary so leise, dass er sie nicht verstehen konnte.

„Außerdem möchte ich nicht über meine Gefühle reden“, erklärte er weiter. „Ich brauche nur einige praktische Ratschläge, und Sie sind mir wie eine Frau vorgekommen, die mir diese geben kann. Des weiteren sind Sie sofort verfügbar und haben Erfahrung mit Beziehungen.“

„Aber keine berufliche Erfahrung!“, erinnerte sie ihn. „Frauen meines Alters sind alle mehr oder weniger Expertinnen, wenn es darum geht, einer Freundin durch eine Beziehungskrise zu helfen, aber das tun wir üblicherweise bei einer Flasche Wein.“

Obwohl sie es scherzhaft gemeint hatte, nahm Tyler sie beim Wort. „Genau! Sie sind tatsächlich die Richtige für mich … Natürlich nicht im romantischen Sinn“, fügte er entsetzt hinzu, als sie fragend die Brauen hochzog. „Mein Zukünftige stelle ich mir ungefähr so vor: ähnlich wie Sie, aber jünger, beruflich versiert, intelligent und … na ja, mit Klasse und Stil.“

Traurig betrachtete sie ihren zerknitterten Rock und den Milchfleck auf dem Top. Klasse und Stil waren nicht die Begriffe, die man üblicherweise bezüglich ihres Aussehens anwendete.

„Da Sie mit Ihren Freundinnen über Gefühle und all das diskutieren, wissen Sie, was Frauen von einem Mann wollen“, führte Tyler weiter aus. „Gleichzeitig besteht aber keine Gefahr, dass ich Ihnen persönlich näherkomme.“

„Warum nicht?“

Die unerwartete und peinlich direkte Frage brachte ihn aus dem Konzept. „Na ja, weil Sie nicht … Sie wirken nicht …“

„… attraktiv genug“, ergänzte Mary zuckersüß.

„Genau! Ich meine, nein. Sie sind sehr …“ Verdammt, er hasste es, wie ein Narr dazustehen. „Schauen Sie, Mary, Sie sind einfach nicht mein Typ, okay? Ich Ihrer ja bestimmt auch nicht.“

„Das stimmt.“ Sein Unbehagen freute sie. Es entschädigte sie für die kränkende Bemerkung, er fände sie überhaupt nicht attraktiv. Tyler nicht zu gefallen war ihr im Grunde egal, aber … kränkend war es doch.

„Außerdem haben Sie ein Baby“, fügte er hinzu und wies auf Bea, die nachdenklich an einem Plüschelefanten nuckelte.

„Ja und? Darf ich als alleinerziehende Mutter keine Beziehung mehr haben? Ich brauche doch einen Ersatzvater für meine Kleine.“

Tyler sah alarmiert aus, obwohl sie ihn nur hatte necken wollen.

„Ich möchte eigene Kinder, nicht die eines anderen Mannes“, erklärte er warnend.

„Ach Bea, man stößt uns zurück.“ Mary seufzte theatralisch. „Da bleiben wir beide also wieder allein.“

Als Bea ihren Namen hörte, strahlte sie übers ganze Gesicht. Mary wurde die Kehle eng vor Rührung und Liebe. Zärtlich lächelnd neigte sie sich vor und strich dem Baby über das seidenweiche Haar.

Dann blickte sie auf und merkte, dass Tyler sie mit einem unergründlichen Ausdruck beobachtete.

„Ich habe nur gescherzt“, beruhigte sie ihn geduldig.

„Die Grundbedingung unseres Abkommens ist die, dass unsere Beziehung rein geschäftlicher Natur bleibt“, verlangte Tyler schroff.

Die kleine Szene gerade hatte ihn aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Mary hatte beinah schön ausgesehen, so liebvoll lächelnd, einen zärtlichen Blick in den strahlenden Augen … der sofort verschwand, als sie ihn, Tyler, betrachtete. Hatte er denn etwas anderes erwartet?

„Gut! Aber wieso glauben Sie, ich würde diesmal Ihr Angebot akzeptieren, Mr. Watts?“

„Ich habe mich gestern noch umgehört. Ihre Agentur pfeift jetzt schon aus dem letzten Loch, weil Sie keine langfristigen Verträge abschließen konnten.“

„Stimmt.“ Es hätte ja doch keinen Sinn zu leugnen, dachte Mary und stand auf, um Kekse aus dem Schrank zu nehmen. „Bevor ich Ihr Angebot annehme, möchte ich aber genau wissen, was Sie wollen.“

Sie hielt Tyler die Kekspackung hin, der den Kopf schüttelte. Kritisch, wie ihr vorkam. Trotzig nahm sie sich gleich zwei Kekse, obwohl es ihrer Figur natürlich nicht guttat. Aber irgendetwas musste man sich doch gönnen, und auf ein Kilo mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Sie war nicht Tylers Typ, daran war nichts zu ändern.

Nicht, dass sie es hätte ändern wollen!

„Das habe ich doch schon mehrfach erwähnt“, antwortete Tyler ungeduldig. „Ich möchte heiraten.“

„Ja, aber warum das? Wenn Sie eine bestimmte Frau wollten, würde ich das ja verstehen, aber es geht Ihnen anscheinend nur um den Status des verheirateten Mannes. Anders gesagt, Sie scheinen eine Ehefrau als Staussymbol anzusehen.“

„Ja, jeder erfolgreiche Mann hat heutzutage eine Ehefrau und Kinder, es gehört einfach dazu. Und ich habe niemanden“, erklärte er emotionslos.

„Man muss Erfolg doch nicht an dem messen, was andere haben“, wandte Mary ein.

„Ich schon! Es war einfach, als es darum ging, wer den höheren Umsatz und das schnellere Auto hatte“, meinte Tyler grimmig. „Jetzt genügt es nicht mehr.“

„Wie kommen Sie zu dieser Meinung?“

„Vorigen Oktober war ich bei einem Treffen mit ehemaligen Studienkollegen. Wir haben in Betriebswirtschaft graduiert. Einige waren ziemlich erfolgreich als Unternehmer, konnten mir aber nicht das Wasser reichen.“

„Verstehe. Ihre Kommilitonen fuhren langsamere Autos“, meinte Mary ironisch. Ihr war egal, welche Rivalität Männer wegen ihrer diversen Spielsachen entwickelten.

„Ja, aber jetzt wollte keiner mehr darüber reden!“ Tyler klang so ungläubig, dass er einem beinah leidtun konnte. „Stattdessen haben alle über Babys gesprochen.“

Unwillkürlich lachte sie. „Ach so. Aber das Konkurrenzdenken war trotzdem spürbar?“

„Und ob! Wer hat die beste, glücklichste, talentierteste Kinderschar, wer hatte die dicksten Tränen bei der Geburt des ersten Kindes in den Augen, wessen Kind ist am klügsten.“ Er schnitt ein Gesicht und wies auf Bea zu seinen Füßen. „Sie ist vermutlich auch so ein Wunderkind.“

„Nein. Sie ist einfach nur ein Baby.“ Mary hob den Elefanten auf, den Bea weggeworfen hatte, und blickte zu Tyler. „Okay, Sie hatten damals also einen langweiligen Abend, aber was war Ihr eigentliches Problem?“

Ja, das fragte er sich auch. Es war nicht das Gefühl gewesen, ein Außenseiter zu sein. Das kannte er von klein auf. Es war auch kein Neid auf die anderen, denn er hatte nie Kinder gewollt. Aber es störte ihn, nicht zu haben, was alle anderen besaßen!

Neuerdings ließ sich Erfolg nicht mehr an Statussymbolen wie Häusern, Autos und Jachten messen, an dem, was man kaufen konnte. Seit es um Familien ging, konnte er, Tyler Watts, nicht mehr mitspielen. Schlimmer noch: Er kannte die Spielregeln nicht.

Jetzt wusste er nur eins: Um zu bekommen, was er so dringend haben wollte, musste er Mary gegenüber völlig aufrichtig sein.

„Das Problem war die Erkenntnis, dass ich – um mit den anderen mithalten zu können –, ein anderer Mensch sein müsste. Und ich weiß nicht, wie ich der werden soll“, bekannte er ehrlich. „Zuerst dachte ich, es sei einfach. Jeder kann heiraten und Ki...

Autor

Jessica Hart
Bisher hat die britische Autorin Jessica Hart insgesamt 60 Romances veröffentlicht. Mit ihren romantischen Romanen gewann sie bereits den US-amerikanischen RITA Award sowie in Großbritannien den RoNa Award. Ihren Abschluss in Französisch machte sie an der University of Edinburgh in Schottland. Seitdem reiste sie durch zahlreiche Länder, da sie sich...
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Janice Lynn
Janice Lynn hat einen Master in Krankenpflege von der Vanderbilt Universität und arbeitet in einer Familienpraxis. Sie lebt mit ihrem Ehemann, ihren 4 Kindern, einem Jack-Russell-Terrier und jeder Menge namenloser Wollmäuse zusammen, die von Anbeginn ihrer Autorenkarriere bei ihr eingezogen sind.
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Barbara Mc Mahon
Barbara McMahon wuchs in einer Kleinstadt in Virginia auf. Ihr großer Traum war es, zu reisen und die Welt kennenzulernen. Nach ihrem College-Abschluss wurde sie zunächst Stewardess und verbrachte einige Jahre damit, die exotischsten Länder zu erforschen. Um sich später möglichst genau an diese Reisen erinnern zu können, schreib Barbara...
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