Julia Herzensbrecher Band 35

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DER DUFT DIESER FRAU von BARBARA MCCAULEY
Ihr süßer Duft – eine Mischung aus Vanille und Zimt – ist für ihn Verführung pur. Am liebsten würde Reid die bezaubernde Tina gleich auf seinem Schreibtisch vernaschen. Aber passt eine bodenständige Bäckerstochter zu dem mondänen Schiffseigner und seinem Jetset-Leben?

KOMM INS KÖNIGREICH DER LIEBE von CAITLIN CREWS
Paris, Sydney, New York: Kiara und Scheich Azrin führen eine aufregende Jetset-Ehe, bis Azrin das Thronerbe von Kathan antreten muss. Als Herrscher des exotischen Königreichs soll er plötzlich traditionellen Pflichten gehorchen – eine ungeahnte Bewährungsprobe für ihre Liebe …

SOMMERTRÄUME IN MARBELLA von PENNY JORDAN
Er ist einer der begehrtesten Junggesellen des Jetset: Die hübsche Julia hat sich nur auf den reichen Silas Cabot Carter eingelassen, um über eine schwere Enttäuschung hinwegzukommen. Wie hätte sie denn auch ahnen sollen, dass Silas, der kühle Geschäftsmann, unter der Sonne von Marbella so ein Feuer in ihr entfacht?


  • Erscheinungstag 09.09.2023
  • Bandnummer 35
  • ISBN / Artikelnummer 9783751519755
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Barbara McCauley, Caitlin Crews, Penny Jordan

JULIA HERZENSBRECHER BAND 35

1. KAPITEL

Ein eisiger Januarregen fegte über die Stadt. Blitze durchzuckten den schwarzen Himmel über Savannah. Donnerschläge erschütterten die majestätischen Eichen, die den Privatweg säumten, rüttelten an den Zweigen und Blättern und ließen die moosbedeckten Stämme erzittern.

Es war ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagte, aber wenn Abraham Danforth seine Familie zu einem Treffen rief, kamen alle.

Am Strand unterhalb des Herrenhauses Crofthaven Manor brachen sich schäumend die Wellen, doch Reid Danforth saß warm und trocken in seinem komfortablen BMW. Duke Ellington ertönte aus den Lautsprechern, vermischte sich mit dem Geräusch des Regens, der auf das Autodach prasselte, und dem Wupp-wupp der Scheibenwischer. Nach einem langen, hektischen Tag mit harten Verhandlungen mit Maximilian Paper Products, einem der größten Kunden von Danforth & Co. in Österreich, war Reid dankbar für die friedliche halbstündige Fahrt zum Haus seiner Familie.

Eine Fahrt, die gleich enden wird, dachte er, als er vor dem großen, schwarzen schmiedeeisernen Tor vorfuhr.

Er atmete tief aus, drückte auf die Fernbedienung in seinem Wagen und sah zu, wie sich das massive Tor langsam öffnete. Ein Blitz erhellte das große, im Stil des 18. Jahrhunderts gebaute Herrenhaus am Ende der Einfahrt. Der Donner grollte am Himmel wie Geschützlärm. Licht drang aus den Bleiglasfenstern des Hauses.

Reid, inzwischen zweiunddreißig, war – abgesehen von den Jahren, die er in verschiedenen Internaten verbracht hatte – hier aufgewachsen. Und dennoch beeindruckte ihn das Anwesen immer wieder aufs Neue. Crofthaven war Ende des neunzehnten Jahrhunderts von seinem Urgroßvater Hiram gebaut worden und darauf ausgelegt, die Zeit zu überdauern. Und Widerstandsfähigkeit war auch eine Eigenschaft, die seine Nachkommen auszeichnete – dafür hatte Hiram schon gesorgt.

Reid parkte zwischen zwei der drei Limousinen der Familie und stellte den Motor ab. Er blieb sitzen und lauschte dem monotonen Prasseln des Regens auf das Autodach. Er brauchte immer einen Moment, um den Wandel zwischen der realen Welt und Crofthaven zu vollziehen. Heute Abend würde sein Vater von der ganzen Danforth-Sippe absolute Aufmerksamkeit erwarten. Er wollte seine Strategie für die bevorstehende Senatorenwahl darlegen. Die Geschlossenheit und Unterstützung der Familie waren für einen erfolgreichen Wahlkampf unerlässlich.

Abraham Danforth kannte das Wort Misserfolg nicht, eine Tatsache, die den ohnehin reichen Reeder noch wohlhabender hatte werden lassen als seine Vorfahren. Reich genug, um sich aus dem Tagesgeschäft von Danforth & Co. Shipping zurückzuziehen und eine neue Karriere in der Politik zu starten.

Da er bereits spät dran war, stieg Reid schließlich aus und lief durch den strömenden Regen zur Haustür. Ein eiskalter Wind blies ihm ins Gesicht. Schnell öffnete er die riesige Eichentür und trat in das weiße Marmorfoyer. Auf einem Tisch neben der herrschaftlichen, ausladenden Treppe stand eine große Kristallvase mit weißen Rosen, deren Duft die Luft erfüllte. Dazu das himmlische Aroma nach Lammbraten und Oregano.

„Master Reid.“ Joyce Jones, Crofthavens Haushälterin, kam auf ihn zu. „Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht.“

„Es ist alles in Ordnung“, versicherte Reid der Frau, die er schon sein ganzes Leben lang kannte. „Ich musste im Büro noch etwas Papierkram erledigen.“

Obwohl nie besonders herzlich, war die gut sechzig Jahre alte Haushälterin zumindest eine Konstante in Reids unsteter Kindheit gewesen. Noch heute trug sie die gleiche schwarze Uniform, die gleichen robusten Arbeitsschuhe. Selbst ihre Frisur, ein schlichter Knoten, hatte sich nicht geändert, auch wenn die braunen Haare mittlerweile von grauen Strähnen durchzogen waren.

„Ein schreckliches Wetter.“ Joyce trat hinter Reid, um ihm aus seinem nassen Trenchcoat zu helfen. Aus Gewohnheit strich sie über seine Schultern und richtete den Kragen seines Jacketts. „Martin serviert Punsch und Martinis im Salon. Ihr Vater telefoniert noch in seinem Büro. Ich werde ihm sagen, dass Sie eingetroffen sind.“

„Danke.“

Auf dem Weg zum Salon lockerte Reid seine Krawatte. An der Tür blieb er stehen. Zwei seiner Brüder, Ian und Adam, standen mit seinem Cousin Jake vor dem Kamin. Vermutlich diskutierten sie über die D&D-Coffeehouse-Kette, die sie in der Region um Savannah gegründet hatten. Neben der Bar führte Reids jüngster Bruder Marcus – der Anwalt in der Familie – mit ihrem Onkel Harold und ihrem Cousin Toby eine angeregte Unterhaltung um juristische Belange. Es ging um die Wasserrechte auf Tobys Ranch in Wyoming.

Reid dachte an seine Mutter und wünschte, sie wäre jetzt hier und könnte sehen, wie sich ihre Kinder entwickelt hatten. Obwohl er erst acht Jahre alt gewesen war, als sie starb, konnte er sich noch gut daran erinnern, wie gern sie für die Familie gekocht und in diesem Haus große Feste gegeben hatte. So manches Mal waren er und Ian die Treppe hinuntergeschlichen und hatten die vielen Menschen in ihren eleganten Kleidern beobachtet, die lachten, aßen und zu der Musik einer Band tanzten. Nie würde er die rauschende Geburtstagsfeier seiner Mutter vergessen. Deutlich hatte er das Bild vor Augen, als sein Vater mit ihr in dem silbrigen Licht der Kristalllüster im Ballsaal tanzte.

Eine Woche später war sie gestorben, und Abraham Danforth war seit dem Tag nicht mehr derselbe. Keiner von ihnen war es.

„Reid!“ Seine Schwester Kimberly riss sich von der Unterhaltung mit ihrer Cousine Imogene los. „Schau dich nur an! Du bist ganz nass!“

„Schön, dass du endlich da bist!“, rief Jake von der anderen Seite des Raums und prostete ihm mit seinem Martini zu. „Dann sind wir ja vollständig.“

„Wo ist Tante Miranda?“, fragte Reid seine Schwester, die sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn zur Begrüßung auf die Wange küsste.

„Sie bringt Dylan ins Bett.“ Kimberly lächelte, als sie Tobys dreijährigen Sohn erwähnte. „Ich habe ein Album mit Fischen mitgebracht, die ich draußen auf der Insel beobachtet und fotografiert habe, und er wollte keine Gutenachtgeschichte hören, sondern lieber die Bilder ansehen.“

„Wenn wir nicht aufpassen, haben wir noch einen Meeresbiologen in der Familie“, scherzte Reid.

„Wenn du früher gekommen wärst und gehört hättest, wie er Klavier spielt, dann würdest du das nicht sagen“, erwiderte Kimberly. „Mit zehn wird er in der Carnegie Hall auftreten.“

„Ich denke, das wird er schon mit acht.“ Imogene drückte Reid einen Wodka Martini in die Hand. „Hallo, Cousin.“

„Ah, die stolze Tante.“ Reid lächelte und küsste Imogene auf die Wange. „Was gibt’s Neues in der Welt des Investment Banking?“

„Zwei Beförderungen in sechs Monaten. Deine Krawatte sitzt nicht richtig.“ Sie zog den Knoten fest, den er gerade gelöst hatte. „Ein guter Eindruck ist alles. Apropos, wo ist Mitzi? Ihr beide gebt ein tolles Paar ab.“

„Ich habe keine Ahnung, wo sie ist“, erwiderte er trocken. „Wahrscheinlich shoppen.“

Mitzi Birmingham hatte er seit gut vier Monaten nicht mehr gesehen, zum Glück. Er war viel zu beschäftigt gewesen, wichtige geschäftliche Dinge zu regeln, um die nächsten Wochen Zeit für den Wahlkampf seines Vaters zu haben. Da blieb keine Zeit für Dates. Doch das bekümmerte ihn nicht. Wenn es um Frauen ging, schien er jede geldgierige, geltungssüchtige Frau in Savannah und im Umkreis der Stadt wie ein Magnet anzuziehen. Sobald eine Frau herausfand, dass er der Sohn von Abraham Danforth war, Direktor von Danforth & Co., und ein Penthouse bewohnte, überschüttete sie ihn entweder mit Komplimenten oder kicherte albern über alles, was er sagte, oder sie spielte neckische Spielchen. Oder schlimmer noch, sie tat alles drei.

Er wusste, dass er schon bald den warmen Körper einer Frau in seinem Bett vermissen würde, doch im Moment reichte es ihm, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren.

„Reid.“

Beim Klang der tiefen Stimme seines Vaters, drehte er sich um. Nicola Granville, Abrahams neue Wahlkampfmanagerin, stand neben ihm. „Dad. Miss Granville.“

„Bitte sagen Sie Nicola. Freut mich, Sie wiederzusehen, Reid.“

Reid hatte die große rothaarige Frau einmal im Büro seines Vaters getroffen und zweimal mit ihr telefoniert. Mit ihren siebenunddreißig Jahren hatte sie sich als Imageberaterin bereits einen Namen in Politik und Wirtschaft gemacht, und so befürwortete Reid die Entscheidung seines Vaters, sie zu engagieren. Sie war attraktiv, selbstbewusst und fleißig. Sein Vater und Nicola würden ein beeindruckendes Team abgeben.

„Schön, dass du gekommen bist“, sagte Abraham in unbeteiligtem Ton.

Obwohl nicht die Spur von Verärgerung in seinem Tonfall zu hören war, kannte Reid seinen Vater gut genug, um den unterschwelligen Tadel zu hören. Aber er hütete sich, eine Entschuldigung vorzubringen.

Mit seinen fünfundfünfzig Jahren war Abraham Danforth die Idealbesetzung eines politischen Quereinsteigers. Reid hatte keine Zweifel, dass sein Vater mit seinem dichten dunkelbraunen Haar, den tiefblauen Augen, den breiten Schultern und dem berühmten Danforth-Lächeln die Wahl gewinnen würde, vor allem mit dem Wahlkampfslogan „Honest Abe“, rechtschaffener Abe, den Nicola in Anspielung auf Abraham Lincoln ersonnen hatte.

„Bitte mal herhören.“ Abrahams Aufforderung brachte die Unterhaltungen im Raum zum Erliegen. „Denen, die sie noch nicht kennen, möchte ich meine neue Wahlkampfmanagerin Nicola Granville vorstellen. Nach dem Essen wird sie die bevorstehende Kampagne und die Rolle der Familie darin erläutern.“

Während Nicola durch den Raum ging und die Familienmitglieder begrüßte, schlenderte Reid zu seinem Cousin Jake. „Wo ist Wes?“, fragte er.

„Auf einer Geschäftsreise.“ Jake zog eine Augenbraue hoch. „Hat er jedenfalls gesagt. Aber du kennst Wes.“

Reid lächelte. Wes war Jakes Zimmergenosse im College gewesen, doch für die Danforths gehörte Wesley Brooks zur Familie. Wes hatte zwar den Ruf, ein Playboy zu sein, doch Reid wusste, dass er gekommen wäre, wenn ihn nicht wichtige Gründe ferngehalten hätten.

Jake nahm einen Cracker mit Käse von einem Tablett, das Martin vorbeitrug. „Ich habe gehört, dass du für das Wahlkampfbüro ein Haus in der Drayton Street gefunden hast?“

„Nur das Erdgeschoss ist zu mieten.“ Reid trank einen Schluck Martini. „Der Eigentümer ist Ivan Alexander. Ich habe mit ihm gesprochen, aber noch keinen Mietvertrag unterschrieben. Ich treffe mich morgen mit ihm und sehe mir die Räume an. Ihm gehören auch das Gebäude und die Bäckerei nebenan. Castle Bakery.“

Jake nickte. „Sie soll sehr gut sein. Ich wollte selbst schon einmal dorthin und mir das Sortiment ansehen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Angeboten für die Speisenkarte im D&D’s.“ Jake beugte sich vor und flüsterte: „Außerdem soll Ivan drei schöne Töchter haben.“

„Vielleicht solltest du dich um die Wahlkampfzentrale kümmern“, sagte Reid grinsend.

„Und dir den ganzen Spaß nehmen?“ Jake legte Reid die Hand auf die Schulter. „Ich denke nicht im Traum daran.“

Bevor Reid antworten konnte, rief Joyce zum Dinner. Auf dem Weg zum Esszimmer drehte sich die Unterhaltung um Wahlstrategien und Vorgehensweisen. Die kommenden zwölf Monate bis zur Wahl würden sehr arbeitsintensiv werden. Und es würden sich ihnen Hindernisse in den Weg stellen, vorhersehbare und unerwartete. Die Familie war gefordert, jedes einzelne Mitglied. Reid wusste, dass er konzentriert arbeiten und strammen Kurs halten musste, wenn er seinem Vater helfen wollte, Senator der Vereinigten Staaten zu werden.

Das Letzte, wofür ich jetzt Zeit habe, dachte Reid, sind Ivan Alexanders Töchter. Egal, wie schön sie sein mochten.

Tina Alexander liebte die Tage, an denen das Chaos, das sie Leben nannte, ruhig verlief. Tage, an denen sie nicht einen einzigen Laib Brot verbrannte oder sogar ein ganzes Blech Plunderteilchen. Die Tage, an denen alle Mitarbeiter des Familienunternehmens zur Arbeit erschienen. Tage, an denen ihre Schwester Sophia keine Männerkrise hatte und sogar rechtzeitig zu ihrer Nachmittagsschicht kam. Tage, an denen sich ihre andere Schwester Rachel nicht im Büro einschloss und am Computer über Konten und Verkaufszahlen brütete.

Tina genoss vor allem die seltenen Tage, an denen sich ihre Mutter Mariska zur Abwechslung einmal nicht in das Leben ihrer drei Töchter einmischte.

Heute jedoch war kein solcher Tag.

„Sophia war gestern Abend wieder in einem dieser Tanzlokale.“ Mariska Alexander schnaubte missbilligend, während sie die telefonisch aufgegebene Bestellung über zwei Dutzend Schokoladentörtchen verpackte. Mariska war mit ihrer aristokratischen Nase, dem energischen Kinn und dem kräftigen blonden Haar, das sie stets zu einer klassischen Frisur gesteckt hatte, die Königin der Castle Bakery.

„Sie ist erst um zwei Uhr nach Hause gekommen“, fuhr Mariska fort. „Zwei Uhr! Ohne sich telefonisch zu melden!“

Tina verschloss die Box, die sie gerade mit Plunderteilchen gefüllt hatte. Der Morgen war für sie und Jason, der hinter dem Verkaufstresen arbeitete, hektisch gewesen. Kunden mussten bedient, Aufträge ausgeführt und die Auslagen wieder gefüllt werden, bevor das Mittagsgeschäft einsetzte. Das Letzte, was Tina jetzt gebrauchen konnte, war das Klagen ihrer Mutter über die Verfehlungen ihrer ältesten Tochter.

„Du hast eine Anzeige für einen Verkäufer in die Zeitung gesetzt“, versuchte Tina, ihre Mutter abzulenken. Sie deutete mit einem Nicken auf die beiden jungen Männer, die an einem Tisch in der Ecke der Bäckerei saßen. Der mit den schwarzen, gegelten Haaren und zerrissenen Jeans schien gelangweilt, während der andere in kurzärmeligem Hemd und einer schwarzen Hose ein Buch las. „Führst du bitte die Einstellungsgespräche?“

Als hätte sie die Frage nicht gehört, deutete Mariska auf ihr Gesicht. „Sieh dir meine Augen an. Sie sind ganz rot vor Müdigkeit.“

Tina seufzte leise und schob die Schachtel mit den Plunderteilchen über den Ladentisch zu ihrer Kundin Beverly Somersworth hinüber. Jeden Donnerstag kaufte die untersetzte Sechzigjährige ein Dutzend Plunderteilchen für die Anwaltskanzlei, in der sie als Empfangsdame arbeitete.

„Sophia ist achtundzwanzig Jahre alt, Mom“, sagte Tina so geduldig wie möglich. „Du musst nicht warten, bis sie nach Hause kommt.“

„Meine Tochter ist die ganze Nacht unterwegs.“ Mariska wandte sich an Beverly. „Wie könnte ich da schlafen?“

„Ob acht oder achtundzwanzig, eine Mutter macht sich immer Sorgen um ihre Kinder“, pflichtete Beverly bei, während sie in ihrer Tasche nach dem Portemonnaie suchte. „Ich erinnere mich noch gut an die vielen Nächte, die ich im Wohnzimmer wegen meiner Elena auf und ab gelaufen bin. Gott sei Dank ist sie endlich verheiratet. Habe ich Ihnen schon die Fotos von meinen Enkeln gezeigt?“

Erst zehn Mal, wollte Tina erwidern, verkniff sich aber die Antwort. Stattdessen lächelte sie und nickte, als Beverly die Fotos hervorzog.

„Ich beneide Sie“, seufzte Mariska. „Ich glaube, ich werde nie Großmutter. Sophia geht mit zu vielen Männern aus, Rachel verbringt ihre Zeit in Museen und Kinos, und meine Tina …“, Mariska kniff ihr in die Wange, „… ist selbst noch ein Kind.“

Ich bin vierundzwanzig, verdammt noch mal, dachte Tina und biss die Zähne zusammen. Weil sie die Jüngste war, würde sie für ihre Mutter wahrscheinlich immer das Baby bleiben. Aber es war sowieso egal. Tina wusste, dass sie niemals einen Antrag annehmen könnte, denn ein Mann, der tatsächlich in diese Familie einheiraten wollte, konnte nicht richtig im Kopf sein.

Natürlich liebte sie ihre Familie. Ihre beiden Schwestern, ihre Mutter, ihr Vater und ihre Tante Yana waren alles, was sie hatte, und sie liebte sie von ganzem Herzen.

Aber sie waren alle so … raumgreifend. Ihr Vater wirkte eher wie der Geldeintreiber eines Kredithais als ein Bäcker. Mit einem einzigen Blick schaffte Ivan Alexander es, jeden Mann einzuschüchtern, der sich mit seinen Töchtern verabredete. Diejenigen, die Ivan überlebten, kamen nicht an Mariska vorbei, die zahllose Fragen zu Beruf und Familie stellte und schließlich auch die Frage, die jeden Mann in die Flucht schlug: Mögen Sie Kinder?

Die einzige Möglichkeit, jemals zu heiraten, dachte Tina, besteht darin, dass ich Kronzeugin in einem Mordprozess werde und man mich ins Zeugenschutzprogramm aufnimmt. Wenn sie dann wie durch ein Wunder ihren Mr. Right fand, würde er niemals mit ihrer Familie zusammentreffen.

Etwas extrem, aber so könnte es funktionieren.

Tina bediente den nächsten Kunden, während ihre Mutter weiter die Babyfotos bewunderte. Als Beverly schließlich ging, nahm Mariska ihre Schürze ab und griff nach ihrer Tasche.

„Die Handelskammer hat zwölf Dutzend Muffins und zehn Dutzend Plunderteilchen für morgen zum Frühstück bestellt“, sagte Mariska und zog ihren Pullover unter dem Tresen hervor. „Ich gehe schnell zum Markt und hole Pekannüsse und Blaubeeren.“

Tina blickte zu den beiden jungen Männern hinüber. „Du solltest die Einstellungsgespräche führen.“

„Sei so lieb und übernimm du das, Schätzchen.“ Mariska tätschelte Tina die Wange.

„Aber …“

„Ach, und komm morgen bitte sehr früh“, unterbrach Mariska. „Wir haben eine Menge Bestellungen auszuführen, und dein Vater und ich könnten deine Hilfe gebrauchen.“

Es war keine Frage, also gab Tina sich auch gar nicht erst die Mühe zu antworten.

„Ich bin gleich zurück.“ Damit verschwand Mariska in dem Flur, der zu den Büros und dem Hinterausgang führte.

Tina blickte ihrer Mutter nach, dann seufzte sie. Es war kein Problem für sie, morgens zeitig zur Arbeit zu erscheinen. Sie würde den Abend in der Wohnung ihrer Tante Yana verbringen, die für drei Wochen verreist war. Ihr heißes Date für den Abend waren eine Katze und das Video von „Schlaflos in Seattle“.

„Entschuldige, dass ich zu spät bin, Tina.“ Sophia stürmte durch den Vordereingang in die Bäckerei. „Ich habe getankt und mir dabei einen Nagel abgebrochen, deshalb musste ich noch schnell zur Maniküre.“

Die beiden Bewerber warfen einen Blick auf Sophia in ihrem schwarzen Lederrock, dem tief dekolletierten Pullover und den hohen Stiefeln und wirkten plötzlich gar nicht mehr gelangweilt. Sophia, die sich gerade Strähnchen in ihre ohnehin blonden Haare hatte ziehen lassen, lächelte die jungen Männer an. Die beiden strafften die Schultern und zogen den Bauch ein.

Tina blickte ihre Schwester finster an, als diese hinter den Tresen kam und sich die Schürze umband. „Musst du mit jedem Mann flirten, den du siehst?“, zischte sie.

„Das tue ich doch gar nicht“, erwiderte Sophia unschuldig. „Ich habe gar keine Zeit für so viele Männer.“

Tina verdrehte die Augen über so viel Verrücktheit.

Die drei Schwestern waren so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten. Sophia, eine wunderschöne blonde Verführerin mit grünen Augen. Rachel, eine hübsche, aber schüchterne Brünette mit braunen Augen.

Und dann bin ich da noch, dachte Tina.

Nicht so blond wie ihre Mutter, nicht so dunkel wie ihr Vater, sondern mit ihren sandbraunen Haaren und hellbraunen Augen irgendwie eine Mischung aus beiden. Sie war die kluge Tochter, die besonnene Tochter und die – diese Bezeichnung hasste Tina am meisten – verantwortungsbewusste Tochter.

Das Schlimmste aber war, dass es stimmte.

Getöse ertönte aus der Backstube, gefolgt von einer Reihe wüster Flüche auf Ungarisch. Sophia biss sich auf die glänzend rot geschminkte Unterlippe. „Ich bin gleich zurück. Ich muss Rachel etwas wegen der Rückerstattung meiner Auslagen fragen.“

„Feigling“, sagte Tina.

Das Reich des Vaters zu betreten, wenn er schlechte Laune hatte, war, als würde man sich in die Höhle eines Löwen begeben. Man konnte nicht sicher sein, ob man heil wieder herauskam.

Tina wusste, dass sie sich beeilen und die Bewerbungsgespräche führen musste, bevor der Mittagsbetrieb einsetzte. Sie legte ihre schwarze Schürze ab und blickte zu Jason, der gerade die Bestellung für einen Cappuccino und einen Schokoladenmuffin eintippte.

Der Sechsundzwanzigjährige strahlte einen jungenhaften Charme aus. Er hatte widerspenstige Haare, dunkelblaue Augen und eine athletische Figur. Junge Mädchen und Frauen fingen an, albern zu kichern und mit den Wimpern zu klimpern, wenn er sie bediente, und selbst ältere Frauen brachte Jasons gutes Aussehen völlig durcheinander.

Doch Jason hatte nur Augen für eine einzige Frau.

Seufzend richtete Tina ihre Gedanken wieder aufs Geschäft und bat den Bewerber mit den gegelten Haaren, ihr ins Büro ihres Vaters zu folgen.

Der Bürgersteig vor dem schmalen dreigeschossigen roten Backsteinhaus war vom Regen in der vergangenen Nacht noch nass, und an den waldgrünen Markisen über den großen Frontfenstern glitzerten Wassertropfen.

Reid blickte an dem „Zu vermieten“-Schild vorbei auf die leere Bürofläche. Die Räumlichkeiten waren von der Lage und Größe her genau das, wonach er gesucht hatte, und auch der Mietpreis stimmte. Ein öffentlicher Parkplatz zwei Häuser weiter und eine gute Verkehrsanbindung versüßten den Deal.

Apropos süß – Reid blickte auf das Nebengebäude. Unglaubliche Düfte wehten aus Ivan Alexanders Bäckerei zu ihm herüber.

Der Zahl der Kunden nach zu urteilen, die in den letzten Minuten gekommen und gegangen waren, lief das Geschäft sehr gut. Wenn er das Wahlkampfbüro seines Vaters neben einer gefragten Bäckerei einrichtete, würde das nicht nur viel Besucherverkehr bringen, sondern auch die Mitarbeiter und alle Freiwilligen, die am Wahlkampf beteiligt waren, wären versorgt.

Bis zum Ende des Tages wollte Reid den Mietvertrag unterschrieben haben und den Schlüssel in der Hand halten.

Eine Glocke ertönte, als er die schwere Glastür zur Castle Bakery öffnete. Der Duft von Zimt, Schokolade und frisch gebackenem Brot kitzelte seine Sinne. Reid blickte auf das sorgfältig arrangierte Gebäck, kunstvolle Torten und saftige Obstkuchen. Ihm lief buchstäblich das Wasser im Mund zusammen.

Die Bäckerei strahlt altertümlichen Charme aus, dachte er, als er die Tür hinter sich schloss. Steinfußboden, gerahmte Bilder von berühmten Schlössern in Europa. Glastische mit Bistrostühlen für die Kunden.

Allerdings waren im Moment nur zwei Tische besetzt. An einem saß ein Mann vor einer Tasse Kaffee und einem Muffin, das Handy am Ohr, an dem anderen ein Teenager, der in einem Physikbuch las.

Reid näherte sich dem Tresen und stellte sich hinter ein älteres Paar, das sich nicht zwischen Plunderteilchen mit Pflaume und Apfelkuchen entscheiden konnte.

„Entschuldigen Sie“, wandte Reid sich an den Verkäufer. „Ich bin wegen der Anzeige für …“

„Im Büro …“ Der Verkäufer deutete mit dem Daumen auf einen Flur. „Dritte Tür links. Gegenüber von Merlin.“

Merlin? Reid ging in die gezeigte Richtung, bog um eine Ecke und stand vor einer lebensgroßen Statue, die König Arthurs Zauberer darstellte. Mit Zauberhut, den Zauberstab in der Hand und in dunkelblauen Samt gekleidet, grüßte die skurrile weißbärtige Figur die Kunden, die die Toiletten aufsuchten. Reid betrachtete einen Moment lang die Statue, dann klopfte er an die Bürotür.

„Ich bin gleich bei Ihnen.“

Eine Frauenstimme, bemerkte Reid, sanft und samtig. Sofort schossen ihm äußerst erotische Fantasien durch den Kopf. Reid hoffte, dass es sich nicht um Mrs Alexander handelte. Nicht einmal in der Fantasie wollte er die Frau eines anderen Mannes begehren. Dennoch konnte er es nicht erwarten, das Gesicht zu sehen, das zu der Stimme gehörte.

Merlin schien ihn anzustarren.

„Ich bin auch nur ein Mann“, seufzte Reid, dann verschränkte er die Arme und lehnte sich gegen die Wand.

Einen Moment später wurde die Tür geöffnet, und ein junger Mann in abgewetzten Jeans und einem blauen T-Shirt kam heraus.

„Ätzende Arbeitszeiten“, murmelte er.

Reid zog die Augenbrauen hoch und sah ihm nach. Dann steckte er den Kopf durch den Türspalt. Eine Frau in einer langärmeligen weißen Bluse saß über einen kleinen, unaufgeräumten Schreibtisch gebeugt. Hellbraunes Haar, das zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden war, fiel über den schlanken Hals und eine schmale Schulter. In den schmalen Fingern hielt sie einen Stift und machte Notizen auf einem Blatt Papier.

„Ich suche …“

„Einen Moment.“ Den Blick immer noch auf ihre Notizen gerichtet, winkte sie ihn hinein. „Würden Sie bitte die Tür hinter sich schließen?“ Reid betrat das Büro und schloss die Tür. Das Gesicht der Frau konnte er kaum erkennen, also betrachtete er ihre Hände. Zarte Haut. Kurz geschnittene, gepflegte Nägel. Kein Nagellack, keine Ringe.

„Bevor ich Sie bitte, unseren Bogen auszufüllen“, sagte sie, ohne aufzublicken, „möchte ich Ihnen …“

Jetzt sah sie auf.

Wegen der großen Brille hätte Reid die Frau vielleicht nicht als schön bezeichnet, aber sie war definitiv sehr hübsch. Sie hatte eine Haut wie Porzellan, hohe Wangenknochen, große, ausdrucksstarke Augen von der Farbe eines edlen Whiskeys. Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen.

„… ein paar Fragen stellen“, beendete sie nach kurzem Zögern den Satz.

Wenn auch kurz, so sah Reid dennoch die Überraschung in den Augen der Frau und hörte die leichte Nervosität in ihrer Stimme.

Der Moment war genauso schnell wieder vorbei.

„Ich bin Tina Alexander.“ Sie straffte die Schultern und streckte die Hand aus. „Danke, dass Sie gekommen sind.“

Ihr Herz schlug höher, als der Mann ihre Hand nahm, und sie hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Sie hatte schon viele Einstellungsgespräche geführt, doch kein Bewerber hatte ausgesehen wie dieser.

Und ganz sicherlich hatte noch keiner ihre Gehirnzellen gelähmt.

Sie schätzte ihn auf über einen Meter achtzig und vermutete, dass sich unter den Jeans, dem schwarzen Pullover und der Jeansjacke ein muskulöser Körper verbarg. Er sieht nicht einfach nur gut aus, dachte Tina. Seine Augen waren so tiefblau und so ausdrucksvoll, dass sie ihr buchstäblich den Atem nahmen. Die festen, sinnlichen Lippen ließen ihren Puls schneller schlagen.

Und die Tatsache, dass er immer noch ihre Hand hielt, half auch nicht, ihren Herzschlag zu beruhigen.

Sie zog die Hand zurück und deutete auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Obwohl sie sicher war, diesem Mann noch niemals begegnet zu sein, kam er ihr merkwürdig bekannt vor.

Sie schüttelte den Gedanken ab. Egal. Diesen Mann würde sie auf keinen Fall einstellen. Er würde Sophia zu sehr ablenken und, ehrlich gesagt, auch sie selbst.

Aber das konnte sie ihm natürlich nicht sagen. Besser war, er entschied selbst, dass die Stelle nicht die richtige für ihn war. Sie würde mit ein paar grundlegenden Fragen beginnen und ihn dann mit der Stellenbeschreibung entmutigen.

„Also, Mr. …“ Sie zögerte, als sie merkte, dass sie nicht nach seinem Namen gefragt hatte.

„Reid Danforth“, stellte er sich vor. „Reid für Sie.“

Der Name kam ihr bekannt vor, doch sie konnte ihn nicht einordnen. Sie schrieb seinen Namen in die erste Zeile des Bewerbungsbogens.

„Reid.“ Sie schob ihre Brille mit dem Zeigefinger hoch. „Haben Sie Probleme, pünktlich zur Arbeit zu kommen oder auch schon sehr früh morgens zu arbeiten?“

Ihre Frage überraschte ihn, und so dauerte es einen Moment, bis er antwortete. „Normalerweise nicht.“

„Dürfen Sie aus Gesundheitsgründen nicht schwer heben oder körperlich arbeiten.“

Er kniff die Augen zusammen. „Nein.“

Sie schrieb auf den Bewerbungsbogen, dass er sich in einer guten körperlichen Verfassung befand. Als wenn sie das nicht schon bemerkt hätte. Verdammt. Sie hatte gehofft, leichter aus dieser Nummer herauszukommen.

Sie stellte die nächste Frage. „Haben Sie Erfahrung im Verkauf oder mit Registrierkassen?“

Er starrte sie lange an, dann hoben sich langsam seine Mundwinkel. Es war wirklich ärgerlich, was dieses Grinsen mit ihr machte.

„Ich habe Erfahrung im Verkauf“, sagte er. „Ich habe allerdings noch nie mit einer Registrierkasse gearbeitet. Doch ich lerne schnell.“

Das glaube ich sofort, hätte Tina fast laut gesagt. Sie bezweifelte auch nicht, dass er ein guter Verkäufer war. Sie selbst würde sich gern etwas von ihm verkaufen lassen.

Wir haben noch nicht über das Gehalt gesprochen, fiel ihr ein. Der Job bot einem Teenager oder einem Studenten ein schönes Taschengeld, doch reichte es nicht zum Leben. „Ist der Stundenlohn, den wir bieten, für Sie akzeptabel?“

Er beugte sich weiter vor. Sie nahm den schwachen, würzigen Duft seines Aftershaves wahr. Wieder beschleunigte sich ihr Pulsschlag.

„Gegenfrage.“ Seine Stimme klang weich und tief und irgendwie amüsiert. „Wenn ich sagen würde, dass der Lohn unwichtig ist, würden Sie mich dann einstellen?“

Tina wollte instinktiv Ja sagen, doch es wäre für sie und ihn Zeitverschwendung, wenn sie ihm falsche Hoffnung machte und das Bewerbungsgespräch fortsetzte. „Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil …“, sie zögerte, „… Sie zum einen … älter sind als die meisten unserer Bewerber.“

„Ich bin zu alt für Sie?“

„Natürlich sind Sie nicht zu alt für mich“, sagte sie. „Ich meine, Sie sind nicht zu alt.“ Ach, verdammt. Er hatte sie in die Enge getrieben. Es gab ein Gesetz gegen Altersdiskriminierung. „Es ist ein Job für einen Teenager oder Studenten, das ist alles.“

„Sie wollen mich nicht einstellen, weil ich kein Teenager oder Student bin.“ Er verschränkte die Arme und betrachtete sie von oben herab. „Was spricht noch gegen mich?“

„Gar nichts.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe. „Eigentlich.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Eigentlich?“

„Nun, da ist meine Schwester Sophia.“

„Was ist mit ihr?“

„Sie lässt sich …“, Tina suchte nach den richtigen Worten, „… leicht ablenken von gut aussehenden Männern.“

„Sie finden mich also zu alt und zu gut aussehend“, stellte er trocken fest. „Was noch?“

Tina wurde klar, wie absurd die Gründe klangen. Warum hatte sie ihn nicht einfach den Bewerbungsbogen ausfüllen und dann gehen lassen? „Sie sind überqualifiziert.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Sie sind gebildet“, sagte sie. „Sie wissen sich auszudrücken, strahlen Selbstbewusstsein aus, und Sie sehen aus, als wären sie gerade dem Titelbild des Wirtschaftsmagazins Fortune 500 entsprungen oder …“

Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Danforth. Von den Savannah Danforths. Reederei. Großes Anwesen. Viel, sehr viel Geld. Es ging das Gerücht um, dass Abraham Danforth für den Senat kandidieren wollte.

Die Danforth-Familie war weit über die Grenzen Savannahs hinweg bekannt.

Außerstande etwas zu sagen, starrte sie Reid an. Deshalb war er ihr so bekannt vorgekommen. Er war tatsächlich auf der Titelseite eines Magazins gewesen, des Savannah Business Magazine. Die Ausgabe mit Reids Gesicht auf dem Titel hatte in den letzten drei Monaten im Zeitschriftenständer für die Kunden gelegen.

„Sie … Sie sind … Abraham Danforths …“

„Sohn“, beendete er den Satz für sie und hielt ihr wieder die Hand hin. „Reid Danforth. Ich bin hier, um das Gebäude nebenan zu mieten.“

2. KAPITEL

Reid ließ die Worte in der Luft hängen, während die Frau versuchte, ihren Fehler zu verdauen. Die Augen hinter der Brille waren weit aufgerissen, und ihre Wangen nahmen einen hübschen Rotton an. Sie hatte nicht einmal ausgeatmet, seit sie erkannt hatte, wer er war.

Natürlich könnte er ihr die Situation erleichtern, indem er einfach mit der Schulter zuckte und ihr versicherte, dass nichts passiert war. Ein einfaches Missverständnis. Keine große Sache. Das wäre sicherlich gentlemanlike.

Aber verdammt, es wäre nicht so lustig.

Er beschloss, sie noch ein oder zwei Minuten in ihrer Verlegenheit zu beobachten. Irgendetwas sagte ihm, dass Tina Alexander daran gewöhnt war, Herrin der Lage zu sein, und ihm gefiel der Gedanke, diese Frau aus der Fassung gebracht zu haben.

Vor allem nach der Bemerkung, er sei alt. Verdammt. Mit zweiunddreißig Jahren war man doch nicht alt!

Als sie ihn weiter geschockt ansah, bekam er ein schlechtes Gewissen. Er hatte sie einfach nur etwas durcheinanderbringen wollen, nicht beschämen.

Er öffnete den Mund, um ihr die peinliche Situation zu erleichtern, als er merkte, dass ihre Wangen nicht vor Verlegenheit, sondern vor Ärger rot geworden waren.

„Sie haben doch gemerkt, dass ich Sie für einen Bewerber gehalten habe“, sagte sie mit scharfer Stimme. „Warum haben Sie den Irrtum nicht sofort aufgeklärt?“

Aha, dachte er und zog die Augenbrauen hoch. Die Katze fährt wieder ihre Krallen aus.

„Ehrlich gesagt, hatte ich meinen Spaß daran.“ Es ist auch erfrischend, einmal nicht erkannt zu werden, fügte er in Gedanken hinzu. Er hasste es, dass die Menschen ihn sofort anders behandelten, wenn sie merkten, dass er ein Danforth war. Entweder wurden sie extrem zuvorkommend oder so freundlich, dass es schon fast unheimlich war.

Freundlich passt auf Tina Alexander allerdings nicht, dachte Reid. Die Lippen, eben noch so weich und voll, bildeten jetzt nur noch eine schmale, harte Linie.

In einem flüchtigen Moment der Unzurechnungsfähigkeit fragte er sich, wie es sich anfühlen würde, diesen Mund zu küssen.

„Freut mich, dass ich Sie ein paar Minuten unterhalten konnte.“ Sie zerknüllte den Bewerbungsbogen und warf ihn in den Papierkorb neben dem Schreibtisch. „Gibt es sonst etwas, das ich für Sie tun kann? Wegen des Jobs sind Sie ja offensichtlich nicht hier.“

Oh, es gab einiges, was sie für ihn tun könnte. Aber das behielt er besser für sich. „Ich bin wegen der Räumlichkeiten nebenan hier.“

Sie blickte abrupt auf. „Was ist damit?“

„Mein Immobilienmakler hat mit einem Herrn namens Ivan Alexander wegen der Anmietung gesprochen.“

„Ivan ist mein Vater.“ Tina kniff die Augen zusammen. „Aber es muss sich um einen Irrtum handeln. Die Räume sind nicht zu vermieten.“

„Das ist merkwürdig, denn ich sollte heute kommen, um mir die Räume anzusehen und den Schlüssel zu holen.“

„Aber …“ Sie kam ins Stocken. „Das kann nicht sein.“

„Ich habe bereits eine Mietvorauszahlung geleistet, Miss Alexander.“

„Mietvorauszahlung?“, wiederholte sie ungläubig.

„Mein Makler hat Ihrem Vater gestern einen Scheck gegeben.“ Reid fragte sich, warum es für Tina eine Rolle spielte, wer die Räume mietete. „Gibt es ein Problem damit?“

Ob es ein Problem gab? Tina starrte den Mann an, der ihr gegenübersaß. Das kann nicht sein, sagte sie sich. Ihre Eltern hätten ihr doch gesagt, wenn sie die Räume vermietet hätten.

Ihre Räume.

Aber es musste stimmen. Im Grunde ihres Herzens wusste sie es. Reid Danforth würde sonst nicht hier sitzen.

Langsam nahm sie die Brille von der Nase, legte die Hände auf den Schreibtisch und erhob sich. „Würden Sie mich bitte einen Moment entschuldigen?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Tina das Büro und ging geradewegs zu der Doppeltür, die in die Backstube führte. Ihr Vater stand über den Arbeitstisch gebeugt und belegte den unteren Boden einer dreistöckigen Erdbeersahnetorte.

Die Hände in die Hüften gestemmt, trat sie ihm gegenüber. „Wie konntest du mir das antun?“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte er, ohne aufzublicken.

„Du weißt es ganz genau.“ Sie schnappte sich die Schüssel mit der Erdbeersahne und hielt sie von ihm weg. „Als das Antiquitätengeschäft nebenan ausgezogen ist, hast du versprochen, mir die Räume zu vermieten.“

„Ich habe gar nichts versprochen.“ Er richtete sich auf und blickte sie finster an. Dann verschränkte er die kräftigen Arme vor der breiten Brust. „Ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde.“

„Es ist der perfekte Standort für ein Snack-Café.“ Sie hatte Mühe, ihr Temperament zu zügeln. „Ich habe mich mit Herz und Seele diesem Projekt verschrieben. Habe schon die Inneneinrichtung geplant, die Menükarten. Du hast gesagt, dass du beeindruckt bist.“

Er nickte. „Das bin ich auch.“

„Warum dann?“ Ihre Stimme zitterte. „Warum hast du mir das dann angetan?“

„Du bist zu jung, dein eigenes Geschäft zu eröffnen, Katina.“ Seine Stimme wurde weicher. „Wenn du älter bist, sprechen wir noch einmal darüber.“

„Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln. Ich bin vierundzwanzig“, zischte sie. „Rachel, Sophia und ich. Wir sind alle drei keine Kinder mehr. Warum willst du das nicht sehen?“

„Ich bin euer Vater“, sagte Ivan mit fester Stimme. „Es ist meine Pflicht, auf die Familie aufzupassen. Wir haben nur uns.“

„Dad.“ Sie kämpfte mit den Tränen. „Seit meinem zehnten Lebensjahr helfe ich dir in der Bäckerei. Du weißt, dass ich es schaffe.“

„Es ist zu teuer.“

„Tante Yana will helfen …“

„Das hat Yana nicht zu entscheiden.“ Ivan erhob die Stimme. „Meine Schwester hat das Blut einer Zigeunerin, reist von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Was weiß sie schon von Geschäft und Verantwortung.“

„Sie lebt für ihre Arbeit“, verteidigte Tina ihre Tante. „Nur weil sie reist, heißt das nicht …“

„Es reicht!“ Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Ich habe die Räume für ein Jahr vermietet. Danach können wir noch einmal über dein Restaurant sprechen.“

„Aber …“

„Sei ein liebes Mädchen, Katina.“ Ivan strich ihr über den Kopf. „Und jetzt geh mit Mr. Danforth bitte nach nebenan, und zeige ihm, wofür er gezahlt hat.“

„Wie bitte?“ Ihr blieb der Mund offen stehen. „Du erwartest, dass ich …“

„Tu, was ich dir sage.“ Er riss ihr die Schüssel aus der Hand. „Und sei nett zu dem Mann. Verstanden?“

Tina wollte protestieren, hielt dann aber den Mund. Sie wusste, dass eine Diskussion in diesem Moment sinnlos war. Der Deal mit den Danforths war perfekt. Es war zu spät, daran etwas zu ändern, und wenn sie ihren Vater zu sehr bedrängte, würde er ihr die Räume nie vermieten.

Und jetzt sollte sie nett sein?

Sie ging zurück zum Büro. Vor der Tür blieb sie stehen und holte tief Luft. Sie hatte sich vor Reid Danforth bereits blamiert. Jetzt wollte sie nicht auch noch ein Bild des Jammers bieten.

Sie rang sich ein Lächeln ab und öffnete die Tür.

„Also“, sagte sie und nahm einen Schlüssel vom Haken neben der Tür, „es hat hier offensichtlich ein Kommunikationsproblem gegeben, Mr. Danforth. Wann wollen Sie einziehen?“

„Morgen.“

„Morgen?“

„Wir wollen die Kandidatur meines Vaters in ein paar Tagen verkünden“, erklärte er. „Es hat einige Zeit gedauert, Räumlichkeiten zu finden, die unseren Anforderungen entsprechen, deshalb muss die Einrichtung des Wahlkampfbüros jetzt schnell über die Bühne gehen.“

„Verstehe. Okay, wollen wir uns die Räume ansehen?“

Sie hat ihr Verhalten völlig geändert, dachte Reid, während er Tina in den Flur folgte. Innerhalb von fünf Minuten war aus der Gewitterhexe eine entgegenkommende, freundliche Frau geworden.

Nicht, dass er ihr die Freundlichkeit abkaufte. Reid konnte in ihren Augen noch die Spur innerer Anspannung sehen und den Stress in ihrer samtweichen Stimme hören. Unter der Oberfläche dieser vermeintlichen Ruhe braute sich ein Sturm zusammen.

Die Frau faszinierte ihn. Und er fragte sich, wie sich all diese aufgestaute Energie im Bett auswirken würde.

Sie verließen die Bäckerei durch die Hintertür und kamen in einen wunderschönen Garten, der von einer alten Backsteinmauer umsäumt war. Üppige Farne und Pflanzen wuchsen neben Steinbänken und um einen kleinen Teich herum, dazwischen standen Statuen lächelnder Cherubim.

„Es gibt einen Privatweg zwischen den Gebäuden“, sagte sie, als sie durch den Innenhof gingen.

Sie öffnete ein Eisentor, und beide traten in das Gässchen. Reid bemerkte die schmiedeeiserne Treppe, die zu den beiden Etagen über den Räumen führte, die er gemietet hatte. „Sind die oberen Stockwerke auch vermietet?“, fragte er.

„Meine Tante wohnt in der ersten Etage, und in der zweiten hat sie ihr Fotostudio.“ Sie traten durch ein zweites Tor in einen weiteren Garten. „Die meiste Zeit ist sie unterwegs und fotografiert, falls Sie fürchten, sie könnte Sie stören.“

Reid folgte Tina durch den Garten zur Hintertür des Gebäudes. Sein Blick fiel auf ihre schwingenden, schmalen Hüften und ihre schönen Beine, und ihm wurde klar, dass es nicht Tinas Tante war, die ihn ablenken würde.

Er zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf Tinas Worte zu richten und stellte fest, dass er einen Teil ihrer Ausführungen verpasst hatte. Irgendetwas über die Gebäude, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erbaut und in den siebziger Jahren saniert worden waren.

Im Verlauf des Jahres würde es zahlreiche Empfänge für die Wahlkampfhelfer und für großzügige Spender geben. Für die kleineren, privateren Zusammenkünfte wäre der Innenhof mit seinen Steinbänken und dem Springbrunnen perfekt. „Können wir auch den Garten nutzen?“

„Natürlich.“

Sie schloss die Hintertür auf. Er betrachtete ihre sichtlich gestrafften Schultern und holte tief Luft, als sie die Tür öffnete.

Frischer Farbgeruch stieg ihm in die Nase. Reid bemerkte, dass der Grundriss des Gebäudes dem der Bäckerei ähnelte. Die Nachmittagssonne fiel durch die Tür und warf goldene Schatten auf den neu versiegelten Holzfußboden. „Der hintere Teil ist in zwei Büroräume, ein Bad und eine Küche aufgeteilt.“ Tina bewegte sich steif durch den Flur. „Die vordere Hälfte ist ein einziger großer Raum.“

Als sie den vorderen Teil des Gebäudes betraten, sah Reid die Sehnsucht in Tinas Augen. Eine Art Besitzgier, dachte er. Plötzlich dämmerte ihm, warum sie verärgert war.

„Sie wollten die Räume für sich haben, nicht wahr?“, fragte er ruhig.

Sie hob das Kinn. „Was ich will, spielt im Moment keine Rolle.“ Sie reichte ihm den Schlüssel. „Diese Räume gehören ein Jahr lang Ihnen. Meinen Glückwunsch.“

„Tut mir leid.“ Er umschloss ihre Hand, als er den Schlüssel nahm. Ihre Haut war warm und weich. „Das wusste ich nicht.“

„Hätte es etwas geändert, wenn Sie es gewusst hätten?“

„Nein.“ Es wäre gelogen, wenn er etwas anderes behauptet hätte, und das wussten sie beide. „Was wollten Sie hier machen?“

„Nichts, was nicht noch ein Jahr Zeit hätte.“ Entschlossenheit stand in ihren Augen. „Viel Glück für Sie und Ihren Vater, Mr. Danforth.“

Als sie versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, hielt er sie fest. Sie zog die Augenbrauen hoch und warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Wir werden Nachbarn sein, Tina“, sagte er. „Wollen Sie nicht Reid zu mir sagen?“

Sie neigte den Kopf und betrachtete ihn. Und auch wenn er es nicht als Lächeln bezeichnen würde, so war ihr Mund nicht mehr ganz so schmal, ihre Augen blickten nicht mehr ganz so kalt.

„Viel Glück, Reid.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich werde die Tage zählen.“

„Ich auch, Tina. Ich auch.“

Von der Wohnung ihrer Tante in der ersten Etage aus beobachtete Tina den Umzugswagen – Miller’s Home and Office Rental –, der aus dem dichten Berufsverkehr ausscherte und auf dem Parkplatz direkt unter ihrem Fenster hielt. Ein stämmiger, kahlköpfiger Mann in einem grauen Overall und mit einem Clipboard in der Hand stieg aus dem LKW und verschwand im Erdgeschoss.

„Reid Danforth verliert keine Zeit, was, Delilah?“, sagte Tina zu der Tigerkatze, die ihren schlanken, biegsamen Körper an ihren nackten Beinen rieb. „Es sind noch keine fünf Stunden vergangen, seit ich ihm den Schlüssel ausgehändigt habe, und jetzt bringt er schon die Möbel.“

Verdammter Mistkerl.

Natürlich wusste Tina, dass sie Reid keinen Vorwurf machen konnte. Es war die Entscheidung ihrer Eltern gewesen. Doch es war einfacher, auf einen Fremden wütend zu sein als auf die Mitglieder ihrer eigenen Familie.

Tina hatte einen letzten Versuch bei ihrer Mutter gestartet, die Vermietung an die Danforths noch einmal zu überdenken, doch es war vergebene Liebesmühe gewesen. Überzeugt davon, dass Abraham Danforths Wahlkampfbüro der Treffpunkt attraktiver und wohlhabender Junggesellen werden würde, war Mariska ganz aus dem Häuschen vor Freude über den neuen Mieter.

Apropos attraktive, wohlhabende Junggesellen … Tinas Puls beschleunigte sich rasant, als Reid mit dem stämmigen Mann auf den Bürgersteig trat.

Er hatte die Jeansjacke ausgezogen, und mit seinen breiten Schultern und den muskulösen Armen hätte man ihn für einen der Umzugshelfer halten können. Sie ließ ihren Blick über seinen hochgewachsenen athletischen Körper gleiten und verspürte plötzlich ein Kribbeln im Bauch. Hunger, sagte sie sich, nicht Erregung.

„Die meisten Mütter würden ihre Töchter vor einem Mann wie Reid Danforth warnen“, sagte Tina verärgert zu sich selbst und bückte sich dann, um Delilah hochzuheben. „Meine Mutter dagegen plant bereits eine Hochzeit.“

Die Katze gähnte gelangweilt.

Neugierig beobachtete Tina, wie Reid mit den Umzugsleuten zur Ladefläche des LKW ging. Unwillkürlich bewunderte sie das Selbstvertrauen, das von diesem Mann ausging. Seine Körperhaltung, sein Gang, die Neigung seines Kopfes. Selbst jetzt hatte sie noch den Klang seiner tiefen Stimme im Ohr und konnte seinen festen Händedruck spüren.

Und dieses Lächeln, dachte sie. Das Lächeln sollte in der Öffentlichkeit verboten sein.

„Ein Grund mehr, mich von dem Mann fernzuhalten“, sagte sie entschieden zu Delilah. „Er weiß genau, welche Wirkung er auf Frauen hat. Ich für meinen Teil habe nicht die Absicht, sein ohnehin aufgeblähtes Ego zu bestärken.“

Dennoch, hinsehen war erlaubt, oder? Solange er nicht wusste, dass sie ihn beobachtete, konnte auch nichts passieren.

In dem Moment blickte er auf.

Leise aufschreiend sprang sie zurück und betete, dass er sie nicht gesehen hatte.

Verdammt, verdammt.

„Das habe ich von meiner Neugier“, sagte sie zu Delilah. Tina widerstand dem Drang, wieder ans Fenster zu schleichen. Stattdessen ging sie ins Bad, zog ihre Arbeitskleidung aus und trat unter die Dusche. Es fühlte sich gut an, sich das heiße Wasser über den Nacken und die Schultern fließen zu lassen. Langsam löste sich die Anspannung des Tages.

Ein Jahr, sagte sie sich. Zwölf kurze Monate. Zweiundfünfzig Wochen. Sie lächelte und erinnerte sich an Reids Gesichtsausdruck, als sie ihm gesagt hatte, dass sie die Tage zählen würde. Seine Antwort, dass auch er sie zählen würde, hatte sie als Herausforderung verstanden.

Und einer Herausforderung hatte sie noch nie widerstehen können.

Doch, rief ihr Verstand, dieser wirst du widerstehen. Entschlossen hielt sie den Kopf unter den Wasserstrahl. Sie hatte bereits zu viele Gedanken an den Mann verschwendet. Die Zeit würde schnell vergehen. Bevor sie sich’s versah, war der Mann wieder weg, und die Räume gehörten ihr.

Der Gedanke hob ihre Stimmung beträchtlich.

Nachdem sie sich abgetrocknet und die Haare geföhnt hatte, zog sie Jeans und ein pinkfarbenes T-Shirt an. Dinner und Kino mit Rachel werden mich von Reid ablenken, sagte sie sich.

Sie fand eine ihrer Stiefeletten unter dem Beistelltisch neben dem Sofa und suchte gerade nach der anderen, als sie gedämpfte Stimmen durch die Belüftungsanlage im Boden vernahm. Sie konnte fast verstehen, was die Männer sagten. Ist das Reids Stimme, fragte sie sich. Sie ging auf Hände und Knie und lauschte. Die Männer sagten irgendetwas darüber, dass sie den Schreibtisch schräg stellen wollten.

Natürlich war es ausgesprochen unhöflich zu lauschen, und sie wollte sich gerade wieder erheben, als sie eine tiefe Stimme hörte, die etwas über die süße Blondine in der Bäckerei sagte. Tina wusste, dass sie über Sophia sprachen, und so schnappte sie empört nach Luft, als der Mann eine derbe Bemerkung machte, und die anderen lachten.

Wie konnten sie es wagen, so über ihre Schwester zu reden!

„He“, rief sie in das Belüftungsrohr, „Sie da unten! Ja, ich spreche mit Ihnen.“

Sie wartete einen Moment, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, hörte sie Rachels Stimme hinter sich.

„Tina, was um alles in der Welt machst du da?“

Erschrocken richtete sie sich auf, schlug sich dabei den Kopf am Tisch an und fluchte. Sie rieb sich über die schmerzende Stelle, als sie rückwärts unter dem Tisch hervorgekrochen kam. „Rachel“, sagte sie und blickte über die Schulter. „Du könntest zumindest …“

Sie erstarrte.

Neben Rachel stand mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Grinsen im Gesicht Reid Danforth.

Lass dies ein Traum sein, war ihr erster Gedanke. Der nächste: Reiß dich zusammen!

„… helfen, meinen Schuh zu suchen“, beendete sie den Satz, obwohl es nicht das war, was sie eigentlich hatte sagen wollen.

Als Reid den Blick senkte und einen Moment auf ihrem Po verweilen ließ, stand Tina auf.

Warum sollte es ihr peinlich sein, dass er sie auf allen vieren und dabei wie eine Verrückte in den Lüftungsschacht schreiend erwischt hatte? Er war in ihre Räumlichkeiten eingedrungen – wieder einmal –, und hier konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Was dieser Mann von ihr dachte, war völlig egal.

„Mr. Danforth braucht den Schlüssel zum Hausanschlusskasten“, sagte Rachel verlegen.

„Reid“, korrigierte er Rachel lächelnd.

Rachel errötete und sah weg.

„Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, er ist irgendwo in der Waschküche.“ Tina hakte sich bei ihrer Schwester ein und lächelte. „Komm, Rachel, wir suchen ihn.“

„Ich …“ Rachel blinzelte, dann begegnete sie Tinas Blick und nickte. „Okay.“

Als sie um die Ecke und damit außer Sichtweite waren, zog Tina ihre Schwester in die Waschküche gegenüber der Küche und schloss die Tür. „Hättest du mich nicht warnen können?“

Rachel hob die Brauen. „Wovor warnen?“

„Dass du ihn hierher bringst“, zischte Tina.

„Ich habe angerufen, aber du bist nicht ans Telefon gegangen.“ Rachel kaute auf ihrer Unterlippe. „Tut mir leid, Tini. Hab ich etwas falsch gemacht?“

Tina bekam ein schlechtes Gewissen und lockerte den Griff um den Arm ihrer Schwester. „Entschuldige“, seufzte sie. „Ich bin einfach wütend, weil ich die Räume unten nicht bekommen habe, das ist alles. Es macht mich verrückt, dass Dad und Mom mich wie ein Kind behandeln.“

„Zumindest versucht unsere Mutter nicht ständig, einen Mann für dich zu finden, einen Mann, den sie für gut befindet.“ Rachels Augen füllten sich mit Tränen. „Warum kann ich nicht den Mann heiraten, den ich heiraten will?“

„Das kannst du, und das wirst du“, sagte Tina bestimmt.

„Ich bin nicht so stark wie du“, erwiderte Rachel ruhig. „Oder so unabhängig wie Sophia. Ich kann nicht Nein sagen.“

„Dann wirst du es lernen.“ Tina umarmte ihre Schwester. „Wir gehen heute Abend aus und arbeiten an einer …“

Rachel schüttelte den Kopf und wich zurück. „Ich kann heute Abend nicht ausgehen, Tini.“

„Rachel, wenn es wegen …“

„Ich will nicht darüber sprechen.“ Rachel hob die Hand und schüttelte den Kopf. „Bitte.“

„Rachel …“

„Ich muss gehen.“ Rachel wischte sich die Tränen weg, dann öffnete sie die Tür und verließ hastig die Waschküche.

Frustriert wollte Tina ihr folgen, doch dann fiel ihr ein, dass Reid noch im Wohnzimmer wartete. Der Schlüssel, erinnerte sie sich. Er war wegen des Schlüssels für den Hausanschlusskasten gekommen.

Sie nahm den Schlüssel von einem Haken in der Waschküche, holte tief Luft, um ihre Nerven zu beruhigen, und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Er stand vor der Wand mit den Fotos, die ihre Tante geschossen hatte. Delilah strich schnurrend um seine Beine. Du Luder, dachte Tina und blickte die Katze ihrer Tante finster an.

„Die Bilder sind erstaunlich“, sagte Reid, als sie den Raum betrat. „Ihre Tante schafft es wirklich, Stimmungen einzufangen.“

„Ja, sie ist eine tolle Fotografin.“ Sehr zu Delilahs Missfallen hob Tina die Katze hoch und setzte sie aufs Sofa. „Sie hat gerade ein Buch mit ihren Arbeiten veröffentlicht.“

„Sind diese Fotos dabei?“

Tina schüttelte den Kopf. „Nein, das hier sind Privatfotos. Hauptsächlich von meiner Familie.“

„Mir gefällt das, wo Sie an dem Teich sitzen und ein Buch lesen.“ Er deutete auf ein Schwarz-Weiß-Foto. „Wie alt waren Sie?“

Es war ihr peinlich, irgendwie zu intim, Fotos von sich mit einem Mann anzusehen, den sie kaum kannte. Vor allem die Fotos ihrer Tante Yana, die darin die Seele der Menschen einzufangen schien.

„Achtzehn, glaube ich.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht bemerkt, dass sie mich fotografiert hat. Meine Tante schleicht immer herum und fotografiert unbemerkt die Familie. Es macht uns verrückt.“

Um ihn abzulenken, deutete sie auf ein anderes Foto. „Das ist meine Tante.“

„Eine schöne Frau.“

Mit den dunklen Haaren und ihrem exotischen Äußeren zog Yana Alexander noch heute, mit achtundvierzig Jahren, die Blicke der Männer auf sich.

„Sie war damals in Italien, hat in Siena das Pferderennen, den Palio, fotografiert“, erklärte Tina. „Einer der Teilnehmer hat später ihren Apparat genommen und eine Aufnahme von ihr gemacht.“

Der Mann war auch der Lover ihrer Tante gewesen, wusste sie, aber das musste sie ja nicht erwähnen.

„Ich sehe eine gewisse Ähnlichkeit“, sagte Reid nachdenklich.

Tina verdrehte die Augen. „Ich habe überhaupt keine Ähnlichkeit mit meiner Tante, Mr. Danforth.“

„Sie haben ihre Augen.“ Er drehte sich um und betrachtete ihr Gesicht. „Und ihren Mund.“

Tinas Pulsschlag beschleunigte sich, als sein Blick auf ihren Lippen verweilte. Es ärgerte sie ungemein, dass sie gegen den Charme dieses Mannes nicht immun war. Aber Reid Danforth war auch kein Durchschnittsmann. Er war ein Prachtexemplar von Mann, und dabei immer ein wenig geheimnisvoll.

Bei ihrer Arbeit in der Bäckerei kam sie mit vielen der örtlichen Geschäftsleute in Kontakt. Gelegentlich kam es auch zu einem harmlosen Flirt. Sie war sogar mit einigen der Männer ausgegangen. Doch all diese Geschichten waren bald im Sand verlaufen, und sie hatte es nicht bedauert.

Sich Reid anzunähern, würde nicht so harmlos sein, sagte ihr Instinkt. Ihr Verstand schwenkte die rote Warnflagge, die ihr signalisierte, einen anderen Weg einzuschlagen.

Solange ich nicht den Bezug zur Realität verliere und mir vormache, es könnte eine Beziehung zwischen uns geben, dachte sie und begegnete seinem Blick, gibt es keinen Grund zur Sorge. Sie konnte sich gegen Männer wie Reid Danforth behaupten.

Sie reichte ihm den Schlüssel. „Ich glaube, deshalb sind Sie gekommen.“

„Haben Sie Hunger?“

„Wie bitte?“

„Haben Sie Hunger?“, wiederholte er. „Ich will mir einen Hamburger holen.“

Der kommt aber schnell zur Sache, dachte sie ungläubig. Aber das war ja nichts Neues.

„Ich hab schon etwas vor.“ Dass sich ihre Pläne für den Abend geändert hatten, musste er ja nicht wissen. „Trotzdem vielen Dank.“

Er zog einen Mundwinkel hoch, dann nahm er den Schlüssel und nickte. „Bis morgen, Tini.“

Sie blickte finster auf die Tür, durch die Reid verschwunden war. Woher kannte er ihren Spitznamen? Hatte er etwa …

Sie blickte auf das Gitter im Boden neben dem Sofa. Das Lüftungsrohr, das sich darunter verbarg, lief an der Waschküche vorbei. Seufzend schloss sie die Augen. Hatte er etwa ihre Unterhaltung mit Rachel mit angehört? Wenn ja, dann wusste er, dass sie bezüglich ihrer Pläne heute Abend gelogen hatte.

Und wenn schon. Sie verschränkte die Arme und presste die Lippen aufeinander. Es konnte nicht schaden, wenn der Mann merkte, dass es in Savannah noch Frauen gab, die seinem verdammten Lächeln widerstehen konnten. Du machst dich lächerlich, sagte sie sich. Er wollte einen Hamburger mit dir essen. Das konnte man nicht direkt als Date bezeichnen.

Sie wusste, dass sie überreagierte. Ein weiterer Grund, warum sie auf Abstand gehen sollte. Sie kannte diesen Mann kaum einen Tag, und schon brachte er sie völlig durcheinander.

Doch als sie an dem großen ovalen Wandspiegel vorbeiging, blieb sie stehen und betrachtete sich. Ihre Augen, ihren Mund.

Und wurde nachdenklich.

Ach, verdammt. Sie schüttelte den Kopf.

„Idiot“, sagte sie laut und war nicht sicher, ob sie damit Reid oder sich selbst meinte.

3. KAPITEL

Mit einem Becher Kaffee in der Hand stieg Reid am nächsten Morgen aus seinem Wagen und atmete die angenehm frische Luft ein. Die Bäckerei war noch geschlossen, nur in der Backstube brannte schon Licht. Ivan Alexander war bereits bei der Arbeit.

Reid blieb auf dem menschenleeren Bürgersteig stehen und blickte hinauf zu Tinas Wohnung. Die Jalousien waren geschlossen, und er fragte sich, ob sie auch bereits arbeitete oder ob sie noch oben war.

Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie noch in der Wohnung war.

Es war merkwürdig, dasselbe Gefühl hatte er schon gestern gehabt, als er mit den Umzugsleuten auf dem Bürgersteig gestanden hatte. Die Lamellen der Jalousien waren schräg gestellt gewesen, und auch wenn er Tina nicht direkt gesehen hatte, so hatte er ihren Blick doch gespürt.

Quatsch, dachte er und lachte über sich selbst.

Er schloss die Tür auf, schaltete das Licht ein und blickte sich um. Die Umzugsleute hatten am Vortag zehn Schreibtische gebracht, außerdem Aktenschränke und einen Konferenztisch. Heute Morgen sollte das Telefon angeschlossen werden, und am frühen Nachmittag würden die Computer installiert werden. Außerdem hatte er zwei Privatbüros eingerichtet, eins für sich selbst und eins für Nicola.

Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er mitten in dem Raum, in dem sich bald Wahlkampfhelfer und Familienmitglieder tummeln würden, und genoss die herrliche Stille.

Über ihm knarrte eine Diele, und er blickte auf. Tina war also noch oben. Er lehnte sich gegen einen Schreibtisch, trank von seinem Kaffee und starrte an die Decke.

Ist sie gerade aufgestanden? fragte er sich. Das Bild von zerwühlten Laken, zerzausten hellbraunen Haaren und einem verschlafenen Blick erschien vor seinem geistigen Auge.

Ihm wurde heiß bei dem Gedanken.

War sie der Typ, der Baumwollschlafanzüge trug? Oder bevorzugte sie seidige Nachthemden? Vielleicht, dachte er und lächelte, schläft sie auch nackt.

Bei der Vorstellung wurde ihm noch heißer.

Im Nachhinein war er froh, dass sie sein Angebot abgelehnt hatte, mit ihm zu essen. Die Frau lenkte ihn ab, und das konnte er im Moment gar nicht gebrauchen.

Aber träumen darf man doch, dachte er und lauschte den Schritten. Er trank noch einen Schluck. Träumen war harmlos.

Eine Bewegung vor dem Fenster erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Mann, der ihm bekannt vorkam, huschte vorbei. Reid erkannte in ihm den Verkäufer aus der Bäckerei. Der Mann mit dem blonden Pferdeschwanz. Einen Moment später drang gedämpft das Geräusch des Türöffners durch das Belüftungssystem. Der Mann war nicht in die Bäckerei gegangen, sondern nach oben.

Reid runzelte die Stirn. Etwas früh für einen Besuch.

Er hörte Schritte zur Tür, gedämpfte Stimmen, dann wieder Schritte. Reid versuchte, sich an die Ausstattung der Wohnung zu erinnern. Näherten sich die Schritte dem Sofa? Oder dem Schlafzimmer? Er trat an das Lüftungsrohr und lauschte. Obwohl es schwer war, alles zu verstehen, konnte er zwischen Tinas Stimme und der des Mannes unterscheiden und Bruchstücke der Unterhaltung vernehmen.

„Ich will so nicht weitermachen …“ Die Stimme des Mannes.

Tinas Stimme. „Jason, bitte sei geduldig. Ich bin sicher, wir …“

Wieder die Stimme des Mannes. „… war geduldig … nichts geändert …“

Schwere Schritte. Offensichtlich lief der Mann – Jason – auf und ab.

„… eine Lösung“, sagte Tina. „Ich verspreche es.“

Reid konzentrierte sich, versuchte, mehr zu verstehen als einzelne Worte. Fast hätte er ihnen zugerufen, lauter zu sprechen.

„Ich werde es ihnen sagen.“ Der Frust in Jasons Stimme war nicht zu überhören. „Wir lieben uns. Sie müssen es akzeptieren.“

Reid erstarrte. Tina und der Verkäufer? Sie liebten sich?

Das Rohr war zu hoch abgebracht, um näher dranzukommen. Reid überlegte, ob er einen Stuhl heranziehen und sich darauf stellen sollte. Nein, das ging zu weit. Außerdem käme er in Erklärungsnöte, falls ihn zufällig jemand mit dem Ohr am Lüftungsrohr sehen sollte.

„… jetzt zur Arbeit“, sagte Jason. „… gebe nicht auf.“

Die Schritte näherten sich der Tür, dann Stille.

Verwirrt starrte Reid auf das Rohr. Er wusste nicht, was es war, aber irgendetwas passte hier nicht.

Du hast es gehört, Freund, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Lass es dabe...

Autor

Barbara McCauley
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Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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